Rede von
Dr.
Georg-August
Zinn
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Meine Damen und Herren! Gegen zwei Mitglieder des Hauses, gegen den Herrn Abgeordneten Alfred Loritz und gegen den Herrn Abgeordneten Alfred Onnen, sind Strafverfahren anhängig, die bereits in dem Augenblick anhängig waren, in dem beide Herren die Abgeordneteneigenschaft erworben haben, also im Augenblick der Annahme der Wahl.
Im Falle des Herrn Abgeordneten Loritz handelt es sich um ein Verfahren, das zur Zeit vor dem Landgericht III in München wegen Beleidigung anhängig ist.
Die Hauptverhandlung ist anberaumt, sie ist zur Zeit unterbrochen und soll morgen fortgesetzt werden.
Im anderen Falle handelt es sich um ein auf Artikel 2 Ziffer 1 c des Kontrollratsgesetzes. Nr. 10 gestütztes Verfahren. Die Hauptverhandlung ist in diesem Falle noch nicht anberaumt.
Es bestehen nun Zweifel über die Auslegung des Artikels 46 Absatz 2 des Grundgesetzes, der sich mit der Immunität befaßt. Das bayerische Gericht steht auf dem Standpunkt. daß anhängige Verfahren fortgeführt werden können. Es stützt sich dabei auf die Rechtsprechung des Reichsgerichts, und zwar auf ein Urteil aus dem Jahre 1875, das sich wiederum auf die Motive der Immunitätsvorschriften der alten preußischen Verfassung von 1851 stützt. Die Herren, die seinerzeit bei der Ausarbeitung des Grundgesetzes mitgewirkt haben, sind der Ansicht, daß diese überlieferte und von der Rechtslehre unbesehen übernommene Rechtsauffassung nicht mehr mit der jetzigen Fassung des Grundgesetzes zu vereinbaren ist.
Es gilt nunmehr, Zeit zu finden, um festzustellen, welche von diesen beiden Rechtsauffassungen zweifelsfrei richtig ist.
Die beiden Herren haben beantragt, die anhängigen Verfahren auf Grund des Artikels 46 Absatz 4 des Grundgesetzes auszusetzen. Das Haus hat es nach dieser Vorschrift in der Hand, jedes Verfahren, ein zulässigerweise von einem Gericht eingeleitetes Verfahren, aber auch ein unzulässigerweise von einem Gericht eingeleitetes Verfahren auszusetzen. Der Ältestenrat stand gestern auf dem Standpunkt, daß es mit Rücksicht auf die Zweifelhaftigkeit der Rechtslage, insbesondere die Auffassung, die hier im Hause vertreten worden ist, zweckmäßig ist, das Verfahren in den beiden Fällen vorläufig auszusetzen. Damit ist keine Entscheidung in der Sache selbst gefällt, insbesondere nichts darüber gesagt, ob nach Art und Umständen der den beiden Herren zur Last gelegten strafbaren Handlungen sie für die Dauer ihrer Abgeordneteneigenschaft Immunität genießen sollen. Es wird Sache der Staatsanwaltschaft bzw. des zuständigen Gerichts oder der betreffenden Herren selbst sein, die Aufhebung der Immunität oder aber eine endgültige Entscheidung über eine Aussetzung auf Grund des Artikels 46 Absatz 4 zu beantragen.
Ich empfehle deshalb auf Grund der gestrigen Aussprache zu beschließen, daß das gegen den Abgeordneten Loritz vor dem Landgericht München III anhängige Strafverfahren auf Grund des Artikels 46 Absatz 4 vorläufig ausgesetzt wird, eine Entscheidung des Bundestags über die endgültige Aussetzung oder aber über die Aufhebung der Immunität erfolgt ist. Ich empfehle gleich. zeitig zu beschließen, daß das gegen den Abgeord.
neten Alfred Onnen vor dem Landgericht in Oldenburg eingeleitete Verfahren auf Grund des Artikels 46 Absatz 4 des Grundgesetzes vorläufig ausgesetzt wird, bis ebenfalls eine Entscheidung des Bundestags über die endgültige Aussetzung oder über die Aufhebung der Immunität erfolgt ist. Damit hat der Bundestag selbst zur Sache noch keine Stellung genommen, sondern nur ermöglicht, daß in einem etwa noch zu bildenden Ausschuß die Frage im einzelnen erörtert werden kann, ob es angebracht ist, die Immunität aufzuheben, welche der vorliegenden Rechtsauffassungen zutreffend ist oder ob eine endgültige Aussetzung angebracht erscheint.