Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Herr Bundeskanzler hat in der Regierungserklärung gesagt, die Koalitionsparteien seien sich völlig einig darin, daß sie sich bei ihrer ganzen Arbeit von dem Bestreben leiten lassen würden, so sozial im wahrsten und besten Sinne des Wortes zu handeln wie irgend möglich. Ich erkläre als Sprecher meiner Fraktion noch einmal, daß dies unsere feste Absicht ist. Die Sozialpolitik wird deshalb eine beherrschende Stellung in der Regierungsarbeit einnehmen, und ich hoffe, daß die Opposition gerade hier die Gelegenheit findet, wo sie nicht unter allen Umständen nein sagen muß.
— Es freut mich. Ihre Freude gibt mir Gewähr dafür, daß Sie mitarbeiten werden.
Nun kann aber die wechselseitige Abhängigkeit von Sozial- und Wirtschaftspolitik nicht übersehen werden. Denn in erster Linie bestimmen Wert und Umfang des Sozialprodukts das Ausmaß sozialer Leistungen. Daher sagt die Regierungserklärung weiter: „Die beste Sozialpolitik ist eine gesunde Wirtschaftspolitik, die möglichst vielen Brot und
Arbeit gibt." Meine Damen und Herren, die wirtschaftspolitische Linie der Regierung ist klar, sie besteht — darüber kann kein Zweifel sein — in der Fortsetzung des im Wirtschaftsrat beschrittenen Weges. Dazu verpflichtet sie die Entscheidung des Wählers. Denn nicht zuletzt durch Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, stand der Wahlkampf hauptsächlich unter der Parole: Für oder gegen die Frankfurter Wirtschaftspolitik? Es blieb Herrn Dr. Schumacher vorbehalten, die in freier demokratischer Wahl getroffene Entscheidung der Wähler dahin umzudeuten, der deutsche Besitz habe diese Regierung etabliert. Die Zahl der diese Regierung tragenden Wählerstimmen zeigt, daß sie ihren Auftrag aus dem Willen des Volkes hat, und der Auftrag lautet: Fortsetzung und Weiterentwicklung der Frankfurter Wirtschaftspolitik. Wie und nach welchen Prinzipien das geschehen soll, meine Damen und Herren, das möchte ich in Kürze in dieser Spezialdebatte darlegen.
Unser wirtschaftspolitisches Ziel ist die soziale Marktwirtschaft, und ich möchte gleich sagen: sie ist gleichweit entfernt von der Planwirtschaft wie von der freien Wirtschaft des Manchestertums.
Denn in ihr sind die Ordnungselemente: sowohl Freiheit als auch Bindung. Wir wünschen als motorische Kraft Freiheit im Wettbewerb und als Bindung unabhängige Monopolkontrolle, um Mißbrauch der Freiheit zu verhindern.
Dazu wird es einer Reihe von gesetzgeberischen Maßnahmen bedürfen, und eine dieser Maßnahmen wird sein, durch ein Monopolgesetz den Wettbewerb in der Wirtschaft zu sichern. Frau Abgeordnete Wessel bemängelte gestern in ihrer Rede, daß ein solches Monopolgesetz in Frankfurt am Main in der Schublade der Verwaltung für Wirtschaft liegengeblieben sei.
— Da bleibt es nicht liegen! Alle Sachkenner sind sich darüber klar, daß es sich hier um eine außerordentlich verwickelte Materie handelt,
die gründlichster Vorarbeit bedarf und auch niemals restlos abgeschlossen sein wird, weil sie ständig an den sich ergebenden Tatbeständen neu überprüft und revidiert werden muß. Sie dürfen aber die Versicherung entgegennehmen, daß ein solches Monopolgesetz geschaffen wird. Wir befinden uns dabei in völliger Übereinstimmung mit einer Forderung, die die Gewerkschaften aufgestellt haben, die sich auf die Schaffung einer Stelle zur Überwachung kartell- und monopolartiger Einrichtungen und Abreden bezieht. Dieses unser Gesetz wird alle Marktabreden und Kartellverträge verbieten, und es muß die Bildung wirtschaftlicher Macht verhindern.
Meine Damen und Herren! Wir werden das bestehende Gesellschaftsrecht einer Überprüfung zu unterziehen haben, und wir werden es entsprechend unserem Ziele zu ändern haben.
— Warten Sie ab, Herr Abgeordneter Rische! —
Wer Unternehmer sein will, muß auch mit seinem ganzen persönlichen Besitz einstehen.
Das gilt nicht nur für den Unternehmer, das gilt
unserer Ansicht nach auch für die Vorstandsmitglieder und Geschäftsführer von Kapitalgesellschaften. Wir wollen keine anonyme Verantwortungslosigkeit mehr in der Wirtschaft. Darüber hinaus erwarten wir von der Regierung Gesetzentwürfe, die die restlose Offenlegung von Geschäftsberichten, Gewinn- und Verlustrechnungen und Bilanzen bei allen Kapitalgesellschaften gewährleistet. Ich kann auch hier wieder darauf hinweisen, daß wir uns dabei in völliger Übereinstimmung mit einer Forderung der Gewerkschaften befinden, die sie an dieses Bundesparlament gerichtet haben, die dahin geht, es sei eine Erweiterung der für wirtschaftliche Unternehmungen bestehenden gesetzlichen Publikationsvorschriften erforderlich. Meine Damen und Herren, gerade den Arbeitern wird damit gedient, die als Wertschaffende auch einen Anspruch darauf haben, über den wahren Stand des Unternehmens und den erzielten Gewinn unterrichtet zu werden.
Obwohl es wegen mangelnder Kenntnis der Zusammenhänge noch unpopulär ist, halten wir daran fest, daß sich die Preise marktgerecht bilden müssen. Wohin die behördlich festgesetzten Preise, die doch nur eine Illusion sind, führen, haben wir seit dem Jahre 1936 erlebt. Behördlich festgesetzte Preise, zugewiesene Kontingente, feste Gewinnspannen, eine solche Sinekure wollen wir dem Unternehmertum ein zweites Mal nicht mehr gönnen.
Unternehmer sein heißt nämlich nicht: Staatspensionär sein.
Das muß wieder begriffen werden.
Die Arbeiterschaft kann mit Recht von demjenigen, der sich Eigentümer der Produktionsmittel nennt, verlangen, daß er von diesen Produktionsmitteln auch einen Gebrauch macht mit echtem Wagnis, einen Gebrauch, der höchste Rentabilität des Betriebes sichert. Wer das nicht kann, soll die Finger von diesem Geschäft lassen.
Meine Damen und Herren, darüber hinaus werden Sie uns Preisbeeinflussung mit Mitteln der Kredit- und Steuerpolitik, die wir nach Lage der Verhältnisse anzuwenden gewillt sind, nicht als Abkehr von unseren Prinzipien auslegen. Ich bin der Meinung, wir stimmen darin überein, daß dies probate Mittel sind.
Lassen Sie mich, meine Damen und Herren, an dieser Stelle ein kurzes Wort über die Steuerpolitik, von der fast alle Redner gesprochen haben einfügen. Herr Dr. Schumacher meinte zum diesbezüglichen Punkt der Regierungserklärung, die geplante Steuersenkung stünde in Konkurrenz minden Besatzungskosten und den erforderlichen Sozialleistungen. Ich lege mir das zunächst so aus, daß Herr Dr. Schumacher meinte, die Besatzungskosten zu senken läge nicht in unserer Macht, und eine Senkung der Sozialleistungen beabsichtige die Regierung nicht; infolgedessen sei die Steuersenkung unmöglich. Dazu möchte ich sagen: Die heutigen Steuersätze lähmen und hindern die Spartätigkeit, sie führen zur Verschwendung und lenken Mittel in den Luxuskonsum, die bei vernünftiger Steuerpolitik produktiven Zwecken zugeführt würden.
Wenn der Staat 80 bis 90 Prozent jedes Aufwandes
deckt — und das geschieht tatsächlich —, dann treten Unterschiede im Lebensstandard stärker in Er-
scheinung, als sie nach der Einkommensverteilung überhaupt möglich wären.
Wir versprechen uns von einer Steuersenkung folgende Wirkungen. Erstens eine Zunahme der Spartätigkeit und damit erhöhte Kapitalbildung durch alle Schichten des Volkes; zweitens eine Entlastung des unmittelbaren Konsums, insbesondere des Luxuskonsums; drittens eine erhöhte Investitionstätigkeit, Belebung der einschlägigen Industrien, insbesondere der Bauwirtschaft; viertens eine Aufsaugung der Arbeitslosigkeit und Entstehung zusätzlichen Arbeitseinkommens; fünftens steigende Nachfrage auch auf den Konsumgütermärkten und auch dort vermehrte Beschäftigung; sechstens durch steigende Umsätze und erhöhte Produktion auch steigende Steuereinnahmen trotz Senkung der Steuersätze.
Aber nicht unbedeutend dürften auch die diesen zugeordneten Nebenwirkungen sein: erstens ein Rückgang der Bürokratie, weil durch freie Kapitalbildung der Riesenapparat der staatlich-zentralistischen Kapitalverteilung überflüssig wird;
zweitens eine Förderung der kleineren und mittleren Existenzen, die nur bei freier Kapitalbildung, wie" alle Erfahrungen lehren, Kredite erhalten können, während bei staatlicher Verteilung erfahrungsgemäß nur öffentliche und Riesenunternehmungen bedacht werden.
Gerade hier aber sind wir an einem Kernpunkt unseres wirtschaftspolitischen Wollens, nämlich Klein- und Mittelexistenzen zu fördern.
Dasjenige Volk wird sozial am gesundesten sein, das möglichst viele selbständige Existenzen hervorbringt, und nicht ein Volk, Herr Renner, das nichts mehr ist als seelenlose Nummern in einem Machtstaatsapparat.
Wir erwarten drittens Rückkehr zu dem finanzpolitischen Grundsatz: die Staatsausgaben haben sich den finanzpolitischen Möglichkeiten anzupassen und nicht umgekehrt.
Die geplante Steuersenkung steht damit wohl nicht in Konkurrenz mit den Sozialleistungen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich kurz zur Wirtschaftspolitik zurückkehren. Wir sind davon überzeugt, daß sich durch diese Wirtschaftspolitik eine Wirtschaft entwickelt, die ein möglichst großes Sozialprodukt erzeugt. Daß uns das seit der Wende durch das Leitsätze-Gesetz schon in erfreulichem Maße gelungen ist, lehrt der Augenschein jedes Menschen in der Bizone.
Das alles betrifft aber im Grunde genommen nur die Wirtschaftsweise und besagt noch nicht viel über die Fragen der Wirtschaftsverfassung. Die Wirtschaftsweise, wie ich es definieren will, die Wettbewerbswirtschaft mit den Prinzipien, die wir ihr zugrunde legen, würde sowohl in der Privatwirtschaft als auch in der Gemeinwirtschaft zu gelten haben. Auch eine Gemeinwirtschaft, wenn sie nicht zur Ertraglosigkeit verurteilt sein wollte, würde sich zu diesen Prinzipien des echten Wettbewerbs untereinander zu bekennen haben.
Aber es sei mir ein Wort zur Frage der Wirtschaftsverfassung erlaubt. Die Regierungserklärung spricht sich dazu aus. Sie sagt nämlich: Die sozial- und gesellschaftspolitische Anerkennung der Arbeitnehmerschaft macht eine Neuordnung der Besitzverhältnisse in den Grundstoffindustrien notwendig. Herr Dr. Schumacher meinte dazu, es sei nicht klar, ob damit die Wiederherstellung der alten Besitzverhältnisse gemeint sei. Ich will diesen Zweifel bei ihm beheben, meine Damen und Herren von der Opposition. Denn in der Regierungserklärung heißt es „eine Neuordnung". Das dürfte doch einem Manne nicht entgangen sein, der gerade in seiner Partei nach 1945 die Parole ausgab, nicht von dem Aufbau zu sprechen - denn das könne Restaurierung bedeuten —, sondern von dem Neubau. Ich glaube, dieser Hinweis auf Ihre eigene Definition wird Ihnen klar sagen, was hier mit dem Wort „Neuordnung der Besitzverhältnisse" gesagt sein soll.
Es freut mich, hier feststellen zu können, daß die Regierungserklärung sich wieder einmal mit den Forderungen der Gewerkschaften deckt, wo es im Abschnitt VI unter anderem heißt: ,,Es sind deshalb
vordringlich insbesondere der Bergbau, die eisen- und stahlschaffende Industrie sowie die Großchemie in Gemeineigentum zu überführen." Wenn also Herr Dr. Schumacher in seiner Rede bemängelt hat, daß die Regierungserklärung sich nicht mit den Gewerkschaften beschäftige, so kann ich feststellen, daß sie das tut — das werde ich Ihnen gleich noch darlegen —, daß sie sogar wesentliche Programmpunkte der Gewerkschaften in ihr Programm übernommen hat. Das ist gar kein Wunder, meine Damen und Herren!
Denn auf den Bänken der Regierungsparteien sitzen bessere Gewerkschaftler, als Sie einer sind, Herr Rische.
Ich sage noch einmal, auf den Bänken der Regierungsparteien — —