Protokoll:
4066

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 4

  • date_rangeSitzungsnummer: 66

  • date_rangeDatum: 15. März 1963

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 13:08 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 13:17 Uhr

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag 66. und 67. Sitzung Bonn, den 15. März 1963 Inhalt: 66. Sitzung Erweiterung der Tagesordnung . . . . 3025 A Vizepräsident Schoettle 3025 A, 3026 B, C Bading (SPD) 3025 B Rasner (CDU/CSU) . . . 3025 D, 3026 C Dr. Mommer (SPD) . . 3025 D, 3026 B, C Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Neugliederung des Bundesgebietes gemäß Artikel 29 Abs. 1 bis 6 des Grundgesetzes (Erstes Neugliederungsgesetz) (Drucksache IV/834) — Erste Beratung —; in Verbindung mit dem Entwurf eines Gesetzes über die Neugliederung des Gebietsteiles Baden des Bundeslandes Baden-Württemberg nach Artikel 29 Abs. 2 und 3 des Grundgesetzes (Abg. Dr. Kopf, Dr. h. c. Güde, Hilbert, Dr. Hauser, Dr. Bieringer u. Gen.) (Drucksache IV/846) — Erste Beratung — Höcherl, Bundesminister . 3026 D, 3047 D Dr. Kopf (CDU/CSU) 3028 B Dr. Filbinger, Minister des Landes Baden-Württemberg . 3033 B, 3046 D Dr. Wahl (CDU/CSU) 3037 B Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller (SPD) 3039 C Frau Dr. Diemer-Nicolaus (FDP) . . 3042 C Dr. h. c. Güde (CDU/CSU) . . . . 3044 B Wittrock (SPD) 3045 D Spitzmüller (FDP) 3048 D Schmitt-Vockenhausen (SPD) . . 3049 D Beschlußunfähigkeit . . . . . . . . 3050 C Nächste Sitzung 3050 C 67. Sitzung Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über Personalausweise (CDU/CSU, SPD, FDP) (Drucksache IV/1056) — Erste Beratung — . . . . 3051 A Antrag betr. Vorlage des Entwurfs eines Gesetzes zum Schutze der Rechte aus Arbeitsverhältnissen von Arbeitnehmern mit Wohnsitz im Sowjetsektor von Berlin oder in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands (SPD) (Drucksache 1V/1031) 3051 B Entwurf eines Zwölften Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes (Abg. Etzel, Brand, Dr. Schmid [Wuppertal], Wacher, Dr. Imle und Fraktionen der CDU/CSU, FDP) (Drucksache IV/661 [neu]); Schriftlicher Bericht des Finanzausschusses (Drucksachen IV/1047, zu IV/1047) — Zweite und dritte Beratung — 3051 B II Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 66. und 67. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. März 1963 Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Mineralölsteuergesetzes (Drucksache IV/1021); Mündlicher Bericht des Finanzausschusses (Drucksache IV/1069) — Zweite und dritte Beratung — . . . . 3052 A Entwurf eines Gesetzes zur Förderung eines freiwilligen sozialen Jahres (CDU/CSU, FDP) (Drucksache IV/986) — Erste Beratung — 3052 C Nächste Sitzung 3052 D Anlagen 3053 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 66. und 67. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. März 1963 3025 66. Sitzung Bonn, den 15. März 1963 Stenographischer Bericht Beginn: 9.01 Uhr
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    *) Siehe Anlage 7 **) Siehe Anlagen 8, 9 und 10 Deutscher Bundestag - 4. Wahlperiode - 66. und 67. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. März 1963 3053 Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete (r) beurlaubt bis einschließlich Dr Arndt (Berlin) 16. 3. Dr. Dr. h. c. Baade 31. 3. Dr. Bechert 15.3. Frau Berger-Heise 15. 3. Bergmann* 15.3. Frau Beyer (Frankfurt) 15. 3. Blachstein 15. 3. Blöcker 15.3. Frau Blohm 15.3. Burgemeister 15. 3. Cramer 15. 3. Dr. Dittrich 15. 3. Dr. Dörinkel 15.3. Drachsler 15. 3. Dr. Dr. h. c. Dresbach 31. 3. Frau Eilers 15.3. Erler 23. 3. Etzel 15. 3. Even (Köln) 15.3. Figgen 20.4. Franke 15. 3. Dr. Frede 20.4. Frehsee 16. 3. Dr. Frey (Bonn) 31. 3. Funk (Neuses am Sand) 31.3. Gaßmann 5. 4. Gehring 15.3. Gerns 15.3. Dr. Gleissner 15.3. Dr. Gradl 15.3. Freiherr zu Guttenberg 31. 3. Hahn (Bielefeld)* 15.3. Hammersen 15.3. Hauffe 16.3. Hellenbrock 31.3. Dr. Hellige 20.4. Dr. Hesberg 15. 3. Horn 15.3. Jaksch 26.4. Kalbitzer 15. 3. Katzer 31.3. Frau Kipp-Kaule 15. 3. Dr. Klein (Berlin) 15. 3. Dr. Knorr 4. 4. Dr. Kreyssig* 15. 3. Kriedemann 15. 3. Kühn (Hildesheim) 15.3. Kurlbaum 15. 3. Lenz (Brühl) 15.3. Lenze (Attendorn) 15. 3. Lermer 16. 3. Liehr 15.3. Lohmar 30.4. Dr. Löhr 15.3. Dr. Luda 15. 3. Margulies* 15. 3. Für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parlaments Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordnete (r) beurlaubt bis einschließlich Mattick 15. 3. Mauk 15. 3. Meis 23. 3. Dr. Mende 15.3. Dr. h. c. Menne (Frankfurt) 15. 3. Metzger 15. 3. Müller (Berlin) 31. 3. Müller (Nordenham) 15. 3. Müller (Worms) 15. 3. Oetzel 30. 3. Ollenhauer 15.3. Frau Dr. Pannhoff 31. 3. Dr. Pflaumbaum 15.3. Rademacher* 15. 3. Dr. Rieger (Köln) 27. 3. Rohde 15. 3. Schlick 15. 3. Dr. Schmid (Frankfurt) 15.3. Schultz 15. 3. Dr. Schwörer 15.3. Dr. Seffrin 15.3. Seither 25. 3. Dr. Serres 23.3. Seuffert 15. 3. Storch* 15.3. Strauß 18. 3. Strohmayr 15.3. Varelmann 15. 3. Frau Vietje 31.3. Wacher 15. 3. Wehking 15.3. Wischnewski 15. 3. Wittmer-Eigenbrodt 30. 4. Anlage 2 Umdruck 220 Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU, FDP zur zweiten. Beratung des von den Abgeordneten Etzel, Brand, Dr. Schmidt (Wuppertal), Wacher, Dr. Imle und den Fraktionen der CDU/CSU, FDP eingebrachten Entwurfs eines Zwölften Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes (Drucksachen IV /661 [neu], IV/ 1047). Der Bundestag wolle beschließen: 1. Zu Artikel 1 Nr. 2 a) In Absatz 5 Nr. 1 des § 7 werden die Worte „sowie von Milch und Rahm, haltbar gemacht, eingedickt oder gezuckert," gestrichen. b) In der Anlage 3 zu § 7 Abs. 5 Nr. 2 werden gestrichen: a) „01.03 Schweine, lebend" b) „aus 04.01 Milch und Rahm, frisch, weder eingedickt noch gezuckert, soweit nicht der Steuersatz von 1,5 v. H. gilt, z. B. Rahm, Molke, saure Milch, Kefir, Joghurt". 3054 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 66. und 67. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. März 1963 c) In Absatz 5 Nr. 2 des § 7 werden die Worte „und Milcherzeugnisse" gestrichen. d) In der Anlage 4 zu § 7 Abs. 5 Nr. 3 wird „01.02 Rinder (einschließlich Büffel), lebend" gestrichen. 2. Der bisherige Wortlaut ,des Artikels 2 erhält die Bezeichnung Absatz 1. Folgender Absatz 2 wind angefügt: „(2) Soweit für die Gegenstände der Anlagen 5 und 6 zu § 7 Abs. 6 des Gesetzes die Ausgleichsteuer gegenüber dem bisherigen Stand erhöht wird, tritt die Erhöhung drei Jahre nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes außer Kraft." Bonn, den 14. März 1963 Struve und Fraktion Freiherr von Kühlmann-Stumm und Fraktion Anlage 3 Umdruck 222 Änderungsantrag der Abgeordneten MüllerHermann, Dr. Löbe, Hansing, Lenz (Bremerhaven), Seifriz zur zweiten Beratung des von den Abgeordneten Etzel, Brand, Dr. Schmidt (Wuppertal), Wacher, Dr. Imle und den Fraktionen der CDU/CSU, FDP eingebrachten Entwurfs eines Zwölften Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes (Drucksachen IV/ 661 [neu], IV/ 1047). Der Bundestag wolle beschließen: In Artikel 1 Nr. 2 wird in Absatz 5 die Nr. 5 gestrichen. Bonn, den 14. März 1963 Müller-Hermann Dr. Löbe Hansing Lenz (Bremerhaven) Seifriz Anlage 4 Schriftliche Erklärung der Abgeordneten Müller-Hermann, Dr. Löbe, Hansing, Lenz, Seifriz zu dem zur 2. Lesung des Entwurfs eines Zwölften Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes — Drucksachen IV /661 (neu), IV/ 1047, zu IV/ 1047 — gestellten Antrages auf Umdruck 222. Die unterzeichneten Abgeordneten verzichten auf die Einbringung ihres im Umdruck 222 vorgelegten Antrages, in Art. 1 Nr. 2 die Nr. 5 in Absatz 5 zu streichen. Sie halten jedoch ihre Bedenken gegen eine Herabsetzung der Umsatzausgleichsteuer für Wollkammzüge von 4 % auf 1 % aufrecht, wie sie die EWG-Kommission von der Bundesregierung verlangt hat. Solange innerhalb der EWG eine Harmonisierung der Steuerpolitik unter Berücksichtigung sowohl der direkten als auch der indirekten Steuern nicht erreicht worden ist, muß die verlangte Maßnahme zu einer weiteren Verzerrung der Wettbewerbsbedingungen im EWG-Bereich führen. Der abrupte Abbau der gegenwärtigen Umsatzausgleichsteuer für Wollkammzüge widerspricht außerdem dem Inhalt des EWG-Vertrages, der eine harmonische Angleichung der Wettbewerbsverhältnisse anstrebt. Müller-Hermann Stefan Seifriz Hermann Hansing W. Lenz Dr. Löbe Anlage 5 Umdruck 221 Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/ CSU, FDP zur dritten Beratung des von den Abgeordneten Etzel, Brand, Dr. Schmidt (Wuppertal), Wacher, Dr. Imle und den Fraktionen der CDU/CSU, FDP eingebrachten Entwurfs eines Zwölften Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes (Drucksachen IV/ 661 [neu], IV/ 1047). Der Bundestag wolle beschließen: Die Gründe für die Erhebung einer Umsatzausgleichsteuer bei der Einfuhr sind die gleichen wie für die Ausfuhrvergütung. Der Bundestag ist daher der Auffassung, daß ebenso wie bei der Umsatzausgleichsteuer eine Überprüfung und Korrektur der Sätze für die Ausfuhrvergütung erforderlich sind, zumal in verschiedenen Wirtschaftsbereichen die Veränderungen der Umsatzausgleichsteuer Rückwirkungen auf die Höhe der Umsatzsteuervorbelastung in der Exportindustrie hat. Die Bundesregierung wird daher ersucht, die Liste der Ausfuhrvergütungspositionen anhand der tatsächlichen Umsatzsteuervorbelastung zu überprüfen und im Bundestag Korrekturen vorzunehmen. Dabei wird der Zeitpunkt des Inkrafttretens mit dem Inkrafttreten der neuen Sätze bei der Umsatzausgleichsteuer abzustimmen sein. Bonn, den 14. März 1963 Dr. von Brentano und Fraktion Frau Funcke (Hagen) Freiherr von Kühlmann-Stumm und Fraktion Anlage 6 Schriftliche Ausführungen des Abgeordneten Dr. Stecker für den Finanzausschuß zu dem Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Mineralölsteuergesetzes (Drucksachen IV/ 1021, IV/ 1069). Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 66. und 67. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. März 1963 3055 Der Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Mineralölsteuergesetzes — Drucksache IV/ 1021 — wurde von der Bundesregierung am 28. Februar 1963 dem Bundestag zugestellt, der ihn in seiner 63. Plenarsitzung am 8. März 1963 in erster Lesung ohne Aussprache an den Finanzausschuß — federführend — und an den Wirtschaftsausschuß zur Mitberatung überwies. .Beide Ausschüsse berieten und verabschiedeten die Vorlage in getrennten Sitzungen am 13. März 1963. Bei den Beratungen im Ausschuß war die Verlängerung der Geltungsdauer der Steuersätze für Heizöl als solche nicht streitig. Die Erörterungen gingen vielmehr .darum, ob entsprechend der Regierungsvorlage die bisherigen Sätze unverändert fünf Jahre lang fortgelten sollen oder ob eine Degression eingebaut werden soll. Die Befürworter der gleichbleibenden Steuersätze beriefen sich darauf, daß mit ihrer Konzeption der energiepolitische Zweck des Gesetzes, nämlich der Kohle die Möglichkeit einer stetigen Anpassung an die in 'ihrer Struktur veränderte Energie-Marktlage zu geben, am besten erreicht werden könne und das zu erwartende Aufkommen aus der Steuer auch notwendig sei, um den für den Bund zu erwartenden Aufwand zu decken. Die Befürworter einer Degression legten besonderen Wert darauf, im Gesetz sichtbar zu machen, daß es sich bei der Erhebung der Heizölsteuer um eine vorübergehende Anpassungsmaßnahme handele, .die aus volkswirtschaftlichen Gründen nicht eines Tages zu einer Dauereinrichtung als allgemeines Deckungsmittel für den Bundeshaushalt werden dürfe. Bei der Abstimmung wurde ein auf den Bundesrat zurückgehender Antrag abgelehnt, der für zwei Jahre gleichbleibende und für weitere drei Jahre nach unten gestaffelte Steuersätze vorsieht. Angenommen wurde dagegen mit Mehrheit ein zwischen den Vorschlägen der Bundesregierung und des Bundesrates vermittelnder Antrag. Er sieht für vier Jahre gleichbleibende Steuersätze und für weitere zwei Jahre die Hälfte der Ausgangssätze vor. Dieser Form des Gesetzes hat auch der Wirtschaftsausschuß einstimmig seine Zustimmung gegeben. Im übrigen soll es nach dem Willen des Ausschusses bei der Regierungsvorlage bleiben. Ein Antrag, den Art. 3 zu streichen, der der Bundesregierung das Recht gibt, den Steuersatz aus gesamtwirtschaftlichen Gründen zu verändern, wurde abgelehnt. Der Ausschuß stellte ausdrücklich und einhellig klar, daß das Aufkommen aus der Heizölsteuer keineswegs nur der Kohle selbst zukommen solle, sondern wie bisher schon nach Maßgabe des Haushaltsplanes auch dazu dienen solle, in allen Teilen der Bundesrepublik, also auch den revierfernen, die energiewirtschaftlichen Verhältnisse zu verbessern. Es handele sich also auch nicht um eine irgendwie geartete Finanzausgleichsmaßnahme zugunsten bestimmter Länder. Anlage 7 Umdruck 224 Entschließungsantrag der Abgeordneten Kurlbaum, Memmel, Regling, Weinzierl, Ruf, Hörauf, Dr. Kempfler und Genossen zur dritten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Mineralölsteuergesetzes (Drucksachen IV/ 1021, IV/ 1069). Der Bundestag wolle beschließen: Die Bundesregierung wird ersucht, dem Bundestag alsbald Maßnahmen vorzuschlagen, die geeignet sind, die Energiekosten innerhalb der Bundesrepublik besser als bisher aneinander anzugleichen, um dadurch die Wettbewerbslage der Unternehmen in den revierfernen Gebieten zu verbessern und die Kosten der dort ansässigen Bevölkerung für Heizungszwecke zu vermindern. Bonn, den 15. März 1963 Kurlbaum Memmel Regling Weinzierl Ruf Hörauf Dr. Kempfler Dr. Hauser Leukert Maier (Mannheim) Mertes Leonhard Bühler Glüsing Gedat Lang (München) Hilbert Klinker Hörnemann Dr. Zimmermann (München) Kohlberger Dr. Burgbacher Struve Müller-Hermann Bauknecht Dr. Czaja Goldhagen Dr. Artzinger Dr. h. c. Güde Bieringer Biechele Frau Dr. Kuchtner Vogt Frau Jacobi (Marl) Stooß Adorno Berberich Dr. Brenck Bauer (Wasserburg) Seidl (München) Bals Krug Dr. Winter Stiller Seifriz Hansing Dr. Tamblé Diekmann Lange (Essen) Porzner Bading Frau Beyer (Frankfurt) Ravens Haase (Kellinghusen) Busch Ertl Unertl Marx Fritsch Höhne Folger Anlage 8 Schriftliche Begründung der Abgeordneten Frau Pitz-Savelsberg zu dem von den Fraktionen der CDU/CSU, FDP eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Förderung eines freiwilligen sozialen Jahres (Drucksache IV/ 986). 3056 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 66. und 67. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. März 1963 Das Gesetz über die Förderung eines freiwilligen sozialen Jahres stellt den sozialen Dienst der Jugend der Berufsausbildung gleich. Das bedeutet, daß während der Zeit eines solchen Dienstes, der in den Einzelbestimmungen des Gesetzes näher beschrieben ist, alle gesetzlichen Leistungen für Kinder, u. a. Kindergeld, Kinderzuschlag zum Beamtengehalt, Waisenrenten und Steuervergünstigungen, zwischen dem 18. und 25. Lebensjahr weitergewährt werden. Verzögert ein solcher Dienst die Berufsausbildung über das 25. Lebensjahr hinaus, so erfolgt die Weitergewährung auch für diese Zeit, nicht länger allerdings als für ein Jahr. Die im freiwilligen sozialen Dienst verbrachte Zeit wird bis zur Dauer von einem Jahr auf die ruhegehaltfähige Dienstzeit im Sinne des Bundesbeamtengesetzes und des Bundesbeamtenrechtsrahmengesetze.s angerechnet und gilt als Anrechnungszeit im Sinne des Bundesbesoldungsgesetzes. Sie ist anrechnungsfähig in der Angestellten- und in der Arbeiterrentenversicherung. Zeiten, die vor dem 17. Lebensjahr liegen, werden nicht angerechnet. Schließlich sind im Gesetz Beurlaubungsmöglichkeiten für Beamte auf Probe vorgesehen zur Ableistung eines freiwilligen sozialen Jahres. Die Gleichstellung des freiwilligen sozialen Jahres mit der Berufsausbildung ist aus folgenden Gründen notwendig. Nach geltendem Recht wird der Sozialdienst wie Erwerbsarbeit behandelt mit der Folge der vollen Anrechnung der Bezüge aus diesem Dienst auf die Versorgungsbezüge für Kinder und auf Steuervorteile. Ein Kind, das einen Sozialdienst leistet, gilt als versorgt und zählt nicht mehr mit bei den von der Familie überwiegend unterhaltenen Kindern. Das führt zu den in den folgenden Beispielen dargelegten Folgen: Beispiel 1: Da das älteste Kind einer Familie in einen Sozialdienst eintritt, entfällt für das dritte Kind das Kindergeld. Alle drei Kinder verlieren die Fahrpreisermäßigung auf der Bundesbahn, die kinderreichen Familien zusteht. Beispiel 2: Ein Versorgungsamt fragt an, ob die Tochter H. der Kriegerwitwe B. den sozialen Dienst, den sie eben ableiste, als praktischen Teil einer Ausbildung zu einem sozialen Beruf brauche. In diesem Fall könne die Rente während der Zeit des Dienstes weitergezahlt werden, nicht aber, wenn dieser Dienst keinen Zusammenhang mit der Berufsausbildung habe. Da das Mädchen wahrheitsgemäß angab, es wolle Lehrerin werden, wurde die Rentenzahlung eingestellt und wurden die bereits zu Unrecht bezogenen Beträge zurückgefordert. Beispiel 3: Das dritte Kind einer Familie geht nach dem Abitur in einen Sozialdienst. Es zählt nicht mehr mit unter den von der Familie überwiegend zu unterhaltenden Kindern, mit der Folge, daß die beiden älteren Geschwister, die aus dem Honnefer Modell gefördert werden, eine wesentliche Einbuße in der Förderung erleiden. Diese Benachteiligungen des freiwilligen sozialen Dienstes sind unvertretbar. Entstanden ist der freiwillige soziale Dienst aus dem Gedanken der Hilfeleistung der Jugend in einer Notlage, die durch das ständige Sinken der Zahl der Pflegekräfte und der Haushaltshilfen bedingt ist. Der Mangel an. helfenden Kräften führte zu immer wiederholten Aufrufen 'der Verbände der freien Wohlfahrtspflege und der Jugendverbände an die Jugend, einen Teil ihrer Freizeit für den Dienst am Nächsten zur Verfügung zu stellen. Diese Aufrufe fanden ein anerkennenswertes Echo. Die uneigennützige Hilfsbereitschaft, mit der die Jugend die opfervollen Dienste übernahm, oft unter Verzicht auf gute Verdienstmöglichkeiten in ihren Berufen, muß von dieser Stelle ausdrücklich anerkennend hervorgehoben werden. Wer behauptet, daß in einer Welt der Leistung und Gegenleistung, des Gewinnstrebens um jeden Preis, der Impuls des Helfenwollens verlorengegangen sei und daß es zwecklos sei, ihn auf dem Weg über den freiwilligen sozialen Dienst wieder beleben zu wollen, der wird durch diese Jugend eindeutig widerlegt. Die Leistung der Jugend ist aber mehr als ein Akt privater Caritas; es ist ein Dienst, der der Gesellschaft selbst geleistet wird. Da sich aber nur ein Teil der Jugend an diesem Dienst gegenüber dem Ganzen beteiligt, muß diesem Teil eine besondere Würdigung zukommen. Hier kann man nicht mit Heller und Pfennigen werten. Hier kommt es nur noch auf eine ideelle Bewertung an. Deshalb verleiht 'dieses Gesetz dem freiwilligen sozialen Dienst den Rang der Berufsausbildung. Der freiwillige soziale Dienst ist keine Angelegenheit des Arbeitsmarktes. Neben der praktischen Hilfeleistung als solcher darf ein wesentlicher innerer Grund nicht übersehen werden, der dieses Gesetz rechtfertigt. Es ist der erzieherische Wert für den jungen Menschen selbst. Er gewinnt Kenntnisse, die ihm im Leben nützen, menschliche Erfahrungen und innere Reife. Die unmittelbar mit der Not des Mitmenschen befaßte Jugend wird in eindringlicher Weise darauf hingewiesen, daß auch in einem geordneten Gemeinwesen, in einem ganzen System von Sicherheiten für alle Lebenslagen doch oft weite Bereiche ungesichert bleiben und daß menschliche Not letztlich nur durch persönlichen menschlichen Einsatz gelindert werden kann. Die beste Erfahrung, die junge Menschen aus solchen Diensten mitnehmen, ist das Bewußtsein, daß man sie und ihre Hilfeleistung braucht. Um des großen erzieherischen Gewinns willen sollte man allen jungen Menschen die Möglichkeit bieten, sich vorübergehend 'der praktischen Sozialarbeit zu widmen. Wenn auch der freiwillige soziale Dienst die große Lücke im Bereich der beruflichen Arbeit nicht füllen kann, so ist doch eines sicher, daß nämlich viele Jugendliche durch das Befaßtsein mit praktischer Sozialarbeit auch Interesse an einer sozialen Berufsarbeit gewinnen werden. Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode --- 66. und 67. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. März 1963 3057 Wie sieht der freiwillige soziale Dienst aus, für den die Wirkungen dieses Gesetzes gelten? Soziale Dienste werden in vielerlei Form geleistet, angefangen bei gelegentlichem Sonntagsnachmittagsdienst über Feriendienste zum vollen Jahresdienst. Der volle Jahresdienst — ausnahmsweise kann es auch ein Dienst von mindestens sechs Monaten sein — ist der Dienst im Sinne dieses Gesetzes. Er kann von Jugendlichen beider Geschlechter geleistet werden. Der Dienst muß eine geschlossene Maßnahme darstellen, er kann nicht die Summe von etlichen kurzfristigen Tätigkeiten sein. Ausdrücklich muß gesagt werden, daß der freiwillige soziale Dienst durch dieses Gesetz nicht eingeführt wird. Der Gesetzgeber setzt ihn so voraus, wie er von den Trägern bisher entwickelt worden ist, und läßt ihn in seinem Wesen unangetastet. Er stellt ihn in den einzelnen Bestimmungen nur dar. Er begrenzt die Wirkungen dieses Gesetzes auf Dienste, die in der Zeit zwischen dem 17. und dem 25. Lebensjahr geleistet werden. Mit der Festlegung der untersten Grenze bei .17 Jahren wird verhindert, daß das freiwillige soziale Jahr in andere Einrichtungen wie hauswirtschaftliche Lehre oder Pflegevorschule hineinwirkt, die in der Regel jüngeren Mädchen offen sind. Die obere Grenze von 25 Jahren kann überschritten werden in Fällen, in denen ein sozialer Dienst über das 25. Lebensjahr hinaus dauert, er kann aber nicht mehr nach dem 25. Lebensjahr mit den Wirkungen dieses Gesetzes begonnen werden. Ein wesentliches Merkmal des Dienstes ist die Freiwilligkeit. Ein Zwang ist mit dem inneren Wesen jeder karitativen Arbeit unvereinbar. Vor jeder Zwangsmaßnahme stünde auch der Riegel des Grundgesetzes. Ein Pflichtjahr muß deshalb außer Betracht bleiben. Es scheitert auch an der praktischen Durchführbarkeit. Wenn man den Entlaßjahrgang nur der Mädchen für 1962 zugrunde legte und auf je 25 nur eine Betreuungskraft rechnete — was nach allen Erfahrungen zu wenig wäre —, brauchte man 16 000 qualifizierte sozial-pädagogische Betreuungskräfte. Diese sind einfach nicht vorhanden. Der Dienst erfolgt in der Regel gegen ein Taschengeld. Der Träger gewährt Unterkunft und Verpflegung. Er hat für ausreichenden Versicherungsschutz einschließlich der Unfallversicherung Sorge zu tragen. Der Dienst besteht in einer Hilfstätigkeit pflegerischer, erzieherischer oder hauswirtschaftlicher Art in Krankenanstalten, Heimen, Kindergärten und Kindertagesstätten und in Einzelhaushalten. Die Träger sind nach 'der bisherigen Praxis die in der Bundesarbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtspflege zusammengeschlossenen Verbände sowie anerkannte Jugendverbände, die aber schon ihrer Zielsetzung nach für diese Aufgabe geeignet sind. Das Gesetz erschließt auch den Gebietskörperschaften die Einrichtung sozialer Dienste. Zwar ist nicht gemeint, daß jedes kommunale Krankenhaus oder jeder kommunale Kindergarten Träger sein kann. Leistungsfähige Trägergruppen werden sich aber ergeben bei sinnvollem Zusammenschluß für diese Aufgabe auf einer höheren Ebene, etwa der Ebene eines Landeskommunalverbandes. Über die im Gesetz benannten Träger hinaus kann die vom Lande bestimmte Anerkennungsbehörde weitere Träger zulassen. Die Länder schaffen die Ausführungsbestimmungen, nach denen die Anerkennung vor sich geht. Der Bundesgesetzgeber stellt zwar zwei unabdingbare Voraussetzungen für die Anerkennung der Dienste, für die die anerkannten Träger die Verantwortung übernehmen. Im i§ 2 Abs. 2 werden als Voraussetzung der Anerkennung eine geeignete pädagogische Führung und eine sachgerechte Betreuung verlangt. Die derzeitigen Pläne erfüllen diese Voraussetzungen. Sie weisen einen für alle Teilnehmer gleichen Grundausbildungslehrgang von drei bis vier Wochen aus. Danach erfolgt getrennter Einsatz in den verschiedenen Einrichtungen. In regelmäßigen Abständen werden die Jugendlichen vom Träger — etwa über ein Wochenende — zusammengerufen zum Erfahrungsaustausch und zur Nachschulung. Die Einsatzstelle steht unter ständiger Beobachtung durch den Träger. Das ist ganz besonders wichtig für den sozialen Dienst in Haushaltungen. Anstaltshaushalte werfen keine Probleme in der Hinsicht auf. Für die Durchführung der Dienste in Einzelhaushalten werden sich die Träger geeigneter Durchführungshilfen auf Ortsebene stützen müssen. Es kommt auch nicht jeder Einzelhaushalt in Frage. Das Gesetz verlangt das Vorliegen einer besonderen Lage. Die besondere Lage wird immer bei mehreren Kindern gegeben sein, ebenso bei der Landfrau oder auch bei hilfsbedürftigen alten Menschen in der eigenen Wohnung. Die Jugendlichen gehen eine Verpflichtung gegenüber dem Träger des Dienstes ein. Die Verpflichtungserklärung, die in der Regel über ein Jahr lautet, gilt als Antragsunterlage für die Fortzahlung der Leistungen für Kinder. Sie löst also die Weitergewährung der Bezüge aus. Am Ende des Dienstes stellt der Träger ein Testat aus. Nach dem Entwurf soll das Gesetz in Kraft treten am Tage nach seiner Verkündung. Aus vielen Gründen, die hier nicht erst dargelegt zu werden brauchen, muß das Gesetz mit dem Schulbeginn nach Ostern in Kraft sein oder zu diesem Termin wirksam werden. Die Länder sind aufgefordert, die Bemühungen des Bundes zur Förderung des freiwilligen sozialen Dienstes durch die eigenen zu ergänzen. Ich beantrage die Überweisung an den Ausschuß für Familien- und Jugendfragen. Anlage 9 Schriftliche Ausführungen der Abgeordneten Frau Funke zu dem von den Fraktionen der CDU/CSU, FDP eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Förderung des freiwilligen sozialen Jahres (Drucksache IV/ 986). 3058 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 66. und 67. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. März 1963 Wer freiwillig helfen will, soll dadurch keine persönlichen Nachteile haben, — das ist der Grundgedanke dieses Gesetzentwurfes, den die Fraktionen der CDU und FDP eingebracht haben. Es geht darum, daß diejenigen jungen Menschen, die ein Jahr ihres Lebens freiwillig und ohne Bezahlung in den Dienst des hilfsbedürftigen Nächsten stellen, während dieser Zeit nicht ihre Ansprüche auf Kindergeld, Waisenrente, Versorgung oder ihr Beamtenrecht verlieren, und daß ihnen diese Zeit später in der Altersversicherung nicht verloren geht. Bisher werden diese freiwilligen Dienste, wie sie von verschiedenen karitativen Verbänden eingerichtet und durchgeführt werden, zuerst als diakonisches Jahr, rechtlich als Erwerbstätigkeit angesehen, und dadurch entfielen für die jungen Mädchen und ihre Eltern Ansprüche und Vergünstigungen, die ihnen im Falle einer Berufsausbildung weitergewährt worden wären. Meine Fraktion ist demgegenüber der Auffassung, daß es sich bei solchem Einsatz nicht vorrangig um die Arbeitsleistung und schon gar nicht um Erwerbstätigkeit handelt, denn es wird lediglich ein Taschengeld, nicht aber Tariflohn bezahlt. Der freiwillige Dienst am Nächsten ist vielmehr ein Stück Erziehung, — Erziehung zur Gemeinschaft, Erziehung zur Hilfsbereitschaft und zum praktischen Tun, eine Erziehung dazu, Anforderungen des Volkes auch persönlich ernst zu nehmen, und eine Erziehung dazu, sich zu entscheiden und die einmal getroffene Entscheidung durchzuhalten, auch wenn ) es schwerfällt. Daß die jungen Mädchen zudem in Haus und Pflege vieles lernen können, was ihnen später als Hausfrau und Mutter nützlich sein wird, braucht kaum erwähnt zu werden. Die FDP lehnt alle Überlegungen ab, die dahin zielen, den Mangel an Pflege- und Hilfskräften in Krankenhäusern, Alters- und Kinderheimen oder Haushalten durch eine Dienstverpflichtung (Pflichtjahr) zu beheben. Aber sie befürwortet die freiwillige Entscheidung zu einem persönlichen Einsatz als ein Stück staatsbürgerlicher Praxis sehr und will daher mögliche Erschwernisse gern beseitigen. Nach dem Gesetzentwurf kann der freiwillige soziale Dienst in Krankenanstalten, Kindergärten, Kindertagesstätten, Alters- und Erholungsheimen und ähnlichen Einrichtungen oder in Familien in besonderer Lage z. B. kinderreichen Familien geleistet werden. Voraussetzung ist, daß es sich um eine nicht entgeltliche ganztägige Tätigkeit von längerer Dauer — etwa 1 Jahr — handelt. Den Trägern des Dienstes — karitative Verbände, Land oder Kommunen, Jugendverbänden usw. — wird zur Auflage gemacht, daß nicht nur eine sachgemäße Betreuung und Schutz vor Ausnutzung, sondern auch eine pädagogische Führung gewährleistet wird. Darum sind wir der Meinung, daß die Anerkennung im einzelnen und somit auch eine Kontrolle den Landesbehörden zu übertragen ist. Es wäre zu wünschen, daß durch die Beseitigung von Erschwernissen und Nachteilen die Zahl der jungen Menschen, die sich freiwillig zum Helfen entscheiden, nicht unbeträchtlich größer werden möchte. Eine Bereitschaft zum sozialen Handeln ist — das möchte ich an dieser Stelle ausdrücklich zur Ehre der heranwachsenden Generation sagen — durchaus in unserer Jugend vorhanden. Es liegt nur an uns, sie in geeigneter Weise zu aktivieren. Darum beantragen auch wir die Überweisung des Gesetzentwurfes an den Ausschuß für Familien- und Jugendfragen. Anlage 10 Schriftliche Ausführungen der Abgeordneten Frau Schanzenbach für die Fraktion der SPD zu dem von den Fraktionen der CDU/ CSU, FDP eingereichten Entwurf eines Gesetzes zur Förderung eines freiwilligen sozialen Jahres (Drucksache IV/ 986). Es besteht die Gefahr, daß (der Antrag der CDU/ CSU, FDP — Drucksache IV/ 986 —, der ein Entwurf eines Gesetzes zur Förderung eines freiwilligen sozialen Jahres ist, in der Offentlichkeit Mißverständnissen unterliegt. Es handelt sich nicht um die Einführung eines sozialen Jahres für junge Mädchen auf gesetzlicher Grundlage. Hier sollen lediglich die im Zusammenhang mit der bisherigen ehrenamtlichen Tätigkeit junger Mädchen in Krankenhäusern und anderen sozialen Einrichtungen entstandenen wirtschaftlichen Härten ausgeglichen werden. Die Einbringer des Antrages sind der Meinung, daß durch die Behebung dieser Mängel die Bereitschaft zu freiwilligen sozialen Diensten gefördert wird. Die SPD-Fraktion bejaht die freiwillige, ehrenamtliche soziale Tätigkeit. Ohne diese Hilfe für den Nächsten kann eine Demokratie nicht leben. Die in der Nachkriegszeit geleistete soziale Arbeit zur Behebung der ,außerordentlichen Notstände wäre ohne die freiwillige Hilfe vieler Frauen und Männer undenkbar gewesen. Auch heute können wir in den Gemeinden, in den Wohlfahrtsverbänden und sonstigen sozialen Einrichtungen auf die ehrenamtliche, freiwillige Mitarbeit gar nicht verzichten. Durch den besonderen Einsatz im Dienst für den Nächsten darf selbstverständlich den Helfern kein wirtschaftlicher Schaden entstehen. Die SPD-Fraktion ist gerne bereit, wirtschaftliche Einbußen, die durch freiwilligen Einsatz entstehen, abbauen zu helfen. Deshalb werden wir an dem vorgelegten Gesetzentwurf mitarbeiten. Wir möchten aber zum Ausdruck bringen, daß wir im Zusammenhang mit diesem Antrag einige Bedenken haben, auf die wir deutlich hinweisen wollen. Einzelpersonen und Verbände haben wegen des Mangels an Pflegepersonal für Krankenhäuser, Altersheime, Kinderheime und für Haushalte die Einführung eines Pflichtjahres für Mädchen gefordert. Die Forderungen werden etwa folgendermaßen begründet: „Ein Pflichtjahr, aber ohne politische oder militärische Vorzeichen, mit Wahlmöglichkeiten, tarifgemäßer Bezahlung und Garantie für die Erhaltung des Arbeitsplatzes". Evangelische Frauen fordern ein Gesetz, „das ihren Töchtern ein Kampfjahr gegen die Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 66. und 67. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. März 1963 3059 Not der Hilflosen auferlegt. Ein Jurist fordert die gesetzliche Einführung eines sogenannten Familienjahres, um in Anpassung an den Wandel der gesellschaftlichen Struktur die Mädchen auf den künftigen Familienhaushalt vorzubereiten. Professor Thielicke meinte, daß analog der militärischen Dienstpflicht für die männlichen Jugendlichen ein pflegerisches Dienstjahr für die weibliche Jugend eingeführt werden sollte. Die Einbringer des Antrags lehnen zwar ein Pflichtjahr ab, aber nachdem das Pflichtjahr der Vergangenheit oder eine ähnliche Einrichtung immer noch von Interessenten für wünschbar gehalten wird, muß mit allem Nachdruck festgestellt werden, daß die SPD-Fraktion die Einführung eines Pflichtjahres ablehnen wird. Das Grundgesetz verbietet ein Pflichtjahr, und da eine Grundgesetzänderung nur mit den Stimmen der SPD-Fraktion möglich ist, haben wir hierin die beste Gewähr, daß eine diesbezügliche Änderung nicht vorgenommen werden wird. Es ist eine Illusion, zu glauben, daß der Mangel an Pflegerinnen und hauswirtschaftlichen Kräften durch die Einführung eines freiwilligen sozialen Jahres oder eines Pflichtjahres behoben werden kann. Das meinen die Antragsteller gewiß nicht, aber in der Öffentlichkeit könnte dieser Eindruck entstehen. Der Mangel an Pflegekräften hat verschiedene Ursachen, denen unbedingt nachgegangen werden muß, wenn dem Notstand abgeholfen werden soll. Das Heilmittel in einer gesetzlich festgelegten Dienstverpflichtung junger Mädchen zu sehen, beweist die Unkenntnis des tatsächlichen Sachverhalts. Der Mangel an Pflegekräften und hauswirtschaftlichen Hilfen ist nicht allein die Folge unserer wirtschaftlichen Entwicklung, der sozialen Umstrukturierung und der Kriegsauswirkungen. Die Mängel sind ganz wesentlich darin begründet, daß nichts oder zu wenig oder zu spät getan wurde, um die Berufsnotstände gerade dieser Berufszweige zu beseitigen. Die Ausbildung und die Arbeitsbedingungen in den sozialen, pflegerischen und hauswirtschaftlichen Berufen entsprechen noch zu einem großen Teil dem Dienstverhältnis des vorigen Jahrhunderts. Nur wenn diese Berufe modern ausgestattet werden mit einem freien Arbeitsvertrag, mit einer ordentlichen Unterbringung, mit einer guten Bezahlung, werden diese Mangelberufe von den jungen Mädchen im größeren Umfange wieder ergriffen. Der in dem Gesetzentwurf angesprochene freiwillige soziale Dienst stellt den sozialen Einrichtungen nur unausgebildete Kräfte zur Verfügung. Mit dem Einsatz ungelernter Arbeitskräfte wird weder der Mangel an Fachkräften in den Krankenanstalten noch in den Haushalten behoben. Es wäre eine große Chance für die Gesundheitsministerin gewesen, wenn sie der Frage, weshalb der große Mangel an Pflegekräften vorhanden ist, nachgegangen wäre und eine Konzeption entwickelt hätte, wie diese Not mit den modernen Mitteln unserer Gesellschaft und Wirtschaft behoben werden könnte. Mit dem vorliegenden Entwurf wird lediglich eine wirtschaftliche Frage behandelt. Am eigentlichen Problem geht er vorbei. Anlage 11 Schriftliche Antwort der Frau Bundesminister Dr. Schwarzhaupt vom 11. März 1963 auf die Mündliche Anfrage des Abgeordneten Dr. Kohut Drucksache IV/ 1019, Frage XIII/ 1 Wie viele Leprakranke gibt es in der Bundesrepublik? Nach Mitteilung des Bundesgesundheitsamtes sind in der Bundesrepublik 12 Leprakranke gemeldet. 8 Personen, die zur Zeit nicht ansteckend sind, werden von Fachärzten aus Spezialkliniken laufend beobachtet; 4 Personen sind in stationärer Behandlung. Anlage 12 Schriftliche Antwort des Herrn Staatssekretärs Dr. Carstens vom 14. März 1963 auf die Mündliche Anfrage der Abgeordneten Frau Dr. Hubert Drucksache IV/ 1022, Frage I Welches ist der Stand der Ratifizierung des Europäischen Übereinkommens vom 28. April 1960 über die vorübergehende zollfreie Einfuhr von medizinischem, chirurgischem und Laboratoriumsmaterial, dessen sachliche Prüfung durch die beteiligten Bundesministerien nach Auskunft des Bundesaußenministers vom 29. November 1961 — Drucksache IV/ 40 — in Kürze abgeschlossen werden sollte? Ich darf im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Gesundheitswesen zu Ihrer Frage wie folgt Stellung nehmen: Die sachliche Prüfung des -Übereinkommens durch die beteiligten Bundesressorts ist abgeschlossen. Nach dem Ergebnis dieser sachlichen Prüfung steht der Ratifizierung des Übereinkommens nichts entgegen. Es sind lediglich Schwierigkeiten rechtsförmlicher Art, die bislang eine Hinterlegung der Ratifizierungsurkunde verzögert haben. Die mit dem Übereinkommen bezweckte Zollbefreiung wird dadurch jedoch nicht beeinflußt. Das Übereinkommen wird nämlich schon in der Praxis angewendet. Dies ist dadurch möglich, daß ,die in dem Übereinkommen vorgesehenen Abgabenbefreiungen von der Bundesrepublik auf Grund des § 24 Abs. 1 Nr. 4 des am 1. Januar 1962 in Kraft getretenen Zollgesetzes vom 14. Juni 1961 in Verbindung mit den §§ 64, 117 bis 125 der Allgemeinen Zollordnung vom 29. November 1961 und nach den Verbrauchssteuergesetzen gewährt werden können.
Gesamtes Protokol
Erwin Schoettle (SPD):
Rede ID: ID0406600000
Die Sitzung ist eröffnet.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die Tagesordnung erweitert werden um die
Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über Personalausweise — Drucksache IV/ 1056 —
und die
Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betr. Vorlage des Entwurfs eines Gesetzes zum Schutze der Rechte aus Arbeitsverhältnissen von Arbeitnehmern mit Wohnsitz im
Sowjetsektor von Berlin oder in der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands — Drucksache IV/1031 —.
Ist das Haus mit dieser Erweiterung der Tagesordnung einverstanden? — Das ist der Fall.
Zur Tagesordnung hat der Herr Abgeordnete Bading das Wort.

Harri Bading (SPD):
Rede ID: ID0406600100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Namen meiner Fraktion beantrage ich, die Tagesordnung zu erweitern um die Beratung der Vierten Verordnung zur Änderung der Ausfuhrliste — Anlage zur Außenwirtschaftsverordnung —, Drucksache IV/858.

(Abg. Memmel: Liegt uns die Drucksache vor?)

— Ich beantrage es.
Die Angelegenheit ist in dem federführenden Ausschuß, dem Außenhandelsausschuß, mehrfach und gestern abschließend beraten worden. Sie ist auf Wunsch des Vorsitzenden des Außenhandelsausschusses auch im Außenpolitischen Ausschuß beraten worden. Der Außenpolitische Ausschuß hat zur näheren Durchleuchtung der Angelegenheit einen Unterausschuß eingesetzt. Bei seiner gestrigen abschließenden Beratung hat der Außenhandelsausschuß folgendes beschlossen:
Der Bundestag wolle beschließen,
von dem Recht der Aufhebung Gebrauch zu
machen, es sei denn, daß die Bundesregierung
bereit ist, eine verbindliche Erklärung abzugeben, den Lieferungen aus den abgeschlossenen Verträgen über 163 000 t die Genehmigung zu erteilen.
Dieser Beschluß des Außenhandelsausschusses beruft sich auf einen Beschluß des Außenpolitischen Ausschusses, in dem es heißt:
Auf Grund des Berichtes des Unterausschusses hat der Auswärtige Ausschuß in seiner Sitzung von heute
— das heißt vom 5. März —
mit Mehrheit den Beschluß gefaßt, daß die Durchführung der vor dem Inkrafttreten der Vierten Verordnung zur Änderung der Ausfuhrliste abgeschlossenen Verträge durch die Verordnung nicht beeinträchtigt werden soll und daß die Bundesregierung ersucht werden soll, die Bündnispartner der Bundesrepublik hiervon in Kenntnis zu setzen.
Es handelt sich hier um eine Verordnung, gegen die der Bundestag Einspruch erheben kann; sie ist nicht zustimmungsbedürftig, sondern der Bundestag kann lediglich Einspruch erheben. Die Frist für die Einspruchserhebung läuft morgen ab. Infolgedessen muß sich der Bundestag heute noch mit der Angelegenheit beschäftigen. Wir halten es für einen unmöglichen Zustand, daß hier versucht wird, die Beratung dieser Angelegenheit zu verzögern, um ein Fristverstreichen zu erreichen.
Ich bitte daher das Hohe Haus, meinem Antrag zu entsprechen.

Erwin Schoettle (SPD):
Rede ID: ID0406600200
Herr Abgeordneter Rasner!

Will Rasner (CDU):
Rede ID: ID0406600300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Bading, die von Ihnen genannten Drucksachen liegen dem Haus auch jetzt noch nicht vor. Namens der Fraktion der CDU/CSU erhebe ich Fristeinrede gemäß § 77 Abs. 2 unserer Geschäftsordnung.

(Zuruf von der SPD: Die Termine laufen!)


Erwin Schoettle (SPD):
Rede ID: ID0406600400
Herr Abgeordneter Mommer!

Dr. Karl Mommer (SPD):
Rede ID: ID0406600500
Meine Damen und Herren! In diesem Hause gehen wir mit der Fristeinrede
3026 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 66. und 67. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. März 1963
Dr. Mommer
immer sehr vorsichtig um, da wir wissen, daß wir einander brauchen und es sehr häufig vorkommt, daß wir die Fristen für die Verteilung der Drucksachen nicht einhalten können.
In diesem Fall hat die Fristeinrede noch eine besondere Bedeutung; denn wenn wir die nach § 77 der Geschäftsordnung für die Verteilung der Drucksachen vorgeschriebene Frist einhalten, ist die Frist abgelaufen, in der der Bundestag gegen das Embargo Einspruch erheben kann. Hier ist die Fristeinrede also eine hochpolitische Einrede. Sie ist der Versuch eines Teiles der Bundesregierung — nicht d e r Bundesregierung, glaube ich zu wissen —, die Mehrheit dieses Hauses zu überfahren.
Dazu möchte ich Ihnen sagen, meine Damen und Herren von der CDU-Fraktion: Man kann sich der Mittel der Geschäftsordnung nicht einseitig bedienen, wann es einem paßt. Wir machen alle vorsichtig Gebrauch von den Rechten, die die Minderheit hat. In dem Fall sind Sie diese Minderheit; daß Sie es wissen! Wir machen vorsichtig Gebrauch von diesen Möglichkeiten, weil wir sonst nicht arbeiten können.
Hier versuchen Sie, mit der Fristeinrede ein Stück größerer Politik zu machen. Das wird Ihnen nicht gelingen. Überlegen Sie sich vielleicht noch einmal, ob Sie das tun! Wir werden jedenfalls die Frist, die dem Bundestag gegeben ist, nicht verstreichen lassen, sondern dann von einem anderen Mittel Gebrauch machen, das im Grundgesetz steht, Art. 39 Abs. 3 letzter Satz Der Bundestag muß zusammentreten, wenn ein Drittel seiner Mitglieder es verlangt. Wenn Sie Wert darauf legen, morgen nachmittag eine Sondersitzung des Bundestages zu haben, dann müssen Sie es sagen.

(Beifall bei der SPD und der FDP.)


Erwin Schoettle (SPD):
Rede ID: ID0406600600
Meine Damen und Herren, die Argumente in dieser Geschäftsordnungsdebatte sind abgewogen. Sie stehen gegeneinander. Ich muß als amtierender Präsident nach der Geschäftsordnung entscheiden und muß anerkennen, daß die Fristeinrede durchschlägt, daß also der Antrag der sozialdemokratischen Fraktion nicht auf die Tagesordnung gesetzt werden kann. — Herr Abgeordneter Mommer!

Dr. Karl Mommer (SPD):
Rede ID: ID0406600700
Herr Präsident, ich glaube, daß Sie in der Tat nicht anders entscheiden konnten als nach § 77 der Geschäftsordnung. Nachdem Sie so entschieden haben, bitte ich um eine halbstündige Unterbrechung der Sitzung, damit wir eine Fraktionssitzung abhalten können.

Erwin Schoettle (SPD):
Rede ID: ID0406600800
Ich habe entschieden, daß die Fristeinrede durchschlägt.
Es ist wohl anzunehmen, daß die Fraktionen mit der Unterbrechung der Sitzung einverstanden sind.
Meine Damen und Herren, die Sitzung ist unterbrochen.

(Unterbrechung der Sitzung von 9.11 Uhr bis 9.48 Uhr.)


Erwin Schoettle (SPD):
Rede ID: ID0406600900
Die Sitzung ist wieder eröffnet.
Um das Wort gebeten hat der Abgeordnete Mommer.

Dr. Karl Mommer (SPD):
Rede ID: ID0406601000
Meine Damen und Herren, Gerüchte, die ich eben gehört habe, kenne ich offiziell nicht. Ich kenne nur den Stand vom Augenblick der Unterbrechung der Sitzung.
Ich darf namens meiner Frakion, gestützt auf den Art. 39 des Grundgesetzes, verlangen, daß der Bundestag am Montag um 16 Uhr zu einer Sondersitzung zusammentritt.

Erwin Schoettle (SPD):
Rede ID: ID0406601100
Herr Abgeordneter Rasner.

Will Rasner (CDU):
Rede ID: ID0406601200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Recht der sozialdemokratischen Fraktion ist ganz unbestritten. Die genaue Festsetzung des Tags und der Uhrzeit hat im Altestenrat zu erfolgen.
Herr Präsident, ich beantrage, daß dafür nach Abwicklung dieser Plenarsitzung eine Sitzung des Ältestenrates stattfindet.

Erwin Schoettle (SPD):
Rede ID: ID0406601300
Ich glaube, sowohl dem einen wie dem anderen Antrag muß stattgegeben werden.

(Heiterkeit.)

Über die Einberufung der Sondersitzung für Montag wird dann am Schluß dieser Sitzung eine Bekanntmachung erfolgen.
Damit, meine Damen und Herren, können wir die Vorgefechte als abgeschlossen betrachten und in die Tagesordnung eintreten.
Ich rufe Punkt 21 der für diese Woche geltenden Tagesordnung auf:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Neugliederung des Bundesgebietes gemäß Artikel 29 Abs. 1 bis 6 ,des Grundgesetzes (Erstes Neugliederungsgesetz) (Drucks ache IV/834)
b) Erste Beratung des von den Abgeordneten 'Dr. Kopf, Dr. h. c. Güde, Hilbert, Dr. Hauser, Dr. Bieringer und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Neugliederung des Gebietsteiles Baden des Bundeslandes -Baden-Württemberg nach Artikel 29 Abs. 2 und 3 des Grundgesetzes (Drucksache IV/846).
Zur Begründung des Entwurfs der Bundesregierung hat das Wort der Herr Bundesminister des Innern.

Hermann Höcherl (CSU):
Rede ID: ID0406601400
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit der Einbringung des Entwurfs eines Ersten Neugliederungsgesetzes macht die Bundesregierung dem Bundesgesetzgeber den Vorschlag, die Baden-Frage
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 66. und 67. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. März 1963 3027
Bundesminister Höcherl
einer endgültigen und befriedigenden Lösung zuzuführen.
Bis zu dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 30. Mai 1956 ist der Auftrag des Grundgesetzes in Art. 29 Abs. 1 bis 6, das Bundesgebiet durch Bundesgesetz neu zu gliedern, allgemein so verstanden worden, daß die Neugliederung, ausgehend von einer umfassenden Konzeption, für den gesamten Geltungsbereich des Grundgesetzes in einem Zuge und durch ein einheitliches Bundesgesetz erfolgen müsse. Das Bundesverfassungsgericht ist in dem erwähnten Urteil dieser Auffassung nicht gefolgt. Es hat zwar bestätigt, daß eine organisch wohlausgeglichene gebietliche Neuordnung des ganzen Bundesgebietes eine Gesamtkonzeption voraussetzt, hat aber erklärt, damit sei nicht gesagt, daß die in Art. 29 Abs. 2 bis 6 geforderte Neugliederung uno actu, also in einem Gesetz im technischen Sinne, erwirkt werden müsse. Soweit dies aus zwingenden Gründen nicht erfolgen könne, sei die in Art. 29 Abs. 2 bis 6 gestellte umfassende Aufgabe in einzelnen Abschnitten und technisch in einer Mehrzahl von Gesetzen zu lösen.
Ich darf ferner in Erinnerung bringen, daß mehrere Versuche, die Baden-Frage auf einem anderen als dem hier vorgeschlagenen Wege zu lösen, nicht zum Erfolg geführt haben. Dazu gehören einmal die beiden Initiativgesetzentwürfe aus der Mitte des Bundestages in der 2. und 3. Wahlperiode, die das Klassenziel nicht erreicht haben. Diese hatten vorgesehen, daß in Baden ein Volksentscheid darüber stattfinden sollte, ob der Gebietsteil Baden aus Baden-Württemberg ausgegliedert und als selbständiges Bundesland wiederhergestellt werden sollte. Bei diesen Entwürfen fehlte es an der in Art. 29 Abs. 2 Satz 3 des Grundgesetzes geforderten eigenen Entscheidung des Gesetzgebers. Die entsprechenden Bestimmungen wurden daher von den zuständigen Bundestagsausschüssen abgelehnt.
Dazu gehören ferner die in den letzten beiden Jahren unternommenen Versuche, die Baden-Frage im Wege einer Grundgesetzänderung zu lösen. Es. war daran gedacht, Art. 29 Abs. 2 des Grundgesetzes in der Weise zu ergänzen, daß die wahlberechtigte Bevölkerung die Möglichkeit haben sollte, eine Entscheidung zwischen mehreren im Neugliederungsgesetz niedergelegten Regelungen der Landeszugehörigkeit des Gebietsteils zu treffen, d. h. alternativ über die Fragen zu entscheiden, ob BadenWürttemberg bestehenbleiben oder das alte Land Baden wiederhergestellt werden solle.
Die Gespräche, die über eine solche Grundgesetzänderung sehr intensiv geführt wurden, ergaben jedoch, daß die erforderliche Zweidrittelmehrheit im Bundestag nicht zu erreichen war.

(Abg. Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller: Mit wem haben Sie denn die Gespräche geführt?)

— Die Beteiligten haben die Gespräche geführt, und wir haben das Ergebnis entgegengenommen. Ich glaube, daß auch mit Ihnen Gespräche geführt worden sind, gerade auch mit Ihnen, Herr Möller; ich glaube, nicht falsch unterrichtet zu sein. Im übrigen ist eine Verbesserung jederzeit möglich. Die Bundesregierung stimmt jeder Verbesserung zu. Wenn Sie hier erklären wollen, daß Sie eine Verfassungsänderung wollen, bitte sehr.
Dem vom Bundesverfassungsgericht gewiesenen Wege folgend, empfiehlt nunmehr die Bundesregierung, die Baden-Frage als erste Phase des Neugliederungsprozesses zu lösen. Dabei ergeben sich jedoch folgende Probleme:
1. Die von der Bundesregierung vorgeschlagene Phasenregelung setzt voraus, daß die Neugliederung des gesamten Bundesgebietes im gegenwärtigen Zeitpunkt aus zwingenden Gründen nicht möglich ist. Diese Voraussetzung ist nach Auffassung der Bundesregierung erfüllt. Die außenpolitische Lage, insbesondere die anhaltende Bedrohung Berlins und die Sorge um die Wiedervereinigung beanspruchen zur Zeit alle politischen Kräfte unseres Volkes. Eine Neugliederung des gesamten Bundesgebietes aber ließe sich nicht ohne innenpolitische Auseinandersetzungen durchführen.
2. Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit einer Phasenregelung entbindet nach dem erwähnten Urteil des Bundesverfassungsgerichts nicht davon, schon jetzt für die Neugliederung des gesamten Bundesgebietes eine Gesamtkonzeption zu entwikkeln. Die Bundesregierung hat dementsprechend ihre Auffassung zur künftigen Neugliederung des ganzen Bundesgebietes in Ziffer III der Begründung des vorliegenden Gesetzentwurfs dargetan. Sie glaubt damit den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts an eine Gesamtkonzeption in dem Maße entsprochen zu haben, in dem dies im gegenwärtigen Zeitpunkt möglich ist.
Der mit dem vorliegenden Gesetzentwurf eingeschlagene Weg hält sich an das vom Grundgesetzgeber in Art. 29 geforderte Verfahren und gewährleistet nach Auffassung der Bundesregierung auch eine faire Lösung der Baden-Frage.
Der Gesetzentwurf trifft in § 1 die Entscheidung: „Die badischen Gebietsteile verbleiben im Land Baden-Württemberg." Damit wird der badischen Bevölkerung, und zwar dieser allein, das verfassungsmäßige Recht gegeben, zu der gesetzgeberischen Entscheidung, d. h. dem Verbleiben des Landes Baden bei Baden-Württemberg, ja oder nein zu sagen. Die Annahme, durch eine solche Entscheidung des Gesetzgebers würden die Anhänger der Wiederherstellung Badens benachteiligt, weil die Autorität des Bundesgesetzgebers die Abstimmung im gegenteiligen Sinne beeinflussen könnte, hält die Bundesregierung nicht für durchschlagend. Die Bevölkerung Badens ist durchaus in der Lage, sich in dieser Frage, zumal nach einem fairen Abstimmungskampf und in geheimer Abstimmung, völlig frei zu entscheiden. Im übrigen ist nach dem Verfahren des Art. 29 eine Stellungnahme des Bundesgesetzgebers für die eine oder andere Lösung vorgeschrieben und unvermeidbar. Mit dem gleichen Recht ließe sich sagen, daß bei einer Entscheidung des Gesetzgebers für die Wiederherstellung des alten Landes Baden die Anhänger des Fortbestandes des Landes Baden-Württemberg benachteiligt würden.,
3028 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 66. und 67. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. März 1963
Bundesminister Höcherl
Die Bundesregierung kann im übrigen nur ein Gesetz vorschlagen, von dessen sachlicher Richtigkeit sie überzeugt ist. Sie hat die von ihr vorgeschlagene Fragestellung gewählt, weil sie der Auffassung ist, daß das seit mehr als zehn Jahren bestehende Bundesland Baden-Württemberg nach erfolgreicher Aufbauarbeit und Bewährung — auch im Hinblick auf das Zusammenleben von Württembergern und Badenern — am besten den Forderungen des Art. 29 Abs. 1 des Grundgesetzes entspricht. Dies folgt nicht nur aus der geschichtlichen und kulturellen Verbundenheit beider Landesteile, sondern auch aus wirtschaftlichen Überlegungen. Beide Gebiete ergänzten sich von jeher in ihrer vielgestaltigen Wirtschafts- und Sozialstruktur. Ich darf daran erinnern, daß auch das sogenannte Luther-Gutachten Baden-Württemberg als Muster eines wirtschaftlich zweckmäßig gegliederten Landes bezeichnet hat.
Die Bundesregierung hofft, daß der im Regierungsentwurf vorgesehene Volksentscheid mit einer klaren Mehrheit diese notwendige Befriedung in der Baden-Frage bringen werde. Sie ist der Überzeugung, daß das Ergebnis des Volksentscheids in Baden von allen Beteiligten respektiert werden wird. Namens der Bundesregierung darf ich Sie bitten, dieses Ziel durch raschen Fortgang der Ausschußberatungen verwirklichen zu helfen.

(Beifall in der Mitte.)


Erwin Schoettle (SPD):
Rede ID: ID0406601500
Das Wort zur Begründung des Gesetzentwurfs der Abgeordneten Dr. Kopf usw. hat der Abgeordnete Dr. Kopf.

Dr. Hermann Kopf (CDU):
Rede ID: ID0406601600
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es sind 12 Jahre her, seitdem auf Grund des sogenannten Zweiten Neugliederungsgesetzes das Bundesland Baden-Württemberg geschaffen worden ist. Dieses Zweite Neugliederungsgesetz, das die Grundlage dieser Staatsbildung gewesen ist, ist Gegenstand einer lebhaften Kritik geworden und bis auf den heutigen Tag geblieben. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht in seinem ersten grundsätzlichen Urteil dieses Gesetz als nicht verfassungswidrig bezeichnet; aber in einem zweiten Urteil vom Jahre 1956 hat sich das Bundesverfassungsgericht erneut mit diesem Gesetz beschäftigt und es an den allgemeinen Grundsätzen der Neugliederung gemessen, wie sie im Grundgesetz verankert sind.
Es gibt wohl keine treffendere und einschneidendere Kritik an diesem Zweiten Neugliederungsgesetz als die Worte, die das Bundesverfassungsgericht in seinem zweiten Urteil vom 30. Mai 1956 gefunden hat. Das Gericht hat damals in diesem zweiten Urteil geschrieben:
Das Grundgesetz perhorresziert, weil es das demokratische Prinzip ernst nimmt, die Bildung neuer Länder über den Kopf der Bevölkerung hinweg. Die Zerreißung Gesamt-Badens anläßlich der Bildung der späteren Bundesländer Baden und Württemberg erfolgte ohne Befragung der Bevölkerung.
Ein zweites Zitat aus diesem Urteil sei gleichfalls wiedergegeben:
Der Wille der badischen Bevölkerung ist durch die Besonderheit der politisch-geschichtlichen Entwicklung überspielt worden.
Was ist unter dieser „politisch-geschichtlichen Entwicklung" zu verstehen? Zweifellos auf der einen Seite auch der Tatbestand, daß damals auf Grund des Besatzungsrechts drei Länder im Südwesten Deutschlands bestanden haben; auf der anderen Seite aber auch der Tatbestand, daß das Zweite Neugliederungsgesetz schwere Mängel rechtlicher Art enthalten hat.
Dann hat das Bundesverfassungsgericht in demselben Urteil folgendes zum Ausdruck gebracht:
Bei der Abstimmung am 9. Dezember 1951 haben zwei Bevölkerungen, die badische und die württembergische, in der Weise gemeinsam abgestimmt, daß die zahlenmäßig stärkere die schwächere majorisieren konnte. Es war also eine Abstimmung, in der die badische Bevölkerung nicht selbst bestimmen konnte, in welchem staatlichen Verband sie künftig leben wollte. Sie lebt noch immer in einem Gebiet, das ohne Volksabstimmung seine Landeszugehörigkeit geändert hat.
Ich möchte an folgendem Beispiel deutlich machen, welches die schweren Mängel des Zweiten Neugliederungsgesetzes und damit des Zustandekommens des Bundeslandes Baden-Württemberg gewesen sind. Nehmen wir an — ein hypothetischer Fall —, das Bundesland Schleswig-Holstein käme auf den Gedanken — es kommt natürlich nicht auf den Gedanken —, sich die Stadt Hamburg einzuverleiben, und es würde zu diesem Zweck ein Gesetz des Inhalts eingebracht, daß der Gesamtraum von Schleswig-Holstein und von Hamburg in drei Abstimmungsbezirke zerlegt wird. Dieses Gesetz würde weiterhin bestimmen: Wenn sich in zwei von den drei Bezirken eine Mehrheit für die Zusammenfassung dieser beiden Bundesländer ergibt, dann soll ein neues einheitliches Bundesland Hamburg-Schleswig-Holstein gebildet werden. Wenn dann die Abstimmung käme und die Länder Schleswig und Holstein würden — hypothetisch — für dieses neue Einheitsland stimmen, die Stadt Hamburg aber die Mehrheit nicht gewähren, dann käme trotz der Entscheidung in Hamburg, das die Zusammenlegung mit Schleswig-Holstein abgelehnt hätte, ein neues einheitliches Bundesland Hamburg-Schleswig-Holstein zustande.
Genau dieses Verfahren, das uns schwer denkbar erscheint, ist im Fall der Bildung des Bundeslandes Baden-Württemberg angewendet worden; denn der Gesamtraum der früheren beiden Länder Baden und Württemberg wurde in vier Abstimmungsbezirke zerlegt. In dreien hat sich eine Mehrheit ergeben, im vierten war eine Mehrheit dagegen. 62 % der südbadischen Bevölkerung waren gegen die Bildung des neuen Bundeslandes, und 52 % der gesamtbadischen Bevölkerung waren gleichfalls dagegen. Trotzdem ist das neue Bundesland gebildet worden.
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 66. und 67. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. März 1963 3029
Dr. Kopf
Nun hat im Jahre 1956 ein erfolgreiches Volksbegehren im Gebietsteil Baden stattgefunden. 15 % der abstimmungsberechtigten Bevölkerung haben sich in die Listen des Volksbegehrens zugunsten einer Wiederherstellung des Landes Baden eingetragen. Das Grundgesetz sagt aber, wenn in einem Gebiet ein Volksbegehren erfolgreich verläuft, muß ln diesem Gebiet in jedem Falle ein Volksentscheid durchgeführt werden. Das ist eine zwingende Bestimmung, und es ist gar nicht dem Ermessen der Regierung überantwortet, ob dieser Volksentscheid stattfinden soll oder nicht. Das ist keine Frage der diskretionären Entscheidung, sondern das isst grundgesetzlich vorgeschrieben. Der Volksentscheid muß stattfinden.
Allerdings ist im Jahre 1959 eine Studie des Staatsministeriums in Stuttgart ausgearbeitet worden. Darin heißt es u. a., die Vorlage eines Gesetzentwurfes im gegenwärtigen Zeitpunkt sei nicht angebracht. Der Tätigkeit der Altbadener solle mit politischen, und an einem anderen Ort heißt es: mit psychologischen Maßnahmen entgegengetreten werden. Mit politischen Maßnahmen, aber nicht mit der einfachen rechtlichen Maßnahme, die durch das Grundgesetz zwingend vorgeschrieben war, nämlich durch die Ermöglichung eines Volksentscheides, wie das Gesetz es befiehlt.
Ich möchte hier ausdrücklich anerkennen, und ich möchte meiner Befriedigung darüber Ausdruck geben, daß, nachdem diese Angelegenheit jahrelang verzögert worden ist, nun der Herr Bundesinnenminister die Initiative ergriffen und einen Gesetzentwurf eingebracht hat, der die Grundlage für einen Volksentscheid in Baden bilden soll. Ich möchte weiterhin zum Ausdruck bringen, daß meine Freunde und ich auch mit einer Reihe wesentlicher Punkte, die in diesem Gesetzentwurf enthalten sind, übereinstimmen.
Wir stimmen damit überein, daß eine sogenannte Phasenregelung ins Auge gefaßt wird. Der Herr Bundesinnenminister teilt hier unseren Standpunkt, daß es nicht möglich ist, das gesamte deutsche Neugliederungsverfahren in einem Gesetzesakt — uno actu — durchzuführen, sondern daß es hierfür, so wie das Bundesverfassungsgericht es auch zuläßt, einer phasenweisen und sukzessiven Abfolge einzelner Gesetze bedarf.
Wir stimmen mit dem Herrn Bundesinnenminister auch darin überein, daß der Fall Baden zeitlich vorweggenommen werden soll. Hierfür liegen gute Gründe vor: einmal die Sonderbehandlung, die der Art. 118 des Grundgesetzes dem südwestdeutschen Raum hat angedeihen lassen, und zweitens der Umstand, daß die Volksabstimmung in Baden vom Jahre 1951 an den schweren Mängeln krankt, die vom Bundesverfassungsgericht in so außerordentlich treffender Weise dargestellt worden sind.
Wir sind auch mit dem Herrn Bundesinnenminister der Auffassung, daß eine weitere Hinausschiebung der Abstimmung in Baden einen schweren Störungsfaktor darstellen würde. Auch für den Fall, daß das jetzige Bundesland Baden-Württemberg bestehenbleiben sollte, liegt es im Interesse einer endgültigen Konsolidierung, den provisorischen Charakter, der ihm anhaftet, abzustreifen und durch einen Volksentscheid seine endgültige Legitimierung sich geben zu lassen.
Wir stimmen auch weitgehend überein mit der Gesamtkonzeption, die in der Drucksache des Herrn Ministers enthalten ist, allerdings mit einer einzigen Ausnahme. In der Drucksache des Regierungsentwurfs finden sich Ausführungen darüber, daß nach der Auffassung der Regierung das künftige Bild Deutschlands so gestaltet werden soll, daß großräumige Länder vorhanden sein sollen, und es werden eine Reihe solcher großräumiger Länder auch namentlich angeführt. Das Grundgesetz spricht nicht von großräumigen Ländern, sondern es geht von einem ganz anderen Begriff aus: der Lebensfähigkeit. Wir sind der Meinung, daß dieser Begriff der Lebensfähigkeit auch im Falle der Neugliederung des Südwestraums Anwendung finden soll, und wir stellen die Frage, wie mit dem Prinzip der Schaffung großräumiger Länder die Fortexistenz der Stadtstaaten Hamburg und Bremen vereinbar ist, die ganz bestimmt wichtige Länder im Gefüge der Bundesrepublik darstellen, aber keineswegs als großräumige Länder bezeichnet werden können. Ich glaube, daß aber in diesem Haus alle damit einverstanden sind, daß gerade diese beiden so wichtigen Länder mit ihrem Sonderstatus als Länder im föderalen Verband der Bundesrepublik auch künftig weiterbestehen sollen, und zwar auch dann, wenn sie dem Erfordernis des Regierungsentwurfs, nämlich der Großräumigkeit, nicht entsprechen sollten.
Gegen die Vorlage des Bundesinnenministeriums erhebt sich ein sehr gewichtiger Einwand, und ich räume ohne weiteres ein, daß dieser Einwand sich auch gegen unseren eigenen Initiativantrag nicht mit Unrecht geltend machen ließe. Es erhebt sich nämlich die Frage: Sind der Bundestag, der Bundesrat und die Bundesregierung nicht dann überfordert, wenn man von ihnen eine materielle Regelung der Landeszugehörigkeit eines Gebietsteiles verlangen soll, über dessen künftiges Schicksal zunächst einmal die beteiligte Bevölkerung selber befragt werden soll? — Da sind wir allerdings der Meinung, daß nur eine intime Kenntnis der regionalen und lokalen Verhältnisse es gestattet, hier eine Regelung, der künftigen Landeszugehörigkeit vorzunehmen, und daß das wichtigste Element, von dem der Bundesgesetzgeber Kenntnis nehmen müßte, der Wille der zum Volksentscheid berufenen Bevölkerung selbst darstellt.
Wir möchten ferner auf einen weiteren Einwand nicht verzichten. Wir befürchten, daß die Lösung, die der Entwurf des Herrn Bundesinnenministers vorsieht, nämlich die Regelung einer Aufrechterhaltung des jetzigen Bundeslandes Baden-Württemberg, eine Suggestivwirkung auf die abstimmungsberechtigte Wählerschaft ausübt; denn hier treffen ja bereits die Bundesregierung und der Bundestag eine Vorentscheidung. Hier wird eine Frage präjudiziert, die erst von der Bevölkerung selbst beantwortet werden soll. Gerade dieses Moment der Präjudizierung und der Suggestivwirkung einer Frage, die ja erst noch
3030 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 66. und 67. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. März 1963
Dr. Kopf
einer Antwort durch das Volk selber bedarf, ist ein Moment, das unbedingt vermieden werden soll.
In einem Dokument, das in dem Grünen Buch über die Bildung des Südweststaates enthalten ist, sind die sogenannten Freudenstädter Beschlüsse abgedruckt. Sie bringen folgendes zum Ausdruck:
Abstimmungsverfahren und Fragestellung sind so zu gestalten, daß der Wille der Abstimmungsberechtigten klar und unverfälscht zum Ausdruck kommt und daß keine der vorhandenen Auffassungen von vornherein bevorzugt oder benachteiligt wird.
Wir befürchten, daß, wenn der Bundesgesetzgeber der Bevölkerung bereits eine fertige Lösung vorschreibt, nämlich das jetzige Bundesland zu erhalten, gerade diese Erfordernisse der Freudenstädter Beschlüsse nicht gewährleistet sind, daß im Gegenteil die von einem solchen Entschluß des Gesetzgebers ausgehende Suggestivwirkung von vornherein die vorhandenen Auffassungen bevorzugt oder benachteiligt; und gerade das sollte ja vermieden werden.
Wir müssen schließlich auch auf die ernsten rechtlichen Folgen hinweisen, die sich dann, wenn der Regierungsentwurf Gesetz würde, ergeben würden, wenn die badische Bevölkerung die ihr vorgeschlagene Lösung, das jetzige Bundesland aufrechtzuerhalten, verneinen sollte. In diesem Falle wäre nach dem Grundgesetz wiederum keine endgültige Lösung geschaffen; in diesem Falle müßte die Bundesregierung erneut einen Gesetzentwurf einbringen;
das gesamte Bundesvolk wäre befugt, über diesen Gesetzentwurf abzustimmen, und es würde sich erneut die Problematik ergeben: Ist das Bundesvolk wirklich in der Lage, über das Schicksal eines Gebietsteils eine endgültige Entscheidung im Wege eines Volksentscheids zu erbringen, die doch der Natur der Sache nach in erster Linie von der Bevölkerung dieses Gebietsteils selber getroffen werden müßte?
Wenn ich nun ein Wort zu unserem eigenen Initiativantrag sage, so möchte ich eine Vorbemerkung machen. „Neugliederung" im Sinne des Grundgesetzes bedeutet nicht eine bloße Neueinteilung vpn Verwaltungsbezirken nach rationalen Gesichtspunkten. In einem unitarischen Lande, beispielsweise unserem Nachbarland, wäre eine Neueinteilung der Departemente bestimmt eine Maßnahme, die nach solchen rationalen Gesichtspunkten der Zweckmäßigkeit und Opportunität durchgeführt werden könnte. Aber Neugliederung im Förderalstaat ist etwas ganz anderes. Eine solche Neugliederung muß dem Kriterium der Gliedhaftigkeit jedes Gliedstaates Rechnung tragen, und der Artikel 29 des Grundgesetzes gibt Auskunft darüber, daß bei dieser Neugliederung zu berücksichtigen sind die landsmannschaftliche Verbundenheit, die geschichtlichen und kulturellen Zusammenhänge, die wirtschaftliche Zweckmäßigkeit und das soziale Gefüge — alles Tatbestände und Elemente, die bei einer nur rationalen Grenzziehung nicht ohne weiteres ihre volle Berücksichtigung finden könnten.
150 Jahre lang, mehr als das, hat dieses Land Baden bestanden als ein demokratischer Staat mit einem gut funktionierenden, ja sogar einem vorbildlichen parlamentarischen System. 150 Jahre politischer Zusammenarbeit der Teile der badischen Bevölkerung haben in diesem Land ein Staatsgefühl erzeugt und ein Staatsvolk geschaffen. Wenn das Land Bayern sich als „Freistaat" bezeichnet hat, so kommt in dieser Wahl der Terminologie zum Ausdruck, daß auch nach unserem heutigen Grundgesetz unseren Ländern noch immer der staatsrechtliche Charakter eines Staates innewohnt. Entscheidend dafür, daß nach unserem Initiativantrag das Land Baden wiedererstehen soll, ist vor allem der politische Gesichtspunkt, daß dieses badische Volk, das in 150jähriger Tradition und Geschichte trotz der ursprünglichen Verschiedenartigkeit seiner stammesmäßigen Bestandteile zusammengewachsen ist, seine Angelegenheiten selbst verwalten will.
Wenn uns vielleicht vorgehalten werden sollte, daß in unserem Entwurf nicht die so oft berufene Gesamtkonzeption enthalten sei, so möchte ich dazu folgendes sagen. Einmal ist diese sogenannte Gesamtkonzeption — auch diese Frage hat im 2. und 3. Bundestag in den Ausschüssen eine große Rolle gespielt — dann gar nicht erforderlich, wenn es sich um den Südwestraum handelt. Sie ist deshalb nicht erforderlich, weil die Neugliederung des Südwestraumes in Art. 118 des Grundgesetzes eine Sonderbehandlung gefunden hat, weil dieser Südwestraum aus dem allgemeinen Neugliederungsgesetz ausgespart wurde und wegen der besonderen damals vorhandenen politischen Umstände eine besonders eilbedürftige Neugliederung erfahren sollte. Man kann diese These, die ich vertrete, daß die Gesamtkonzeption für unseren Fall Baden nicht erforderlich ist, auf Seite 42 des Rechtsgutachtens des Universitätsprofessors Dr. Friedrich Klein in Münster nachlesen, das im Auftrag der Landesregierung Baden-Württemberg erstattet worden ist.
Ich möchte aber auch ein Wort über den merkwürdigen Tatbestand sagen, wie bei der Bildung des jetzigen Bundeslandes Baden-Württemberg Vertreter verschiedener und — ich möchte sagen — konträrer Richtungen zu einem gemeinsamen Ergebnis zusammengewirkt haben. Ich verstehe darunter die Mitarbeit von Kräften, welche ihrer Grundeinstellung nach gar nicht Föderalisten, sondern Unitaristen sind auf der einen Seite und von Föderalisten, die es wirklich sind, auf der anderen Seite. Die Unitaristen haben sich von der Schaffung eines größeren Landes die Erreichung einer Etappe auf dem Wege zum Einheitsstaat versprochen. Die Föderalisten wünschten auch ein vergrößertes neues Bundesland.
Was die Unitaristen angeht, so möchte ich zu ihnen doch noch ein Wort sagen, und ich sage es als bewußter und betonter Föderalist. Im Süden Deutschlands haben 150 Jahre lang lebensfähige Länder bestanden — Bayern, Württemberg und Baden —, und alle drei Länder haben ein gut funktionierendes parlamentarisches System entwickelt. In ihren Bevölkerungen hat sich das Gefühl der innerstaatlichen Verbundenheit entwickelt. Ich weiß, daß das für Deutsche sehr schwer zu verstehen ist, die nicht in dem Bereich dieser gliedstaatlichen Länder
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Dr. Kopf
aufgewachsen sind. Ich habe immer sehr viel Bewunderung für die Autonomie der preußischen Provinzen gehabt. Ich weiß, daß ihr Verwaltungsapparat und der Apparat der Körperschaften in vielen Provinzen in einer anerkennenswerten Weise große Leistungen erbracht haben. Ich bitte aber auch diejenigen Kollegen, die nicht dem Süden Deutschlands, die nicht diesen drei Ländern entstammen, Verständnis dafür zu haben, daß eine derartige 150jährige Geschichte nicht ohne Folgen auf die Grundeinstellung bleibt und daß die Bevölkerung, die durch Generationen hindurch dieser parlamentarischen Rechte in ihren Gliedstaaten teilhaftig war, Wert darauf legt, auch im neuen Föderalstaat der Bundesrepublik in einem Gliedstaat ihre Aufgaben als Volk dieses Gliedstaates voll zu erfüllen.
Meine Damen und Herren, ich komme zum letzten Abschnitt meiner Ausführungen. Es liegen Ihnen zwei Entwürfe mit widersprechenden Forderungen vor: der Regierungsentwurf, der das jetzige Bundesland Baden-Württemberg aufrechterhalten möchte, und der Entwurf meiner Freunde, der die Wiederherstellung des Landes Baden vorsieht. Aber eine Schwäche ist beiden Entwürfen gemeinsam, daß nämlich in beiden Fällen eine Lösung präjudiziert, suggeriert und oktroyiert wird. Was wir wollen, ist, daß die Bevölkerung des Gebietsteils Baden in die Lage versetzt wird, in einer Alternative eine Entscheidung auszuüben zwischen zwei ihr durch das Gesetz gewährten Möglichkeiten. Wir wünschen, daß der Bevölkerung nicht eine fertige, von Bundesregierung und Parlament ausgearbeitete Lösung präsentiert wird, zu der sie nur ja oder nein zu sagen hat. Wir wünschen vielmehr, daß sich dieses badische Volk selbst entscheiden soll. Bei dieser Forderung können wir uns stützen auf die Bekundungen namhafter Völkerrechtslehrer, und ich will die eine oder andere Äußerung von ihnen wiedergeben.
Herr Professor Maunz, derzeitiger Kultusminister des Landes Bayern, schreibt:
Das Grundgesetz will keine bloße Akklamation, sondern eine echte Wahlmöglichkeit der Abstimmenden zwischen zwei denkbaren Wegen, es will keine bloße Bestätigungsfrage, sondern eine Alternativfrage.
Herr Professor Neumayer, Lausanne, der dem Gutachtergremium, das vom Innenministerium bestellt war, angehört hat, schreibt in seinem Gutachten:
Ein Referendum, bei dem den Abstimmenden angesonnen wird, nicht eine noch offene Frage zu beantworten, sondern in eine ohne ihre Zustimmung getroffene und vollzogene Entscheidung nachträglich einzuwilligen, bietet keine gleichwertige, sondern nur eine scheinbare Alternative.
Und Herr Professor Klein, Münster, schreibt in dem Gutachten, das er für die Landesregierung Baden-Württemberg erstattet hat, auf Seite 53 folgendes:
Eine wirklich gerechte, tendenzfreie Fragestellung sollte beiden Meinungen die Möglichkeit geben, ihren Willen auch mit einem Ja zu bekunden. Dementsprechend kommt als gerechte Fragestellung nur die Stellung von zwei Fragen in Betracht.
Wir sind also in die gleiche Lage versetzt, in der in der Zeit der Geltung des Corpus Juris Civilis die Römer und Byzantiner gewesen sind, wenn von maßgebenden Vertretern der Staatsrechtslehre verschiedene Meinungen vertreten worden sind. Sie haben diese Meinungen nebeneinandergestellt und haben sozusagen auf schriftlichem Wege eine Abstimmung zwischen den Zitaten dieser Autoritäten vorgenommen. Wir brauchen hier gar keine derartige Abstimmung vorzunehmen; denn diese drei Autoritäten stimmen vollkommen überein. Und was besagen sie? — Doch nur eines: daß eine wirklich gerechte Abstimmung sich nur dann erzielen läßt, wenn dem Wähler, wenn der beteiligten Bevölkerung eine Wahl zwischen zwei Möglichkeiten gewährt wird, die durch das Gesetz vorgeschrieben sein müssen, wenn also der Wähler nicht darauf beschränkt ist, einen faktischen Zustand, der bereits besteht, durch ein Ja bestätigen zu müssen oder durch ein Nein ablehnen zu sollen, sondern wenn ihm wirklich die beiden vorhandenen Lösungsmöglichkeiten zur Entscheidung vorgelegt werden.
Unser dringender Wunsch geht deshalb dahin, daß diese Alternative bei den weiteren Beratungen gefunden werden kann. Wir haben auch schon im 2. und 3. Bundestag die Auffassung vertreten, daß diese alternative Fragestellung notwendig ist.
Darüber hinaus haben wir aber auch die Meinung vertreten, daß die Alternativfrage schon mit dem jetzigen Grundgesetz vereinbar ist. Ich freue mich, daß der vor wenigen Wochen erschienene neue Kommentar von Maunz - Dürig sich zwar diese unsere Auffassung nicht zu eigen macht, aber sie entschieden mit eigenen Argumenten als seine eigene Auffassung ausdrückt. „In jedem Fall" — schreibt dieser Kommentar von Maunz-Dürig — „kann der Gesetzgeber in dem Gesetz selbst bestimmen — und er muß es notfalls bestimmen —, daß die Landeszugehörigkeit eines Gebietes von einer Entscheidung des Gebietsvolks zwischen zwei Möglichkeiten abhängt."
Das ist genau diejenige Auffassung, die wir im 2. und 3. Bundestag — im 2. mit Erfolg, im 3. mit Mißerfolg — ständig vertreten haben. Sollten aber die Mehrheiten in den zuständigen Ausschüssen dieses Hauses zu dem Ergebnis kommen, daß sie sich diese Auffassung nicht zu eigen machen können, so bitte ich, doch ernstlich in Erwägung zu ziehen, ob eine Änderung des Grundgesetzes ins Auge gefaßt werden soll, eine Grundgesetzänderung, die es ermöglicht, daß diese alternative Fragestellung für den Wähler eröffnet wird.
Ich möchte hier ausdrücklich anerkennen, daß der Ministerpräsident des Landes Baden-Württemberg bei wiederholten Bekundungen die Auffassung vertreten hat, eine derartige Änderung des Grundgesetzes, die eine Alternativfrage zuläßt, sei erstrebenswert. Er hat allerdings diese seine Auffassung
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mit dem Zusatz vertreten: es sei notwendig, eine Art von Quorum in den Änderungstext einzuschalten in der Weise, daß sich 50 % der Abstimmungsberechtigten an der Abstimmung beteiligen müßten. Wir waren nicht in der Lage, bei den Gesprächen, die wir geführt haben, dieses Quorum als berechtigt anzuerkennen. Zwar hat ein solches Quorum in der Weimarer Verfassung im Falle von Neugliederungen bestanden, aber gerade dieses Quorum hat — das ist mir von Kennern der Weimarer Demokratie in den letzten Wochen bestätigt worden — jede wirksame Neugliederung zur Zeit der Weimarer Republik vereitelt. Es war das Haupthindernis, das einer sinnvollen Neugestaltung oder Neugliederung im Wege stand.
Schließlich kann ich mich gerade in der Frage des Quorums auf einen Kronzeugen berufen, der sich dazu wie folgt — ich zitiere wörtlich — geäußert hat:
Weiter haben wir natürlich erhebliche Bedenken dagegen, daß es nun bei einer Befragung auf die Mehrheit der Stimmberechtigten abgestellt wird; denn das würde nach meiner bescheidenen Auffassung ein durchaus undemokratisches Verfahren sein. Wir würden hier einen Abstimmungsfall erleben, wie ich ihn in der Geschichte demokratischer Abstimmungen noch nicht kennengelernt habe.
Ich möchte jedes Wort dieses Kronzeugen, der damals, wie er sagte, seine „bescheidene Auffassung"
zum Ausdruck brachte, unterzeichnen. Es ist kein
Geringerer . als der Herr Ministerpräsident Kiesinger, damals Bundestagsabgeordneter, der am 10. Januar 1951 diese Worte von diesem Pult im Deutschen Bundestag gesprochen hat.
Die letzte Frage, die an uns, die Unterzeichner ,des Antrages, gerichtet wird, lautet: Warum kämpft ihr nun seit zwölf Jahren für diese badische Frage? Warum wollt ihr nun unbedingt etwas, was vergangen ist, wiederherstellen? Seid ihr Freunde einer antiquierten und anachronistischen Restauration? Ist es nicht eine Donquichotterie? Kämpft ihr nicht gegen Windmühlenflügel, oder habt ihr die Haltung eines Michael Kohlhaas?
Meine Damen und Herren, ich möchte diese Frage ganz einfach beantworten. Es ist wahr, daß wir für das Recht kämpfen. Wir kämpfen deshalb, weil es sich um das Recht handelt. Als die badische Frage im Landtag des Landes Baden-Württemberg in Stuttgart behandelt wurde, hat einer meiner dortigen Kollegen die Worte des schwäbischen Landtagsabgeordneten Ludwig Uhland zitiert, die lauten:
Nach dem lang entbehrten Korne, Nach dem lang ersehnten Wein Bringt dies Jahr in seinem Horne Das alte gute Recht herein.
Aber es fragt sich, ob dieses alte gute Recht auch das neue lebendige und wirksame Recht ist. Da glaube ich allerdings, auf zwei wesentliche rechtliche Gesichtspunkte hinweisen zu sollen, die unabdingbare Bestandteile unseres geltenden Staats- und Verfassungsrechts sind.

Das eine Prinzip ist das Prinzip der Selbstbestimmung. Es mag zutreffen, daß dieses Prinzip, dessen totale Geltung in der ganzen Welt heute anerkannt worden ist, im Gebiete eines staatsrechtlichen Binnenraums nur eine limitierte Geltung haben kann. Aber es ist ebenso wahr, daß wir uns auf dieses Selbstbestimmungsrecht dann berufen, wenn es sich um Deutschland und insbesondere um Deutschland jenseits des Eisernen Vorhangs handelt. Ich glaube, es gilt der Rechtsgrundsatz, daß ein Volk, wenn es bestimmte Forderungen aufstellt, die außerhalb des Geltungsbereiches seines Gesetzes vollzogen werden sollen, dartun muß, daß es gewillt ist, diesen Forderungen auch in seinem eigenen Gebietsraum in vollem Umfang Rechnung zu tragen. Das Selbstbestimmungsrecht ist aber gerade auch in Art. 29 des Grundgesetzes in den gesetzlichen Schranken dieses Artikels als ein formendes Prinzip der Neugliederung anerkannt worden.
Der zweite Gesichtspunkt ist folgender: Wir haben durch die Schaffung des Grundgesetzes einen Rechtsstaat geschaffen. Wir leben in einem Rechtsstaat, und wir wollen diesen Rechtsstaat aufrecht erhalten. Das bedeutet, daß wir für den Vollzug der staatlichen Funktionen ein rechtlich einwandfreies Verfahren wünschen und daß wir dann, wenn grobe Verfahrensmängel vorliegen — hier liegen die Verfahrensmängel vor, die im zweiten Urteil des Bundesverfassungsgerichts gerügt worden sind —, eine Heilung dieser Verfahrensmängel wünschen. Das ist der Grund, der uns diese zwölf Jahre hindurch gestützt und begleitet hat. Wir wünschen, daß in der Schaffung gerechter und fairer Abstimmungsbedingungen dieser rechtsstaatliche Charakter unserer Bundesrepublik manifest wird.
Meine Damen und Herren, ich beantrage, daß die beiden Gesetzentwürfe an den Rechtsausschuß — federführend — und an den Ausschuß für Inneres — mitberatend — überwiesen werden. Warum an den Rechtsausschuß federführend? Dieser Rechtsausschuß war auch im 3. Bundestag der federführende Ausschuß. So entspricht die Überweisung an ihn der Praxis des 3. Bundestages. Dieser Ausschuß hat sich bei seiner Gründung aber auch als Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht benannt. Die Frage der Neugliederung ist eine eminent verfassungsrechtliche Frage. Sie ist eine Frage schwierigster Art mit zahlreichen juristischen Komplikationen. Wer die Protokolle des Rechtsausschusses des 2. und 3. Bundestages nachliest, wird erstaunt sein über die latenten und manifesten Schwierigkeiten, die sich bei der Behandlung dieser schwierigen Rechtsprobleme ergeben haben. So nötigt die Natur der Sache wiederum dazu, einen Gegenstand, der dem Verfassungsrecht angehört, dem Ausschuß zuzuweisen, der für die Fragen des Verfassungsrechts kompetent ist.
Wir wünschen aber weiterhin, daß dieser zuständige Ausschuß die rechtlichen Möglichkeiten prüft, die es gestatten würden, eine alternative Fragestellung in die Wege zu leiten, sei es ohne Grundgesetzänderung, sei es mit Grundgesetzänderung. Wiederum sind dies verfassungsrechtliche Probleme. Wenn eine Grundgesetzänderung in Erwägung ge-
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 66. und 67. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. März 1963 3033
Dr. Kopf
zogen werden sollte, so ist wiederum — wie für jede Grundgesetzänderung — der Rechtsausschuß der federführende Ausschuß.

Erwin Schoettle (SPD):
Rede ID: ID0406601700
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Karl Wittrock (SPD):
Rede ID: ID0406601800
Herr Kollege Kopf, sind Sie sich im klaren darüber, daß es wohl kaum im Rahmen der Aufgabenstellung des Rechtsausschusses liegen kann, über die Beratung einer überwiesenen Vorlage hinausgehend nun eine doch letzten Endes politische Initiative dahin gehend zu ergreifen, daß man dem Hause nun etwa eine Verfassungsänderung vorschlägt?

(Zuruf von der Mitte: Hat es schon einmal gegeben!)


Dr. Hermann Kopf (CDU):
Rede ID: ID0406601900
Herr Wittrock, ich teile nicht Ihre Auffassung.

(Weitere Zurufe von der Mitte. — Gegenruf des Abg. Wittrock: Es ist eine politische Frage, meine Herren!)

— Nein, Herr Wittrock, ich teile ganz und gar nicht Ihre Auffassung. Im Gegenteil, ich muß lebhaft bestreiten, daß sie richtig ist. Ich bin der Meinung, daß die Erwägung einer rechtlichen Gestaltung, die eine alternative Fragestellung ermöglicht, eine eminente Rechtsfrage ist und daß, die Bearbeitung dieser Rechtsfrage nur dazu dienen kann, den politischen Effekt der Präjudizierung und der Suggestivwirkung auszuschließen. Gerade um zu entpolitisieren, sollte der Rechtsausschuß alle vorhandenen rechtlichen Möglichkeiten ausschöpfen.
Das allerletzte, was ich Ihnen sagen wollte, ist folgendes. Wie immer die Entscheidung des Deutschen Bundestages fallen mag, die Abstimmung im Lande Baden muß deshalb vollzogen werden, weil das Grundgesetz dies befiehlt und weil wir verfassungstreu sind. Wie immer aber auch das Ergebnis dieses Volksentscheids im Lande Baden ausfallen mag: wir sind Demokraten, und als Demokraten mit einer langen staatlichen — heute würde man sagen: gliedstaatlichen und bundesstaatlichen — Tradition sind wir bereit, dieses Ergebnis eines demokratischen Volksentscheids als rechtsgültig anzuerkennen, — unter einer Bedingung: daß es sich um eine gerechte, um eine faire Abstimmung handelt, um eine Abstimmung, die nicht präjudiziert und die nicht suggeriert, und auch um eine Abstimmung, die die Chancengleichheit, die nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts geboten ist, in vollem Umfang gewährleistet.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Erwin Schoettle (SPD):
Rede ID: ID0406602000
Damit sind die beiden Gesetzentwürfe begründet. Ich eröffne die Aussprache und erteile Herrn Minister Dr. Filbinger — Baden-Württemberg — als Mitglied des Bundesrates das Wort.
Dr. Filbinger, Innenminister des Landes BadenWürttemberg: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir eine Äußerung zu den vorliegenden Entwürfen. Diejenigen Mitglieder dieses Hohen Hauses, die schon in der ersten Wahlperiode dem Bundestag angehörten, werden sich noch der lebhaften Debatten erinnern, die im Jahre 1951 über die Neugliederung im Südwestraum stattgefunden haben.
Damals war dieser Raum durch die Besatzungsmächte in drei Teile geteilt. Die früheren Länder Baden und Württemberg waren in unnatürlicher Weise jeweils in einen nördlichen und einen südlichen Teil zerrissen worden. Die südlichen Teile blieben unter sich getrennt, und es entstanden dort zwei Länder: Baden — gleich Südbaden — und Südwürttemberg-Hohenzollern. Dagegen vereinigten sich die nördlichen Landesteile bald zum Land Württemberg-Baden.
Bei dieser Dreiteilung konnte es nicht bleiben. Darüber bestand allseits Übereinstimmung. Die Frage war, ob die alten Länder Baden und Württemberg wiederhergestellt werden sollten oder ob der ganze Raum zu einem einheitlichen Staatswesen zusammengefaßt werden sollte. Der Gedanke eines derartigen Zusammenschlusses war nicht neu. Er war auch schon in der Zeit nach dem ersten Weltkrieg erwogen worden. Art. 118 des Grundgesetzes ermöglichte es, diese Frage durch eine Vereinbarung der beteiligten Länder ohne Einschaltung des Bundesgesetzgebers zu lösen. Aber eine derartige Vereinbarung kam nicht zustande, und damit ergab sich für den Bundestag die Verpflichtung, die Neugliederung durch Bundesgesetz vorzunehmen.
Im Zweiten Neugliederungsgesetz vom Mai 1951 teilte er das ganze Gebiet in vier Abstimmungsbezirke ein, nämlich Nordbaden, Nordwürttemberg, Südbaden und Südwürttemberg einschließlich Hohenzollern. Die Bildung des Südweststaates sollte beim Zustandekommen einer Mehrheit für den Zusammenschluß im ganzen Abstimmungsgebiet und in drei der vier Abstimmungsbezirke erfolgen, Andernfalls sollten die alten Länder Baden und Württemberg wiederhergestellt werden. Das Bundesverfassungsgericht hat dieses Verfahren als verfassungsrechtlich gültig bestätigt.
Die Abstimmung fand im September 1951 statt. Sie ergab die Bildung des Südweststaates mit der erforderlichen Mehrheit. Nur im Abstimmungsbezirk Südbaden ergab sich eine Mehrheit für die Wiederherstellung des Landes Baden. Hätte man allerdings die in den Abstimmungsbezirken Südbaden und Nordbaden abgegebenen Stimmen zusammengezählt, so hätte sich im früheren Land Baden keine Mehrheit für den Südweststaat ergeben.
Die Neugliederungsmaßnahmen des Bundes auf Grund des Art. 118 des Grundgesetzes waren damit abgeschlossen, und Art. 118 war für die Zukunft verbraucht. Es war nur noch die Frage, ob das Land Baden-Württemberg auch in das Verfahren nach Art. 29 des Grundgesetzes einzubeziehen sei. Diese und nur diese Frage wurde vom Bundesverfassungsgericht in dem Urteil vom Jahre 1956 bejaht. Mehr als diese Frage hatte das Bundesverfassungsgericht
3034 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 66. und 67. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. März 1963
Minister Dr. Filbinger
in seinem Urteil nicht zu entscheiden. Es hatte insbesondere nicht darüber zu entscheiden, welches Verfahren bei Anwendung des Art. 29 anzuwenden sei. Das Bundesverfassungsgericht ließ, da es Art. 29 für anwendbar hält, ein Volksbegehren auf Wiederherstellung des Landes Baden zu. Dieses Begehren hatte bekanntlich Erfolg, und das bedeutet, daß der Bundesgesetzgeber nun eine Bestimmung über das Schicksal der badischen Landesteile zu treffen hat. Das, meine Damen und Herren, ist der Auftrag, dem der Gesetzentwurf Genüge tun muß, nicht mehr und nicht weniger.
Nachdem feststand, daß Baden-Württemberg in die weitere Neugliederung einbezogen bleibt, bemühte sich die Landesregierung darum, eine baldige Entscheidung des Bundesgesetzgebers zu erreichen. Sie hat in den zurückliegenden Jahren große Anstrengungen gemacht, um eine Abstimmung in den badischen Landesteilen über das Schicksal dieser Gebiete herbeizuführen. Sie will eine endgültige Bereinigung, und sie will, daß das Land seinen inneren Frieden behält.
In ihren Bemühungen wurde die Regierung durch den Landtag unterstützt. Am 24. Februar 1961 legte Ministerpräsident Kiesinger das gesamte Problem dem Landtag eingehend dar und sprach sich für die Verabschiedung eines Bundesgesetzes zur Herbeiführung einer Abstimmung in Baden aus, sei es über Art. 29, sei es über eine Änderung des Grundgesetzes. Dieser Erklärung hat der Landtag in namentlicher Abstimmung ohne Stimmenthaltung einmütig zugestimmt. Nach der Landtagsdebatte setzten der Ministerpräsident und die Landesregierung ihre Bemühungen fort, eine Entscheidung des Bundesgesetzgebers herbeizuführen. Der Ministerpräsident trat insbesondere wiederholt an den Herrn Bundeskanzler und an den Herrn Bundesinnenminister heran, um die Vorlage eines Gesetzentwurfs zu erreichen. Mit diesen Schritten beim Bund gingen zahlreiche Verhandlungen im Land einher, die den Zweck hatten, die Meinungen weiter abzuklären.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das Neugliederungsverfahren im Südwestraum ist im Laufe seiner Entwicklung zu einem juristischen Dikkicht geworden, in dem sich nur noch Eingeweihte restlos auskennen. Darüber darf aber die einfache Tatsache nicht verdunkelt werden, daß es sich im Kern um eine politische Entscheidung des Bundesgesetzgebers handelt.

(Abg. Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller: Sehr richtig!)

und zwar darüber, ob das Land Baden-Württemberg, nachdem es mehr als 10 Jahre besteht und sich bewährt hat, weiterbestehen oder aufgelöst werden soll. Nicht die Abstimmung der Bevölkerung, sondern der Bundesgesetzgeber hat diese Entscheidung zu treffen, und zwar in einem Ersten Gesetz zur Neugliederung des Bundesgebietes gemäß Art. 29 des Grundgesetzes, dessen Entwurf Ihnen vorliegt. Über dieses Gesetz findet alsdann ein Volksentscheid statt.
Offensichtlich würde es der Vernunft und den Forderungen des Art. 29 des Grundgesetzes widersprechen, dieses Land wieder zu zerreißen. Dagegen spricht die landsmannschaftliche Verbundenheit der Bevölkerung dieses Raumes; dagegen sprechen die geschichtlichen und kulturellen Zusammenhänge und das Vorhandensein einer gemeinsamen alten Kultur im ganzen südwestdeutschen Raum; dagegen spricht weiter die wirtschaftliche Zweckmäßigkeit der Struktur dieses Raumes. Dabei wird gesagt, für die Ergänzung der verschiedenen Wirtschaftszweige untereinander, für die Zusammenfassung als Ganzes und für seine Gliederung im einzelnen könne Baden-Württemberg als ein Muster wirtschaftlicher Zweckmäßigkeit bezeichnet werden.

(Sehr richtig! Bei der SPD.)

Schließlich spricht dagegen die Ausgeglichenheit des sozialen Gefüges und des Klimas im Lande.
Das Gutachten der Sachverständigenkommission, die unter Vorsitz des Reichskanzlers a. D. Luther getagt hat, hat das Vorliegen derjenigen Elemente für das Land Baden-Württemberg festgestellt, die vom Grundgesetz in Art. 29 als Richtbegriffe für neugegliederte Länder aufgestellt worden sind. Diese natürliche Verbundenheit aller Teile des Landes Baden-Württemberg und die darauf beruhende Zusammenfassung der Teile in einem Staatswesen hat sich in den zurückliegenden Jahren bewährt. Sie hat gezeigt, daß sich die Bedürfnisse und Interessen der Bevölkerung dieses mannigfach gegliederten Landes harmonisch vereinigen und ausgleichen lassen. Es geschah daher mit guten Gründen, daß die Bundesregierung in dem vorliegenden Gesetzentwurf die nach Art. 29 nötige Entscheidung im Sinne der Aufrechterhaltung des Landes getroffen hat.
Verehrter Herr Kollege Dr. Kopf, Sie haben gesagt, mit dieser Entscheidung seien die Bundesregierung und der Gesetzgeber überfordert. Dazu muß ich sagen, daß die objektiv zu treffenden Feststellungen über die Kraft dieses Landes und seine Homogenität dagegen sprechen. Es ist offensichtlich: jeder und erst recht der Bundesgesetzgeber kann feststellen, daß dieses Land gesund ist und zusammenbleiben muß.
Daß diese Entscheidung der Bundesregierung, wenn sie Gesetz geworden ist, dem von ihr berührten Bevölkerungskreis des Landes Baden-Württemberg zur Abstimmung vorzulegen ist, habe ich bereits erwähnt. Es besteht nun ein lapidares Interesse der badischen Bevölkerung daran, daß sie in die Lage versetzt wird, allein über ihre Landeszugehörigkeit abzustimmen. Das ist aber nur dann möglich, wenn der Bundesgesetzgeber die Aufrechterhaltung des Landes vorsieht. Würde der Bundesgesetzgeber das Land auflösen wollen, so müßte darüber auch die Bevölkerung in Württemberg und Hohenzollern abstimmen; denn es würde sich auch deren Landeszugehörigkeit ändern, und unsere Verfassung sagt ja ausdrücklich, daß kein Gebiet und damit kein Bevölkerungsteil gezwungen werden können, ihre Landeszugehörigkeit aufzugeben, ohne daß sie in die Möglichkeit versetzt worden sind, zuvor ihren Willen zu äußern. Es wäre aber eine politisch unglückliche Lösung, wenn die Abstimmung der badischen und der württembergischen Bevölkerung
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 66. und 67. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. März 1963 3035
Minister Dr. Filbinger
nebeneinander herliefen. In diesem Falle könnte zwar ein übereinstimmendes Votum der badischen Bevölkerung keine unmittelbare Wirkung haben, weil die letzte Entscheidung bei verschiedenartigen Ergebnissen ja vom Bundesgesetzgeber zu treffen ist. Aber immerhin könnte sich in der badischen Bevölkerung die — wenn auch nicht gerechtfertigte
Befürchtung regen, daß sie von der württembergischen Bevölkerung überstimmt wird. Eine solche ungute psychologische Wirkung wird vermieden, wenn der Bundesgesetzgeber anordnet, daß das Land fortbesteht, und wenn darüber allein die badische Bevölkerung abzustimmen hat. Das ist neben der rechtlichen Unbedenklichkeit des vorliegenden Regierungsentwurfs ein zusätzlicher erheblicher Vorteil, den dieser Entwurf mit sich bringt.
Die Landesregierung unterstützt daher den Vorschlag der Bundesregierung, das Land aufrechtzuerhalten und die badische Bevölkerung darüber abstimmen zu lassen. Diese Lösung entspricht dem Willen der Bevölkerung des ganzen Landes. Die kommende Abstimmung wird das noch deutlicher zeigen, als wir es heute schon auf Grund unserer ständigen Fühlungnahmen mit allen Teilen der Bevölkerung wissen.
Wenn ich demgegenüber den Entwurf des verehrten Abgeordneten Dr. Kopf zur Hand nehme, so fällt mir dabei folgendes ins Auge.

(Abg. Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller: Kopf und Güde!)

— Kopf und andere. — Nach § 1 dieses Entwurfs wird der Gebietsteil Baden als selbständiges Bundesland wiederhergestellt. In § 13 aber ist gesagt, daß durch die Ausgliederung des Gebietsteils Baden der Fortbestand des bisherigen Landes Baden-Württemberg in den Grenzen des früheren Landes Württemberg und des früheren Regierungsbezirks Hohenzollern nicht berührt werde. Hier werden zwei Entscheidungen miteinander kombiniert, die unvereinbar sind. Würde nämlich das Land Baden wiederhergestellt, was das Ziel des Entwurfs ist, so würde damit das Land Baden-Württemberg zwangsläufig aufgelöst werden. Diese Konsequenz bedeutet aber nach Art. 29, daß auch die Bevölkerung in Württemberg und Hohenzollern über die Auflösung des Landes mit abstimmen muß. Um diese Folge nun zu vermeiden, schafft der Entwurf die Fiktion, ein aufgelöstes Land werde weiterbestehen. Es liegt auf der Hand, daß durch diese Fiktion die vom Grundgesetz gewollte Abstimmung der ganzen von der Entscheidung betroffenen Bevölkerung nicht vereitelt werden darf. Der einzige Weg, die Abstimmung auf die badischen Landesteile zu beschränken, ist eben der, daß der Bundesgesetzgeber sich für die Aufrechterhaltung des Landes entscheidet.
Man mag diese Unausweichlichkeit der bundesgesetzlichen Regelung des Art. 29 bedauern; es ist indes der einzige mit der Verfassung vereinbare Weg. Will man einen anderen Weg gehen, so muß man das Grundgesetz ändern. Es ist schon von Herrn Kollegen Dr. Kopf erwähnt worden, daß Ministerpräsident Kiesinger sich mehrmals für eine solche Grundgesetzänderung eingesetzt hat. Das ist erstmals im Februar 1960 geschehen. Er hat angeregt, daß für den Sonderfall der Neugliederung im südwestdeutschen Raum das Grundgesetz geändert werden solle. Dadurch würde ermöglicht werden, was der Art. 29 versagt, nämlich eine alternative Frage an die badische Bevölkerung: Willst Du den Fortbestand des Landes oder willst Du die Wiederherstellung des. alten Landes Baden? Die badische Bevölkerung würde endgültig entscheiden, und die Bundesregierung und der Bundesgesetzgeber könnten sich ihrerseits der materiellen Entscheidung enthalten, die ihnen in Abs. 2 und 3 des Art. 29 vorgeschrieben ist. Schließlich wäre es möglich, die Volksabstimmung auf die badischen Landesteile zu beschränken, ohne Rücksicht darauf, ob das Land Baden-Württemberg fortbestehen wird oder nicht.
Es ist mit Händen zu greifen, daß aus dieser Regelung sehr große Vorteile resultieren würden. Indes darf ich dabei eines nicht verschweigen. Man darf eine Tatsache nicht zu kurz kommen lassen. Mit dieser betonten Rücksichtnahme auf die badische Bevölkerung würde diese Lösung von der bisherigen Konzeption des Grundgesetzes stark abweichen. Die Entscheidung über das Schicksal des Landes würde der badischen Bevölkerung allein anvertraut werden, ohne daß der Bundesgesetzgeber die Entscheidung würdigen oder korrigieren könnte. Eine solche weittragende Änderung des Grundgesetzes verlangt auf der anderen Seite, daß große Teile der badischen Bevölkerung an der Abstimmung teilnehmen und dies, Herr Kollege Dr Kopf, ist der Grund für das von der Landesregierung verlangte Quorum. Es ginge nämlich nicht an, daß eine Minderheit den Ausschlag gibt, und deswegen hat die Landesregierung ihre Anregung zur Änderung des Grundgesetzes an die Voraussetzung geknüpft, daß eine Mindestabstimmungsbeteiligung, ein Quorum gefordert wird. Für eine derartige Änderung des Grundgesetzes zeichnet sich derzeit nach dem Stand der vielen Verhandlungen, die gepflogen worden sind, keine Möglichkeit ab. Die Landesregierung wird sich jedoch auch in Zukunft an Gesprächen über eine Grundgesetzänderung beteiligen und sie wird alles tun, was in ihren Kräften steht — so, wie es bisher geschehen ist —, daß eine solche Grundgesetzänderung herbeigeführt wird.
Da der Regierungsentwurf — sofern es nicht zur Grundgesetzänderung kommt — Aussicht hat, Gesetz zu werden, möchte ich auf einige Einwände, die Herr Abgeordneter Dr. Kopf diesem Entwurf entgegengesetzt hat, eingehen. Er hat gesagt, daß eine Entscheidung für den Fortbestand des Landes eine Suggestivwirkung ausüben würde und daß damit die Chancengleichheit der abstimmenden Bevölkerung nicht hergestellt werde. Meine Damen und Herren, daß das Grundgesetz eine Entscheidung des Bundesgesetzgebers verlangt, ist bereits gesagt. Nimmt man an, daß eine Entscheidung des Bundesgesetzgebers die Chancen der widerstreitenden Parteien beeinflußt, so kann es eine Chancengleichheit im Verfahren nach Art. 29 des Grundgesetzes überhaupt nicht geben. Entweder würden dann die Chancen derjenigen verkürzt, die für die Beibehaltung des Landes sind, oder die Chancen der ande-
3036 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 66. und 67. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. März 1963
Minister Dr. Filbinger
ren, die die Auflösung verlangen. Chancengleichheit wäre eben nur möglich, wenn der Bundesgesetzgeber sich einer Entscheidung enthielte und eine Alternativfrage stellte, die eben nur außerhalb des Grundgesetzes und bei dessen Änderung möglich sein würde.
Das Bundesverfassungsgericht hat im HessenUrteil klar gesagt, daß Gegenstand des Volksentscheids nicht etwa das Volksbegehren ist, sondern das aus der souveränen Entscheidung des Bundesgesetzgebers hervorgegangene Neugliederungsgesetz. Sollte dieses Gesetz die Chancen irgendwie beeinflussen, so wäre das die unausweichliche Folge der vom Grundgesetz geforderten materiellen Entscheidung des Bundesgesetzgebers. Ein Vorwurf gegen den Entwurf der Bundesregierung kann daher mit Grund keineswegs erhoben werden.
Es ist aber von Herrn Kollegen Dr. Kopf auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Jahre 1956 abgehoben worden, und es wurde jener berühmte Satz zitiert, die badische Bevölkerung sei überspielt worden, und deshalb müsse Remedur geschaffen werden. Meine Damen und Herren, dieses Urteil vom Jahre 1956 hat ausdrücklich bestätigt, daß das Land Baden-Württemberg im Rahmen der Gesetze rechtmäßig zustande gekommen ist, so daß also der Ausdruck „überspielt", wie es auch wörtlich in dem Urteil heißt, sich niemals auf die Legalität dieses Verfahrens, sondern nur auf politische und historische Begleitumstände beziehen kann. Was vom Bundesverfassungsgericht als Aushilfe für die von ihm als ungut bezeichnete Situation angesehen worden ist, das soll ja nun ins Werk gesetzt werden.
Was wollte das Urteil von 1956? Nun, es wollte der badischen Bevölkerung die gleichen Verfahrensmöglichkeiten zur Neugliederung ihres Gebietes geben, die sämtliche anderen Länder der Bundesrepublik im Rahmen des Art. 29 haben. Dieser Weg nach Art. 29 wird durch den Gesetzentwurf der Bundesregierung nun eröffnet.
Welche Entscheidung aber der Bundesgesetzgeber materiell zu treffen hat, das ist im Urteil vom Jahre 1956 nicht gesagt, und es konnte auch nicht gesagt werden. Der Bundesgesetzgeber ist darin, wie das Bundesverfassungsgericht im Hessen-Urteil vom 11. Juli 1961 sehr klar gesagt hat, völlig frei.
Es ist weiter eingewandt worden, es werde das Recht der badischen Bevölkerung präjudiziert, es werde suggeriert, es werde oktroyiert. Meine Damen und Herren, ich darf diesen Punkt noch einmal beleuchten. Worin besteht das Recht der badischen Bevölkerung? Eben darin, daß sie zur Entscheidung des Bundesgesetzgebers im Verfahren nach Art. 29 ja oder nein sagen kann. Wenn sie nein sagt, so muß der Bundesgesetzgeber neu entscheiden. Das ist das Recht der badischen Bevölkerung nach der Verfassung, und ihm trägt der Entwurf der Bundesregierung Rechnung. Das Grundgesetz vertraut darauf, daß der Bundesgesetzgeber den Willen der betroffenen Bevölkerung richtig wertet, und ich glaube, meine Damen und Herren, dieses Vertrauen ist gerechtfertigt.
Es ist schließlich noch auf den Kommentar von Maunz-Dürig abgehoben worden. Ich bin bisher davon ausgegangen, daß er noch nicht erschienen ist. Ich halte es nicht für ausgeschlossen, daß er in den letzten Tagen oder gar Wochen, ohne daß es von mir bemerkt worden ist, erschienen ist. In diesem Kommentar wird ein Unterschied begrifflicher Art gemacht zwischen einer Bestätigungsfrage, nämlich der Akklamation der Bevölkerung zu einem bestehenden Zustand, und einer Alternativfrage. Ich muß Ihnen gestehen, meine Damen und Herren, daß ich diesen Unterschied für willkürlich gegriffen ansehe und daß ich auch keinerlei Gewinn in dieser Unterscheidung, die willkürlich und gegriffen ist, erblicken kann. Es geht ja nicht darum, ob die Bevölkerung den bestehenden Zustand bestätigt — das ist von Maunz-Dürig in diesen Sätzen eindeutig verkannt —, sondern es geht darum, ob sie die Entscheidung des Bundesgesetzgebers bestätigt, sie, die badische Bevölkerung. Deshalb kann man auch nicht. sagen, daß die Verneinung der gestellten Frage keine Wirkungen habe; denn wenn die Bevölkerung zu dem Entwurf nein sagt, dann besteht eine völlig neue Situation, der der Bundesgesetzgeber Rechnung zu tragen hat. Diese Entscheidung ist nicht nur theoretisch, sondern auch gerade politisch sehr stark vom Nein der Bevölkerung bestimmt. Es ist nämlich unwahrscheinlich, daß der Bundesgesetzgeber das Land Baden-Württemberg gegen den Willen bedeutender Teile der badischen Bevölkerung aufrechterhalten würde. Insoweit gehen also diese Ausführungen im Kommentar fehl.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich darf noch ein Wort zu der Kritik sagen, die die Ausführungen des damaligen Bundestagsabgeordneten Kiesinger zur Frage des Quorums gefunden haben. Man muß auch hier die Äußerung im Zusammenhang begreifen. Dieser Zusammenhang läßt die damaligen Äußerungen von Kiesinger zum Quorum in einem völlig anderen Licht erscheinen, als es die Kritik meint. Sie bezogen sich nämlich damals auf den Antrag der Abgeordneten Hilbert und Genossen, Drucksache 1752, der in § 4 das folgende vorsah:

(1) Stimmt in Gesamtbaden oder in Gesamtwürttemberg ... die Mehrheit der Abstimmenden für die Wiederherstellung des alten Landes

Baden oder des alten Landes Württemberg ... ,
so werden diese Länder wieder hergestellt.

(2) Stimmt sowohl in Gesamtbaden wie auch in Gesamtwürttemberg ... bei Beteiligung der Mehrheit der Stimmberechtigten die Mehrheit der Abstimmenden für den Südweststaat, so wird der Südweststaat gebildet.

In Abs. 2 ist also im Gegensatz zu Abs. 1 ein anderer Modus für die Abstimmung aufgestellt. Diese Regelung war wegen der unterschiedlichen Behandlung der beiden Fälle eine verschiedene Verteilung der Chancen. Deshalb hat sich Kiesinger seinerzeit gegen die Ausbringung eines Quorums bei diesem speziellen Entwurf gewehrt. Diese Äußerung kann also in keiner Weise auf den hier völlig andens gelagerten Fall übertragen werden, wo eine dem
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode. — 66. und 67. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. März 1963 3037
Minister Dr. Filbinger
Gesetz entsprechende, abgewogene Berücksichtigung der beiden Interessen in Frage steht.

(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Jaeger.)

Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß. Die ganze Bevölkerung von Baden-Württemberg sucht eine völlige und baldige Befriedung der Verhältnisse im Lande. Deshalb hat die Landesregierung alles getan, was in ihrer Macht steht, um das Verfahren zu beschleunigen. Sie hat auch für diese Sitzung des Bundestages trotz des Verkehrsunfalls unseres Ministerpräsidenten keinen Antrag auf Vertagung gestellt, sondern im Interesse der Beschleunigung des Verfahrens die Sitzung durch einen Vertreter wahrnehmen lassen.
Wie das anzuwendende Verfahren auch immer aussehen mag: die Landesregierung begrüßt jeden gangbaren Weg zu einer, baldigen Abstimmung in den badischen Landesteilen, und sie ist überzeugt, daß die Abstimmung eine große Mehrheit für den Fortbestand des Landes Baden-Württemberg ergeben wird, und sie hat Anhaltspunkte für diese Überzeugung. Die Bundes- und Landespolitik würden auf diese Weise von der so lange mitgeschleppten Last befreit werden, die in der noch immer nicht abschließend geregelten Neugliederungsfrage im Raume unseres Landes gelegen ist.

(Beifall bei den Abgeordneten aller Fraktionen.)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0406602100
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Wahl.

Dr. Eduard Wahl (CDU):
Rede ID: ID0406602200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach der Einbringung der Gesetzesvorlagen durch die Bundesregierung und durch den Herrn Abgeordneten Kopf und nach der inhaltsreichen Rede des Herrn Ministers Filbinger wird mancher sich wundern über die Fülle von juristischen und politischen Argumenten und Gegenargumenten, die hier aufgeboten worden sind, obwohl die beiden Gesetzesvorlagen in ihrer Zielsetzung, im früheren Lande Baden eine neue Volksabstimmung zu ermöglichen, übereinstimmen.
Nimmt man die Kontroversliteratur, insbesondere die entgegengesetzten Gutachten hinzu, so wird das Erstaunen über die Fülle der Streitfragen, über das juristische Dickicht noch viel größer.

(Sehr richtig! in der Mitte.)

Aber das liegt daran, daß wir es hier mit öffentlich-rechtlichen Fragen zu tun haben und nicht mit privatrechtlichen Angelegenheiten, in denen die Gestaltungsfreiheit der Parteien seit eh und je bei weitem größer gewesen ist. Hier kann man Kompromisse schließen, wenn man sich so nahe gekommen ist wie die Initiatoren der beiden Gesetzesvorlagen, während wir im öffentlichen Recht zu allen Zeiten und nach jeder Richtung den Wahrheitsgehalt der altrömischen Definition immer wieder erleben: „Jus publicum est quod pactis privatorum mutari non potest", „Das öffentliche Recht ist das Recht, das durch ein Abkommen der Parteien nicht geändert werden kann."
Meine Damen und Herren, wenn im öffentlichen Recht überhaupt Schranken für die Ausübung der öffentlichen Macht gesetzt sind — und das ist ja der Inhalt des öffentlichen Rechts —, dann verlangt das öffentliche Recht, daß diese Schranken ernster, förmlicher, buchstäblicher genommen werden als die Vorschriften des Privatrechts, die seit eh und je durch die Formeln von Treu und Glauben, von Rechtsmißbrauch usw. für alle vorkommenden Fälle praktikabel gemacht werden. Würde im öffentlichen Recht ein gleicher Ermessensspielraum für die Exekutive oder den Verfassungsrichter bestehen, so käme es zu einer Aufweichung .des Verfassungsrechts und damit zu einer Schwächung seiner Schutzfunktion gegenüber der Übermacht des Staates.
Meine Damen und Herren, ich gebe zu, daß ich in der Baden-Frage zunächst der Ansicht zuneigte, man könne von der alten Ermächtigung des Artikels 118, eine erleichterte Neuordnung im Südwestraum herbeizuführen, noch einmal Gebrauch machen, um die von der Kritik gegen das Gesetz von 1951 erhobenen Vorwürfe, nicht zuletzt die des Bundesverfassungsgerichts, auszuräumen. Wenn jemand eine Vollmacht hat, ein Grundstück zu verkaufen, und dabei einen Formfehler begeht, etwa dadurch, daß er den Kaufvertrag nur schriftlich abschließt, kann er sicher mit seiner alten Vollmacht den Formfehler noch beheben und die notarielle Beurkundung des Geschäfts nachholen.
Aber bei näherem Nachdenken habe ich erkannt, daß eine solche restitutio in integrum sich hier verbietet, weil nach den Feststellungen des ersten Urteils des Bundesverfassungsgerichts, das insoweit durch das zweite Urteil des gleichen Gerichts bestätigt worden ist, mittlerweile das Land Baden-Württemberg rechtsgültig entstanden ist und nunmehr — wie das Verfassungsgericht ausdrücklich hervorhebt — die Gebietsverhältnisse im Südwestraum nur noch nach dem allgemeinen Neugliederungsrecht der gesamten Bundesrepublik abgeändert werden können. Der Vergleich mit der Kaufvertragsvollmacht hinkt, weil hier eben der Kaufvertrag gleich gültig abgeschlossen worden ist und dann der Bevollmächtigte nicht die Möglichkeit hat, mit dieser Vollmacht das Grundstück wieder zurückzukaufen und einen neuen Vertrag abzuschließen.
In den öffentlichen Auseinandersetzungen um die Baden-Frage werden die Dinge häufig so dargestellt, als ob das Bundesverfassungsgericht in dem zweiten Urteil festgestellt habe, der badische Volkswille sei gleichsam durch einen gesetzgeberischen Trick überspielt worden. Wäre dies wirklich die Meinung des Bundesverfassungsgerichts gewesen, dann hätte das Gericht kaum zugleich die rechtliche Existenz des neuen Landes bejahen können. Überspielt ist das badische Volk, wie es in dem Urteil ausdrücklich heißt, vielmehr durch die gesamte historisch politische Entwicklung seit 1945, in der das Gesetz nicht einmal das ausschlaggebende war.
Wir wissen alle, daß die Besatzungsmächte bei der Aufteilung des deutschen Staatsgebietes in ihre Besatzungszonen dort neue Einzelstaaten ins Leben gerufen haben, die nach dem Anlaß ihrer Entstehung zunächst wenig Autorität besitzen konnten. Nun
3038 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 66. und 67. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. März 1963
Dr. Wahl
heißt es aber in der Präambel des Grundgesetzes, daß das deutsche Volk in diesen neu gebildeten Staaten, die alle bei dieser Gelegenheit aufgezählt werden, sich die Verfassung des Grundgesetzes gegeben habe. Dadurch haben diese Staaten eine Legitimation erhalten, von der das Neugliederungsgesetz für den Südwestraum ausgegangen ist.
Als der Bundestag dieses Gesetz machte, boten sich die drei neu entstandenen Staaten von selbst als Abstimmungsbezirke an. Da aber bei dieser Abstimmung auch die Frage nach der Wiederherstellung der alten Länder gestellt war, war es eine durchaus loyale Bestimmung, daß im Lande Nordbaden-Württemberg zwei Stimmbezirke gebildet wurden. So weit, so gut! Nun bestimmte aber das Neugliederungsgesetz außerdem, daß, wenn in drei Stimmbezirken die Mehrheit sich für den neuen Südweststaat ausspreche, der vierte Gebietsteil sich dem zu fügen habe. Es wurde also in dem Gesetz die Majorisierung eines Gebietsteils durch die anderen Gebietsteile vorgesehen. Diese Möglichkeit der Majorisierung in diesem Zusammenhang war an sich eine dankenswerte Lösung. Denn im völkerrechtlichen Bereich, in dem die Abstimmungsfragen bei dem Selbstbestimmungsrecht der Völker noch lange nicht geklärt sind, haben wir nach dem ersten Weltkrieg in Oberschlesien die scheingerechte Lösung erlebt, daß das Land wegen der verschiedenen Abstimmungsergebnisse in einzelnen Landstrichen einfach geteilt wurde. Ohne eine Majorisierung kommen bei Gebietsfragen unter Umständen unmögliche Gebilde heraus.
Wenn man die Frage der Majorisierung eines Gebietsteils in den Mittelpunkt der Badenkontroverse rückt, so betrifft der Unterschied zwischen den Altbadenern und den Südweststaatanhängern eigentlich nur die Frage, ob die Nordbadener die Südbadener oder die Südbadener die Nordbadener sollten majorisieren können.

(Sehr wahr! bei der SPD.)

In der Tat sind die Abstimmungsergebnisse in Nordbaden und Südbaden ganz verschieden ausgefallen.
Bei der Frage, worauf diese Verschiedenheit bertiht, gebe ich nicht viel auf die Stammesverschiedenheit der rheinfränkischen Nordbadener und der Alemannen in Südbaden, auch nicht auf die starke industrielle Zusammenballung an der Mündung des Neckars in den Rhein. Der Unterschied beruht nach meiner Meinung vielmehr in erster Linie auf der jahrelangen Symbiose der Nordbadener und der Nordwürttemberger in dem Staate WürttembergBaden und darauf, daß diese Symbiose mit vielen alten Vorurteilen aufgeräumt hat.
Wir leben in einer Zeit, in der durch die Kriegs- und Nachkriegsereignisse viele alte Vorurteile von Land zu Land überwunden worden sind, weil die Menschen sich gegenseitig kennengelernt haben, Ich erinnere nur an das deutsch-franzöische Verhältnis. Ein anderes Beispiel: Die relative Immunität des deutschen Volkes gegenüber der kommunistischen Ideologie beruht doch einfach darauf, daß sehr viele Menschen — sei es im Krieg in Rußland, sei es nach dem Kriege bei der Besetzung — mit
den russischen Machthabern und ihrem Regime in persönliche Berührung gekommen sind. Grau ist alle Theorie, so möchte man zitieren. Jedenfalls ist das Leben, d. h. die persönliche Erfahrung des einzelnen, immer noch die wirksamste Lehrmeisterin bei seiner politischen Willensbildung gewesen.
Aber so begreiflich das Entstehen des Neugliederungsgesetzes auf der Grundlage der im Grundgesetz anerkannten staatlichen Gebietseinheiten gewesen ist und wenn auch das Gesetz eben wegen dieser Anlehnung an die neu entstandenen Staaten vom Bundesverfassungsgericht als rechtlich unanfechtbar anerkannt werden mußte und auch anerkannt worden ist, so mußte doch eine Tatsache die Kritik herausfordern, nämlich die Tatsache, daß sich bei der im Gesetz nicht vorgesehenen Durchzählung aller badischen Stimmen aus Südbaden und Württemberg-Baden ein kleines Übergewicht der Stimmen für die Wiederherstellung des Landes Baden ergeben hätte. Darum kam es zu dem Volksbegehren, darum haben sich alle CDU-Gremien des Landes, an ihrer Spitze der Ministerpräsident, dafür eingesetzt, daß im ehemaligen Lande Baden noch einmal abgestimmt werden sollte. Das ist auch der Kern unserer Vorlage.
Diese nochmalige Abstimmung soll den Altbadenern endlich den Stachel aus dem Herzen ziehen, an dem sie zu verbluten drohen; denn wer seine Heimat liebt und auch an der staatlichen Form hängt, die er in seiner Kindheit oder in seinen jungen Mannesjahren erlebt hat, für den ist der staatliche Untergang seines Landes eine der schmerzvollsten Erfahrungen, die ihm das Leben bereiten kann. In meiner Vaterstadt Frankfurt hat sich der letzte Bürgermeister der Freien Reichsstadt im Jahre 1866 erschossen, als die Freie Reichsstadt dem Königreich Preußen einverleibt wurde. Und doch hat Frankfurt in den späteren Jahrzehnten eine glanzvolle Entwicklung genommen, die die alten Frankfurter Muß-Preußen damals nicht im Traum für möglich gehalten hätten.

(Abg. Wittrock: Die Erinnerung ist noch da!)

Meine Damen und Herren, die Verwirklichung des Anliegens der Wiederholung der Abstimmung im alten Land Baden ist aber in den beiden vorliegenden Entwürfen in verschiedener Weise geplant. In der Vorlage der Bundesregierung lautet § 1:
Das Land Baden-Württemberg bleibt erhalten,
während im Entwurf des Kollegen Kopf die vom Gesetzgeber vorgesehene Neugliederung, zu der sich die badische Bevölkerung äußern soll, so gefaßt ist:
Die badischen Gebietsteile werden aus dem Lande Baden-Württemberg herausgenommen und das Land Baden wieder als selbständiger Staat hergestellt.
Es ist klar, daß die Südweststaat-Anhänger den Antrag Kopf nicht für gut halten können, während ihre Gegner den Neugliederungsvorschlag der Bundesregierung ablehnen müssen.

(Zuruf von der SPD: Knobeln wir!)

Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 66. und 67. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. März 1963 3039
Dr. Wahl
Ich mache aber kein Hehl daraus, daß ich selbst ein entschiedener Anhänger der Vorlage der Bundesregierung bin, weil ich mir keine bessere politische Vertretung der Bevölkerung im deutschen Südwestraum denken kann als im Lande Baden-Württemberg, das zum erstenmal alle reichen menschlichen Kräfte und natürlichen Vorzüge des deutschen Südwestens zu einer in jeder Richtung außerordentlich wirksamen und, wie mir scheint, glücklichen Einheit zusammenfaßt.
Dazu kommt, daß gegen den Entwurf des Herrn Kollegen Kopf verfassungsmäßige Bedenken bestehen, nicht so sehr wegen der Gesamtkonzeption, die sich vielleicht nachholen läßt, sondern vor allem, weil er die Folgen des Ausgliederung Badens aus dem Lande Baden-Württemberg für die übrigen schwäbischen Landesteile eintreten läßt, ohne deren Bevölkerung an der Abstimmung zu beteiligen.
Das Neugliederungsverfahren nach § 29 ist außerordentlich genau gearbeitet, da es sich ja darum handelt, das Gebiet, das als konstitutives Element für den Staat von außerordentlicher Bedeutung ist, in einem neuen Problemkreis zu ordnen, und die Regelung ist deshalb so kompliziert ausgefallen, weil man nach jeder Richtung Gerechtigkeit üben wollte.
Ich habe darum großes Verständnis für die Bemühungen, für diesen Fall eine Grundgesetzänderung durchzusetzen, die der Sache nach noch einmal als eine Sondervorschrift nach der Art des Art. 118 für den Südwestraum gedacht werden könnte, da es sich in der Tat darum handelt, der Kritik an dem Neugliederungsgesetz zu begegnen, das auf Grund des Art. 118 erlassen worden ist.
Ich bitte deshalb die Mitglieder des Hohen Hauses um ihre Hilfe beim Zustandebringen einer entsprechenden Grundgesetzänderung. Hier geht es um ein eminent menschliches und demokratisches Anliegen zugleich, dessen Scheitern gerade im Lande Baden, dessen Bevölkerung sich unvergessene Verdienste um die Demokratie in Deutschland erworben hat, die Bereitschaft zur politischen Mitarbeit gefährden könnte.
Im 1. Bundestag lag die Federführung für die Neugliederung des Südwestraums bei dem Sonderausschuß für die Neugliederung des Bundesgebiets. Der Rechtsausschuß war mitberatend beteiligt. Im 2. Bundestag war für die Baden-Frage der Innenausschuß federführend und der Rechtsausschuß wiederum mitberatend beteiligt, während im 3. Bundestag das Verhältnis der beteiligten Ausschüsse umgekehrt war.
Namens der CDU-CSU-Fraktion beantrage ich mit Rücksicht auf das verfassungsrechtliche Übergewicht, das diesem Fragenkomplex nun einmal eignet, es dabei zu belassen, daß die Federführung beim Rechtausschuß liegt und der Innenausschuß mitberatend beteiligt wird.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0406602300
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Möller.

Dr. Alex Möller (SPD):
Rede ID: ID0406602400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn ich nicht befürchten müßte, dem Innenminister des Landes Baden-Württemberg, Herrn Filbinger, einen schlechten Dienst zu erweisen und ihn in parteipolitische Schwierigkeiten zu bringen, so würde ich sagen: er hat Ausführungen gemacht, die weitgehend mit dem Standpunkt der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion übereinstimmen.

(Zustimmung bei der SPD.)

Ich kann mich in weiten Teilen auf die auf Sachkunde gestützte regierungsamtliche Autorität des Landes Baden-Württemberg beziehen. Das ist nicht ohne eine gewisse staatspolitische Pikanterie; denn wir wollen in diesem Zusammenhang doch festhalten, daß die in dieser Frage wieder einmal nicht einheitlich operierende CDU-Fraktion sowohl im Bundestag als auch im Landtag von Baden-Württemberg die stärkste Regierungspartei ist. Die Sozialdemokratische Partei befindet sich im Bundestag und im Lande Baden-Württemberg in Opposition. Sie ist in der Lage, im Gegensatz zu vielen CDU-Kollegen aus dem Lande Baden-Württemberg den vorgetragenen Standpunkt der Landesregierung Baden-Württemberg anzuerkennen. Sie ist auch im Gegensatz zu vielen Kollegen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion in der Lage, Verständnis für den Entwurf der Bundesregierung aufzubringen.
Bei der Bedeutung dieser Frage im Lande Baden-Württemberg, aber auch unter Berücksichtigung der ganzen politischen Konzeption des Art. 29 des Grundgesetzes ist es erforderlich, daß wir als sozialdemokratische Bundestagsfraktion nun doch zu den beiden Gesetzentwürfen und der heutigen Debatte einige Anmerkungen machen.
Lassen Sie mich noch einmal festhalten, daß das Zweite Neugliederungsgesetz vom 4. Mai 1951 in den drei Ländern Württemberg-Baden, Württemberg-Hohenzollern und Baden eine Volksabstimmung über die Frage angeordnet hat, ob die Länder zu einem Bundesland vereinigt oder ob die alten Länder Baden und Württemberg wiederhergestellt werden sollten. Hier spielt der § 10 des Gesetzes die entscheidende Rolle. Nach ihm sollte der Südweststaat dann gebildet werden, wenn sich erstens im gesamten Abstimmungsgebiet und zweitens in mindestens drei der vier Abstimmungsbezirke eine Mehrheit für die Vereinigung aussprechen würde. Das Bundesverfassungsgericht — lassen Sie mich das noch einmal im Hinblick auf Ausführungen des Herrn Kollegen Kopf sagen — hat in seinem Urteil vom 23. Oktober 1951 die Verfassungsmäßigkeit aller wesentlichen Teile dieses Gesetzes, auch den Abstimmungsmodus in § 10, bejaht.
Am 9. Dezember 1951 fand dann die Volksabstimmung statt. In drei Abstimmungsbezirken und auch im gesamten Abstimmungsgebiet wurde eine Mehrheit für die Bildung des Südweststaates erzielt. Damit sind die beiden soeben genannten Voraussetzungen des § 10 des Zweiten Neugliederungsgesetsetzes erfüllt. Nun spielt die Frage der Durchzählung in Nord- und Südbaden in den Diskussionen eine entscheidende Rolle. Diese Durchzählung sah aber das Zweite Neugliederungsgesetz nicht vor.
3040 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 66. und 67. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. März 1963
Dr. h. c. Dr.-Ing. E. H. Möller
Meine Damen und Herren, ich möchte Ihre Aufmerksamkeit auf die Tatsache lenken, daß Württemberg-Baden, d. h. der nördliche Landesteil von Württemberg und der nördliche Landesteil von Baden, ein selbständiges Land mit eigener Landesverfassung war und schon aus diesen Überlegungen heraus wohl kaum eine andere Formulierung als die soeben erwähnte in § 10 des Zweiten Neugliederungsgesetzes gefunden werden konnte.
Die Bevölkerungskreise, die durch den Heimatbund Badener Land repräsentiert werden, haben sich mit dem Ergebnis nicht abgefunden. Auf Grund eines Antrages des Heimatbundes Badener Land ist durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom 30. Mai 1956 angeordnet worden, daß gemäß dein inzwischen am 23. Dezember 1955 ergangenen Gesetz über Volksbegehren und Volksentscheid bei Neugliederung des Bundesgebietes ein Volksbegehren im Gebiet des früheren Landes Baden durchzuführen sei.
Nun hat das Bundesverfassungsgericht den Standpunkt vertreten, der Art. 118 habe nicht den Sinn gehabt, die spätere Anwendung des Art. 29 für den Landesteil auszuschließen. Ich glaube nicht, daß Sie, die Sie in den weiteren Verfahrensfragen anderer Meinung sind, diesen Kernpunkt negieren können.
Wörtlich führt das Bundesverfassungsgericht aus: „Der Wille der badischen Bevölkerung ist durch die Besonderheit der politisch-geschichtlichen Entwicklung überspielt worden." „Daran ändert auch nichts die Tatsache", Herr Kollege Wahl — das ist aber jetzt das Wichtige —, „daß die Bildung des Südweststaates in demokratisch-verfassungsmäßiger Form zustande gekommen ist", nämlich nach dem Verfahren des Art. 118. Es ist also in diesem Urteil des Bundesverfassungsgerichts kein Rechtsmangel festgestellt worden. Das von altbadener Seite behauptete Argument des verletzten Rechts ist kein Argument, sondern nur eine Behauptung. Die in den Auseinandersetzungen konstruierte Anklage vom „Unrechtsstaat" ist doch im Hinblick auf das, was sich im östlichen Teil unseres Vaterlandes abspielt, einfach mehr als ein böses Wort.

(Beifall bei der SPD.)

Der Heimatbund Badener Land wollte mit seinem Streit vor dem Bundesverfassungsgericht erreichen, daß auch das neue Land Baden-Württemberg im Rahmen des Art. 29 der Disposition des Bundesgesetzgebers untersteht. Das ist zum Erstaunen mancher erreicht worden. Aber nun ist man mit dem Erreichten nicht zufrieden. Nun will doch, Herr Bundesinnenminister, die Bundesregierung nichts anderes,. als diesem Urteil Rechnung tragen, diesem Verlangen des Heimatbundes Badener Land, nämlich Anwendung des Art. 29. Man will ihn sogar vorziehen. Man will also insoweit diesem Bevölkerungsteil vorrangig die Möglichkeit geben, abzustimmen.
Und was geschieht? Man ist wieder nicht zufrieden. Man dreht sich so im Kreise, daß man anfängt, eine Erörterung darüber anzustellen, ob nicht doch über den Weg einer Änderung des Grundgesetzes weitergehende Blütenträume dieses Teiles der Bevölkerung des Landes Baden-Württemberg reifen könnten. Das aber war doch nicht der Sinn des Streites vor dem Bundesverfassungsgericht.
Wenn man noch der Meinung sein kann, die Sonderregelung des Art. 118 des Grundgesetzes sei wegen der besonderen Verhältnisse im Südwestraum — französische Besatzungszone, amerikanische Besatzungszone und was sich da sonst vollzogen hat — als eine Übergangsregelung für diesen Teil des Bundesgebietes vertretbar gewesen und verletze insoweit nicht den Gleichheitsgrundsatz, dann muß ich doch die verehrten Juristen, die den Antrag Kopf unterzeichnet haben, vor allen Dingen den rechten Nachbarn von Herrn Kopf, fragen — ohne mich in ein juristisches Dickicht begeben zu wollen; nach den Warnungen des Herrn Kollegen Wahl, der davon ja mehr versteht —: wie ist es möglich, daß Sie jetzt diesem Landesteil Baden des Landes Baden-Württenberg wieder eine Sonderregelung zugestehen wollen, die doch zweifellos den Gleichheitsgrundsatz verletzt?
Was im übrigen zu Ihrem Gesetzentwurf zu sagen ist, hat sehr deutlich der Herr Innenminister des Landes Baden-Württemberg — für Sie sicher eine größere Autorität als ein Mitglied der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion — zum Ausdruck gebracht. Und was noch fehlte, hat dann etwas behutsamer, wie das mit dem Beruf zusammenhängt, Herr Kollege Wahl, Universitätsprofessor des Rechts in Heidelberg, gesagt. Ich würde Ihnen empfehlen, meine Herren, die Sie diesen Antrag unterschrieben haben: lassen Sie sich doch diese Teile des Protokolls geben, und ziehen Sie sich zunächst einmal in ein stilles Kämmerlein zurück!

(Beifall bei der SPD.)

Ich muß nun die Bevölkerung des Landesteils Baden im Lande Baden-Württemberg gegen Ihre Ausführungen hinsichtlich der Fragestellung, Herr Dr. Kopf, in Schutz nehmen. So primitiv ist doch die Bevölkerung nicht, wie Sie sie sehen zu müssen geglaubt haben. Wenn Sie einen Stimmzettel mit der Frage: Muß die SPD die Bundesregierung bilden? vorgelegt bekämen, dann würden Sie sich nicht suggestiv beeinflussen lassen und Ja sagen,

(Heiterkeit)

sondern Ihr Standpunkt würde wahrscheinlich ein
Nein zur Folge haben. Ich bin im Gegensatz zu
Ihnen der Meinung, daß die Bevölkerung des Landesteils Baden des Landes Baden-Württemberg reif
genug ist, um die von der Bundesregierung formulierte Frage, wenn sie sie vorgelegt bekommt, mit
Ja oder Nein zu beantworten, so wie es sich aus
dem Standpunkt des jeweiligen Staatsbürgers ergibt.

(Beifall bei der SPD. — Abg. Hilbert: Was geschieht dann, wenn sie Nein sagt? Das ist doch das Wesentliche!)


— Herr Hilbert, daß Sie Nein sagen, wissen wir doch. — Meine Damen und Herren, dieser Hinweis des Herrn Kollegen Hilbert ist wirklich beachtlich. Ich möchte Sie aber bitten, zu bestätigen, daß wir nicht abgesprochen haben, daß Sie mir diesen Hinweis machen, den ich für wichtig halte.

(Heiterkeit.)

Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 66. und 67. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. März 1963 3041
Dr. h. c. Dr.-Ing. E. H. Möller
Denn damit ist das zum Ausdruck gekommen, worauf ès wirklich ankommt, nämlich daß sich die Bevölkerung im Landesteil Baden jetzt noch einmal zu dem neuen Staat oder der Wiederherstellung des alten Landes Baden eindeutig und auf Grund eines solchen Gesetzes zu äußern hat. Dabei ist es gar nicht wichtig, ob die Frage so oder so formuliert ist. Es ist gar nicht wichtig, ob damit eine Alternativfrage verbunden ist. Aber das ist insoweit Geschmackssache, als es mit der Bewertung des Staatsvolks und seiner Fähigkeit zur Urteilsbildung zusammenhängt.
Wenn nun, Herr Kollege Hilbert, eine beachtliche Mehrheit im Landesteil Baden diesen Gesetzentwurf der Bundesregierung durch eine Verneinung der Frage ablehnen würde, dann wäre allerdings nach meiner persönlichen Meinung eine neue politische Situation in der Bewertung der Gesamtlage eingetreten. Dann muß sich jeder erneut mit der Frage beschäftigen: Kann man bei einem solchen Votum der Bevölkerung den Ablauf akzeptieren, den Art. 29 vorsieht und der hier im einzelnen vorgetragen worden ist?

(Abg. Hilbert: Von uns!)

— Ja, das steht im Stenogramm. Im übrigen, Herr Kollege Hilbert, ist es ganz selbstverständlich, daß man sich mit dem Wahlergebnis, ganz gleich, wie es ausfällt, ernsthaft beschäftigen muß.
Ich habe begrüßt, daß auch Herr Kollege Kopf sagte: Wir sind gute Demokraten. Er hat das dann allerdings wieder eingeschränkt und sinngemäß gesagt: Wenn alles nach unseren Vorstellungen vor sich geht, dann sind wir gute Demokraten. Herr Kollege Kopf, was wäre dann mit uns Sozialdemokraten seit 1949, seit die Bundesrepublik existent ist? Wir können doch unser demokratisches Verhalten und unser Verhältnis zum demokratischen Staat nicht davon abhängig machen, daß das eine oder andere nach unseren Wünschen geht. Das machen wir noch nicht einmal bei gewissen geistigen Untugenden in der Anwendung der Geschäftsordnung des Bundestages.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD.)

Ich möchte wiederholen, was Herr Filbinger gesagt hat. Man darf doch die bindende Vorschrift des Art. 29 Abs. 3 des Grundgesetzes nicht übersehen, in dem es einfach wie folgt heißt: „In jedem Gebiet, dessen Landeszugehörigkeit geändert werden soll, ist der Teil des Gesetzes, der dieses Gebiet betrifft, zum Volksentscheid zu bringen", und zwar mit all den Konsequenzen, die Herr Filbinger dargestellt hat. Das ist im Staatsministerium juristisch so hervorragend formuliert worden, daß ich mich darauf beziehe. Etwas Besseres kann ich in diesem Fall nicht tun.
Meine Damen und Herren, ich möchte der Begründung dafür, daß man nicht nach den Wünschen einiger CDU/CSU-Kollegen verfahren kann, noch eines hinzufügen. Halten wir doch bitte fest: Für die Angliederung der Regierungsbezirke Koblenz und Trier des Landes Rheinland-Pfalz an das Land Nordrhein-Westfalen haben sich immerhin 14,12 % der Bevölkerung ausgesprochen, für die Angliederung des Regierungsbezirks Rhein-Hessen des Landes Rheinland-Pfalz an das Land Hessen 20,2 %, für die Angliederung des Regierungsbezirks Monta-baur des Landes Rheinland-Pfalz an das Land Hessen 25,3 %.
Sie können diese erfolgreich verlaufenen Volksbegehren doch nicht einfach negieren und sich lediglich mit dein ebenfalls erfolgreich verlaufenen Volksbegehren im Landesteil Baden des Landes Baden-Württemberg beschäftigen. Ich will auf Oldenburg und Schaumburg-Lippe gar nicht eingehen.
Ich sage das deswegen, weil wir bei Betrachtung des Gesetzentwurfs der Regierung doch die Gesamtkonzeption vermissen, eine Konzeption mindestens unter Berücksichtigung dieser erfolgreich verlaufenen Volksbegehren. Darüber wird in den Ausschußberatungen noch zu sprechen sein; denn niemand kann sich der Erkenntnis entziehen, daß gerade bei einer Phasenneugliederung kaum ohne eine Gesamtkonzeption auszukommen ist, ganz gleich, ob man sie in eine Präambel oder in die Begründung des Gesetzentwurfs der Regierung bringt. Insoweit kann auch niemand bestreiten, daß bei einer objektiven Prüfung aller Zusammenhänge der Schluß berechtigt ist, daß der Gesetzentwurf der Bundesregierung dem badischen Landesteil — ich wiederhole das, was ich in einem Rundfunkgespräch gesagt habe — erneut und bevorzugt eine faire Abstimmungschance gibt.
Ich habe schon meine Meinung über Alternativfragen zum Ausdruck gebracht. Ich brauche sie nicht zu wiederholen. Herr Kollege Kopf hat gesagt, er verfüge über eine intime Kenntnis der lokalen und regionalen Verhältnisse im Landesteil Baden, und hat daraus gewisse Schlußfolgerungen gezogen. Herr Kollege Kopf, ich würde da vorsichtig sein. Sie kommen doch aus Freiburg. Sie haben sicher trotz Ihrer intimen lokalen Kenntnisse nicht vorausgesehen, mit welch überwältigender Mehrheit ein Sozialdemokrat in Freiburg Oberbürgermeister wurde!

(Beifall bei der SPD. — Zurufe von der CDU/CSU.)

Also Vorsicht mit lokalen und regionalen Kenntnissen!

(Abg. Dr. Hauser: Sie sind doch mit einem altbadischen SPD-Mann in den Kampf gegangen!)

— Wir sind nicht mit Altbaden in den Kampf gegangen,

(Zuruf von der CDU/CSU: Doch!) sondern mit einem Sozialdemokraten.


(Zuruf von der CDU/CSU: Mit einem badischen Sozialdemokraten!)

Inwieweit dieser Sozialdemokrat mit der einen oder anderen badischen Auffassung stärker übereinstimmt als wir, das ist eine Toleranzfrage.

(Beifall bei der SPD.)

3042 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 66. und 67. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. März 1963
Dr. h. c. Dr.-Ing. E. H. Möller
Bloß wirkt sich das bei uns nicht zum groben Unfug aus, wobei ich nicht sagen will, was ich in diesem Fall als groben Unfug betrachte.
Nun, meine Damen und Herren, bei der Haltung der Altbadener bezweifle ich, daß, ganz gleich, über welchen Modus wir uns verständigen, dann wirklich endgültig Schluß ist. Denn wenn wir wieder mit der Frage des Quorums ankommen, um zu versuchen, hier eine Verständigung herbeizuführen, dann ist ein Teil dabei, der sagt: Mit Quorum nie! Warum man hier ein Quorum vorschlägt, hat Herr Innenminister Filbinger vorgetragen. Deswegen ist die Frage berechtigt: Regelt man in dieser Phase die Verhältnisse in Südwestdeutschland wirklich so, wie es Herr Minister Filbinger am 26. Oktober 1962 im Bundesrat ausgeführt hat, daß im Lande Baden-Württemberg Rechtssicherheit, Ruhe und Beständigkeit einkehren?
Nun noch ein letztes Wort zu der Frage der Ausschußberatungen. Es ist bedauerlich, daß nicht nur hier im Bundestag, sondern auch an anderer Stelle die Frage der Überweisung an Ausschüsse nicht mehr nach sachlichen Gesichtspunkten erfolgt, sondern unter gewissen parteipolitischen Vorstellungen — nicht politischen, das wäre ja berechtigt. Meine Herren, die Sie den Antrag gestellt haben, die Vorlage an den Rechtsausschuß zu überweisen, können Sie sich denn nicht von der Argumentation des Innenministers des Landes Baden-Württemberg, Herrn Filbinger, überzeugen lassen? Er hat Ihnen doch nun wirklich ins Gewissen geredet, er hat Ihnen doch nun wirklich begreiflich gemacht, daß es sich hier nach einer mehr als zehnjährigen Existenz des Südweststaates einfach um die politische Frage handelt: Soll dieses Land Baden-Württemberg weiterbestehen oder nicht? Das hat doch nichts mehr mit juristischen Spitzfindigkeiten zu tun, sondern das ist eine klare politische Entscheidung. Wir sind so vernünftig, durchaus anzuerkennen, daß der Rechtsausschuß mitberatend mitwirken muß, weil selbstverständlich auch juristische Fragen eine Rolle spielen. Aber entscheidend bleibt, ob wir in der Bundesrepublik Deutschland dieses neugebildete Land Baden-Württemberg weiter existieren lassen wollen oder ob wir es auflösen wollen in die beiden früheren Länder Baden und Württemberg.
Herr Kollege Kopf, Sie haben Uhland zitiert. Das gibt mir den Mut, die letzten vier Zeilen aus dem Schwabenlied zu zitieren.

(Zuruf von der Mitte: Singen! — Heiterkeit.)

— Wir sind ja nicht im Deutschen Reichstag vom März 1933.

(Beifall bei der SPD.)

Diese letzten vier Zeilen des Schwabenliedes lauten:
Ja, wackre Deutsche laßt uns sein!
Drum reichet euch die Bruderhand!
Denn Schwabenland ist's nicht allein,
Das ganze Deutschland ist mein Vaterland!

(Beifall bei der SPD.)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0406602500
Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Diemer-Nicolaus.

Dr. Emmy Diemer-Nicolaus (FDP):
Rede ID: ID0406602600
Herr Präsiden! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als die Tagesordnung festgesetzt wurde, haben wahrscheinlich die meisten nicht geglaubt, daß die Frage, wie der Südwestraum gestaltet werden soll, eine derart umfangreiche Diskussion auslösen wird. Aber diejenigen, die schon lange im Bundestag sind und die die früheren Gesetze kennen, mußten damit rechnen, daß der heutige Vormittag dafür gebraucht wird.
Ich bitte auch die Kollegen, die nicht aus dem Südwestraum sind, Verständnis dafür zu haben, daß es für uns, die wir in Baden-Württemberg wohnen — ob es nun die sind, die zuerst im Land Baden waren, wie die Herren Kollegen Kopf, Hilbert und Güde, oder die andern, die damals im Land Württemberg-Baden gewohnt haben —, eine echte Herzensangelegenheit ist, was jetzt aus unserem südwestlichen Baden-Württemberg, das sich so gut zusammengefunden hat, wird.
Der Bundestag steht jetzt, nachdem die Bundesregierung auf Grund des Urteils des Bundesverfassungsgerichts diesen Gesetzentwurf vorgelegt hat und der Entwurf von Herrn Kopf vorliegt, vor der Entscheidung, welchem Gesetz er zustimmt. Ich teile die nicht nur von Herrn Minister Höcherl, sondern auch die von Herrn Professor Wahl und von Herrn Kollegen Möller vertretene Auffassung, daß die Bundesregierung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in verfassungsgerechter Weise nachgekommen ist. Ich teile auch die Auffassung, daß die Fragestellung des Regierungsentwurfs dem entspricht, was Art. 29 des Grundgesetzes vorschreibt. Ich bin der Auffassung, daß die Regierung richtig und fair gehandelt und daß sie den Entwurf wirklich verfassungsgemäß gestaltet hat.
Ich habe Verständnis dafür, daß Herr Kollege Kopf sich nicht so einfach mit dieser Fragestellung abfinden möchte. Aber, Herr Kollege Kopf, die Fragestellung in Ihrem Entwurf ist ja nun wirklich nicht möglich. Von Herrn Minister Filbinger ist bereits eindringlich und überzeugend dargelegt worden, daß sie nicht mehr verfassungskonform ist. Sie, Herr Kollege Kopf, sind ein viel zu guter Jurist, um nicht ganz klar den Widerspruch zu erkennen. Das Land Baden-Württemberg ist nicht mehr das Land Baden-Württemberg, wenn das gesamte Land Baden nicht mehr dazugehört. Dann ist es eben nur noch Württemberg und Baden, aber niemals mehr BadenWürttemberg. Deshalb müssen Sie, wenn Sie ehrlich sind, auch einsehen, daß die in Ihrem Entwurf vorgesehene Fragestellung nicht haltbar ist.
Eine andere Frage ist die, ob eine Alternativfrage gestellt werden sollte. Dazu muß ich sagen, daß wir als Freie Demokraten mit unserer Auffassung nicht die Entscheidung bringen. Herr Kopf, Sie haben die Auffassung vertreten — und haben sich dabei auf den Kommentar von Maunz-Dürig bezogen —, eine Alternativfrage wäre nicht grundgesetzwidrig. Ich halte eine solche Alternativfrage nicht für zulässig. Diese Frage stand bereits im 3. Bundestag in dem damaligen Rechtsausschuß zur Diskussion. Der Rechtsausschuß des 3. Bundestages hat seinerzeit entschieden: Es geht nicht. Wenn Sie
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 66. und 67. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. März 1963 3043
Frau Dr. Diemer-Nicolaus
schon sagen, der 3. Bundestag und dessen Rechtsausschuß hätten sich mit der Frage befaßt, können Sie doch nicht so einfach über das hinweggehen, was damals von der Mehrheit des Rechtsausschusses als verfassungsgemäß und was als nicht verfassungsgemäß angesehen wurde.

(Abg. Wittrock: Sehr richtig!)

Herr Kollege Kopf, Sie haben weiterhin gesagt, Sie möchten, daß jetzt wirklich ein sicheres, ein rechtlich gesichertes Gesetz ergeht. Wenn Sie aber schon von vornherein wissen, daß eine Alternativfragestellung, ob verfassungsgemäß oder nicht — jetzt ganz vorsichtig ausgedrückt —, auch von Ihnen aus zumindest umstritten ist, dürfen Sie, wenn Sie ein verfassungssicheres Gesetz haben wollen, zu dieser Alternativfrage nur nach einer Änderung des Grundgesetzes kommen.
Eine Änderung des Grundgesetzes nehme ich in keinem Falle leicht. Die Freien Demokraten wären aber — und haben das auch schon wiederholt erklärt — bereit, sich einer Grundgesetzänderung nicht zu versagen, sondern an ihr mitzuwirken, und zwar in dem Sinne, wie es von Herrn Minister Filbinger für die Landesregierung Baden-Württemberg gesagt worden ist.
Aber die Gespräche über eine solche Grundgesetzänderung, die ja die Voraussetzung für die Alternativfrage wäre, Herr Kollege Kopf, müssen Sie zunächst mit der SPD führen. Solange sich die SPD einem derartigen Anliegen versagt, können wir darüber gar nicht weiter diskutieren. Es wäre
verlorene Zeit, noch weiter über diese Dinge zu sprechen.
Deswegen konnte auch die Bundesregierung gar nicht anders, als auf dem Boden des Art. 29 des Grundgesetzes stehend die Frage so zu stellen, wie sie im Regierungsentwurf enthalten ist.

(im Rechtsausschuß des Bundesrates sehr eingehend geprüft wurde. Die Konzeption, die in dieser Beziehung im Regierungsentwurf enthalten ist, wurde für ausreichend erachtet. Ich finde auch, daß die Grundidee, die darin enthalten ist, gut ist. Es werden schon die Länder genannt, die den Forderungen des Art. 29 Abs. 1 entsprechen und die eine wirtschaftliche, kulturelle und geschichtliche Zusammengehörigkeit haben, die in sich also ausgeglichen sind. Es ist durchaus möglich, jetzt für das Land Baden-Württemberg eine Vorausabstimmung vorzunehmen. Ich habe Verständnis dafür, daß die SPD, die ja in Hessen in der Regierung ist, möglichst bald auch den Volksentscheid in den Gebieten geregelt haben möchte, wo das Volksbegehren günstig gewesen ist. Aber, Herr Kollege Möller, Sie werden mit mir in der Auffassung übereinstimmen, daß in den dortigen Gebieten die Fragen nicht so einfach wie im baden-württembergischen Raum sind. Dort handelt es sich nämlich um Gebiete, die — wie auch das Land Hessen — erst nach 1945 in dieser Form neu geschaffen worden sind, während die Landesgrenzen von Baden-Württemberg schon von früher her festlagen. Das war ja auch ein Grund dafür, daß Art. 118 hier eine besondere Regelung vorgesehen hatte. Wir Freien Demokraten stehen, solange eine Grundgesetzänderung nicht möglich ist, weil die SPD nicht mitmachen will, hinter dem Regierungsentwurf, und wir wünschen — das möchte ich mit aller Eindeutigkeit sagen —, daß das Land Baden-Württemberg, das sich durchaus bewährt hat, auch in Zukunft erhalten bleibt. Ich kann mich auch insofern auf die Ausführungen von Herrn Minister Filbinger beziehen. Ich möchte Sie jetzt nicht mit der Aufzählung dessen langweilen, was nach dem Zusammenschluß der drei Länder geschaffen worden ist und wie günstig sich das gerade auch für das Land Baden ausgewirkt hat. Es ist weiterhin schon in den Ausführungen von Herrn Professor Wahl zum Ausdruck gekommen, daß in diesem Zusammenhang nicht nur Südbaden gesehen werden darf. Es muß auch berücksichtigt werden, wie sich die Notstandsgebiete gerade in den nordbadischen Landesteilen, die an den Main angrenzen, z. B. die Kreise Tauberbischofsheim, Buchen, Sinsheim, und wie sich in Südbaden der Hotzenwald erholt haben. Es ist viel getan worden, und es war eine glückliche Ergänzung im ganzen Land. Ich verstehe, daß das Luther-Gutachten unparteiisch zu dem Ergebnis gekommen ist, daß das Land Baden-Württemberg, so wie es jetzt besteht, wirklich ein vorbildliches Land im Sinne von Art. 29 ist. Wir Freien Demokraten wünschen allerdings, daß dieser Gesetzentwurf möglichst bald beraten wird und daß auch möglichst bald eine endgültige Abstimmung stattfindet. Wir hoffen allerdings auch, daß dann, wenn die Badener Bevölkerung sich für die Erhaltung des Landes Baden-Württemberg ausspricht und eine andere Fragestellung, als sie im Regierungsentwurf enthalten ist, nicht möglich ist, Herr Kollege Kopf sich als ein guter, der Tradition Badens entsprechender Demokrat erweisen wird und daß das Bundesverfassungsgericht nicht erneut angerufen wird, sondern daß mit dieser Entscheidung auch eine echte Befriedung unseres Landes eintritt. Jetzt ein Wort zu der Frage, an welchen Ausschuß verwiesen werden soll. Ich gehöre dem Rechtsausschuß an, und Sie wissen, daß ich alle Fragen, die mit der Verfassungsmäßigkeit zusammenhängen, sehr ernst nehme. Ich habe Verständnis dafür, daß dieses Problem sehr genau geprüft werden muß. Herr Kollege Kopf, es ist nie daran gedacht gewesen, den Rechtsausschuß bei derartigen Gesetzen auszuschließen. Aber in dem vorliegenden Fall muß ich doch ganz objektiv zunächst einmal prüfen, welcher Ausschuß nach dem politischen Gehalt der Gesetze dafür zuständig ist. Da es sich um eine 3044 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 66. und 67. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. März 1963 Frau Dr. Diemer-Nicolaus Frage der Neugliederung nach Art. 29 handelt, ist das eine ganz eminente innenpolitische Frage. (Abg. Wittrock: Auch nach der bisherigen ständigen Praxis muß man sich orientieren!)

— Im 3. Bundestag war, glaube ich, der Rechtsausschuß federführend.

(Zurufe: Auch der Innenausschuß!)

— Auch der Innenausschuß, und im Rechtsausschuß ist das Gesetz gescheitert. Ich glaube, daß der Innenausschuß — der Herr Innenminister hat ja den Gesetzentwurf auch vorgelegt — der Ausschuß ist, der federführend sein muß. Ich bin bei der Zusammensetzung des Rechtsausschusses überzeugt, auch wenn ich all die Unterschriften sehe, die unter dem Kopf-Entwurf stehen, daß der Rechtsausschuß in keiner Weise übergangen wird, sondern daß die juristischen und verfassungsmäßigen Probleme, die in dem Gesetzentwurf sind, im Rechtsausschuß eingehend behandelt werden.
Aber wir wollen uns nicht den Blick trüben lassen. Es ist vollkommen richtig gesagt worden, es handelt sich hier in erster Linie nicht um eine Rechtsfrage, sondern um die politische Frage: Soll das Land Baden-Württemberg erhalten bleiben? Wir hoffen, daß Innenausschuß und Rechtsausschuß recht bald zu einer abschließenden Regelung und Beratung kommen.

(Beifall bei der FDP.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0406602700
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Güde.

Dr. Max Güde (CDU):
Rede ID: ID0406602800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Worte sind bald genug gewechselt.

(Beifall.)

— Ich habe mir gedacht, daß ich dafür Beifall erhalten werde. Ich werde mich infolgedessen der politischen Lyrik enthalten und nicht weiter Uhland und andere schwäbische Dichter zitieren, obwohl sie mir sehr gut gefallen.
Ob der Herr Innenminister des Landes Baden-Württemberg sich so sehr freut, von der SPD umarmt zu werden, das zu entscheiden muß ich ihm überlassen. Ich freue mich, daß die SPD mit der badisch-württembergischen Regierung wieder einmal so einig ist. Sicher hat der sehr geehrte Kollege Dr. Möller nicht mich und meine Freunde gemeint, als er von denen sprach, die sich im Kreis herumdrehen und von der Verfassungsänderung und vom Quorum und von der Alternativfrage sprechen; das war seit zwei Jahren die badisch-württembergische Regierung. Ich denke, die Einigkeit von Herrn Möller mit der badisch-württembergischen Regierung erstreckt sich doch wohl auch auf diesen Punkt.
Meine Damen und Herren, ich glaube, wir hätten nicht so reden sollen, als ob wir hier jetzt das Problem zu entscheiden hätten, und wir hätten nicht in die ganze Breite dessen zu gehen brauchen, was in den Ausschüssen nachher diskutiert werden muß. Eines ist sicher: Das zweite Neugliederungsgesetz, auf dem das Land Baden-Württemberg beruht, ist eklatant mißglückt. Daran können Sie nichts ändern, Herr Kollege Möller. Es ist durch das zweite Urteil des Bundesverfassungsgerichts mißglückt, weil ihm die Dauerwirkung fehlt. Ich will Ihnen doch die für mich und für die Zukunft entscheidende Stelle in die Erinnerung zurückrufen. Wohl steht in dem Urteil, daß das zweite Neugliederungsgesetz nach Art. 118 verfassungsmäßig ist, aber es steht darin der Rechtsgrundsatz — und an dem scheitert im Grunde das Gesetz —, daß eine Neugliederung, die dem in einem solchen Volksentscheid zum Ausdruck gebrachten Mehrheitswillen der Bevölkerung nicht entspricht, nur verbindlich werden kann, wenn die Mehrheit der Bevölkerung des Bundesgebietes in einem Volksentscheid zustimmt, daß der Mehrheitswille der regionalen Bevölkerung also nur durch den Mehrheitswillen des Gesamtvolkes überwunden wird. Zweifellos ist der Staat legal, aber es fehlt ihm bis entweder zur Bestätigung durch das Gebietsvolk oder zur Überwindung des Widerspruchs des Gebietsvolkes durch das Bundesvolk die letzte Legitimität.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0406602900
Herr Abgeordneter Dr. Güde, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Dr. Diemer-Nicolaus?

Dr. Max Güde (CDU):
Rede ID: ID0406603000
Aber gern!

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0406603100
Bitte sehr!

Dr. Emmy Diemer-Nicolaus (FDP):
Rede ID: ID0406603200
Herr Kollege Güde, ist Ihnen nicht bekannt, daß seinerzeit vor dem zweiten Neugliederungsgesetz die nordbadische Bevölkerung ebenfalls verlangt hat, gefragt zu werden, ob sie nicht lieber bei Württemberg-Baden bleiben wolle, als mit Südbaden vereinigt zu werden, und daß darauf diese Regelung des § 10 des Neugliederungsgesetzes beruht?

Dr. Max Güde (CDU):
Rede ID: ID0406603300
Sehr verehrte Frau Kollegin, über diese Frage konnte man debattieren vor dem zweiten Urteil des Bundesverfassungsgerichts; man kann das aber nicht mehr nachher, weil im zweiten Urteil nun eben das Recht dieses alten Landes statuiert ist. Sie können darüber streiten, ob das Bundesverfassungsgericht im ersten oder im zweiten Urteil recht gehabt hat, denn ganz gehen sie nicht auf einen Nenner; aber Sie kommen von der Grundlage des zweiten Urteils nicht mehr herunter, und dort ist das Recht des alten Landes Baden und seiner Bevölkerung nun einmal statuiert.
Ich will meine Meinung über die beiden Urteile gar nicht sagen; ich sage Ihnen nur: von dort her rührt die Rechtsverwirrung. Und ich muß jetzt ein Wort sagen für meine badischen Landsleute hier in diesem Hause und vielleicht weit darüber hinaus. Wir könnten—aus der Ungeduld des Herrn Kollegen Möller klang das heraus — als Querulanten gelten. Nun, ich habe den Vorzug gehabt, zwölf Jahre meines Lebens Amtsrichter unter Bauern zu sein, und ich bin eines schönen Tages sehr beeindruckt worden, als ein Bauer in einem Rechtsstreit zu mir
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 66. und 67. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. März 1963 3045
Dr. h. c. Gilde
1 sagte: „Herr Amtsrichter, 's goht nit ums Geld, 's goht ums Recht!" „Es geht nicht ums Geld, es geht ums Recht." Und das sollte man ernst nehmen.
Jedermannn weiß, daß ich kein alter Parteigänger der Altbadener bin. Ich habe mich der Sache angenommen als Jurist, weil in der Tat in meiner Heimat das Rechtsgefühl verletzt ist.

(Beifall in der Mitte.)

Sie können darüber spotten, aber Sie müßten das ernst nehmen. Ein Ernstnehmen des Rechts muß auch der Gesetzgeber ernst nehmen.
Im übrigen: es gab weise Propheten bei der Beratung des zweiten Neugliederungsgesetzes in diesem Bundestag. Der Herr amtierende Präsident wird mir verzeihen, wenn ich ihn zitiere. Er hat nämlich damals in der Debatte gesagt:
Wenn die Badener das Gefühl haben, daß sie hier wider das Gesetz vergewaltigt werden, dann wird ein Ressentiment in dieser Ecke des deutschen Bundes entstehen, das unsere Innenpolitik schwer belasten wird.

(Beifall in der Mitte.)

Das sollte man nicht tun. Denn das Gefühl der Badener, daß ihnen hier Unrecht geschieht, ist nicht nur subjektiv, es ist eine objektive Wahrheit.
So 1951 der Herr amtierende Präsident. Und ich sehe den Herrn Kollegen von Merkatz, der in derselben Debatte gesagt hat: Wir sollten dem Volk in diesen alten Ländern die Entscheidung darüber überlassen. Der Gesetzentwurf nimmt diese Entscheidung nicht nur vorweg, sondern nimmt sie überhaupt dem beteiligten Volk ab. Seine Wahlkreisgeometrie setzt eine willkürliche Entscheidung des Bundestages an die Stelle einer freien Entscheidung der Bevölkerung. — Meine Damen und Herren und auch Herr Kollege Möller: das ist noch einmal die Gefahr, daß Sie das, was Sie eine politische Entscheidung nennen, aufdrängen wollen. Es kommt endlich darauf an — für Demokraten und Föderalisten kommt es darauf an —, daß die Entscheidung, wie sie auch fallen mag, legitim wird,

(Sehr gut! bei der CDU/CSU)

legitim für Föderalisten und Demokraten, damit endlich — damit bin ich völlig einig — Frieden und Ruhe in unserem Land wird. Mag so oder so entschieden werden, morgen werden wir uns — so Gott will, bald — in unserem Land darüber auseinandersetzen, wird jeder seinen Standpunkt beziehen. Sie wissen ganz genau: unter dem Antrag Kopf und Genossen stehen gar nicht nur Altbadener; und im übrigen sind wir auch mit unseren badisch-württembergischen Kollegen, CDU-Kollegen in der Fraktion, im wesentlichen einig darüber, daß wir alle wollen, daß ein Ende gemacht wird, und dann soll man nicht vorweg entscheiden. Denn über eines muß man sich klar sein, und das haben Sie fast zugegeben, Herr Kollege Möller: wenn sich im alten Land Baden wirklich eine eindrucksvolle Mehrheit gegen den
Fortbestand des gemeinsamen Landes ergäbe — ergäbe! —,

(Abg. Dr. Schäfer: Konjunktiv!)

wäre das Land auf die Dauer nicht haltbar; das müssen Sie als Demokraten und das müssen auch die Föderalisten ohne weiteres unterschreiben. Sie haben vorhin gesagt: Dann entsteht eine neue Situation. Nun, diese Situation soll man von vornherein ins Auge fassen.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

Es geht uns nicht in erster Linie um eine Verfassungsänderung. Es geht uns und, ich glaube, allen, denen es mit dem Problem ernst ist, zunächst einmal darum, zu prüfen: ist überhaupt eine Verfassungsänderung möglich, ist sie notwendig oder kommen wir nicht auch so zu einer Lösung? Ich bin mir selbst noch nicht ganz darüber klar, Herr Kollege Möller. Aber in dem stillen Kämmerlein, in das Sie mich versetzt haben — vielleicht folgen Sie mir dorthin, dann könnten wir sehr schön darüber reden —, könnten wir uns vielleicht klar darüber werden, ob es nicht auch ohne Verfassungsänderung geht. Ich halte das nicht für ausgeschlossen. Aber in diesem rechtlichen, in diesem juristischen Dickicht, wie der Herr Innenminister des Landes Baden-Württemberg gesagt hat, handelt es sich vorweg um die Prüfung der Rechtsfragen.
Es ist nicht wahr, daß von uns in dieser Sache versucht werde, dem Rechtsausschuß etwas zu überweisen, was ihm nicht zukomme; diese Aufgabe kommt ihm von Rechts wegen zu. Er soll einmal die rechtlichen Grenzen abstecken. Die politische Entscheidung wird hier fallen müssen; vielleicht muß sie unter uns fallen. Aber die Prüfung der Rechtsfragen — eine saubere und subtile Prüfung — muß vorhergehen; dann wird die politische Entscheidung fallen können.
Deswegen bitte ich Sie noch einmal im Namen meiner Freunde, die Überweisung an den Rechtsausschuß zu beschließen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0406603400
Das Wort hat der Abgeordnete Wittrock.

Karl Wittrock (SPD):
Rede ID: ID0406603500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren, nur zum letzten Teil der Ausführungen des Herrn Kollegen Güde! Verfassungsänderungen setzen immer politische Entscheidungen voraus; denn der Maßstab für eine Verfassungsänderung ist letzten Endes die politische Wertvorstellung, die in diesem Hause erarbeitet wird. Dabei will ich natürlich von den — ich möchte sagen — naturrechtlichen Grenzen, die auch dem Verfassungsgesetzgeber gezogen und zu ziehen sind, absehen. Dieser Bereich wird hier nicht berührt. Wenn etwa die Auffassung vertreten werden sollte, es bedürfe einer Verfassungsänderung, dann befinden wir uns im Bereich allein der politischen Ermessensbildung und somit im Bereich der politischen Entscheidung. — Sie möchten eine Zwischenfrage stellen; bitte sehr.
3046 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 66. und 67. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. März 1963

Dr. Max Güde (CDU):
Rede ID: ID0406603600
Herr Kollege Wittrock — das ist jetzt eine ganz sachlich gemeinte Frage —, sind Sie nicht auch der Meinung, daß die Verfassungsänderung, wenn sie überhaupt als möglich angesehen wird, zweckmäßigerweise im Rechtsausschuß vorbereitet werden muß, daß dort Überlegungen angestellt werden müssen, ob, wieweit und in welcher Richtung überhaupt eine Verfassungsänderung erwogen werden soll?

Karl Wittrock (SPD):
Rede ID: ID0406603700
Herr Kollege Güde, der Rechtsausschuß wird doch zunächst die Frage zu prüfen haben, ob der Weg, den der vorliegende Gesetzentwurf vorsieht, nach geltendem Verfassungsrecht begehbar ist.

(Abg. Dr. h. c. Güde: Es sind zwei Entwürfe!)

Natürlich, zwei Entwürfe. Beide Entwürfe werden an diesem Maßstab gemessen. Wenn man zu der Auffassung kommt: der Weg ist begehbar, nun, dann trifft der Bundestag seine Entscheidung, es sei denn, daß er sagt: Ich will aber von Verfassungs wegen Raum schaffen für einen anderen Weg, für einen anderen politischen Weg. Ich komme immer nur zu dem gleichen Ergebnis, daß es sich nämlich hierbei um eine Frage der politischen Wertung und des politischen Ermessens handelt.
Aus diesem Grunde fühle ich mich auch nicht durch das widerlegt, was Herr Kollege Kopf vorhin auf meine Zwischenfrage ausgeführt hat. Ich hatte in der Zwischenfrage gesagt, nach meiner Auffassung komme es allein auf die politische Entscheidung an. Herr Kollege Hauser, Sie hatten da den Zwischenruf gemacht, es gebe andere Beispiele in der Praxis des Bundestages. Nun, da hatte man sich eben zunächst einmal politisch verständigt, um dann im Rechtsausschuß die Grundlage für die Initiative zu erarbeiten.
Meine Damen und Herren, ich will die Aussprache nicht weiter belasten. Ich möchte nur eine Beanstandung, und zwar mit Blickrichtung auf den Herrn Bundesminister des Innern, vortragen. Der Herr Bundesinnenminister hat wenig, ja, wenn ich es in der Unruhe, die im Hause zu Beginn seiner Rede herrschte — aus Gründen, die sich aus dem vorher Geschehenen ergeben —, richtig gehört habe, hat der Herr Bundesinnenminister gar nichts gesagt über die Gesamtkonzeption, nach der, wenn ich der Begründung folge, dieser Gesetzentwurf sozusagen ein erster Schritt auf dem Wege zur Verwirklichung dieser Gesamtkonzeption der Neugliederung sein soll. Wenn die Bundesregierung sich auch nur etwas mit den Begründungen der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts beschäftigt und wenn sie den Art. 29 Abs. 1 des Grundgesetzes berücksichtigt, muß sie sich, so meine ich, zu der Gesamtkonzeption äußern.
Ich will jetzt keine „hessische" Rede halten, das liegt mir völlig fern. Aber, Herr Bundesinnenminister, Sie haben es sich in der Begründung des Regierungsentwurfs etwas zu einfach gemacht. Sie haben ausgeführt, es gebe im Augenblick dringendere Aufgaben als die, sich mit der Gesamtkonzeption und anderen Fragen zu beschäftigen. Sie wissen aber
ebensogut wie ich sehr genau, daß z. B. in einem Zusammenhang — wenn auch nicht in einem rechtlichen, so doch in einem faktischen Zusammenhang — mit den Fragen, die sich aus dem Volksbegehren in den hessischen Randgebieten ergeben, das Problem der ehemals rechtsrheinischen Vororte der Stadt Mainz steht, die jetzt von Wiesbaden verwaltet werden und der Hoheit des Landes Hessen unterstehen. Dort gibt es in der Tat einen Schwebezustand. Die Stadt Wiesbaden und das Land Hessen haben sich darum bemüht, den Charakter der bestehenden Lösung als Provisorium wirklich und nachhaltig anzuerkennen. Aber es ergeben sich daraus Schwierigkeiten, Rechtsunsicherheiten und ein Regelungserfordernis. Ich wäre dem Herrn Bundesinnenminister dankbar, wenn er sich dazu äußerte.
Der Herr Minister hat in der Vergangenheit den Standpunkt vertreten, daß ein Weg unmittelbar über Art. 29 Abs. 7 des Grundgesetzes nicht begehbar erscheint. Sicherlich ist dieser Weg über den letzten Absatz des Art. 29, mindestens so, wie die Bundesregierung bisher Vorstellungen entwickelt hat, nicht begehbar. Das ändert aber nichts daran, daß eine Lösung erstrebt werden muß, und da jede Lösung in einem Zusammenhang steht mit der sonstigen territorialen Regelung in diesem Raum, muß auch dazu Stellung genommen werden.
Die Rechtsfragen, nun, sie sind interessant, sie sind wesentlich, aber es geht auch um eine politische Frage. Es ist eine Frage, die irgendwie die Grundlagen der Demokratie berührt, ob es richtig ist, daß man sich nach der Durchführung von Volksbegehren — so wie in einigen hessischen Randgebieten — in Schweigen hüllt und überhaupt nichts mehr geschieht. Das ist vom Standpunkt der Demokratie aus nicht erträglich. Darum muß das Schweigen beendet werden. Die Bundesregierung muß sich zu den Fragen der Gesamtkonzeption äußern. Ich möchte den Herrn Bundesinnenminister ausdrücklich bitten, nachdem wir schon soviel Zeit auf die Erörterung dieses Themas verwendet haben, die Möglichkeit wahrzunehmen, heute und hier Stellung zu beziehen.

(Beifall bei der SPD.)

.Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat der Vertreter des Bundesrates, Herr Staatsminister Dr. Filbinger.
Dr. Filbinger, Minister des Landes Baden-Württemberg: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte mich nicht zu der Verfahrensfrage äußern, sondern ein Wort zu den Ausführungen des verehrten Kollegen Dr. Güde sagen, der sich mit Wärme eingesetzt hat für das, was der Bevölkerungsteil in Baden will, sowie dafür, daß das Recht des badischen Volkes auf einem Wege verwirklicht wird, der absolut unzweideutig ist und demgegenüber es erneute Anzweifelungen nicht geben kann.
Nun könnte der Eindruck entstehen, als ob der Weg, der durch die Bundesregierung mit dem Gesetzentwurf eröffnet worden ist, dem badischen Volk nicht das Recht geben würde, das es verlangen
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 66. und 67. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. März 1963 3047
Minister Dr. Filbinger
kann, als ob es im Rahmen der Verfassung einen anderen Weg gäbe, auf dem man vielleicht in noch besserer Weise dem entgegenkommt, was gewünscht wird.
Ich meine, wir sollten das Ergebnis der Vorberatungen, aber auch der eingehenden Aussprache in der heutigen Sitzung doch so verstehen, daß sämtliche beteiligten politischen und juristischen Gremien mit der äußersten Mühewaltung dabei gewesen sind, den nach der Verfassung gebotenen und richtigen Weg zu suchen, um der badischen Bevölkerung noch einmal die Möglichkeit zu geben, ihren Willen kundzutun.
Mit dem von der Bundesregierung vorgelegten Entwurf wird doch im Rahmen von Gesetz und Verfassung nur das vollzogen, was das Bundesverfassungsgericht mit seinem Urteil im Jahre 1956 gewünscht hat; denn in diesem Urteil ist doch nur beklagt worden, daß das Verfahren nach Art. 118 abgeschlossen sei und dem badischen Volk nicht auch noch der Weg nach Art. 29 eröffnet werden könne. Das Bundesverfassungsgericht war der Meinung, man müsse dem badischen Volk, obwohl die Möglichkeit, den Weg nach Art. 118 des Grundgesetzes zu gehen, verbraucht sei, noch einmal eine Abstimmungsmöglichkeit verschaffen, und dieser Wille des Bundesverfassungsgerichts ist nun in Vollzug gesetzt worden durch den Entwurf, den die Bundesregierung vorgelegt hat.
Daß nach der Verfassung eine Alternativfrage ausgeschlossen ist, das bitte ich allen denjenigen, die sich seit Jahren 'mit äußerster Mühe damit abgegeben haben, den richtigen Weg zu finden, abzunehmen. Es gibt im Rahmen der Verfassung nur den Weg, den die Bundesregierung vorgesehen hat, nämlich daß sie die Entscheidung trifft, was nun mit dem Gebietsteil werden soll, ob das Land beisammenbleibt oder ob es aufgelöst wird.
Wenn das so ist, sollte man das auch anerkennen und gerade in dieser Stunde der badischen Bevölkerung 'deutlich sagen, daß alle beteiligten Gremien bei diesem Vorgehen ein Ziel gehabt haben, nämlich ihr das Recht 'zu verschaffen, ihr ein zweitesmal die Möglichkeit zu bieten, ihren Willen kundzugeben.
Wenn die Verfassung unvermeidlicherweise gewisse Schranken aufrichtet und wenn die alternative Fragestellung nicht möglich ist, so muß ich sagen: die Regierung des Landes und wohl auch ein großer Teil der Bundestagsabgeordneten gehen noch einen 'wesentlichen Schritt weiter, indem sie ihre Bereitschaft erklären, diese Schranken durch eine Grundgesetzänderung zu übersteigen. Diese Idee ist, das möchte ich in aller Deutlichkeit sagen, vom Regierungschef des betroffenen Landes Baden-Württemberg, Kurt-Georg Kiesinger, konzipiert und beharrlich vertreten worden.
Was ich heute namens unserer Landesregierung ausgedrückt habe, wird wohl den letzten Zweifel daran beseitigen können, daß diese Landesregierung
bereit sein wird, die Grundgesetzänderung mit allen ihren Kräften zu verwirklichen.

(Abg. Dr. h. c. Güde: Gestatten Sie eine Zwischenfrage?)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0406603800
Herr Abgeordneter Dr. Güde, ich möchte aus Ziffer 10 der „Handhabung der Zwischenfragen in den Plenarsitzungen" folgern, daß die dort festgelegte Regelung gegenüber einem Mitglied der Bundesregierung, aber nicht gegenüber einem Mitglied des Bundesrates möglich ist. Aber wenn der Herr Minister zu Ende ist, können Sie ja ans Rednerpult gehen.

(Zurufe von 'der CDU/CSU: Wenn er es gestattet!)

Dr. Filbinger, Minister des Landes Baden-Württemberg: Ich habe nichts dagegen, Herr Präsident.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0406603900
Dann werde ich, ohne daß es ein Präzedenzfall ist, auf Ihren ausdrücklichen Wunsch die Frage gestatten.

Dr. Max Güde (CDU):
Rede ID: ID0406604000
Es ist gar keine Streitfrage, sondern eher eine neugierige Frage. — Herr Minister, Sie haben zweimal im Perfekt davon gesprochen, die Regierung habe sich bemüht und alle beteiligten Kreise hätten sich bemüht. Ist dem ein Ende gesetzt?
Dr. Filbinger, Minister des Landes BadenWürttemberg: Dem ist keine Ende gesetzt. In meinen Ausführungen — das steht deutlich im Protokoll — habe ich gesagt: Die Regierung wird in der Zukunft von sich aus jede Möglichkeit zu einer Fortsetzung der intensiv geführten Gespräche suchen. Sie wird von sich aus nach wie vor die Bereitschaft aufrechterhalten, um zu einer Grundgesetzänderung zu kommen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, worum es mir geht, ist, auch in diesem Hohen Hause zum Ausdruck zu bringen, daß alle, die verantwortlich sind, und alle, die politisch dabei mitwirken können, gewillt und einig sind, ,dem badischen Volk sein Recht zu verschaffen.

(Beifall rechts und links.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0406604100
Das Wort hat der Herr Bundesminister des Innern.

Hermann Höcherl (CSU):
Rede ID: ID0406604200
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Herr Kollege Wittrock hat den Vorwurf erhoben, es sei keine Gesamtkonzeption vorgelegt worden und deswegen sei der Regierungsentwurf nicht ausreichend. Herr Kollege Wittrock, ich weiß
nicht, ob schon der kommende hessische Regierungspräsident gesprochen hat. Es hatte so in etwa den Anschein

(Heiterkeit)

3048 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 66. und 67. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. März 1963
Bundesminister Höcherl
und es klang so etwas durch. Ich bedaure es außerordentlich, daß Sie aus diesem Hause ausscheiden wollen. Immerhin ich habe den Eindruck gehabt, den ich auch kürzlich bei einem Zusammentreffen mit Ihrem Landesvater hatte, daß ein gewisser, ich möchte mal sagen, großhessischer Imperialismus sich nun in diese Debatte mit eingeschlichen hat. Aber das nur im Scherz nebenbei.

(Abg. Schmitt-Vockenhausen: Aber Herr Minister, Sie sind doch historisch so gebildet, daß Sie wissen, wozu Mainz immer gehört hat! — Heiterkeit.)

Sie verstehen das, was ich gesagt habe.

(Erneute Heiterkeit. — Zuruf des Abg. Wittrock.)

— Herr Kollege Wittrock, der Vorwurf trifft deswegen nicht zu, weil ich in der kurzen Einleitungsrede auf den Absatz 3 der schriftlichen Begründung Bezug genommen habe, in der wir des langen und breiten die Gesamtkonzeption, so wie wir uns das vorstellen und die auch urteilsgerecht erscheint, dargelegt haben. Diese Bezugnahme, Herr Kollege Wittrock, haben Sie offenbar überhört oder übersehen. Das ist unsere Gesamtkonzeption.
Es ist im übrigen sehr interessant, daß sich — die meisten Kollegen haben sich heute auf wirtschaftliche Fragen gefaßt gemacht: Energiedebatte, Heizöl und all diese Dinge; wir haben uns früher in diesen Fragen heftige Kämpfe geliefert — trotzdem das Haus in einer für den Freitag beachtlichen Besetzung vier oder fünf Stunden lang einer solchen Frage widmet. Ich halte das für ein gutes Ereignis und für eine Auszeichnung des Geistes, mit dem so entscheidende Fragen behandelt werden, — auch von Kollegen, die nicht unmittelbar betroffen sind.
Herr Kollege Wittrock, die Gesamtkonzeption ist meines Erachtens folgendermaßen zu skizzieren; ich darf das kurz wiederholen. Ich bin der Meinung, daß der Fall Baden-Württemberg außerhalb einer ganz genau zeitlich und inhaltlich abgestuften Einzelphasendarlegung behandelt werden kann, weil er einen besonderen Charakter trägt. Denn ich meine, daß die Bedingungen der Lebensfähigkeit und der Stammesverwandtschaft und alle diese Voraussetzungen in diesem Fall in einem ganz besonderen Maße erfüllt sind.
Im übrigen darf ich Ihnen zu Ihrer Beruhigung sagen: ich bin der Meinung, daß in all den Fragen, in denen erfolgreiche Volksbegehren stattgefunden haben, einmal auch eine Abstimmung folgen muß. Allerdings ist die Frage des Zeitpunktes sehr bedeutend. Wir sollten, glaube ich, nach der Eingliederung des Saarlandes, die immer noch rechtlich und faktisch, ich möchte einmal sagen, mehr verdaut werden muß, und im Hinblick auf die entscheidende Wiedervereinigungsfrage die Einzelfragen etwas zurückstellen. Hier ist eine Entscheidung leicht, doch dort sollten wir sie in einen großen Gesamtzusammenhang hineinstellen.
Aber es darf nicht übersehen werden, daß die Volksbegehren stattgefunden haben und, soweit sie erfolgreich waren, das Recht involvieren, auch den
Weg des Art. 29, wenn er bis dahin noch in der gleichen Fassung existiert, zu gehen. Das ist unsere Grundsatzauffassung.

(Abg. Wittrock: Was sagen Sie zu dem Fall Mainz—Wiesbaden?)

— Ich möchte ihn in diesen Rahmen eingespannt haben. Aber zeitlich sollten wir alles unter das Thema der Wiedervereinigung und der Entscheidung darüber stellen. Das ist meine grundsätzliche Auffassung.
Im übrigen bin ich auch der Meinung des Herrn Innenministers Filbinger, daß es sich in allererster Linie um eine politische Frage handelt und nicht so sehr um eine Rechtsfrage. Ich bin gegen sehr viele Stimmen hier im Hause für die Zuständigkeit des Innenausschusses. Denn ich meine, daß die Rechte des Rechtsausschusses für den Fall, daß eine Verfassungsänderung ins Auge gefaßt werden kann, nicht verkürzt werden, weil in diesem Fall sofort die Zuständigkeit des Rechtsausschusses einsetzt.
Ich bitte deshalb, die Vorlage zur Federführung an den Innenausschuß und zur Mitberatung an den Rechtsausschuß zu überweisen.

(Beifall bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0406604300
Das Wort hat der Abgeordnete Spitzmüller.

Kurt Spitzmüller (FDP):
Rede ID: ID0406604400
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Je später der Freitagmittag, desto unbeliebter der Redner.

(Heiterkeit.)

Aber bitte haben Sie Verständnis dafür. Allein sein verspätetes Auftreten ist noch kein Beweis, daß es sich um einen bösen Menschen handelt. Bös ist er sicher erst, wenn er versucht, in langatmigen Ausführungen seine Meinung darzulegen.

(Abg. Schmitt-Vockenhausen: Langatmig ist jetzt nur die Vorrede!)

— Das habe ich nicht vor, sofern Sie mich nicht reizen, Herr Kollege Schmitt; das habe ich Ihnen vorhin schon persönlich gesagt.
Worum handelt es sich im Grundsatz? Um die Frage des Rechts und der Rechtsstaatlichkeit, um die Frage einer endgültigen Legitimation des Landes Baden-Württemberg und um die Befriedung der badischen Bevölkerung. Da muß ich nun sagen: wenn wir die Elle des Grundgesetzes an den Regierungsentwurf legen, so wird der Regierungsentwurf dieses Maß bestehen. Wenn wir die Frage aufwerfen: wird eine endgültige Legitimation des Landes Baden-Württemberg durch den Regierungsentwurf erreicht?, so komme ich zu der Überzeugung: ja, wenn eine Mehrheit der badischen Bevölkerung sich mit einem klaren Ja zu diesem Entwurf äußert.
Aber man muß bei Abstimmungen mit Überraschungen rechnen. Die Kollegen von der SPD haben schon darauf hingewiesen, daß es in Freiburg bei der Wahl des Oberbürgermeisters eine Über-
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 66. und 67. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. März 1963 3049
Spitzmüller
raschung gegeben hat. Man kann auch hier vielleicht von falschen Voraussetzungen ausgehen. Als Politiker muß man, auch wenn man vor zwölf Jahren wie ich im altbadischen Stammgebiet energisch für das Land Baden-Württemberg eingetreten ist, eine solche Möglichkeit einfach zur Erörterung stellen.
Da muß ich nun sagen, es wird mir etwas ungemütlich, wenn ich den Entwurf ansehe. Denn gerade als junger Mann, der ich damals war,

(Zuruf von der Mitte: Sie sind auch jetzt noch jung!)

habe ich in diesem altbadischen Stammgebiet manches an nicht immer Fairem hinnehmen müssen, wenn man für das Land Baden-Württemberg und sein Zustandekommen eingetreten ist.
Aber den fairen Maßstab, den ich von meinen politischen Gegnern wünsche, möchte ich auch diesen gegenüber anlegen. Ich frage mich: ist es wirklich fair, wenn durch ein solches Gesetz zwar ein Volksentscheid herbeigeführt wird, aber — so möchte ich ihn einmal bezeichnen — ein Volksentscheid mit Notbremse? Das heißt, dieser Volksentscheid bewirkt etwas, wenn die Bevölkerung des Landes Baden im Sinne des Regierungsentwurfs mit Ja stimmt. Der Zug kann abfahren, die Legitimation des Landes Baden-Württemberg ist vollzogen. Wenn aber die Bevölkerung des Landes Baden die Weichen anders stellt und der Zug in die andere Richtung fahren soll, dann kann man regierungsamtlich die Notbremse ziehen. Dann geschieht zunächst nichts, und das ist schlecht.
Ich möchte es einmal in ein biblisches Beispiel übersetzen: Man mutet dem altbadischen David nicht nur zu, mit dem Goliath zu kämpfen, sondern man mutet ihm auch zu, mit einem Goliath zu kämpfen, der im Panzerwagen sitzt. Wenn er mit seiner Schleuder den Panzerwagenfahrer durch den Schlitz erschlägt, bleibt der Panzer stehen, d. h. das Land Baden-Württemberg bleibt erhalten, und irgendwann einmal wird hier der Gesetzgeber dann eine Entscheidung zu treffen haben, weil der Gesetzentwurf der Regierung abgelehnt worden ist.
Ich bin der Meinung, das Land Baden-Württemberg hat sich bewährt und sollte erhalten bleiben. Aber wer für die Erhaltung des Landes Baden-Württemberg eintritt, der sollte sich hier im Bundestag und in den Ausschüssen darum bemühen, daß diejenigen, die für den Fortbestand des Landes Baden-Württemberg eintreten, mit offenem Visier antreten können. Ich möchte chancengleich, offen und fair für die Erhaltung des Landes Baden-Württemberg kämpfen, aber nicht als Goliath im Panzerwagen sitzen. Deshalb meine dringende Bitte an die Ausschußmitglieder: Versuchen Sie, wirklich eine Chancengleichheit herbeizuführen und für eine faire Abstimmungsfrage oder Grundgesetzänderung einzutreten! Es ist dem Lande Baden-Württemberg und seinen Leistungen nicht gemäß, wenn man im Abstimmungswahlkampf immer wieder hören müßte: Ihr präjudiziert das Abstimmungsergebnis, und wenn das Abstimmungsergebnis nicht in eurem Sinne ausfällt, dann wird auf Jahre, vielleicht auf ein weiteres Jahrzehnt nichts geschehen.
Ich befürchte sogar, daß bei der jetzigen Fragestellung eine Mehrheit im Sinne des Regierungsentwurfs nicht so ganz einfach zustande zu bringen ist. Ich will Ihnen auch sagen, warum. Wenn man im Jahre 1951 die Stimmen in Baden zusammenzählte, kam man auf eine Mehrheit von 52 oder 53 %. Warum? Weil in Nordbaden die Wahlbeteiligung wesentlich geringer war als in Südbaden. Die Südbadener, hauptsächlich in den altbadischen Stammgebieten, waren sehr aktiv. In den nordbadischen Gebieten dagegen benutzte man den schönen Sonntag zum Teil dazu, um auszufahren. Denn man wußte ja von vornherein, daß nichts passieren kann.
Die heutige Fragestellung enthält also die Gefahr, daß wir, die wir für die Erhaltung Baden-Württembergs eintreten, in den Wahlkampfauseinandersetzungen moralisch in die Ecke manövriert werden, aus der heraus wir nicht so leicht operieren können. Zusätzlich wird die Inaktivität derer gefördert, die für die Erhaltung des Landes Baden-Württemberg sind; denn sie sagen sich: Nun, dieser Vorschlag wird irgendwann ja doch angenommen werden.
Wir haben uns schließlich noch über die Frage der Behandlung in den Ausschüssen zu unterhalten. Hier bin ich im Gegensatz zu meiner hochverehrten Frau Kollegin Diemer gerade durch die entscheidenden letzten Worte unseres baden-württembergischen Innenministers zu der Überzeugung gekommen, daß eine honorige Behandlung der Baden-Frage nur im Rechtsausschuß stattfinden kann. Herr Filbinger hat seine Rede mit dem Satz geschlossen, daß es darauf ankomme, dem badischen Volke sein Recht zu verschaffen. Er hat mit diesem Schlußsatz deutlich gemacht, daß es hier um eine Rechtsfrage geht. Es geht auch wirklich um eine Rechtsfrage. Denn hätte das Bundesverfassungsgericht nicht entschieden, hätten wir uns mit diesem Problemkreis heute überhaupt nicht zu befassen. Ich glaube also, allein diese Tatsache begründet die Überweisung an den Rechtsausschuß als federführenden Ausschuß, für die ich mich ganz entschieden einsetzen möchte.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU/CSU.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0406604500
Als letzter Redner hat das Wort der Abgeordnete Schmitt-Vockenhausen.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0406604600
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe nicht die Absicht, wie mein verehrter Herr Vorredner das Wasser in mehreren Töpfen gleichzeitig kochen zu lassen.

(Heiterkeit.)

Ich möchte nur noch zu der Frage der Ausschußverweisung kurz Stellung nehmen.
Der glückliche Fall, daß unser politischer Wille, die Geschäftsordnung und der Wille der Antragsteller so sehr übereinstimmen wie in der Frage der Ausschußverweisung, ist selten. Herr Kollege Güde hat nämlich gesagt: Wir wollen die Rechtsfrage vor-
3050 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 66. und 67. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. März 1963
Schmitt-Vockenhausen
her geklärt haben. Das ist im Rechtsausschuß ausgezeichnet möglich, und dann geht das an den federführenden Innenausschuß. Meine Damen und Herren, nach diesen grundsätzlichen Ausführungen des Kollegen Güde kann es ja gar keine Probleme mehr geben.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das hat er nicht gesagt!)

— Doch, er hat gesagt: Ich möchte vorher die Rechtsfrage im Rechtsausschuß geklärt haben.
Meine Damen und Herren, ich möchte Sie daher bitten, die Möglichkeit zu geben, daß der Rechtsausschuß mitberatend und der Innenausschuß federführend beteiligt werden. Wir werden dann dafür sorgen, daß die Frage, die hier so viel diskutiert worden ist, recht bald zu einem Abschluß kommt, damit bei allen Beteiligten Ruhe und Frieden ist.
In diesem Sinne bitte ich um Überweisung an den Innenausschuß — federführend — und an den Rechtsausschuß zur Mitberatung.

(Beifall.)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0406604700
Wir stehen am Ende der Aussprache. Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Die Aussprache ist geschlossen.
Meine Damen und Herren, das Haus ist jedenfalls darin einig, daß die beiden Gesetzentwürfe sowohl an den Innenausschuß als auch an den Rechtsausschuß überwiesen werden, so daß wir nur noch über die Federführung abzustimmen haben.
Es liegt der Antrag vor, die Federführung dem Rechtsausschuß zu übertragen, und der Antrag, sie
dem Innenausschuß zu übertragen. Wenn ich mich richtig erinnere, ist der Antrag, die Federführung dem Rechtsausschuß zu übertragen, als erster gestellt worden. — Das wird nicht bestritten. Demnach wird über diesen Antrag zuerst abgestimmt. Wird der erste Antrag angenommen, ist der andere erledigt; wird er abgelehnt, stimmen wir über den zweiten Antrag ab.
Wer dafür ist, die Federführung dem Rechtsausschuß zu geben, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Wir müssen die Abstimmung wiederholen. Wer für die Überweisung an den Rechtsausschuß als federführenden Ausschuß ist, den bitte ich, sich zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Es ist nicht eindeutig festzustellen, welches die Mehrheit ist. Wir müssen auszählen. — Wer mit Ja stimmt, stimmt für die Übertragung der Federführung an den Rechtsausschuß, wer mit Nein stimmt, stimmt gegen die Übertragung der Federführung an den Rechtsausschuß.
Ich gebe das Ergebnis der Auszählung bekannt. Mit Ja haben gestimmt 112 Mitglieder, mit Nein 118; enthalten haben sich 5. Mit 235 Stimmen ist das Haus nicht beschlußfähig.
Meine Damen und Herren, ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestags auf heute, 13.05 Uhr, mit der unerledigten Tagesordnung des heutigen Tages, ausgenommen die Gesetzentwürfe über die Neugliederung, die heute nicht mehr behandelt werden.
Die Sitzung ist geschlossen.

(Schluß 'der Sitzung: 13.01 Uhr.)

Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 66. und 67. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. März 1963 3051
67. Sitzung
Bonn, den 15. März 1963
Stenographischer Bericht
Beginn: 13.08 Uhr

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0406604800
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, ich darf Ihnen mitteilen, daß keine neuen Listen ausgelegt werden, so daß Sie sich also in dieser Hinsicht heute nicht mehr zu bemühen brauchen. Das ist nach dem neuen Diätengesetz nicht erforderlich.
Wir haben nunmehr die unerledigten Punkte der letzten Sitzung zu behandeln. Wir kommen zuerst zu den beiden Punkten, die heute auf Grund einer interfraktionellen Vereinbarung auf die Tagesordnung gesetzt worden sind.
Ich rufe auf die
Erste Beratung des von den Fraktionen 'der CDU/CSU, SPD, FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über Personalausweise (Drucksache IV/ 1056).
Das Wort zur Begründung und Aussprache wird nicht gewünscht. Ich schlage Ihnen Überweisung an den Ausschuß für Inneres vor. — Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.
Nächster Punkt:
'Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betr. Vorlage des Entwurfs eines Gesetzes zum Schutze der Rechte aus Arbeitsverhältnissen von Arbeitnehmern mit Wohnsitz im Sowjetsektor von Berlin oder in der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands (Drucksache IV/ 1031).
Begründung und Aussprache erfolgen nicht. Ich schlage vor Überweisung an den Ausschuß für Inneres — federführend — und an den Ausschuß 'für gesamtdeutsche und Berliner Fragen — mitberatend. — Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.
Wir kommen zu Punkt 2 der Tagesordnung:
Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Etzel, Brand, Dr. Schmidt (Wuppertal), Wacher, Dr. Imle und den Fraktionen der CDU/CSU, FDP eingebrachten Entwurfs eines Zwölften Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes (Drucksache IV/ 661 [neu]);
Schriftlicher Bericht des Finanzausschusses (14. Ausschuß) (Drucksachen IV/ 1047, zu IV/ 1047).

(Erste Beratung 51. Sitzung).

Die Berichterstatterin, Frau Abgeordnete Beyer (Frankfurt), hat einen Schriftlichen Bericht vorgelegt, für den ich ihr danke. Eine Ergänzung ist nicht erforderlich.
Ich komme in zweiter Beratung zu Art. 1, zugleich mit den Änderungsanträgen Umdrucke 220 *) Ziffer 1 und 222. Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Dann darf ich abstimmen lassen. Ich lasse zuerst über den Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/ CSU, FDP auf Umdruck 220 Ziffer 1 abstimmen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Bei zahlreichen Enthaltungen angenommen.
Der Antrag Umdruck 222 ist zurückgezogen, wir brauchen ihn nicht mehr zu behandeln. Eine Erklärung der Antragsteller wird zu Protokoll genommen. **)
Wer Art. 1 mit der soeben beschlossenen Änderung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Es ist so beschlossen.
Ich rufe auf Art. 2. — Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Es ist so beschlossen.
Ich komme zu Art. 3 und zum Änderungsantrag Umdruck 220 Ziffer 2, in dem es richtig heißen muß: Der bisherige Wortlaut des Artikels 3 ... Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Wer dem Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU, FDP Umdruck 220 Ziffer 2 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Bei zahlreichen Enthaltungen angenommen.
Wer Art. 3 mit der nunmehr beschlossenen Änderung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die 'Gegenprobe. — Es ist so beschlossen.
Einleitung und Überschrift! — Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich
*) Siehe Anlage 2
**) Siehe Anlagen 3 und 4
3052 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 66. und 67. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. März 1963
Vizepräsident Dr. Jaeger
bitte um die Gegenprobe. — Es ist so beschlossen.
Ich komme damit zur
dritten Beratung.
Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Gegen einige Stimmen bei einigen Enthaltungen mit Mehrheit beschlossen.
Ich komme nunmehr zum Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU, FDP auf Umdruck 221.*) Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Wer dem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Bei zahlreichen Enthaltungen angenommen.
Meine Damen und Herren, ich komme nunmehr zu Punkt 22 der Tagesordnung.
Ich darf zuerst einmal feststellen, daß die Große Anfrage der Fraktion der SPD betr. Energiepolitik in interfraktionellem Einverständnis von der Tagesordnung abgesetzt wird.
Ich rufe Punkt 22 b) auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Mineralölsteuergesetzes (Drucksache IV/ 1021);
Mündlicher Bericht des Finanzausschusses (14. Ausschuß) (Drucksache IV/ 1069).

(Erste Beratung 63. Sitzung)

Das Haus, nehme ich an, verzichtet im Augenblick auf einen mündlichen Bericht. Schriftliche Ausführungen des Berichterstatters, des Abgeordneten Dr. Stecker, werden zu Protokoll genommen **). — Ich komme zur zweiten Beratung und rufe auf Art. 1, —2, — 3, — 4, — Einleitung und Überschrift. Wird das Wart gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Es ist so beschlossen.
Wir kommen zur
dritten Beratung.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Wird das
Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall; ich
*) Siehe Anlage 5 **) Siehe Anlage 6 schließe die allgemeine Aussprache. Wer dem Gesetzentwurf in dritter Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Einige Gegenstimmen. Enthaltungen? — Einige Enthaltungen. Mit Mehrheit beschlossen.
Dazu kommt ein Entschließungsantrag — auf Umdruck 224*) — der Abgeordneten Kurlbaum, Memmel, Regling, Weinzierl, Ruf, Hörauf, Dr. Kempfler und Genossen. Wird das Wort gewünscht? -Das ist nicht der Fall. Wer dem Entschließungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Soweit ich sehe, keine Gegenstimmen. — Enthaltungen? — Auch keine Enthaltungen. Einstimmung angenommen.
Ich rufe Punkt 23 auf:
Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung eines freiwilligen sozialen Jahres (Drucksache IV/ 986).
Es wird auf Begründung und Aussprache verzichtet. Ausführungen der Frau Abgeordneten Dr. Pitz-Savelsberg und der Frau Abgeordneten Funcke sind zu Protokoll genommen. Sollten noch weitere eingereicht werden, werden sie ebenfalls zu Protokoll genommen; es müßte allerdings bald geschehen**).

(Abg. Dr. Schäfer: Wir behalten uns vor, solche noch nachzubringen!)

— Aber im Laufe des heutigen Tages!
Meine Damen und Herren, ich schlage Ihnen Überweisung an den Ausschuß für Familien- und Jugendfragen vor, nachdem, wie ich höre, interfraktionell eine Einigung besteht, daß dies der einzige Ausschuß sein soll. Sie sind damit einverstanden?
— Es ist so beschlossen.
Damit haben wir die heutige Tagesordnung erledigt. Meine Damen und Herren, ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 27. März, 9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.