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ID0100704500

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    Deutscher Bundestag — 7. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. September 1949 47 7. Sitzung Erster Tag Bonn, Donnerstag, den 22. September 1949. Geschäftiche Mitteilungen 47B, 67C, D Fortsetzung der Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung . . . 47B Ewers (DP) 47C Dr. Seelos (BP) 53D Reimann (KPD) 58C Dr. Adenauer, Bundeskanzler . . . 67A Unterbrechung der Sitzung . 67C Loritz (WAV) 67D Frau Wessel (Z) 72B Dr. Richter (DRP) 80A Clausen (SSW) 85C Dr. Edert (Parteilos) 86B Fortsetzung der Sitzung 87C Die Sitzung wird um 10 Uhr 11 Minuten durch den Präsidenten Dr. Köhler eröffnet.
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    Rede von Helene Wessel


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Meine Damen und Herren, die Zentrumsfraktion, als deren Sprecherin ich zu der Regierungserklärung Stellung nehmen darf, wird, wie ich eingangs feststellen möchte, ohne Bindung an die Regierungskoalition, die bekanntlich die Kleine Koalition genannt wird, alle Maßnahmen der Regierung unterstützen, die richtig und gerecht sind, aber alles ablehnen und bekämpfen, was meinen politischen Freunden und mir von anderen Gesichtspunkten als denen des Volkswohles aus nicht richtig und gerecht erscheint. Wir sehen es als unsere Aufgabe an, Willkür und Machtmißbrauch zu verhindern, für Toleranz und Menschenachtung, Freiheit und Gerechtigkeit einzutreten, der Wahrheit zu dienen und gegebenenfalls dunkle Kräfte und Motive, die Staat und Gemeinschaft bedrohen, durchsichtig zu machen.
    Die Sprecher der Fraktionen in diesem Hohen Hause, sowohl diejenigen, die sich zur Regierung bekennen, wie auch diejenigen, die in der Opposition stehen, haben im wesentlichen ihre Haltung und ihr Programm aufgezeichnet. Wir haben auf Grund dieser Darlegungen das Empfinden, daß nicht nur Trennen des, sondern auch vieles Gemeinsame vorhanden ist, und wir können uns nicht des Eindrucks erwehren, daß man Größeres als eine kleine Koalition hätte erreichen können, wenn man von Anfang an bemüht gewesen wäre, nicht das Trennende, sondern das Gemeinsame zu finden.

    (Sehr richtig! beim Zentrum.)

    Alle wollen wir den Wiederaufbau Deutschlands in möglichst kurzer Frist, in einem ständig sich steigernden Tempo erreichen. Die Wiederherstellung zerstörter Wohnbezirke, die Lösung des Vertriebenenproblems, die Schaffung von Lebenssicherheit auch für die Ärmsten, das alles sind Notwendigkeiten, denen sich niemand verschließen kann, ganz gleichgültig ob er zur Regierung oder zur Opposition gehört. Diesen Notwendigkeiten kann sich auch das Ausland nicht verschließen. Wir haben das Verhalten des Auslandes und seine Stellung zu unserem Volk nach dem Zusammenbruch der Katastrophenpolitik des Nationalsozialismus erlebt, wir haben es erlebt in den menschlichen Hilfeleistungen, wie sie auch vom Herrn Bundeskanzler gezeigt worden sind, in den Hilfeleistungen jener Völker und Staaten, die als Sieger aus diesem zweiten Weltkrieg hervorgegangen sind. Zu jenen, die der Herr Bundeskanzler genannt hat, dem Roten Kreuz, dem Vatikan, der Ökumene von Genf, glauben wir noch hinzufügen zu müssen die Hilfe der Quäker, der Heilsarmee, der Mennoniten, der nordischen Länder, der Schweiz wie aller jener Organisationen und auch Einzelpersonen, die oft unter persönlichen Opfern für die Fürsorgeorganisationen oder für einzelne Familien in Deutschland gesorgt haben. Meine Damen und Herren, es bedeutet keine nationale Würdelosigkeit, wenn man dafür dankbar ist. Wir müssen den Mut zu dieser Wahrheit auch gegenüber jenen nationalistischen Phrasendreschern haben, die heute schon wieder dabei sind, das Bild des deutschen Menschen in verhängnisvollster Weise zu verzeichnen.

    (Beifall beim Zentrum.)

    Wir wissen alle gemeinsam, wie schwer der Aufbau Deutschlands ist. Wir wissen, daß Millionen Menschen, wie es eben auch von meinem Vorredner gezeichnet worden ist, aus ihrer gesicherten Existenz geschleudert wurden und heute kaum das Lebensnotwendigste haben. Aber wir dürfen bei all diesem doch nicht übersehen, was sich während des Hitlerkrieges jenseits der deutschen Grenzen abgespielt und was für grauenvolle Spuren auch dort der Krieg hinterlassen hat.


    (Frau Wessel)

    Diese außenpolitische Situation gehört mit zu den Wirklichkeiten, von denen heute der deutsche Politiker ausgehen muß. Nur wenn er dieses tut, nur wenn er in den Wechselwirkungen auch das rechte Verständnis des Auslandes für unsere Verhältnisse findet, wird er gute Außenpolitik machen können. Im Rahmen des europäischen Aufbaus ist mit dem Marshallplan auch dem deutschen Volk schon beträchtlich geholfen worden, und in der Politik ist, soweit es sich jedenfalls um die westliche Welt handelt, für Deutschland ein Stand erreicht worden, der die Schaffung dieser Bundesrepublik ermöglicht hat.
    Die Wirkung der ersten Bundesregierung beginnt nun. Es ist dabei gewiß schmerzlich zu wissen, daß Deutschland seine Souveränität nur mit Einschränkungen wieder erhalten hat, die sich aus der durch die Oberkommissare ausgeübten Kontrolle ergibt. Dabei überwachen die Oberkommissare, wie ja bekannt ist, nicht nur den demokratischen Aufbau und die Friedens- und Sicherheitsgarantien allein. Schon die Unfreiheit, die auf dem Gebiete des Außenhandels geblieben ist, zeigt die Situation, in der sich Deutschland heute befindet. Nicht schnell genug kann eine andere, eine echte und dauernde
    Ordnung herbeigeführt werden. Es wird eine der
    wichtigsten Aufgaben sein, die deutscherseits in den zwischenstaatlichen Beziehungen erfüllt werden müssen, die Siegerstaaten von der Notwendigkeit eines Friedensvertrages für Deutschland zu überzeugen.

    (Beifall beim Zentrum.)

    Meine Damen und Herren! Mehr als 52 Monate sind seit der Einstellung der Kampfhandlungen vergangen, und de jure befinden wir uns noch immer im Kriegszustand. Eine Konferenz ist der anderen gefolgt, aber das Deutschlandproblem konnte nicht geklärt werden. Alles ist offen; nichts ist entschieden. Aber jeder fühlt, daß die Dinge zur Entscheidung drängen, wenn Europa überhaupt gesunden und in Ordnung kommen soll. Das Tragische an der europäischen Situation ist, daß das Dritte Reich es fertiggebracht hat, in seinen Niedergang ganz Europa zu verstricken. Mit Deutschland ist Europa an den Rand des Abgrundes gebracht worden und heute auf die Hilfe Amerikas angewiesen. Dadurch ist die Lösung des deutschen Problems so erschwert worden. So sehen wir uns in unserer Außenpolitik vor die Notwendigkeit gestellt, uns einzufügen in diese weltpolitische Situation und die deutsche Frage in Verbindung mit ihr zu betrachten. Sie kann nur im Rahmen Europas gelöst werden, wenn wir uns nicht auf den Standpunkt stellen wollen, daß wir uns von Europa lösen müssen. Es dürfte somit eine der wichtigsten Aufgaben der Regierung sein — und gerade bei dem Charakter der Regierung, die jetzt gebildet worden ist —, die richtige Stellung in der Außenpolitik zu beziehen und diese auch dem deutschen Volke klarzumachen.
    Gewiß, meine Damen und Herren, Deutschland liegt in der Mitte von Europa; aber halten wir uns frei von den nationalistischen Selbstüberschätzungen, als wenn Deutschland das Herzstück Europas in der Weltpolitik wäre. Uns tut eine kluge, abwägende Politik not, und ich möchte wünschen, daß man diese Notwendigkeit künftig nicht einmal in den Wahlkämpfen vergißt, weil uns nichts so schadet wie das törichte Wettrennen mit dem Nationalismus. Die Zentrumspartei ist durchaus nicht schlecht dabei gefahren, als sie die Konzession an den Nationalismus rundweg in ihren Wahlversammlungen ablehnte, Wer anders handelt, muß sich die Tatsache vor Augen halten, daß unser deutsches Volk zwar ein großes Einfühlungsvermögen in fremde Sprachen und Kulturen, in vergangene Zeiten und Epochen besitzt, aber daß es, wenn es sich mit den lebendigen Kräften fremder Nationen befassen soll, plötzlich jedes Augenmaß verlieren kann und von Wunschträumen und Wunschbildern zu leben beginnt, wie sie in kaum einem anderen Volk der Welt anzutreffen sind.

    (Beifall bei Zentrum und in der Mitte.)

    Wir haben, meine Damen und Herren, alle Veranlassung, unser Volk zu lieben; aber weil wir es lieben, müssen wir es davor bewahren, immer ein Opfer seiner Schwächen und Fehler zu werden. Gerade heute haben wir allen Grund, an die Wirklichkeit zu denken und einmal das. Wort wahrzumachen, das wir alle so gern in den Mund nehmen: Realpolitiker zu sein.
    Gestatten Sie mir hier die Bemerkung, daß sich nach dieser Grundeinstellung auch der Typ des deutschen Diplomaten richten muß, der uns künftig — zunächst auf dem Gebiete des Außenhandels und hoffentlich sehr bald auf dem gesamten Gebiete der Außenpolitik — gegenüber den anderen Staaten vertreten soll. Meine politischen Freunde und ich verkennen durchaus nicht, daß es unter den Diplomaten der alten Schule charakterfeste Menschen gegeben hat, beste Repräsentanten des Deutschtums, Männer, vor denen auch heute das Ausland noch Achtung hat. Aber ebenso ist es eine Tatsache, daß die Exklusivität, die früher im Auswärtigen Amt herrschte, hochqualifizierte Persönlichkeiten vom diplomatischen Dienst ausgeschaltet hat.

    (Sehr richtig! beim Zentrum.)

    Wir warnen dringend vor dem Korpsstudenten als dem geborenen Anwärter für den auswärtigen Dienst.

    (Lebhafte Zustimmung beim Zentrum und bei der SPD.)

    Wir warnen auch davor, nur Leute mit sieben- oder neunzackigen Kronen ins Ausland zu schicken

    (erneuter Beifall)

    und zu glauben, damit die deutsche Demokratie allein repräsentieren zu können. Meine politischen Freunde würden es mit besonderer Genugtuung begrüßen, wenn die Bundesregierung in dieser Beziehung jedenfalls nicht dem Beispiel der Weimarer Republik folgen würde und den Mut hätte, einen ganz andern Weg zu gehen. Es wird schon allerlei darüber gemunkelt, wie sich gewisse Leute der alten Schule nach vorn drängen, wie sie antichambrieren und sich mit besonderen Denkschriften in empfehlende Erinnerung bringen. Die Bundesregierung würde dem deutschen Volk keinen Dienst erweisen, wenn sie derartigen Bewerbern zu bereitwilligst Gehör schenken würde. Wir meinen, es scheint jetzt die Zeit gekommen zu sein, einen neuen Typ des Vertreters deutscher Interessen im Auslande herauszustellen, und ich möchte nicht zuletzt auf diejenigen hinweisen, die in den Nazijahren unfreiwillig ihre Auslandserfahrungen gesammelt haben. Wir haben Kaufleute, wir haben Journalisten, die jahrelang draußen gewesen sind und von denen wir nicht zu befürchten brauchen, daß sie der uns umgebenden Welt ein schiefes Bild von Deutschland vermitteln.

    (Beifall beim Zentrum.)

    Damit soll, um das hinzuzufügen, gar nicht gesagt sein, daß für Diplomaten der alten Schule


    (Frau Wessel)

    keine Verwendung wäre. Es soll nur darauf hingewiesen werden, daß angesichts einer ziemlich großen Auswahl eine sehr sorgfältige Auslese getroffen werden kann und hohe Ansprüche zu stellen sind. Ich habe nicht den Eindruck, daß dieser Hinweis verfrüht wäre. Vielmehr hoffe ich, daß er noch einigermaßen rechtzeitig erfolgt.

    (Beifall.)

    Zur Realpolitik gehört auch die Frage, ob wir Deutschen nur die Wahl zwischen Ost und West haben. Wir haben uns darüber heute in diesem Hause sehr temperamentvoll unterhalten, und doch glaube ich, es wäre eine Verkennung der historischen Gegebenheiten und Aufgaben unseres Volkes, wollten wir sagen, wir könnten nur zwischen Ost und West wählen. Wir können unsere Tradition, unsere Vergangenheit, unsere Geschichte, alles, was wir geworden sind und darstellen, nicht aufgeben, ohne uns selbst aufzugeben. Deshalb haben wir keine Wahl zwischen West und Ost. Wir können uns weder von der einen noch von der anderen Seite gänzlich abwenden, und ich glaube, es wäre nichts katastrophaler, als wenn von Deutschland eine Verschärfung der Spannungen ihren Ausgang nehmen würde. Wir können in unserem eigensten Interesse nur immer wieder betonen, wie sehr uns an einer Verständigung zwischen West und Ost gelegen ist. Um keinen Preis darf in der Welt der Eindruck entstehen, daß diese Verständigung uns unerwünscht wäre. Heute scheint sich zwischen Europa und Rußland eine Kluft aufzutun. Wollen wir uns nicht selbst untreu werden, dann kann es nicht unsere Aufgabe sein, diese Kluft zu erweitern und zu vertiefen. Rußland ist immerhin der vierte Partner jenes Friedensvertrages für Deutschland, mit dessen Hilfe wieder ein Gesamtdeutschland entstehen kann.
    Von dieser Betrachtungsweise aus möchten wir auch das Ostministerium sehen. Wenn das Ostministerium einen politischen Sinn und Wert haben soll, dann muß es den Willen zur Einheit Deutschlands verkörpern, und dies auf der Basis der gegebenen Tatsachen, soll nicht unter den Deutschen jenseits des Eisernen Vorhangs der Eindruck entstehen, daß sie abgeschrieben und vergessen werden. Das Ziel eines Ostministeriums muß sein, an den Chancen für eine Verständigung aller Partner mitzuarbeiten.
    Ich weiß, daß diese Darlegungen bei gewissen Leuten Befremden erregen könnten. Aber ich glaube, daß sie jedem aus dem Herzen gesprochen sind. der von einem echten Nationalbewußtsein erfüllt ist. Ich brauche hier nicht zu betonen, daß das Zentrum seiner ganzen Natur nach zu den schärfsten Gegnern des Kommunismus gehört. Aber es gibt nur eine Art des Sieges in diesem Kampf. Sie heißt: hier im Westen das Größte leisten, hier den echten Fortschritt zustande bringen, hier die Persönlichkeitswertung durchsetzen. Dann wird die europäische Idee den Osten erobern, nicht aber der Bolschewismus das Gesicht Europas bestimmen.

    (Beifall beim Zentrum.)

    Dabei verkennt das Zentrum keineswegs die Aufgabe der Bundesregierung, sich der deutschen Kriegsgefangenen und Verschleppten mit besonderer Sorge anzunehmen und durch eine kluge Außenpolitik zu erreichen, daß alle Völker mithelfen, diesen bedauernswerten Menschen recht bald die Rückkehr in die Heimat zu ermöglichen.
    In der großen Linie der amerikanischen Politik zeichnet sich immer mehr die Notwendigkeit einer Verständigung für Europa ab. Im Rahmen dieser europäischen Verständigung muß auch das Ostproblem und das Problem der deutschen Menschen, die jenseits des Eisernen Vorhangs leben, gelöst werden.
    In der Epoche, die jetzt durch die Ausgestaltung der Beziehungen der Staaten und Völker untereinander beginnt, muß die deutsche Politik das Kommende erkennen. Nicht nur der Osten wird die Bundesrepublik Deutschland vor große Entscheidungen stellen, auch der Westen hat seine Probleme. Es sind vor allem zwei Mächte, die den Wiederaufbau und Neuaufbau Europas fördern können. Europa hat sich vor 2000 Jahren aus der Wechselwirkung von Hellas und Rom geformt und gestaltet. Von Hellas stammte der geistige Inhalt, stammten die Persönlichkeitswerte, mit denen die abendländische Welt zu ihrer wahrhaften Größe emporstieg. Von Rom stammte die ordnende und staatsbildende Kraft. Aus diesen beiden Kräften wurde Europa und war es in der Lage, das christliche Ideengut zu einer überstaatlichen Hochkultur auszuformen. Auch heute sind es, wenn wir vom .deutschen Volke absehen, vornehmlich zwei Völker, bei denen noch die letzte, aber große Chance für Europa liegt, Frankreich und England, wenn sie sich ihrer großen geschichtlichen Aufgabe bewußt werden und sich im echt föderativen Gedanken für den Aufbau Europas einsetzen. Wir unterstützen deshalb die Absicht der Regierung, am europäischen Zusammenschluß mitzuarbeiten. Wir kämpfen für diesen europäischen Zusammenschluß, weil wir daran glauben, daß die christlich-abendländischen Kulturwerte, die Europa noch bewahrt, der gesamten Menschheit erhalten bleiben müssen.
    Meine Damen und Herren! Auf dem Gebiete der Innenpolitik erwarten wir von der Regierung, daß sie durch die Verwirklichung einer echten Demokratie der Befriedung des ganzen Volkes dient und die Notwendigkeit anerkennt, die Mitarbeit aller aufbauwilligen Kräfte zu gewinnen. Uns scheint es nicht zu genügen, wenn der neue Bundesstaat bejaht wird. Viel wichtiger ist es, daß die Ideen und Gestaltungskräfte erkannt werden, die ihn erfüllen müssen. Das Schicksal unserer Demokratie hängt von ihrer Funktionsfähigkeit ab. Deshalb würden wir es begrüßen, wenn auch die in der Opposition stehenden Parteien sich dessen bewußt sind, daß sie zwar nicht Träger der Regierung, aber Mitgestalter der deutschen Demokratie sind.

    (Beifall.)

    Wir dürfen nicht noch einmal die letzte Chance zur Schaffung einer Demokratie verspielen und müssen deshalb alles tun, um in diesem Hohen Hause zu sachlichen Auseinandersetzungen zu kommen.

    (Sehr gut! beim Zentrum.)

    Ebenso halten wir es für falsch, anzunehmen, daß aus den Wahlresultaten vom 14. August schon das endgültige Gesicht des jungen Staates herauszulesen wäre. Noch befinden wir uns im Stadium der Vorläufigkeit, noch ist der Volkskörper in einer ständigen inneren Bewegung und Umschichtung. Das deutsche Volk ist durch eine zu tiefe Katastrophe seines Wesens gegangen, als daß es heute schon ein Gesicht hätte, das seiner Art entsprechen würde und als endgültig anzusehen wäre. Die Bundesregierung sollte sich streng davor hüten, die knappe Majorität, von der sie getragen


    (Frau Wessel)

    0 wird, durch den Charakter einer starken Regierung ausgleichen zu wollen.

    (Bravo! beim Zentrum.)

    Es steht ihr jederzeit frei, durch entsprechende Gesetzesvorlagen eine breitere Majorität zu gewinnen als diejenige, von der sie ausgegangen ist. Ich habe eingangs betont, daß meine politischen Freunde und ich keine Bindung an die Koalition haben, daß wir aber bereit sind, jede Maßnahme zu unterstützen, die nach unserer Auffassung dem Wohl des Volksganzen dient.
    Die Bundesregierung könnte sehr bald ein überzeugendes Beispiel für ihr demokratisches Wollen liefern, wenn sie das im Grundgesetz vorgesehene Parteiengesetz einbringen würde, in welchem die im Grundgesetz geforderte Kenntlichmachung der Finanzquellen der Parteien natürlich nicht fehlen dürfte.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD und beim Zentrum.)

    Es mag sein, daß dieses Gesetz in Kreisen, die der Regierung nahestehen, ein gewisses Unbehagen auslösen würde.

    (Sehr gut! links.)

    Aber ich erinnere mich mit großer Genugtuung der Tatsache, daß auch politische Freunde des Herrn Bundeskanzlers — leider nicht alle, doch einige — schon im Parlamentarischen Rat für die Forderung meiner Freunde nach Offenlegung der Finanzquellen gestimmt haben. In der öffentlichen Diskussion des Grundgesetzes ist gerade dieser Passus als einer der neuen konstruktiven Gedanken unserer vorläufigen Verfassung begrüßt worden. Es liegt auf der Hand, daß die demokratische Entwicklung in Deutschland entscheidend gefördert wird, wenn die Offenlegung der Finanzquellen der Parteien schleunigst Tatsache wird. Die Bundesregierung würde dadurch ein in weiten Kreisen der Bevölkerung bestehendes Mißtrauen entkräften. Für meine politischen Freunde darf ich feststellen, daß wir den im Parlamentarischen Rat begonnenen Kampf fortsetzen werden und, falls die Bundesregierung uns im Stich läßt, in diesem Hohen Hause von uns aus das Notwendige tun werden, um durch die Forderung nach Offenlegung der Parteifinanzen das Vertrauen der Bevölkerung zur parlamentarischen Demokratie zu festigen.
    Verhängnisvoll wäre es weiterhin, wollte man für die Bundesregierung einen Beamtenkörper schaffen, der nur aus Anhängern der Regierungsparteien bestehen würde. Die Folge davon würde sein, daß weiteste Volkskreise, die der Regierung fremd gegenüberstehen, der neuen Bundesrepublik noch stärker entfremdet würden, während es doch die Aufgabe der Regierung sein muß, Staat und Volk miteinander zu verbinden. Im übrigen würde jeder Regierungswechsel zu einer ungeheuren Beunruhigung der Beamtenschaft führen. Wir haben nichts dagegen einzuwenden, wenn die Regierung sich durch Verwendung von Staatssekretären den politischen Einfluß innerhalb ihrer Ministerien sichert. Wir sehen darin auch eine zu begrüßende Kontrolle der Bürokratie. Die Staatssekretäre aber sollten nicht Beamte werden. Sie müssen, wie es in England der Fall ist, Politiker bleiben, die bei einem Regierungswechsel mit den Ministern automatisch zurücktreten. Im übrigen aber dürften für die Auswahl der Beamten parteipolitische Gesichtspunkte unter gar keinen Umständen Bedeutung haben.

    (Beifall beim Zentrum.)

    An der Spitze der Ministerialbeamten sollte ein völlig unpolitischer Beamter stehen. Nur so ist eine klare Trennungslinie zwischen der politischen Verantwortung und der fachlichen Verwaltungsarbeit möglich. Diese Trennungslinie liegt namentlich auch im Interesse des Berufsbeamtentums, für dessen Aufrechterhaltung das Zentrum eintritt.
    Sorgfältig — das versprechen wir dem Herrn Bundeskanzler — werden wir darauf achten, welche Rolle die Steigbügelhalter des Naziregimes spielen werden.

    (Beifall beim Zentrum und links.)

    Die verhängnisvolle Entnazifizierung hat auf der einen Seite Leute rehabilitiert, zu denen wir nie und nimmer das Vertrauen haben können, daß sie es mit der Demokratie ehrlich meinen, und andererseits unzählige kleine und harmlose Pgs in die Wüste geschickt. Nachdem man lange genug die Kleinen gehängt und die Großen hat laufen lassen, möchten wir diese Großen nun unter gar keinen Umständen zu hohen und höchsten Würden emporsteigen sehen.

    (Sehr gut! beim Zentrum und links.)

    Es scheint, meine Damen und Herren, eine europäische Tatsache, daß der jähe Übergang von der monarchischen zur republikanischen Staatsform auf dem beamtenpolitischen Gebiete ein schier unlösbares Problem aufwirft. Die Beamtenschaft ist an sich ein Kind des Absolutismus, und sie scheint zwangsläufig in Bürokratie auszuarten, wenn zwar der Monarch geht, aber die königlichen Beamten bleiben. Was ich schon für die kommenden deutschen Diplomaten ausführen durfte, das gilt in dieser Hinsicht auch für die Beamtenschaft schlechthin. Es gilt, über Weimar hinauszukommen. Wenn die Bundesregierung dies Ziel erreichen will, kann ihr nicht dringend genug empfohlen werden, sich in erster Linie der charakterfesten Beamten zu bedienen, die auch im Hitler-Staat dem demokratischen Freiheitsideal die Treue gehalten haben.

    (Lebhafter Beifall beim Zentrum und links.)

    Es geht hier nicht — um das einmal herauszustellen — um Wiedergutmachungsansprüche dieser Beamten, die auf einer anderen Linie liegen; es geht hier um den Staat selbst und um die Bildung einer demokratisch zuverlässigen Beamtenschaft.

    (Erneute Zustimmung beim Zentrum und links.)

    In dieser Hinsicht ist in der Weimarer Zeit viel versäumt worden, und von der jüngeren Generation hoffen wir, daß sie den in manchen Amtsstuben dringend benötigten frischen Wind bringen wird.
    Schließlich darf hier auch nicht außer acht gelassen werden, daß der gesamte öffentliche Beamten- und Angestelltenapparat — auch das ist schon von den Vorrednern gesagt worden — der Verarmung unseres Volkes angepaßt sein muß. Es ist ja in dem hinter uns liegenden Wahlkampf von allen Parteien außerordentlich viel vom Verwaltungsabbau gesprochen worden, und wir hätten es deshalb begrüßt, wenn die Kleine Koalition nicht durch die große Zahl von 13 Ministerien dargestellt worden wäre.

    (Sehr gut! beim Zentrum.)

    Zu den 111 Ministerien, die wir bereits in den drei Westzonen haben, kommen nach Bildung der Bundesregierung noch 14 einschließlich des Bundeskanzleramtes hinzu.

    (Zuruf links: Sechs sind noch anwesend!)



    (Frau Wessel)

    Ob das verarmte deutsche Volk 125 Minister nur in seinem westlichen Bundesgebiet auf die Dauer bezahlen kann, ist eine durchaus beachtenswerte Frage, wozu dann noch das besondere Charakteristikum kommt, daß man in den kleineren Ländern den Ehrgeiz hat, möglichst viele Minister zu besitzen.

    (Sehr richtig! beim Zentrum.)

    Auch bei der Bildung der Bundesregierung können wir uns des Eindruckes nicht erwehren, daß dabei auch der Zweck erfüllt wurde, die Wünsche der Koalitionspartner zu befriedigen.

    (Erneute Zustimmung beim Zentrum.)

    Wir glauben nicht, daß das verarmte deutsche Volk für diese Großzügigkeit des Herrn Bundeskanzlers seinen Koalitionsfreunden gegenüber das entsprechende Verständnis aufbringen wird.

    (Sehr gut! beim Zentrum.)

    Meine politischen Freunde und ich würden es deshalb begrüßen, wenn die Bundesregierung beim Aufbau der Bundesverwaltung ein hervorragendes Beispiel für eine einfache und leistungsfähige Verwaltung geben würde. Schließlich kann ja ein Verwaltungsabbau nicht einfach darin bestehen, daß man irgendwelche Angestellte auf die Straße setzt. Verwaltungsabbau kann immer nur bedeuten, daß man die Verwaltungsaufgaben abbaut. Zweifellos hat der Staat, vor allem auf wirtschaftlichem Gebiete, Aufgaben an sich gerissen, die nicht von ihm, sondern von der Selbstverwaltung der Wirtschaft erledigt werden sollten. Wir sind sehr dafür, daß die Wirtschaftsbürokratie im Staate verschwindet; wir wünschen aber nicht, daß diese Aufgaben von einer Selbstverwaltung der Wirtschaft übernommen werden, die schließlich von den Unternehmern beherrscht wird und von der sich die breite werktätige Masse unseres Volkes ausgeschlossen fühlt. Vielmehr müssen die Verwaltungskörperschaften der Wirtschaft demokratisch gestaltet werden. In ihnen ist das Mitbestimmungsrecht der Arbeitnehmerschaft schleunigst zu realisieren.

    (Beifall beim Zentrum und links.)

    Wenn das geschieht, dann ist die wichtigste Voraussetzung für den Abbau der Wirtschaftsbürokratie erfüllt.
    Meine Damen und Herren! Recht und Gerechtigkeit zu üben, das muß das Fundament aller Maßnahmen der Bundesregierung sein. Die Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz darf nicht nur ein Bestandteil des Grundgesetzes sein, sondern muß von jedem Bürger als die neue Wirklichkeit Tag für Tag erlebt werden können. Ich möchte gerade als Sprecherin der Zentrumsfraktion hier betonen, daß die demokratische Gleichberechtigung auch für unsere jüdischen Mitbürger gilt, wie es bereits vom Herrn Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung betont und auch von den Vorrednern ausgeführt worden ist. Eine Regierung, die gegenüber einem wiederaufkommenden Antisemitismus nicht klar und deutlich macht, daß dieser nach allem, was in Deutschland und Europa den Juden angetan worden ist, in dieser Auswirkung sich für das deutsche Volk als Fluch erwiesen hat, verletzt das Recht und die Gerechtigkeit und handelt dem Interesse unseres Volkes zuwider.

    (Beifall beim Zentrum und links.)

    Wir begrüßen ferner die vom Herrn Bundeskanzler angekündigte Amnestie, für die meine Fraktion dem Hohen Haus ja bereits einen Antrag vorgelegt hat.
    Mit der Bundesregierung liegt uns auch die Sorge für die Vertriebenen sehr am Herzen. Dabei wünschen wir, daß nicht nur, wie es in der Regierungserklärung heißt, die Pensionsansprüche für die vertriebenen Beamten geregelt werden sollen, sondern auch die Freigabe und Aufwertung der Spar- und Bankkonten sowie der Versicherungen der Vertriebenen in einem ähnlichen Verhältnis wie für die einheimische Bevölkerung ihre Regelung finden.

    (Beifall beim Zentrum und links.)

    Wir werden die Regierung auch in ihrem Bemühen unterstützen, einen Spitzenausgleich der Vertriebenen unter den westdeutschen Ländern vorzunehmen, wobei wir es sowohl im Interesse der Flüchtlinge als auch der Länder für wünschenswert erachten, daß dabei auf die kulturelle und konfessionelle Zugehörigkeit der Flüchtlinge stärker Rücksicht genommen wird als bisher, weil dadurch vielerlei Spannungen zwischen Vertriebenen und einheimischer Bevölkerung vermieden werden könnten. In diesem Zusammenhang möchte ich auch noch auf einen Vorschlag hinweisen, der von unserem Dr. Stricker im Frankfurter Wirtschaftsrat gemacht worden ist, in dem er sich für geschlossene Siedlungen für die Flüchtlinge ausgesprochen hat, um damit Gewerbezweige — sie wurden eben schon erwähnt — wie zum Beispiel die Glasindustrie zu erhalten, aber auch um den Vertriebenen in ihrem Zusammengehörigkeitsgefühl entgegenzukommen.
    Meine Damen und Herren, die Regierung wird das Maß an Souveränität haben, das sie sich verdient, und sie wird im Volk soviel Vertrauen finden, wie sie sich erwirbt. Gesetze und Verordnungen haben nicht nur dem Buchstaben, sondern vor allem auch dem Geist des Grundgesetzes zu entsprechen. Die Durchführung und ihre Art müssen es jedem Bürger ermöglichen, ihre Berechtigung und ihren Nutzen einzusehen. Dabei erwarten wir, daß jedermann das höchstmögliche Maß an Freiheit gewährt wird, ohne daß die dem einzelnen zugestandene Freiheit die Freiheit anderer einzuschränken braucht. Totalitäres darf es in Deutschland nicht mehr geben! Und es muß die Aufgabe sein, in allem, was das Menschen- und Völkerverbindende, aber auch innerhalb Deutschlands das Länderverbindende ist, die Toleranz zur Richtschnur des Handelns zu machen und jedem einzelnen, so groß oder so klein er sein mag, die Gleichberechtigung in jeder Weise zu verbürgen.
    Die Bundesrepublik Deutschland muß solch gutes Beispiel demokratischer Staatsführung nicht nur für die westdeutsche, sondern auch im Hinblick auf die ostdeutsche Bevölkerung geben. Das wird ihr gelingen, wenn die zu ihrer Leitung berufenen Männer von allen parteipolitischen Winkelzügen absehen und ungeachtet der parteipolitischen Unterschiede verantwortungsbewußte, dem Gemeinen dienende volksnahe Arbeit leisten. Das Volk erwartet die rasche und planvolle Lösung seiner brennendsten Probleme. Von der Erfüllung dieser Erwartungen — darüber wollen wir uns ganz klar sein — hängt das Schicksal der Demokratie in Gesamtdeutschland ab.

    (Sehr richtig! beim Zentrum.)

    Die Bundesregierung hat eine Fülle an gesetzgeberischer Arbeit zu leisten. Der allgemeinen Unsicherheit über die Gültigkeit früherer Gesetze ist ein Ende zu machen. Ein Umbau der Gesetze, insbesondere der aus der Zeit von 1933 bis 1945, ist durch die Ausmerzung des nationalsozialistischen Ideentums notwendig geworden. Wir halten ferner


    (Frau Wessel)

    ein Bundesversorgungsgesetz für die Kriegsbeschädigten und ihre Hinterbliebenen für dringend notwendig.

    (Beifall beim Zentrum und links.)

    das vom Gedanken der Gerechtigkeit und der Sorge für diese Menschen erfüllt ist.
    In reichlich unbestimmten Worten hat der Herr Bundeskanzler vom Umbau des bürgerlichen Rechts gesprochen, noch vorsichtiger und allgemeiner als von der notwendigen sozialen Neuordnung. Wir würden gern etwas Genaueres - wenigstens hinsichtlich der Leitgedanken — über die Art vernommen haben, wie sich die Regierung die Verwirklichung der Gleichstellung von Mann und Frau im Familienrecht denkt, die Grundsätze und Richtung der neuen Ehegesetzgebung und die Neuregelung auch des Erziehungs- und Personensorgerechts. Meine Damen und Herren, ich weiß nicht, ob das Schweigen der Regierungserklärung nicht leicht so aussehen könnte, als ob die inneren Meinungsverschiedenheiten der Koalitionsparteien über das Elternrecht sich auch hier offenbarten.
    Dringend benötigen wir — um das auch einmal anzuführen - ein Pressegesetz. Es war Lassalle,
    der für die Arbeiterzeitungen forderte, daß sie von
    Inseraten Abstand nehmen, da die Zeitungen unfrei wären, wenn sie Inserate hätten. Heute liegen die größten Gefahren für die Freiheit der Presse auf anderem Gebiet. An sich sollte schreiben können, wer das Zeug dazu hat. Zum Publizisten muß man geboren sein. Das kann man nicht lernen, sondern das ist man von Haus aus.

    (Sehr richtig!)

    Das bringt sich früher oder später zum Ausdruck. Ob die Mitwelt das sofort anerkennt oder ob es erst in einer späteren Zeit verstanden wird, das liegt sehr oft in den Zeitverhältnissen begründet. Jedenfalls sollte die Bundesregierung beim Entwurf eines Pressegesetzes darauf achten, daß dieses Gesetz die Publizisten nicht hindert, sondern fördert.
    Lassen Sie mich auch das feststellen: daß eine subventionierte Presse nicht der Freiheit und Unabhängigkeit unseres Volkes dienen würde. Unter gar keinen Umständen darf es wieder zu Zeitungstrusts und -konzernen kommen, wie Hugenberg es gemacht und wodurch er die Zeitungen unter seine Kontrolle gestellt hat.

    (Sehr gut! beim Zentrum.)

    Wie auf jedem anderen Gebiet ist eine kapitalistische Entartung auch auf dem Gebiet der Presse eine unmittelbare Gefahr für die Demokratie und für die Freiheit.

    (Sehr gut! beim Zentrum und links.)

    Meine politischen Freunde und ich sind uns der grundlegenden Unterschiede, die uns auf wirtschaftlichem Gebiet von den Auffassungen eines großen Teils der Regierungsparteien trennen, durchaus bewußt. Das bedeutet aber nicht, daß wir der Regierung von vornherein mit bestimmten Vorurteilen gegenübertreten werden; vielmehr werden wir abwarten, ob sich die unterschiedlichen Auffassungen in den praktischen Maßnahmen der Bundesregierung auswirken werden. Die vom Herrn Bundeskanzler vertretene These, die beste Wirtschaftspolitik sei auch die beste Sozialpolitik, ist nur dann richtig, wenn sozial denkende und handelnde Unternehmer der Arbeiterschaft als Partner gegenüberstehen.

    (Sehr richtig! beim Zentrum.)

    Wir haben den Eindruck, daß schon in nächster Zeit Entscheidungen zu treffen sein werden, die über die Art der von der Regierung empfundenen sozialen Verpflichtung Auskunft geben werden. Es scheint uns im Augenblick noch verfrüht, von den sozialen Auswirkungen der neuen währungspolitischen Situation zu sprechen. Es ist auch nicht zweifelhaft, daß diese neue Lage in einem für die Bundesrepublik sehr ungünstigen Augenblick eingetreten ist. Der Verwaltungsapparat der Bundesregierung befindet sich zum Teil noch im Aufbau und zum Teil im Umzug. Bei der Frage der Währung möchten wir aber die Regierung darauf hinweisen, die Quote der Abwertung so niedrig wie möglich zu nehmen, um den Glauben an die Festigkeit der Währung nicht zu erschüttern. Keineswegs darf aber die Währung, um Vertrauen zu haben, je geringer ihre Realdeckung ist, zu einem politischen Instrument werden. Dadurch wäre sie jeder politischen Schwankung unterworfen. Wir haben ja in Deutschland immer die traurige Erfahrung machen müssen, daß gewisse Unternehmerkreise solche Situationen ausgenutzt haben, um aus ihnen etwas für ihren Profit herauszuschlagen. So manche Erinnerungen an die Weimarer Zeit machen uns da bedenklich. Wir halten auch wenig von den Appellen an die Moral, wenn dahinter nicht die harte Entschlossenheit steht, denjenigen, die die Notlage auszunutzen trachten, tüchtig auf die Finger zu klopfen.

    (Beifall beim Zentrum.)

    Es kann sehr wohl sein, meine Damen und Herren, daß die Bundesregierung schon in den nächsten Wochen der Bevölkerung den Beweis zu erbringen hat, daß sie kapitalistischem Freibeutertum keine Chance gewährt. Bleibt sie diesen Beweis schuldig, dann wird es die Aufgabe dieses Hohen Hauses sein, die Bundesregierung eindringlich an ihre große Verantwortung zu erinnern.
    Der Herr Bundeskanzler hat nur zu einer Seite dieser sehr ernsten Fragestellung Stellung genommen, indem er die Notwendigkeit der Steigerung des Exports herausgestellt hat. Auf die Folgen, die sich aus der Abwertung für den Import ergeben, zum Beispiel Verteuerung der Lebensmitteleinfuhr, ist er nicht eingegangen. Wir wünschen nicht zuletzt auch im Interesse einer erhöhten Spartätigkeit, daß die Bundesregierung alle Maßnahmen ergreift, die eine Verteuerung des Lebensunterhalts namentlich der Arbeiter und der minderbemittelten Bevölkerung verhindern. Wir hoffen, daß die Bundesregierung alles tun wird, um die Steigerung des Reallohns herbeizuführen, wodurch eine Stabilität der Preise und Löhne am sichersten gewährleistet wird.
    Die Regierungserklärung spricht weiterhin von der Notwendigkeit, dem Altsparer das Vertrauen zur staatlichen Gesetzgebung wiederzugeben, damit auch von dieser Seite her der Anreiz und das Vertrauen zum Sparen gegeben wird. Hier sind wir der Auffassung, daß für die Altsparer die Aufwertung der sogenannten Schattenquote durchgeführt werden muß und daß darüber hinaus einmal überlegt werden sollte, inwieweit eine bessere Aufwertung als 10 zu 1 doch erfolgen kann. Der § 2 des Währungsumstellungsgesetzes sieht ja diese Möglichkeit vor.
    Wir haben leider aus den Frankfurter Tagen ein Beispiel vor Augen, das uns namentlich gegenüber der Person des Herrn Wirtschaftsministers mit einem gewissen Mißtrauen erfüllt. Trotz monate-


    (Frau Wessel)

    langer Geburtswehen hat das Anti-Monopolgesetz in Frankfurt nicht das Licht der Welt erblicken können. Wir hoffen, daß die Bonner Luft diesem Gesetz besser bekommen wird.

    (Lachen.)

    Denn es stellt eine der unerläßlichen Maßnahmen im Kampf gegen die liberalistisch-kapitalistischen Entartungserscheinugen dar. Sollte es dem Einfluß gewisser Kartell- und Konzernherren gelingen, das Anti-Monopolgesetz noch weiter hinauszuzögern, so wäre damit — das darf ich offen aussprechen — für uns ein casus belli gegeben. Ich möchte nicht versäumen, auf die Tatsache der Wichtigkeit dieses Gesetzes schon heute hinzuweisen, weil wir befürchten, daß es zu allerlei Legendenbildungen kommen kann, wenn sich aus einer weiteren Verzögerung des Anti-Monopolgesetzes eventuell sogar internationale Schwierigkeiten ergeben würden.
    Mit großer Besorgnis hat meine Fraktion das bislang zu verzeichnende Ansteigen der Arbeitslosigkeit beobachtet. Ohne daß ich damit auf den Streit um den Bundessitz eingehe, möchte ich doch zum Ausdruck bringen, daß die unmittelbare Nähe des rheinisch-westfälischen Industriegebietes der Bundesregierung sehr nützlich sein kann, wenn sie ein feineres Gespür für die Sorgen und Nöte der werktätigen Bevölkerung aufbringt, als es bei der Frankfurter Verwaltung der Fall war. Die Bundesregierung muß sich darüber klar sein, daß sie durch die Koalition zustande gekommen ist, an der sich weite Kreise der Industriearbeiterschaft doch unbeteiligt fühlen. Um so mehr hat die Bundesregierung Grund, der Zustimmung der Arbeiterschaft allergrößte Aufmerksamkeit zu schenken. Und es ist keine Übertreibung, wenn ich feststelle, daß die Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit bereits zu einer starken Beunruhigung im Ruhrgebiet geführt hat. Dies wirkt sich auch in einem Mangel an Kaufkraft aus, der auf das Geschäftsleben zurückfällt.
    Ohne auf Einzelheiten noch einzugehen, möchte ich für meine Fraktion betonen, daß wir die vom Bundeskanzler in Aussicht gestellte Steuerreform begrüßen und unterstützen werden, wenn sie insbesondere dem kleinen Mann, dem Handwerker, den kleinen und mittleren Betrieben zugute kommt. Auch müßte die Frage der kinderreichen Familie bei der Steuerreform berücksichtigt werden. Insbesondere aber erwarten wir, daß die Grenze des steuerfreien Einkommens nach oben gehoben wird.
    Ferner halten wir es für notwendig, daß sich die Bundesregierung der großen Not vieler Bombengeschädigter annimmt. Es gibt nicht nur eine Vertriebenennot, es gibt auch eine Not der Bombengeschädigten. Das zu sehen ist notwendig.

    (Sehr gut!)

    Wenn man von dem Problem der Wohnungen ausgeht, so könnte man auch einmal die Frage aufwerfen, ob man der Mehrzahl der bombengeschädigten Hausbesitzer nicht dann helfen sollte, wenn sie das Haus mit eigenen Mitteln nicht aufbauen können.

    (Sehr gut!)

    Wir erwarten, daß die Regierung Mittel und Wege finden wird, die dem bombengeschädigten Hausbesitzer einen rentablen Wiederaufbau seines zerstörten Hauses ermöglichen, ohne daß Mieterhöhungen größeren Umfanges erforderlich sind.

    (Beifall beim Zentrum.)

    Es scheint uns dabei die Verbindung des Lastenausgleichs mit den notwendigen Wohnungsbeschaffungen durch solche bombengeschädigten Häuser
    und auch der Altsparaufwertung ein wichtiger Beitrag zur Lösung beider Fragen zu sein.
    Ganz mit Recht hat der Bundeskanzler die besondere Bedeutung des Wohnungsbaus herausgestellt. Wir hoffen, daß die Bundesregierung mit größter Tatkraft an eine planvolle, dem Gemeinwohl dienende Wohnungsbauaktion herangehen wird. Es wird die besondere Aufgabe dieses Hohen Hauses sein, in konstruktiver Zusammenarbeit die gesetzlichen Grundlagen für die Durchführung eines wirklich großzügigen Wohnungsbauprogramms zu schaffen. Wenn es in der letzten Zeit ausgerechnet in der Bauwirtschaft zu einem Mangel an Arbeit gekommen ist, so stehen diese Verhältnisse in einem grotesken Widerspruch zum Wohnraumbedarf der deutschen Bevölkerung. Die Belebung der Bauwirtschaft ist die geeignetste Maßnahme zu einer allgemeinen Wirtschaftsbelebung und zur Hebung des Lebensstandards im allgemeinen. Die Bundesregierung wird mit allen Bemühungen auf dem Gebiete des Wohnungsbaus wie auf allen übrigen Gebieten der Wirtschaft aber keinen gemeinnützigen Erfolg haben, wenn sie nicht die Bereitwilligkeit aufbringt, dem kapitalistischen Eigennutz die notwendigen Schranken zu setzen.
    Meine Damen und Herren! In der WahlkampfAtmosphäre hat man sich mit allerlei ökonomischen Schlagworten in völlig überflüssiger Weise auseinandergeredet. Man hat so getan, als wenn Planung und Kontrolle lediglich ein Rückfall in die nazistische Zwangswirtschaft

    (Zustimmung bei der SPD)

    oder gar eine Anleihe beim kommunistischen Staatskapitalismus bedeuten. Nachdem doch jetzt der Wahlkampf vorüber ist und sich auch die Parteipolitiker wieder wie normale Menschen unterhalten können,
    Heiterkeit — Abg. Dr. Schumacher: Das
    haben sie auch während des Wahlkampfes
    gekonnt!)
    sollte mit dieser Wahlkampfakrobatik Schluß gemacht werden.
    Wenn wir dem Herrn Wirtschaftsminister die planvolle Lenkung der Kredite, ja des gesamten Kapitalstromes eindringlich ans Herz legen, so wissen wir uns damit über den Verdacht erhaben, daß wir irgendwelchen nazistischen oder gar bolschewistischen Neigungen zum Opfer gefallen wären. Wir wissen uns im Gegenteil in weitgehender Übereinstimmung mit dem wissenschaftlichen Bei rat, den der Herr Wirtschaftsminister, als er noch Direktor für Wirtschaft war, zur Seite gehabt hat.

    (Hört! Hört! links.)

    Wir sehen in Deutschland schon wieder eine verhängnisvolle Zusammenballung von Kapital und wirtschaftlicher Macht in den Händen einzelner, bei denen es sich nicht etwa allein um Eigentümer, sondern um Treuhänder oder Verwalter dieses Gutes handelt.

    (Sehr gut!)

    Wir wünschen nicht, daß von solchen Machtpositionen auch das Schicksal unseres Volkes entschieden wird. Es scheint uns auch - und das darf ich in diesem Zusammenhang erwähnen — hinsichtlich der handwerklichen Interessen wünschenswert zu sein, daß innerhalb des Wirtschaftsministeriums ein Staatssekretariat für das Handwerk eingerichtet wird.

    (Bravo! beim Zentrum.)

    Ebenso halten wir es für erforderlich, daß die Bundesregierung der Bodenreform und als Ergänzung


    (Frau Wessel)

    dazu dem Siedlungsproblem als einem gesamtdeutschen Problem ihre besondere Aufmerksamkeit widmet.
    Meine politischen Freunde haben mich beauftragt, hier schon heute die Forderung nach einem Betriebsrecht anzumelden, das jeden arbeitenden Menschen in seinen Rechten und Pflichten sicherstellt. Wir meinen nicht etwa nur, daß diese oder jene Räte in ihren Betrieben eine Stimme haben oder zu Wort kommen. Es geht dabei um mehr. Es geht um die Sicherung des gerechten und ausreichenden Lohnes, um die Würdigung der Arbeit und die unbeschränkte Freiheit in der Wahl des Arbeitsplatzes. Auch im wirtschaftlichen Bereich gibt es eine Rangordnung der Werte. Wieder und wieder wird heute erklärt — das ist auch in diesem Hohen Hause geschehen —, der Mensch stehe im Mittelpunkt der Wirtschaft; die Wirtschaft habe dem Menschen zu dienen. Aber mit Proklamationen ist auf diesem Gebiete nichts getan. Der werktätige Mensch muß ihre Verwirklichung im Alltag erleben. Die Arbeit ist die Grundlage unserer natürlichen gesellschaftlichen Ordnung; sie ist keine Ware, sondern eine bewußte Leistung des einzelnen Menschen an die Gesellschaft. Das Recht der Arbeit darf nicht auf dem Papier stehen bleiben. Wir wünschen auch einen weitgehenden Kündigungsschutz und halten es für unerläßlich, daß das Recht des arbeitenden Menschen gegenüber irgendwelchen Sachwerten allein im Vordergrund steht. Wir sind auch gegen jeden Arbeitszwang. Wir möchten schon heute keinen Zweifel darüber lassen, daß wir keine Art von Arbeitsdienst, auch nicht einen freiwilligen, widerspruchslos hinnehmen.

    (Sehr gut! beim Zentrum und links.)

    Dem Arbeiter ist im Rahmen einer geordneten Betriebsvertretung in sozialen, personellen und wirtschaftlichen Fragen ein ausreichendes Mitbestimmungsrecht einzuräumen.

    (Lebhafter Beifall.)

    Ich darf hier, meine Damen und Herren, ein Wort von Franz Hitze zitieren, von dem ich annehme, daß er dem Herrn Bundeskanzler noch nicht zu sehr entrückt ist. In „Kapital und Arbeit" schreibt Franz Hitze:
    Dem Privateigentum an Produktionsmitteln steht das Arbeitsrecht, das Recht auf Mitverfügung über die Arbeitsmittel, auf Mitgenuß der Arbeitsfrüchte gegenüber. Wo ich nicht mitrate, ich auch nicht mittate.
    Meine politischen Freunde würden es sehr begrüßen, wenn der Herr Bundeskanzler „Kapital und Arbeit" unter seine Lieblingsbücher einreihen würde.
    Wir wünschen uns einen Ausbau der Sozialversicherung, die seinerzeit unter maßgeblicher Beteiligung von Zentrumspolitikern geschaffen worden ist. Entsprechend der heutigen Situation sind Sozial-, Unfall- und Altersversicherung zu reorganisieren und neu einzurichten. Für einen paritätischen Ausbau der Versicherungsanstalten ist Sorge zu tragen. Die Selbstverwaltung ist nach demokratischen Gesichtspunkten zu entwickeln.
    Lassen Sie mich zum Schluß kurz auch noch auf eine andere Frage eingehen. In seiner Regierungserklärung hat der Herr Bundeskanzler die Lage der Frau, insbesondere der berufstätigen unverheirateten Frau, erwähnt. Auch wir wünschen, daß der Artikel 3 des Grundgesetzes, der die Gleichberechtigung von Mann und Frau bestimmt, nicht eine schöne Deklaration bleibt. Wir hätten es deshalb begrüßt, wenn der Herr Bundeskanzler sich nicht darauf beschränkte, einer Frau ein Referat im Ministerium des Innern anzuvertrauen, sondern ihr einen Kabinettssitz eingeräumt hätte,

    (Händeklatschen beim Zentrum.)

    und zwar aus der Erkenntnis heraus, wie notwendig die Frau für den Neuaufbau der deutschen Demokratie ist. Wir hätten dies um so mehr begrüßt, meine Herren, weil ja von der Regierung immerhin sehr wichtige Gesetze vorzubereiten sind, die tief in das Leben der Frau, sei sie verheiratet oder unverheiratet, eingreifen.
    Noch ein letztes Wort möchte ich sprechen zu den kulturellen Fragen. Der Herr Bundeskanzler ist sehr kurz darauf eingegangen. Er hat betont, daß sie zu den Zuständigkeiten der Länder gehören. Immerhin sei mir doch der kurze Hinweis gestattet, daß diese Auffassungen zum mindesten in den Wahlreden vieler Redner der Partei, der der Herr Bundeskanzler angehört, nicht vertreten worden sind.

    (Sehr gut! beim Zentrum.)

    Infolgedessen halte ich auch die Feststellung des Herrn Bundeskanzlers nicht für richtig, daß das Ergebnis der Wahlen am 14. August, zumindest was die CDU anbetrifft, nur auf die Bejahung der Erhardschen Wirtschaftspolitik zu beziehen ist.

    (Händeklatschen beim Zentrum und bei der SPD.)

    Ich glaube, bei vielen Wählern und besonders bei vielen Wählerinnen, die der CDU ihre Stimme gegeben haben, haben weltanschauliche und kulturelle Gesichtspunkte eine sehr große Rolle gespielt,

    (Sehr richtig! beim Zentrum) mehr als die Erhardsche Wirtschaftspolitik.


    (Lebhafter Beifall beim Zentrum und bei der SPD.)

    Diese Wähler, meine Damen und Herren, würden es zumindest begrüßt, ja sie werden es sicher sogar erwartet haben, daß die Bundesregierung ein klares Bekenntnis für die Rechtmäßigkeit des Konkordats abgelegt hätte. Darüber hinaus halten wir von der Zentrumspartei es für erforderlich, daß gleiche Staatsverträge wie das Konkordat mit der Evangelischen Kirche abgeschlossen werden, um die Stellung von Staat und Kirche damit rechtmäßig zu fundieren.
    Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß. Wir alle wissen, daß der Weg des deutschen Volkes nach dem furchtbaren Zusammenbruch, den wir in unserer wechselreichen Geschichte 1945 erlebt haben, weit und schwer ist. Viel Mißtrauen ist noch in der Welt zu beseitigen, aber noch viel mehr Mißtrauen im eigenen Volk. Für die Regierung wie für die Opposition gilt es deshalb, lebendig und aufgeschlossen den Aufgaben und Fragen der Zeit gegenüberzustehen, die rechten Wege zur Gestaltung des deutschen Volksstaates zu finden. Schon einmal nach einem Weltkriege ist das deutsche Volk zu diesem Ziel aufgebrochen, aber vom Geiste des Hochmuts und der Vermessenheit nicht frei geworden. Heute, nachdem wir unsere politische Torheit durch das Naziregime so haben büßen müssen, wissen wir um die Schwere des Weges und dieses Wissen wird uns vor Hochmut und Übermut bewahren können und uns endlich zu den wahren Quellen des deutschen Wesens führen.

    (Bravorufe und Händeklatschen beim Zentrum, in der Mitte und links.)




Rede von Dr. Erich Köhler
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Meine Damen und Herren! Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Richter.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von: Unbekanntinfo_outline


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: ()
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: ()

    Meine Damen und Herren! Der Herr Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung darauf hingewiesen, daß sich die Opposition im Parlament klar zeigen soll. Ich habe nach der gestrigen Sitzung das Gefühl, daß man in diesem Hohen Hause den Eindruck erwecken wollte, als gäbe es überhaupt nur eine Oppositonspartei. Daß dem nicht so ist, möchte ich heute unterstrichen haben. Allerdings denken wir nicht daran, die Opposition so aufzufassen, als ob sie sich allein in der Negation erschöpfen dürfte, sondern wir glauben, daß der Wert des demokratischen Regimes gerade darin liegt, daß die Opposition die Regierung auf Fehler und Mängel aufmerksam machen kann, damit diese derartige Fehler und Mängel, wenn sie aufgezeigt werden, in Zukunft vermeiden kann.
    Wir treten hier nicht an, um als Oppositionspartei etwa auch von vornherein über die Regierung den Stab zu brechen. Ich gehe hier vielmehr mit dem Abgeordneten Loritz einig, der darauf hinwies, daß wir die Regierung nach ihren Taten beurteilen wollen. Allerdings möchte ich auf eines schon aufmerksam machen: in Anbetracht der Schwierigkeiten, vor die sich die deutsche Bundesregierung ohne Zweifel gestellt sieht, ist es notwendig, darauf hinzuweisen, daß sie unter Umständen in eine Lage kommen kann, die es ihr nicht ermöglicht, gewisse Aufgaben, deren Erfüllung man von irgendeiner Seite verlangen könnte, auch tatsächlich zu erfüllen. Nach dem, was sich vor allem in den letzten Jahren in Deutschland abgespielt hat, stehe ich vielmehr auf dem Standpunkt, daß manchmal — und das muß auch für die Zukunft gelten — ein ehrliches Nein besser ist als ein unehrliches Ja. Die Regierung darf sich auf keinen Fall in eine Lage hineinmanövrieren lassen, aus der es dann keinen Ausweg mehr gibt oder die gegenüber dem deutschen Volke nicht tragbar ist.
    Es gibt gewiß manches an Regierung und Regierungserklärung zu kritisieren. Uns beispielsweise gefällt auch die große Zahl der Ministerien nicht. Wir hätten uns vorstellen können, daß für den Mann, der heute jenes etwas eigenartig anmutende Außenministerium für innerdeutsche Angelegenheiten verwaltet, noch eine andere Aufgabe hätte gefunden werden können. Die Lage des deutschen Volkes erfordert allergrößte Sparsamkeit auf allen Gebieten, sonderlich in der öffentlichen Verwaltung. Eine Vermehrung der Ministerien über die klassische Zahl hinaus — abgesehen vielleicht von dem Flüchtlingsministerium, dessen Errichtung ich bereits vor der Ernennung des Bundeskanzlers beim Herrn Bundespräsidenten gefordert habe — trägt diesem Gebot nicht Rechnung. Eine Verschlechterung der Arbeit in der Ministerialinstanz ist von einer Verringerung der Zahl der Ministerien nicht zu erwarten. Im Gegenteil muß befürchtet werden, daß die Vielzahl der Ministerien zu Überschneidungen, Widersprüchen und zu einer Lähmung der Arbeit führt. Allerdings wollen wir auch hier abwarten, wie sich die ganze Sache einspielt.
    Aber eines darf ich betonen: wir sehen in diesem Staat, den wir durchaus bejahen, eine Vorstufe zum Deutschen Reich, zu einem Reich, in dem alle Deutschen, die es wollen, ihre Heimat finden sollen, zu einem Reich, das nicht das Eigenleben deutscher Stämme in irgendeiner Weise beeinträchtigen darf. Allerdings habe ich es beschämend gefunden, daß hier eine Versammlung gewählter deutscher Vertreter zusammentreten konnte, die sich nicht durch ein Lied, das alle Deutschen ansprechen muß und angeht, zu Einigkeit und Recht und Freiheit bekannte.

    (Beifall rechts.)

    Diejenigen, die dem entgegenstanden, wollen aller Wahrscheinlichkeit nach weder Einigkeit noch Recht noch Freiheit.

    (Sehr gut! rechts.)

    Dem werden wir mit all denen, die es ehrlich damit meinen, mit aller Entschiedenheit entgegentreten.
    Wir haben eine große Verpflichtung gegenüber der deutschen Zukunft. Dem deutschen Volke ist heute wohl die letzte Möglichkeit gegeben zu beweisen, welche gestaltenden Kräfte in ihm schlummern. Wir nennen das, was wir heute haben, eine Demokratie. Man sollte mit diesem Worte etwas vorsichtiger umgehen. Bereits im Jahre 1945 nämlich sprach man mehr als oft von Demokratie, und ich habe das Empfinden, daß wir seitdem weniger eine Demokratie als vielmehr eine Demokratur hatten.

    (Heiterkeit und Zurufe. — Zuruf von der CDU: Wollen Sie uns sagen, was das bedeuten soll?!)

    Es hat einmal einen Mann gegeben, der, wäre er ein Philosoph geblieben, sich ohne Zweifel in der ganzen Welt einen Namen als großer Demokrat hätte erhalten können,

    (Zuruf von der CDU: Wer ist denn das?)

    der durch sein staatsmännisches Wirken allerdings immer wieder in Gegensatz zu seinen philosophischen Ideen geriet: das war Masaryk. Masaryk hat einmal gesagt: Demokratie ist Diskussion, und ich glaube, es wird von der Fähigkeit der Deutschen zu diskutieren, abhängen, inwieweit sie sich als Demokraten bezeichnen können. Ohne Freiheit der Persönlichkeit, die gerade diese Demokratur immer wieder einzuschränken sich bemühte, gibt es keine Demokratie. Und woran krankte das, was man bisher in Deutschland etwas vermessen „Demokratie" nannte? Meiner Überzeugung nach daran, daß man zu sehr die Partei und zu wenig das Volk sah. Tocqueville hat einmal die Demokratie

    (Zuruf: Ein Liberaler!)

    „eine öde baumlose Ebene" genannt, „in der jeder Strauch wie ein Baum erscheint". Wie konnte er zu einem solchen nicht gerade löblichen Urteil kommen? Ich glaube, Professor Burckhardt gab mit der Frage bereits die Antwort, ob nicht die Demokratie jedem Hervorragenden geheimen und offenen Haß entgegenbringt.
    Meine Damen und Herren, zum mindesten in gewissen Landesteilen Deutschlands droht heute diese Gefahr wieder. Man redet dort von Demokratie, denkt aber an Parteidiktatur, obwohl man sich sonst in Redensarten nicht demokratisch genug gebärden kann. Demgegenüber sei das eine hervorgehoben, was der Schweizer Professor Zbinden einmal in die Worte faßte: „Wenn die menschliche Gesellschaft nicht immer dafür sorgt, daß sie zu einer Herrschaft der Besten strebt, wird sie zu einer Herrschaft der Bestien." Ich glaube, wir haben das treffendste Beispiel in den Volksdemokratien, die sich zwar Demokratien nennen, aber doch von Demokratie keine Ahnung haben und auch nicht haben wollen. Doch ich muß immer wieder betonen, was auch für gewisse Teile West-


    (Dr. Richter)

    deutschlands zutrifft, was Bodenstedt einmal in die Worte faßte:

    (Zuruf rechts: Sie haben wohl ein Zitatenlexikon? — Heiterkeit)

    Der Staub, wie hoch ihn auch der Wind erhebt, bleibt doch gemein.
    zeichnen ist und der auch wirklich den Charakter eines Rechtsstaates trägt, einen Staat mit völliger Unabhängigkeit der Richter und mit einem völlig überparteilichem Berufsbeamtentum.

    (Zuruf von links: Überparteilich?)

    — Jawohl, überparteilich. Auf jeden Fall ein über-
    Der Edelstein, den man im Sand begräbt, bleibt Edelstein.
    Dieser Edelstein, glaube ich, ist das deutsche Volk, den man nur von dem Staub befreien muß, der in den letzten Jahren aufgewirbelt wurde und der den Glanz dieses Edelsteins verdunkelt. Um diesem Edelstein zum Glanz zu verhelfen, deshalb fordern wir einen Staat, der als Rechtsstaat zu beparteiliches Berufsbeamtentum.
    Wenn wir uns auch auf den Plätzen der äußersten Rechten niedergelassen haben, so möchte ich dazu noch das eine sagen: wir hatten weder die Absicht, wie es von einigen Parteien behauptet wurde oder wie es in einigen Zeitungen hieß, zu stehen, noch verneinen wir, daß wir tatsächlich die Rechte darstellen. Allerdings ist der Name, den wir führen, oft mißverstanden worden. Wir sind nicht im betonten Sinne nun unbedingt die Partei der alleinigen Rechten, sondern die Partei des Rechts.

    (Aha! links und Heiterkeit.)

    Wir fordern, daß auch den kleinen Parteien in jeder Form das Recht zugestanden wird, sich zu betätigen, wie den großen.
    Ich möchte dabei auf eines gleich von vornherein hingewiesen haben: wir lehnen jeden Radikalismus, ganz gleich von welcher Seite er kommt, ab. Denn wir werden niemals in den Fehler derer verfallen, die nun meinen, irgendwo wieder dort anfangen zu können, wo sie einmal aufhören mußten. Aber weil wir auf dem Standpunkt des Rechts stehen, deshalb fordern wir die schnellste Beseitigung allen Unrechts, das dem deutschen Volke zugefügt wurde.
    Unrecht gegen jedes Kriegsrecht ist die Festhaltung von Millionen deutscher Kriegsgefangener vier Jahre nach Kriegsende. Wir werden nicht aufhören, diese Brutalität in der Welt anzuprangern, bis der letzte deutsche Soldat aus dem Osten erlöst ist. Unrecht gegen jedes Volksgefühl war und ist es, für die Verbrechen einzelner das ganze Volk verantwortlich zu machen oder eine Kategorisierung der Deutschen in ein, zwei, drei und mehr Stufen vorzunehmen. Welches Leid hat die Entnazifizierung unserm Volk in der Stunde seiner größten Not zusätzlich gebracht! Wir fordern deshalb kategorisch die endgültige Beseitigung jeder Diffamierung irgendwelcher Deutschen, soweit es sich nicht um kriminelle Verbrecher handelt, und wir fordern nicht nur das, sondern wir fordern die unbedingte Wiedergutmachung alles dessen, was ihnen zugefügt worden ist, nicht nur papierne Amnestien.

    (Widerspruch links.)

    Vielleicht könnte man die Sache schmackhafter
    machen, wenn wir ganz offen erklären, daß wir
    auch niemals mit einer Entsozifizierung einverstanden wären.

    (Zuruf links. — Beifall rechts.)

    Unrecht gegen jedes Rechtsgefühl ist allen Kriegs- und Bombengeschädigten dadurch geschehen, daß man ihnen bis heute kaum einen roten Heller gezahlt hat. Nicht Almosen wollen diese Menschen, sondern ihr Recht. Wir sehen es deshalb als eine Verhöhnung dieser Menschen an, daß die Entschädigung ais eine Art Wohlfahrtsunterstützung gezahlt werden könnte. Wir verlangen einen Lastenausgleich mit festgesetzten bestimmten Quoten. Dies allein entspricht dem Rechtsgedanken. Alle anderen Theorien führen nur zur Verwässerung.
    Unrecht laden wir auf uns, wenn wir unsere Kriegsversehrten und Kriegerwitwen, die Kriegswaisen mit Hungerrenten abspeisen. Auch nach einem verlorenen Kriege ist es eine Ehrenpflicht des Volkes, für seine Kriegsopfer wirtschaftlich einzustehen. Die unendlichen persönlichen Leiden können wir ohnehin nicht abnehmen.
    Unrecht geschah und geschieht heute noch allen ehemaligen Berufssoldaten. Sie sind Beamte wie jeder Staatsbeamte und haben rechtliche Ansprüche, die ein Staat, wenn er ein Rechtsstaat sein will, nicht einfach von heute auf morgen außer Kraft setzen kann. Deshalb sind wir auch mit dem Stichtag von 1936 durchaus nicht einverstanden und fordern die Einbeziehung aller Berufssoldaten, auch der deutschen Offiziere und der Beamten der ehemaligen österreich-ungarischen Wehrmacht.
    Unrecht geschieht auch dem Arbeiter, solange man ihn nicht in irgendeiner Form am Gewinn des Betriebes beteiligt. Mit Sozialisierung ist ihm nicht gedient, da hierdurch weder sein Lohn noch seine Arbeitsbedingungen entscheidend verbessert werden könnten, wie das im übrigen das Beispiel der Staatsbetriebe in England zur Genüge zeigt. Ebenso wie beide, menschliche Arbeitskraft und Maschine, zusammenarbeiten, ebenso müssen beide Faktoren, Arbeit und Kapital, am Endergebnis, am Gesamtergebnis des Betriebes beteiligt sein. Es gibt in Deutschland Betriebe, die in dieser Hinsicht schon sehr nachahmenswerte Beispiele abgegeben haben. Durch diese Beteiligung am Betriebsergebnis wird der Arbeiter am Unternehmen so interessiert, als ob es sein eigenes wäre, und darin kann man schon die Lösung der sozialen Frage in der Praxis erblicken. Die ganze marxistische Volksvergiftung fällt mit der Beseitigung des Klassenkampfes dann von selbst in sich zusammen.
    Wir werden niemals die Raubpolitik, die man in der Sowjetzone betrieben hat, anerkennen. Wir wissen ganz genau, daß dort arbeits- und lichtscheues Volk sich oftmals in den Besitz derer gesetzt hat, die durch generationslange Arbeit und Mühe zu Werten gekommen sind, die ihnen von einem Tag zum andern genommen wurden. Wir stehen vielmehr auf dem Boden des Privateigentums, soweit es ehrlich erworben ist, und werden immer Diebstahl als Diebstahl bezeichnen. Wenn im niedersächsischen Landtag ein SPD-Abgeordneter die Worte prägte: „Die soziale Strukturänderung wird in der Ostzone nicht verschwinden können; wir werden sie im Gegenteil, wenn wir überhaupt eine Zukunft unseres Volkes gewinnen wollen, auch hier in der Westzone mit politischer Leidenschaft und politischem Ernst anfassen müssen", dann sind das Worte, die uns sehr bedenklich


    (Dr. Richter)

    stimmen. Ich muß das eine sagen, daß wir auch hier in diesen Kreisen, wie es bei den sozialistischen Parteien in Polen, in der Tschechoslowakei, in Ungarn, Rumänien und so weiter der Fall war, nichts anderes sehen können als den Wegbereiter des Bolschewismus.
    Man hat in den letzten Jahren sich nicht entblöden können, dem deutschen Volk groß aufgemachte Rechnungen zu präsentieren über die Vergehen, die einzelne unseres Volkes, wie das bei jedem Volk vorkommen kann, begangen haben. Allerdings einzelne! Denn ich stehe auf dem Standpunkt, daß man das ganze Volk niemals für die Vergehen einzelner schuldig sprechen kann und darf. Wenn man schon von Verbrechen gegen die Menschlichkeit spricht, dann glaube ich, meine Damen und Herren, wir könnten wohl auch mit einer Gegenrechnung kommen, die meinetwegen bei Hamburg, Köln, Mannheim, München, Stuttgart, Hannover beginnt und bei Dresden aufhört und die nicht sehr klein ausfallen dürfte.
    Wenn man überhaupt von Verbrechen gegen die Menschlichkeit spricht, dann — auf diesem Standpunkt stehe ich — muß man zuallererst das größte Verbrechen, das jemals gegen die Menschlichkeit begangen worden ist, hervorheben, nämlich die viehische Vertreibung von Millionen Deutscher aus den urdeutschen Ostgebieten.

    (Beifall rechts und in der Mitte.)

    Dieses Land ist deutsch seiner Geschichte nach. Denn zu einer Zeit, als die Bringer einer Überkultur aus dem Osten noch nomadisierend in der Gegend des Unterlaufs der Wolga herumtobten, saßen bereits unsere Vorfahren,

    (Zuruf links: Bei wem?)

    deren außerordentlich hohe Kultur von jedem Wissenschaftler anerkannt wird, im Raum von Memel bis herunter nach Österreich.
    Deutsch ist dieser Raum seiner Kultur nach, deutsch auf Grund der dort geleisteten Arbeit. Wenn man heute in Memel oder Königsberg, in Danzig oder in Breslau, in Reichenberg, Aussig, Eger oder Krummau kein deutsches Wort mehr hört, dann reden die Steine nach wie vor eine beredte deutsche Sprache. Dann sprechen die Kulturschöpfungen, die Werte, die diese Länder aufzuweisen haben, so deutlich für das, was das Deutschtum dort geleistet hat, wie die Leistungen der Lieblingskinder gewisser großer Mächte, die sie in diesem Raum aufzuweisen haben und die in zerstörten Dörfern und Städten durch abgedeckte Dächer, herausgerissene Fenster und Türen zum Ausdruck kommen, ebenfalls eine sehr beredte, allerdings slawisch-ostische Sprache sprechen.

    (Zuruf: Die Opfer von Lidice und Lodz!)

    Wir haben deshalb an den Präsidenten eine Bitte zu richten. Ich glaube, der größte Teil dieses Hauses fühlt doch so deutsch, daß er sich zu diesem alten deutschen Ostland uneingeschränkt bekennt. Unsere Bitte geht dahin, neben den Fahnen der Länder, die wir vor dem Bundeshaus haben, ebenfalls die Länderwappen von Ostpreußen, von Westpreußen, Pommern, Danzig und Schlesien, dem Sudetenland, aber auch der Länder, die deutsch sein wollen, aber noch nicht sein dürfen: Sachsen, Thüringen, Anhalt, Brandenburg und Mecklenburg aufzuziehen. Deshalb können wir auch weder in Bonn noch in Frankfurt etwas Endgültiges sehen. Wir sehen nach wie vor in Berlin die Hauptstadt des Deutschen Reiches.
    Ich glaube, daß der Ausgangspunkt für die Austragung unserer Forderungen durchaus kein ungünstiger ist. Uns liegen im Völkerrecht, in der Haager Landkriegsordnung von 1907, in der Genfer Konvention von 1929 und in der AtlantikCharta, die von allen unterzeichnet wurde, die es angeht, Mittel vor, deren wir uns eingehend bedienen sollten. Der amerikanische General Taylor hat vor einigen Monaten einmal erklärt, daß das Völkerrecht auch heute noch seine Gültigkeit hat, selbst wenn es für gewisse Mächte unbequem sein sollte. Es gibt ein Beispiel in der Geschichte dafür, wie man unter Berufung auf das Völkerrecht ein Land retten konnte, nämlich Talleyrand hat es uns im Jahre 1815 auf dem Wiener Kongreß gegeben. Er vertrat ein völlig geschlagene Land gegenüber einem siegreichen Europa, können wir sagen. Dieser Mächtegruppierung von Siegern trat er entgegen mit der Frage: Steht der Kongreß auf dem Boden des gültigen Rechts? Das mußte der Kongreß bejahen, falls er nicht als Rechtsbrecher in der ganzen Welt gebrandmarkt werden wollte. Die Frage, ob die Alliierten und die anderen, die es noch angeht, auf dem Boden des Völkerrechts stehen, ist meiner Ansicht nach die erste, die man überhaupt bei Beginn eines außenpolitischen Gesprächs zu stellen hat.
    Der Artikel 43 der Haager Landkriegsordnung gibt dem Okkupanten das Recht, nachdem tatsächlich die Macht in seine Hände übergegangen ist, für die Wiederherstellung der öffentlichen Ordnung und des öffentlichen Lebens zu sorgen, wobei die Landesgesetze zu beachten sind. Die besetzende Macht hat nach der Haager Landkriegsordnung kein Recht zu Handlungen, die nur dem Souverän zustehen, und in unserem Fall wäre Souverän das deutsche Volk. Jede Abtrennung deutschen Gebietes steht also außerhalb aller völkerrechtlichen Grundlagen und widerspricht nicht nur dem Artikel 43 der Haager Landkriegsordnung, sondern darüber hinaus auch noch der Atlantik-Charta. Das gilt beispielsweise für das Saargebiet und andere Teile des Westens wie für alle Ostgebiete. Wenn in der Regierungserklärung davon die Rede war, daß man eventuell bereit sein würde, auf gewisse Souveränitätsrechte zu verzichten, dann möchten wir den Herrn Bundeskanzler doch bitten, nicht einen einseitigen Verzicht auszusprechen, sondern auf jeden Fall auch einen solchen Verzicht von der in diesem Augenblick entgegenstehenden Macht im gleichen Ausmaß zu verlangen.
    Es ist hier viel über die Oder-Neiße-Linie gesprochen worden. Es sind auch Worte, zu denen wir uns voll und ganz bekennen, über Österreich gefunden worden. Aber eines bedauern wir sehr, daß man wie die Katze um den heißen Brei um die sudetendeutsche Frage herumgegangen ist. Dabei liegen in der sudetendeutschen Frage die Dinge durchaus nicht unklarer als bei den anderen Ostgebieten; sie liegen nur anders. Ich darf mir erlauben, auf einige wenige durchaus nicht unwichtige Tatsachen hinzuweisen. Am 8. Januar 1918 erklärte Wilson vor dem amerikanischen Kongreß: „Den Völkern Österreich-Ungarns" — danach auch den Deutschen - „soll freieste Gelegenheit autonomer Entwicklung zugestanden werden. Jede Nation, die ihr eigenes Leben zu leben wünscht, soll vor Vergewaltigungen und selbständigen Angriffen geschützt sein." Und in seinem Punkt 10 der bekannten 14-Punkte-Erklärung hieß es: „Es ist unser Wunsch, den Völkern Österreich-Ungarns, deren Platz unter den Nationen wir geschützt und gesichert sehen wollen, Gelegenheit zu freiester auto-


    (Dr. Richter)

    nomer Entwicklung zu geben." Auf Grund dieser und zahlloser anderer Zusagen und Versicherungen seitens der Alliierten forderte am 6. Oktober des gleichen Jahres der Deutsche Volksrat für Osterreich einstimmig und entschlossen volles und uneingeschränktes Selbstbestimmungsrecht der Völker.
    Allerdings mußte das Deutschtum innerhalb der österreichisch-ungarischen Monarchie sehr bald erkennen, daß diese Zusagen nur leere, auf bestimmte Verlockungen ausgehende Worte waren. Die Nationalversammlung der Sudeten- und Alpenländer hat am 11. November 1918 einstimmig — wohlgemerkt! — beschlossen, daß Deutsch-Österreich ein Bestandteil des Deutschen Reiches wäre. Damit waren auch die sudetendeutschen Gebiete mit dem Reich staatsrechtlich zusammengeschlossen. Durch den Vorfriedensvertrag wurden von beiden Parteien die Punkte Wilsons, darunter das Selbstbestimmungsrecht, als bindende Vertragsgrundlage angenommen, und da die Tschechoslowakei als kriegführende Regierung anerkannt war, war auch sie an diese Vorfriedensvertrags-Abmachungen gebunden. Die Vergewaltigung des Sudetendeutschtums stellte damals einen geradezu unglaublichen Vertragsbruch dar, von dem allerdings das berüchtigte Weltgewissen, das sonst bei jeder Kleinigkeit in Wallungen gerät, keine Kenntnis genommen hat.
    Noch am 11. Februar 1919 erklärte Wilson, daß Völker und Länder nicht von Oberherrschaft zu Oberherrschaft verschachert werden können, als ob sie Waren wären. Aber sehr bald sah man, daß man Völker tatsächlich wie Waren behandelte. Ohne einen Schiedsspruch der Friedenskonferenz abzuwarten, rückte die tschechische Soldateska damals bereits plündernd in die sudetendeutschen )Gebiete ein. Man wollte vollendete Tatsachen schaffen, und diesen vollendeten Tatsachen beugten sich gegen jedes Gerede vom Selbstbestimmungsrecht der Völker und vorn Völkerrecht auch die Alliierten.
    Es ist bezeichnend gewesen, wie man sich damals um das Recht drückte, daß kein Vertreter der betroffenen Stämme und Völker zu den Friedensverhandlungen nach den Vororten von Paris eingeladen wurde. Was in diesen Vororten bei den sogenannten Friedensverträgen verbrochen worden ist, geht aus wenigen Beispielen hervor. Man zerschlug einen großen, wirtschaftlich hervorragend eingespielten Körper wie die österreichisch-ungarische Monarchie, von der selbst der Nestor der tschechischen Geschichtsbetrachtung Palacky einmal gesagt hat: Wenn es diesen Staat noch nicht gäbe, so müßte man ihn schaffen. Man zerschlug einen Staat, von dem der Amerikaner Ingrim in seinem Buch „Von Talleyrand zu Molotow" erklärt, daß die Zerschlagung der österreichisch-ungarischen Monarchie einer der Hauptgründe für den zweiten Weltkrieg gewesen ist, was sich gewisse Leute, die glauben, heute schon die Geschichte in dieser Richtung völlig beherrschen zu können, doch einmal hinter die Ohren schreiben möchten. Daher geht unsere Forderung dahin — und die möchten wir auch der Regierung unterbreiten —, daß, wenn es, was wir hoffen wollen, sehr bald zu Friedensverhandlungen kommen sollte, dann auch Ostdeutsche als Vertreter hinzugezogen werden.

    (Abg. Dr. Baumgartner: Herr Kollege, fürchten Sie nicht, das Thema zu verfehlen?)

    — Durchaus nicht, ich rede von dem, was leider Gottes in der Regierungserklärung vergessen worden ist.
    Damals hat man unter dem Druck der Entente Deutsch-Österreich verboten, sich Deutschland anzuschließen. Damit kamen auch die Sudetenländer unter die Herrschaft eines Volkes, das von vornherein drauf und dran war, alle Verträge zu mißachten, wie der tschechische Staatsrechtler Professor Weyr ganz klar hervorblicken ließ. Wir bekennen uns aber heute noch zu dem, was die sudetendeutschen Landesregierungen in ihrem letzten Aufruf in die Worte gefaßt haben: „Niemals wird unser Volk den Anspruch auf Selbstbestimmung aufgeben, niemals die Vergewaltigung des Rechtszustandes anerkennen und niemals aufhören, den Kampf um seine nationale Freiheit mit allen Mitteln zu führen."
    Gewiß ist von den brutalen Ausweisungen, durch die die Ostdeutschen aus ihrer Heimat vertrieben wurden, schon viel gesprochen worden. Wir haben vermißt, während man auf der einen Seite, nicht immer auf unangreifbare Weise, Prozesse gegen Deutsche durchgeführt hat, daß auch gegen diejenigen, die für die Brutalitäten an den Ostdeutschen verantwortlich waren, internationale Gerichte eingesetzt worden sind. Im Gegenteil, es treiben sich heute noch in Deutschland Elemente frei herum, denen inzwischen der Boden unter den Füßen zu heiß wurde, ohne daß man sie wegen ihrer Verbrechen vor Gericht gestellt hat. Die älteste deutsche Universität, die Karls-Universität in Prag, hat bis heute noch keine Unterkunft gefunden, während man für die armen und ach so bedrängten Tschechen bereits wieder eine tschechische Universität aufgerichtet hat.
    Wir stehen nun auf dem Standpunkt, daß die Vertriebenenfrage nicht durch einen Bevölkerungsaustausch gelöst werden kann, so sehr er zur Linderung der augenblicklichen Not auch zu befürworten ist. Wir sind uns auch darüber klar, daß, wenn man nicht ganz andere Maßnahmen ergreift, der Lastenausgleich unter Umständen nur damit endet, daß vielleicht zu guter Letzt die Ostvertriebenen noch zuzahlen müssen. Wir stehen vielmehr auf dem Standpunkt: die einzige Lösung der Ostfrage besteht darin, daß man das ostdeutsche Gebiet denjenigen, die dahin gehören, zurückgibt. Wir stehen nicht an, ganz offen zu erklären — und ich hoffe, daß dem doch der größte Teil des deutschen Volkes auch zustimmt —, daß wir niemals in einem Friedensvertrag einen wahren Frieden sehen würden, der unsere ostdeutsche Heimat den Mordbanden eines Bierut oder eines Gottwald oder eines Zapotocki überlassen würde.

    (Erregte Zurufe von der KPD: Das ist eine Beleidigung! Provokateur!)

    Was das Kapitel der Demontagen anlangt, so haben wir dazu nur auf den Artikel 52 der Haager Landkriegsordnung zu verweisen, der der Besatzungsmacht zwar das Recht gibt, Naturalleistungen zu verlangen, soweit es sich um die Befriedigung der Bedürfnisse der Besatzungsmacht handelt. Aber diese Leistungen dürfen nicht im Mißverhältnis zu den Hilfsquellen des besetzten Landes stehen. Nun, inwieweit hier über die notwendigen, für den Unterhalt der Besatzungsmacht vielleicht als berechtigt anzuerkennenden Naturalleistungen hinausgegangen ist, das wissen Sie selber; das brauche ich nicht zu wiederholen. Wie man diesen Dingen gegenübersteht — obwohl wir genau wissen, daß sich heute Menschen aus reinen Propagandagründen plötzlich mit großer Begeisterung der Demontage annehmen, die bis vor kurzem noch nicht so recht wußten, ' ob sie es dürften oder nicht —, das, glaube ich, konnte man am klarsten erkennen, als ich im


    (Dr. Richter)

    Frühjahr dieses Jahres Gelegenheit hatte, in Gegenwart des englischen Ministers Lord Henderson von einem Sozialdemokraten die Frage zu hören, wie es denn mit der Demontage stünde, die wäre doch nur auf Konkurrenzneid zurückzuführen. Als das Wort Konkurrenzneid fiel, hätten Sie einmal erleben sollen, wie aufgeregt der sozialistische Genosse Lord Henderson dem deutschen Sozialisten entgegentrat. Ich gestehe ehrlich, ich hätte nie geglaubt, daß ein englischer Lord so temperamentvoll werden könnte. Er wies ihn zurecht und sagte: „Wie können Sie mir als Sozialist vorwerfen, daß ich nur aus Konkurrenzneid demontieren lasse!" Nun, wir sind uns darüber klar, daß die ganze Demontage nur dem deutschen Aufbau dient und daß wir zutiefst dankbar sein müssen, daß man uns von der ach so überflüssigen Industrie befreit. Aufbau durch Abbau heißt ja die neue volkswirtschaftliche These, die man uns hier in Deutschland vorexerziert. Wenn man uns schon die Ostgebiete genommen hat — deren Wert für Deutschland so groß ist, daß ich offen erkläre: ohne diese Ostgebiete wird Deutschland nie lebensfähig sein—, dann müßte man uns wenigstens unsere Industrie lassen, damit wir noch so viel exportieren können, wie wir unbedingt zum Leben brauchen. Nun aber ergab es sich, daß unser gerade anlaufender Export von den Kreisen, die eigentlich aus lauter sozialistischer Brüderschaft unsere Bemühungen um eine Verbesserung der Lebensverhältnisse des deutschen Volkes hätten unterstützen müssen, angegriffen wurde, nämlich von den englischen Gewerkschaften, die im Februar dieses Jahres eine Drosselung des deutschen Exports forderten, weil er den englischen Export bedrohe. Ja, wenn wir nicht exportieren können, und zwar soviel, daß wir das, was wir hereinnehmen, auch durch Exporte wieder bezahlen können, dann werden wir auf immer und ewig die Almosenempfänger derer sein, die uns vielleicht noch etwas geben.
    Und kaum daß der erste Ansturm gegen den deutschen Export vorgetragen worden ist, da erleben wir wieder, daß durch eine ganz einseitige Maßnahme ohne Rücksicht auf andere, durch die Pfundabwertung, wiederum nicht nur wir, sondern auch andere Länder in eine Mitleidenschaft gezogen werden, die nicht genug angeprangert werden kann. Die „Rhein-Zeitung" schrieb mit Recht:
    Die britische Labour-Regierung, die, verstrickt in die ungeheuerlichen Fehldispositionen ihrer sozialistischen Wirtschaftspolitik, schon seit geraumer Zeit nicht mehr ein noch aus wußte, hat der Welt einen bösen Schlag versetzt. Durch die brüske Abwertung des Pfundes zwingt Sir Stafford Cripps die europäischen Völker, an der englischen Misere teilzunehmen. In London hat man nicht versucht, einen organischen Ausgleich sämtlicher Währungen durch internationale Abmachungen zu erreichen. Man dachte — wem fielen hier nicht die Demontagen in Westdeutschland ein? — nur an sich, an die durch eigene Schuld verfahrene Situation der regierenden Partei. An einen Rücktritt, an die Möglichkeit, der Opposition die Verantwortung zu übertragen, dachte man nicht, ebenso wie man sich keinen Deut um die anderen kümmerte: um die erst jetzt wieder in Straßburg beschworene Gemeinschaft Europas.
    Ich glaube, daß hier der Bundesregierung ganz
    besondere und sehr schwere Aufgaben erwachsen,
    und wir sind durchaus bereit, sie bei allem zu unterstützen, wenn es um die Aufrechterhaltung des
    Wertes unserer Währung geht.
    Eines aber haben wir mit besonderer Spannung erwartet, was nämlich der Herr Bundeskanzler über die von ihm geplante Agrarpolitik sagen würde. Mit Recht sagte der Herr Bundeskanzler, daß sich das deutsche Volk am 14. August für die Marktwirtschaft entschieden habe. Während der Herr Bundeskanzler uns zwar die Aufhebung der Kohlenbewirtschaftung in Aussicht stellt, scheint man in der Agrarpolitik noch an keine Änderung zu denken. Auch die Auswahl der Persönlichkeit für das Amt des Enährungsministers deutet das an.

    (Zuruf bei der CDU: Nein, ganz und gar nicht!)

    Da möchte ich den Herrn Bundeskanzler doch darauf aufmerksam machen, daß am 14. August im Rahmen der großen auch noch eine Sonderentscheidung erfolgt ist, und zwar in der vernichtenden Niederlage, die der Anwalt des bisherigen Agrarkurses hat einstecken müssen. Darin, daß die schon tausendmal gehörte These, daß die Landwirtschaft mehr produzieren müsse, ein tausenderstes Mal wiederholt wird, liegt noch keine Kursänderung.
    In der allgemeinen Preiszusage fehlte ein Hinweis, der vielleicht einen Fortschritt hätte bringen können, nämlich daß die Preise es ermöglichen müssen, daß auch der Landarbeiter endlich einen der gewerblichen Arbeit gleichwertigen Lohn erhält. Wir werden hieran immer wieder erinnern, weil wir in einem harmonischen Verhältnis der tragenden Wirtschaftsstände zueinander die wirksamste Sicherung gegen Wirtschaftskrisen sehen. Auch die D-
    Mark-Sorgen dieser Tage beweisen erneut, wessen sich ein Volk versieht, wenn es sich mit seiner Versorgung gar zu stark in Weltmarktabhängigkeit begibt. Wir wissen wohl, daß eine Erhöhung der Lebensmittelpreise für die Minderbemittelten nicht tragbar ist; aber das darf nicht zum Vorwand dafür werden, nun die Unterbezahlung der Landarbeit zu stabilisieren, sondern dann muß der Weg von Subventionen oder der einer Marktspaltung zugunsten der Minderbemittelten beschritten werden. Was auf keinen Fall sein darf, ist, daß der heutige Ausnahmezustand gegenüber der Landwirtschaft bestehenbleibt. Wir werden ja wohl von dem neuen Herrn Ernährungsminister später noch hören. Schon heute aber möchten wir ihn bitten, ganz deutlich werden zu lassen, ob er den Kurs, den er bisher in Frankfurt mitgemacht hat, fortsetzen oder ob er neue Wege gehen will, wie er sich die Beseitigung der Zweigleisigkeit in der Wirtschaft denkt und wie er es schließlich der Landwirtschaft ermöglichen will, die volle Gleichberechtigung mit den anderen Wirtschaftsständen zu erringen.
    Es ist zweifellos noch über manchen Punkt zu sprechen. Wir überlassen das der Spezialdebatte. Ich darf schon das eine hier sagen, daß wir in dem, was wir im Verlauf der Debatte gehört haben, vieles gefunden haben, dem wir unbedingt zustimmen werden. Aber ich will eines nicht unerwähnt lassen, nämlich daß wir uns als Deutsche als Glied der europäischen Familie fühlen. Mir hat einmal ein Engländer gesagt: Nur ein guter Deutscher kann ein guter Europäer sein, und ich glaube, daß dieser Standpunkt ohne weiteres richtig ist. Allerdings verlangen wir, da wir wissen, daß es ohne Deutschland kein Europa gibt, die unbedingte Gleichberechtigung mit den anderen. Wenn gestern ein Satz geprägt wurde, dem wir an sich zustimmen möchten, nämlich: Europa bedeutet Gleichberechtigung, dann würde es mich freuen, wenn


    (Dr. Richter)

    dieselbe Seite doch einmal bei den englischen Sozialisten in dieser Richtung aufklärend wirkte. Ich habe noch im Frühjahr dieses Jahres von Denis Healey von der Hauptleitung der Labour-Partei einen Vortrag gehört, der auch von der Gleichberechtigung, die Deutschland in der europäischen Gemeinschaft finden sollte, schöne Töne machte; aber er machte dann soundso viele Ausnahmen. Ich glaube, meine Damen und Herren, wir sind uns zu gut, die Pflichten bei einem solchen Zusammengehen auf uns zu nehmen, wenn wir nicht dieselben Rechte haben, die die anderen durchaus mit Recht für sich in Anspruch nehmen.

    (Beifall.)

    Man redet soviel von Sicherheit. Ich glaube, daß es nicht sehr glorreich ist, gegenüber dem abgerüsteten deutschen Volk heute noch und immer wieder dann in ein hysterisches Sicherheitsgeschrei auszubrechen, wenn Deutschland durchaus nicht unbegründete Forderungen anmeldet. Wir sind bereit, den anderen die gleiche Sicherheit zu geben, die sie uns geben wollen.

    (Zuruf von der KPD: Großdeutschland!)

    — Ich glaube, meine Herren von links, daß Sie nicht nur ein — allerdings sehr einseitig gekennzeichnetes — Großdeutschland, sondern wahrscheinlich noch ein größeres Rußland anstreben.

    (Zuruf von der KPD: Denkste! Denkste!)

    Da wir jetzt im Goethe-Jahr leben, möchte ich noch auf eines hinweisen. Es ist bereits sehr viel über Goethe gesprochen worden; aber ich finde: es war nicht sehr glücklich, daß man in einem I Jahr, das einem Mann geweiht war, der sich zum Starken, zum Großen bekannte, der die Worte prägte: „Allen Gewalten zum Trutz sich erhalten", einen Mann in den Mittelpunkt der Ehrungen stellte, der in Wirklichkeit gar kein deutscher Mann ist.

    (Zurufe links.)

    Zu einer Zeit, in der ein aufrüttelndes, ermunterndes Wort für Deutschland so unerhört viel bedeutet hätte, goß er die ganze stinkende Jauche seines ätzenden Spottes über das deutsche Volk aus. Von diesem Mann hat einmal ein Schweizer gesagt, daß er auch nicht dadurch zu einem großen Dichter würde, daß er Dinge, die in Klarheit und Eindeutigkeit und Einfachheit mit wenigen Sätzen in der Bibel zum Ausdruck gebracht sind, in zwei dicken Schmökern verarbeitet. Dieser Schweizer hat von diesem selben Mann erklärt, er hoffe als Schweizer, daß dieser Mann nicht länger als Praeceptor Germaniae gelte. Ich muß sagen, daß es eigentlich beschämend für Deutschland gewesen ist, daß man diesen Mann in den Mittelpunkt der Ehrungen stellte. Wir haben auch heute noch deutsche Dichter, Dichter, die weiß Gott noch mehr Anerkennung hätten finden müssen als dieser Mann.

    (Zurufe links: Blunck und so weiter!)

    Wenn ich mich eben zu Europa bekannt habe, dann will ich zum Schluß den Mächten, die immer so viel davon gesprochen haben, daß sie Europa erretten wollen, das Wort eines wirklich großen Dichters zurufen, nämlich das Wort Kolbenheyers: „Ihr wollt Europa retten? — Rettet zuerst Deutschland, dann werdet ihr Europa retten können!"

    (Rufe von der KPD: Sieg Heil! Sieg Heil! Sieg Heil!)