Meine Damen und Herren! Wir stehen mitten in einem großen Ringen, mitten in dem Ringen um die Wiederherstellung Deutschlands, des deutschen Namens und der deutschen Ehre, der deutschen Gestaltung. Wir stehen aber auch mitten in einem gewaltigen welthistorischen Ringen, dem Ringen zwischen dem Individuum und der Staatsmacht. In keiner Zeit sind diese beiden Gegensätze, die immer im Widerstreit des soziologischen Geschehens gestanden haben, so stark aufeinander geplatzt wie in den letzten Jahrzehnten. Wir müssen den Ausgleich dieser Gegensätze, dieses Widerstreites, dieser Polarität, wie man es genannt hat, finden. Wir von der Rechten stehen auf dem Standpunkt des Individuums, und die Linke steht im wesentlichen auf dem Standpunkt der Staatsmacht. Beide Gegensätze können sich so vertiefen und erweitern, daß sie auf der einen Seite zur ungebundenen
Lebensführung des Individuums führen, und auf der anderen Seite kann sich das Ringen um die Staatsmacht zum Allgewaltstaat steigern, wie wir das in Rußland heute klassisch sehen.
Diese Gegensätze müssen zunächst soziologisch erfaßt werden. Es will mir scheinen, als ob der Gegensatz zwischen links und rechts heute der Gegensatz zwischen der Vertretung der Staatsmacht, des Allgewaltstaates, und des freien Individuums sei. Das freie Individuum, das wir von der rechten Seite vertreten, hat seine Freiheit nur darin, daß es sittlich handelt, das heißt. daß es nicht die Freiheit wovon, sondern die Freiheit wozu erfüllt. Die Freiheit ist ein terminus ad quem und nicht ein terminus a quo. Das heißt: die Freiheit kann nicht in Willkür ausarten, sondern muß durch das Sittengesetz geboten sein. Nur der sittliche Mensch, der die Gebote der Sittlichkeit in seine Brust aufgenommen hat, ist ein freier Mensch. Um diese Freiheit wird gerungen. Wir von rechts stehen auf dem Standpunkt, daß es vor allem gilt, die sittliche Verantwortung des einzelnen Menschen in seiner ganzen Bedeutung wiederherzustellen. Diese sittliche Verantwortung des einzelnen kann aber nicht der einzelne von sich aus erringen, sondern er kann sie nur dadurch erringen, daß er sich in Verbindung mit der höchsten Macht, mit Gott, setzt. Gott hat in irgendeiner Form die Sittlichkeit offenbart und trägt sie. Die Zehn Gebote Gottes sind noch immer die Grundlage der Sittlichkeit, und die Freiheit des Individuums muß von diesen religiös eingestellten Mächten und von dem Glauben an die Verbindung zwischen Sittlichkeit und Religiosität getragen sein. So offenbart sich uns die wahre Freiheit. Wenn wir heute die Freiheit des Individuums fordern, so können wir sie nur auf der Grundlage dieser sittlich-religiös gebundenen Freiheit fordern.
Hegel hat einmal den Staat die Objektivation der Sittlichkeit genannt, eine der tiefsten Auffassungen, die der Staat jemals gefunden hat. Diese Objektivation der Sittlichkeit kann aber nur dann gefunden werden, wenn der Staat seine Macht nicht übersteigert. So stehen wir heute in dem gewaltigen Kampf um die wahre Freiheit des Menschen auf der einen Seite und um die Staatsallgewalt auf der andern Seite.
Ich bekenne mich zu der Staatsauffassung eines Wilhelm von Humboldt, die er vor nahezu 150 Jahren in dem Schriftchen „Über die Grenzen der Staatsgewalt" niedergelegt hat. Die große Gefahr, die uns heute gerade von der linken Seite droht, ist die, daß der Allgewaltstaat in irgendeiner Form über den einzelnen Herr wird. Wenn die Staatsmacht so wie in Rußland etwa in der Verwirklichung des Marxismus gesteigert wird, dann ist eine ungeheure Gefahr für das Individuum, für den freien sittlichen Menschen gegeben; denn der Staat unterdrückt dann die Entwicklung des freien Menschen und untergräbt damit das Fundament seines Bestandes überhaupt.
Um diese Dinge wird aber nicht nur theoretisch gerungen und nicht nur zwischen Staatsallgewalt, zwischen dem totalitarian state und dem freien demokratischen Staat, sondern in dem gewaltigen Ringen, in dem wir mitten drinstehen und über das wir uns die beiden Tage hier von hüben und drüben unterhalten haben, drängt sich immer wieder der totalitäre Staatsgedanke, die Staatsallgewalt hervor. Ob es jemals gelingen wird, wie es etwa die Labour Party tut und wie es auch die Sozialdemokratie bei uns im Sinne hat, eine Synthese zwischen der Staatsallgewalt und dem freien
Menschen zu finden, das bezweifle ich sehr. Es ist nicht möglich, wenn man dem Staat die große Macht gibt, den Menschen auf der anderen Seite frei zu halten.
Deshalb möchte ich, um nach diesen etwas weit ausholenden soziologischen, ethischen oder philosophischen Gedanken wieder zur Praxis zurückkehren, mit der wir uns heute zu beschäftigen haben, fragen: Wie können wir der Entwicklung zum Allgewaltstaat, die stets da ist, entgegentreten? Denn dieser Widerstreit zwischen Individuum und Staatsallgewalt ist ein Ringen, das under irgendwie politisch getan wird, kommt etwas aufhörlich hin und her geht, und in jedem Schritt, von dieser Richtung oder von der andern Richtung zur Geltung. So ist auch die Regierungserklärung unter diesem Gesichtspunkt zu sehen.
Wir stehen natürlich auf dem Standpunkt, daß wir die Staatsaufgaben vermindern müssen, soweit es geht, damit dieser Allgewaltstaat uns nicht mit der Vernichtung der persönlichen, sittlichen und selbstverantwortlichen Freiheit bedroht. Die Staatsaufgaben zu vermindern, das ist das große Problem. Deshalb stimme ich denen nicht zu, die von der Regierung immer wieder neue Gesetze verlangen. langen. Je mehr Gesetze die Regierung gibt, um so mehr gerät sie in Versuchung, die persönliche und sittliche Freiheit zu gefährden. Sie soll wenige Gesetze geben, aber diese wenigen Gesetze auch mit allem Nachdruck durchführen. Nur so kommen wir dazu, die Staatsaufgaben in der Praxis des Lebens zu vermindern.
Wenn wir nun etwas näher zusehen, so müssen wir vor allem immer hervorheben, daß der Staat von allen Aufgaben, die nicht unbedingt zum Wesen des Staates gehören — eben zu jener Objektivation der Sittlichkeit —, soweit wie möglich entlastet werden muß. Ich bin der Meinung, daß der Staat nur zwei große Aufgaben hat, nämlich die Aufgaben, Ordnung, Ruhe und Sicherheit in der Staatsgemeinschaft zu gewähren. Eine weitere Aufgabe hat der Staat überhaupt nicht.
— Die Schule, die Kultursache kann ja anderen Stellen überlassen bleiben.
— Die Schule auch! Man kann die Schule ja auch kleineren Selbstverwaltungskörpern übereignen; ich werde nachher darauf noch einmal zu sprechen kommen.
— Nein, der macht keine Sozialpolitik; der gibt nur die vernünftigen Gesetze und bekämpft die Verbrecher, die sich nicht danach richten. Ja, meine Herren, wenn Sie sich einmal mit diesen Gedanken beschäftigen, dann wird doch nicht bloß ein Lachen, sondern etwas mehr übrigbleiben. Ich kann Ihnen nur eines sagen: dieser Gedanke — das geht gerade die Herren von der CDU und CSU an — ist grundsätzlich seinerzeit von Papst Leo ΧIII. in seinen beiden großen Enzykliken „Quadragesimo anno" und „Novarum rerum"
ausdrücklich behandelt worden. Glauben Sie nicht, daß ich diese Gedanken dort geholt habe; aber ich möchte ausdrücklich sagen, daß sie dort auch wurzeln.
Ich darf dann weiter darauf aufmerksam machen, daß es auch noch andere Dinge gibt, — —
— Herr Präsident, würden Sie mir gestatten, meine Gedanken noch zu Ende zu führen, weil ich jetzt mehr in die Praxis hineinkomme.
Ich muß leider manches übergehen; ich hätte gern etwas mehr Zeit gehabt.
Nun komme ich zu dem, was die Regierung im einzelnen angeht. Da möchte ich vor allem einmal als Finanzpolitiker ein paar Worte sagen. Vielleicht ist der Herr Finanzminister da.
— Es freut mich, daß er es von mir hören kann.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn wir in unserer Finanzpolitik wirklich zu Rande kommen wollen und wenn die Regierung Adenauer wirklich eine gute Finanzpolitik machen will, dann muß sie mit einer Aufgabe beginnen, von der sie bis jetzt noch nicht geredet hat, nämlich mit einer Neueinteilung der Länder. Wenn Sie die Länder in ihrer jetzigen Größe und Zerfahrenheit bestehen lassen, dann werden Sie nie eine geordnete Finanzpolitik in dem neuen Deutschen Bund herbeiführen. Wir müssen vor allen Dingen von der Zahl 11 der Länder in Westdeutschland herunter auf die Zahl 5, und wenn ich die Regierung zu bilden gehabt hätte, — —
— Meine Damen und Herren, warten Sie nur erst einmal ab, bis ich das gesagt habe; vielleicht kommen wir zu anderer Zeit auch noch einmal auf diese Dinge zurück. Mit dem Artikel 29, an dem Sie, Herr Kollege Schmid, ja mitgewirkt haben, hat die Regierung die Pflicht auferlegt bekommen, diese Neueinteilung vorzunehmen, und der Herr Bundeskanzler hätte viel klüger getan, mit diesen Dingen anzufangen. Er kann doch unmöglich diese Dinge so lassen, das kleine Schleswig-Holstein und das große Rheinland-Westfalen und wie die Staaten sonst alle heißen. Auch Hessen ist doch zu klein und zu arm, um überhaupt als selbständiger Staat leben zu können.
Deshalb ist das, was der Herr Bundeskanzler als erstes hätte tun müssen, diese Zahl von elf Staaten auf fünf zu vermindern. Vielleicht kann er es nachholen.
Ich weiß, daß das eine Sisyphusarbeit ist; aber auch diese Sisyphusarbeit muß getan werden.
— Ich lasse im allgemeinen nicht mit mir handeln;
aber wenn der Herr Kollege Schmid gern handelt,
wird es ja schließlich auf einen nicht ankommen.
Das Entscheidende bleibt also, daß wir fünf Bundesstaaten bekommen, die etwa gleich groß sind.
— Wenn Sie absolut sechs haben wollen, behalten Sie sechs!
Es kommt darauf an, daß diese fünf oder, wie Sie glauben, sechs Staaten gleich groß sind, die gleiche Bevölkerung haben und die gleiche Wirtschafts-
und Steuerkraft besitzen.