Wir haben die Regierungserklärung des Herrn Bundeskanzlers sorgfältig danach geprüft, ob wir eine Ausschöpfung der wenigen in der Bonner Verfassung vorhandenen föderalistischen Tendenzen erwarten können. Wir sind in dieser Hoffnung tief enttäuscht worden.
Der Herr Bundeskanzler hat in seiner 11/2stündigen Rede die föderalistischen Dinge fast nur in einem Satz behandelt, während er in den anderen Ausführungen nur auf die materiellen Spannungsverhältnisse eingegangen ist. Durch die Unterstreichung der Redner der Regierungsparteien, die auch kaum von föderalistischen Dingen oder von den Sorgen der Länder gesprochen haben — nicht einmal der Redner der Deutschen Partei —, sind wir sehr besorgt, in diesem Hause hier unsere föderalistischen Ziele noch zur Verwirklichung bringen zu können. Insbesondere ist auch .der Redner der FDP ja noch über die Bonner Verfassung hinausgeschossen, indem er die Regelung der Finanzhoheit so scharf kritisiert hat. Es ist nicht richtig, daß die Alliierten etwa dieses Recht der Finanzhoheit der Länder angemeldet hätten. Wir Bayern haben handfeste Forderungen in dieser Hinsicht gestellt.
Wir hörten in der Regierungserklärung fast nur davon, daß die kulturellen Zuständigkeiten der Länder gewahrt werden sollen. Von all den anderen Gebieten, die genannt worden sind und die nach der Verfassung zur konkurrierenden Gesetzgebung der Länder gehören, wurde es gerade als eine Selbstverständlichkeit betrachtet, daß hier die Zuständigkeit des Bundes in Anspruch genommen werden soll. Wir haben nie ein Wort von der Eigenstaatlichkeit der Länder gehört.
Wir haben nie davon gehört, daß vom Bund geredet worden ist, sondern nur vom Staat. Da müssen wir sagen: Herr Bundeskanzler, wir sind hellhörig in solchen Dingen, und wir sehen mit Sorge der weiteren Entwicklung der Regierungspolitik in föderalistischer Hinsicht entgegen.
Herr Dr. Adenauer, Sie sind nicht Reichskanzler, Sie sind Bundeskanzler!
Diese Besorgnis wird dadurch unterstrichen, daß der Herr Bundeskanzler erklärt hat, die Politik des Frankfurter Wirtschaftsrats fortsetzen zu wollen.
Viele Maßnahmen der Frankfurter Wirtschaftsverwaltung sind in Bayern auf schärfste Ablehnung gestoßen, weil sie von einem mangelnden Verständnis für die bayrischen Notwendigkeiten getragen sind
und weil sie rücksichtslos die zentralen Machtmittel gegenüber Bayern ausgenützt haben. Die Politik des Frankfurter Wirtschaftsrats hat sich durch verhängnisvolle Widersprüche ausgezeichnet und durch eine Zweigleisigkeit in der Behandlung der gewerblichen und der agrarischen Wirtschaft. Dort verfolgte man die Lockerung und Aufhebung der Zwangswirtschaft, hier, entgegen der tatsächlich bestehenden Lage, die Beibehaltung der Zwangswirtschaft.
Wenn vollends der Herr Bundeskanzler auf dem Gebiet der Ernährung und Landwirtschaft eine neue Linie der Intensivierung der zentralen Zuständigkeiten ankündigt, so sehen wir hier bereits die verhängnisvollen Folgen von Artikel 74 Ziffer 17, in der ganz allgemein und ohne Einschränkung die Förderung der Agrarwirtschaft und der land- und forstwirtschaftlichen Erzeugung der konkurrierenden Zuständigkeit des Bundes überwiesen wird. Diese Bestimmungen wurden gegen die schärfsten Warnungen des Bayrischen Bauernverbandes in die Verfassung aufgenommen, nur weil die Frankfurter Bürokratie diese Bestimmungen zur Ausweitung ihrer künftigen Zuständigkeiten brauchte. Wir hatten gehofft, daß von diesen Zuständigkeiten nur in sparsamster Form Gebrauch gemacht werden würde. Nun aber sehen wir aus der Ankündigung des Herrn Bundeskanzlers, daß eine gefährliche Offensive gegen die Zuständigkeit der Landwirtschaftsministerien der Länder zu erwarten ist. Sowohl die Aufklärung der landwirtschaftlichen Bevölkerung als auch die Förderung der agrarischen Wirtschaft ist Sache der Länder und der Landesministerien. Wir hoffen nur, daß der neue Bundes-Landwirtschaftsminister sich bald i von den Reminiszenzen und von dem Geiste der Frankfurter Verwaltung freimacht.
In der Unterstreichung der Förderung des Mittelstandes folgen wir Herrn Dr. Adenauer in jeder Weise. Wir vermissen aber ein stärkeres Eingehen auf die Bedürfnisse des Arbeiterstandes, das nicht dadurch kompensiert wird, daß Herr Adenauer in einem unverständlichen Zugeständnis an den sozialistischen Flügel der CDU
die Forderung nach einer Neuordnung der Besitzverhältnisse der Grundindustrien aufstellt.
Wie Herr Dr. Adenauer das mit seinem Wirtschaftsprogramm, der Förderung der freien Marktwirtschaft, der Förderung der Privatinitiative vereinbart, wenn sich die Industrien von einer neuen Sozialisierungswelle durch die jetzige Bundesregierung bedroht sehen,
scheint uns nicht ganz klar.
Die freundlichen Bemerkungen des Herrn Bundeskanzlers über die etwaige Möglichkeit, Aufwertungshärten gegenüber den Altsparern zu korrigieren, begrüßen wir, da das zu einer seit langem aufgestellten Forderung der Bayernpartei gehört. Wir hätten es begrüßt, wenn Herr Dr. Adenauer diese Frage etwas vertieft hätte, da das zur Beruhigung weiter, hart betroffener Bevölkerungsteile gedient hätte.
Wir begrüßen insbesondere die Zusicherung des Herrn Bundeskanzlers auf eine gleichmäßigere Verteilung der Vertriebenen auf die verschiedenen Länder im Interesse der besonders hart betroffenen Länder und auch im Interesse der Vertriebenen selbst. Diese Zusicherungen entsprechen einem nachdrücklichen Verlangen der Bayernpartei,
Wir bitten aber nun, daß diese Maßnahmen auch schnell und wirksam durchgeführt werden, damit die Entlastung sich bald fühlbar macht
und wir zu einer gewissen Linderung dieser Not kommen.
Wir stimmen im wesentlichen auch den außenpolitischen Ausführungen des Herrn Bundeskanzlers bei, wenn wir auch gewünscht hätten, daß einige freundliche Worte für Österreich darin enthalten gewesen wären.
Ich habe aus den Reden der Opposition und der Regierung folgenden Eindruck bekommen: daß man sich immer wieder darum streitet, wer das Erstgeburtsrecht hat in bezug auf solche außenpolitischen Fragen, die das gesamte deutsche Volk betreffen. Es ist doch grotesk, daß irgendeine Partei, wie sie auch heiße, das Recht für sich in Anspruch nimmt, zuerst auf Fragen der Kriegsgefangenenrückführung eingegangen zu sein oder zuerst die Oder-Neiße-Grenze abgelehnt zu haben.
Ich finde, es steht im Gegensatz zu der Politik, die die mächtigsten und größten Staaten wie die USA und England betrieben haben, wo man außenpolitische Dinge als solche des ganzen Volkes ansieht. Wir als ein so armes, bedrängtes und niedergeschlagenes Volk können es uns um so weniger leisten, wenn es um solche Fragen der gemeinsamen Not und um gemeinsame Forderungen des deutschen Volkes geht, die Auseinandersetzung auf die Niederungen der Parteipolitik zu bringen.
Hinsichtlich des Besatzungsstatuts gehen wir allerdings von etwas anderen Voraussetzungen aus. Das Besatzungsstatut ist von den Außenministern Frankreichs, Großbritanniens und der Vereinigten Staaten am 8. April 1949, also vor fast sechs Monaten, beschlossen worden unter Verhältnissen, die völlig anders lagen als jetzt. Wir wissen nicht einmal, ob das Besatzungsstatut als außenpolitischer Akt von den Parlamenten der drei Mächte angenommen worden ist. Um so mehr sind wir darüber verwundert, daß der Herr Bundeskanzler dieses Besatzungsstatut in seiner gestrigen Rede - allerdings nicht in seiner vervielfältigten - als Diskussionsgrundlage hinnimmt. Von uns ist es von Anfang an höchstenfalls als eine eingetragene Sicherheitshypothek der Militärgouverneure, die wir möglichst bald löschen wollen, angesehen worden. Wir würden es dankbar begrüßen, wenn wir mehr erfahren könnten über die Form der Überreichung dieses so wichtigen Schreibens durch die Militärgouverneure gestern und über die Stellungnahme. welche die Bundesregierung in diesem Moment eingenommen hat, denn das ist von größter historischer Bedeutung und von größter Auswirkung auf das gesamte deutsche Volk.
— Behalten Sie es für sich, das interessiert mich nicht!
Den Ausführungen des Herrn Bundeskanzlers über die Berlin-Hilfe haben wir entnommen, daß in 15 Monaten über eine Milliarde Mark nach Berlin geflossen ist, die damit dem Aufbau der westdeutschen Wirtschaft entzogen worden ist.
Wir vermißten deshalb in der Regierungserklärung einen Hinweis darauf, daß, wenn man der bedrängten Stadt weiterhin Hilfe leisten will, man auf einer Kontrolle des Verwendungszweckes bestehen wird.
Denn wir sind nicht gewillt, unter irgendwelchem Mäntelchen die sozialistischen Experimente der dortigen sozialistischen Regierung zu tolerieren.
Bei dieser Gelegenheit hätte man sehr wohl auch der Gebiete gedenken können, die durch die politische Grenzziehung ebenfalls schweren Schaden gelitten haben und in einem schweren Existenzkampf stehen, wie zum Beispiel die bayerischen Nordgebiete, die durch Grenzüberschneidungen und Einschnitte der Ostzone und durch die Abschnürung gegenüber der Tschechoslowakei stark beeinträchtigt sind. Wir haben uns erlaubt, Anträge zur Behebung des Notstandes dieser Gebiete einzubringen, und hoffen, daß diese Anträge ebenso wie die Anträge hinsichtlich der Berlin-Hilfe die Unterstützung sämtlicher politischen Parteien finden werden.
Hinsichtlich der Entnazifizierung stimmen wir mit der Ansicht des Herrn Bundeskanzlers völlig überein, daß es endlich Zeit ist, nicht mehr zwei Klassen von Menschen in Deutschland zu haben.
Ich hoffe, daß er davon auch die CSU-Mitglieder seines Kabinetts überzeugt, denn noch zu Beginn dieses Jahres hat die CSU ein Wahlgesetz beschlossen, das diese Gliederung in zwei Klassen von Menschen festgelegt hat.
Wir werden im weiteren Verlauf der Aussprache noch zu einzelnen Punkten Stellung nehmen. Für die Generaldebatte möchte ich mich mit diesen wesentlichen Ausführungen begnügen und nur nochmals unterstreichen, daß wir die weitere Entwicklung des Kabinetts im Hinblick auf seine föderalistischen und zentralistischen Maßnahmen mit größter Aufmerksamkeit verfolgen werden. Bei einer föderalistischen Ausgestaltung der Gesetzgebung wird man auf die Mitarbeit der Bayernpartei rechnen können; dem verhängnisvollen Zentralismus sagen wir unseren Kampf an.
Diese Haltung entspricht unserem allgemeinen Bekenntnis zu einem föderalistischen Deutschland und unserer Ablehnung eines zentralistischen Deutschlands. Wir bekennen uns zu Deutschland, aber merken Sie wohl auf: wir sind Deutsche nur als Bayern!
Versucht man, uns unseren tausendjährigen bayerischen Staat zu nehmen,
dann gefährden Sie den Bestand Deutschlands!