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ID0100706400

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    Deutscher Bundestag — 7. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. September 1949 47 7. Sitzung Erster Tag Bonn, Donnerstag, den 22. September 1949. Geschäftiche Mitteilungen 47B, 67C, D Fortsetzung der Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung . . . 47B Ewers (DP) 47C Dr. Seelos (BP) 53D Reimann (KPD) 58C Dr. Adenauer, Bundeskanzler . . . 67A Unterbrechung der Sitzung . 67C Loritz (WAV) 67D Frau Wessel (Z) 72B Dr. Richter (DRP) 80A Clausen (SSW) 85C Dr. Edert (Parteilos) 86B Fortsetzung der Sitzung 87C Die Sitzung wird um 10 Uhr 11 Minuten durch den Präsidenten Dr. Köhler eröffnet.
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    Rede von Dr. Günther Henle


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich — gewissermaßen im Wege der Arbeitsteilung mit den Herren Vorrednern — den politischen sowie wirtschafts- und sozialpolitischen Darlegungen, die Sie soeben gehört haben, einige Bemerkungen zu den Fragen hinzufügen, die das Verhältnis unserer jungen Bundesrepublik zu den Besatzungsmächten und der übrigen Welt draußen betreffen.
    Sobald wir von diesen Dingen reden, begeben wir uns auf ein Terrain, auf dem es mehr als bei allen anderen Fragengebieten darauf ankommt, das Einigende herauszustellen oder doch jedenfalls jede unfruchtbare Polemik zu vermeiden. So lassen Sie mich denn auch auf solche Auseinandersetzungen mit den in der bisherigen Debatte zum Ausdruck gekommenen unterschiedlichen Auffassungen im wesentlichen verzichten und meine Darlegungen vielmehr vor allem darauf beschränken, wie wir die hier zur Erörterung stehenden Dinge sehen.
    Es handelt sich dabei um Fragen, bei deren Erörterung wir uns durchaus dessen bewußt sind, daß die eigentliche Außenpolitik zu den Materien gehört, in denen unserer jungen Bundesrepublik die volle Bewegungsfreiheit vorerst noch versagt bleibt. Auch die Pflege eigener amtlicher Beziehungen zum Ausland ist uns noch nicht zugestanden worden. Dennoch stellt der Komplex der Fragen unseres Verhältnisses zur Welt draußen ein Thema dar, dessen Prüfung und Durchsprache wir uns gar nicht entziehen können. Denn dieses Verhältnis ist letztlich eben mit bestimmend für alles und jedes, für jede kleinste Frage der Innenpolitik, für die man uns nun die Selbstregierung zugestanden hat. Innenpolitik treiben, ohne den Blick nach außen zu richten, hieße ja wahrlich Politik im luftleeren Raum betreiben und unsere ganze Arbeit aus dem Rahmen herausnehmen, in den sie nun einmal durch die Umstände unabänderlich hineingestellt ist. Gerade das Besatzungsstatut, das uns die Selbständigkeit außenpolitischer Entscheidung noch vorenthält, ist ja selbst der beste Beweis dafür, wie eng unsere inneren Dinge mit dem Ausland und mit seinen Organen in. Deutschland heute verflochten und verwachsen sind, fast bis in jede Einzelfrage der Wirtschafts-, Finanz- oder sonstigen Politik hinein. Wirtschaftspolitik kann man heute in Deutschland schon gar nicht treiben, ohne fortgesetzt und ständig den Blick nach dem Auslande zu richten. Darüber hinaus wissen wir aber auch alle, und auch die Welt weiß es, daß es für die ganze Zukunft von schlechthin entscheidender Bedeutung ist, wie das deutsche Volk sich in den großen Fragen, die heute die Welt bewegen, entscheiden wird. Und darüber müssen wir uns, glaube ich, auch klar sein: Die Gleisstellung wird doch schon heute vorgenommen, und auch das Ausland nimmt — wir haben es ja gesehen — heute bereits zu unseren Wünschen und Bestrebungen wesentlich mit nach Maßgabe dessen Stellung, was es heute und jetzt aus Deutschland hört. Da die Dinge nun einmal so liegen, können wir uns gar nicht darauf beschränken, hier nur von innenpolitischen Problemen, vom Wohnungsbau, von der sozialen Frage und dergleichen mehr zu sprechen, sondern wir müssen auch zu den großen weltweiten Gegenwartsfragen Farbe bekennen, in die wir hineingestellt sind.
    Daß es dabei nicht damit getan ist, Ziele und Wünsche zu proklamieren, die wir für die Zukunft hegen, weiß jeder von uns. Durch die unheilvolle Politik Hitlers und ihre schließliche Katastrophe im Jahre 1945 ist Deutschland auf einen Tiefpunkt herabgesunken, ja in einen Abgrund geraten, aus dem uns nur mühsame Arbeit Schritt für Schritt wieder herausführen kann. Aus eigenen Kräften wäre es uns vielleicht nie gelungen, den Weg nach oben wieder zu finden, und so müssen wir dankbar sein, bereits da zu stehen, wo wir heute sind, und bei der Umschau nach weiteren Möglichkeiten zur Fortsetzung unseres Weges große Vorsicht walten lassen.
    Gewiß, das Besatzungsstatut zieht unserem eigenen Wirken noch viele Grenzen. Und doch stellt es einen erheblichen Fortschritt dar, um so mehr, als es die bekannte Revisionsklausel enthält, die uns ein weiteres Fortschreiten auf dem Weg erhoffen läßt, der uns wieder als voll gleichberechtigtes Volk in die Familie der freien Völker dieser Erde zurückführen soll. Wie segensreich wäre es doch für die ganze Welt gewesen, hätte sich eine Revisionsklausel seinerzeit auch im Versailler Vertrag von 1919 befunden!

    (Sehr richtig! bei der CDU.)

    Diesmal können wir die Hoffnung und den Willen haben, unseren Weg nicht gegen eine Welt zu suchen, sondern m i t einer Welt, die uns hilfreich die Hand bietet. Solch hilfreiche Handbietung erhoffen wir vor allem von der Zusammenarbeit zwischen der Bundesregierung und den Hohen Kommissaren der Besatzungsmächte. Daß sie sich ersprießlich und vertrauensvoll gestalten möge, ist unser aller lebhaftester Wunsch.
    Ein Gutes haben diese Fragen unseres Verhältnisses zur Welt draußen jedenfalls vor allen son-


    (Dr. Henle)

    stigen Fragen voraus, die uns hier in diesem Hause beschäftigen werden, nämlich daß wir uns über sie in den wesentlichen Punkten ja nahezu alle einig sind. Einig sind wir uns, daß die Wiedergewinnung der deutschen Einheit für uns alle oberstes Ziel deutscher Politik bleibt, einig, daß die Oder-NeißeLinie als Ostgrenze für uns indiskutabel und unannehmbar ist.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Einig ist sich die erdrückende Mehrheit dieses Hauses, daß wir — wie das Ergebnis der Bundestagswahl aller Welt klar gezeigt hat — unsere Zukunft vor allem an der Seite der Welt des Westens suchen wollen, daß heißt einer Welt, die die Freiheit des einzelnen und die Gerechtigkeit für alle Völker, große und kleine, auf ihre Fahnen geschrieben hat. Was uns eint, ist auch der Glaube daran, daß die Welt des Westens uns letztlich verstehen wird' und daß damit dann die Mißverständnisse verschwinden werden, die heute noch vielfach bestehen, weil man vielerorts bei uns nur einen übersteigerten Nationalismus sehen will, während wir doch wirklich alles und jedes nur vom friedlichen Zusammenwirken der Völker erhoffen und jedem Gedanken an Gewaltlösungen durch unsagbar schwere Erfahrung belehrt, wahrlich entsagt haben.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Diese unsere positive Haltung zur Welt des Westens, der wir uns zugehörig fühlen, bedeutet natürlich nicht, daß wir nicht auch mit dem Osten irk Frieden und Freundschaft leben wollen. Nichts kann uns, glaube ich, erwünschter sein, als daß es auch in dieser Richtung der Welt gelingen möge, zu Lösungen zu kommen, die die noch bestehenden Gegensätze und Spannungen überbrücken und in den Hintergrund treten lassen. Daß das immerhin möglich ist, hat ja schließlich die Vergangenheit gezeigt, und wir wehren uns gegen jeden grundsätzlichen Pessimismus in dieser Hinsicht. Die Fragen, die dabei für uns auf dem Spiele stehen, nämlich die Wiederherstellung der deutschen Einheit und, schon heute, das Schicksal und Ergehen unserer Brüder und Schwestern in der russischen Zone, sind viel zu wichtig und bedeutsam, als daß eine pessimistische Resignation - denn auf etwas anderes würde es ja nicht hinauslaufen - für uns denkbar wäre. Es ist selbstverständlich, daß wir den Berlinern nach Kräften helfen werden; doch dahinter steht das noch größere Problem des gesamten Ostdeutschlands. Wir geben uns vor allem davon Rechenschaft, daß dieses Problem besonders schwer belastet ist mit der unglückseligen Forderung nach der Oder-Neiße-Linie. Darüber, wie in dieser Hinsicht die rechtliche und internationale Lage und der deutsche Standpunkt dazu beschaffen sind, hat der Herr Bundeskanzler hier so eindeutige Ausführungen gemacht, daß ich dem nichts hinzuzufügen brauche.
    Ich komme nun zu den weiteren Fragen, vor die sich die Bundesregierung schon heute gestellt sieht und in denen sie gewiß sein muß, daß die Mehrheit dieses Hauses hinter ihr steht Das ist einmal das Problem der deutschen Haltung zum Gedanken der Europäischen Union und im besonderen zur Frage des deutschen Beitritts zum Europa-Rat. In dieser Frage hat man uns jetzt in Straßburg das Wort ja geradezu zugeschoben. Man hat gesagt, es sei unsere Sache, gegebenenfalls unseren Beitrittswunsch zur Kenntnis des Ministerkomitees der zwölf Regierungen zu bringen. Es wird Aufgabe der Bundesregierung sein, zu entscheiden, ob die Voraussetzungen zur formellen Anhängigmachung eines solchen Wunsches vorliegen und ob und wann er zweckmäßig vorgebracht wird. Hier dieses Haus aber ist das Forum, in dem gerade auch von uns Abgeordneten unterstrichen werden sollte, daß es auf unserer Seite nicht im geringsten an dem Wunsche nach ehrlicher und enger Zusammenarbeit mit den zwölf im Europa-Rat vereinigten Ländern fehlt, daß wir im Gegenteil zu solch enger und vertrauensvoller Zusammenarbeit bereit sind und uns ihr bestimmt da nicht entziehen werden, wo man uns die Möglichkeit dazu bietet.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Der Europa-Rat ist noch ein recht bescheidener Anfang. Das hat die Straßburger Tagung deutlich gezeigt. Unser Grundgesetz ist jedenfalls dafür Zeuge — das möchte ich auch meinerseits nochmals betonen —, daß wir bereit sind, den Weg, der sich in Straßburg als eine Zukunftsmöglichkeit abgezeichnet hat, auch wirklich zu gehen, das heißt eigenstaatliche Rechte dem Gesamtinteresse Europas zu opfern.

    (Sehr gut! in der Mitte.)

    Von einer engen Zusammenarbeit in einer Europäischen Union erhoffen wir vor allem die endliche Ersetzung des alten Interessengegensatzes zwischen uns und unseren westlichen Nachbarn durch die Herstellung einer weitgehenden Interessengemeinschaft. Hierzu gab es ja schon immer soviele natürliche Voraussetzungen wirtschaftlicher und sonstiger Art. Sie müssten aber in unserer Generation endlich fruchtbar gemacht werden, wollen wir uns nicht mitschuldig machen am Versäumen einer bedeutsamen geschichtlichen Stunde. Freilich wird diese Interessengemeinschaft nur dann sich auswirken können, wenn beide Seiten dazu Opfer zu bringen bereit sind, vor allem das Opfer der endlichen Überwindung des Mißtrauens in die Absichten des anderen, dieser alten Erbsünde aller Politik, die so viel Schuld daran trägt, daß frühere Anläufe zur Behebung des deutschfranzösischen Gegensatzes zum Scheitern verurteilt blieben. Der erfolgversprechendste dieser Anläufe war wohl in den 20er Jahren die Politik Gustav Stresemanns und Aristide Briands. Sie scheiterte, wie ja so oft großes Wollen wiederholten Anlaufs bedarf und nicht immer gleich beim ersten Wurf gelingt. Das soll uns deshalb nur zu neuem Versuche anspornen. Blinde Vertrauensseligkeit können wir natürlich von niemandem erwarten, und wir denken auch selbst nicht daran, uns ihr zu verschreiben. Übertriebenes Mißtrauen ist aber der Totengräber jeden Fortschritts, auch wenn man sich dabei noch so sehr auf die halbe Weltgeschichte glaubt berufen zu können.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Lebhaft teilen wir den Wunsch des Herrn Bundeskanzlers, daß sich nicht etwa die Saarfrage als ein neuer Zankapfel zwischen Deutschland und Frankreich schieben möge. Die Bundesregierung wird, so hoffe ich, Mittel und Wege finden, darauf hinzuwirken, daß das vermieden wird. Was gefährlich ist, sind nur überstürzte Festlegungen und Entscheidungen. Gelingt es, die große Interessengemeinschaft zu verwirklichen, von der ich sprach und die wir erhoffen, so beheben sich viele Dinge von selbst. Bis dahin sollte manches ein Provisorium bleiben.
    Nicht anders steht es auch mit der Ruhrkontrolle. Wir lehnen die Ruhrbehörde nicht von vornherein ab, und wir sind bereit, in ihr mitzuarbeiten, freilich in der Erwartung und Voraussetzung, daß sie sich dann auch wirklich als ein Auftakt zu größerer


    (Dr. Heide)

    Zusammenarbeit in einem breiteren Rahmen erweist, wie das von seiten der fremden Mächte ja auch bei ihrer Begründung ausdrücklich als anzustrebendes Ziel bezeichnet worden ist.

    (Sehr gut! bei der CDU.)

    Was im besonderen unser Verhältnis zum britischen Volk anlangt, so wünschen wir, glaube ich, alle, daß es sich denkbar freundschaftlich gestalten möge. Wir bedauern es sehr, daß in letzter Zeit besonders die leidige Demontagefrage, die ja geradezu zu einem neuralgischen Punkt unserer Beziehungen zu den Besatzungsmächten geworden ist, darauf so etwas wie einen Schatten geworfen hat. Wenn man uns dieser Frage wegen in England vielfach eines Nationalismus schlimmster Sorte bezichtigte, so hat man dabei, glaube ich, doch übersehen, daß es sich bei aller Behandlung dieses Themas aus deutschem Munde letztlich um nichts anderes handelt als eine Flucht in die Öffentlichkeit, und zwar in die Weltöffentlichkeit, einfach deshalb, weil man -auf der Gegenseite jede weitere Erörterung dieses Themas kategorisch verweigerte.

    (Sehr gut! bei der CDU.)

    Eine der wichtigsten Seiten der Demontagefrage ist und wird immer die psychologisch-politische sein. Wiederaufbau und Abbruch zugleich sind nun einmal Gegensätze, die sich nicht zusammenreimen,

    (erneute lebhafte Zustimmung bei der CDU)

    und wer den Abbruch vor Augen hat, wird zwangsläufig in seinem Glauben an die Aufrichtigkeit des Strebens nach Wiederaufbau irre.

    (Sehr richtig! bei der CDU.)

    Und wie groß auch immer die Zahl der zusätzlichen Arbeitslosigkeit sein mag, die die Demontage nach sich ziehen würde, ein Land, das schon an 11/4 Millionen Arbeitslose zählt, muß in diesem Punkte überaus empfindlich sein.

    (Erneute lebhafte Zustimmung bei der CDU.)

    Wir sind nun einmal ein Volk, das mitten in dem Ringen um seine Lebensgrundlage steht. Und diese Lebensgrundlage heißt und kann nicht anders heißen als Produktion und Wirtschaft. Daher und nur daher die heftige Reaktion in Deutschland gegen die Beseitigung von Produktionsstätten, die für die Friedenswirtschaft von Nutzen sein können. Wenn deshalb der Herr Bundeskanzler sagte, wir würden uns freuen, wenn es zu einer Nachprüfung dieses Problems käme, so gibt es sicher keinen Deutschen, der diese Freude nicht aus vollem Herzen teilen würde. Das gilt besonders natürlich auch von der Bevölkerung an Ruhr und Rhein, als deren Wortführer ich hier mit sprechen darf.
    Und nun ein kurzes Wort zu der Frage der Sicherheit, die bei der Ruhrkontrolle und den Demontagen ja so stark mit im Spiele steht. Ich sagte im Frankfurter Wirtschaftsrat schon einmal, die entscheidende Sicherheitsgarantie für die gesamte westliche Welt liege nicht in Demontagen und ähnlichen Maßnahmen, sondern im Gewinn der Seele des deutschen Volkes für die Ideale des Westens.

    (Sehr richtig! bei der CDU.)

    In den Bundestagswahlen hat sich das deutsche Volk nun in erdrückender Mehrheit zu diesen Idealen bekannt, und unsere ganze Aufgabe hier richtet sich darauf, den Glauben daran in ihm zu festigen. t
    Aber es gibt noch eine andere Seite der Sicherheitsfrage. Ich glaube wirklich, die Welt redet etwas zu viel von der Sicherheit vor uns, das heißt vor einem restlos entwaffneten und abgerüsteten Lande, und zu wenig von der Sicherheit für uns,

    (Sehr gut! bei der CDU)

    die wir doch die höchstgerüstete Macht des Erdballs im eigenen Lande stehen haben. Bei all den Erörterungen von Sicherheitsfragen spricht ira Auslande meist die unheilvolle Verstricktheit in Auffassungen der Vergangenheit mit, von der sich Nationen, die nicht einen solch furchtbaren Zusammenbruch wie wir erlebt haben, ja wohl auch schwerer lösen können. Und doch scheint es mir dringend wünschenswert, daß man sich überall Rechenschaft geben möge von dem völligen Wandel der politischen Bühne, der sich in Europa vollzogen hat und der ein Weiterfahren in den alten Gleisen nationaler Rivalität als ebenso anachronistisch erscheinen lassen müßte, wie es einst der Fortgang der Kämpfe zwischen den hellenischen Staaten oder auch der zwischen den italienischen Stadtstaaten des Mittelalters war, als ihr Schicksal schon längst von Mächten weit größeren Ausmaßes überschattet wurde.
    Gewiß, die Vergangenheit hält uns noch mit tausend Fäden fest. Noch leben wir heute, über vier Jahre nach Einstellung der Feindseligkeiten, im Kriegszustand mit den Kriegsgegnern HitlerDeutschlands, ein eigentlich widersinniger Zustand gerade in Anbetracht all dessen, was inzwischen von seiten der Westmächte zur Wiederaufrichtung der deutschen Wirtschaft und des deutschen Staatswesens geschehen ist. Mit seinem Dank für die uns vielfach gewährte ausländische Hilfe hat der Herr Bundeskanzler, so glaube ich, uns allen aus dem Herzen gesprochen. Es ist in der Tat etwas Großes, was besonders von den Vereinigten Staaten hier geleistet worden ist, deren Regierung mit dem großzügigen Hilfsprogramm des Marshallplanes die ganze westeuropäische Wirtschaft überhaupt erst wieder flott gemacht und damit der Lethargie entrissen hat, unsere eigene Wirtschaft mit einbegriffen. Doch noch leidet diese unsere Wirtschaft an dem heutigen Zwischenzustand zwischen Krieg und Frieden, in dem wir leben. Ich meine, es müßte sich doch wohl die juristische Formel finden lassen, aus diesem noch unbefriedigenden Bild wenigstens das Wort „Kriegszustand" auszumerzen mit allen seinen bedenklichen Folgen für die Rechtslage und auch für unsere wirtschaftliche Betätigung in der Welt draußen, auf die wir angewiesen sind.

    (Sehr gut! bei der CDU.)

    Wir hoffen, daß vor allem unser Außenhandel sich bald wieder wirklich frei in der Welt wird bewegen können; denn das ist ein unbedingtes Erfordernis, sollen wir nicht auf allen Märkten von vornherein benachteiligt sein. Dazu gehört wesentlich auch die Wiederöffnung unserer Grenzen. Wir müssen heraus aus dieser Art Isolierung, in der sich Deutschland im großen gesehen ja immer noch befindet, heraus in die Weite der Welt, und zwar nicht nur aus wirtschaftlichen Gründen, sondern auch um sozusagen geistig den Anschluß an unsere Mitwelt nicht zu versäumen und mit Scheuklappen herumzulaufen, wo es doch so not tut, daß wir den Weg der Friedensarbeit auch geistig zusammen mit den anderen Ländern gehen. Das gilt besonders auch von unserer Jugend, deren Blick sich wieder weiten muß, weshalb zum Beispiel jeder Studenten- und Schüleraustausch die wärmste Förderung durch die Bundesregierung erfahren sollte.
    Vielleicht ist es nicht zu optimistisch, dem Gedanken Ausdruck zu geben, daß man die Möglichkeit der Erteilung von Aus- und Einreisegenehmi-


    (Dr. Henle)

    gungen doch bald in die Hand deutscher Behörden legen möge,

    (Sehr gut! bei der CDU)

    wobei ja das Ausland durch die Erteilung Seiner Sichtvermerke immer noch eingeschaltet bleibt. Der britische Außenminister hat, wenn ich nicht irre. vor längerer Zeit einmal geäußert, er betrachte es als ein Ziel einer gesunden Außenpolitik, wenn man wieder überallhin eine Fahrkarte lösen und dann ohne weitere Förmlichkeiten ungehindert dorthin reisen könne. Nun, diese Empfindung teilen wir, glaube ich, alle ganz und ear, denn wir sehnen uns wahrlich nach einer Niederlegung, der die Völker heute noch trennenden Schranken und damit nach einem wirklichen Frieden. Möge man sich im Ausland — und mit diesem Wunsche möchte ich schließen — von einem überzeugen lassen: der Friedensgeist, der jeden wahren Frieden tragen muß, ist bei uns vorhanden. Er verkörpert sich auch hier in diesem Hause und bei uns im Lande draußen, auch ohne daß wir geräuschvolle Friedenstage veranstalten. Möge dieser Baugrund von allen denen, die in diesen -unheilvollsten aller Kriege verstrickt worden sind, nicht ungenutzt gelassen bleiben, damit nicht Unkraut aus ihm emporschießt, sondern vielmehr rasch genutzt werden zum Aufbau eines neuen, der Gesundung und Einigkeit zustrebenden Europa.

    (Händeklatschen in der Mitte und rechts.)



Rede von Dr. Erich Köhler
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Das Wort hat Herr Abgeordneter Ollenhauer.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Erich Ollenhauer


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Meine Damen und Herren! Ich möchte zunächst auf Vorgänge zurückkommen, die sich bei der gestrigen und vorgestrigen Debatte in diesem Hause ereignet haben. Wir haben gestern erlebt, daß bei dieser ersten großen politischen Aussprache des deutschen Bundestags ein Redner dieses Hauses die Farben der Bundesrepublik in herabsetzender Weise zitiert hat. Wir Sozialdemokraten sind der Auffassung, daß wir in der neuen deutschen Demokratie von Anfang an mit Entschiedenheit den Versuchen wehren müssen, die Symbole der Demokratie anzugreifen und herabzuwürdigen.

    (Händeklatschen bei der SPD.)

    Die Sozialdemokratische Partei wird die notwendigen Anträge einbringen, um in Deutschland den Schutz der Symbole des Bundes und seiner verfassungsmäßigen Einrichtungen vor Herabsetzung und Verleumdung wirksam zu sichern. Wir wünschen aber auch, daß in Zukunft mit Nachdruck und ohne Zögern in diesem Hause jeder Herabsetzung der Symbole des Bundes sofort entgegengetreten wird.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Ich verstehe die Schwierigkeit, in der wir uns hier befinden: dieses Parlament und seine Parteien müssen sich erst zu einem parlamentarischen Körper entwickeln. Die Schwierigkeit besteht auch darin, daß mindestens bei einem Teil der Mitglieder dieses Hauses die demokratische Erfahrung sehr kurz ist

    (Sehr richtig! bei der SPD)

    und daß noch gewisse Mißverständnisse darüber bestehen, was demokratische Freiheit heißt.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Wir werden die Freiheit jeder sachlichen Diskussion respektieren und verteidigen. Aber ich glaube,
    wir sollten im Interesse des Hauses, im Interesse
    der parlamentarischen Demokratie und im Interesse der jungen deutschen Bundesrepublik durch unser Verhalten keinen Zweifel darüber aufkommen lassen, daß Freiheit und Demokratie nicht gleichzusetzen sind mit Zügellosigkeit.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Eine weitere Bemerkung. Wir haben gestern in diesem Hause so eine Art „spontaner Aktion" erlebt. Wir Sozialdemokraten wünschen unter keinen Umständen die Wiederholung solcher Aktionen. Das Abhalten von derartigen Demonstrationen wollen wir gern den Volksdemokratien und ihren Anhängern überlassen,

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Ich will damit nicht behaupten, daß an den gestrigen Vorgängen hier irgendeiner Weise die Kommunisten schuldig sind. Ich glaube es auch nicht. Aber sie sollten bei dieser Gelegenheit erkennen, wie schnell böse Beispiele gute Sitten verderben.
    Ich möchte dann zu einigen Punkten sprechen, die in der bisherigen Diskussion über die Regierungserklärung aufgetaucht sind. Wir haben hier, wie ich glaube, eine sehr nützliche grundsätzliche Debatte über das Verhältnis zwischen Opposition und Regierung in einer Demokratie gehabt. Wir begrüßen es, daß in dieser Debatte auch von den Regierungsparteien die Anerkennung der Gleichwertigkeit von Opposition und Regierung in der Demokratie ausgesprochen worden ist. Wenn wir an diesem Grundsatz festhalten, dann haben wir, glaube ich, einen guten Boden für die sachliche Auseinandersetzung gefunden.
    Aber es ist dabei notwendig, so scheint mir, daß wir uns aUch über die Konsequenzen klar sind, die in einer solchen Anerkennung liegen. Ich möchte hier auf eine Bemerkung des Herrn Abgeordneten von Brentano zurückkommen, der nach der Anerkennung des eben genannten Prinzips zum Ausdruck gebracht hat, daß mit dieser Anerkennung die Beseitigung der Schranken des parteipolitischen Mißtrauens verbunden sein sollte. Er hat in diesem Zusammenhang außerdem den Mangel an Vertrauen bei der Opposition gegenüber der Regierung bedauert. Beide Punkte treffen das Problem nicht. Die parteipolitischen Gegensätze in der Demokratie sind ja nicht Ausfluß eines bösen Willens, sondern sie sind der Ausdruck realer Gegensätze und Spannungen, die wir als Tatsachen zu respektieren haben. Ich möchte die Träger demokratischer Gedanken in diesem Hause darauf aufmerksam machen, daß wir mit diskriminierenden Bemerkungen über die Parteien in der jungen deutschen Demokratie sehr vorsichtig sein sollten. Wir wissen, daß die politischen Parteien ihre Mängel und Schwächen haben. Aber unter den gegebenen Bedingungen gibt es keine bessere Form des Ausdrucks des politischen Wollens und der Formung des politischen Willens, als es die politischen Parteien sind.

    (Zustimmung bei der SPD und in der Mitte.)

    Angesichts der Tatsache, daß es heute in Deutschland Millionen von jungen Menschen gibt, denen jede eigene Erfahrung über das innere Leben und über die innere Gesetzmäßigkeit demokratischer Parteien fehlt, die durch den Auswuchs des EinParteiensystems verbildet und verbogen sind, sollten wir ohne Übertreibung und Schönfärberei auf die elementare Bedeutung demokratischer Parteien in einer Demokratie hinweisen und dieses Bewußtsein stärken.

    (Zustimmung in der Mitte.)



    (Ollenhauer)

    Vor allen Dingen deshalb, meine Damen und Herren, weil wir in dem Augenblick, in dem wir die Existenznotwendigkeit und Nützlichkeit der Parteien in der Demokratie in Frage stellen, nicht nur die Parteien treffen, sondern auch die Demokratie.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Jeder Angriff gegen die Parteien ist im Grunde ein Angriff gegen die Demokratie. Er mag noch so sehr verbrämt sein, und er mag noch so sehr aus irgendwelchen guten Motiven kommen, der Effekt ist eine Schwächung der Demokratie.
    Ich habe diese Bemerkung nicht als eine polemische Bemerkung gegenüber dem Herrn Abgeordneten von Brentano gemacht, aber ich wollte seinen Hinweis zum Anlaß nehmen, um unsere grundsätzliche Auffassung über die Bedeutung der politischen Parteien in der Demokratie klarzustellen.
    Das zweite, meine Damen und Herren: Das ausgewogene Verhältnis zwischen Opposition und Regierung besteht in der Demokratie nach unserer Meinung nicht in erster Linie darin, daß wir auf einem guten Sprechfuß mit der Regierung stehen. Es kann auch nicht darin bestehen, daß man von der Opposition erwartet, daß sie aus irgendeinem persönlichen oder sachlichen Grunde der Regierung gegenüber ein positives Vertrauensverhältnis hat. Gerade die Tatsache, daß uns sachliche Gegensätze in die Opposition gegenüber der Regierung zwingen, verhindert ja, daß wir ein solches Vertrauensverhältnis haben können.
    Was wir zu geben bereit sind, ist die Achtung und der Respekt gegenüber der Regierung als einer verfassungsmäßigen Institution der Republik, allerdings unter der Voraussetzung, daß die Regierung die gleiche Achtung und den gleichen Respekt der Opposition und ihrer Führung entgegenbringt.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Ich komme zu diesen Feststellungen, weil ich glaube, daß wir uns, wenn wir jetzt in diesem Hause zur sachlichen Arbeit kommen, die Zeit sparen sollten, um uns gegenseitig gut zuzureden. Darauf kommt es gar nicht an. Es kommt darauf an, daß wir die sachlichen Positionen der einen und der anderen Seite beziehen und dann feststellen, wo es eine Gemeinsamkeit gibt und wo das nicht der Fall ist. Denn unsere Opposition ist nicht die Negation der Regierung. Unsere Opposition ist begründet auf unserer eigenen Vorstellung über die zweckmäßigste Form des Aufbaus und der Verwaltung der Bundesrepublik und über den politischen und sozialen Inhalt des neuen Staatswesens. Von dieser eigenen, von uns selbst bestimmten Position allein können wir die Entscheidung über unser Verhältnis zur Regierung fällen. Es gibt in der Tat nur ein einziges Mittel für die Regierung und die Regierungsparteien, uns zu überzeugen: das sind die praktischen Handlungen der Regierung. Sie werden der Maßstab unserer Kritik oder unserer Zustimmung sein.
    Und nun, meine Damen und Herren, möchte ich in diesem Zusammenhang noch eine weitere Bemerkung über die besondere Stellung machen, in der sich die sozialdemokratische Opposition befindet; die besondere Stellung, die sich einfach aus der Tatsache ergibt, daß wir in dem Bundestag der Bundesrepublik Deutschland zwar den größeren Teil Deutschlands, aber nicht ganz Deutschland repräsentieren. Herr Abgeordneter von Brentano hat vorgestern eine bemerkenswert einseitige Darstellung der parteipolitischen Entwicklung in der
    Ostzone gegeben, insbesondere als er behauptete,
    daß die Sozialdemokratie, mindestens in ihrer
    führenden Schicht, vor der SED kapituliert habe.

    (Abg. Dr. von Brentano: Ja!)

    Ich glaube, daß diese Behauptung mit dem tatsächlichen Ablauf der Dinge nicht übereinstimmt. Die Vernichtung der Sozialdemokratie als selbständige Organisation in der Ostzone war ausschließlich das Resultat einer Zwangsvereinigung der SPD mit der KPD unter Ausschluß jeder freien Willensäußerung der Sozialdemokraten in der Ostzone.

    (Abg. Hilbert: Stimmt nicht ganz, Herr Kollege!)

    Für den Ausschluß jeder freien Willensäußerung der Sozialdemokraten in der Ostzone gibt es ja auch einen unbestreitbaren Beweis. Wir haben in der damaligen Periode an einem Platz, der auch unter russischer Kontrolle stand, nämlich in Berlin, die Möglichkeit einer freien Entscheidung von Sozialdemokraten über die Vereinigung mit den Kommunisten gehabt. Das Resultat der freien Entscheidung der Berliner Sozialdemokraten war der fast einstimmig gefaßte Beschluß, die Sozialdemokratie in Berlin als unabhängige Sozialdemokratische Partei aufrechtzuerhalten.

    (Lebhafte Zustimmung bei der SPD.)

    Sie dürfen davon überzeugt sein, daß, wenn in der Ostzone die gleichen demokratischen Voraussetzungen bestanden hätten, dasselbe Resultat zustande gekommen wäre.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Auf der andern Seite: gegenüber dieser Zwangsvereinigung der SPD besteht doch die Tatsache, daß die beiden anderen Parteien neben der Kommunistischen Partei, die CDU und die LDP, in ihrer Existenz und in ihrer Arbeitsmöglichkeit bestehen geblieben sind,

    (Sehr wahr! bei der SPD),

    daß beide Parteien bis zum heutigen Tage die Förderung durch die Besatzungsmacht akzeptieren und daß sie bis heute gemeinsam mit der SPD Träger der von der Besatzungsmacht diktierten Blockpolitik sind.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Gewiß, es hat auch in diesen beiden Parteien Trennungen von der offiziellen Politik dieser Parteien gegeben. Aber das Bemerkenswerte ist, daß in der Regel und in den am meisten sichtbaren Fällen der Bruch nur da erfolgte, wo dieser Bruch von den Besatzungsmächten oder von der SED herbeigeführt wurde.

    (Sehr wahr! bei der SPD. — Zuruf von der KPD: Ist gar nicht wahr!)

    Schließlich: ein führendes Mitglied der CDU verdankt allein dieser Tatsache seine Mitgliedschaft in der gegenwärtigen Bundesregierung.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Es kann keinen Zweifel darüber geben, daß die entscheidende Widerstandskraft gegen diese Vergewaltigung der Demokratie in der Ostzone die Sozialdemokraten bilden.

    (Zuruf von der CDU: Das stimmt nicht! — Abg. Dr. von Brentano: Das kauft Ihnen niemand ab, Herr Kollege Ollenhauer!)

    Meine Damen und Herren, ich möchte nur die Frage an Sie richten, wie die politische Zusammensetzung dieses Hauses aussehen würde, wenn am 14. August in allen vier Zonen Deutschlands gewählt worden wäre.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD und in der Mitte.)



    (Ollenhauer)

    Das ist der Punkt, auf den ich in aller Sachlichkeit die Bundesregierung aufmerksam machen möchte.

    (Zuruf rechts: Sie haben in letzter Zeit falsch gerechnet!)

    — Ich hoffe, daß wir recht bald die Gelegenheit bekommen, den Beweis für die Richtigkeit unserer Annahme vor Ihnen anzutreten.

    (Lebhafte Zustimmung bei der SPD. — Zurufe von der CDU: Das hoffen wir auch!)

    Worauf es mir in diesem Zusammenhang ankommt, Ist etwas Spezielles. Wir sind uns völlig
    darüber klar, daß die Bundesregierung im Laufe
    ihrer Tätigkeit in die Lage kommen wird, für das
    ganze deutsche Volk zu sprechen, auch für die 18
    Millionen Deutsche, die heute stumm in der Ostzone leben. Ich glaube, daß damit die Verantwortung dieser Regierung außerordentlich wächst, und
    wir erwarten, daß die Regierung und die Regierungsparteien in allen ihren Handlungen, die sich
    auf ganz Deutschland beziehen, auch den politischen Willen der Menschen in der Ostzone in
    Rechnung stellen, die heute an der freien Bekundung ihrer politischen Üeberzeugung gehindert
    werden.

    (Zustimmung bei der SPD. — Abg. Dr. v. Brentano: Selbstverständlich!)

    Jedenfalls sollte in diesem Provisorium Bundesrepublik Deutschland auch auf politischem Gebiet nichts an Entscheidungen und Maßnahmen geschehen, was von unserer Seite die Wiederherstellung der deutschen Einheit erschwert.
    Ich komme zu einem andern Punkt. Wir wünschen, daß die Regierung dem Bundestag möglichst bald konkrete Vorschläge macht oder uns konkret informiert über ihre Vorstellungen über den Aufbau der Bundesorgane und der Bundesorganisation. Es gibt dabei eine Menge Probleme, die von grundsätzlicher Bedeutung sind, weil wir am Anfang eines Neuaufbaus stehen. Wir würden es als eine Verletzung des Grundsatzes der verantwortlichen Mitbeteiligung der Opposition ansehen, wenn an der Beratung und Entscheidung über den Neuaufbau der Bundesorgane, über die Gestaltung der Bundesorganisation die Opposition nicht schon im frühesten Stadium beteiligt würde.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Ich will Ihnen unsere Bedenken ganz offen sagen. Die Tatsache, daß in dieser Bundesregierung Minister und in der Koalition Parteien vertreten sind, die dem Grundgesetz von Bonn nicht zugestimmt haben, verpflichtet die positiven Vertreter dieses Grundgesetzes, zu denen die Sozialdemokratie gehört, zu besonderer Aufmerksamkeit.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Der Herr Abgeordnete Laforet hat heute in seiner kurzen Erklärung ein Wort geprägt, das mir sehr nahegegangen ist. Er hat nämlich die Bundesregierung aufgefordert, das Grundgesetz auszubauen.

    (Abg. Renner: Sehr gut!)

    Ich glaube, das ist auf keinen Fall die Aufgabe der Bundesregierung.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Die Bundesregierung hat die Pflicht, das Grundgesetz anzuwenden, aber nicht, es zu verändern.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Wir möchten am Beginn der Tätigkeit der Regierung gerade auf diesem Gebiet unsere Auffassung in aller Klarheit und Eindeutigkeit bereits zum Ausdruck gebracht haben.
    Die Bemerkung von Dr. Schumacher in seiner Rede am Mittwoch, daß die Anerkennung der Rolle der Opposition auch in der Personalpolitik des Bundes zum Ausdruck kommen muß, hat bei den Regierungsparteien ein bemerkenswertes Echo gefunden. Man hat in den Zwischenrufen von Parteienwirtschaft gesprochen. Nun, für uns war dieses Echo nur ein Beweis dafür, wie notwendig diese Bemerkung war.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Ich möchte sie noch einmal ausdrücklich unterstreichen. Es handelt sich ja nicht um den Anspruch einer Partei; es handelt sich hier um die Sicherung eines wichtigen demokratischen Prinzips. Wir stehen am Beginn des Aufbaus der Bundesverwaltung, und wir wünschen, daß die Regierung den Artikel 3 Absatz 3 des Grundgesetzes bei ihrer Personalpolitik in vollem Umfang respektiert.

    (Zuruf rechts: Gilt das auch für die Länder?)

    Es heißt dort:
    Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden.
    Wir wünschen, daß dieser Grundsatz strikte innegehalten wird.

    (Abg. Dr. Würmeling: Sagen Sie das einmal Ihren Länderministern! — Unruhe rechts.)

    — Ich glaube, die Frage der Länderpolitik behandeln wir auch nach Ihren Vorstellungen vor allem in den Landtagen.

    (Anhaltende Unruhe rechts.)

    Sie würden es ja wahrscheinlich als eine Verletzung des Grundgesetzes ansehen, wenn wir hier Länderfragen diskutieren würden.

    (Zuruf von der FDP: Das sind keine Länderfragen, das ist Ihre demokratische Haltung! Es handelt sich darum, daß Sie mit verschiedenem Maß messen wollen!)

    - Ich habe hier nichts anderes festgestellt, als daß wir den ausdrücklichen Wunsch haben, daß die Bundesregierung sich in ihrer Personalpolitik an den Artikel 3 Absatz 3 des Grundgesetzes hält. In jedem Fall erwarten wir außerdem, daß der Nachweis demokratischer Zuverlässigkeit nicht ein Hindernis, sondern eine Voraussetzung für die Besetzung von wichtigen Stellen der Bundesverwaltung im In- und Ausland ist.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD.)

    Die Bemerkungen von Dr. Schumacher über die staatspolitische Bedeutung der Gewerkschaften sind zum Anlaß genommen worden, um der Sozialdemokratie den parteipolitischen Mißbrauch der Gewerkschaften vorzuwerfen. Ich möchte dazu folgendes erklären. Die Sozialdemokratie bejaht die Einheitsgewerkschaften, und sie respektiert die sich aus dieser Einheit ergebenden Notwendigkeiten. Wir sehen in der Bildung der Einheitsgewerkschaften einen Fortschritt in der Richtung der erfolgreichen Vertretung der sozialpolitischen und wirtschaftlichen Ziele der deutschen arbeitenden Menschen. Wenn diese Einheit der Gewerkschaften heute manchmal umstritten erscheint, dann wissen vor allem die Gewerkschafter selber, daß diese Gefährdung der Einheit nicht durch die Sozialdemokraten, sondern durch ganz andere Kräfte außerhalb der Gewerkschaften erfolgt.

    (Beifall bei der SPD.)

    Die Gewerkschaften sind sicher gar nicht daran
    interessiert, hier eine Diskussion der Parteien über


    (Ollenhauer)

    die Organisationsprobleme der Gewerkschaften zu haben. Das ist schließlich ihre eigene Angelegenheit. Aber was sie wissen wollen, ist, wie die Regierung und die Regierungsparteien zu ihren sachlichen Forderungen stehen. Da möchte ich Ihnen sagen, daß weder die Regierungserklärung noch die heutige Rede des Herrn Abgeordneten Blank in irgendeiner Weise befriedigend war.

    (Zuruf von der CDU: Sie haben nicht gut zugehört!)

    — Nein, ich habe sehr genau zugehört. Wir wären in der deutschen Demokratie in bezug auf die Wirtschafts- und Sozialpolitik in einer viel besseren Situation, wenn wir uns heute auf positive Erklärungen von Ihrer Seite über die Stellung zu den Gewerkschaften beziehen könnten.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Leider ist diese positive Erklärung weder in der Regierungserklärung noch in der Rede des Herrn Abgeordneten Blank gefunden worden.
    Sehen Sie, das hilft uns doch hier nichts, wenn man als Beweis für die Uebereinstimmung zwischen den Absichten der Bundesregierung und den Forderungen der Gewerkschaften etwa den Versuch unternimmt, den dürftigen Satz der Regierungserklärung über die Neuordnung der Besitzverhältnisse mit der viel konkreteren Formulierung des Punktes 6 im Gewerkschaftsprogramm, der Forderung der Überführung der Schlüsselindustrien in das Gemeineigentum gleichzusetzen.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Machen wir uns doch nichts vor! Wenn der Herr Bundeskanzler den Punkt 6 gemeint hätte, hätte er ihn hineingeschrieben.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD.)

    Daß er eine andere Formulierung gewählt hat, beweist doch, daß die Ziele der Bundesregierung in diesem Punkt nicht in Uebereinstimmung mit dem Punkt 6 des Gewerkschaftsprogramms sind. Ich unterstelle durchaus, daß Herr Blank diese fortschrittlichere Formulierung des Gewerkschaftsprogramms wünscht. Aber, Herr Blank, ich glaube, es wäre für Sie und Ihre Freunde in der CDU sehr gut, wenn Sie sich nicht damit trösten würden, daß man mit wesentlich anderen Worten dasselbe sagen kann, sondern wenn Sie sich darüber klar sein würden, daß eine Durchsetzung Ihrer wirtschaftspolitischen Forderungen auf diesem Gebiet nur möglich sein wird, wenn es Ihnen gelingt, diese Auffassung zunächst einmal in Ihrer eigenen Fraktion durchzusetzen.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Ich habe allerdings erhebliche Zweifel; denn ich denke daran, daß selbst die Exponenten des christlichen Sozialismus in der CDU heute in ihren öffentlichen Erklärungen meilenweit von dem sogenannten Ahlener Programm abrücken.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Es hat doch wiederum auch keinen Zweck, daß Sie hier den Versuch machen, die Schwäche Ihrer Position damit zu verdecken, daß Sie, Herr Abgeordneter Blank, erklären, Sie seien für die Sozialisierung, aber gegen die Verstaatlichung. Als wenn hier ein Gegensatz zwischen einem christlichen Gewerkschafter und einem sozialdemokratischen Gewerkschafter läge! In der Frage der Form der Sozialisierung gibt es sicher in allen Lagern verschiedene Auffassungen,

    (Sehr richtig! bei der CDU)

    und das letzte Wort ist weder bei Ihnen noch bei
    uns darüber gesprochen. Aber eines steht doch fest:
    daß es niemand mehr gibt, der in der reinen Verstaatlichung die Erfüllung des Begriffes Sozialisierung oder Ueberführung in das Gemeineigentum sieht.

    (Beifall bei der SPD. — Hört! Hört! und Unruhe rechts.)

    Meine Damen und Herren, lassen Sie uns doch in diesem Hause auf dieser Ebene diskutieren; dann kann ja vielleicht doch ein praktisches Resultat erzielt werden.

    (Bravo! bei der SPD.)

    Was mich allerdings bedenklich stimmt, ist die Tatsache, daß zum Beispiel die christlichen Gewerkschafter der CDU im Nordrhein-Westfälischen Landtag, obwohl das dortige Sozialisierungsgesetz keine Verstaatlichung im üblichen Sinne vorsah, sich nicht entschließen konnten, für dieses Gesetz zu stimmen.

    (Zuruf bei der CDU: Wir haben doch für unseren eigenen Entwurf gestimmt!)

    — Entschuldigen Sie, es kommt ja nicht darauf an,
    daß man einen eigenen Entwurf nach Hause bringt,
    sondern daß ein praktisches Resultat erzielt wird.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Ich glaube, daß wir die Frage der Stellung der Gewerkschaften in Staat und Wirtschaft deshalb so ernst nehmen müssen, weil sie auf der Tagesordnung bleiben wird, und zwar nicht nur im rein Sozialpolitischen, sondern auch im Oekonomischen. Das, was hier gegenwärtig droht, ist ja gar nicht eine abgeschwächte oder verwässerte Form einer Veränderung der Besitzverhältnisse in der . Richtung der Ueberführung in das Gemeineigentum; die wirkliche Gegenposition dieser Regierung auf diesem Gebiet liegt ganz woanders. Sie liegt darin, daß hier erneut in der Praxis der Versuch gemacht wird, den Begriff Wirtschaft oder Wirtschaftsführung mit ihrer Repräsentation durch die Unternehmer gleichzusetzen.

    (Sehr richtig! bei der SPD..)

    Das wirkliche Problem ist, daß wir in der Wirtschaft und in der Wirtschaftsführung zu der vollen Gleichberechtigung der Arbeitnehmer, vertreten durch die Gewerkschaften, kommen, und zwar nicht nur in der technischen oder sozialpolitischen Leitung der Betriebe, sondern in der Bestimmung und Durchführung der Wirtschaftspolitik selbst.

    (Zuruf bei der CDU: Was auf eines herauskommt!)

    Ich glaube, daß in den vergangenen Jahrzehnten in der Geschichte der aufsteigenden Gewerkschaftsbewegung mehr Beweise für die volkswirtschaftliche Einsicht und Tüchtigkeit der arbeitenden Menschen liegen, als sie auf der Seite vieler Unternehmer zu finden sind.

    (Lebhafte Zustimmung bei der SPD.)

    Lassen Sie mich, meine Damen und Herren, dies Kapitel mit einer Bemerkung abschließen. Es ist hier — ich glaube, vorgestern — vom Sprecher der CDU von der notwendigen neuen Gemeinschaft der Deutschen gesprochen worden. Meine Damen und Herren, das ist ein schönes Wort, und letzten Endes lebt diese Vorstellung in jedem von uns. Aber sie hat nur dann einen Sinn, 'wenn wir ernsthafte Anstrengungen machen, sie zu realisieren. Hier, meine Damen und Herren, in der Neuordnung der Besitzverhältnisse und in der Neuordnung der Führungsverhältnisse in der Wirtschaft durch die Anerkennung des gleichberechtigten Anspruchs der Arbeitnehmer müssen Sie den Beweis dafür erbringen, ob es Ihnen mit Ihrem Verlangen nach einer neuen Gemeinschaft, nach


    (Ollenhauer)

    einer sozialen Ordnung in Deutschland wirklich ernst ist oder nicht.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD.)

    Meine Damen und Herren, ich habe es für richtig gehalten, die Rolle der Gewerkschaften hier noch einmal zu unterstreichen, weil ich das Hohe Haus auch auf die bedeutsame Funktion der Gewerkschaftsbewegung in der internationalen Politik ausdrücklich aufmerksam machen möchte. Denken Sie nur an das schwierige Problem der Demontagen! Ich will in diesem Zusammenhang nicht auf die Sache selbst eingehen; aber hier haben wir den amerikanischen Gewerkschaften für die mutige Initiative zu danken, die sie in dieser Frage im Interesse eines friedlichen deutschen und europäischen Aufbaues ergriffen haben.

    (Lebhafter Beifall links. — Zuruf rechts: Das sind nicht sozialistische Gewerkschaften!)

    — Das hat niemand behauptet. — Wir freuen uns außerdem, daß jetzt auch die britischen Gewerkschaften auf ihrem Kongreß Anfang September die Notwendigkeit einer Ueberprüfung dieser Frage anerkannt haben, und wenn jetzt eine gewisse Aussicht auf eine befriedigendere Regelung besteht, dann danken wir es nicht zuletzt dem Weitblick und der Tatkraft dieser Arbeiterorganisationen in Amerika und England.

    (Erneuter Beifall links.)

    Lassen Sie mich ein Wort hinzufügen. Bedenken wir, daß in der Pariser Organisation des ERP-Plans die demokratischen Länder Europas und Amerika die Bedeutung der Gewerkschaften für die wirtschaftliche Entwicklung dadurch praktisch anerkannt haben, daß repräsentative Vertreter der Gewerkschaften verantwortlich in dieser Organisation mitarbeiten. Ich glaube, unsere Bundesregierung sollte die Dinge nicht nur unter dem Gesichtspunkt der Vertretung Deutschlands durch einen Minister, sondern erst recht unter dem Gesichtspunkt der Vertretung der arbeitenden Menschen sehen, die ja letzten Endes durch ihre Arbeitskraft den Erfolg der Marshallplanhilfe in der Richtung einer Gesundung unserer Wirtschaft garantieren müssen.
    Meine Damen und Herren, ich möchte nicht noch einmal auf alle Argumente eingehen, die hier wiederum in bezug auf den Gegensatz zwischen der Regierung und den Regierungsparteien auf der einen und uns auf der anderen Seite in der Frage der Wirtschaftspolitik bestehen. Ich muß sagen: es sind hier eigentlich ziemlich freudig und unbekümmert wieder die Argumente des Wahlkampfes vorgebracht worden, zum Beispiel die Methode, die Zwangswirtschaft der Kriegszeit und der Nazis mit Planung gleichzusetzen und sie dann der Sozialdemokratie als ihr Wirtschaftsideal zu unterstellen; oder das andere Argument: sehen Sie die Mißerfolge der Planungspolitik der britischen Arbeiterbewegung! Eigentlich hat in dieser Diskussion nur noch einer der Wahlschlager gefehlt, nämlich es fehlten nur noch die vier Radioapparate, die Herr Professor Dr. Erhard in allen seinen Wahlversammlungen herumgereicht hat.

    (Lachen in der Mitte.)

    Meine Damen und Herren: warum sind Sie nicht zu einer sachlichen Diskussion über diese Frage bereit?

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Sie können ihr ja gar nicht ausweichen! Sie können hier wohl das Prinzip der freien Wirtschaft verkünden, wie es Herr Abgeordneter Schäfer für die Freie Demokratische Partei getan hat; Sie können sich auf den Standpunkt stellen: wir müssen zu einem Zustand der Selbstverantwortung des Einzelnen für sein persönliches Schicksal kommen. Sagen Sie das einmal einem von den Millionen von Flüchtlingen! Dann wird er Sie fragen, wie denn diese Selbstverantwortung und Selbstgestaltung seines Schicksals aussehen soll.

    (Beifall bei der SPD. — Zurufe in der Mitte.)

    Ich sage das gar nicht als ein agitatorisches Moment.

    (Zurufe in der Mitte.)

    — Entschuldigen Sie, lassen Sie mich doch argumentieren! Ich sage es aus einem ganz anderen Grund. Meine Damen und Herren, warum geben Sie nicht zu — welches sachliche Argument haben Sie? —, warum geben Sie nicht zu, daß in einem Volk, das auf Trümmern lebt, daß in einem Volk, das heute noch mit 50 Prozent seiner Lebensmittel von Importen abhängig ist, daß in einem Volk, das heute 8 bis 10 Millionen Menschen auf diesem Gebiet mehr in Arbeit und in Kleidung und in Nahrung und in Wohnung zu bringen hat als vor dem Krieg, das Problem. der Wirtschaftsgestaltung von einer solchen erdrückenden Gewalt ist, daß wir es nur meistern, wenn wir uns entschließen, hier an dem Punkt zu sagen, was wir auf dem Gebiet der Produktion unbedingt leisten müssen, damit die Menschen leben und arbeiten können und ebenso essen, zu sagen, worauf wir verzichten müssen, weil wir es in dieser Notlage uns einfach nicht gestatten können.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD.)

    Das ist doch die große Frage. Sie können ihr gar nicht ausweichen!

    (Zuruf in der Mitte: Das wollen wir auch nicht!)

    — Bitte, hier hat — und das hat mich betroffen, das sage ich Ihnen ganz offen — Herr Blank gesagt: sehen Sie sich doch an, wieviel besser es in Deutschland aussieht!

    (Hört! Hört! links.)

    Was ist denn in Deutschland geschehen? Nur daß wir heute um die primitivsten Lebensnotwendigkeiten des Alltags nicht mehr anzustehen brauchen! Das ist doch nicht der Beginn des Paradieses oder der Neuordnung!

    (Zuruf in der Mitte: Das hat ja auch niemand gesagt!)

    Daß Sie in diesem Deutschland lediglich vor die Elendslager der Flüchtlinge die glänzenden Bauten der Luxusgeschäfte setzen,

    (lebhafter Beifall bei der SPD) das ist das, was wir nicht akzeptieren.


    (Zurufe in der Mitte: Wollen wir auch nicht! Agitation! Sachliche Arbeit! — Glocke des Präsidenten.)

    — Meine Damen und Herren, wenn Sie sagen: wir wollen es auch nicht, dann sind Sie ja gezwungen, das zu tun, was wir von Ihnen verlangen: lenken Sie die Produktion nach den Bedürfnissen der breiten Masse, und Sie erfüllen nicht irgendein Programm einer marxistischen Vorstellung, sondern Sie erfüllen in diesem Deutschland nicht mehr und nicht weniger als eine einfache nationale Notwendigkeit.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD.)

    Meine Damen und Herren, die Regierung ist jetzt am Beginn ihrer Tätigkeit, und sie wird vom ersten Tag ab durch die internationale Verflechtung zu einer Politik gezwungen werden, die weit entfernt ist von der sogenannten freien Wirtschaft.


    (Ollenhauer)

    Ich war erstaunt, daß Herr Dr. Schäfer in seiner Rede auf den Zwischenruf „Marshallplan" — ich glaube, von kommunistischer Seite — geantwortet hat: der Marshallplan geht 1952 zu Ende.

    (Zurufe links.)

    Dieses Argument genügt nicht, auch für Sie nicht, meine Damen und Herren; denn dieser Marshallplan ist das Programm der amerikanischen Regierung:

    (Zuruf in der Mitte: Wissen wir!)

    den europäischen Ländern bis zum Jahre 1952 zu helfen, eine koordinierte und geplante Wirtschaft aufzubauen.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Wenn wir in Westeuropa einschließlich Westdeutschland nicht morgen mit der Planung und Koordinierung beginnen, dann werden wir alle unter den Folgen dieses Versäumnisses zu leiden und schwere politische und soziale Konsequenzen zu tragen haben.

    (Beifall bei der SPD.)

    Meine Damen und Herren, und nun nehmen Sie das andere Problem, das uns allen auf den Nägeln brennt: die Abwertung der D-Mark.
    Ich linde es nicht gut, wenn in einer solchen Situation die Regierung sich darauf beschränkt, die Minister erklären zu lassen: der innere Wert der Mark wird nicht beeinträchtigt. Meine Damen und Herren, das glaubt Ihnen doch niemand!

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Denn jeder Mensch weiß doch, daß eine Abwertung der Mark unweigerlich verhängnisvolle Konsequenzen für die Lebenskosten der breiten Massen des Volkes haben muß.

    (Zuruf von der CDU: Wenn Sie freilich jetzt die Preise in die Höhe reden!)

    Glauben Sie mir, die Unruhe ist noch verstärkt worden, weil durch einen Zufall die Meldung von der Abwertung des Pfundes und der folgenden Abwertung der Mark doch gleichzeitig mit der Mitteilung der Bundesregierung kam, daß sie Ende des Jahres auch die Reste der öffentlichen Bewirtschaftung der lebensnotwendigsten Güter aufheben wollte.

    (Bravorufe.)

    Meine Damen und Herren, wollen Sie die Situation, die da heranreift, auch dem berühmten freien Spiel der Kräfte überlassen? Ich bin erfreut darüber, daß der Herr Bundeskanzler den Gewerkschaften mitgeteilt hat, er stehe zu einer Unterhaltung über diese Probleme zur Verfügung; aber, meine Damen und Herren, wenn diese Unterhaltung positive Resultate haben soll, dann müssen Sie eingreifen, dann müssen Sie ordnen und planen. Ich habe diese Bemerkungen gemacht, nicht um ein Steckenpferd zu reiten, sondern weil ich das Gefühl habe, daß wir über diesen Punkt in diesem Parlament sehr oft miteinander diskutieren müssen; und ich möchte, meine Damen und Herren, daß wir dann an den Kern der Probleme gehen, damit wir wissen, wo wir stehen. Es hat doch keinen Sinn, daß wir so tun, als ob es sich hier nur um agitatorische Floskeln handelte.
    Meine Damen und Herren, ich möchte mich heute auf diese Bemerkungen beschränken. Wir werden jedenfalls noch genügend Gelegenheit haben, darauf zurückzukommen. Im übrigen, glaube ich, ist es gut, meine Damen und Herren von der CDU und CSU, wenn Sie sich nicht allzusehr und allzulaut immer wieder darauf berufen, daß der Erfolg des 14. August für Sie eine positive Anerkennung
    der Wirtschaftspolitik des Frankfurter Wirtschaftsrats sei. Alle diejenigen unter Ihnen, die den engen Kontakt mit den arbeitenden Menschen haben, die heute noch in der CDU ihre politische Repräsentation sehen, wissen, daß da sehr, sehr starke Spannungen leben. Lassen Sie mich nur einen einzigen kurzen Hinweis geben! Ich kenne einen Brief, den ein CDU-Mann an einen andern geschrieben hat. Sie können sich darauf verlassen: es ist ein ernster Brief, geschrieben von einem Mann, der es ernst meint mit der CDU, und geschrieben an einen Mann, der es mit seiner Arbeit im öffentlichen Leben ernst meint. Ich will Ihnen nur einen Absatz vorlesen.
    Man täusche sich nicht, und es wäre ein verhängnisvoller Irrtum, wollte man behaupten, daß alle Wähler der CDU der Wirtschafts- und Sozialpolitik zustimmen. Im Gegenteil! Es ist eine sehr . große Anzahl unter ihnen, die unter Zurücksetzung ernstester und berechtigtster Bedenken wegen der betriebenen Wirtschaftspolitik sich bei ihrem Wahlgang ausschließlich von weltanschaulichen Dingen leiten ließen. Ob sich dies noch einmal wiederholen wird, hängt in erster Linie von Richtung und Entwicklung der Wirtschafts- und Sozialpolitik der CDU ab.
    Meine Herren, das ist die Frage, und ich meine, —

    (Zuruf: Sie verwenden einen einzigen Brief für die Argumentation! Ich kann Ihnen noch mehr solcher Briefe vorlegen!)

    — Bitte, der stammt nicht von mir, der stammt von einem Ihrer Freunde, und ich wollte Sie nur darauf aufmerksam machen!
    Meine Damen und Herren, ich möchte jetzt dieses Gebiet verlassen und möchte nur noch kurz auf die gestrige Rede des Herrn Abgeordneten Reimann zurückkommen. Der Herr Abgeordnete Reimann hat gestern die kommunistische Unterstützung der Kandidatur Dr. Schumachers bei der Präsidentenwahl begründet. Er hat erklärt, daß die Kommunisten keinen neuen 20. Juli 1932 wünschen. Ich kann dazu nur sagen, daß wir Sozialdemokraten diese Absicht begrüßen, denn der 20. Juli 1932 wäre ohne das damalige Bündnis von Kommunisten, Deutschnationalen und Nazis im Preußischen Landtag nicht möglich gewesen.

    (Beifall auf der äußersten Rechten und bei der SPD.)

    Wir Sozialdemokraten freuen uns über jede neue politische Einsicht, vor allem, wenn sie nicht zu spät kommt.

    (Zuruf von der KPD: 1935 haben wir dazu Stellung genommen!)

    — Ja, aber ihr habt später wieder Rückfälle gehabt! Selbstverständlich haben die Kommunisten wie jede andere Fraktion hier im Hause die volle Freiheit, für oder gegen sozialdemokratische Kandidaten oder Anträge zu stimmen. Aber ich möchte darauf aufmerksam machen, daß die Frage von gemeinsamen Aktionen, wie sie gestern Herr Reimann für seine Partei angekündigt hat, gemeinsame Aktionen von Sozialdemokraten und Kommunisten, ja schließlich nicht allein von den Kommunisten entschieden werden kann,

    (Lachen)

    und ich möchte erklären, daß die Sozialdemokratische Partei jedenfalls nicht bereit ist, den Kommunisten die ihnen fehlenden Massen für ihre Propaganda zu liefern.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD.)



    (Ollenhauer)

    Wir werden die Kommunisten hier nicht nach dem beurteilen, was sie in neuentdeckter brüderlicher Liebe erklären, sondern danach, was sie in der Ostzone tun.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Dort sind sie die Staatspartei der Diktatur, und dort erklären sie die Sozialdemokraten als Verräter oder stecken sie als „Schumacherlinge" in die Konzentrationslager.
    Es war ein neckischer Zufall: während Herr Reimann gestern hier den Sozialdemokraten Bündnisvorschläge machte, berichtete der Leipziger Sender, Dr. Schumacher habe in seiner Rede am Mittwoch den Bundeskanzler Dr. Adenauer um ein Ministerium in seinem Kabinett gebeten.

    (Heiterkeit.)

    Es muß den Kommunisten überlassen bleiben, wie sie mit diesem Zweifrontenkrieg fertigwerden.

    (Erneute Heiterkeit.)

    Ich möchte ganz im Ernst eines sagen: es gibt für die Sozialdemokraten eine unlösbare Gemeinschaft des Kampfes, das ist die Gemeinschaft mit den unterdrückten, inhaftierten und illegalen Freiheits-
    kämpfern in der Ostzone.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD.)

    Und es gibt für uns eine unversönhnliche Gegnerschaft, das ist die Gegnerschaft zu den kommunistischen Trägern des Diktatursystems in der Ostzone und zu ihren kommunistischen Mitschuldigen in der Westzone.

    (Erneuter lebhafter Beifall bei der SPD.) Meine Damen und Herren! Es lag mir daran, in dieser Frage so eindeutig und klar als möglich zu sprechen, damit jedermann weiß, woran er ist.

    Nun, meine Damen und Herren, habe ich zum Schluß nur noch eine Bemerkung zu machen. Wir stehen vor der Tatsache, daß bis jetzt nur eine einzige Regierungspartei, und zwar der Sprecher der Deutschen Partei, uneingeschränkt und bedingungslos die Zustimmung zu der Regierungserklärung ausgesprochen hat. Das ist außerordentlich bemerkenswert, um so mehr als der Herr Bundeskanzler nur mit einer Stimme Mehrheit gewählt wurde. Angesichts dieser Sachlage fragen wir den Herrn Bundeskanzler, ob er es nicht für notwendig hält, am Schluß dieser Debatte eine Entscheidung des Bundestags darüber herbeizuführen, ob der Bundestag in seiner Mehrheit die Regierungserklärung billigt.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Es scheint uns ein schlechter Start für die Regierung zu sein, wenn sie ohne diese ausdrückliche Klarstellung an ihre Arbeit geht.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD.) Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Wellhausen.