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ID0100700400

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    Deutscher Bundestag — 7. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. September 1949 47 7. Sitzung Erster Tag Bonn, Donnerstag, den 22. September 1949. Geschäftiche Mitteilungen 47B, 67C, D Fortsetzung der Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung . . . 47B Ewers (DP) 47C Dr. Seelos (BP) 53D Reimann (KPD) 58C Dr. Adenauer, Bundeskanzler . . . 67A Unterbrechung der Sitzung . 67C Loritz (WAV) 67D Frau Wessel (Z) 72B Dr. Richter (DRP) 80A Clausen (SSW) 85C Dr. Edert (Parteilos) 86B Fortsetzung der Sitzung 87C Die Sitzung wird um 10 Uhr 11 Minuten durch den Präsidenten Dr. Köhler eröffnet.
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    Rede von Hans Ewers


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (DP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DP)

    Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Stunden, die wir seit der Mitte des September bis Ende des Monats hier in Bonn erleben, sind die Geburtsstunden eines neuen deutschen Staatswesens. Diese Stunden fallen in eine Zeit, die wir Älteren zeitweilig schwerlich mehr zu erleben gehofft haben. Wenn ich an die letzten Jahrzehnte zurückdenke, so fällt mir ganz persönlich die Tatsache ein und auf, daß just in diesen Tagen vor zwanzig Jahren der vielleicht einzige deutsche Staatsmann europäischen Formats gestorben ist, den Deutschland in diesem Jahrhundert hervorgebracht hat: Gustav Stresemann. Mit seinem Tode sank damals Schritt für Schritt die deutsche Republik, die deutsche Demokratie, ins Grab über die Zeit der Notverordnungen bis zu jenem Dritten Reich, das von sich behauptete, es würde mindestens ein Jahrtausend bestehen. Wir haben das Dritte Reich überlebt und stehen nun erneut an der Wiege unseres Volkes und Staates, geprüft und gefeit durch Erfahrungen, die andere Völker tatsächlich vielleicht erst in einem ganzen Jahrtausend machen können.
    Heute und jetzt haben wir Stellung zu nehmen zu der Erklärung des Herrn Bundeskanzlers, und mir als einem nicht in Hannover gewählten Mitglied der Deutschen Partei hat die Fraktion das ehrenvolle Amt übertragen, in ihrem Namen zu dieser Erklärung Stellung zu nehmen.
    Die Erklärung des Herrn Bundeskanzlers findet — mit einer kleinen Einschränkung, auf die ich im Laufe meiner Rede zu sprechen komme — den vollsten und ungeteilten Beifall meiner Fraktion.

    (Hört! Hört! links.)

    Diese Erklärung billigen und unterschreiben wir nicht nur in ihrer Haltung, sondern auch in ihrer Formulierung im einzelnen Satz für Satz. Wir hoffen und wünschen, daß die Regierung alles wahrmachen kann, was dem deutschen Volk und den deutschen Menschen in dieser Erklärung verheißen ist.
    Ich habe zur Erklärung des Herrn Bundeskanzlers namens meiner Fraktion in einzelnen Beziehungen einige erläuternde und bestätigende Anmerkungen zu machen. Wir legen ganz entscheidenden Wert darauf, daß sich jedermann, der für die Bundesrepublik Deutschland spricht und handelt, bei jedem Wort und bei jeder Tat bewußt bleibt, daß wir vorläufig nur ein Torso sind, daß wir nur ein Teilstaat, ein Rudiment, ich möchte sagen ein Embryo eines zukünftigen Deutschlands sind, das, von keiner auswärtigen Macht bevormundet, sich wieder, und zwar in den Grenzen des Jahres 1937, in die europäischen Nationen einzureihen haben wird. Wir empfinden es als Schönheitsfehler, daß die Bezeichnung, die sich unser westdeutscher Staat gegeben hat, „Bundesrepublik Deutschland",


    (Ewers)

    zu Mißdeutungen Veranlassung geben könnte, wenn man nicht immer die Worte der Präambel des Grundgesetzes dazunimmt und sich vergegenwärtigt, daß das allerdings noch nicht alles ist. Es wäre wohl richtiger gewesen, wenn schon in der Bezeichnung dieser vorläufige und zunächst den ersten Schritt bedeutende Charakter unseres neuen Staates zum Ausdruck gekommen wäre.
    Wir sind des weiteren der Auffassung, daß nach dem Ergebnis der Wahlen des 14. August die jetzt gebildete Regierung eine durch den Willen der deutschen Wählerschaft bekundete Notwendigkeit ist. Das hätte nicht so sein müssen. Wenn etwa zwischen den beiden großen Parteien dieses Hauses, die zwei Drittel aller Abgeordneten stellen, in dem Wahlkampf außenpolitische Meinungsverschiedenheiten hervorgetreten wären, so hätte ich es von meinem Standpunkt aus für unbedingt erforderlich gehalten, diese zunächst einmal untereinander abzustimmen, ehe man in die von Sorgen und Not belasteten zukünftigen Monate und Jahre eintritt. Denn seien wir uns darüber klar: die Politik, die wahrhafte Kunst der Politik beginnt erst bei der Außenpolitik. Das Innere, die Ordnung im eigenen Hause ist naturnotwendig erst zweitrangig, und weil wir als Deutsche wohl von je und je das Innere vorangestellt haben, haben wir im Auswärtigen dann ja auch zweimal innerhalb von 25 Jahren so über alle Maßen kläglich Schiffbruch erlitten. Da aber nach dem Wahlkampf in der Außenpolitik zwischen den beiden großen Fraktionen und wohl auch, wenn ich von der äußersten Linken absehen darf, sonst überhaupt nirgendwo Meinungsverschiedenheiten auftraten, darf ich insoweit hoffen, daß die Regierung auch bei der Opposition dieses Hauses jede Unterstützung finden wird, wenn sie bei den Besatzungsmächten oder, sagen wir, bei den Herren Kommissaren — denn Macht ist es ja nicht mehr, es soll ja „Zivil" sein, was über uns entscheidet — oder bei sonstigen auswärtigen Stellen etwas für uns Deutsche erreichen will.
    So verschiebt sich in der Tat die Frage des Werdens des deutschen Volkes auf das Innerpolitische, auf das Wirtschaftsgebiet, um das sich ja nach meiner Beobachtung der gesamte Wahlkampf in all seiner Hitze sozusagen ausschließlich gedreht hat. Auf diesem Gebiet standen wir von der Deutschen Partei im Wahlkampf durchaus in derselben Linie wie die CDU, wie die FDP.

    (Abg. Dr. Schmid: Ein bißchen mehr schwarz-weiß-rot!)

    — Nein, das auch nicht, sondern einschließlich schwarz-weiß-rot, Herr Professor; einschließlich — das darf ich auf alle Fälle feststellen —, denn man hat sich uns allseitig angenähert.

    (Lachen links.)

    — Ja, das hat man!

    (Abg. Renner: Also Adenauers Fahne ist auch schwarz-weiß-rot?)

    - Das wird sich finden!

    (Abg. Renner: Dann können wir bald wieder „Deutschland, Deutschland über alles" singen!)

    — Das wollen wir auch bald wieder tun. (Hört! Hört! links.)

    Dazu sind wir auch fest entschlossen.

    (Unruhe links.)

    Darf ich fortfahren?

    (Zurufe.)

    Ich sage: auf allen Seiten der Koalitionsparteien bestand kein Unterschied in der Auffassung der Wirtschaftspolitik; und nun waren wir als im Aufbau und in der ersten Entfaltung begriffene Partei vor die schwere Frage gestellt, ob wir dem Wunsch nach Beteiligung an der Regierungsbildung nach diesen Anfangserfolgen, die wir in einem relativ kleinen Gebiet der westdeutschen Bundesrepublik errungen hatten, folgen sollten oder nicht. Der Entschluß war nicht leicht. Wir haben aber davon abgesehen, allein der Propaganda Rechnung zu tragen. Wir hatten unseren Wählern gewisse Zusicherungen gemacht und haben stets erklärt, daß wir uns vor keiner Verantwortung scheuen. In Einlösung dieser Zusicherungen mußten wir es für unsere staatspolitische Pflicht halten, uns dem Wunsch der größeren Parteien nicht zu versagen.
    Nach der Regierungserklärung bereuen wir diesen Entschluß keinen Augenblick.

    (Abg. Dr. Schmid: Sie haben auch gar keinen Anlaß dazu!)

    Daß solche Koalitionsverhandlungen mit gewissen Schwierigkeiten verbunden sind, das weiß die SPD besser als jede andere Partei.

    (Zuruf von der SPD: Woher wissen Sie das?)

    — Woher ich das weiß? Aus meinen langjährigen Erfahrungen im parlamentarischen Leben.

    (Zuruf von der SPD: So?)

    Meine sehr geehrten Damen und Herren, so war die Regierungsbildung im staatspolitischen Sinne notwendig. Denn eins hat die Weimarer Republik unter anderem erschüttert und schließlich zum Erliegen gebracht:

    (Zuruf von der SPD: Ihre Leute!) '

    die beklagenswerte Tatsache, daß in jener Zeit, vor dem Jahre 1930, Wahlen eigentlich keinen Zweck hatten. Es änderte sich nämlich nach den Wahlen sozusagen gar nichts.

    (Abg. Dr. Schmid: Dann müssen Sie sich doch ein bißchen mehr im Kalendarium umsehen!)

    — Nein, das brauche ich ganz und gar nicht, meine Erinnerung ist durchaus plastisch. Es ist eine Tatsache, daß die ganze Wählerei keinen Sinn mehr hatte. Das war allgemeine Meinung des Mannes auf der Straße. Vielleicht haben die Herren Professoren darüber anders gedacht:

    (Sehr gut! bei der DP.)

    Der normale Deutsche sah in den Wahlen keinen Sinn mehr. Das lag damals daran, daß die SPD wenn nicht die Gewinnerin, so doch die Nutznießerin der sogenannten 1918er Revolution war und sich alle Parteien bis ganz nach rechts herüber, ja bis einschließlich der NSDAP nach ihr umsahen, wenn es sich um soziale Dinge handelte. Die SPD war damals zwar nicht so doktrinär wie Herr Dr. Schumacher; aber sie wurde immerhin sozusagen als Schulmeisterin in sozialpolitischen Dingen angesehen. Daher konnte sich keine Partei erlauben, irgend etwas zu tun, was die SPD ihr im nächsten Wahlkampf auf das gefährlichste ankreiden konnte.

    (Zuruf des Abg. Renner.)

    Ich begrüße es, daß wir jetzt aus\\ dieser Schulmeisterei heraus sind.

    (Abg. Dr. Schmid: Sie haben etwas gelernt!)



    (Ewers)

    Ich begrüße es, daß wir nunmehr dazu kommen, eine Sozialpolitik und eine Wirtschaftspolitik nichtsozialdemokratischen Gepräges auf die Beine zu stellen.

    (Beifall bei der DP. — Lachen links.)

    Ich warne vor jeder klassenkämpferischen Ideologie. Ich warne vor der Gegenüberstellung Arbeiter und Bürger. Wenn es gute Bürger gibt, sind es die Arbeiter.

    (Händeklatschen rechts. — Abg. Renner: Wie billig!)

    Ich warne des weiteren davor, das, was gegen die Sozialdemokratie steht, mit einem „Anti" zu bezeichnen. Am „Antimarxismus" ist das sogenannte Bürgertum vor 1933 gescheitert. Meine sehr geehrten Herren von der Koalition und auch die Kollegen rechts von uns, sehen wir uns rechtzeitig nach einem „Pro" um. Wir haben jetzt das Wort „soziale Marktwirtschaft". Schön, machen wir daraus etwas!

    (Sehr richtig! bei der DP. — Lachen und Zurufe links.)

    — Sehr richtig! Machen wir daraus etwas, was auch dem Mann auf der Straße einleuchtet! Mit Schlagworten allein ist es nicht getan. In diesem Sinne ist die Koalition naturnotwendig und ein klares Ergebnis, eine klare Schlußfolgerung aus einer demokratischen Wahl.
    Was nun die Einzelheiten der Regierungserklärung anlangt, so möchte ich namens meiner Fraktion und auch von meinem persönlichen Standpunkt aus nur einige Punkte herausgreifen; sonst käme man mit einer normalen Redezeit selbstverständlich nicht aus.

    (Zuruf von der KPD: Aber verraten Sie wenigstens Ihr Regierungsprogramm!)

    — Ich werde auf die Dinge eingehen, die uns am Herzen liegen, und nicht auf Dinge, wie sie die Kommunisten wünschen. Herr Reimann mag dann den Standpunkt der Kommunisten hier ebenso vertreten.
    Meine Fraktion möchte zunächst einmal die Worte des Herrn Bundeskanzlers unterstreichen, daß der Gesetzgebung eine ungeheure Arbeit harrt. Darf ich als Jurist der Tendenz der Gesetzgebung einige Segensworte mitgeben. Wir stehen heute vor dem Trümmerhaufen der Gesetzgebung nicht nur wegen der Aushöhlung des einheitlichen deutschen Rechts, nein, vielmehr deshalb, weil alle diese Zwangsbewirtschaftungsgesetze bis zum heutigen Tage dem tatsächlichen Zustand in einer geradezu beklagenswerten Weise nachhinken. Es geht einfach nicht an, daß Dinge überall geschehen, als erlaubt hingenommen und auch von jedem in diesem Hause mitgemacht werden, die gesetzlich unter Strafe stehen.

    (Beifall bei der DP und der FDP.)

    Es geht einfach nicht an, daß in der Presse offen von einem Schwarzen und Grauen Markt gesprochen wird.

    (Zuruf von der KPD.)

    Das ist ein Unding, das ist eine Unterhöhlung der Achtung vor dem Gesetz, die zu Korruption, zu Egoismus schlimmsten Grades, ja eben zum Recht des Dschungels führt, wie wir es in den zurückliegenden Jahren in allen Klassen und Kreisen aufs traurigste erlebt haben und in gewissen Nachwehen auch heute noch erleben.
    Dem hat die Bundesregierung nur zu steuern. Die Gesetze dürfen nicht gegen die Naturrechte des
    Menschen, gegen das Recht auf Existenz verstoßen.

    (Sehr richtig! bei der DP.)

    Sie müssen so gehalten sein, daß jeder Anständige sie als selbstverständlich achtet und daß derjenige, der sie nicht achtet, nicht nur von dem unglückseligen Richter, der gestern noch selbst dagegen verstoßen hat, der Strafe zugeführt wird, sondern die allgemeine Verachtung als Gesetzesbrecher erfährt.

    (Beifall bei der DR)

    Nur so ist eine Gesetzgebung moralisch zu rechtfertigen.
    Ich komme nun zu einem Problem, das uns Schleswig-Holsteinern — ich darf das sagen, da ich Lübecker bin und aus dem Land stamme, mir also als Muß-Schleswig-Holsteiner —

    (Heiterkeit und Zurufe)

    besonders am Herzen liegt, und hier glaube ich zugleich für die Schleswig-Holsteiner aller Parteien im Hause sprechen zu dürfen: zum Vertriebenenproblem.
    Meine sehr geehrten Damen und Herren, dürfen wir unsere Erfahrungen unseres kleinen, einem Machtspruch Englands seine Existenz verdankenden Ländchens Ihnen hier kurz unterbreiten? Das Vertriebenenproblem ist nämlich nicht nur ein Problem, das das Schicksal dieser unglücklichsten deutschen Mitmenschen berührt, sondern auch ein Problem der Einheimischen, wie ich Ihnen zeigen darf. Schleswig-Holstein, früher eine preußische Provinz, jetzt ein selbständiges deutsches Land, weist folgende Zahlen auf, die dem Statistischen Landesamt Schleswig-Holsteins entstammen. Bei einem Flächeninhalt von 6,4 Prozent des Bundesgebiets, bei einer Einwohnerzahl von 5,9 Prozent des Bundesgebiets ist der Anteil dieses Landes an Verkehrs- und Besitzsteuern nur 3,8 Prozent, an den Krediten für Privatwirtschaft nur 3,7 Prozent und an Spareinlagen je Kopf der Bevölkerung nur 3,8 Prozent der entsprechenden Zahlen des gesamten Bundesgebiets. Was die Spareinlagen anlangt, so hat Schleswig-Holstein je Kopf der Bevölkerung nach dem Stichtag vom 1. Oktober 1948 32 DM bei einem Bundesdurchschnitt von 48 DM, also genau zwei Drittel an Spareinlagen des gesamten Bundes. Das nächstniedrige Land ist Bayern, das immerhin 42 DM pro Kopf der Bevölkerung Spareinlagen hat, also für jeden Menschen in Bayern 10 DM mehr als Schleswig-Holstein. Woher kommt diese erschütternde Armut in dem Lande, das bisher niemals als Elends- oder Notstandsgebiet gegolten hat, das vielmehr auf seine Art friedlich und schön in einer herrlichen Landschaft mit Nord- und Ostseeküste leben und gedeihen konnte? Woher kommt sie? Eine einzige Zahl zeigt es Ihnen: bei einem Bevölkerungsanteil von 5,9 Prozent nach der letzten Volkszählung von 1946 wohnen in Schleswig-Holstein 38,2 Prozent aller Vertriebenen des Bundesgebiets,

    (Hört! Hört! rechts)

    das heißt: knapp ein Sechzehntel der Gesamtbevölkerung ist von fast genau zwei Fünfteln aller Flüchtlinge, muß ich sagen, heimgesucht. Diese unglücklichen, ich muß schon sagen, an unsere Küsten gespülten Menschen hausen dort unter Umständen, die für sie selbst unerträglich sind und die das Zusammenleben mit den Einheimischen auf das äußerste erschweren.
    Lassen Sie mich in diesem Hause, wie ich hoffe, unter Zustimmung unseres dänischen Vertreters Herrn Clausen, sagen: das ganze von Dänemark gesehen Süd-, von uns aus gesehen Nord-Schleswig-


    (Ewers)

    Problem ist nichts anderes als ein Vertriebenenproblem. Denn das Zusammenwohnen in den ländlichen Bezirken ist auf die Dauer für beide Teile unerträglich, das muß schnurstracks auf lange Sicht zum Nihilismus führen. Es bleibt den Menschen, den Einheimischen fast ebensosehr wie den Vertriebenen, die keine Heimat finden können, gar nichts anderes, als im Nichts ihr Heil zu suchen. Diese Not ist so groß, daß die Bundesregierung von uns gebeten werden muß, von der Ermächtigung, durch Verordnung den Austausch zu regeln, sofort, ich möchte sagen, noch heute Gebrauch zu machen. Danach verlangt uns, weil wir andernfalls einem irgendwie gearteten Zusammenbruch in die Augen sehen müssen, der von uns aus natürlich gleich auf Niedersachsen übergreifen wird, wo die Verhältnisse zwar nicht ganz so liegen, aber schlimm genug sind, ebenso natürlich auf Bayern, das ebenso von südostdeutschen Heimatvertriebenen heimgesucht ist. Dieser Ausgleich ist vorderstes und erstes Gebot, das meine Fraktion von der Regierung verlangen muß.
    Dann möchte ich ein Wort aus der Rede, oder sage ich besser aus dem Kolleg des Herrn Dr. Schumacher, nämlich über volkswirtschaftliche Lehrmeinungen aus der Mitte des vorigen Jahrhunderts, das er vor diesem Hause gehalten hat, herausgreifen, ein Wort, dessen Unlogik bei einem professoralen Kolleg auffallend in die Augen springt.

    (Glocke des Präsidenten.)



Rede von Dr. Erich Köhler
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Abgeordneter Ewers, darf ich Sie darauf aufmerksam machen: sämtliche Mitglieder des Hauses halten grundsätzlich nur Reden.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Hans Ewers


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (DP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DP)

    Ich bitte um Verzeihung! — Die Rede oder besser die Ansprache — darf ich das sagen? — des Herrn Dr. Schumacher enthielt folgenden Satz frappanter Unlogik. Er behauptete, daß die Frage der Oder-Neiße-Linie außenpolitisch überhaupt erst dann angeschnitten werden könne, nachdem wir Deutschen die Vertriebenen artgemessen untergebracht hätten. Die Unlogik liegt darin: in demselben Moment, wo uns das gelungen sein sollte, wo diese Quadratur des Zirkels zu Ende geführt sein sollte, wäre ja rein wohnpolitisch ein Grund dafür, uns die Oder-Neiße-Linie zurückzugeben, kaum mehr gegeben. Zwar betrachten wir diese Frage nicht nur wohnpolitisch, sondern wir sehen dieses Gebiet als deutsche Heimat, als ein Gebiet an, mit dem unsere Seele verbunden ist. Aber die Tatsache, daß wir die armen Ostdeutschen, soweit sie noch keine neue Heimat gefunden haben, angemessen und auf die Dauer befriedigend in dem Restdeutschland, das uns zur Zeit noch verblieben ist, gar nicht so unterbringen können, daß sie eine neue Heimat finden, sollte jedem klar sein, und die Regelung dieses Problems kann überhaupt gar nicht geschehen, ohne daß die Ostgrenze klar und deutlich zur Debatte gestellt wird. Diese Tatsache möchte ich als Abgeordneter eines der Länder, die ganz besonders von dem Flüchtlingsproblem betroffen sind, hier ganz klar herausstellen.
    Neben dem Vertriebenenproblem ist dann noch für uns als weitere Bemerkung zur Rede des Herrn Bundeskanzlers ein Punkt zu berühren, den die Herren Vorredner auch schon angeschnitten haben und den ich deswegen auch nur ganz kurz erläutern möchte: das ist die Kategorisierung deutscher Menschen, die von den Besatzungsmächten vorgeschrieben und von einzelnen Deutschen mit, ach wie großer Begeisterung durchgeführt worden ist. Diese
    Kategorisierung ist mit wahrhaft demokratischen Einrichtungen vollständig unvereinbar.

    (Sehr richtig! rechts.)

    Die Bestrafung von Schuld und von Vergehen ist Sache des Strafrichters. Da mögen politische Abteilungen im Gericht eingerichtet werden, die über diese Herrschaften, von denen wir alle wissen, daß sie sich zum Teil vergangen haben, zu Gericht sitzen und nach Recht und Gesetz bestrafen.

    (Zuruf links: Dr. Schacht!)

    — Es ist schön, daß Sie Dr. Schacht nennen. Der Name Dr. Schacht scheint einer der Bonbons zu sein , die Sie nicht herunterschlucken können. Dazu ein Wort. Dr. Schacht ist ein ganz typischer Fall. Er hat als hochintelligenter, kluger Wirtschaftsmann den Irrtum begangen, zu glauben, daß man durch den Beitritt zu einer totalitären Bewegung an dem Werdelauf irgend etwas zu ändern vermöge.

    (Unruhe links und Zuruf: Sie irren auch!)

    Dieser Irrtum war leider Gottes weit verbreitet. Er hat aber im Gegensatz — —

    (Große Unruhe. — Zurufe.)

    — Bitte, es ist mir nicht möglich, f gegen viele Schreier aufzukommen; gegen einen kann ich es vielleicht. — Sein Irrtum ist aber insofern von allen anderen Irrtümern, die Hunderttausende auch kluge Menschen begangen haben, deshalb scharf zu unterscheiden, weil er im Gegensatz zu den sonstigen Mit- oder Vorläufern den Absprung rechtzeitig getan hat,

    (Zuruf von den Kommunisten: Rechtzeitig? — Lachen links)

    und zwar in einem Moment getan hat, bevor die vernichtenden Eingriffe in unsere deutsche Wirtschaft und insbesondere die Ausrottung der Juden 1 im November 1938 begannen. Er hat sich bis dahin schützend vor die Wirtschaft gestellt. Und er ist nicht nur abgesprungen. Es sollte auch den Kommunisten nicht verborgen geblieben sein, daß Herr Dr. Schacht in der Widerstandsbewegung nach 1938 eine Hauptrolle spielte; und wenn er nicht noch rasch vor dem 8. Mai 1945 abgemurkst worden ist, so ist das einem reinen Zufall zu verdanken. Er ist der typische Widerständler.

    (Schallende Heiterkeit. — Zuruf links: Da lacht sogar die CDU! — Unruhe. — Glocke des Präsidenten.)

    — Wenn man Tatsachen komisch findet, ist daran nichts zu ändern. Witze habe ich nicht gemacht; ich bin aber unter Umständen auch zu Witzen aufgelegt.
    Ich habe die historischen Tatsachen kurz gekennzeichnet, und die Frage ist die, ob man ihm sein Verhalten vor 1938 oder nach 1938 in erster Linie ankreiden will. Im übrigen hat er keine Verbrechen begangen, und er gehört für mich als politisch Schuldiger außerhalb jeder Kategorisierung.
    Dazu ein Wort. Ich wohne an der Ostgrenze vor dem Eisernen Vorhang. Von meiner Wohnung habe ich fünf Minuten Omnibusfahrt bis zum Eisernen Vorhang. Ich habe in meiner Person alles darangesetzt, um die Deutsche Partei in Schleswig-Holstein Fuß fassen zu lassen. Das mögen Sie als Schuld ansehen. Ich selbst sage: es ist ein hohes Verdienst, und ich werde auch nicht ablassen, wenn später einmal ein Gericht feststellen würde: es war Schuld. Was ich bedauere, ist, daß auch soviele frühere Nazis diese politische „Schuld" nicht bedingungslos anerkennen, daß sie ausweichen und daß selbst Hanns Johst es sich gefallen läßt,


    (Ewers)

    als „Mitläufer" eingereiht zu werden. Das ist unmöglich. Nein, Mitläufer wäre ich ganz und gar nicht. Ich wäre schuldig an der DP in SchleswigHolstein, und diese Schuld würde ich vor jedem Forum verantworten und tragen.

    (Zuruf links: Regierungserklärung!)

    — Es handelt sich um die Denazifizierung. Davon spreche ich nämlich jetzt.

    (Zuruf links: Machen Sie sich nicht interessanter, als Sie sind!)

    — Nein, ich bin gar nicht so interessant, um Gottes willen!
    Wir sind gegen die Kategorisierung und verlangen, daß man nur politisch „Schuldige" nicht mehr bestraft. Man bestrafe Vergehen gegen die Gesetze oder gegen die allgemeine Moral, aber keinen politischen Irrtum.
    Dann noch ein anderes Wort, das hoffentlich nicht so viel Unruhe und Gelächter auslösen wird. Bei den Nachbarstaaten, mit denen wir uns abzufinden haben, hat der Herr Bundeskanzler das Land Österreich unerwähnt gelassen. Das ist vielleicht richtig, weil unsere Beziehungen zum Lande Österreich ja keineswegs rein außenpolitischer Art sind. Das Land Österreich ist ein Land, das nicht nur der Zunge, sondern auch der Kultur nach zu uns als Brudervolk gehört. Meister wie Mozart, Bruckner, Grillparzer, Schubert oder Hofmannsthal

    (Beifall rechts)

    sind deutsche Genien österreichischer Herkunft, genau so wie es deutsche Genien von allen möglichen Herkünften gibt. An dieser Tatsache sollen staatliche Grenzen niemals etwas ändern.
    Nun zum Schluß der Regierungserklärung! Unsere Mitarbeit an der Regierung hängt davon ab, daß die Erklärung des Herrn Bundeskanzlers über den sozialen Charakter seines Kabinetts nicht nur Worte bleiben, sondern erfüllt werden. Wir sind uns klar darüber, daß weite Kreise der Arbeiterschaft uns gewählt haben. Ich brauche die Herren aus Schleswig-Holstein an die einzelnen Zahlen der Wahlkreise nicht zu erinnern. Sie haben dort eine Art Schockwirkung ausgelöst. Dennoch lehnen wir es mit aller Entschiedenheit ab, uns etwa „Arbeiterpartei" nach dem Vorbild der NSDAP zu nennen. Denn wir sind im schärfsten Gegensatz zur SPD der Meinung, daß es gänzlich unmöglich ist, für einen einzelnen Stand auf Kosten anderer Stände irgendwelche Erfolge zu erzielen. Wir sind nicht nur für die Arbeiter, sondern mit der gleichen Entschiedenheit für die Landwirte, für die Gewerbetreibenden, für die Kaufleute, für die Gelehrten, für die freien Berufe. Die Abwägung, wie man diese Stände zum Zuge kommen läßt, das ist die Kunst der Politik des Innern. Darüber mag später das Nötige gesagt werden. Wir sind uns aber vollkommen darüber klar: ein Kabinett, das etwa gegen die Interessen des volkreichsten Standes, des Arbeiterstandes, regieren wollte, würde sich selbst sein Grab schaufeln.

    (Abg. Dr. Schmid: Es wird!)

    — Es wird es nicht. Prophezeien ist sehr gefährlich, Herr Professor! Hitler hat auch sehr viel prophezeit. Man kann sich dabei in die Nesseln setzen.
    Nun dazu das eine Wort des Vorbehalts. Der Herr Bundeskanzler sprach von den Besitzverhältnissen an der Schlüsselindustrie im Ruhrgebiet. Wenn damit etwa gemeint sein sollte, die Besitzverhältnisse sollten sich in dem Sinne ändern, daß sie zum Teil wenigstens einem Kollektiv der Belegschaft zugeführt werden, so glauben wir, damit würde der Arbeiterschaft ein sehr schlechter
    Dienst erwiesen werden, wohl aber vielleicht den Funktionären der Arbeiterschaft.

    (Beifall rechts.)

    Wir möchten daher vor einer solchen Manipulation ebenso wie vor einer Kommunalisierung dieser Betriebe nachdrücklich warnen.

    (Zuruf von der KPD.)

    — Nein, ich bin keiner.

    (Abg. Renner: Schade, Sie passen doch in die Koalition hinein!)

    — Ja, wir passen ausgezeichnet hinein. (Abg. Renner: Das habe ich gemerkt!)

    Meine Damen und Herren! Nun noch ein allgemeines Wort im Anschluß an die Erklärung der Bundesregierung zu dem, was nach unseren Eingangsworten unser Wollen und Wesen ist und wieso wir, um mit Herrn Renner zu sprechen, vorzüglich in die Koalition passen. Über unsere Deutsche Partei sind in der Presse — in einer gewissen gegnerischen Presse, insbesondere aber auch in der ausländischen lizenzierten Presse — soviele unsinnige Torheiten verbreitet worden, daß man glauben müßte, unsere Partei setze sich außerhalb Hannovers aus nackten und klaren Idioten zusammen.

    (Zuruf links: Sehr richtig! — Heiterkeit.)

    Es ist immer gefährlich, den politischen Gegner zu unterschätzen. Man tut eher gut daran, ihn zunächst für klüger zu halten, als er ist.

    (Abg. Dr. Schmid: Aber dagegen verstoßen Sie!) Wir sind keine Idioten.


    (Heiterkeit.)

    Es ist kein Geheimnis, daß die Deutsche Partei ihre Wiege in Niedersachsen hat. Es sollte aber allen Menschen mit einiger Verstandesklarheit mittlerweile ruchbar geworden sein, daß sie eine Partei ist, die sich über die Landesgrenzen hinaus verbreitet und dabei ihr Wesen irgendwie wandeln muß; denn daß wir in Schleswig-Holstein für hannoversche Belange eintreten sollten, das wäre ja eine Zumutung, die geradezu grotesk ist.

    (Lachen links.)

    Das liegt uns in der Tat gänzlich fern. Uns hat daher schon sehr früh bei der NLP ihr deutsches Programm angezogen, und wir haben in dieser Partei etwas gesehen, was dem deutschen Wähler, der sich bis dahin politisch heimatlos fühlte, fehlte. So haben wir uns dieser Partei angeschlossen, die jetzt in der Regierung ist, zur Pflege nicht der Masse, sondern des deutschen . Menschen als vornehmsten Trägers unserer Staatspolitik, des deutschen Menschen, der naturrechtlich, darf ich sagen, kraft göttlichen Gebots an seine Heimat gebunden ist, in der Familie aufwächst, dem Stamme angehört und der im Stamm zum deutschen Volk zusammenwächst.

    (Zurufe links.)

    Dieser Naturverbundenheit stehen aber Pflichten gegenüber, und zwar dem Freiheitsrecht die Duldungspflicht. Freiheit — das bitte ich jedermann sich hinter die Ohren zu schreiben — darf nur begehren, wer sie gewähren will. Und die Duldung ist das erste Gebot der Freiheit. Die Haltung, die wir so einnehmen, mag man als ethischen Konservatismus bezeichnen. Diesen Namen in der Firma zu führen, lehnen wir entschieden ab; denn eine Verwechslung mit ostelbischem Reaktionärtum ist uns meilenfern. Wir sind gegenwartsnahe und zukunftsgläubig und haben mit der Vergangenheit nichts anderes zu tun, als daß wir bewahren möchten, was echten und guten deutschen Wesens ist.


    (Ewers)

    Wir bekennen uns insbesondere zu der Erklärung des Herrn Bundeskanzlers über die entschiedene Abkehr von allen antidemokratischen Richtungen. Wir sind eine Partei der deutschen Demokratie oder des demokratischen Deutschlands, und zwar ist die Betonung auf beiden Wörtern, auf Beiwort und Hauptwort, gleich stark. Wir lehnen die Nachäffung ausländischer demokratischer Formen, seien sie von England, von Amerika oder von Frankreich angepriesen, durchaus ab. Wir wollen eine Demokratie deutschen Wesens und deutschen Gepräges bilden.

    (Zuruf von der KPD: Daran wird die Welt genesen!)

    — Daran soll keineswegs die Welt genesen, sondern unser Volk soll endlich einmal zur Ruhe und Genesung kommen. Diese Demokratie muß, mit dem akademischen Ausdruck des Herrn Dr. Schumacher gesprochen, in der Tat „Angelegenheit deutscher Herzenswärme" werden, wenn sie je gedeihen soll. Verordnet durch Paragraphen oder vorgeschrieben durch Besatzungsmächte kann sie nicht allein werden, sondern diese deutsche Herzenswärme gilt es hervorzurufen. Wir, die wir auf der rechten Seite des Hauses stehen, sehen unsere Hauptaufgabe darin, den deutschen Menschen, insbesondere den jungen deutschen Menschen, an demokratische Staatsformen zu gewöhnen, ihn um Gottes willen nicht zu schulen, denn geschult sind wir langsam genug, sondern ihn dahin zu führen, daß er darin nichts Verächtliches sieht. Die Schulung, die wir die letzten vier Jahre unter dem Segen der Besatzungsmächte und unter dem Treiben demokratischer Stümper durchgemacht haben, war nicht gerade sehr verheißungsvoll.
    Wenn hier von einer nationalrevolutionären Bewegung gesprochen worden ist, so ist das selbstverständlich übertrieben. Es beruht darauf, daß, wenn irgendein späterhin vor Gericht als nicht verantwortlich erkannter Zwischenrufer oder Redner einer Versammlung etwas ausgemacht Törichtes und Dummes gesagt hatte, die Weltpresse davon widerhallt. Von meinen Reden, die ich in Versammlungen gehalten habe, ist fast nie — —

    (Lachen links.)

    Das wäre eine Reklame gewesen. Das dagegen war Verächtlichmachung des politischen Gegners. Herr Wunnerow ist eine bekannte Persönlichkeit geworden, aber er fiel unter § 51 und konnte nicht bestraft werden. Derartige Methoden der politischen Propaganda lehnen wir weit ab.
    Was aber in diesem Zusammenhang die Jugend anlangt, so steht die Jugend weder links noch rechts, sondern sie steht politisch vielleicht überall. Sie verweilt in Massen auf den Fußballplätzen. Und das ist vielleicht ganz gut so. Wenn Sie aber wissen wollen, was wohl die Jugend von ganz links bis ganz rechts nicht mehr will, so will ich Ihnen das sagen: sie will nicht mehr Schlagworte.

    (Zuruf links: Keinen neuen Krieg!)

    Sie hat die Ohren noch voll; noch heute dröhnen ihr die vielen Spruchbänder und Lautsprecheranlagen des Dritten Reiches in den Ohren. Danach ist der große Trümmerhaufen gekommen. Mit Schlagwörtern ist gar nichts gedient, wohl aber mit Haltung und mit Vorbild.

    (Zurufe und Lachen links.)

    — Lachen Sie nur, Herr Renner! Wenn Sie darüber
    lachen, wird die Jugend Ihnen nicht folgen. Bewahren Sie lieber Haltung! Das ist viel gesünder für
    Ihre Richtung. Diese Haltung und dieses Vorbild ist
    die Erfahrung aus sechs Kriegsjahren, die die Jugend gemacht hat. Denn sie weiß ganz genau, ob
    derjenige, der vor ihr steht, nur ein Achselstückträger oder ein Kerl ist. Diese Unterscheidung: Kerl oder Vorgesetzter, ist ihr im Blute; und danach folgt sie. Seien Sie versichert, wenn Sie der Jugend Aufblick und Achtung und Ehrfurcht einpauken können, nicht durch Lehrgänge,

    (Abg. Dr. Schmid: Durch Stahlhelm!)

    sondern durch Haltung, dann haben Sie sie zu einem großen Teil gewonnen. So unsere Erfahrung, die ich auf Kosten der eigenen Partei zum besten gebe.

    (Abg. Dr. Schmid: Das hat Herr Seldte auch gemacht!)

    Und was die Demokratie anlangt, so muß für sie genau das gleiche gelten.

    (Zuruf des Abg. Dr. Schmid.)

    — Herr Dr. Schmid, bitte, hören Sie jetzt einmal ganz genau zu, ohne Zwischenrufe!

    (Abg. Dr. Schmid: Sie machen es mir schwer!)

    Die Demokratie der Weimarer Zeit ist an ihrer Haltungslosigkeit, ich möchte sagen, an ihren ungebügelten Hosen zugrunde gegangen.

    (Heiterkeit und Zurufe.)

    Wir deutschen Menschen und gerade die unpolitische Masse will einen Aufblick haben, sie will verehren, sie will sagen: Hier wird repräsentiert.

    (Abg. Renner: Deshalb ist sie Hitler verfallen!)

    Sie achtet auf die Haltung, die man ihr von der demokratischen Führung entgegenbringt.
    Leider Gottes begann unsere Geburtsstunde als eigener Staatskörper mit einer ganz tief bedauerlichen Haltungslosigkeit. Als der Herr Bundespräsident Heuss gewählt war, hat es die Linke für möglich gehalten, in ihm nur den Mann und nicht den Träger unserer Staatsgewalt zu sehen. Als er durch Erheben von den Plätzen geehrt wurde, blieb sie geschlossen sitzen. Das ist eine Haltungslosigkeit, die in unseren Reihen tiefste Empörung ausgelöst hat.

    (Zustimmung rechts.)

    Davor warne ich nachhaltig. Wir hätten umgekehrt, wenn einer Ihrer Herren gewählt worden wäre, nicht die Person, sondern den Staatsmann gegrüßt, der unser Staatsoberhaupt ist. Eine solche Haltung müssen wir in einer wahrhaften deutschen Demokratie unter allen Umständen verlangen. Nur wenn das gewahrt wird, kann ich sagen, daß die Möglichkeit gegeben ist, daß demokratisches Wesen eine „Angelegenheit der warmen Herzen" wird, wie Herr Dr. Schumacher es bei der Einheit Deutschlands gewünscht hat. Das ist die Voraussetzung für unser Leben, nicht das, was Gesetze vorschreiben, sondern, wie Herr Dr. Schäfer gesagt hat, was Brauch und Sitte und Anstandsgefühl für richtig halten.

    (Zuruf von der KPD: Blut und Boden!)

    Das ist das, was die Menschen formt und was die Dinge gestaltet. Nicht das, was eine Partei durch Gesetzesparagraphen oder Druckpapier zum besten gibt, wirkt, sondern das, was die Menschen erleben und was ihnen in Fleisch und Blut übergeht.
    So sehen wir die Möglichkeit einer deutschen Demokratie durchaus gegeben, wenn alle wahrhaft demokratischen Parteien — die Kommunisten schließe ich ausdrücklich aus — sich nur in der Haltung einig sind, daß wir, ganz anders als in der Weimarer Zeit, die Demokratie nicht als eine, sagen wir einmal, rein genossenschaftliche Gesamtwirtschaft ansehen, sondern als ein Staatswesen, das etwas auf sich hält.


    (Ewers)

    Ich möchte in diesem Zusammenhang ganz persönlich, nicht für meine Fraktion, eine Frage an die Herren dieses Hauses richten: Soll eigentlich, solange der Bundestag überhaupt tagt, die Flaggengala da draußen wehen? Mir ist das zu festlich. So etwas, was am Anfang zu Recht geschehen ist, sollte für den Feiertag aufgespart werden. Es ist nichts dagegen einzuwenden, daß die Bundesflagge hier auf dem Hause weht, wenn wir tagen. Das Haus ist dann eben besetzt. Ich bitte aber zu prüfen — ich sage das ganz offen —, ob die Flaggengala da vorn dem Ansehen unseres Bundestags und unserer Republik auf die Dauer nützlich ist, ob es zweckmäßig ist, wenn hier dauernd festlich geschmückt ist. Man kann darin auch zuviel tun.
    Nun noch eins, und damit komme ich auf den Punkt, den wir schon durch Zwischenrufe berührt haben. Auch die Demokratie braucht Symbole. Was die Farben Schwarz-Rot-Gold, die im Fahnentuch leider nur schwarz-rot-gelb sein können, anlangt,

    (Rufe links: Aha!)

    so ist gegen diese Farben historisch wenig einzuwenden.

    (Starke Unruhe links. Erregte Rufe von der SPD: Raus! — Zuruf: Wir halten hier keine Nazi-Reden! — Weiterer Zuruf von der SPD: Mit diesen Provokationen hört es auf! — Vielfache Rufe: Schluß! — Glocke des Präsidenten.)