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    Deutscher Bundestag — 7. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. September 1949 47 7. Sitzung Erster Tag Bonn, Donnerstag, den 22. September 1949. Geschäftiche Mitteilungen 47B, 67C, D Fortsetzung der Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung . . . 47B Ewers (DP) 47C Dr. Seelos (BP) 53D Reimann (KPD) 58C Dr. Adenauer, Bundeskanzler . . . 67A Unterbrechung der Sitzung . 67C Loritz (WAV) 67D Frau Wessel (Z) 72B Dr. Richter (DRP) 80A Clausen (SSW) 85C Dr. Edert (Parteilos) 86B Fortsetzung der Sitzung 87C Die Sitzung wird um 10 Uhr 11 Minuten durch den Präsidenten Dr. Köhler eröffnet.
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    Rede von Alfred Loritz


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (WAV)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (WAV)

    Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben vorgestern anläßlich der Regierungserklärung aus dem Mund des Herrn Bundeskanzlers eine Reihe von sehr wohl abgewogenen und sehr treffend formulierten Erklärungen gehört. Wir haben programmatische Darlegungen des Bundeskanzlers vernommen, wie er und seine Regierung sich für die nächste Zeit die Arbeit auf den verschiedenartigsten Gebieten vorstellt, auf dem Gebiet der allgemeinen Wirtschaft, der Beseitigung der Arbeitslosigkeit, des Wohnungsbaues, der Fürsorge für die Kriegsversehrten, die Heimatvertriebenen und andere Schichten der Bevölkerung.


    (Loritz)

    Meine Damen und Herren, wir von der WAV haben dazu folgendes zu bemerken. Uns kommt es nicht darauf an, ob in all diesen Sätzen wirklich alle Berufsstände mit Worten bedacht sind; uns kommt es nicht darauf an, ob vielleicht der eine Berufsstand in der Regierungserklärung drei Sätze mehr und der andere einen Satz weniger zugeteilt bekommen hat. Uns kommt es überhaupt nicht auf Worte an; denn die Regierungserklärungen - wieviele haben wir in den letzten Jahren schon gehört? — gleichen einander wie ein Ei dem andern, und sie müssen wohl auch einander weitestgehend gleichen. Worauf es heute angesichts der ungeheuren Not unserer Zeit ankommt, sind keine Erklärungen mehr, sondern sind nur noch Taten, und wir werden nach dem Bibelwort verfahren. An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen! Wir werden diese Regierung nach ihren Früchten und nur danach beurteilen, aber nicht danach, ob jetzt vielleicht ein Satz etwas treffender und besser formuliert ist als der andere. Wir werden nicht skrupulös jedes Komma in der Rede des Kanzlers untersuchen. O nein! Wir werden sehen, was diese Regierung fertigbringt. Die Früchte brauchen — das geben wir der Regierung ohne weiteres zu — einige Zeit zum Reifen. Aber lange Zeit ist dafür nicht vorhanden. Wir rufen der Regierung nur eines zu: Eilt, eilt! — denn die Not unseres Volkes ist ungeheuerlich groß, und ich möchte beinahe sagen: es ist schade um jeden Tag, an dem die Regierung davon abgehalten wird, sofort an die Arbeit zu gehen.

    (Lebhafter Beifall rechts.)

    Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ungeheuerlich groß ist die Not unseres Volkes überall, wo Sie hinsehen: draußen auf den Straßen, in den Baracken, wo die Flüchtlinge wohnen, bei den Kriegsversehrten, die oft nicht einmal soviel Geld haben, um sich eine Prothese für ihren Beinstumpf anschaffen zu können, bei den Kriegerwitwen und Kriegerwaisen, bei dem Mittelstand, der heute wiederum am Verarmen ist; denn gerade die kleinen Geschäftsleute sind es, denen es schlecht geht, während die großen Schieber glänzend dastehen. Was haben denn die kleinen Geschäftsleute in ihrer Kasse? Eine Reihe von geplatzten Wechseln. Und wie sieht es sonst im Wirtschaftsleben aus? Böse genug!
    Wir können nicht den Optimismus teilen, daß es schon so glänzend aufwärts ginge. Ja, für Hunderttausende von Großschiebern in diesem Land geht es aufwärts; aber für die breite Masse der Bevölkerung geht es nicht aufwärts. Gerade darauf kommt es aber nach unserem Dafürhalten an, daß die breite Masse unserer Bevölkerung endlich einmal einen Lebensstandard bekommt, daß das Leben auch lebenswert genannt werden kann. Dieser Standard wäre möglich. Es ist Zeug genug da, auf allen möglichen Gebieten! Unser Volk ist auch fleißig und arbeitsam wie von jeher. Die Ursache dafür, daß es nicht so aufwärts geht, wie wir das wünschen und wie es wenigstens auf den Gebieten, in denen uns auswärtige Mächte nichts dreinreden, möglich ist, muß also irgendwoanders liegen.
    Wir haben eine Wunschliste für den Herrn Bundeskanzler und seine Regierung. Wir wollen uns fetzt mit keinem Satz dabei aufhalten, die Rede des Herrn Bundeskanzlers zu zerpflücken. O nein! Wir möchten ihm nur namens unserer Wähler sagen, was wir von der Regierung erwarten. Es ist heute noch nicht die Zeit, darüber zu reden, wie es die Regierung im einzelnen machen wird. Wir werden es sehen. Ich sagte schon, daß wir diese Regierung nach ihren Taten und sonst nach gar nichts anderem beurteilen werden. Sine ira et studio werden wir die Arbeit der Regierung unter die Lupe nehmen, weder mit Voreingenommenheit noch mit der Gewährung von Vorschußlorbeeren. Aber eines möchten wir die Regierung bitten: geht raschestens an die Arbeit; denn die Not ist ungeheuerlich groß.
    Das Problem der Heimatvertriebenen muß endlich einmal richtig in Angriff genommen werden; denn es ist eine Kulturschande für unser Land, wenn Millionen von Heimatvertriebenen in schäbigen Holzbaracken logieren müssen.

    (Zuruf: Und in Bunkern!)

    — Und in Bunkern — ganz richtig — und teilweise sogar im Freien! Ich kenne Heimatvertriebene, die noch nicht einmal eine Holzbaracke haben oder darauf verzichten, während des Sommers darin zu wohnen, weil die Holzbaracken bekanntlich so verlaust und in einem solchen Zustand sind, daß man einfach nicht darin wohnen kann. Mein Freund Götzendorf, selbst ein Heimatvertriebener, wird über das Problem der Heimatvertriebenen noch ausführlicher zu reden haben.
    Aber eines freut mich in der Regierungserklärung: daß nämlich die Regierung so klare Worte hinsichtlich der Oder-Neiße-Linie gesprochen hat. Wir alle — ohne Rücksicht auf Partei — werden niemals die Oder-Neiße-Linie anerkennen.

    (Lebhafter Beifall.)

    Aber eins habe ich in der Regierungserklärung vermißt. Genau so wie uns Schlesien und Pommern, wie uns Ostpreußen und alle diese übrigen deutschen Gebiete am Herzen liegen, genau so liegt uns auch das Schicksal der Deutschen in den Gebieten in Böhmen und Mähren am Herzen.

    (Sehr richtig! rechts.)

    Genau so wie Schlesien gehört auch Deutsch-Böhmen zu uns, zu Deutschland. Die Deutschen in Böhmen haben 1919 ausdrücklich erklärt, daß sie lediglich in den neuen tschechischen Staat hinein vergewaltigt worden sind, daß sie aber niemals de jure anerkennen, daß dieses deutsch-böhmische Gebiet Gebiet der Tschechoslowakei sei. Ich möchte hier keineswegs dem Herrn Bundeskanzler irgendwelche Absichten unterstellen. Es ist vielleicht nur im Laufe der Rede vergessen worden. Deswegen kam auch ein Zwischenruf von unserer Seite. Ich glaube, daß die Bundesregierung genau so wie wir alle der Auffassung ist: Deutsch-Böhmen ist genau so deutsches Gebiet wie Schlesien und Pommern und Ostpreußen!
    Meine sehr verehrten Damen und Herren! Aber mit der Hoffnung auf Rückkehr der Flüchtlinge, mit der Hoffnung darauf, daß endlich einmal dieses furchtbare Unrecht, das in Jalta und später am deutschen Volk begangen worden ist, mit der Hoffnung allein, daß das wieder gutgemacht wird, können wir uns noch nicht begnügen. Wir müssen eine rascheste Eingliederung der Heimatvertriebenen in die einheimische Wirtschaft haben, und dann wird sich ja bald herausstellen, daß das, was die Heimatvertriebenen mitgebracht haben — aus Böhmen und Mähren und überallher sonst, ich nenne von diesen Flüchtlingsindustrien nur die Gablonzer Industrie und die Graslitzer Industrie


    (Loritz)

    —, wahre Goldgruben für die Flüchtlinge genau so wie für die Einheimischen werden können. Und so bitten wir den Herrn Bundeskanzler und die Bundesregierung ganz besonders, ihr Augenmerk dem Schicksal der Flüchtlinge und ihrer Industrien zuwenden zu wollen!
    Das zweite, ebenso wichtige Problem, von dem wir hoffen und erwarten, daß es die Bundesregierung mit aller Kraft angehen wird, ist das Problem der Arbeitslosigkeit. Wir warnen vor jeder theoretischen Betrachtung der Lage, vor einer Betrachtung, wie sie in den Sälen der Universität bei angehenden Studenten vielleicht am Platze sein mag, denen man die theoretischen Grundbegriffe des Wissens erst beibringen muß, die in der Praxis aber vollkommen fehl am Platze ist. Wir warnen vor einem Auspendelnlassen der Arbeitslosen, wir warnen davor mit aller Kraft, weil es sich hier nicht um totes Metall und tote Uhrenpendel handelt, sondern um lebende Menschen, und der Mensch muß Mittelpunkt des ganzen Staates sein. Nur das ist wahre Demokratie, alles andere ist Spiegelfechterei.

    (Beifall bei der WAV.)

    Wir warnen vor einem. Auspendelnlassen der Arbeitslosenziffer. Die Arbeitslosenziffer ist schon hoch genug, viel zu hoch schon. Wir müssen unter allen Umständen an ihre Beseitigung und ihren Abbau herangehen.
    Da kann ich nicht ganz dem Optimismus der Regierungserklärung folgen, die meint, daß schon lediglich durch eine Belebung des Baumarktes die Arbeitslosen weitgehend zum Verschwinden gebracht werden könnten. So einfach ist das Ding doch nicht! Ganz besonders aber möchte ich warnen, vielleicht die einen Arbeitslosen in die Arbeit hineinzubringen und dafür andere Hunderttau-'sende, die jetzt noch gerade mit Mühe und Not im Lebenskampf durchkommen, zu Arbeitslosen werden zu lassen, und zwar dadurch, daß man einen der wichtigsten Ausgabenposten im Budget des kleinen Mannes in die Höhe steigen läßt: ich meine den Ausgabenposten an Mieten. Die Miete ist genau so wie der nackte Lebensunterhalt eine der wichtigsten Ziffern im Budget des kleinen Mannes, und wehe, wenn wir heute zu Mietpreiserhöhungen kommen würden! Ich glaube, sogar im Namen von Tausenden von Hausbesitzern zu sprechen, wenn ich Ihnen sage: das ist nicht einmal das Ziel der Vernünftigen unter den Hausbesitzern. Wir müssen selbstverständlich dazu kommen, daß wiederum Beträge für die Reparatur von Wohnungen bereitstehen. Wir kennen ganz genau die Lage auf diesem Gebiet. Aber niemals kann das durch eine Mietzinssteigerung erreicht werden. Das muß durch etwas ganz anderes erreicht werden: das muß dadurch erreicht werden, daß die irrsinnig hohen Steuerlasten, die auf dem Hausbesitz ruhen, endlich abgebaut werden; denn der Hausbesitzer ist ja heute nichts anderes mehr als der Kassenbote des Finanzamtes.

    (Beifall bei der WAV.)

    Wir können etwas ganz anderes tun: wir können Mittel für die dringlichst notwendigen Reparaturen der Häuser bereitstellen, ohne die Mieten zu erhöhen, denn jede Mieterhöhung würde sofort die Schraube ohne Ende in Bewegung setzen. Wir müssen endlich einmal die wahnsinnig überhöhten Mietzinssteuern herunterbringen, und soweit es Sache der Länder auf diesen Gebieten ist, wird der Bund irgendwie dann einen Ausgleich für die Länder zu schaffen haben, daß wir dann von selbst auch hier dringendst notwendige Maßnahmen treffen können; wie es ja überhaupt Sache der Bundesregierung sein wird, die Tätigkeit der Länder endlich einmal zu koordinieren und endlich einmal in eine gleiche, für das ganze Deutschland nützliche und heilsame Richtung zu bringen. Wir warnen also die Regierung vor Mietpreiserhöhungen aller Art!
    Vor noch etwas warnen wir diese Regierung — auch darüber sind einige Sätze im Regierungsprogramm gesprochen worden, die aber, wenigstens nach unserem Dafürhalten, noch nicht klar und eindeutig ausgelegt werden können —: wir warnen die Regierung davor, ohne weiteres und unbesehen dem Beispiel anderer Staaten zu folgen, die in einer ganz anderen Lage als wir sind. Wir warnen die Regierung, hier einfach in das kalte Wasser nachzuspringen, selbst dann, wenn andere uns vorausgesprungen sind. Wir warnen vor einer Währungsdevalvation. Wir warnen vor einem neuerlichen Währungsschnitt, und wir können den Beruhigungserklärungen leider — ich sage: leider — nicht Glauben schenken, diesen Beruhigungserklärungen, die schon in der Bundeskanzler-Erklärung angedeutet sind: „Na, Kinder, so schlimm wird's ja wohl nicht werden! Es wird nur vielleicht eine Verteuerung um einige Prozent bei deal Import-Artikeln geben, wenn wir jetzt die D-Mark um 20 oder 30 Prozent herabwerten lassen, und das wird sich dann im allgemeinen Preisgefüge verlaufen. Es wird keineswegs dazu führen, daß das gesamte Lohn- und Preisniveau ins Rutschen kommt!" Wir glauben dieser Beruhigungserklärung nicht! Warum? Weil jeder, der schon mal zwei Semester lang Volkswirtschaftslehre gehört hat, weiß, daß jede Regierung nach jeder Währungsabwertung schon solche Erklärungen abgegeben hat. Und Währungsabwertungen haben wir in den letzten Jahrzehnten in ganz Europa bisher schon am laufenden Band gehabt. Und was ist denn dabei herausgekommen?
    Schauen wir die berühmte Franc-Abwertung aus dem Jahre 1936 an, die als Schulbeispiel herangezogen wird! Schauen wir andere Abwertungen in anderen Ländern an! Was ist herausgekommen? Nach wenigen Monaten war es so, daß die Preise für die wichtigsten Warengattungen sich wieder dem ursprünglichen Niveau weitgehend angegliedert haben, also an den inhärierenden Goldwert. Nach wenigen Monaten war die Wirkung einer Abwertung verpufft. Die Leidtragenden und die Dummen bei der ganzen Sache waren die ehrlich Arbeitenden, waren die Arbeiter, die Angestellten und die kleinen Geschäftsleute.

    (Beifall bei der WAV.)

    Die Leidtragenden waren jene, deren Löhne und deren Einnahmen nur mühselig hinter der Steigerung der Preise nachhumpeln konnten.
    Wir glauben nicht, daß hier eine Abwertung der D-Mark ohne allzu große Folgen für das Preisniveau sein und bleiben würde. Wir glauben etwas ganz anderes: daß nämlich unmittelbar nach der Währungsabwertung das gesamte Preis- und Lohngefüge ins Rutschen kommt und daß daraus die schädlichsten Spannungen und Streitigkeiten bei uns entstehen können. Der Erfolg wird am Schluß nur der sein, daß das mühsam für die D-Mark gesammelte Vertrauen wiederum restlos zerstört wird.

    (Sehr richtig! bei der WAV.)

    England hat durch die Abwertung wenigstens etwas bekommen: England hat durch die Abwertung seine Staatsschulden um 30 oder wieviel Prozent heruntergebracht. Wir selbst sind in einer ganz anderen Lage. Unsere Staatsschulden sind ja weitestgehend durch die Währungsreform aufgeflogen und


    (Loritz)

    beseitigt worden. Für uns trifft dieser Vorteil einer Abwertung nicht zu. Wir haben nur Nachteile — ich betone: nur Nachteile! Ich glaube nicht an den Vorteil einer Abwertung der D-Mark. Ich glaube ganz besonders deshalb nicht daran, weil wir auf lange Jahre, vielleicht auf Jahrzehnte hinaus bedeutend mehr importieren müssen, als wir exportieren können.

    (Sehr richtig! bei der WAV.)

    Wir müssen uns nicht einseitig dem Sterlingblock anschließen und ihm nachfolgen. Wir werden auf lange Zeit hinaus vielmehr Anlehnung suchen müssen an die Währung, die jetzt fest geblieben ist, also an die Dollarwährung, nachdem Amerika auf lange Zeit hinaus zum größten Teil wohl die Importe bestreiten wird und muß, ohne daß noch Gegenwerte aus den deutschen Exporten in entsprechender Höhe zur Verfügung stehen. Bis es einmal so weit ist, dürften sich die Preise am Weltmarkt schon lange wieder so angeglichen haben, daß aus einer heutigen Abwertung kein Vorteil entstehen würde.
    Ich weiß selbstverständlich: wir sind noch nicht ganz frei auf allen Gebieten. Es ist leider noch nicht so, daß die Bundesregierung die letzte und einzige Entscheidung auf diesen Gebieten in der Hand hat. Das ist, weiß Gott, kein Vorwurf gegen die Bundesregierung, sondern ein Vorwurf gegen ganz andere Leute. Aber ich kann mir nicht denken, daß dann, wenn die Bundesregierung gegenüber der ganzen Weltöffentlichkeit fest und klar ihren Standpunkt kundgibt und erklärt: wir wollen keine Abwertung der mühsam erworbenen D-Mark, die Alliierten darüber einfach zur Tagesordnung übergehen können.
    Meine Damen und Herren, dieses Problem beunruhigt uns von der WAV ganz besonders, dieses Problem, aus dem sich hunderterlei andere Probleme entwickeln werden, gerade jetzt bei beginnender Wintersaison, wo in kurzer Zeit die Arbeitslosigkeit schon rein saisonmäßig ansteigen wird. Wir sehen mit größter Sorge der Zukunft entgegen. Eine Herabsetzung der Exportpreise für die deutschen Waren, die zweifelsohne nach der Sterling-Abwertung notwendig sein wird, um konkurrieren zu können, müssen wir auf andere Art und Weise erzielen als durch einen Währungsschnitt. Wir müssen und können diese Herabsetzung dadurch erreichen, daß wir endlich einmal die Wirtschaft weitgehend von den unerhört hohen und einfach nicht mehr tragbaren Steuerlasten befreien, die auf der Produktion und auf der gesamten Wirtschaft ruhen. Im Altertum hat man gesagt, man könne vom Volk nur den Zehnten verlangen und nicht mehr. Was wären wir froh, wenn heute nur der Zehnte aus allen Einkünften der Wirtschaft und der Steuerzahler verlangt würde!

    (Zustimmung.)

    Wir müssen eine Herabsetzung der Steuern bekommen. Dann können wir die Produktion auch im Export ohne weiteres verbilligen und auch dort, wo es nötig ist um auf dem Weltmarkt von der englischen Konkurrenz nicht allzu scharf in den Hintergrund gedrängt zu werden.
    Wie gesagt: dieses Problem soll man nicht theoretisch angehen, noch dazu nicht angesichts der Tatsache, daß es ja nun einmal so ist, daß wir auf lange Zeit hinaus, mindestens noch für die nächsten Jahre und vielleicht Jahrzehnte darauf angewiesen sind, von Amerika her riesige Mengen an Lebensmitteln und sonstigen Gütern zusätzlich zu importieren, wobei die Bezahlung dieser Güter nicht ohne weiteres gleich wird erfolgen können.
    Aus allen diesen Gründen werden wir durch einen schematischen Währungsabwertungsschnitt nur verlieren, nicht dagegen gewinnen können. Wir bitten — ich wiederhole es — gerade angesichts der Wichtigkeit der Dinge diese Regierung, unter gar keinen Umständen so bereitwillig mitzumachen und gleich dem englischen Beispiel zu folgen. Wir Deutschen müssen doch nicht gleich wie ein Pudel jedesmal sofort bereitwillig durch jeden Reifen hindurchspringen, den man uns entgegenhält.

    (Bravorufe und Händeklatschen bei der WAV.) Das zu diesem Problem.

    Wir können allerdings — das sagte ich schon — die Währung nur dann auf dem Stande von heute halten, wenn wir die Produktion dadurch weitgehend verbilligen, daß wir mit den Steuern heruntergehen. Da habe ich nun große Befürchtungen; denn es ist meistens so: zuerst kommt der Minister, dann kommen fünf Ministerialdirektoren als Abteilungsleiter, dann kommen zwanzig Ministerialräte, und dann wird der Apparat immer größer und umfangreicher. Selbst wenn der Minister bremst, dann sorgen die Herren Ministerialdirektoren und Ministerialräte schon von selbst dafür, daß dieser Bremsdruck nicht allzu stark wirksam wird und immer weiter und weiter Personal eingestellt wird; denn man muß ja seine Notwendigkeit im Amt beweisen. Der beste Beweis aber für die Herren Bürokraten für ihre absolute Notwendigkeit war es noch stets, eine möglichst große Zahl von Aktennummern zu haben, damit man im Schlußbericht alle Vierteljahre oder alle Jahre sagen kann: „Schaut mal an, wie umfangreich der Aufgabenbereich unseres Ministeriums ist!" Da darf der Minister noch so wohlmeinend bremsen — und ich sehe schon ein Lächeln auf der Regierungsbank, ein Lächeln des Einverständnisses damit —,

    (große Heiterkeit — Bravorufe und Händeklatschen bei der WAV)

    da darf man noch so bremsen, meine Damen und
    Herren, da sind manchmal die Ministerialräte und
    Oberregierungsräte stärker als die Herren Minister.
    Diesen Anfängen gilt es zu wehren, meine Damen und Herren, und wir bitten diese Regierung händeringend: Seid sparsam bei der Aufstellung des Personaletats!

    (Erneuter lebhafter Beifall bei der WAV.)

    Wir können es uns nicht mehr leisten! Wir haben sowieso schon eine Länderbürokratie in fast allen deutschen Ländern, die phantastisch groß ist. Wollen wir jetzt auch noch eine Bundesbürokratie schaffen, die ebenso groß oder vielleicht noch größer ist? Wer soll das alles bezahlen? Letzten Endes zahlt es immer nur unsere Wirtschaft und zahlen es unsere Steuerzahler. Wir möchten der Regierung vor allem das mit auf den Weg geben: Tut alles, um den Behördenapparat möglichst klein zu halten; denn die Wirksamkeit und die Güte eines Ministeriums vermindert sich in geometrischer Progression mit der Zunahme der Beamtenstellen im Ministerium.

    (Lebhafte Zustimmung.)

    Das steht für jeden fest, der schon einmal ein Ministerium, und sei es nur kurze Zeit, geleitet hat.

    (Große Heiterkeit. — Zuruf: Sie sprechen aus Erfahrung?)

    Jeder in diesem Hause ohne Rücksicht auf die Parteieinstellung wird mir hierin recht geben, und es wird die hohe Aufgabe gerade dieses Bundesparlaments sein, immer und immer wieder dafür zu sorgen, daß nicht hier von einer Beamtenbürokratie


    (Loritz)

    aus ein übersetzter Beamtenapparat aufgebaut wird, der den Steuerzahlern einfach nicht mehr tragbar erscheint.
    Ich möchte nun ein Wort wiederholen, das wir von der WAV schon vor drei Jahren geprägt haben. Es freut mich immer, wenn solche Formulierungen dann von großen Parteien aufgenommen und wiederholt werden. Wir möchten eines nicht erleben: daß nämlich irgendeine politische Partei, heiße sie, wie sie wolle, zu einem Stellenvermittlungsbüro für alle die Bewerber wird, die sich zu Hunderten, ja zu Tausenden schon melden, um in diese neue Bundesbeamtenschaft aufgenommen zu werden. Wenn das wahr ist, was in einigen Zeitungen stand: an einem einzigen Tage über 700 Stellengesuche und Bewerbungen von Beamten aller Art, die nach Bonn hergeflattert sind, dann beneide ich den Herrn Bundeskanzler und seine Regierung weiß Gott nicht um die Aufgabe, hier Spreu vom Weizen zu sondern und aus diesem Wust und aus diesem Berg von Stellengesuchen die wirklich Fähigen — das werden wahrscheinlich nur wenige sein — herauszupicken

    (große Heiterkeit)

    und als Regierungsräte und Oberregierungsräte und so weiter auf die Posten zu stellen, auf denen sie wirklich produktive Arbeit leisten können.
    Meine Damen und Herren, es gibt noch eine Reihe wichtigster Probleme, zu denen wir einiges Wenige sagen möchten: das Problem der Kriegsversehrten, der Kriegerwitwen, der Kriegshinterbliebenen. Wenn man einmal hineingeschaut hat in die Elendsquartiere dieser anständigen Menschen, dann möchte man es oft nicht für möglich halten, wie es da zugeht, wie Leute mit 20 oder 30 Mark im Monat leben müssen. Es ist bewundernswert,
    was unser Volk alles erduldet. Aber das darf uns nicht dazu führen, daß wir hier denken: na, das ist bisher schon so gegangen, das kann noch weiter so gehen; diese armen Teufel werden sich schon nicht rühren. — Nein, wir müssen jetzt endlich einmal, und zwar von Bundes wegen, mit einer umfassenden Regelung der Versorgung dieser Ärmsten unseres Volkes herauskommen, die ihre Pflicht und sonst gar nichts getan haben, ihre Pflicht gegenüber ihren Mitbürgern, die ins Feld hinausgezogen sind nicht aus Begeisterung am Kriegführen. O nein, wir alle oder fast alle, die wir hier sitzen, wissen es, wie bedrückt am 25. August 1939 ganze Regimenter ausmarschiert sind, wie bedrückt, ohne Lachen auf den. Gesichtern, diese Menschen hinausgegangen sind. Man hat sie hinauskommandiert; es war nicht ihr freier Wille. Sie haben draußen ihre Pflicht getan gegenüber ihren Mitbürgern, gegenüber ihren Kameraden, die sie herausgeholt haben, wenn sie verwundet waren, und die sie noch aus den Stacheldrahtverhauen zurückgebracht haben. Diesen Menschen möchten wir von der WAV unseren ganz besonderen Dank zum Ausdruck bringen.

    (Beifall bei der WAV.)

    Meine Damen und Herren, der Herr Bundeskanzler hat mit Recht einer ganzen Reihe von Organisationen im In- und Ausland, dem Roten Kreuz und vielen anderen, namens des ganzen deutschen Volkes wärmstens gedankt für das, was diese Organisationen für unsere Mitbürger getan haben. Ich glaube, wir müßten zu diesem Dank auch noch eines zum Ausdruck bringen, nämlich den unendlichen Dank unseres ganzen Volkes all denen unserer Mitbürger gegenüber, diesen Millionen von Mitbürgern, die brav und anständig gewesen sind, ihre Pflicht getan haben und namenloses Elend
    durchgemacht haben; den Dank an die, die draußen waren, ohne daß sie deswegen Militaristen gewesen sind; den Dank genau so an die, die herinnen gestanden sind, beim Löschen der Brände ihren Nachbarn geholfen und nicht viel danach gefragt haben, ob sie am nächsten Tag bei einer Kasse eine Bezahlung dafür in Empfang nehmen konnten; und schließlich seit 1945 den Dank an unser ganzes deutsches Volk, das sich in bewundernswerter Art und Weise benommen hat

    (Händeklatschen bei der WAV)

    mit Ausnahme einiger hunderttausend Großschieber, Währungsreformgewinnler und ähnlicher schmutziger Subjekte, die aus der Not unseres Volkes Golddukaten geschlagen haben.

    (Sehr richtig!)

    Denen allen müßte man danken, und es hätte uns sehr gefreut, wenn die Regierungserklärung darüber Näheres enthalten hätte, und zwar ausführlich.
    Bewundernswert war und ist die Haltung unseres Volkes. Ich frage Sie: welche anderen Völker hätten sich wohl so diszipliniert, so anständig und ruhig benommen, wenn sie pro Monat 150 Gramm Fleisch und 75 Gramm Fett bekommen hätten und sonst gar nichts außer ein bißchen schlechtes Brot und ein paar Kilo Kartoffeln? Das waren doch die Lebensbedingungen unseres Volkes. Unser heißester Dank muß daher diesen allen gelten, namentlich all den Millionen von Hausfrauen, die alles getan haben, um durchzuhalten. Deshalb freut es uns ganz besonders, daß der Herr Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung auch der Frauen und der Frauenprobleme eigens gedacht hat.
    Meine Damen und Herren, der Herr Bundeskanzler hat in seiner Erklärung sehr richtig gesagt: Wir können uns nicht auf ewige Zeiten darauf verlassen, daß uns aus dem Ausland all das gegeben wird, was wir nicht selbst erarbeiten und kaufen können. Wir müssen unsere Produktion erhöhen, und das Alpha und Omega der ganzen Regierungstätigkeit soll sein: wie kann die Produktion in diesem Lande erhöht werden? Allerdings, ich muß schon sagen: schematisch geht das nicht. Wir lehnen jeden Schematismus und jeden Doktrinarismus auf diesem Gebiete ab. Schlagwörter haben hier sehr wenig Bedeutung. Wir glauben, daß von Fall zu Fall in empirischer Art und Weise der Herr Wirtschaftsminister und die Regierung sich bei jedem einzelnen Tatbestand immer wieder darüber schlüssig werden müssen, was zu geschehen hat oder nicht. Hier kann nicht mit Allerweltsrezepten oder grauen Theorien etwas erreicht werden. Eines allerdings, meine Damen und Herren, muß beseitigt werden: es darf nicht so weitergehen, daß heute in weiten Gebieten Deutschlands das Bauholz zum großen Teil keinen Absatz mehr findet deswegen, weil nicht genügend Nachfrage da ist, weil nicht genügend gebaut wird. Ich kenne Ziegeleien in der Umgebung meiner Vaterstadt, die die Produktion sogar drosseln und herabsetzen, weil zu wenig Nachfrage nach Ziegelsteinen besteht.

    (Zuruf rechts: Weil kein Geld da ist!)

    — Sehen Sie, solche Dinge dürfen nicht mehr passieren.
    Es darf auch nicht so weitergehen, daß wir heute allein in der Bizone über 250 000 arbeitslose Bauhandwerker haben, für die Arbeit in Hülle und Fülle auf Jahrzehnte hinaus vorhanden wäre. Hier fordern wir die Regierung auf, tatkräftig einzuschreiten, wobei wir allerdings davor warnen, das


    (Loritz)

    Heil in einer uferlosen Kreditausweitung erblicken zu wollen. Wir würden etwas ganz anderes begrüßen, nämlich eine Herabsetzung der Staatsausgaben, namentlich der Ausgaben für Zehntausende von Beamtenposten, die in den letzten Jahren künstlich und ohne Notwendigkeit geschaffen oder mit unfähigen Leuten besetzt worden sind. Durch einen Abbau aller dieser Posten würden wir zu Ersparungen gelangen, die sich sehen lassen könnten und die groß genug wären, um riesige Beträge für den Wohnungsbau und andere dringende Sofortmaßnahmen abzweigen zu können.
    Ein Redner hat sich hier über die Förderung der Landwirtschaft ausgelassen. Er sagte: wir müssen unter allen Umständen die landwirtschaftliche Produktion dadurch in die Höhe bringen, daß wir den Hackfruchtanbau intensivieren. Lassen Sie mich bitte eines dazu sagen. Es ist doch heute so, daß in einigen Gebieten Deutschlands der Hackfruchtanbau zur Zeit schon deswegen reduziert wird, weil nicht genügend landwirtschaftliche Arbeitskräfte da sind

    (Sehr richtig! bei der WAV)

    oder vermittelt werden können. Sehen Sie, das sind einige dieser Fehldispositionen auf dem Gebiete des Wirtschaftslebens, wo wir die neue Bundesregierung dringendst bitten, hier endlich einzugreifen, weil es wirklich höchste Zeit ist. Wie kann man denn den Hackfruchtanbau und Zuckerrübenanbau, die bekanntlich enorm arbeitsintensive Anbauarten sind, intensivieren, wenn heute nicht einmal den Bauern genügend landwirtschaftliche Kräfte zur Verfügung stehen, um die bisherige Produktionsweise weiterhin durchführen zu können?

    (Sehr richtig! bei der WAV.)

    Hier muß der Staat, hier muß der Deutsche Bund entsprechend eingreifen, und zwar so rasch wie möglich.
    Meine Damen und Herren, es gäbe noch so viel zu sagen zu den einzelnen Punkten des Regierungsprogramms. Wir wollen es uns ersparen, hier allzulange darüber zu reden. Denn jede Stunde, die der Regierung an Zeit durch Debatten weggenommen wird, geht ihr für produktive Arbeit verloren.

    (Sehr richtig! in der Mitte. — Der Bundeskanzler klatscht Beifall. — Heiterkeit.)

    Wir werden in einigen Monaten sehen, wie es diese Regierung bewerkstelligen wird. Wir werden in einigen Monaten sehen, ob diese Regierung auf alten, ausgefahrenen Geleisen fortfahren wird oder ob sie neue, konstruktive Ideen haben wird, die endlich einmal unsere Wirtschaft aufwärtsbringen können. In einigen wenigen Monaten schon wird es sich die Regierung gefallen lassen müssen, daß wir uns hier darüber ausführlichst unterhalten. Bis zu diesem Zeitpunkt aber — ich wiederhole es — werden wir von der WAV ohne Haß und ohne Vorschußlorbeeren-Gewährung diese Regierung beurteilen. Wir werden sie nach ihren Taten beurteilen, und ich wünsche der Regierung nur, sie möchte recht viele gute Taten setzen zum Wohle unseres armen deutschen Volkes und unseres armen deutschen Vaterlandes.

    (Beifall bei der WAV und rechts.)



Rede von Dr. Erich Köhler
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Das Wort hat Frau Abgeordnete Wessel.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Helene Wessel


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (None)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Meine Damen und Herren, die Zentrumsfraktion, als deren Sprecherin ich zu der Regierungserklärung Stellung nehmen darf, wird, wie ich eingangs feststellen möchte, ohne Bindung an die Regierungskoalition, die bekanntlich die Kleine Koalition genannt wird, alle Maßnahmen der Regierung unterstützen, die richtig und gerecht sind, aber alles ablehnen und bekämpfen, was meinen politischen Freunden und mir von anderen Gesichtspunkten als denen des Volkswohles aus nicht richtig und gerecht erscheint. Wir sehen es als unsere Aufgabe an, Willkür und Machtmißbrauch zu verhindern, für Toleranz und Menschenachtung, Freiheit und Gerechtigkeit einzutreten, der Wahrheit zu dienen und gegebenenfalls dunkle Kräfte und Motive, die Staat und Gemeinschaft bedrohen, durchsichtig zu machen.
    Die Sprecher der Fraktionen in diesem Hohen Hause, sowohl diejenigen, die sich zur Regierung bekennen, wie auch diejenigen, die in der Opposition stehen, haben im wesentlichen ihre Haltung und ihr Programm aufgezeichnet. Wir haben auf Grund dieser Darlegungen das Empfinden, daß nicht nur Trennen des, sondern auch vieles Gemeinsame vorhanden ist, und wir können uns nicht des Eindrucks erwehren, daß man Größeres als eine kleine Koalition hätte erreichen können, wenn man von Anfang an bemüht gewesen wäre, nicht das Trennende, sondern das Gemeinsame zu finden.

    (Sehr richtig! beim Zentrum.)

    Alle wollen wir den Wiederaufbau Deutschlands in möglichst kurzer Frist, in einem ständig sich steigernden Tempo erreichen. Die Wiederherstellung zerstörter Wohnbezirke, die Lösung des Vertriebenenproblems, die Schaffung von Lebenssicherheit auch für die Ärmsten, das alles sind Notwendigkeiten, denen sich niemand verschließen kann, ganz gleichgültig ob er zur Regierung oder zur Opposition gehört. Diesen Notwendigkeiten kann sich auch das Ausland nicht verschließen. Wir haben das Verhalten des Auslandes und seine Stellung zu unserem Volk nach dem Zusammenbruch der Katastrophenpolitik des Nationalsozialismus erlebt, wir haben es erlebt in den menschlichen Hilfeleistungen, wie sie auch vom Herrn Bundeskanzler gezeigt worden sind, in den Hilfeleistungen jener Völker und Staaten, die als Sieger aus diesem zweiten Weltkrieg hervorgegangen sind. Zu jenen, die der Herr Bundeskanzler genannt hat, dem Roten Kreuz, dem Vatikan, der Ökumene von Genf, glauben wir noch hinzufügen zu müssen die Hilfe der Quäker, der Heilsarmee, der Mennoniten, der nordischen Länder, der Schweiz wie aller jener Organisationen und auch Einzelpersonen, die oft unter persönlichen Opfern für die Fürsorgeorganisationen oder für einzelne Familien in Deutschland gesorgt haben. Meine Damen und Herren, es bedeutet keine nationale Würdelosigkeit, wenn man dafür dankbar ist. Wir müssen den Mut zu dieser Wahrheit auch gegenüber jenen nationalistischen Phrasendreschern haben, die heute schon wieder dabei sind, das Bild des deutschen Menschen in verhängnisvollster Weise zu verzeichnen.

    (Beifall beim Zentrum.)

    Wir wissen alle gemeinsam, wie schwer der Aufbau Deutschlands ist. Wir wissen, daß Millionen Menschen, wie es eben auch von meinem Vorredner gezeichnet worden ist, aus ihrer gesicherten Existenz geschleudert wurden und heute kaum das Lebensnotwendigste haben. Aber wir dürfen bei all diesem doch nicht übersehen, was sich während des Hitlerkrieges jenseits der deutschen Grenzen abgespielt und was für grauenvolle Spuren auch dort der Krieg hinterlassen hat.


    (Frau Wessel)

    Diese außenpolitische Situation gehört mit zu den Wirklichkeiten, von denen heute der deutsche Politiker ausgehen muß. Nur wenn er dieses tut, nur wenn er in den Wechselwirkungen auch das rechte Verständnis des Auslandes für unsere Verhältnisse findet, wird er gute Außenpolitik machen können. Im Rahmen des europäischen Aufbaus ist mit dem Marshallplan auch dem deutschen Volk schon beträchtlich geholfen worden, und in der Politik ist, soweit es sich jedenfalls um die westliche Welt handelt, für Deutschland ein Stand erreicht worden, der die Schaffung dieser Bundesrepublik ermöglicht hat.
    Die Wirkung der ersten Bundesregierung beginnt nun. Es ist dabei gewiß schmerzlich zu wissen, daß Deutschland seine Souveränität nur mit Einschränkungen wieder erhalten hat, die sich aus der durch die Oberkommissare ausgeübten Kontrolle ergibt. Dabei überwachen die Oberkommissare, wie ja bekannt ist, nicht nur den demokratischen Aufbau und die Friedens- und Sicherheitsgarantien allein. Schon die Unfreiheit, die auf dem Gebiete des Außenhandels geblieben ist, zeigt die Situation, in der sich Deutschland heute befindet. Nicht schnell genug kann eine andere, eine echte und dauernde
    Ordnung herbeigeführt werden. Es wird eine der
    wichtigsten Aufgaben sein, die deutscherseits in den zwischenstaatlichen Beziehungen erfüllt werden müssen, die Siegerstaaten von der Notwendigkeit eines Friedensvertrages für Deutschland zu überzeugen.

    (Beifall beim Zentrum.)

    Meine Damen und Herren! Mehr als 52 Monate sind seit der Einstellung der Kampfhandlungen vergangen, und de jure befinden wir uns noch immer im Kriegszustand. Eine Konferenz ist der anderen gefolgt, aber das Deutschlandproblem konnte nicht geklärt werden. Alles ist offen; nichts ist entschieden. Aber jeder fühlt, daß die Dinge zur Entscheidung drängen, wenn Europa überhaupt gesunden und in Ordnung kommen soll. Das Tragische an der europäischen Situation ist, daß das Dritte Reich es fertiggebracht hat, in seinen Niedergang ganz Europa zu verstricken. Mit Deutschland ist Europa an den Rand des Abgrundes gebracht worden und heute auf die Hilfe Amerikas angewiesen. Dadurch ist die Lösung des deutschen Problems so erschwert worden. So sehen wir uns in unserer Außenpolitik vor die Notwendigkeit gestellt, uns einzufügen in diese weltpolitische Situation und die deutsche Frage in Verbindung mit ihr zu betrachten. Sie kann nur im Rahmen Europas gelöst werden, wenn wir uns nicht auf den Standpunkt stellen wollen, daß wir uns von Europa lösen müssen. Es dürfte somit eine der wichtigsten Aufgaben der Regierung sein — und gerade bei dem Charakter der Regierung, die jetzt gebildet worden ist —, die richtige Stellung in der Außenpolitik zu beziehen und diese auch dem deutschen Volke klarzumachen.
    Gewiß, meine Damen und Herren, Deutschland liegt in der Mitte von Europa; aber halten wir uns frei von den nationalistischen Selbstüberschätzungen, als wenn Deutschland das Herzstück Europas in der Weltpolitik wäre. Uns tut eine kluge, abwägende Politik not, und ich möchte wünschen, daß man diese Notwendigkeit künftig nicht einmal in den Wahlkämpfen vergißt, weil uns nichts so schadet wie das törichte Wettrennen mit dem Nationalismus. Die Zentrumspartei ist durchaus nicht schlecht dabei gefahren, als sie die Konzession an den Nationalismus rundweg in ihren Wahlversammlungen ablehnte, Wer anders handelt, muß sich die Tatsache vor Augen halten, daß unser deutsches Volk zwar ein großes Einfühlungsvermögen in fremde Sprachen und Kulturen, in vergangene Zeiten und Epochen besitzt, aber daß es, wenn es sich mit den lebendigen Kräften fremder Nationen befassen soll, plötzlich jedes Augenmaß verlieren kann und von Wunschträumen und Wunschbildern zu leben beginnt, wie sie in kaum einem anderen Volk der Welt anzutreffen sind.

    (Beifall bei Zentrum und in der Mitte.)

    Wir haben, meine Damen und Herren, alle Veranlassung, unser Volk zu lieben; aber weil wir es lieben, müssen wir es davor bewahren, immer ein Opfer seiner Schwächen und Fehler zu werden. Gerade heute haben wir allen Grund, an die Wirklichkeit zu denken und einmal das. Wort wahrzumachen, das wir alle so gern in den Mund nehmen: Realpolitiker zu sein.
    Gestatten Sie mir hier die Bemerkung, daß sich nach dieser Grundeinstellung auch der Typ des deutschen Diplomaten richten muß, der uns künftig — zunächst auf dem Gebiete des Außenhandels und hoffentlich sehr bald auf dem gesamten Gebiete der Außenpolitik — gegenüber den anderen Staaten vertreten soll. Meine politischen Freunde und ich verkennen durchaus nicht, daß es unter den Diplomaten der alten Schule charakterfeste Menschen gegeben hat, beste Repräsentanten des Deutschtums, Männer, vor denen auch heute das Ausland noch Achtung hat. Aber ebenso ist es eine Tatsache, daß die Exklusivität, die früher im Auswärtigen Amt herrschte, hochqualifizierte Persönlichkeiten vom diplomatischen Dienst ausgeschaltet hat.

    (Sehr richtig! beim Zentrum.)

    Wir warnen dringend vor dem Korpsstudenten als dem geborenen Anwärter für den auswärtigen Dienst.

    (Lebhafte Zustimmung beim Zentrum und bei der SPD.)

    Wir warnen auch davor, nur Leute mit sieben- oder neunzackigen Kronen ins Ausland zu schicken

    (erneuter Beifall)

    und zu glauben, damit die deutsche Demokratie allein repräsentieren zu können. Meine politischen Freunde würden es mit besonderer Genugtuung begrüßen, wenn die Bundesregierung in dieser Beziehung jedenfalls nicht dem Beispiel der Weimarer Republik folgen würde und den Mut hätte, einen ganz andern Weg zu gehen. Es wird schon allerlei darüber gemunkelt, wie sich gewisse Leute der alten Schule nach vorn drängen, wie sie antichambrieren und sich mit besonderen Denkschriften in empfehlende Erinnerung bringen. Die Bundesregierung würde dem deutschen Volk keinen Dienst erweisen, wenn sie derartigen Bewerbern zu bereitwilligst Gehör schenken würde. Wir meinen, es scheint jetzt die Zeit gekommen zu sein, einen neuen Typ des Vertreters deutscher Interessen im Auslande herauszustellen, und ich möchte nicht zuletzt auf diejenigen hinweisen, die in den Nazijahren unfreiwillig ihre Auslandserfahrungen gesammelt haben. Wir haben Kaufleute, wir haben Journalisten, die jahrelang draußen gewesen sind und von denen wir nicht zu befürchten brauchen, daß sie der uns umgebenden Welt ein schiefes Bild von Deutschland vermitteln.

    (Beifall beim Zentrum.)

    Damit soll, um das hinzuzufügen, gar nicht gesagt sein, daß für Diplomaten der alten Schule


    (Frau Wessel)

    keine Verwendung wäre. Es soll nur darauf hingewiesen werden, daß angesichts einer ziemlich großen Auswahl eine sehr sorgfältige Auslese getroffen werden kann und hohe Ansprüche zu stellen sind. Ich habe nicht den Eindruck, daß dieser Hinweis verfrüht wäre. Vielmehr hoffe ich, daß er noch einigermaßen rechtzeitig erfolgt.

    (Beifall.)

    Zur Realpolitik gehört auch die Frage, ob wir Deutschen nur die Wahl zwischen Ost und West haben. Wir haben uns darüber heute in diesem Hause sehr temperamentvoll unterhalten, und doch glaube ich, es wäre eine Verkennung der historischen Gegebenheiten und Aufgaben unseres Volkes, wollten wir sagen, wir könnten nur zwischen Ost und West wählen. Wir können unsere Tradition, unsere Vergangenheit, unsere Geschichte, alles, was wir geworden sind und darstellen, nicht aufgeben, ohne uns selbst aufzugeben. Deshalb haben wir keine Wahl zwischen West und Ost. Wir können uns weder von der einen noch von der anderen Seite gänzlich abwenden, und ich glaube, es wäre nichts katastrophaler, als wenn von Deutschland eine Verschärfung der Spannungen ihren Ausgang nehmen würde. Wir können in unserem eigensten Interesse nur immer wieder betonen, wie sehr uns an einer Verständigung zwischen West und Ost gelegen ist. Um keinen Preis darf in der Welt der Eindruck entstehen, daß diese Verständigung uns unerwünscht wäre. Heute scheint sich zwischen Europa und Rußland eine Kluft aufzutun. Wollen wir uns nicht selbst untreu werden, dann kann es nicht unsere Aufgabe sein, diese Kluft zu erweitern und zu vertiefen. Rußland ist immerhin der vierte Partner jenes Friedensvertrages für Deutschland, mit dessen Hilfe wieder ein Gesamtdeutschland entstehen kann.
    Von dieser Betrachtungsweise aus möchten wir auch das Ostministerium sehen. Wenn das Ostministerium einen politischen Sinn und Wert haben soll, dann muß es den Willen zur Einheit Deutschlands verkörpern, und dies auf der Basis der gegebenen Tatsachen, soll nicht unter den Deutschen jenseits des Eisernen Vorhangs der Eindruck entstehen, daß sie abgeschrieben und vergessen werden. Das Ziel eines Ostministeriums muß sein, an den Chancen für eine Verständigung aller Partner mitzuarbeiten.
    Ich weiß, daß diese Darlegungen bei gewissen Leuten Befremden erregen könnten. Aber ich glaube, daß sie jedem aus dem Herzen gesprochen sind. der von einem echten Nationalbewußtsein erfüllt ist. Ich brauche hier nicht zu betonen, daß das Zentrum seiner ganzen Natur nach zu den schärfsten Gegnern des Kommunismus gehört. Aber es gibt nur eine Art des Sieges in diesem Kampf. Sie heißt: hier im Westen das Größte leisten, hier den echten Fortschritt zustande bringen, hier die Persönlichkeitswertung durchsetzen. Dann wird die europäische Idee den Osten erobern, nicht aber der Bolschewismus das Gesicht Europas bestimmen.

    (Beifall beim Zentrum.)

    Dabei verkennt das Zentrum keineswegs die Aufgabe der Bundesregierung, sich der deutschen Kriegsgefangenen und Verschleppten mit besonderer Sorge anzunehmen und durch eine kluge Außenpolitik zu erreichen, daß alle Völker mithelfen, diesen bedauernswerten Menschen recht bald die Rückkehr in die Heimat zu ermöglichen.
    In der großen Linie der amerikanischen Politik zeichnet sich immer mehr die Notwendigkeit einer Verständigung für Europa ab. Im Rahmen dieser europäischen Verständigung muß auch das Ostproblem und das Problem der deutschen Menschen, die jenseits des Eisernen Vorhangs leben, gelöst werden.
    In der Epoche, die jetzt durch die Ausgestaltung der Beziehungen der Staaten und Völker untereinander beginnt, muß die deutsche Politik das Kommende erkennen. Nicht nur der Osten wird die Bundesrepublik Deutschland vor große Entscheidungen stellen, auch der Westen hat seine Probleme. Es sind vor allem zwei Mächte, die den Wiederaufbau und Neuaufbau Europas fördern können. Europa hat sich vor 2000 Jahren aus der Wechselwirkung von Hellas und Rom geformt und gestaltet. Von Hellas stammte der geistige Inhalt, stammten die Persönlichkeitswerte, mit denen die abendländische Welt zu ihrer wahrhaften Größe emporstieg. Von Rom stammte die ordnende und staatsbildende Kraft. Aus diesen beiden Kräften wurde Europa und war es in der Lage, das christliche Ideengut zu einer überstaatlichen Hochkultur auszuformen. Auch heute sind es, wenn wir vom .deutschen Volke absehen, vornehmlich zwei Völker, bei denen noch die letzte, aber große Chance für Europa liegt, Frankreich und England, wenn sie sich ihrer großen geschichtlichen Aufgabe bewußt werden und sich im echt föderativen Gedanken für den Aufbau Europas einsetzen. Wir unterstützen deshalb die Absicht der Regierung, am europäischen Zusammenschluß mitzuarbeiten. Wir kämpfen für diesen europäischen Zusammenschluß, weil wir daran glauben, daß die christlich-abendländischen Kulturwerte, die Europa noch bewahrt, der gesamten Menschheit erhalten bleiben müssen.
    Meine Damen und Herren! Auf dem Gebiete der Innenpolitik erwarten wir von der Regierung, daß sie durch die Verwirklichung einer echten Demokratie der Befriedung des ganzen Volkes dient und die Notwendigkeit anerkennt, die Mitarbeit aller aufbauwilligen Kräfte zu gewinnen. Uns scheint es nicht zu genügen, wenn der neue Bundesstaat bejaht wird. Viel wichtiger ist es, daß die Ideen und Gestaltungskräfte erkannt werden, die ihn erfüllen müssen. Das Schicksal unserer Demokratie hängt von ihrer Funktionsfähigkeit ab. Deshalb würden wir es begrüßen, wenn auch die in der Opposition stehenden Parteien sich dessen bewußt sind, daß sie zwar nicht Träger der Regierung, aber Mitgestalter der deutschen Demokratie sind.

    (Beifall.)

    Wir dürfen nicht noch einmal die letzte Chance zur Schaffung einer Demokratie verspielen und müssen deshalb alles tun, um in diesem Hohen Hause zu sachlichen Auseinandersetzungen zu kommen.

    (Sehr gut! beim Zentrum.)

    Ebenso halten wir es für falsch, anzunehmen, daß aus den Wahlresultaten vom 14. August schon das endgültige Gesicht des jungen Staates herauszulesen wäre. Noch befinden wir uns im Stadium der Vorläufigkeit, noch ist der Volkskörper in einer ständigen inneren Bewegung und Umschichtung. Das deutsche Volk ist durch eine zu tiefe Katastrophe seines Wesens gegangen, als daß es heute schon ein Gesicht hätte, das seiner Art entsprechen würde und als endgültig anzusehen wäre. Die Bundesregierung sollte sich streng davor hüten, die knappe Majorität, von der sie getragen


    (Frau Wessel)

    0 wird, durch den Charakter einer starken Regierung ausgleichen zu wollen.

    (Bravo! beim Zentrum.)

    Es steht ihr jederzeit frei, durch entsprechende Gesetzesvorlagen eine breitere Majorität zu gewinnen als diejenige, von der sie ausgegangen ist. Ich habe eingangs betont, daß meine politischen Freunde und ich keine Bindung an die Koalition haben, daß wir aber bereit sind, jede Maßnahme zu unterstützen, die nach unserer Auffassung dem Wohl des Volksganzen dient.
    Die Bundesregierung könnte sehr bald ein überzeugendes Beispiel für ihr demokratisches Wollen liefern, wenn sie das im Grundgesetz vorgesehene Parteiengesetz einbringen würde, in welchem die im Grundgesetz geforderte Kenntlichmachung der Finanzquellen der Parteien natürlich nicht fehlen dürfte.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD und beim Zentrum.)

    Es mag sein, daß dieses Gesetz in Kreisen, die der Regierung nahestehen, ein gewisses Unbehagen auslösen würde.

    (Sehr gut! links.)

    Aber ich erinnere mich mit großer Genugtuung der Tatsache, daß auch politische Freunde des Herrn Bundeskanzlers — leider nicht alle, doch einige — schon im Parlamentarischen Rat für die Forderung meiner Freunde nach Offenlegung der Finanzquellen gestimmt haben. In der öffentlichen Diskussion des Grundgesetzes ist gerade dieser Passus als einer der neuen konstruktiven Gedanken unserer vorläufigen Verfassung begrüßt worden. Es liegt auf der Hand, daß die demokratische Entwicklung in Deutschland entscheidend gefördert wird, wenn die Offenlegung der Finanzquellen der Parteien schleunigst Tatsache wird. Die Bundesregierung würde dadurch ein in weiten Kreisen der Bevölkerung bestehendes Mißtrauen entkräften. Für meine politischen Freunde darf ich feststellen, daß wir den im Parlamentarischen Rat begonnenen Kampf fortsetzen werden und, falls die Bundesregierung uns im Stich läßt, in diesem Hohen Hause von uns aus das Notwendige tun werden, um durch die Forderung nach Offenlegung der Parteifinanzen das Vertrauen der Bevölkerung zur parlamentarischen Demokratie zu festigen.
    Verhängnisvoll wäre es weiterhin, wollte man für die Bundesregierung einen Beamtenkörper schaffen, der nur aus Anhängern der Regierungsparteien bestehen würde. Die Folge davon würde sein, daß weiteste Volkskreise, die der Regierung fremd gegenüberstehen, der neuen Bundesrepublik noch stärker entfremdet würden, während es doch die Aufgabe der Regierung sein muß, Staat und Volk miteinander zu verbinden. Im übrigen würde jeder Regierungswechsel zu einer ungeheuren Beunruhigung der Beamtenschaft führen. Wir haben nichts dagegen einzuwenden, wenn die Regierung sich durch Verwendung von Staatssekretären den politischen Einfluß innerhalb ihrer Ministerien sichert. Wir sehen darin auch eine zu begrüßende Kontrolle der Bürokratie. Die Staatssekretäre aber sollten nicht Beamte werden. Sie müssen, wie es in England der Fall ist, Politiker bleiben, die bei einem Regierungswechsel mit den Ministern automatisch zurücktreten. Im übrigen aber dürften für die Auswahl der Beamten parteipolitische Gesichtspunkte unter gar keinen Umständen Bedeutung haben.

    (Beifall beim Zentrum.)

    An der Spitze der Ministerialbeamten sollte ein völlig unpolitischer Beamter stehen. Nur so ist eine klare Trennungslinie zwischen der politischen Verantwortung und der fachlichen Verwaltungsarbeit möglich. Diese Trennungslinie liegt namentlich auch im Interesse des Berufsbeamtentums, für dessen Aufrechterhaltung das Zentrum eintritt.
    Sorgfältig — das versprechen wir dem Herrn Bundeskanzler — werden wir darauf achten, welche Rolle die Steigbügelhalter des Naziregimes spielen werden.

    (Beifall beim Zentrum und links.)

    Die verhängnisvolle Entnazifizierung hat auf der einen Seite Leute rehabilitiert, zu denen wir nie und nimmer das Vertrauen haben können, daß sie es mit der Demokratie ehrlich meinen, und andererseits unzählige kleine und harmlose Pgs in die Wüste geschickt. Nachdem man lange genug die Kleinen gehängt und die Großen hat laufen lassen, möchten wir diese Großen nun unter gar keinen Umständen zu hohen und höchsten Würden emporsteigen sehen.

    (Sehr gut! beim Zentrum und links.)

    Es scheint, meine Damen und Herren, eine europäische Tatsache, daß der jähe Übergang von der monarchischen zur republikanischen Staatsform auf dem beamtenpolitischen Gebiete ein schier unlösbares Problem aufwirft. Die Beamtenschaft ist an sich ein Kind des Absolutismus, und sie scheint zwangsläufig in Bürokratie auszuarten, wenn zwar der Monarch geht, aber die königlichen Beamten bleiben. Was ich schon für die kommenden deutschen Diplomaten ausführen durfte, das gilt in dieser Hinsicht auch für die Beamtenschaft schlechthin. Es gilt, über Weimar hinauszukommen. Wenn die Bundesregierung dies Ziel erreichen will, kann ihr nicht dringend genug empfohlen werden, sich in erster Linie der charakterfesten Beamten zu bedienen, die auch im Hitler-Staat dem demokratischen Freiheitsideal die Treue gehalten haben.

    (Lebhafter Beifall beim Zentrum und links.)

    Es geht hier nicht — um das einmal herauszustellen — um Wiedergutmachungsansprüche dieser Beamten, die auf einer anderen Linie liegen; es geht hier um den Staat selbst und um die Bildung einer demokratisch zuverlässigen Beamtenschaft.

    (Erneute Zustimmung beim Zentrum und links.)

    In dieser Hinsicht ist in der Weimarer Zeit viel versäumt worden, und von der jüngeren Generation hoffen wir, daß sie den in manchen Amtsstuben dringend benötigten frischen Wind bringen wird.
    Schließlich darf hier auch nicht außer acht gelassen werden, daß der gesamte öffentliche Beamten- und Angestelltenapparat — auch das ist schon von den Vorrednern gesagt worden — der Verarmung unseres Volkes angepaßt sein muß. Es ist ja in dem hinter uns liegenden Wahlkampf von allen Parteien außerordentlich viel vom Verwaltungsabbau gesprochen worden, und wir hätten es deshalb begrüßt, wenn die Kleine Koalition nicht durch die große Zahl von 13 Ministerien dargestellt worden wäre.

    (Sehr gut! beim Zentrum.)

    Zu den 111 Ministerien, die wir bereits in den drei Westzonen haben, kommen nach Bildung der Bundesregierung noch 14 einschließlich des Bundeskanzleramtes hinzu.

    (Zuruf links: Sechs sind noch anwesend!)



    (Frau Wessel)

    Ob das verarmte deutsche Volk 125 Minister nur in seinem westlichen Bundesgebiet auf die Dauer bezahlen kann, ist eine durchaus beachtenswerte Frage, wozu dann noch das besondere Charakteristikum kommt, daß man in den kleineren Ländern den Ehrgeiz hat, möglichst viele Minister zu besitzen.

    (Sehr richtig! beim Zentrum.)

    Auch bei der Bildung der Bundesregierung können wir uns des Eindruckes nicht erwehren, daß dabei auch der Zweck erfüllt wurde, die Wünsche der Koalitionspartner zu befriedigen.

    (Erneute Zustimmung beim Zentrum.)

    Wir glauben nicht, daß das verarmte deutsche Volk für diese Großzügigkeit des Herrn Bundeskanzlers seinen Koalitionsfreunden gegenüber das entsprechende Verständnis aufbringen wird.

    (Sehr gut! beim Zentrum.)

    Meine politischen Freunde und ich würden es deshalb begrüßen, wenn die Bundesregierung beim Aufbau der Bundesverwaltung ein hervorragendes Beispiel für eine einfache und leistungsfähige Verwaltung geben würde. Schließlich kann ja ein Verwaltungsabbau nicht einfach darin bestehen, daß man irgendwelche Angestellte auf die Straße setzt. Verwaltungsabbau kann immer nur bedeuten, daß man die Verwaltungsaufgaben abbaut. Zweifellos hat der Staat, vor allem auf wirtschaftlichem Gebiete, Aufgaben an sich gerissen, die nicht von ihm, sondern von der Selbstverwaltung der Wirtschaft erledigt werden sollten. Wir sind sehr dafür, daß die Wirtschaftsbürokratie im Staate verschwindet; wir wünschen aber nicht, daß diese Aufgaben von einer Selbstverwaltung der Wirtschaft übernommen werden, die schließlich von den Unternehmern beherrscht wird und von der sich die breite werktätige Masse unseres Volkes ausgeschlossen fühlt. Vielmehr müssen die Verwaltungskörperschaften der Wirtschaft demokratisch gestaltet werden. In ihnen ist das Mitbestimmungsrecht der Arbeitnehmerschaft schleunigst zu realisieren.

    (Beifall beim Zentrum und links.)

    Wenn das geschieht, dann ist die wichtigste Voraussetzung für den Abbau der Wirtschaftsbürokratie erfüllt.
    Meine Damen und Herren! Recht und Gerechtigkeit zu üben, das muß das Fundament aller Maßnahmen der Bundesregierung sein. Die Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz darf nicht nur ein Bestandteil des Grundgesetzes sein, sondern muß von jedem Bürger als die neue Wirklichkeit Tag für Tag erlebt werden können. Ich möchte gerade als Sprecherin der Zentrumsfraktion hier betonen, daß die demokratische Gleichberechtigung auch für unsere jüdischen Mitbürger gilt, wie es bereits vom Herrn Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung betont und auch von den Vorrednern ausgeführt worden ist. Eine Regierung, die gegenüber einem wiederaufkommenden Antisemitismus nicht klar und deutlich macht, daß dieser nach allem, was in Deutschland und Europa den Juden angetan worden ist, in dieser Auswirkung sich für das deutsche Volk als Fluch erwiesen hat, verletzt das Recht und die Gerechtigkeit und handelt dem Interesse unseres Volkes zuwider.

    (Beifall beim Zentrum und links.)

    Wir begrüßen ferner die vom Herrn Bundeskanzler angekündigte Amnestie, für die meine Fraktion dem Hohen Haus ja bereits einen Antrag vorgelegt hat.
    Mit der Bundesregierung liegt uns auch die Sorge für die Vertriebenen sehr am Herzen. Dabei wünschen wir, daß nicht nur, wie es in der Regierungserklärung heißt, die Pensionsansprüche für die vertriebenen Beamten geregelt werden sollen, sondern auch die Freigabe und Aufwertung der Spar- und Bankkonten sowie der Versicherungen der Vertriebenen in einem ähnlichen Verhältnis wie für die einheimische Bevölkerung ihre Regelung finden.

    (Beifall beim Zentrum und links.)

    Wir werden die Regierung auch in ihrem Bemühen unterstützen, einen Spitzenausgleich der Vertriebenen unter den westdeutschen Ländern vorzunehmen, wobei wir es sowohl im Interesse der Flüchtlinge als auch der Länder für wünschenswert erachten, daß dabei auf die kulturelle und konfessionelle Zugehörigkeit der Flüchtlinge stärker Rücksicht genommen wird als bisher, weil dadurch vielerlei Spannungen zwischen Vertriebenen und einheimischer Bevölkerung vermieden werden könnten. In diesem Zusammenhang möchte ich auch noch auf einen Vorschlag hinweisen, der von unserem Dr. Stricker im Frankfurter Wirtschaftsrat gemacht worden ist, in dem er sich für geschlossene Siedlungen für die Flüchtlinge ausgesprochen hat, um damit Gewerbezweige — sie wurden eben schon erwähnt — wie zum Beispiel die Glasindustrie zu erhalten, aber auch um den Vertriebenen in ihrem Zusammengehörigkeitsgefühl entgegenzukommen.
    Meine Damen und Herren, die Regierung wird das Maß an Souveränität haben, das sie sich verdient, und sie wird im Volk soviel Vertrauen finden, wie sie sich erwirbt. Gesetze und Verordnungen haben nicht nur dem Buchstaben, sondern vor allem auch dem Geist des Grundgesetzes zu entsprechen. Die Durchführung und ihre Art müssen es jedem Bürger ermöglichen, ihre Berechtigung und ihren Nutzen einzusehen. Dabei erwarten wir, daß jedermann das höchstmögliche Maß an Freiheit gewährt wird, ohne daß die dem einzelnen zugestandene Freiheit die Freiheit anderer einzuschränken braucht. Totalitäres darf es in Deutschland nicht mehr geben! Und es muß die Aufgabe sein, in allem, was das Menschen- und Völkerverbindende, aber auch innerhalb Deutschlands das Länderverbindende ist, die Toleranz zur Richtschnur des Handelns zu machen und jedem einzelnen, so groß oder so klein er sein mag, die Gleichberechtigung in jeder Weise zu verbürgen.
    Die Bundesrepublik Deutschland muß solch gutes Beispiel demokratischer Staatsführung nicht nur für die westdeutsche, sondern auch im Hinblick auf die ostdeutsche Bevölkerung geben. Das wird ihr gelingen, wenn die zu ihrer Leitung berufenen Männer von allen parteipolitischen Winkelzügen absehen und ungeachtet der parteipolitischen Unterschiede verantwortungsbewußte, dem Gemeinen dienende volksnahe Arbeit leisten. Das Volk erwartet die rasche und planvolle Lösung seiner brennendsten Probleme. Von der Erfüllung dieser Erwartungen — darüber wollen wir uns ganz klar sein — hängt das Schicksal der Demokratie in Gesamtdeutschland ab.

    (Sehr richtig! beim Zentrum.)

    Die Bundesregierung hat eine Fülle an gesetzgeberischer Arbeit zu leisten. Der allgemeinen Unsicherheit über die Gültigkeit früherer Gesetze ist ein Ende zu machen. Ein Umbau der Gesetze, insbesondere der aus der Zeit von 1933 bis 1945, ist durch die Ausmerzung des nationalsozialistischen Ideentums notwendig geworden. Wir halten ferner


    (Frau Wessel)

    ein Bundesversorgungsgesetz für die Kriegsbeschädigten und ihre Hinterbliebenen für dringend notwendig.

    (Beifall beim Zentrum und links.)

    das vom Gedanken der Gerechtigkeit und der Sorge für diese Menschen erfüllt ist.
    In reichlich unbestimmten Worten hat der Herr Bundeskanzler vom Umbau des bürgerlichen Rechts gesprochen, noch vorsichtiger und allgemeiner als von der notwendigen sozialen Neuordnung. Wir würden gern etwas Genaueres - wenigstens hinsichtlich der Leitgedanken — über die Art vernommen haben, wie sich die Regierung die Verwirklichung der Gleichstellung von Mann und Frau im Familienrecht denkt, die Grundsätze und Richtung der neuen Ehegesetzgebung und die Neuregelung auch des Erziehungs- und Personensorgerechts. Meine Damen und Herren, ich weiß nicht, ob das Schweigen der Regierungserklärung nicht leicht so aussehen könnte, als ob die inneren Meinungsverschiedenheiten der Koalitionsparteien über das Elternrecht sich auch hier offenbarten.
    Dringend benötigen wir — um das auch einmal anzuführen - ein Pressegesetz. Es war Lassalle,
    der für die Arbeiterzeitungen forderte, daß sie von
    Inseraten Abstand nehmen, da die Zeitungen unfrei wären, wenn sie Inserate hätten. Heute liegen die größten Gefahren für die Freiheit der Presse auf anderem Gebiet. An sich sollte schreiben können, wer das Zeug dazu hat. Zum Publizisten muß man geboren sein. Das kann man nicht lernen, sondern das ist man von Haus aus.

    (Sehr richtig!)

    Das bringt sich früher oder später zum Ausdruck. Ob die Mitwelt das sofort anerkennt oder ob es erst in einer späteren Zeit verstanden wird, das liegt sehr oft in den Zeitverhältnissen begründet. Jedenfalls sollte die Bundesregierung beim Entwurf eines Pressegesetzes darauf achten, daß dieses Gesetz die Publizisten nicht hindert, sondern fördert.
    Lassen Sie mich auch das feststellen: daß eine subventionierte Presse nicht der Freiheit und Unabhängigkeit unseres Volkes dienen würde. Unter gar keinen Umständen darf es wieder zu Zeitungstrusts und -konzernen kommen, wie Hugenberg es gemacht und wodurch er die Zeitungen unter seine Kontrolle gestellt hat.

    (Sehr gut! beim Zentrum.)

    Wie auf jedem anderen Gebiet ist eine kapitalistische Entartung auch auf dem Gebiet der Presse eine unmittelbare Gefahr für die Demokratie und für die Freiheit.

    (Sehr gut! beim Zentrum und links.)

    Meine politischen Freunde und ich sind uns der grundlegenden Unterschiede, die uns auf wirtschaftlichem Gebiet von den Auffassungen eines großen Teils der Regierungsparteien trennen, durchaus bewußt. Das bedeutet aber nicht, daß wir der Regierung von vornherein mit bestimmten Vorurteilen gegenübertreten werden; vielmehr werden wir abwarten, ob sich die unterschiedlichen Auffassungen in den praktischen Maßnahmen der Bundesregierung auswirken werden. Die vom Herrn Bundeskanzler vertretene These, die beste Wirtschaftspolitik sei auch die beste Sozialpolitik, ist nur dann richtig, wenn sozial denkende und handelnde Unternehmer der Arbeiterschaft als Partner gegenüberstehen.

    (Sehr richtig! beim Zentrum.)

    Wir haben den Eindruck, daß schon in nächster Zeit Entscheidungen zu treffen sein werden, die über die Art der von der Regierung empfundenen sozialen Verpflichtung Auskunft geben werden. Es scheint uns im Augenblick noch verfrüht, von den sozialen Auswirkungen der neuen währungspolitischen Situation zu sprechen. Es ist auch nicht zweifelhaft, daß diese neue Lage in einem für die Bundesrepublik sehr ungünstigen Augenblick eingetreten ist. Der Verwaltungsapparat der Bundesregierung befindet sich zum Teil noch im Aufbau und zum Teil im Umzug. Bei der Frage der Währung möchten wir aber die Regierung darauf hinweisen, die Quote der Abwertung so niedrig wie möglich zu nehmen, um den Glauben an die Festigkeit der Währung nicht zu erschüttern. Keineswegs darf aber die Währung, um Vertrauen zu haben, je geringer ihre Realdeckung ist, zu einem politischen Instrument werden. Dadurch wäre sie jeder politischen Schwankung unterworfen. Wir haben ja in Deutschland immer die traurige Erfahrung machen müssen, daß gewisse Unternehmerkreise solche Situationen ausgenutzt haben, um aus ihnen etwas für ihren Profit herauszuschlagen. So manche Erinnerungen an die Weimarer Zeit machen uns da bedenklich. Wir halten auch wenig von den Appellen an die Moral, wenn dahinter nicht die harte Entschlossenheit steht, denjenigen, die die Notlage auszunutzen trachten, tüchtig auf die Finger zu klopfen.

    (Beifall beim Zentrum.)

    Es kann sehr wohl sein, meine Damen und Herren, daß die Bundesregierung schon in den nächsten Wochen der Bevölkerung den Beweis zu erbringen hat, daß sie kapitalistischem Freibeutertum keine Chance gewährt. Bleibt sie diesen Beweis schuldig, dann wird es die Aufgabe dieses Hohen Hauses sein, die Bundesregierung eindringlich an ihre große Verantwortung zu erinnern.
    Der Herr Bundeskanzler hat nur zu einer Seite dieser sehr ernsten Fragestellung Stellung genommen, indem er die Notwendigkeit der Steigerung des Exports herausgestellt hat. Auf die Folgen, die sich aus der Abwertung für den Import ergeben, zum Beispiel Verteuerung der Lebensmitteleinfuhr, ist er nicht eingegangen. Wir wünschen nicht zuletzt auch im Interesse einer erhöhten Spartätigkeit, daß die Bundesregierung alle Maßnahmen ergreift, die eine Verteuerung des Lebensunterhalts namentlich der Arbeiter und der minderbemittelten Bevölkerung verhindern. Wir hoffen, daß die Bundesregierung alles tun wird, um die Steigerung des Reallohns herbeizuführen, wodurch eine Stabilität der Preise und Löhne am sichersten gewährleistet wird.
    Die Regierungserklärung spricht weiterhin von der Notwendigkeit, dem Altsparer das Vertrauen zur staatlichen Gesetzgebung wiederzugeben, damit auch von dieser Seite her der Anreiz und das Vertrauen zum Sparen gegeben wird. Hier sind wir der Auffassung, daß für die Altsparer die Aufwertung der sogenannten Schattenquote durchgeführt werden muß und daß darüber hinaus einmal überlegt werden sollte, inwieweit eine bessere Aufwertung als 10 zu 1 doch erfolgen kann. Der § 2 des Währungsumstellungsgesetzes sieht ja diese Möglichkeit vor.
    Wir haben leider aus den Frankfurter Tagen ein Beispiel vor Augen, das uns namentlich gegenüber der Person des Herrn Wirtschaftsministers mit einem gewissen Mißtrauen erfüllt. Trotz monate-


    (Frau Wessel)

    langer Geburtswehen hat das Anti-Monopolgesetz in Frankfurt nicht das Licht der Welt erblicken können. Wir hoffen, daß die Bonner Luft diesem Gesetz besser bekommen wird.

    (Lachen.)

    Denn es stellt eine der unerläßlichen Maßnahmen im Kampf gegen die liberalistisch-kapitalistischen Entartungserscheinugen dar. Sollte es dem Einfluß gewisser Kartell- und Konzernherren gelingen, das Anti-Monopolgesetz noch weiter hinauszuzögern, so wäre damit — das darf ich offen aussprechen — für uns ein casus belli gegeben. Ich möchte nicht versäumen, auf die Tatsache der Wichtigkeit dieses Gesetzes schon heute hinzuweisen, weil wir befürchten, daß es zu allerlei Legendenbildungen kommen kann, wenn sich aus einer weiteren Verzögerung des Anti-Monopolgesetzes eventuell sogar internationale Schwierigkeiten ergeben würden.
    Mit großer Besorgnis hat meine Fraktion das bislang zu verzeichnende Ansteigen der Arbeitslosigkeit beobachtet. Ohne daß ich damit auf den Streit um den Bundessitz eingehe, möchte ich doch zum Ausdruck bringen, daß die unmittelbare Nähe des rheinisch-westfälischen Industriegebietes der Bundesregierung sehr nützlich sein kann, wenn sie ein feineres Gespür für die Sorgen und Nöte der werktätigen Bevölkerung aufbringt, als es bei der Frankfurter Verwaltung der Fall war. Die Bundesregierung muß sich darüber klar sein, daß sie durch die Koalition zustande gekommen ist, an der sich weite Kreise der Industriearbeiterschaft doch unbeteiligt fühlen. Um so mehr hat die Bundesregierung Grund, der Zustimmung der Arbeiterschaft allergrößte Aufmerksamkeit zu schenken. Und es ist keine Übertreibung, wenn ich feststelle, daß die Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit bereits zu einer starken Beunruhigung im Ruhrgebiet geführt hat. Dies wirkt sich auch in einem Mangel an Kaufkraft aus, der auf das Geschäftsleben zurückfällt.
    Ohne auf Einzelheiten noch einzugehen, möchte ich für meine Fraktion betonen, daß wir die vom Bundeskanzler in Aussicht gestellte Steuerreform begrüßen und unterstützen werden, wenn sie insbesondere dem kleinen Mann, dem Handwerker, den kleinen und mittleren Betrieben zugute kommt. Auch müßte die Frage der kinderreichen Familie bei der Steuerreform berücksichtigt werden. Insbesondere aber erwarten wir, daß die Grenze des steuerfreien Einkommens nach oben gehoben wird.
    Ferner halten wir es für notwendig, daß sich die Bundesregierung der großen Not vieler Bombengeschädigter annimmt. Es gibt nicht nur eine Vertriebenennot, es gibt auch eine Not der Bombengeschädigten. Das zu sehen ist notwendig.

    (Sehr gut!)

    Wenn man von dem Problem der Wohnungen ausgeht, so könnte man auch einmal die Frage aufwerfen, ob man der Mehrzahl der bombengeschädigten Hausbesitzer nicht dann helfen sollte, wenn sie das Haus mit eigenen Mitteln nicht aufbauen können.

    (Sehr gut!)

    Wir erwarten, daß die Regierung Mittel und Wege finden wird, die dem bombengeschädigten Hausbesitzer einen rentablen Wiederaufbau seines zerstörten Hauses ermöglichen, ohne daß Mieterhöhungen größeren Umfanges erforderlich sind.

    (Beifall beim Zentrum.)

    Es scheint uns dabei die Verbindung des Lastenausgleichs mit den notwendigen Wohnungsbeschaffungen durch solche bombengeschädigten Häuser
    und auch der Altsparaufwertung ein wichtiger Beitrag zur Lösung beider Fragen zu sein.
    Ganz mit Recht hat der Bundeskanzler die besondere Bedeutung des Wohnungsbaus herausgestellt. Wir hoffen, daß die Bundesregierung mit größter Tatkraft an eine planvolle, dem Gemeinwohl dienende Wohnungsbauaktion herangehen wird. Es wird die besondere Aufgabe dieses Hohen Hauses sein, in konstruktiver Zusammenarbeit die gesetzlichen Grundlagen für die Durchführung eines wirklich großzügigen Wohnungsbauprogramms zu schaffen. Wenn es in der letzten Zeit ausgerechnet in der Bauwirtschaft zu einem Mangel an Arbeit gekommen ist, so stehen diese Verhältnisse in einem grotesken Widerspruch zum Wohnraumbedarf der deutschen Bevölkerung. Die Belebung der Bauwirtschaft ist die geeignetste Maßnahme zu einer allgemeinen Wirtschaftsbelebung und zur Hebung des Lebensstandards im allgemeinen. Die Bundesregierung wird mit allen Bemühungen auf dem Gebiete des Wohnungsbaus wie auf allen übrigen Gebieten der Wirtschaft aber keinen gemeinnützigen Erfolg haben, wenn sie nicht die Bereitwilligkeit aufbringt, dem kapitalistischen Eigennutz die notwendigen Schranken zu setzen.
    Meine Damen und Herren! In der WahlkampfAtmosphäre hat man sich mit allerlei ökonomischen Schlagworten in völlig überflüssiger Weise auseinandergeredet. Man hat so getan, als wenn Planung und Kontrolle lediglich ein Rückfall in die nazistische Zwangswirtschaft

    (Zustimmung bei der SPD)

    oder gar eine Anleihe beim kommunistischen Staatskapitalismus bedeuten. Nachdem doch jetzt der Wahlkampf vorüber ist und sich auch die Parteipolitiker wieder wie normale Menschen unterhalten können,
    Heiterkeit — Abg. Dr. Schumacher: Das
    haben sie auch während des Wahlkampfes
    gekonnt!)
    sollte mit dieser Wahlkampfakrobatik Schluß gemacht werden.
    Wenn wir dem Herrn Wirtschaftsminister die planvolle Lenkung der Kredite, ja des gesamten Kapitalstromes eindringlich ans Herz legen, so wissen wir uns damit über den Verdacht erhaben, daß wir irgendwelchen nazistischen oder gar bolschewistischen Neigungen zum Opfer gefallen wären. Wir wissen uns im Gegenteil in weitgehender Übereinstimmung mit dem wissenschaftlichen Bei rat, den der Herr Wirtschaftsminister, als er noch Direktor für Wirtschaft war, zur Seite gehabt hat.

    (Hört! Hört! links.)

    Wir sehen in Deutschland schon wieder eine verhängnisvolle Zusammenballung von Kapital und wirtschaftlicher Macht in den Händen einzelner, bei denen es sich nicht etwa allein um Eigentümer, sondern um Treuhänder oder Verwalter dieses Gutes handelt.

    (Sehr gut!)

    Wir wünschen nicht, daß von solchen Machtpositionen auch das Schicksal unseres Volkes entschieden wird. Es scheint uns auch - und das darf ich in diesem Zusammenhang erwähnen — hinsichtlich der handwerklichen Interessen wünschenswert zu sein, daß innerhalb des Wirtschaftsministeriums ein Staatssekretariat für das Handwerk eingerichtet wird.

    (Bravo! beim Zentrum.)

    Ebenso halten wir es für erforderlich, daß die Bundesregierung der Bodenreform und als Ergänzung


    (Frau Wessel)

    dazu dem Siedlungsproblem als einem gesamtdeutschen Problem ihre besondere Aufmerksamkeit widmet.
    Meine politischen Freunde haben mich beauftragt, hier schon heute die Forderung nach einem Betriebsrecht anzumelden, das jeden arbeitenden Menschen in seinen Rechten und Pflichten sicherstellt. Wir meinen nicht etwa nur, daß diese oder jene Räte in ihren Betrieben eine Stimme haben oder zu Wort kommen. Es geht dabei um mehr. Es geht um die Sicherung des gerechten und ausreichenden Lohnes, um die Würdigung der Arbeit und die unbeschränkte Freiheit in der Wahl des Arbeitsplatzes. Auch im wirtschaftlichen Bereich gibt es eine Rangordnung der Werte. Wieder und wieder wird heute erklärt — das ist auch in diesem Hohen Hause geschehen —, der Mensch stehe im Mittelpunkt der Wirtschaft; die Wirtschaft habe dem Menschen zu dienen. Aber mit Proklamationen ist auf diesem Gebiete nichts getan. Der werktätige Mensch muß ihre Verwirklichung im Alltag erleben. Die Arbeit ist die Grundlage unserer natürlichen gesellschaftlichen Ordnung; sie ist keine Ware, sondern eine bewußte Leistung des einzelnen Menschen an die Gesellschaft. Das Recht der Arbeit darf nicht auf dem Papier stehen bleiben. Wir wünschen auch einen weitgehenden Kündigungsschutz und halten es für unerläßlich, daß das Recht des arbeitenden Menschen gegenüber irgendwelchen Sachwerten allein im Vordergrund steht. Wir sind auch gegen jeden Arbeitszwang. Wir möchten schon heute keinen Zweifel darüber lassen, daß wir keine Art von Arbeitsdienst, auch nicht einen freiwilligen, widerspruchslos hinnehmen.

    (Sehr gut! beim Zentrum und links.)

    Dem Arbeiter ist im Rahmen einer geordneten Betriebsvertretung in sozialen, personellen und wirtschaftlichen Fragen ein ausreichendes Mitbestimmungsrecht einzuräumen.

    (Lebhafter Beifall.)

    Ich darf hier, meine Damen und Herren, ein Wort von Franz Hitze zitieren, von dem ich annehme, daß er dem Herrn Bundeskanzler noch nicht zu sehr entrückt ist. In „Kapital und Arbeit" schreibt Franz Hitze:
    Dem Privateigentum an Produktionsmitteln steht das Arbeitsrecht, das Recht auf Mitverfügung über die Arbeitsmittel, auf Mitgenuß der Arbeitsfrüchte gegenüber. Wo ich nicht mitrate, ich auch nicht mittate.
    Meine politischen Freunde würden es sehr begrüßen, wenn der Herr Bundeskanzler „Kapital und Arbeit" unter seine Lieblingsbücher einreihen würde.
    Wir wünschen uns einen Ausbau der Sozialversicherung, die seinerzeit unter maßgeblicher Beteiligung von Zentrumspolitikern geschaffen worden ist. Entsprechend der heutigen Situation sind Sozial-, Unfall- und Altersversicherung zu reorganisieren und neu einzurichten. Für einen paritätischen Ausbau der Versicherungsanstalten ist Sorge zu tragen. Die Selbstverwaltung ist nach demokratischen Gesichtspunkten zu entwickeln.
    Lassen Sie mich zum Schluß kurz auch noch auf eine andere Frage eingehen. In seiner Regierungserklärung hat der Herr Bundeskanzler die Lage der Frau, insbesondere der berufstätigen unverheirateten Frau, erwähnt. Auch wir wünschen, daß der Artikel 3 des Grundgesetzes, der die Gleichberechtigung von Mann und Frau bestimmt, nicht eine schöne Deklaration bleibt. Wir hätten es deshalb begrüßt, wenn der Herr Bundeskanzler sich nicht darauf beschränkte, einer Frau ein Referat im Ministerium des Innern anzuvertrauen, sondern ihr einen Kabinettssitz eingeräumt hätte,

    (Händeklatschen beim Zentrum.)

    und zwar aus der Erkenntnis heraus, wie notwendig die Frau für den Neuaufbau der deutschen Demokratie ist. Wir hätten dies um so mehr begrüßt, meine Herren, weil ja von der Regierung immerhin sehr wichtige Gesetze vorzubereiten sind, die tief in das Leben der Frau, sei sie verheiratet oder unverheiratet, eingreifen.
    Noch ein letztes Wort möchte ich sprechen zu den kulturellen Fragen. Der Herr Bundeskanzler ist sehr kurz darauf eingegangen. Er hat betont, daß sie zu den Zuständigkeiten der Länder gehören. Immerhin sei mir doch der kurze Hinweis gestattet, daß diese Auffassungen zum mindesten in den Wahlreden vieler Redner der Partei, der der Herr Bundeskanzler angehört, nicht vertreten worden sind.

    (Sehr gut! beim Zentrum.)

    Infolgedessen halte ich auch die Feststellung des Herrn Bundeskanzlers nicht für richtig, daß das Ergebnis der Wahlen am 14. August, zumindest was die CDU anbetrifft, nur auf die Bejahung der Erhardschen Wirtschaftspolitik zu beziehen ist.

    (Händeklatschen beim Zentrum und bei der SPD.)

    Ich glaube, bei vielen Wählern und besonders bei vielen Wählerinnen, die der CDU ihre Stimme gegeben haben, haben weltanschauliche und kulturelle Gesichtspunkte eine sehr große Rolle gespielt,

    (Sehr richtig! beim Zentrum) mehr als die Erhardsche Wirtschaftspolitik.


    (Lebhafter Beifall beim Zentrum und bei der SPD.)

    Diese Wähler, meine Damen und Herren, würden es zumindest begrüßt, ja sie werden es sicher sogar erwartet haben, daß die Bundesregierung ein klares Bekenntnis für die Rechtmäßigkeit des Konkordats abgelegt hätte. Darüber hinaus halten wir von der Zentrumspartei es für erforderlich, daß gleiche Staatsverträge wie das Konkordat mit der Evangelischen Kirche abgeschlossen werden, um die Stellung von Staat und Kirche damit rechtmäßig zu fundieren.
    Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß. Wir alle wissen, daß der Weg des deutschen Volkes nach dem furchtbaren Zusammenbruch, den wir in unserer wechselreichen Geschichte 1945 erlebt haben, weit und schwer ist. Viel Mißtrauen ist noch in der Welt zu beseitigen, aber noch viel mehr Mißtrauen im eigenen Volk. Für die Regierung wie für die Opposition gilt es deshalb, lebendig und aufgeschlossen den Aufgaben und Fragen der Zeit gegenüberzustehen, die rechten Wege zur Gestaltung des deutschen Volksstaates zu finden. Schon einmal nach einem Weltkriege ist das deutsche Volk zu diesem Ziel aufgebrochen, aber vom Geiste des Hochmuts und der Vermessenheit nicht frei geworden. Heute, nachdem wir unsere politische Torheit durch das Naziregime so haben büßen müssen, wissen wir um die Schwere des Weges und dieses Wissen wird uns vor Hochmut und Übermut bewahren können und uns endlich zu den wahren Quellen des deutschen Wesens führen.

    (Bravorufe und Händeklatschen beim Zentrum, in der Mitte und links.)