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    Deutscher Bundestag — 7. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. September 1949 47 7. Sitzung Erster Tag Bonn, Donnerstag, den 22. September 1949. Geschäftiche Mitteilungen 47B, 67C, D Fortsetzung der Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung . . . 47B Ewers (DP) 47C Dr. Seelos (BP) 53D Reimann (KPD) 58C Dr. Adenauer, Bundeskanzler . . . 67A Unterbrechung der Sitzung . 67C Loritz (WAV) 67D Frau Wessel (Z) 72B Dr. Richter (DRP) 80A Clausen (SSW) 85C Dr. Edert (Parteilos) 86B Fortsetzung der Sitzung 87C Die Sitzung wird um 10 Uhr 11 Minuten durch den Präsidenten Dr. Köhler eröffnet.
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    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (WAV)
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    Meine Damen und Herren! Die Schaffung eines Bundesministeriums für Angelegenheiten der Vertriebenen hat die Flüchtlinge mit Befriedigung erfüllt. Es kommt jetzt für uns alles darauf an, in welchem Geist und mit welchem Eifer dieses Ministerium seine unerhört umfangreichen Aufgaben erfüllt. Uns ,Heimatvertriebene wird in diesem Zusammenhang ganz besonders die personelle Zusammensetzung dieses neuen Ministeriums interessieren. Wohl keine andere Bevölkerungsgruppe in Deutschland hat die Bildung einer deutschen Regierung in dem Maße herbeigesehnt, wie es die Heimatvertriebenen getan haben. Sie taten dies nicht nur aus dem Gefühl der Grenzdeutschen, die sich zu allen Epochen geschichtlichen Denkens zutiefst mit dem deutschen Vaterland verbunden fühlten, sie taten es gleichermaßen auch aus ihrer tiefen materiellen und seelischen Notlage heraus.
    Es soll daher meine Aufgabe sein, die Bundesregierung und dieses Hohe Haus zu bitten, mit aller Kraft Maßnahmen zu ergreifen, die geeignet sind, der unaufhaltsamen Verelendung der Vertriebenen zu begegnen. Ebensowenig wie es eine befriedete Welt ohne Deutschland geben kann, ebensowenig kann es ein wahrhaft demokratisches und befriedetes Deutschland geben, bevor nicht alle Heimatvertriebenen die Gleichberechtigung unter Deutschen erhalten haben.

    (Zuruf: Sehr gut!)



    (Götzendorff)

    Eine einheitliche Flüchtlingsgesetzgebung wird daher eine der vornehmsten Aufgaben dieses Hauses sein, nicht etwa eine Gesetzgebung wie die bayerische, die, nur mit kümmerlichen Ausführungsbestimmungen ausgestattet, ohne Strafbestimmungen auf dem Papier steht, eine Flüchtlingsgesetzgebung, hinter der die Autorität des Bundes steht. Man kann sich nicht auf den Standpunkt stellen, lediglich die Beschlüsse von Jalta und Potsdam müßten revidiert werden. Selbstverständlich ist dies die unabdingbare Forderung aller Flüchtlinge überhaupt und auch der Mehrheit des gesamten deutschen Volkes. Die Flüchtlingsfrage ist aber nicht nur eine internationale Frage, sie ist gleichzeitig die deutsche Frage Nummer 1. Die moralische und rechtliche Verpflichtung Deutschlands ist es, den sieben Millionen in Westdeutschland vegetierenden Heimatvertriebenen eine Möglichkeit zu geben, von der untersten Stufenleiter der sozialen Rangordnung, von der eines Parias überhaupt aufzusteigen. Diese Grenzdeutschen müssen an Leib und Seele gesund erhalten werden, gesund für den Tag der Rückkehr, wann immer er kommen möge, damit sie fähig sind, die dann vor ihnen liegenden großen Aufgaben zu meistern. Stimmen aus der ganzen Welt und unsere immer stärker werdende eigene Stimme lassen uns hoffen, daß das Komplott des Schweigens, das die Welt jetzt gegenüber den deutschen Vertriebenen ausübt, einmal gebrochen wird, berechtigen uns zu der Hoffnung, daß die Welt einsieht, daß es nicht gut ist, 197 Menschen auf einen Quadratkilometer in Westdeutschland zusammenzupferchen, während die Gebiete in Schlesien, dem Sudetenland und Pommern veröden und mit 40 Menschen auf dem gleichen Raum ausgefüllt sind. Die Austreibung war nicht nur ein tiefes Unglück, ein Verbrechen an den Vertriebenen, sie war darüber hinaus ein Verbrechen am gesamten deutschen Volk und an der gesamten zivilisierten Welt.

    (Sehr richtig!)

    und sie wird hoffentlich auch bald von der ganzen Welt als solche erkannt werden.
    Nun lassen Sie mich in diesem Zusammenhang ein Wort sagen zu den Dingen, die sich gestern hier, als der Abgeordnete Reimann sprach, zugetragen haben. Ich habe mich gestern, wie so mancher unter Ihnen, geschämt, in diesem Hause zu sitzen, wo es möglich ist, daß einer aufsteht und dem andern das nehmen will, worauf er seit Jahrhunderten seiner Abstammung nach ein Anrecht hat.

    (Lebhafter Beifall in der Mitte,.)

    Ich glaube auch, daß der Abgeordnete Reimann seinen Wählern einen schlechten Dienst erwiesen hat. Ich kann mir nicht denken, daß die Kumpels aus dem Ruhrgebiet, die mit uns draußen im Osten Not und Entbehrung getragen haben, daß sie, indem sie ihre Stimme der KPD gaben, damit uns unserer Heimat berauben wollen.

    (Sehr richtig!)

    Ich habe es so aufgefaßt, als stünde nicht nur Reimann hier, als stünde ein Megaphon des Kreml hier, ein Megaphon, hinter dem die asiatische Fratze der roten Machthaber grinst.
    Reimann hat von der Oder-Neiße-Linie als einer Friedenslinie gesprochen. Dazu möchte ich Ihnen sagen: Friede ist nicht nur, wenn die Waffen schweigen, Friede ist erst, wenn er einkehrt in die Herzen der Menschheit. Niemals aber wird es Friede in der Welt geben, wenn man den Menschen das Anrecht auf die angestammte Heimat nimmt, und niemals wird es Friede geben in der Welt, solange die Grenze Asiens an der Elbe liegt.

    (Lebhafter Beifall bei der WAV.)

    Die einhellige Antwort aller Deutschen muß die Berufung auf das Heimatrecht des Menschen sein. Diese Berufung auf die Grundsätze der christlich-
    abendländischen Kultur schafft aber keine Lösung für die nächsten Jahre. Wenn die Vertriebenen stets zu sagen pflegen, sie unterscheiden in ihrem Kampf ein Fernziel und ein Nahziel, dann meinen sie mit dem Nahziel die Eingliederung in das Wirtschafts- und Erwerbsleben der neuen Heimat, dann meinen sie einen Ausweg aus der sozialen und seelischen Not, einen Silberstreifen der Hoffnung am Horizont für sich und ihre Kinder. Unter den Erwerbslosen der deutschen Länder sind die Heimatlosen am schwersten betroffen. Das Wort des Wirtschaftsministers Dr. Erhard, er wolle die Arbeitslosen sich auspendeln lassen, hat zahllose Vertriebene mit neuer tiefer Sorge und Furcht vor dem kommenden Winter erfüllt. Die Blüte unserer Intelligenz, die in Jahrhunderten harter Arbeit dem deutschen Osten das Gepräge eines Kulturlandes gab, vegetiert in Dörfern und ausweglosen Einöden hoffnungslos dahin, ohne die Möglichkeit zu sehen, die ererbten und erarbeiteten Geistesgaben wieder einmal dem deutschen Vaterlande dienstbar zu machen. Gerade das Wirken der Deutschen im Grenzland und Ausland aber ist mit Recht als das Wirken von Pionieren für die deutsche Kultur und die christlich-abendländische Kultur bezeichnet worden. Ein Volk, das — wie das deutsche - in unerhörtes Elend gestoßen wurde, kann es sich nicht erlauben, auf die Dauer auf diese reichen Geistesgaben zu verzichten. Die Hilfe an den Heimatvertriebenen muß eine solche der Tat sein. Viele von uns sind schon im Hoffen und Vertrauen müde geworden, und viele von uns haben gemeint, das Christentum habe versagt. Wir aber wollen bekennen: nicht das Christentum in seinen hohen Werten hat versagt, sondern einige Menschen, die sich mit dem Lippenbekenntnis Christen nannten und die das Wort von der Liebe und Toleranz vergessen haben.
    Die Hilfe an die Heimatvertriebenen setzt voraus, daß jeder Deutsche sich mit jenen Volksgenossen solidarisch fühlt, die ein unmenschlicher Beschluß ihrer Heimat beraubte. Die These der Kollektivschuld des deutschen Volkes ist von uns längst abgelehnt worden. Die für Deutschland entstandenen Lasten des Krieges müssen gemeinsam getragen werden, und die Austreibung ist nichts anderes als eine Folgeerscheinung dieses Krieges. Für ihn haben die Vertriebenen in einer Weise bezahlt, die an das Menschenmögliche überhaupt grenzt, mit Hab und Gut, mit Heimat und Existenz. Wenn der Herr Vorredner das Wort von der tschechoslowakischen Soldateska, das irgendwo gefallen ist, übelnimmt, dann möchte ich ihn fragen, ob er etwas vom Prager Todesmarsch gehört hat.

    (Beifall bei der WAV und bei einem Teil der Mitte.)

    Dann möchte ich ihm sagen, daß die Heimat für uns nicht nur ein leerer Begriff ist. Dann möchte ich ihn an die Worte des Herrn Bundespräsidenten erinnern, als er sprach: „Heimat ist nicht Kartoffelacker, Heimat ist das Land aller Deutschen". Wir haben früher diesen Wert vielleicht auch nicht so erkannt; heute aber wissen wir, es ist nicht nur das irdische Gut, es sind nicht nur die Kisten und Kasten, die wir daheimgelassen haben, es ist all das, was einst das Leben reich und kostbar ge-


    (Götzendorff)

    macht hat. Es sind die Straßen und Plätze. Wenn wir zurückdenken an diese Dinge, an die Elendsstraßen im Sudetenland, in Ostpreußen, in Schlesien: hinter uns das Grauen, über uns der Tod, — dann ist dieser Weg, Treck an Treck, Mensch an Mensch — und mancher brach zusammen und fand ein vergessenes Grab —, dann ist dieser Weg eine Reihe schwarzer Kreuze, die niemals gesetzt worden sind. Mag mein Herr Vorredner vielleicht an diese Dinge denken, wenn er den Begriff „tschechische Soldateska" für etwas zu stark gewählt findet.
    Hieraus ergibt sich, daß die Heimatvertriebenen Gläubiger der westdeutschen eingesessenen Bevölkerung sind und diese damit zu einem Teil deren Schuldner. Kein Mensch hat das Recht, aus dieser Schicksalsgemeinschaft auszubrechen. Ein ganzes Volk hat den Krieg verloren, und ich glaube, ein ganzes Volk muß ihn auch bezahlen. Die hieraus entstehenden Forderungen der Vertriebenen gegenüber der eingessenen Bevölkerung Westdeutschlands sind somit rechtlich begründet, abgesehen von der zwingenden moralischen Verpflichtung. In jenem Teil, in dem das Flüchtlingsproblem eine deutsche Frage ist, hat demnach die
    eingesessene Bevölkerung Westdeutschlands vor
    Gott und vor den Menschen die Verpflichtung, aus der hier vorhandenen Substanz des Volksvermögens an die Vertriebenen eine Abgabe zu machen. Diese Abgabe muß solcherart erfolgen, daß jeder Besitz einmalig oder in zeitlicher Ausdehnung zu einer Leistung herangezogen wird, 'die ausreichend ist, an den Ausgewiesenen, soweit dies mit menschlichen Mitteln überhaupt möglich ist, eine materielle Wiedergutmachung zu vollziehen. Auf dieser Grundlage wird ein Lastenausgleich aufgebaut, der einerseits diese Abgaben auf einen bestimmten Zeitraum festlegt und revidiert und andererseits die Zuwendungen aus den Gesichtspunkten der wirtschaftlichen Existenzgründung und der Lebenssicherung der Heimatvertriebenen verteilt.
    Auf der gleichen Ebene der materiellen Verpflichtungen liegen die moralischen. Die Staatsführung hat die Verpflichtung, den Begriff der Volksgemeinschaft nachdrücklichst zu proklamieren und gesetzgeberisch darauf hinzuwirken, daß eine Verbreiterung der Kluft zwischen Heimatvertriebenen und Eingesessenen vermieden bleibt. Es darf keinesfalls die nur zu einem Teil verständliche Reaktion der einheimischen Bevölkerung gestärkt werden, sondern es muß dieser mit allem Nachdruck entgegengetreten werden. Es ist dies eine zwingende Verpflichtung der Bundesregierung und nicht zuletzt der politischen Parteien. Flüchtlingsfeindliche Handlungen, die von der Justiz nicht in ausreichender Weise geahndet wurden, sind an der Tagesordnung. Man macht sich auch von seiten mancher Behörden die Auffassung zu eigen, daß die Heimatvertriebenen nicht im vollen Besitz ihrer staatsbürgerlichen Rechte sind. Es hat uns mit Befremden erfüllt, daß der Herr Bundeskanzler in seiner programmatischen Rede als die wichtigste Aufgabe auf dem Flüchtlingssektor den sogenannten Flüchtlingsausgleich bezeichnet hat. Es hat uns deshalb mit Sorge erfüllt, weil in den Ländern mit großem Flüchtlingsüberhang bereits die Auffassung Platz greift, man könne diesen Flüchtlingsausgleich in eine Strafmaßnahme gegen unliebsame Kostgänger verwandeln. Wir stark diese Bestrebungen bereits geworden sind, mag eine Veröffentlichung der „Bayrischen Landeszeitung", des Mitteilungsblattes der Bayernpartei, beweisen. Dort heißt es wörtlich:
    Eine unserer vordringlichsten Aufgaben wird es sein, im Bundestag einen Flüchtlingsausgleich zu beantragen, damit diejenigen Flüchtlinge, die die nihilistische und programmlose WAV gewählt haben, anderweitig eine neue Heimat erhalten,

    (Hört! Hört! bei der WAV)

    nachdem sie die bayrische Heimat ablehnen. Wir haben keine Lust, uns länger mit Elementen zu belasten, die für die berechtigten Interessen in ihrer neu gewonnenen Heimat kein Verständnis aufbringen, ja darüber hinaus die Selbständigkeit Bayerns vernichten wollen.
    Meine Damen und Herren, ich glaube, wenn man diese Mitteilung auf ihren sachlichen Gehalt hin untersucht, dann muß man hier mit einem tiefen Befremden erfüllt sein. Diese Veröffentlichung mag von manchem belächelt und als Ausdruck eines übersteigerten Lokalpatriotismus gewertet werden. Für uns stellt sich aber die Angelegenheit ernster dar. Wir sehen in ihr nicht nur eine eklatante Gefährdung der Grundrechte des deutschen Volkes, zu denen die freie Wahl gehört, sondern das Heraufziehen einer neuen Abart des
    Rassenhasses, eines Stammeshasses. Ich möchte
    dem Herrn Staatsrat Seelos sagen: Sie haben in einem anderen Zusammenhang kürzlich hier gesagt: die Baracken sind etwas Schönes. Wir Vertriebenen kennen diese Baracken seit vielen Jahren. Wir möchten nicht, daß sich die Spannungen zwischen uns verschärfen. Aber wenn Sie in jeder möglichen Weise an das Heimatgefühl der eigenen Landsleute appellieren, dann mögen diese auch daran erinnert werden, daß auch wir eine Heimat haben und daß es uns im Innern wehtut, wenn man in dieser Weise angesprochen wird.
    Wir haben uns unser Aufnahmeland nicht gewählt, und wir würden froh sein, wenn wir es wieder vertauschen könnten. Wir haben uns zu allen Zeiten als Deutsche gefühlt, weit, weit über die engen Stammesgrenzen hinweg. Wenn Sie stolz darauf sind, daß in Bayern beispielsweise der Himmel in Ihren Landesfarben Weiß und Blau erstrahlt, dann seien Sie überzeugt: auch bei uns daheim hatte der Himmel die gleichen Farben. Wenn dann der Herr Kollege von der Deutschen Partei sagte: die Flüchtlinge sind eine Heimsuchung, und wenn dann von der Bayernpartei in anderer Variation ebenso gesprochen wurde, dann möchte ich sagen: Es schmerzt uns, wenn Sie uns als eine Heimsuchung bezeichnen. Sagen wir lieber: die Flüchtlingsfrage an sich, der verlorene Krieg und die Leiden des Krieges sind eine Heimsuchung für das deutsche Volk überhaupt. Wie wir diese Heimsuchung bestehen, danach wird uns die Geschichte beurteilen!
    Nun zum Abschluß dieses Themas. Wenn vorhin wieder ein Abgeordneter der Bayernpartei, Dr. Etzel, sagte, er bitte die Bundesregierung, nicht zu vergessen, was hier gesprochen werde, und es auch zu verwirklichen, dann bitte ich Sie, Herr Dr. Etzel: Wirken Sie bei Ihren Parteifreunden dahin, daß das, was bei Ihnen gesprochen wurde, nicht verwirklicht wird!

    (Sehr wahr! bei der WAV.)

    Auch wir Vertriebenen verkennen nicht die Notwendigkeit eines Flüchtlingsausgleichs innerhalb der Länder der Deutschen Bundesrepublik. Dieser muß jedoch unter rein wirtschaftlichen Gesichtspunkten erfolgen und darf niemals den Charakter einer politischen Strafmaßnahme tragen. Der


    (Götzendorff)

    Flüchtlingsausgleich muß auf völlig freiwilliger Grundlage und ohne Zwang vor sich gehen. Eine erzwungene erneute Entwurzelung würden wir als zweite Ausweisung betrachten und ablehnen.

    (Sehr wahr! bei der WAV.)

    Am 9. Juli 1947 stellte der Vorsitzende des Zonenbeirats. Minister Blücher, in einem Bericht über die Sitzung des Finanzausschusses beim Zonenrat fest, Umsiedler aus dem Osten hätten einen ganz klaren Rechtsspruch auf Entschädigung gegenüber dem Staat. Eine Reihe von Ratsmitgliedern wurde beauftragt, Vorschläge hierfür zu unterbreiten. Die Ratsmitglieder konnten dem erteilten Auftrag nicht nachkommen, da verschiedene Voraussetzungen hierfür, wie Erfassung des Volksvermögens, Währungsreform und Schaffung einer deutschen Zentralinstanz, noch nicht gegeben waren.
    Der westdeutsche Bundesstaat ist nunmehr geschaffen, und es hat sich somit eine deutsche Volksgemeinschaft auch rein staatlich manifestiert. Die in Westdeutschland lebenden Heimatvertriebenen erwarten nun von diesem neuen Bundesstaat souveräne Maßnahmen zur Besserung ihrer Lage. Die Heimatvertriebenen schienen von vornherein dazu geschaffen, wie einerseits befürchtet und andererseits erhofft, ein umstürzlerisches Element zu bilden. Das sind sie nicht geworden. Sie haben trotz des Schocks, des Verlustes der Heimat, trotz bitterer Enttäuschung und ihrer unbeschreiblichen Notlage eine beispiellose Disziplin bewahrt und auf ihre Eingliederung gewartet. Möge man nicht den Fehler begehen, daraus etwa zu schließen, die Heimatvertriebenen seien eine geduldige und willenlose Masse, mit der man machen kann, was man will. Dies wäre eine Herausforderung des Schicksals.

    (Sehr richtig! bei der WAV:)

    Kein Mensch, der lebt, weiß, ob er sein Leben in Frieden beschließen wird. Es könnte sein, daß sich wieder einmal Wolken zusammenballen über dem deutschen Vaterland, und es könnte sein. daß jene, deren Herzen hart geworden sind wie Stein, einmal die gleiche Straße des Elends gehen, die wir auch gegangen sind mit dem letzten Bündel unserer Habseligkeiten.
    Die wirtschaftliche Lage der Flüchtlinge ist nicht zuletzt deswegen so katastrophal, weil man ihr Vorhandensein in den Ländern als ein Provisorium ansieht und einen Flüchtlingsausgleich als Allheilmittel empfindet. Die Bundesregierung ist zweifelsohne in der Lage, durch Vereinheitlichung der Gesetzgebung hier Besserung eintreten zu lassen: die Vereinheitlichung der Pensionen und Renten, die Ansiedlung der vertriebenen Bauern, die Durchführung der Bodenreform. Ich warne hier vor dem, was der Herr Vorredner empfahl, nämlich auf die freiwillige Bodenreform zu warten. Solche Appelle haben bei dem Leid der Nachkriegszeit keinen Erfolg. Die Gleichstellung der vertriebenen Beamten mit der einheimischen Bevölkerung, die Schaffung von Wohnungen, die kostenlose Ausbildung unserer Flüchtlingskinder, soweit ihre Fähigkeiten es rechtfertigen, die Sorge für unsere Alten und Schwachen sind vordringlichste Aufgaben nicht nur für uns Heimatvertriebene, sondern für das ganze deutsche Volk.
    Die Bundesregierung möchte ich ersuchen, jetzt bei der Abwertung der Mark ganz besonders auf die sozial Schwachen zu achten, auf die Vertriebenen und Rentenempfänger.
    Ich glaube doch, es ist nicht abwegig, sich hier auch mit der Planung auf dem Wirtschaftssektor zu beschäftigen. Mag die Planung im Mittelpunkt des Streites stehen, mag man hier geteilter Ansicht sein, ich glaube doch: für den armen Teufel draußen ist es ein Glück, daß eine Planung besteht, und selbst die Zwangswirtschaft bei den Lebensmitteln, die benötigt werden, um ein kümmerliches Leben von den Fürsorgeunterstützungen zu fristen, ist für diese Menschen ein Segen.
    Der Herr Bundeskanzler hat erklärt, daß der Bund Geld für den Wohnungsbau zur Verfügung stellen wolle und daß er darauf dringen werde, daß von allen Ländern alle Möglichkeiten ausgeschöpft würden. Damit würde dann endlich auch der Schande des 20. Jahrhunderts, dem FlüchtlingsLagerleben, ein Ende bereitet werden. Wenn dieser menschenunwürdige Zustand, bei dem Dutzende von Menschen in gemeinsamen Räumen zusammengepfercht leben, nicht sein Ende findet, dürfte der Zündstoff, der sich hier auf der sozialen Ebene ansammelt, doch einmal zur Entladung kommen!
    Ich warne auch die Bundesregierung, die angekündigte Lockerung der Wohnraumbewirtschaftung vorzeitig durchzuführen. Solange das Wohnungselend der Heimatlosen in den Flüchtlingslagern anhält, hat kein anderer Staatsbürger das Recht, nur an sein eigenes Ich zu denken.
    Die Heimatvertriebenen erwarten neben den Maßnahmen zu ihrer Lebenssicherung von ihren deutschen Brüdern und Schwestern auch, daß diese sie mit allen Kräften des Herzens und des Verstandes unterstützen in ihrer Forderung nach Rückgabe ihres kostbarsten Gutes, der Heimat. Die Erklärung des Herrn Bundeskanzlers zu den Abkommen von Jalta und Potsdam war uns daher aus der Seele gesprochen. Es wäre müßig, die Heimatvertriebenen oder die Deutschen zur Demokratie erziehen zu wollen, wenn diese Demokratie den Bruch der primitivsten Menschenrechte zuläßt. Jedes Volk, die Engländer, die Amerikaner sind stolz darauf, ihre Nation zu lieben. Wohl denn: auch wir Deutsche beanspruchen, unser Vaterland zu lieben, und zwar jeden Teil von ihm. Die Gerechtigkeit kann nicht nur für die Zwecke einer Nation bestimmt werden. Die Gerechtigkeit ist unteilbar, ebenso wie das Leid gemeinsam sein sollte für alle Völker. Man kann nicht die Achseln zucken und wegsehen, nur weil es sich um deutsches Leid handelt.

    (Händeklatschen bei der WAV.)

    Wir haben mit Scham bekannt, daß es möglich war, in dem Konzentrationslager von Auschwitz Tausende von Menschen zum Tode zu bringen. Ich weiß aber nicht, ob es humaner ist, wenn die Politik der Siegermächte mit einem Federstrich sich über göttliches und irdisches Recht hinwegsetzte, Menschen aus ihrer angestammten Heimat austrieb, um sie unterwegs ermorden und vergewaltigen oder im überfüllten Westdeutschland langsam, aber sicher umkommen zu lassen. Und man möchte, wenn jene Menschen, auch jene über dem großen Teich, uns sagen, wir sollten verzichten und uns mit den Dingen abfinden, diesen sagen: Wir Ostdeutsche haben schon lange auf unserer angestammten Erde gesessen, schon längst, bevor Kolumbus den amerikanischen Kontinent überhaupt entdeckt hatte!

    (Sehr richtig! bei der WAV.)

    Auch Herr Bevin, der kürzlich sagte, er könne es nicht vergessen, daß seine Heimatstadt von


    (Götzendorff)

    deutschen Bomben getroffen worden sei, möge sich die Worte Churchills zu Herzen nehmen, der sagte; über den Schlachtfeldern wachse schnell wieder Gras, aber Vergewaltigung der Völker säe den Haß für ewig!
    Wir sagen es daher im Angesicht der Welt: Jalta und Potsdam waren Verbrechen an der Menschheit! Wir werden einen Antrag einbringen, den Tag von Potsdam zum nationalen Trauertag des deutschen Volkes zu erklären.

    (Lebhafte Zustimmung und Händeklatschen bei der WAV.)

    Wir fordern von der Welt, daß sie sich der Austreibung schäme, wie wir uns der Taten jener geschämt haben, die Böses getan haben im Namen des deutschen Volkes. Wir fordern aber auch die Welt auf gutzumachen, soweit diese unerhörten Gewalttaten und Grausamkeiten, die im Zeichen angeblicher Humanität begangen wurden, wiedergutzumachen sind.
    Wir haben mit Genugtuung davon Kenntnis genommen, daß sich niemals deutsche verantwortliche Politiker, niemals eine deutsche Regierung bereitfinden werden, die Heimat deutscher Menschen zu verraten. Dies gilt für die Heimat aller Deutschen, für unsere Brüder und Schwestern im Sudetenland, in Schlesien, in Jugoslawien, in Ungarn, in Rumänien, in Ostpreußen und in Pommern, für alle Schicksalsgefährten diesseits und jenseits der deutschen Grenzen. Die Welt möge dies wissen, damit sie diesen Brandherd löscht, der sich im Herzen Europas aufgetan hat.
    Aus der Schuld der Potsdamer Mächte erwachsen diesen gegenüber den Vertriebenen zwei grundlegende Verpflichtungen: erstens auf der politischen Ebene die Wiederherstellung eines Zustandes in Europa, in welchem den Vertriebenen die Rückkehr in ihre angestammte Heimat möglich ist und auf dem Boden dieser angestammten Heimat eine materielle Wiedergutmachung erfolgen kann, und zweitens, bis zu dem Zeitpunkt der Rückkehr in die Heimat den Heimatvertriebenen während ihres Aufenthaltes in Westdeutschland menschenwürdige Lebensbedingungen zu sichern. Die Erfüllung der ersten Verpflichtung der Potsdamer Mächte kann nur auf solche Art erfolgen, daß vermieden wird, den Heimatvertriebenen bei der rückläufigen Bewegung erneut Opfer an Blut und Leben aufzuerlegen. Die zweite Verpflichtung ist rein materieller Art. Die Bundesregierung wolle sich bemühen, aus den ERP-Mitteln möglichst große Beträge der Flüchtlingshilfe zuzuführen.
    Mit besonderer Betonung aber sei festgestellt, daß das Flüchtlingsproblem nicht durch Auswanderung gelöst werden kann. Im Oktober 1948 erschien in englischen und deutschen Blättern eine von der Verwaltung der ERP-Hilfe stammende Notiz, die der gerade zu diesem Zeitpunkt tagenden Empire-Konferenz empfahl, sich mit dem europäischen und mit dem deutschen Flüchtlingsproblem zu befassen. Es wurde angeregt, die Dominions neu zu bevölkern. Es sollte die Gelegenheit benutzt werden, deren Bevölkerungszahl durch eine großzügige Einwanderungspolitik zu erhöhen. Was die dieser Konferenz empfohlene Verpflanzung der sogenannten Flüchtlinge in die unterbevölkerten britischen Dominions anlangt, so muß zur Kenntnis gebracht werden, daß die Flüchtlinge ausnahmslos einzig und allein dorthin gravitieren, wohin sie gehören, in ihre angestammte Heimat. Einer individuellen Auswanderung kann nicht entgegengetreten werden. Die Lösung des Flüchtlingsproblems jedoch in einer neuerlichen Verpflanzung zu sehen, muß entschieden abgelehnt werden. Es ist absurd, die Ostdeutschen nach Australien oder nach Afrika zu schleppen, während die Gebiete ihrer angestammten Heimat brachliegen. Die Heimatvertriebenen werden so lange in Westdeutschland bleiben, bis ihnen die Rückkehr in die Heimat möglich ist. Sowohl die Potsdamer Mächte als auch die Regierung der Deutschen Bundesrepublik haben die Verpflichtung, während dieser Wartezeit alles zu tun, um ihnen den Aufenthalt in Westdeutschland erträglich zu gestalten.
    Zum Schluß sei nochmals festgestellt: Es gibt für die Heimatvertriebenen nur zwei unabdingbare Forderungen: erstens die Wiedergewinnung ihrer alten Heimat und zweitens eine Eingliederung in das wirtschaftliche und soziale Leben Westdeutschlands während der Zeit des Wartens auf diese Rückkehr.
    In diesen Zielsetzungen bitte ich, bitten die Heimatvertriebenen Sie, meine Damen und Herren, aus ganzem Herzen uns zu unterstützen. Möge Hand in Hand mit der Besserung des Schicksals der Vertriebenen der Aufstieg unseres gesamten deutschen Vaterlandes gehen, dem wir in Not und Glück treu bleiben werden!

    (Lebhafter Beifall und Händeklatschen in der Mitte und rechts!)



Rede von Dr. Erich Köhler
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Ribbeheger.

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    Rede von Gerhard Ribbeheger


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (None)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FU)

    Meine Damen und Herren! Der Herr Bundeskanzler bringt in seiner Regierungserklärung zum Ausdruck, daß die Regierung die Absicht habe, der Jugend hinsichtlich ihrer Erziehung und Ausbildung zu Hilfe zu kommen und versuchen zu wollen, die Pflicht der jungen Generation gegenüber anders zu betrachten, als das bisher der Fall gewesen ist, weil die Jugend die Zukunft Deutschlands sei. Es will indessen scheinen, daß in Anbetracht dieser Bedeutung der Jugend als Lebensquell und staatserhaltender Faktor unseres Volkes und dieser neuen Bundesrepublik konkreter hätte angedeutet werden müssen, worin die Regierung praktisch diese Aufgabe verwirklicht sieht. Wenn es das Anliegen dieser Regierung ist, nicht nur eine formale, sondern eine soziale Demokratie, also Freiheit und Gerechtigkeit, zur Lebensform und zum Lebensinhalt unseres Volkes zu gestalten, wird sie vor allem Wert darauf legen müssen, die Jugend nicht als Objekt ihrer Politik zu betrachten, vielmehr den jungen Menschen als verantwortlichen und sozial verpflichteten Mitträger in die politische Mitarbeit und Mitverantwortung hineinzubringen. Diese junge Demokratie braucht Blut und vor allem junges Blut, damit sie eine lebensfähige Demokratie wird und bleibt.
    Der Verlauf der Debatten seit Konstituierung des Bundestags in diesem Hohen Hause ist nach meinem Empfinden wenig dazu angetan, Anziehungskraft auf junge Menschen auszustrahlen und für die Demokratie die beste Visitenkarte abzugeben. Vergessen Sie, meine Damen und Herren, nicht, daß diese jungen deutschen Menschen die elementare Wucht und das katastrophale Verhängnis eines totalen Krieges bis zum bitteren Ende durchlebt und durchlitten haben und daß sie - Millionen Gefallener beweisen es — die Härte und Schwere der Folgen eines solchen Krieges am eigenen Leibe verspürt haben, Menschen, die durch dieses Erleben und Leiden an den wirklichen Daseinsgrund, an die Realität des Lebens näher her-


    (Ribbeheger)

    angekommen sind, als es ihnen ein Jahrzehnt Lebenserfahrung geben könnte. Die junge Generation weiß und begreift durchaus, daß sie noch unterwegs ist. Indessen möchte ich aber aussprechen, daß das hier gegebene Beispiel keine Aussicht hat, als Vorbild eines demokratischen Staates zu gelten.
    In der Regierungserklärung des Herrn Bundeskanzlers ist unklar geblieben, wie sich der Herr Kanzler die Hilfe für die Jugendlichen hinsichtlich der Erziehung wohl denken könnte, wenn er sagt, daß die Erziehung durch die Familie und die Schule während der Kriegszeit gefehlt hat, und wenn die CDU durch den Herrn Abgeordneten Dr. von Brentano erklärt hat, diese kulturellen Fragen seien doch Aufgaben der Länder. Mit Rücksicht auf die eminente Bedeutung der Jugend für unser Volk und für unsere junge Bundesrepublik möchte ich vorschlagen, im Ministerium des Innern ein besonderes Referat für die Jugendfürsorge und für die Jugendpflege einzurichten. Denn eine vordringliche Aufgabe der Jugendfürsorge sehe ich darin, ein neues Jugendschutzgesetz zu schaffen. Vor allem steht vor uns das Problem der gefährdeten, der heimatlosen, der verwahrlosten und vagabundierenden Jugend. Es bedarf dringend ,der Lösung. Gefährdet ist und wird unsere Jugend durch die Zerreißung der Familien, durch das Zusammendrängen auf engstem Raum, durch die Wohnungsnot, durch die mangelnde Versorgung mit den alltäglichen Bedarfsgütern, durch den Mangel an ausreichenden Arbeits- und Ausbildungsmöglichkeiten. Es wird in diesem Zusammenhang notwendig sein, auch für die freie Berufswahl entsprechend Veranlagung und Fähigkeiten des jungen Menschen mit aller Deutlichkeit einzutreten und sie zu fordern.
    Weiterhin sehe ich eine Gefährdung des jungen Menschen darin, daß dem jungen Menschen der klare Einblick in die wirkliche Lage unseres Volkes nicht deutlich genug wird und er angesichts der Verarmung unseres Volkes durch den verlorenen Krieg wenig Sinn dafür finden kann, daß die Lebenshaltung nicht entsprechend ist. Das Problem der heimatlosen Jugend im engeren Sinne besteht darin, den heimatlos gewordenen jungen Menschen eine neue Heimat zu geben, sei es den Millionen Vertriebener, deren Not unvorstellbar ist, oder denen, die durch Bombenschaden in Großstädten und Gemeinden alles verloren haben und kein Zuhause mehr finden können. In diesem Zusammenhang erhoffen wir vom Bundesministerium insbesondere für den Wohnungsbau tatkräftige, baldige und wirksame Hilfe ebenso für die Heimstattbewegung, die es sich zur Aufgabe gesetzt hat, der heimatlos gewordenen Jugend neue Heime und neue Arbeitsplätze zu schaffen.
    Im weiteren Sinne meine ich aber auch damit die politische Heimatlosigkeit unserer Jugend, die enttäuscht, verbittert, indifferent oder alles verneinend abseits steht. Es ist eines der ernstesten Anliegen, besonders die Kriegsgeneration in die politische Verantwortung zu bringen, wenn sie nicht zu einem gefährlichen Explosivstoff der neuen Demokratie werden soll. Die Arbeitslosigkeit sollte vor allem Anlaß geben, nach neuen Wegen und Möglichkeiten zu suchen, um junge Menschen in Arbeit zu bringen. So könnte zum Beispiel das Pensionsalter eines Arbeiters herabgesetzt werden, um damit jüngeren Menschen einen Arbeitsplatz zu geben. Durch den Fortfall der Arbeitslosenunterstüzung könnte dann die relativ geringe Rente des Arbeiters höher gesetzt
    werden. Vor allem aber möchte ich den Gedanken der Jugendpflege im Referat der Jugendfürsorge und Jugendpflege im Ministerium des Innern vordergründig verwirklicht wissen. Denn vorbeugen ist hier besser, als heilen zu müssen.
    Besonders erfreulich ist in der Regierungserklärung zu lesen, daß die Sozialversicherung den Schwerkriegsbeschädigten, den Witwen wie allen Hilfsbedürftigen zugute kommen soll, um sie nicht zu bloßen Wohlfahrtsempfängern abzustempeln. Die Regierung wird auch in ihren Bemühungen, die Kriegsgefangenenfrage zu lösen, volle Unterstützung erhalten.
    Die Aufgabe des geforderten Referats wird auch darin bestehen müssen, die Isolierung der deutschen Jugend durch die unmittelbare Begegnung mit der Jugend anderer Völker überwinden zu helfen und Deutschland und Europa neu zu gestalten; denn die Jugend soll ihr Deutschtum nicht in der nationalen Isolierung begreifen, sondern in einem weltoffenen und weltempfangenden Deutschtum. Gerade der junge deutsche Mensch müßte doch aus dem gemeinsamen Erleben des furchtbaren Krieges, der ganz Europa und die Welt getroffen hat, sehr viel mit dazu beitragen, die Atmosphäre einer Verständigung und Versöhnung der Völker schaffen zu helfen. Der junge deutsche Mensch wird dann auch zu einer echten Liebe zu Deutschland kommen, wenn er seine vaterländische Aufgabe mit darin sieht — nicht, wie ich es im letzten Wahlkampf, besonders im Norden Deutschlands, erlebt habe, Preußenmärsche und nationalistische Wahlpropaganda als Ausdruck des Deutschtums zu empfinden —, seinem Volke zu dienen und zu helfen und im Sinne des Ausgleichs und der Verständigung durch staatsbildende und staatserhaltende und dem Aufbau dienende Elemente die Heimat Deutschland und Europa neu zu gestalten in Frieden und Wohlfahrt.
    Findet die Jugend diesen Weg in die politische Verantwortung, wird sie Mitträger der Demokratie, ringt sie mit um jene Erkenntnis und um diese politischen Ziele, die Deutschland gestalten und erneuern müssen, dann ist unser Bundesstaat auf gutem Grund gebaut. In diesem Sinne gilt mein Anliegen an die Regierung, insbesondere zur Jugend das wärmste Vertrauen zu haben und der Jugend in ihrer Bedeutung und ihrem Wollen zu helfen, sie zu fördern und zu stützen.

    (Beifall in der Mitte.)