Ich danke Ihnen vielmals, Herr Präsident.
Es war so, daß insbesondere die finanzielle
Grundlage für das, was beschlossen werden sollte
und auch beschlossen worden ist, in keiner Weise gesichert gewesen ist. Das fing an mit dem viel besprochenen und berühmten Sozialversicherungsanpassungsgesetz. Sehen Sie, meine Damen und Herren, mit dem Grundgedanken dieses Gesetzes, die Renten der Sozialversicherungsempfänger an das veränderte Lohn- und Preisgefüge zupassen, sind wir jederzeit einverstanden gewesen. Es ist ein notwendiges, absolut dringliches Unterfangen. Aber dieses Gesetz geht weit über diesen Komplex hinaus. Es ist eine noch nicht einmal kleine Sozialversicherungsreform. Die neuen Männer in dem Ministerium für Arbeit — ich habe von solchen neuen Männern gerüchtweise etwas gehört — werden von meinen Freunden gebeten, doch nun das Versäumte auf das schnellste nachzuholen. Dazu gehört natürlich vor allem, eine versicherungsmathematische Bilanz aufzustellen. Denn man kann verlangen, einen Überblick darüber zu bekommen, welche Mehraufwendungen durch die neuen Bestimmungen tatsächlich erwachsen. Es ist eine kaufmännische Binsenwahrheit, daß die Lastenträger — das mag sein, wer es will, die, Versicherten, die Arbeitgeber, der Bund, das Land oder die Gemeinden — sich vorher ausrechnen können, ob und wie sie diese Mehrlasten übernehmen können. Bisher - darüber wird wohl kein Streit bestehen — waren sie ausschließlich auf Schätzungen angewiesen. Wenn man so vorgeht, dann ist das schon grundsätzlich falsch. Aber es ist auch gegenüber den Versicherten nicht zu vertreten, bei denen — absolut berechtigterweise - Hoffnungen entstehen. Wenn sich diese Hoffnungen hinsichtlich des Sozialversicherungsanpassungsgesetzes nicht als voll erfüllbar herausstellen sollten, dann wäre das doch ein schreckliches Desaster.
Es gehört in dieses Kapitel, meine Damen und Herren, daß zu unserem lebhaften Bedauern eine zeitgemäße Regelung der KörperbeschädigtenRenten, das heißt zu deutsch weit überwiegend der Kriegsbeschädigten-Renten sich bisher nicht hat ermöglichen lassen. Die Länder haben erklärt, daß sie auf dem Gebiet der Sozialversicherung derartig in Anspruch genommen worden sind, daß zusätzliche Leistungen der Sozialpolitik nicht oder jedenfalls nicht in dem beabsichtigten Maße möglich sind. Ich brauche nicht zu betonen, wie das auf die Betroffenen und die ganze Öffentlichkeit wirkt. Sie
haben darüber in den Zeitungen gelesen. Ausgerechnet die Körperbeschädigten sind durch die falsche Systematik, die die Verwaltung für Arbeit angewandt hat, nicht nur hintangesetzt, sondern auch grob enttäuscht und verbittert worden. Ich glaube, ich brauche nicht ausführlicher zu werden, um meine Forderung zu begründen, daß in diesen Dingen in der Verwaltung für Arbeit oder im jetzigen Bundesministerium ein grundlegender Wandel geschaffen werden muß.
Es hat uns enttäuscht, meine Damen und Herren, daß wir es infolge der Ablehnung durch die Militärregierung nicht fertigbekommen haben, die Selbstverwaltung in der Sozialversicherung wieder herbeizuführen. Wer die wechselvollen und sehr verantwortungsbewußt geführten Verhandlungen miterlebt hat, die wegen dieses Punktes im Wirtschaftsrat und seinen Ausschüssen geführt worden sind, der wird mir das nachempfinden. Denn wir sind doch schon weit im Verzuge mit dieser ganz simplen, wenn auch verbesserten Wiederherstellung der Verhältnisse vor 1933. Hier handelt es sich um eine wirkliche Ausmerzung nazistischen Rechts. Ich glaube, es sollte eins unserer ersten Bestreben sein, jetzt, wo wir nicht auf die Genehmigung der Militärregierung angewiesen sind, einen Schlußpunkt unter dieses Gesetz zu machen.
Schwieriger liegen die Dinge bei zwei anderen Sozialgesetzen: dem Lohnregelungs- und dem Kündigungsschutzgesetz. Hier werden sehr schwierige Fragen des Arbeitsrechts angesprochen. Darauf ist es wohl zurückzuführen, daß sich die Militärregierung mit diesem Gesetz nicht positiv beschäftigt hat. Aber wie dringlich es ist, daß in dieser Frage eine Ordnung erfolgt, erkennen Sie schon, wenn Sie sich die ungeheure Rechtszersplitterung und Rechtsungleichheit ansehen, die gerade auf sozialrechtlichem Gebiet in der Zeit von 1945 an in den elf Ländern der Bundesrepublik Deutschland entstanden ist. Dazu ist noch gekommen, daß die Besatzungsbehörde durch Direktiven, oder wie sie es sonst genannt hat, alle möglichen zusätzlichen Dinge geregelt hat und daß auch manche Länderregierungen, wie das so nach 1945 zuweilen vorkam, reichlich willfährig den Anregungen der Militärregierung auf diesem Gebiete entsprochen haben. Ich bin der Auffassung, daß wir hier nur dann zu einem guten Ergebnis kommen, wenn wir - zunächst vorläufig — die Weimarer Gesetze wieder in Kraft setzen.
Das gilt nach meiner Auffassung — ich kann das heute nicht vertiefen — auch für das Betriebsrätegesetz. Das Gesetz von 1920 war in jeder Weise fortschrittlich und als solches international anerkannt. Noch nicht einmal auf diesem Stand sind wir heute. Wir haben vielmehr in den Ländern ganz verschiedene Regelungen. Selbstverständlich müßte dann dieses Gesetz an die Erfordernisse von heute angepaßt werden, die sich nicht in allem mit denen vor 1933 decken. Wir haben die Möglichkeit, auf Grund des Grundgesetzes diese Materie an uns zu ziehen. Ich glaube, auch sehr weit vorgeschrittenen oder fortgeschrittenen Föderalisten wird das als notwendig und richtig erscheinen. Wir hätten die Rechtsgleichheit herbeigeführt und einer weiteren Zersplitterung in dieser Beziehung vorgebeugt. Dann wäre schon sehr viel geschehen.
Ich habe schon davon gesprochen, daß es vordringlich ist, die Reste nazistischer Gesetzgebung zu beseitigen. In dieses Kapitel — und nur in dieses Kapitel — gehört unter anderem auch die Wiederherstellung des Rechts, Betriebskrankenkassen zu errichten. Das ist auch ein Teil der von mir schon gestreiften Selbstverwaltung. Die Bedürfnisse der Ortskrankenkassen werden durch die ausdrückliche Bestimmung in der Reichsversicherungsordnung, die wir wiederherstellen wollen, in jeder Weise berücksichtigt.
Meine Damen und Herren, ich muß mit diesem Katalog aufhören. Aber Sie ersehen daraus, ein wie breites Arbeitsfeld sich gerade auf diesem Gebiet für uns eröffnet. Wir sehen es als dringendste Aufgabe des Bundestages an, mit Ernst und großer Sachlichkeit und so leidenschaftslos wie möglich, aber natürlich unter Berücksichtigung der finanziellen Gegebenheiten manche Lücke zu schließen, die auf dem Gebiete des Arbeitsrechts und der Sozialversicherung heute noch klafft. Wir wünschen mit Ihnen allen, daß der hohe Rang, den Deutschland seit Jahrzehnten, auf dem Gebiete des Arbeitsrechts und der Sozialpolitik innegehabt hat, erhalten bleibt. Denn wir sind zutiefst davon überzeugt — und das sind keine Worte —, daß der soziale Friede eine der ersten und wichtigsten Voraussetzungen für alle unsere übrige Arbeit ist und daß fortschrittliche Regelung gerade auf diesem Gebiete geeignet ist, uns vor der Gefahr schwerer innerer Erschütterungen — so hoffe ich — zu schützen.
Ich bin mir darüber klar, daß es nicht leicht sein wird, jetzt etwas Positives und Fortschrittliches zu leisten. Denn es ist in dieser Debatte mehrfach gesagt worden und mit großem Recht —, daß die größte und vordringlichste soziale Aufgabe für uns der Lastenausgleich ist. Wie Sie übrigens daneben — Herr Abgeordneter Ollenhauer ist nicht mehr da — noch eine Neuordnung der übrigen Besitzverhältnisse vornehmen wollen, das müssen Sie mir erst einmal erklären.
Also an diesem Vorrang des Lastenausgleichs ist nichts zu ändern. Wir müssen uns aber alle Mühe geben, der Gefahr zu begegnen, daß die Fürsorge für unsere Arbeiterschaft und die Sicherung ihrer Rechte, wie der Rechte der Arbeitgeber, die selbstverständlich genau so gesichert werden müssen, in den Hintergrund treten. Denn, meine sehr verehrten Damen und Herren, so wie es sicherlich richtig ist, daß eine gute Sozialpolitik nur bei einer intakten Wirtschaft und bei einer guten Wirtschaftspolitik möglich ist, so ist — und das möchte ich hinzufügen — der Erfolg der Wirtschaft nicht zuletzt von einem sozial denkenden Staat und von einem sozial denkenden Unternehmertum bestimmt. Wenn immer wieder gesagt worden ist — und ich habe es selbst einleitend gesagt —, daß ein Mensch, der zu essen hat, zufriedener ist, wie wir nach der Währungsreform an unserem ganzen Volkskörper in sinnfälligster Weise festgestellt haben, so ist es auch richtig, daß ein Arbeiter — ich gebrauche den Sammelbegriff —, ein Arbeiter jeglicher Art und jeglichen Grades nur dann mit Erfolg für seinen Arbeitgeber, der letzten Endes immer noch das Risiko trägt, seine Arbeit ausführt, wenn er von dessen sozialer Gesinnung überzeugt ist und sie auf Grund fortschrittlicher Gesetze und vielleicht gelegentlich auch — sobald es möglich ist — durch freiwillige Leistungen täglich und stündlich spürt.
Meine Damen und Herren! Ich. möchte Ihnen vorschlagen, hinsichtlich der Sozialpolitik in diesem Sinne an die Arbeit zu gehen. Wir sind jedenfalls dazu bereit.