Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Sitzung ist eröffnet.
Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, müssen wir
einen Geschäftsordnungsantrag behandeln. Die Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen hat nach Ablauf der dafür
in der Geschäftsordnung vorgesehenen Fristen einen An-
trag auf Erweiterung der heutigen Tagesordnung um eine
vereinbarte Debatte oder hilfsweise um eine Aktuelle
Stunde zu den Demonstrationen in Stuttgart gestellt.
Der Erweiterungsantrag kann daher nur unter Abwei-
chung von der Geschäftsordnung gemäß § 126 mit
Zweidrittelmehrheit beschlossen werden.
Wer wünscht das Wort zur Geschäftsordnung? – Bitte
schön, Frau Haßelmann.
Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Seit gestern am späten Nachmittag und am
Abend muss den meisten Menschen klar sein, dass die
Auseinandersetzung um Stuttgart 21 absolut eskaliert.
(Widerspruch bei der CDU/CSU und der FDP)
Es gibt Hunderte Verletzte, darunter Jugendliche und äl-
tere Menschen. Lesen Sie die heutigen Zeitungen! Dort
m
J
r
d
a
u
S
t
P
s
P
t
d
S
m
W
S
D
n
b
W
Redet
finden sich Überschriften wie: „CDU zielt auf die
Mitte.“ – Deshalb überdenken Sie bitte einmal Ihre Em-
pörung.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
bei der SPD und der LINKEN)
Es handelt sich bei den Verletzten um ganz normale
Menschen; das konnten Sie alle gestern in den Medien
sehen. Die Lage vor Ort spitzt sich absolut zu. Es gibt
anscheinend überhaupt keine Ebene mehr, auf der man
miteinander reden könnte, weder in Stuttgart vor Ort
noch auf der Landesebene in Baden-Württemberg.
Es ist noch nicht lange her, da haben wir hier und in
der Öffentlichkeit mit Joachim Gauck einen
ten Diskurs über die Einmischung und Te
Menschen, über das Stärken der Demokrati
Einsatz und das Engagement der Menschen
(C
(D
ung
. Oktober 2010
0 Uhr
einwesen gesprochen. In diesem Zusammenhang hat
oachim Gauck von Sprachstörungen zwischen Regie-
enden und Regierten gesprochen. Sehen Sie sich vor
em Hintergrund dieser Aussagen die Lage in Stuttgart
n. Ich finde, wir hier im Deutschen Bundestag müssen
ns mit dieser Situation beschäftigen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
bei der SPD und der LINKEN)
Es reicht nicht aus, zu sagen, das sei ein Thema in
tuttgart und Baden-Württemberg. Wir hier im Bundes-
ag sind Teil dieser Debatte. Der Bund gibt Geld für das
rojekt Stuttgart 21, ohne das dieses Projekt nicht reali-
iert werden könnte. Die Deutsche Bahn AG, für die das
arlament die Mitverantwortung trägt, hat Verantwor-
ung für die Planung dieses Projekts. Nicht zuletzt hat
ie Kanzlerin bei der Einbringung des Haushalts
tuttgart 21 hier in diesem Parlament zum Thema ge-
acht, als sie sagte, die Landtagswahl in Baden-
ürttemberg sei die Abstimmung über das Projekt
tuttgart 21.
(Thomas Oppermann [SPD]: Hört! Hört!)
as sind mindestens drei Gründe, die uns verpflichten,
icht länger wegzugucken und hier im Parlament die De-
atte über Stuttgart 21 und die Frage zu führen, welche
irkungen dies für unser Gemeinwesen hat.
ext
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
bei der SPD und der LINKEN)
Über den Polizeieinsatz, den unmittelbaren Zwang
wird noch an geeigneter Stelle zu reden sein. Meinen Sie
eigentlich Ihren Hinweis ernst, die Polizei habe so han-
deln müssen und was 14-Jährige überhaupt auf Demon-
strationen machen würden? Gestern hörte ich gar das Ar-
gument, es handele sich nicht um eine genehmigte
Demonstration. Meine Damen und Herren, in diesem
Land muss man Demonstrationen nicht genehmigen las-
sen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
r LINKEN sowie bei Abgeordneten
ob Ihnen das klar ist.
interessan-
ilhabe von
e und den
für ihr Ge-
und bei de
der SPD)
Ich weiß nicht,
6622 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Oktober 2010
Britta Haßelmann
(A) )
)(B)
Das alles zeigt doch: So ist dieses Projekt nicht durch-
zusetzen. Man hat doch das Gefühl, es gehe nach dem
Motto: Augen zu und durch. Das wird so nicht gehen,
wenn man die Bilder der letzten Nacht gesehen hat. Des-
halb müssen wir auch hier eine Debatte darüber führen,
welchen Beitrag der Deutsche Bundestag leisten kann,
um die völlig eskalierte Situation in Stuttgart zu befrie-
den. Es geht jetzt doch darum, die Frage des Miteinan-
derredens, die Frage, wie man zu einer befriedeten Situa-
tion kommen kann, auch in diesem Haus zu erörtern und
hier seine Verantwortung wahrzunehmen. Deshalb ha-
ben wir den Geschäftsordnungsantrag gestellt. Wir
möchten, dass Sie diese Debatte mit uns in Verantwor-
tung für die Zivilgesellschaft führen, in Verantwortung
für das Gemeinwesen. Kommen Sie da nicht mit irgend-
welchen Sprüchen, man müsse nicht auf solche Demon-
strationen gehen!
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
bei der SPD und der LINKEN)
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort zur Geschäftsordnung hat jetzt der Kollege
Peter Altmaier von der CDU/CSU.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Peter Altmaier (CDU/CSU):
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ich möchte zunächst einmal von dieser Stelle
aus im Namen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion – und
ich denke, ich spreche für das ganze Haus – allen, die im
Laufe des gestrigen Tages und der heutigen Nacht ver-
letzt worden sind,
(Zurufe von der LINKEN)
Genesungswünsche aussprechen. Das gilt für die De-
monstranten, es gilt für Unbeteiligte, und es gilt aus-
drücklich auch für die Polizistinnen und Polizisten, die
dort ihren Dienst tun und für Rechtsstaatlichkeit und De-
mokratie kämpfen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Herr Kollege Trittin, der Antrag von Bündnis 90/Die
Grünen ist durchsichtig, er ist taktisch, und er ist vor al-
len Dingen politisch schädlich.
(Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN und bei der LINKEN)
– Hören Sie bitte genau zu. – Wir lehnen ihn insbeson-
dere aus drei Gründen ab:
Erstens. Die Geschäftsordnung dieses Hauses, die wir
gemeinsam beschlossen haben, sieht vor, dass Änderun-
gen der Tagesordnung dem Präsidenten am Vortag bis
18 Uhr vorzulegen sind. Die ersten Meldungen über die
Ereignisse in Stuttgart liefen gestern am frühen Nach-
mittag über den Ticker.
(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: „Die CDU zielt auf die Mitte!“ Wir
sind gerade wieder dabei!)
D
d
n
–
g
S
s
o
u
u
t
s
n
e
i
n
P
D
d
A
p
B
s
D
s
a
im
P
t
s
I
B
t
m
7
m
h
c
m
(C
(D
er Kollege Beck fand dann immerhin Zeit, gegenüber
er Presse zu erklären, der Polizeieinsatz sei unverhält-
ismäßig.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN –
Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Da hat er ja recht!)
Ich komme darauf zurück. – Ihren Antrag haben wir
estern um 20.44 Uhr bekommen, mehr als zweieinhalb
tunden nach Fristablauf. Meine Damen und Herren, wir
ind hilfreich, edel und gut; aber wir sind nicht dafür da,
ffensichtliches Organisationsversagen der Fraktions-
nd Parteiführung der Grünen zu kaschieren
(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:
Oh!)
nd Ihnen dabei zu helfen, Ihre parteitaktisch motivier-
en Ziele durchzusetzen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Zweitens. Wir sind ein föderales Land. Das Grundge-
etz kennt eine klare Ordnung von Zuständigkeiten, was
ichts darüber aussagt, wie wichtig eine Materie ist; aber
s ist geregelt, ob Bund oder Land für etwas zuständig
st. Das, was Sie als Thema in Ihrem Antrag bezeichnen,
ämlich die Auseinandersetzung mit dem Vorgehen der
olizei, ist in allererster Linie eine Landeszuständigkeit.
as schließt nicht aus, dass man darüber auch auf Bun-
esebene diskutiert.
(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Aha!)
ber es ist für uns eine Frage des demokratischen Res-
ekts, dass wir zunächst dem gewählten Landtag von
aden-Württemberg Gelegenheit geben,
(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Wir geben doch Geld dafür aus!)
ich mit dieser Frage zu beschäftigen, und dass wir die
inge nicht gleich zu uns auf die Bundesebene ziehen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Drittens; das ist für meine Kollegen und mich das ent-
cheidende Argument. Ich habe mich schon gewundert,
ls ich heute Morgen im Tagesspiegel gelesen habe – er ist
merhin ein paar Stunden vorher gedruckt worden –, der
arlamentarische Geschäftsführer Volker Beck habe ges-
ern von einem unverhältnismäßigen Polizeieinsatz ge-
prochen.
(Beifall bei der LINKEN und dem BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordne-
ten der SPD)
ch war gestern über weite Strecken mit dem Kollegen
eck zusammen: bei einer Fernsehdiskussion, im Ältes-
enrat und bei anderen Gelegenheiten. Ich wundere
ich, wie der Kollege Beck über eine Entfernung von
00 Kilometer Luftlinie durch Inhalation von Agentur-
eldungen feststellen kann, ob der Polizeieinsatz ver-
ältnismäßig war oder nicht. Das ist eine unverantwortli-
he Zuspitzung der Situation, und da machen wir nicht
it.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Oktober 2010 6623
Peter Altmaier
(A) )
)(B)
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Wir sind nicht bereit, ohne Kenntnis der Fakten, die
uns eine seriöse und angemessene Auseinandersetzung
mit dieser Thematik erlauben,
(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Sie haben sich falsch vorbereitet! Sie
haben geglaubt, dass Volker Beck hier spre-
chen wird!)
eine Debatte zu führen, die vor dem Hintergrund der
Umstände dazu beitragen wird, dass die Situation nicht
deeskaliert, sondern eskaliert.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Wir wollen nicht, dass diese Debatte mit Vorverurteilun-
gen und Verdächtigungen geführt wird, weil Sie die
Dinge durch eine parteipolitisch gefärbte Brille sehen
und ein bestimmtes Ergebnis voraussetzen, ganz egal,
wie die Abläufe vor Ort waren.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Wir werden alles dafür tun, dass das Demonstrations-
recht geschützt wird, auch im Zusammenhang mit
Stuttgart 21. Aber wir werden uns auch dafür einsetzen,
dass die rechtsstaatlichen Verfahren respektiert werden
und dass das staatliche Gewaltmonopol durchgesetzt
wird. Wir werden keine rechtsfreien Räume dulden, we-
der in Stuttgart noch anderswo. Darüber lasst uns ge-
meinsam streiten.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat jetzt der Parlamentarische Geschäfts-
führer der SPD-Fraktion Christian Lange.
(Beifall bei der SPD)
Christian Lange (Backnang) (SPD):
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wir sind erschüttert über die Nachrichten und
Bilder, die uns gestern und heute aus Stuttgart erreicht
haben, erschüttert über die Eskalation der Gewalt. Uns
zeigt dies: Stuttgart 21 kann man nicht mit Gewalt
durchknüppeln.
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Herr Kollege Altmaier, im Hinblick auf das Thema
„staatliches Gewaltmonopol“ habe ich zur Kenntnis ge-
nommen, dass das Landesinnenministerium gestern
Abend, um 22.56 Uhr, eine Meldung über Steinewerfer
zurückziehen musste, weil die Demonstrationen fried-
lich verlaufen sind. Bitte, nehmen Sie auch das zur
Kenntnis. Das ist die Wirklichkeit in Stuttgart.
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Die Frage ist nun: Wie entkommen wir einer Spirale
der Gewalt und einer Spirale der Sprachlosigkeit? Die
SPD Baden-Württemberg hat dazu einen Vorschlag ge-
macht: Eine Volksabstimmung über Stuttgart 21 ist der
e
k
a
E
m
d
m
M
V
R
W
z
S
o
s
g
d
A
s
z
D
W
b
T
w
g
d
D
S
h
(C
(D
inzige verbliebene Weg, aus der Eskalation herauszu-
ommen. Ich fordere deshalb CDU und FDP im Landtag
uf, diesen Weg endlich freizumachen.
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
s gibt natürlich immer eine Alternative im Leben, zu-
al die Bahn eine Baugenehmigung hat und Stuttgart 21
urchprozessiert ist. Die Alternative zur Volksabstim-
ung heißt: Augen zu und durch. Dafür hat sich Herr
appus entschieden, und deshalb trägt er die politische
erantwortung für die Eskalation des Konflikts.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN – Joachim Poß [SPD]: Und Frau
Merkel!)
Mir tun die Polizisten leid, auf deren Rücken diese
ambopolitik ausgetragen wird.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN)
enn man die Bilder – wir alle haben sie im Fernsehen
ur Kenntnis genommen – insbesondere von verletzten
chülern und älteren Damen sieht, dann frage ich mich,
b Landesinnenminister Rech seiner Aufgabe gewach-
en ist. Ich meine, er sollte besser zurücktreten.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]:
Oje!)
Wir alle hier im Bundestag müssen uns fragen: Wie
ehen wir eigentlich mit Menschen um, von denen viele
as erste Mal ihre politische Stimme erheben? Unsere
ufgabe muss es doch sein,
(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Zur Ge-
schäftsordnung!)
ie für die repräsentative parlamentarische Demokratie
u gewinnen, egal wie wir zum Projekt selbst stehen.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der
LINKEN)
eshalb frage ich mich: Wo war der Ministerpräsident?
o war der Oberbürgermeister? Wo war die Gesprächs-
ereitschaft der Demokraten? Deshalb gehört dieses
hema in den Deutschen Bundestag.
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Ich prophezeie: Die Landesregierung wird scheitern,
enn sie das Bauprojekt mit aller Gewalt gegen die Bür-
er durchdrücken will. Der Bundestag ist der Ort, über
ie Rolle der Bahn zu sprechen. Deshalb darf es keine
enk- und Sprechverbote geben; genau diese Denk- und
prechverbote haben uns nämlich dahin geführt, wo wir
eute sind.
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
6624 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Oktober 2010
Christian Lange (Backnang)
(A) )
)(B)
Die SPD-Bundestagsfraktion wird dem Aufsetzungs-
antrag zustimmen.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat jetzt der Parlamentarische Geschäfts-
führer der FDP-Fraktion Jörg van Essen.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU)
Jörg van Essen (FDP):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Nach dieser platten Wahlkampfrede des Kollegen Lange
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
werde ich mir vier kurze Bemerkungen zur Geschäfts-
ordnung erlauben.
Die erste Bemerkung: In meinem früheren Leben als
Staatsanwalt war ich sehr oft mit dem Geschehen rund
um Demonstrationen befasst.
(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Ich war auch mit Demonstrationen be-
fasst!)
Ich habe dabei eines gelernt: Unmittelbar nach den Er-
eignissen, wenn die Aufregung groß ist, gibt es kein kla-
res Lagebild. Aus dieser Erfahrung heraus empfehle ich
deshalb allen, und zwar aus Respekt vor den Demon-
stranten, aber auch aus Respekt vor den Polizisten, dass
wir uns erst ein klares Lagebild verschaffen, bevor wir
im Deutschen Bundestag darüber debattieren.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Meine zweite Bemerkung. Zu meinen dienstlichen
Erfahrungen gehört die Gladbecker Geiselaffäre. Auch
damals waren Polizisten aus ganz vielen Ländern, unter
anderem auch vom Bund eingesetzt. Als Vorwürfe gegen
die Polizei wegen des Einsatzes erhoben worden sind,
gab es natürlich auch eine parlamentarische Aufarbei-
tung. Diese Aufarbeitung fand aber in Nordrhein-West-
falen und in Bremen statt, weil genau da die Einsatzlei-
tung lag.
(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Wir geben aber Geld! – Jürgen Trittin
[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schüler sind
Geiseln, oder wie?)
Wir lassen es als Koalition nicht zu, dass hier der Föde-
ralismus auf den Kopf gestellt wird,
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
dass hier Verantwortung beim Bund abgeladen wird, die
der Bund nicht zu tragen hat. Wir werden das nicht zu-
lassen und stimmen deshalb Ihrem Antrag nicht zu.
(Beifall bei der FDP)
H
g
s
M
B
A
D
e
a
g
V
a
s
s
t
f
D
s
ö
d
d
W
A
i
F
(C
(D
Die dritte Bemerkung: In der nächsten Zeit werden in
amburg 280 Bäume gefällt, nicht weil es die Bundesre-
ierung will,
(Thomas Oppermann [SPD]: Doch! Die Kanz-
lerin will das!)
ondern weil es die grüne Verkehrssenatorin will.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU)
ir ist nicht bekannt, dass sich der Bundestag mit dieser
aumfällaktion beschäftigen wird.
(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
Es steht Ihnen frei, das zu beantragen!)
uch das unterstreicht, wie richtig es ist, dass wir die
ebatte heute hier nicht führen.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Die vierte Bemerkung: Viele wissen, dass ich ein sehr
ngagierter Eisenbahnfreund bin. Deshalb kenne ich
uch die Geschichte der Eisenbahn. Wir feiern in weni-
en Wochen 175 Jahre Eisenbahn in Deutschland.
(Beifall des Abg. Manuel Sarrazin [BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN] – Renate Künast
[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wird ja
eine tolle Feier!)
iele wissen nicht, dass der Weg zur ersten Eisenbahn
ußerordentlich schwierig war; denn die Bürger fühlten
ich in ihrer Biedermeieridylle gestört. Es gab Wissen-
chaftler, die vorhersagten, ab etwa 25 Stundenkilome-
ern würde man wahnsinnig, die Frauen würden un-
ruchtbar.
(Heiterkeit bei der FDP und der CDU/CSU)
amals hat sich Gott sei Dank die Vernunft durchge-
etzt, sodass wir heute dieses sehr ökonomische und
kologische Verkehrsmittel haben. Wir wissen, was wir
er Eisenbahn in der Entwicklung der Industrie zu ver-
anken haben.
(Christian Lange [Backnang] [SPD]: Das ist
aber bizarr!)
ir sorgen für die Zukunft der Bahn.
(Christian Lange [Backnang] [SPD]: Wirklich
bizarr!)
uch deshalb sind wir gegen Ihren Antrag und lehnen
hn ab.
Ganz herzlichen Dank.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Jetzt hat die Parlamentarische Geschäftsführerin der
raktion Die Linke, Dr. Dagmar Enkelmann, das Wort.
(Beifall bei der LINKEN)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Oktober 2010 6625
(A) )
)(B)
Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Frak-
tion Die Linke wird dem Aufsetzungsantrag, also dem
Antrag auf Änderung der Tagesordnung, zustimmen.
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Große Überra-
schung!)
Wer die Bilder aus Stuttgart gesehen hat, den darf das
nicht kaltlassen.
(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Herr Kollege van Essen, wir beide mögen uns sehr;
(Zurufe aus dem ganzen Haus: Oh!)
aber das, was Sie hier vorgetragen haben, war mehr als
peinlich. Es gehörte nicht in diese Debatte.
(Beifall bei der LINKEN und dem BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordne-
ten der SPD – Volker Kauder [CDU/CSU]:
Das entscheiden Sie noch lange nicht, was hier
gesagt wird!)
Wir sind der Auffassung: Wir dürfen nicht einfach zur
Tagesordnung übergehen.
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Wir sind nicht in
der DDR! Jetzt hört es aber auf! Die Zeiten,
wo Sie bestimmten, was im Parlament disku-
tiert wird, sind endgültig vorbei!)
– Ich stehe am Mikro, Herr Kauder; insofern kann ich
lauter reden als Sie. –
(Beifall bei der LINKEN)
Seit Wochen demonstrieren in Stuttgart friedlich viele
Tausende Menschen. Da sind Demonstrationserfahrene,
aber auch viele Demonstrationsneulinge dabei, auch
viele CDU-Wählerinnen und -Wähler. Das dürfen Sie
nicht vergessen.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN, der
SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ-
NEN)
Diese Demonstranten nehmen ihr Recht auf Demonstra-
tion wahr. Das geschieht nicht im rechtsfreien Raum.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord-
neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN)
Das gilt im Übrigen auch für die Schülerinnen und
Schüler, die dort gestern eine genehmigte Veranstaltung
durchgeführt haben.
(Zuruf von der LINKEN: Hört! Hört!)
Ich weiß nicht, meine Damen und Herren, ob Sie das
Entsetzen und die Tränen in den Augen der Schülerin
gesehen haben, die gestern auf allen Sendern zu sehen
war. Was lernen eigentlich Schülerinnen und Schüler an
einem solchen Tag?
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN, der
SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ-
NEN)
L
d
t
W
w
W
l
n
D
I
E
n
S
h
b
s
D
m
W
ü
I
b
b
s
r
t
a
(C
(D
ernen sie Demokratie? Lernen sie freie Meinungsbil-
ung? Was lernen sie über die Institutionen dieses Staa-
es?
(Dr. Hans-Peter Friedrich [Hof] [CDU/CSU]:
Sind wir in der Zone?)
as lernen sie, wenn plötzlich Wasserwerfer auffahren,
enn Pfefferspray eingesetzt wird?
(Dr. Hans-Peter Friedrich [Hof] [CDU/CSU]:
Sie lernen, dass man sich an Recht und Gesetz
zu halten hat, Frau Enkelmann!)
enn Schülerinnen und Schüler so etwas erfahren, sol-
en sie Vertrauen in die Institutionen des Staates gewin-
en? Das können Sie vergessen.
(Beifall bei der LINKEN und dem BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordne-
ten der SPD)
Hier geht es nicht um Wahlkampf. Hier geht es um
emokratie.
(Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Das können
Sie uns nicht beibringen!)
ch sage Ihnen eines: Demokratie heißt auch, dass man
ntscheidungen, die man einmal getroffen hat, gegebe-
enfalls überprüft. Deswegen fordert die Linke an dieser
telle einen Baustopp für Stuttgart 21.
(Beifall bei der LINKEN und dem BÜND-
NIS90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordne-
ten der SPD)
Der Bundestag ist sehr wohl involviert. Deshalb ge-
ört dieses Thema heute auf die Tagesordnung. Er war
eteiligt bei der Entscheidung zu Stuttgart 21, und es
ind Bundespolizisten im Einsatz gewesen.
(Jörg van Essen [FDP]: Aber nicht an der Ein-
satzleitung!)
amit ist das auch Sache dieses Bundestages. Damit
üssen wir uns beschäftigen.
(Beifall bei der LINKEN und dem BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordne-
ten der SPD)
ir müssen heute und hier in einer öffentlichen Debatte
ber dieses Thema reden und Rede und Antwort stehen.
ch denke, das sind wir denen schuldig, die in Stuttgart
rutal bedroht und verletzt worden sind. Die Bilder ha-
en Sie alle gesehen.
Der Linken ist das Thema so wichtig, dass wir bereit
ind, den von uns beantragten Tagesordnungspunkt zu-
ückzuziehen, wenn stattdessen eine Debatte zu den ges-
rigen Vorgängen in Stuttgart durchgeführt wird.
(Beifall bei der LINKEN und dem BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordne-
ten der SPD)
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Wir stimmen jetzt über den Geschäftsordnungsantrag
b. Wer für den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die
6626 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Oktober 2010
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
(A) )
)(B)
Grünen stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Antrag hat
nicht die erforderliche Mehrheit gefunden. Gefordert ge-
wesen wäre eine Zweidrittelmehrheit, die, wie ich
glaube, unzweifelhaft nicht erreicht wurde. Damit ist der
Antrag abgelehnt.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 25 a bis 25 f sowie
die Zusatzpunkte 8 bis 12 auf:
25 a) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und der FDP
Energiekonzept umsetzen – Der Weg in das
Zeitalter der Erneuerbaren Energien
– Drucksache 17/3050 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)
Rechtsausschuss
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
b) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/
CSU und der FDP eingebrachten Entwurfs eines
Elften Gesetzes zur Änderung des Atomgeset-
zes
– Drucksache 17/3051 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO
c) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/
CSU und der FDP eingebrachten Entwurfs eines
Zwölften Gesetzes zur Änderung des Atomge-
setzes
– Drucksache 17/3052 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss
d) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/
CSU und der FDP eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Errichtung eines Sondervermö-
gens „Energie- und Klimafonds“ (EKFG)
– Drucksache 17/3053 –
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss (f)
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Z
Z
Z
(C
(D
e) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/
CSU und der FDP eingebrachten Entwurfs eines
Kernbrennstoffsteuergesetzes (KernbrStG)
– Drucksache 17/3054 –
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss (f)
Finanzausschuss (f)
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Federführung strittig
f) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände-
rung des Energiesteuer- und des Stromsteuer-
gesetzes
– Drucksache 17/3055 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO
P 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Rolf
Hempelmann, Ingrid Arndt-Brauer, Doris
Barnett, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der SPD
Die Steinkohlevereinbarung gilt
– Drucksache 17/3043 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)
Rechtsausschuss
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss
P 9 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla
Lötzer, Dr. Barbara Höll, Matthias W. Birkwald,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
Für einen geordneten und sozialverträglichen
Ausstieg aus dem subventionierten Steinkohle-
bergbau
– Drucksache 17/3044 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
P 10 Beratung des Antrags der Abgeordneten Oliver
Krischer, Bärbel Höhn, Hans-Josef Fell, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Energie 2050 – Sicher erneuerbar
– Drucksache 17/3061 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Oktober 2010 6627
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
(A) )
)(B)
ZP 11 Beratung des Antrags der Abgeordneten Volker
Beck (Köln), Cornelia Behm, Hans-Josef Fell,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN
Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit eines
Gesetzgebungsverfahrens zur Verlängerung
der Laufzeiten von Atomkraftwerken
– Drucksache 17/3083 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)
Rechtsausschuss (f)
Federführung strittig
ZP 12 Unterrichtung durch die Bundesregierung
Energiekonzept für eine umweltschonende,
zuverlässige und bezahlbare Energieversor-
gung
und
10-Punkte-Sofortprogramm – Monitoring und
Zwischenbericht der Bundesregierung
– Drucksache 17/3049 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)
Rechtsausschuss
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. Gibt es
Widerspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das so
beschlossen.
Ich bitte nun diejenigen Kolleginnen und Kollegen,
die an dieser Debatte nicht teilnehmen wollen, den Saal
möglichst zügig zu verlassen, damit wir mit den Bera-
tungen beginnen können.
Ich eröffne jetzt die Aussprache und erteile als erstem
Redner dem Bundesminister Rainer Brüderle das Wort.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU)
Rainer Brüderle, Bundesminister für Wirtschaft und
Technologie:
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Diese Ko-
alition ist keine Regierung des Ausstiegs. Diese Koali-
tion ist eine Regierung des Einstiegs, des Einstiegs in
mehr Wachstum, des Einstiegs in mehr Beschäftigung,
des Einstiegs in gesunde Staatsfinanzen und eben auch
des Einstiegs in das Zeitalter der erneuerbaren Energien.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – La-
chen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN –
Ulrich Kelber [SPD]: Einstieg in den Zusam-
menbruch des Ausbaus der Erneuerbaren!)
Erstmals nach vielen Jahren haben wir jetzt in Deutsch-
land ein langfristig angelegtes Energiekonzept vorgelegt.
Die rot-grüne Ausstiegsregierung hat es jedenfalls nicht
geschafft, ein solches Konzept zu erarbeiten. Wir setzen
um, was wir im Koalitionsvertrag angekündigt haben.
Wir zeigen unsere Entschlossenheit, wir zeigen unseren
Gestaltungswillen, wir richten die Energiepolitik lang-
fristig aus.
d
s
z
a
K
W
s
g
K
d
d
s
n
g
M
p
s
u
s
w
g
p
u
D
n
Z
Z
r
k
5
w
z
m
m
m
d
S
E
h
K
U
(C
(D
Nach intensiven Beratungen haben wir am Dienstag
ieser Woche unser Energiekonzept im Kabinett be-
chlossen. Es ist ein wirklich umfassendes Energiekon-
ept für Strom, für Wärme und für Verkehr. Im Ko-
litionsvertrag haben wir uns ambitionierte
limaschutzziele gesetzt. Das Energiekonzept zeigt
ege auf, wie wir diese Ziele erreichen können. Es be-
chränkt sich also nicht auf wohlfeile Zielbeschreibun-
en und schöne Worte.
(Ulrich Kelber [SPD]: Auf Prüfungsaufträge!)
Die Opposition will so schnell wie möglich aus der
ernkraft aussteigen. Gleichzeitig wollen weite Teile
er Opposition aus der Kohleverstromung aussteigen,
ie derzeit noch für rund 40 Prozent unserer Stromver-
orgung sorgt. Außerdem wollen Sie vor Ort den Bau
euer Netze verhindern. Wenn das Realität würde, gin-
en in Deutschland die Lichter aus.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Zu-
rufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN: Oh!)
an hat fast den Eindruck, Sie wollen eine Art energie-
olitischen Morgenthau-Plan. Wer das ernsthaft will,
teigt aus der internationalen Wettbewerbsfähigkeit aus
nd verspielt leichtfertig zentrale Grundlagen für Wohl-
tand und Arbeitsplätze in unserem Land. Die Rechnung
ürden die Menschen zahlen. Das ist keine seriöse Ener-
iepolitik. Das machen wir nicht.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Mit diesem Energiekonzept beenden wir die energie-
olitische Flickschusterei. Wir wollen, dass Energie in
nserem Land sauber, sicher und bezahlbar ist.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU)
iesem Zweck dient auch die Laufzeitverlängerung –
icht mehr, aber auch nicht weniger. Wir setzen uns
iele. Wir benennen die konkreten Maßnahmen, um die
iele zu erreichen, und wir legen ein solides Finanzie-
ungskonzept vor. Wir schöpfen die Gewinne der Kern-
raftwerkbetreiber in Milliardenhöhe ab, zu rund
0 Prozent. Zum Vergleich: Im grün regierten Freiburg
erden gerade einmal 10 Prozent der städtischen Kon-
essionsgewinne für Klimaschutzprojekte verwendet.
(Beifall bei der FDP)
In unserem Konzept werden Wind- und Solarstrom
it zweistelligen Milliardenbeträgen gefördert. Noch
ehr Mittel kommen hinzu. Hinzu kommen die Einnah-
en aus der Versteigerung von Emissionszertifikaten für
ie Kohle- und Gaskraftwerke ab 2013.
(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Die haben Sie aber unabhängig von der
Laufzeitverlängerung, Herr Minister!)
ie werden fast ausschließlich in erneuerbare Energie,
nergieeffizienz und in die Forschung gesteckt. Das
eißt konkret: Die konventionelle Energieerzeugung aus
ernenergie, Kohle und Gas bezahlt letztendlich den
mbau ins Zeitalter der erneuerbaren Energien.
6628 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Oktober 2010
Bundesminister Rainer Brüderle
(A) )
)(B)
Wir wollen faire Wettbewerbsbedingungen zwischen
großen und kleinen Unternehmen, zwischen konventio-
nellen und neuen Energieformen. Wir flankieren das mit
dem Wettbewerbsrecht: mit der neuen Markttranspa-
renzstelle beim Bundeskartellamt,
(Ulrich Kelber [SPD]: Vorgeschrieben im eu-
ropäischen Binnenmarktpaket!)
mit der neuen Gasnetzzugangsverordnung und mit der
Umsetzung des Dritten Binnenmarktpaketes.
(Ulrich Kelber [SPD]: Genau! Aber das ist
nicht Ihre Idee! Das ist rechtlich vorgeschrie-
ben!)
Mit diesen Maßnahmen verfolgen wir ein Ziel: bezahl-
bare Energiepreise für Bürger und Unternehmen in
Deutschland.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU)
Die Opposition scheint eher auf hohe Energiepreise zu
setzen.
(Ulrich Kelber [SPD]: Sie setzen auf Mono-
polpreise!)
Anders lassen sich manche Zahlen, mit denen Sie derzeit
hausieren gehen, überhaupt nicht erklären.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP)
Wenn der Wind über die Nordsee weht und die Sonne
in der Wüste scheint, dann können erneuerbare Energien
erzeugt werden. Wir müssen den Strom aber auch zu den
Verbrauchern bringen: nach Berlin, Hamburg, München,
Stuttgart oder ins Ruhrgebiet. Deswegen ist für mich das
Thema Energienetze ein wirklich entscheidender Punkt
in unserem Konzept.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Deshalb ist dieses Thema auch einer der ersten Punkte in
unserem Sofortprogramm. Wir müssen die Windparks
vor der Küste möglichst schnell und effizient an das
Festlandnetz anbinden. Wir wollen, dass in die Netze der
Zukunft investiert wird. Wir wollen, dass im Bereich
Speichertechnologien geforscht und entwickelt wird.
Das haben Sie in der Vergangenheit nicht betrieben.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU)
Ich muss ganz klar sagen: Wer für eine dezentrale, re-
generative Energieerzeugung ist, aber nicht Ja sagt zu ei-
nem umfassenden Netzausbau, der will in Wahrheit
keine dezentrale, regenerative Energieerzeugung. An-
ders geht es nämlich gar nicht.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU – Ulrich Kelber [SPD]: Bauen
Sie doch keinen Popanz auf!)
Es ist scheinheilig, einerseits für die dezentrale Energie-
versorgung zu sein und andererseits als Erste vor Ort ge-
gen den Bau von Leitungen zu sein. Damit verhindern
Sie das Umsteuern in der Energiepolitik. Das ist unauf-
richtig.
c
H
t
K
g
F
r
m
K
w
G
l
a
v
r
h
M
k
d
E
n
a
B
S
g
B
w
te
d
I
f
P
S
D
E
b
A
d
A
w
(C
(D
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Wir wollen, dass Strom jederzeit und ohne Unterbre-
hung zur Verfügung steht. Wir wollen zu jeder Zeit unser
andy aufladen, Kaffee kochen oder das Licht anschal-
en. Dieses Energiekonzept steht für Verlässlichkeit, für
limaschutz und für bezahlbare Energiepreise. Wir stei-
en ein. Wir packen es an. Wir machen es.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – La-
chen des Abg. Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN])
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat der Kollege Ulrich Kelber von der SPD-
raktion.
(Beifall bei der SPD)
Ulrich Kelber (SPD):
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-
en! Bundesminister Röttgen hat einen Satz geprägt, der
ich fasziniert hat: „Politik durch die Augen unserer
inder machen.“ Für mich als fünffachen Familienvater
ar das eine interessante Idee. Es besteht allerdings die
efahr, dass sich nachkommende Generationen tatsäch-
ich an Minister Röttgen erinnern:
(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Das glaube ich nicht!)
ls Minister, der zusätzlich 5 000 Tonnen atomaren Müll
erantworten wollte, die für 30 000 nachfolgende Gene-
ationen tödlich bleiben, als Minister, der die Sicher-
eitsanforderungen an die Endlager senken wollte, als
inister, der die Sicherheitsanforderungen an die Atom-
raftwerke senken wollte. Im Interesse der Kinder ist
iese Politik sicherlich nicht.
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wir kritisieren den Stil, mit dem dieses sogenannte
nergiekonzept zustande gekommen ist. Es lohnt sich, ei-
en Blick darauf zu werfen und die Frage zu stellen, wer
n der Erarbeitung nicht beteiligt wurde. Dies waren die
ranche der erneuerbaren Energien, die kommunalen
pitzenverbände, die Stadtwerke, die Wettbewerber der
roßen Energiekonzerne, die Monopolkommission, das
undeskartellamt, die unabhängige Wissenschaft, die Um-
eltschutzverbände, Verbraucherschutzverbände wie Mie-
rbund und Verbraucherzentrale Bundesverband. Diese
urften sich monatelang nicht beteiligen. Sie schreiben
hnen jetzt Briefe und versuchen, Ihnen Argumente zu lie-
ern, die aber an Ihnen abprallen, frei nach Max
allenberg: Argumente nützen gegen Vorurteile wie
chokoladenplätzchen gegen Verstopfung.
In den letzten Tagen ist herausgekommen, dass das
rücken der Sicherheit ein zusätzliches Element des
nergiekonzeptes ist. Die Deutsche Umwelthilfe spricht
ei dem Gesetz von einer „Gesetzesnovelle von der
tomlobby für die Atomlobby“ und spielt darauf an,
ass der Bundesumweltminister einen Vertreter der
tomlobby zum obersten Atomaufseher im Bundesum-
eltministerium gemacht hat.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Oktober 2010 6629
Ulrich Kelber
(A) )
)(B)
Statt sich um die Sicherheit zu kümmern, stellt sich
der Minister hin und sagt über seinen eigenen Entwurf
wissentlich die Unwahrheit. Er behauptet, er sei der erste
Minister, der dynamische Sicherheitsanforderungen an
Atomkraftwerke stelle.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
der FDP)
Ich zitiere aus einem Brief der schwarz-gelben Landes-
regierung Schleswig-Holsteins an den Minister – viel-
leicht sollte er ihn einmal den Fraktionen der CDU/CSU
und FDP vorlegen –:
Bereits auf der Basis des geltenden Rechts sind
Kernkraftwerksbetreiber zu einer dynamischen An-
passung ihrer Anlagen an aktuelle Entwicklungen
und damit zu einer bestmöglichen Schadensvor-
sorge verpflichtet.
Die Behörden könnten Nachrüstungen auch ohne Neure-
gelung durchsetzen, so die Meinung der schwarz-gelben
Landesregierung Schleswig-Holsteins zu den Plänen der
schwarz-gelben Bundesregierung.
Schon in den 70er-Jahren hat das Bundesverfassungs-
gericht die dynamische Anpassung durchgesetzt. Jetzt
möchte der Bundesminister neben den Kategorien der
„bestmöglichen Vorsorge“ und des „hinnehmbaren Rest-
risikos“ eine neue Kategorie ins Atomrecht einführen. Er
verkauft das als eine Verbesserung. Das ist der brutale
Röttgen’sche Trick: In Zukunft können die Aufsichtsbe-
hörden Maßnahmen, die bisher Teil der „bestmöglichen
Vorsorge“ waren und durch die Anlieger gerichtlich
überprüft werden konnten, aus dieser Kategorie heraus-
nehmen und damit den Anliegern das Klagerecht neh-
men, das das Bundesverwaltungsgericht noch 2008 be-
stätigt hat. Mit diesem Urteil wurde gesagt: Jawohl,
Anwohner können zum Beispiel die Sicherheit eines
Atommeilers gegenüber Terrorangriffen einklagen. Die
Folge wäre gewesen: mehr Sicherheit am Atommeiler,
nicht das Schleifen der Rechte der Anlieger, wie es
Schwarz-Gelb jetzt plant.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN)
Nach den Berichten der Medien hat es gestern wohl
ein Treffen zu Sicherheitsanforderungen für Endlager
gegeben. Seit heute lassen Sie in Gorleben wieder die
Bohrer dröhnen. In dem Entwurf, der der Frankfurter
Rundschau vorliegt – dem Parlament nicht –, ist die
Rückholbarkeit des Atommülls gestrichen, wird der Si-
cherheitsnachweis geschleift, werden viele Grenzwerte
abgeschafft und durch Gummiparagrafen ersetzt. Auch
dieses Papier war geheim, bis die Medien darüber be-
richtet haben. Das ist der neue Stil der Regierung: Pa-
piere werden so lange geheim gehalten, bis die Medien
es herausbekommen; dann werden sie in Nacht-und-Ne-
bel-Aktionen auf die Webseiten der Regierung gestellt.
Die Konzerne dürfen – das ist der interessante Punkt –
erhöhte Ausgaben für die Endlager sowie höhere Nach-
rüstkosten von ihren Zahlungen an die Regierung abzie-
hen. Herr Röttgen, ich frage Sie: Sind das die ersten Fol-
gen des Einwirkens des Finanzministers: Sie senken die
S
R
Z
R
h
d
E
g
d
9
S
B
S
g
t
p
G
n
e
g
H
g
s
V
n
B
s
H
t
n
M
I
m
c
u
d
r
d
(C
(D
icherheitsforderungen ab, damit die Zahlungen an die
egierung in voller Höhe erhalten bleiben?
Wir wissen seit vorgestern durch einen Bericht der
eit, dass der Rechtsanwalt, der diese Vereinbarung mit
WE und Eon für die Bundesregierung ausgehandelt
at, normalerweise als Berater der RWE tätig ist. Auch
a hat die Atomlobby mit sich selbst verhandelt.
Wir kritisieren aber auch die inhaltlichen Fehler Ihres
nergiekonzeptes. Sie werden höhere Preise und weni-
er Wettbewerb ernten. Sie zementieren die Monopole
er vier großen Energiekonzerne, die bereits heute 80 bis
0 Prozent der Stromproduktion stellen.
(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Danach
nicht mehr!)
chlimmer noch: Sie übertragen diese Monopole in den
ereich der erneuerbaren Energien. Das Einzige, was
ie uns anbieten – Minister Brüderle hat es hier wieder
etan –: Sie wollen eine Markttransparenzstelle einrich-
en. Entschuldigung, das schreibt das EU-Binnenmarkt-
aket vor! Das ist doch keine Erfindung von Schwarz-
elb. Das soll alles sein, was Ihnen als Wirtschaftsmi-
ister zum Thema Wettbewerb einfällt? Ich halte das für
ine traurige Vorstellung.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Der Chef der Monopolkommission hat zu Ihrem Pro-
ramm am 7. September der Rheinischen Post gesagt:
Langfristig wird der Wettbewerb nicht gestärkt, im
Gegenteil.
err Minister, diese Aussage stammt aus Ihrem Berater-
remium. Der Präsident des Bundeskartellamts Mundt
agte, damit werde der Wettbewerb geschwächt. Sein
orvorgänger Böge hat ein Gutachten erstellt, in dem er
achweist, dass es zu höheren Preisen kommen wird.
ernhard Heitzer, der bis Oktober 2009 Kartellamtsprä-
ident war, schrieb:
Wenn die Laufzeiten verlängert werden, wird die
hohe Verdichtung der Erzeugungskapazitäten ze-
mentiert.
errn Heitzer haben Sie im November zum Staatssekre-
är in Ihrem Ministerium gemacht. Warum hören Sie
icht auf den Sachverstand in Ihrem Ministerium, Herr
inister?
Wir werden durch Ihr Energiekonzept Jobs verlieren.
(Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Ach du lie-
ber Gott!)
n der Branche der erneuerbaren Energien, der dyna-
ischsten Branche, wird es auch Firmenzusammenbrü-
he geben. Ich bitte alle Abgeordneten von CDU/CSU
nd FDP: Lesen Sie, bevor Sie am Ende abstimmen wer-
en, die Gutachten zu dem Energiekonzept dieser Regie-
ung. Dort finden Sie die erwarteten Ausbauzahlen für
ie erneuerbaren Energien:
(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Aber auch die
Gewinnmargen!)
6630 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Oktober 2010
Ulrich Kelber
(A) )
)(B)
ein Rückgang von 85 Prozent beim Biomasseausbau, ein
Rückgang von 94 Prozent beim Photovoltaikausbau, ein
Zusammenbruch von 98 Prozent beim Windenergieaus-
bau an Land, das sind die Ziele dieser Regierung. Das
wird der Niedergang der Arbeitsplatzmöglichkeiten sein.
(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Wo sind Sie denn
überall beteiligt?)
Deutschland verliert seinen Technologievorsprung vor
Konkurrenten. Sie führen die drei schlechtesten Merk-
male Ihrer Politik in einem Konzept zusammen: ökolo-
gisch schädlich, wirtschaftlich unsinnig, sozial unausge-
wogen.
Wir lehnen Ihre Gesetzentwürfe ab.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der
LINKEN)
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Für die CDU/CSU-Fraktion spricht jetzt der Kollege
Dr. Michael Fuchs.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege
Kelber, wann haben Sie eigentlich die ganzen von Ihnen
eben aufgezählten Vereine bzw. Organisationen beim
Ausstieg beschäftigt? Haben Sie sie jemals beschäftigt
oder eher überhaupt nicht? Ich glaube, überhaupt nicht.
Aber so machen Sie das ja immer.
Im Übrigen muss ich eine Zahl von Ihnen korrigieren:
(Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Viele!)
Die Verlängerung der Laufzeit führt zu maximal 4 Pro-
zent mehr Atommüll gegenüber heute.
(Ulrich Kelber [SPD]: Wo haben Sie die Zahl
her? Quelle?)
Die Zahl, die Sie genannt haben, stimmt so also nicht.
Mit dem Energiekonzept der Bundesregierung liegt
erstmals seit 20 Jahren, seit Helmut Kohls Zeiten, ein
technologieoffenes, marktorientiertes und vor allen Din-
gen ideologiefreies Konzept vor.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – La-
chen bei der SPD und der LINKEN)
Damit haben wir eine klare Linie bis zum Jahre 2050
aufgestellt, und wir haben jetzt erstmalig die notwendi-
gen Mittel zum Forschen etc. zur Verfügung. Das ist
Rot-Grün in sieben Jahren überhaupt nicht gelungen. Sie
haben kein Energiekonzept; Sie haben auch nie eines
aufgestellt.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
der FDP)
Wir fördern den weiteren Ausbau der erneuerbaren
Energien. Wir haben uns als Ziel gesetzt, bis zum Jahre
2020 35 Prozent und bis zum Jahre 2050 80 Prozent
S
k
v
W
z
w
M
L
r
v
k
w
k
D
d
k
R
w
1
–
S
d
H
s
D
w
S
(C
(D
trom aus erneuerbaren Energien zu erzeugen. Wir stär-
en die Forschung im Bereich Speichertechnologien und
or allen Dingen im Bereich der Effizienzsteigerung.
ir nehmen Geld in die Hand für den Klimaschutz, und
war in erheblichem Maße. Zur Finanzierung schaffen
ir ein rechtlich abgesichertes Sondervermögen. Die
ittel kommen aus dem Emissionshandel und aus der
aufzeitverlängerung und stehen damit für viele Jahre
egelmäßig und in voller Höhe zur Verfügung. Damit
ermeiden wir in Zukunft den jährlichen Verteilungs-
ampf im Haushalt.
Es macht keinen Sinn, sichere, CO2-freie Kernkraft-
erke abzuschalten und dafür Strom aus Kernkraftwer-
en in Frankreich, Polen und Tschechien zu beziehen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Ja, warum machen Sie das denn? Wir
müssen doch gar nicht importieren!)
enn wie sagte Ihr – für die einen ist es ein früherer, für
ie anderen ein aktueller – Parteifreund Otto Schily vor
urzem:
Ich finde es sinnlos, die jetzt abgeschriebenen
Kernkraftwerke einfach abzuschalten. Das ist so,
als wenn Sie einen Lastwagen voller Bargeld ver-
brennen. Dann nimmt man doch lieber einen Teil
des Geldes … und investiert das in die erneuerbaren
Energien.
echt hat er.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
Ulrich Kelber [SPD]: Was hat denn Herr Töp-
fer gesagt?)
Lieber Herr Kollege Trittin, uns ist Sicherheit etwas
ert. Was Sie betrifft, zitiere ich aus der von Ihnen am
4. Juni 2000 gemachten Ausschlussvereinbarung:
(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
Ausschluss? Was für ein Ausschluss?)
Herr Trittin, Sie haben das unterschrieben.
… die Bundesregierung wird keine Initiative ergrei-
fen, um diesen Sicherheitsstandard und die diesem
zugrundeliegende Sicherheitsphilosophie zu än-
dern. Bei Einhaltung der atomrechtlichen Anforde-
rungen gewährleistet die Bundesregierung den un-
gestörten Betrieb der Anlagen.
(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Aha!)
ie haben damals keinerlei zusätzlichen Sicherheitsstan-
ard vereinbart.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Kollege Röttgen hat etwas ganz anderes gemacht,
err Kelber: Er hat die Sicherheitsvorschriften ver-
chärft. Wir führen eine zusätzliche Sicherheitsstufe ein.
anach muss der Sicherheitsstandard von Kernkraft-
erken permanent entsprechend dem fortschreitenden
tand von Wissenschaft und Technik verbessert werden.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Oktober 2010 6631
Dr. Michael Fuchs
(A) )
)(B)
(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Das muss er jetzt schon!)
Das haben Sie nicht gemacht.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
der FDP – Ulrich Kelber [SPD]: Herr Fuchs,
seit den 70er-Jahren ist das geltendes Recht!
Sie erzählen Unsinn! Lesen Sie doch einmal
das Verfassungsgerichtsurteil!)
– Herr Kelber, regen Sie sich nicht auf! Sie müssen das
erleiden, weil Sie damals nicht bereit waren, zusätzliche
Sicherheitsstandards vorzusehen, so wie wir das in unse-
rem Konzept vorgesehen haben.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Warum haben Sie denn nicht den Mut, das einmal zuzu-
geben?
(Ulrich Kelber [SPD]: Sie erzählen die Un-
wahrheit!)
Was wir hier machen, ist ein geschlossenes Konzept für
mehr Sicherheit und für mehr Investitionen im Bereich
der Photovoltaik,
(Ulrich Kelber [SPD]: Investitionen in die
Photovoltaik? – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN]: Nein, Sie machen weniger!)
im Bereich der Netze, im Bereich der Speichertechnolo-
gien etc.
Bis heute haben wir keine vernünftigen Speicher-
möglichkeiten in Deutschland. Ich will das einmal ganz
kurz auflisten: Wir haben momentan eine Speicherkapa-
zität von rund 6 400 Megawatt. Die Deutsche Energie-
Agentur beziffert das Ausbaupotenzial auf 2 500 Mega-
watt. Nötig wären im Bereich der erneuerbaren Energien
aber 25 000 Megawatt. Bis jetzt gibt es nur eine Planung
eines Neubaus eines Speicherkraftwerks, und zwar im
Südschwarzwald, in Atdorf. Dort sollen 700 Millionen
Euro investiert werden. Aber was passiert in Atdorf?
(Manfred Grund [CDU/CSU]: Protest!)
Es gibt massiven Widerstand. Vor allem sämtliche Grü-
nen sind da und wollen genau das nicht. Das ist doch
eine verlogene Politik. Auf der einen Seite fordern Sie
einen Ausbau der erneuerbaren Energien, aber auf der
anderen Seite sind Sie gegen jede Möglichkeit zur Ab-
sicherung der erneuerbaren Energien.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Wenn man Ihren Antrag liest, so kann ich nur eines
sagen: So etwas Verlogenes habe ich selten erlebt.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
der FDP – Ulrich Kelber [SPD]: Da müssen
Sie nur in den Spiegel schauen! Es gibt noch
eine Steigerung!)
Sie können doch nicht sagen, dass Sie keine Kernkraft-
werke wollen, und gleichzeitig gegen den Bau von Spei-
cherkraftwerken stimmen. Sie verhindern den Netzaus-
bau, wo immer Sie das können. Mittlerweile gibt es
ü
b
o
w
s
a
G
g
m
w
E
v
w
t
b
v
a
C
W
A
d
r
i
m
d
N
L
S
(C
(D
berall in Deutschland Initiativen gegen den Netzaus-
au, die von Ihnen ausgehen.
(Ulrich Kelber [SPD]: Sie haben in der Großen
Koalition das Netzausbaugesetz verhindert!)
Das soll eine konsistente, vernünftige und zukunfts-
rientierte Energiepolitik sein? Es tut mir leid, aber so
erden wir das nicht machen. Wir werden uns dafür ein-
etzen und dafür kämpfen, dass ein vernünftiger Netz-
usbau betrieben wird. Wir werden die Planungs- und
enehmigungsverfahren vereinfachen und beschleuni-
en. Das muss sein. Hierzu legt der Bundesumwelt-
inister in Kürze Vorschläge vor. Genau das brauchen
ir.
(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: „In Kürze“? Das Gesetz liegt seit 2005
vor! Seit 2005 gibt es das Gesetz! Sie haben es
blockiert!)
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Herr Kollege Fuchs, darf ich Sie kurz unterbrechen?
rlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Nestle
on den Grünen?
Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU):
Nein.
(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:
Oh!)
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Nein, keine Zwischenfrage.
Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU):
Das muss heute nicht sein.
Wir wollen die Energieeffizienz steigern. Die Kilo-
attstunde, die nicht verbraucht wird, ist die allergüns-
igste. Unser Ziel ist es, den Wärmebedarf des Gebäude-
estandes zu senken. Wir werden die Sanierungsrate
on 1 auf 2 Prozent anheben,
(Ulrich Kelber [SPD]: Mit weniger Förder-
geld!)
ber nicht mit Zwang; das ist Ihre Politik. Die CDU, die
SU und die FDP sind die Parteien des Eigentums.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
Deswegen enteignen Sie ja auch!)
ir werden das nicht mit Zwang machen, sondern mit
nreizsystemen. Das ist der richtige Weg. Wir müssen
ie Bevölkerung auf dem Weg in Richtung einer stärke-
en Nutzung der erneuerbaren Energien mitnehmen. Das
st unser Ziel. Das werden wir gemeinsam hinbekom-
en, und darauf werden wir stolz sein.
Es wird uns auch gelingen, Lösungen für das Problem
er Speicherkapazität zu finden. Man muss mit den
achbarländern verhandeln, um unter Umständen in den
ändern, in denen aus topografischer Sicht der Bau von
peicherkraftwerken möglich ist, Strom zu speichern.
6632 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Oktober 2010
Dr. Michael Fuchs
(A) )
)(B)
Das kann Norwegen sein. Das wird aber nicht einfach,
weil die Norweger mittlerweile auch ein Moratorium ge-
gen den weiteren Bau von Pumpspeicherkraftwerken ha-
ben.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Herr Kollege Fuchs, jetzt möchte Herr Kelber gerne
eine Zwischenfrage stellen.
Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU):
Von dem höre ich sie mir an.
(Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN –
Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN]: So sind sie, die CDU-Männer!)
Ulrich Kelber (SPD):
Das war ja eine Umarmungsstrategie.
Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU):
Nein, ganz sicher nicht! Da irren Sie sich.
Ulrich Kelber (SPD):
Herr Fuchs, vielen Dank. – Sie haben gerade betont,
dass Ihre Partei die Partei des Eigentums ist. Ist Ihnen
bekannt, dass durch die Novelle, über die wir gerade
sprechen, ein neuer Enteignungsparagraf eingeführt
wird?
Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU):
Mir ist das bekannt. Aber wir werden nicht hingehen
und jemanden zwingen, sein Haus zu sanieren. Das wol-
len wir nicht.
(Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN)
Wir wollen, dass die Leute einen Anreiz erhalten. Wir
wollen, dass die Leute bereit sind, mitzugehen. Wir wol-
len die Bürgerinnen und Bürger mitnehmen auf dem
Weg ins Zeitalter der erneuerbaren Energien, aber wir
wollen sie nicht zwingen. Das werden wir nicht tun.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
der FDP – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN]: Tolles Konzept! Nur Prüfaufträge!
Sehen Sie einmal zu, dass Sie vor 2050 Leute
mitgenommen haben!)
Wir werden die erneuerbaren Energien zügig an den
Markt heranführen. Wir werden Marktprämien ausset-
zen und den Druck erhöhen, um Innovationen und eine
Kostensenkung herbeizuführen. So bleiben unsere Un-
ternehmen international wettbewerbsfähig.
Es muss unser zentrales Ziel sein, dass die Unterneh-
men wettbewerbsfähig bleiben. Wir brauchen Strom-
preise, die nicht dazu führen, dass sich Unternehmen aus
Deutschland verabschieden müssen. Für mich ist das ex-
trem wichtig;
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
d
s
d
t
g
b
s
h
e
h
d
D
d
l
d
D
d
w
s
n
d
n
s
k
a
v
m
c
w
z
d
R
g
D
w
z
e
H
d
d
(C
(D
enn Deutschland ist ein Industrieland, ein Industrie-
tandort, wie es kaum einen besseren gibt. Der Beweis
afür ist die wirtschaftliche Situation unseres Landes.
Hören wir doch einmal bitte hin: Deutschland hat ges-
ern die beste Arbeitslosenzahl seit der Wiedervereini-
ung erlebt. Etwa 3 Millionen Menschen sind noch ar-
eitslos. Das sind immer noch viel zu viele. Aber wir
ind auf einem guten Weg, und wir können davon ausge-
en, dass die Zahl von 3 Millionen bereits im Oktober
rstmalig unterschritten wird. Als Rot-Grün aufgehört
at, da hatten wir 5 Millionen Arbeitslose. Das muss
och hier in diesem Hause einmal gesagt werden.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
as muss Ihnen doch bewusst sein. Wir sorgen dafür,
ass Arbeitsplätze in Deutschland entstehen. Genau da
egen wir unsere Ziele hin.
Dazu gehört aber auch eine Energiepolitik, die nicht
azu führt, dass energieintensive Unternehmen aus
eutschland vertrieben werden. Deswegen werden wir
ie Ausnahmen beim Ökostrom ebenso weiterführen,
ie wir auch für energieintensive Unternehmen Lö-
ungen beim Emissionshandel finden werden. Es kann
icht sein, dass die indirekten Kosten des Emissionshan-
els dazu führen, dass Unternehmen in Deutschland
icht mehr weiterarbeiten können. Das muss unser Ziel
ein; das wird es auch sein. Eine Deindustrialisierung
ommt mit uns nicht infrage.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Wir brauchen die regenerativen Energien. Wir sehen
uch jede Menge Forschungspotenzial in den regenerati-
en Energien. Wir glauben daran. Aber wir müssen das
it Behutsamkeit, Vernunft sowie mit Maß und Ziel ma-
hen. Ohne das wird es nicht gehen. Ohne das werden
ir Unternehmen aus Deutschland vertreiben.
Ich gehe davon aus, dass wir ein vernünftiges Kon-
ept auf den Weg gebracht haben. Ich bin auch allen
ankbar – insbesondere den Kollegen Solms, Kauch und
uck –, dass wir gemeinsam an diesem Konzept so zü-
ig und lautlos gearbeitet haben.
(Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
ass es vernünftig umgesetzt wird, werden wir jetzt be-
eisen. Sie können davon ausgehen, dass dieses Kon-
ept der richtige Weg in eine vernünftige Zukunft erneu-
rbarer Energien in Deutschland sein wird.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Zu einer Kurzintervention erteile dem Kollegen
ermann Scheer das Wort.
(Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Der Solar-
papst!)
Dr. Hermann Scheer (SPD):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei bei-
en Rednern der Koalition ist wiederholt aufgetaucht,
ass es angeblich nur 4 Prozent zusätzlichen Atommüll
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Oktober 2010 6633
Dr. Hermann Scheer
(A) )
)(B)
geben wird, und zwar unabhängig davon, dass er viele
Jahrtausende lagert.
Wenn jetzt – entgegen dem Gesetz von 2001 – die
Laufzeitverlängerung kommt, dann würde das bedeuten,
dass die Atomkraftwerke insgesamt 25 Prozent länger
laufen gelassen worden sind. Die tatsächliche Atom-
müllmenge wird sich genau um diese 25 Prozent erhö-
hen. Man darf diesen Atommüll nicht mit irgendwel-
chem anderen Atommüll vermischen. Es geht um den
besonders radioaktiven, der aus Atomkraftwerken
kommt. Das darf man nicht vernebeln.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der
LINKEN)
Aber mein Hauptpunkt ist ein anderer. Es wird hier
der Köder ausgelegt, dass aus den zusätzlichen Einnah-
men, aus den Gewinnen aus der Atomstromproduktion
irgendwelche Maßnahmen für erneuerbare Energien ge-
macht werden könnten. Das geht bis hin zu der Formu-
lierung, dass man „möglichst schnell“ oder „langfristig“
aus der Atomenergie aussteigen und zum Einsatz erneu-
erbarer Energien kommen will. Das jedoch ist ein Wi-
derspruch in sich.
Wir haben im Jahr 2000 einen Atomausstiegskon-
sens erlebt. Den haben die vier großen Atomkraftwerks-
betreiber unterschrieben. Sie haben sich verpflichtet,
diese Vereinbarung auf Dauer einzuhalten. Das Gesetz
von 2001 stützt sich minutiös darauf. Diese Vereinba-
rung war eine von Leistung und Gegenleistung. Die
Leistung im Rahmen eines öffentlich-rechtlichen Vertra-
ges war, sich auf Dauer dazu zu verpflichten, nach einem
Stufenplan aus der Atomenergie auszusteigen. Die Ge-
genleistung der damaligen Mehrheit war – vertraglich
vereinbart –, Maßnahmen zu unterlassen, durch die die
wirtschaftliche Betätigung der Atomkraftwerksbetreiber
im Zuge der noch vorhandenen vereinbarten Restlaufzeit
beeinträchtigt werden könnte.
(Zuruf von der FDP: Ein Deal!)
Das war die Gegenleistung. Die Gegenleistung be-
stand darin, keine Atombrennstäbesteuer zu machen, wie
Sie sie jetzt für sechs Jahre – warum angesichts von
zwölf Jahren Laufzeitverlängerung eigentlich nur für
sechs Jahre? – einführen wollen. Das bedeutet für die
letzten zehn Jahre einen wirtschaftlichen geldwerten
Vorteil im Umfang von 23 Milliarden Euro für die
Atomkraftwerksbetreiber. Die Gegenleistung bestand
ferner darin, dass die Haftungsvorsorge nicht angetastet
wurde. Sie wurde zwar ein bisschen erhöht, es blieb aber
bei der Regelung, dass nur ein Atomreaktor und nicht 17
versichert werden mussten. Das machte einen geldwer-
ten Vorteil in Höhe von 4 Milliarden Euro im Jahr aus.
Die steuerfreie Rückstellung, die beliebig verwendet
werden kann, wurde wegen des Konsenses ebenfalls
nicht angetastet.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Herr Kollege Scheer, die Zeit ist abgelaufen.
Dr. Hermann Scheer (SPD):
Ich bin am Ende, Herr Präsident.
(Lachen bei der FDP)
l
t
e
U
n
d
b
n
w
d
l
w
s
w
D
s
n
K
v
S
a
2
w
t
E
w
b
d
e
d
a
d
k
d
r
n
s
t
g
d
a
A
d
5
(C
(D
Es handelt sich hierbei um einen hochbrisanten recht-
ichen und ökonomischen Vorgang. Dass den AKW-Be-
reibern die Gegenleistung in Form des Ausstiegs jetzt
rlassen werden soll und damit ein geldwerter Vorteil im
mfang von in zehn Jahren fast 60 Milliarden Euro
achträglich zugestanden wird, können Sie nicht als Kö-
er für die Förderung erneuerbarer Energien verkaufen.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Vielen Dank, Herr Scheer.
Dr. Hermann Scheer (SPD):
Hier geht es um die Sanktionierung eines Vertrags-
ruchs der Atomstromkonzerne. An diesem Punkt kön-
en Sie nicht vorbei.
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Herr Kollege Fuchs zur Erwiderung.
Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU):
Herr Kollege Scheer, Sie haben völlig übersehen, dass
ir dadurch einen erheblichen Geldbetrag bekommen,
en Sie nicht bekommen haben. Ab nächstem Jahr zah-
en die Konzerne 2,6 Milliarden Euro pro Jahr. Danach
ird es sogar noch mehr. Denn ab dem Jahre 2017 – le-
en Sie es bitte nach! – zahlen die Konzerne pro Mega-
attstunde mindestens 9 Euro. Es kann auch mehr sein.
as hängt von der Höhe des Strompreises ab. Wenn die-
er auf über 50 Euro pro Megawattstunde steigt, wird es
och mehr. Während dieser Laufzeit werden wir von den
onzernen also einen Betrag in einer Größenordnung
on weit mehr als 30 Milliarden Euro abschöpfen. Wenn
ie dann noch die Gewerbe- und die Körperschaftsteuer
bziehen, verbleiben den Konzernen immer noch knapp
8 Prozent des Mehrgewinns. Die müssen sie haben,
eil sie sonst nicht mehr investieren können. Wir erwar-
en schließlich von ihnen, dass sie sowohl in erneuerbare
nergien als auch in sichere und vernünftige Kohlekraft-
erke investieren.
Wir wollen eine Politik des Übergangs in erneuer-
are Energien. Wir wollen aber auch eine Politik, die
as finanziert und die sicherstellt, dass mit den Geldern
ffizient umgegangen wird. Sie muss auch sicherstellen,
ass die Strompreise nicht exorbitant steigen. Wenn Sie
ls der größte Solarlobbyist, den diese Republik kennt,
as alles nur mit Solarenergie machen würden, dann
önnten Sie sich von der deutschen Industrie verabschie-
en. Dann könnten auch die Bürgerinnen und Bürger ih-
en Strom nicht mehr bezahlen. Wir werden schon im
ächsten Jahr sehen, was beim EEG aufgrund der ver-
tärkten Solareinspeisungen passiert. Das Magazin Pho-
on – das ist kein Parteiblatt der CDU, sondern Ihr Ma-
azin – hat gerade geschrieben, sie gehe davon aus, dass
er Strompreis pro Kilowattstunde durch das EEG nur
ufgrund der Solarenergie um 2 Cent steigt. Der EEG-
nteil wird sich also von 2 auf 4 Cent erhöhen. Durch
ie Einbeziehung der Windenergie können es auch
Cent werden. Das heißt: Durch Ihre Politik und Ihre
6634 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Oktober 2010
Dr. Michael Fuchs
(A) )
)(B)
Maßnahmen bei der Photovoltaik zahlt eine vierköpfige
Familie aufgrund des EEG an Kosten für erneuerbare
Energien circa 200 Euro pro Jahr mehr. Auch damit wir
uns in der nächsten Zeit intensiv beschäftigen müssen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat jetzt der Kollege Gregor Gysi für die
Fraktion die Linke.
(Beifall bei der LINKEN)
Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was ich
bei den Mitgliedern der Fraktionen von Union und FDP
überhaupt nicht verstehe, ist, warum sie jetzt dazu nei-
gen, die Bevölkerung permanent und in jeder Hinsicht
zu provozieren. Was wollen Sie eigentlich erreichen? Sie
geben bei Stuttgart 21 keinen Millimeter nach und set-
zen die Polizei in einer Art und Weise ein, die indiskuta-
bel ist. Bei den Demonstrationen waren ganz viele CDU-
Wählerinnen und CDU-Wähler dabei. Glauben Sie im
Ernst, dass diese Ihre Partei weiterhin wählen werden,
wenn sie zusammengeschlagen werden? Was wollen Sie
eigentlich? Sie provozieren bei der Kernenergie eine ge-
sellschaftspolitische Auseinandersetzung, die im Kern
nichts bringt und Ihnen nichts nutzt. Ich weiß gar nicht,
wie Sie die Gesellschaft verändern wollen und wozu Sie
das Ganze so betreiben.
(Zuruf von der CDU/CSU: Zur Sache!)
– Zur Sache, ja. – Passen Sie auf: Herr Fuchs hat gerade
gesagt, dass Sie die Partei des Eigentums sind. Das
stimmt in folgender Hinsicht: Sie wollen, dass der Mil-
liardär Milliardär bleibt und der Bettler seine Krücke be-
hält. Man muss ein bisschen umverteilen, wenn man Ge-
rechtigkeit in der Gesellschaft organisieren will.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord-
neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN – Lachen bei Abgeordneten der
FDP – Volker Kauder [CDU/CSU]: Wir wol-
len auch, dass der Ernst seinen Porsche behal-
ten kann!)
Auch etwas ganz anderes ist sehr interessant: Warum
führt eigentlich in dieses Thema der Bundeswirtschafts-
minister ein und nicht der Bundesumweltminister?
(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Er redet erst sehr viel später. Schon daran sieht man,
dass Sie den Kern der Frage überhaupt nicht verstanden
haben.
Was Sie in Sachen Atomenergie machen, ist ganz ein-
fach: Es gibt in Deutschland vier große Konzerne. Diese
Konzerne bestimmen leider nicht nur die Preise, son-
dern sie bestimmen auch, was die Bundesregierung und
die Mehrheit des Bundestages machen. Das beschädigt
die Demokratie. Das nehmen Sie einfach in Kauf.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord-
neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE
–
S
c
d
H
t
E
w
z
n
s
e
z
n
5
d
w
b
E
b
s
m
l
S
g
z
g
A
K
D
K
c
–
–
a
m
m
(C
(D
GRÜNEN – Zuruf von der CDU/CSU: So ein
Quatsch!)
Das können Sie doch nicht leugnen! Wenn Sie eine
teuer zum Nachteil der Bäckermeister einführen, spre-
hen Sie nicht mit der Bäckermeisterinnung. Wenn Sie
as Elterngeld der Hartz-IV-Empfängerinnen und
artz-IV-Empfänger streichen, reden Sie nicht mit Ver-
retungen der Hartz-IV-Empfängerinnen und Hartz-IV-
mpfänger. Aber wenn Sie etwas im Bereich der Atom-
irtschaft machen, dann müssen die vier großen Kon-
erne zustimmen. Die werden gefragt, und was die Ihnen
icht zubilligen, das machen Sie auch nicht. Damit be-
chädigen Sie die Demokratie.
(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
In den letzten Jahrzehnten haben wir für die Kern-
nergie Subventionen in Höhe von 160 Milliarden Euro
ur Verfügung gestellt. Aber den Hartz-IV-Empfängerin-
en und Hartz-IV-Empfängern sagen Sie: Ihr bekommt
Euro mehr pro Monat. Mehr ist nicht drin. – Das sind
ie Widersprüche Ihrer Politik.
Die Bürgerinnen und Bürger verstehen auch nicht,
arum Sie für Stuttgart 21 viele Milliarden Euro auf-
ringen, für die Lösung sozialer Probleme aber keinen
uro zur Verfügung stellen. Das ist eine Frage, die Sie
eantworten müssen.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Sie haben die Macht der vier Konzerne in jeder Hin-
icht zementiert, und das Kartellrecht kennen Sie nicht
ehr. Ich frage die FDP: Wo sind denn all Ihre Vorstel-
ungen von Marktwirtschaft geblieben? Was glauben
ie, was die vier großen Konzerne machen werden? Ent-
egen Ihrer Annahme sind sie in der Lage, miteinander
u telefonieren. Sie werden sich absprechen und festle-
en: Ab nächster Woche kostet das Ganze soundsoviel. –
us, Feierabend! Nichts mit Marktwirtschaft, nichts mit
artellverhinderung!
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord-
neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN)
eshalb warnen sogar die Monopolkommission und das
artellamt vor dem, was Sie jetzt betreiben.
Die Demokratie muss im Übrigen auch dadurch gesi-
hert werden, dass die Politik zuständig bleibt.
(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Ach!
Ehrlich?)
Ja, das muss ich Ihnen sagen.
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Mir?)
Ich will Ihnen ein Beispiel nennen, Herr Kauder, damit
uch Sie es verstehen. Passen Sie auf! Nehmen wir ein-
al an, wir beide treten in einer Stadt als Oberbürger-
eisterkandidaten gegeneinander an.
(Volker Kauder [CDU/CSU]: So ist es aber
nicht, mein Lieber!)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Oktober 2010 6635
Dr. Gregor Gysi
(A) )
)(B)
Ich sage jetzt nicht, wer gewinnen würde.
(Heiterkeit bei Abgeordneten der LINKEN
und der SPD)
Aber ich sage Ihnen, was das Problem ist. Sie haben da-
für gesorgt, dass weder Sie noch ich, egal wer von uns
Oberbürgermeister würde, hinsichtlich der Energiepreise
irgendetwas zu entscheiden hätte. Das empfinden die
Leute als Verletzung der Demokratie. Denn der Sinn der
Wahl zwischen uns ist doch, dass derjenige, der gewählt
wird, auch in der Lage ist, die Verhältnisse zu ändern.
Wenn Sie alles privatisieren, wenn Sie alle Kompetenzen
an Konzerne übertragen, dann hat die Politik aber nichts
mehr zu entscheiden. Genau das verletzt die Demokratie.
Das müssen Sie endlich begreifen.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord-
neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Das
stimmt doch gar nicht!)
Was die Energiepolitik betrifft, sind wir für eine de-
zentrale, für eine kommunale Versorgung, damit die Zu-
ständigkeit der Politik und damit auch der Einfluss der
Bürgerinnen und Bürger wiederhergestellt werden.
Sie haben ausschließlich Lobbyinteressen verwirk-
licht; dazu habe ich mich schon geäußert. Ich muss aller-
dings noch einmal sagen: Wir werden 5 000 Tonnen zu-
sätzlichen Atommüll bekommen, es gibt kein Endlager,
und was Gorleben betrifft, werkeln Sie nur herum. Es
gibt aber überhaupt keine Lösung.
Es ist übrigens auch immer wieder schön, zu hören,
dass bestimmte Bundesländer Gorleben als Endlager-
standort vorschlagen; in Bayern zum Beispiel soll es ja
kein Endlager geben. Dieses Vorgehen kenne ich schon.
Ich bin es leid, und ich muss Ihnen sagen: Auch die Be-
völkerung ist es leid.
Sie stellen lauter falsche Behauptungen auf. Die erste
Behauptung: Die Kernenergie ist als Brückentechnolo-
gie unverzichtbar. – Sie behaupten, wenn wir jetzt Kern-
kraftwerke abschalteten, würde der Strom teurer werden.
Im ersten Halbjahr 2010 haben wir eine Strommenge
von 11 Milliarden Kilowattstunden exportiert. Wenn wir
die sieben ältesten und marodesten Atomkraftwerke
schlössen, brauchten wir nicht eine einzige Kilowatt-
stunde zu importieren. Was Sie hier sagen, ist falsch.
(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Die zweite Behauptung, die Sie aufstellen – diese Be-
hauptung finde ich noch abenteuerlicher –, ist: Die
Hälfte der Extraprofite werden abgeschöpft. – Mit die-
sem Thema habe ich mich eingehend befasst. Sie spre-
chen übrigens mittlerweile von einem Betrag in Höhe
von 2,6 Milliarden Euro, was großer Quatsch ist. Es geht
um 2,3 Milliarden Euro.
(Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Plus
300 000! Sie können ja nicht rechnen! Das
konnten die Linken noch nie!)
– Warten Sie doch einmal ab. Zu den anderen Beträgen
komme ich noch, Herr Fuchs. –
E
s
E
S
T
K
g
g
a
d
s
B
c
w
s
h
J
J
E
H
b
F
e
d
h
n
S
K
g
w
te
E
t
E
W
d
E
l
(C
(D
(Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Na also! Dann
reden Sie hier doch kein falsches Zeug!)
in Vertreter des Deutschen Instituts für Wirtschaftsfor-
chung, des DIW, sagte auf Phoenix: 2,3 Milliarden
uro sind doch eine beachtliche Summe. – Warum fügen
ie nicht hinzu, dass dieser Betrag zu einem so großen
eil steuerlich absetzbar ist – das gilt im Hinblick auf die
örperschaft- und die Gewerbesteuer –, dass der Rein-
ewinn nur 1,5 Milliarden Euro ausmacht? Warum sa-
en Sie hier nicht die Wahrheit? Das ist nämlich ein be-
chtlicher Unterschied.
(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Ernst Hinsken
[CDU/CSU]: Ach! Das stimmt doch so gar
nicht! – Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]:
Quatsch!)
Man muss noch hinzufügen, dass die Gewerbesteuer
ie Kommunen bekommen und dass die Brennelemente-
teuer der Bund bekommt. Das heißt, wenn man diese
eträge bei der Gewerbesteuer absetzen kann, schwä-
hen Sie die Kommunen weiterhin, die schon heute nicht
issen, wie sie eine Toilette in der Schule reparieren las-
en sollen. Das ist das Problem, mit dem wir es zu tun
aben.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord-
neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN)
Eben ist schon darauf hingewiesen worden: Sechs
ahre lang gilt das Ganze. Wieso eigentlich nur sechs
ahre lang? Also: Es kommt ein Betrag von 9 Milliarden
uro heraus und nicht der Betrag, von dem Sie träumen.
inzu kommen die 15 Milliarden Euro für die erneuer-
aren Energien.
Herr Fuchs, warum fügen Sie nicht hinzu, dass Sie
olgendes vereinbart haben: Wenn die Laufzeiten von
iner neuen Mehrheit im Bundestag wieder gekürzt wer-
en, brauchen die Atomkonzerne nicht zu bezahlen. Das
aben Sie mit ihnen vereinbart.
(Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Logisch!)
Das Zweite, was Sie vereinbart haben, ist: Wenn es
eue Steuern gibt, können die Atomkonzerne die neuen
teuern von den 15 Milliarden Euro abziehen.
Als Drittes haben Sie vereinbart, dass man, wenn die
osten – zum Beispiel für Endlager, aber vor allen Din-
en auch für neue Sicherheitsstandards in den Atomkraft-
erken – den Betrag von 500 Millionen Euro überschrei-
n, den überschreitenden Betrag von den 15 Milliarden
uro abziehen kann. Nun sagt der Bundesumweltminis-
er Ihrer Partei, dass das Ganze pro AKW 1,2 Milliarden
uro kosten wird, nicht 500 Millionen Euro.
(Ulrich Kelber [SPD]: Er hat schon
aufgegeben!)
enn man die 700 Millionen Euro Mehrbetrag nimmt,
en man abziehen wird, bleiben von den 15 Milliarden
uro ernsthaft nur 3 Milliarden Euro übrig. 9 und 3 Mil-
iarden Euro macht zusammen 12 Milliarden Euro. Der
6636 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Oktober 2010
Dr. Gregor Gysi
(A) )
)(B)
Gewinn liegt aber bei mindestens 67 Milliarden Euro.
Wie Sie da auf die Hälfte kommen, ist ein reiner Witz.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord-
neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN – Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]:
Auf diese Art hat er schon die SED kaputtge-
rechnet!)
Aber 67 Milliarden Euro Extragewinn gibt es nur
dann, wenn die Preise gleich bleiben. Ich sage Ihnen: Es
gibt keine Bürgerin und keinen Bürger, die bzw. der auch
nur eine Sekunde lang glaubt, dass die Preise über so
viele Jahre hinweg gleich bleiben; vielmehr werden sie
steigen. Selbst wenn man nur eine angemessene Preisstei-
gerung zugrunde legt, wird der Extraprofit bei 127 Mil-
liarden Euro liegen.
(Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Dann
müssen sie ja mehr zahlen!)
Sie schwächen die Stadtwerke. Die Stadtwerke ha-
ben investiert, weil sie von einem anderen Vertrag aus-
gegangen sind. Allein durch falsche Investitionen verlie-
ren sie 4 Milliarden Euro.
Herr Brüderle, Sie haben heute etwas nicht wieder-
holt. Wollen Sie sich korrigieren? Sie haben gesagt, die
Strompreise würden um 8 Milliarden Euro herunterge-
hen. Aber der Chef von RWE, der Chef eines großen
Konzerns, hat gesagt: Das ist völliger Blödsinn. – Der
Preis wird nämlich um keinen Cent gesenkt werden. Da-
von sollten die Bürgerinnen und Bürger gar nicht erst an-
fangen zu träumen.
Ich sage noch einmal: Erstens. Dieser Atomvertrag
ist ein Verfassungsbruch. Er ist ein Geheimvertrag. Sie
haben den Bundestag ausgeschlossen. Inzwischen ist al-
les bekannt, aber nicht durch Sie, sondern weil Leute das
den Medien gesteckt haben.
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Quatsch!)
Das Zweite ist: Sie wollen jetzt alles in einem Tempo
durch die Ausschüsse peitschen, das wirklich selten ist.
Dabei haben Sie Folgendes gemacht – ich habe zweimal
nachgefragt, ob das stimmt –: Sie haben Sachverständige
bestellt, die sowohl die Steuer als auch die Sicherheits-
maßnahmen in AKWs erklären sollen. Auf der Welt gibt
es keinen Sachverständigen, der von Steuern genauso
viel versteht wie von Sicherheitsanlagen in AKWs.
Auch das geht also daneben.
Sie haben den Vertrauensschutz bei den Investitionen
der Kommunen verletzt. Sie wollen den Bundesrat aus-
schließen. Das alles ist nicht machbar und grundgesetz-
widrig. Aber grundgesetzwidrig werden Sie das Ganze
nicht durchbekommen.
Nun haben Sie noch einmal getagt. Ich dachte: Mal
sehen, was jetzt herauskommt. – In Ihrem Entwurf stand,
dass die Gebäudeeigentümer – Stichwort „Schutz des Ei-
gentums“ – verpflichtet sind, Gebäudesanierungsmaß-
nahmen vorzunehmen. Jetzt haben Sie eine freiwillige
Maßnahme daraus gemacht. Und warum? Weil die
Hausbesitzer- und Immobilienverbände das von Ihnen
verlangt haben.
W
d
D
s
M
u
g
g
A
v
m
I
e
t
d
B
B
z
p
h
H
K
E
n
m
h
E
k
d
g
J
(C
(D
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Quatsch, Herr
Gysi!)
enn Sie schon diese einladen, Herr Kauder, warum la-
en Sie dann nicht auch einmal den Mieterbund ein?
(Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Das tun wir
doch!)
ann stellt sich doch die Kanzlerin anschließend hin und
agt: Die Mehrkosten, die dadurch entstehen, werden die
ieterinnen und Mieter tragen müssen. – Das finde ich
nverfroren, muss ich Ihnen sagen.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord-
neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN – Widerspruch bei der CDU/CSU
und der FDP)
Hinsichtlich der Ökosteuern, die jetzt auch ener-
ieintensive Unternehmen bezahlen sollten, haben Sie
esagt: Das wird natürlich einmal gestrichen. – In der
utoindustrie sollte der CO2-Ausstoß bis zum Jahr 2040
on 160 Gramm pro Kilometer auf 35 Gramm pro Kilo-
eter gesenkt werden. Das wurde gestrichen.
Sie wollten die Lkw-Maut ausweiten. Plötzlich ist
hnen eingefallen, Sie wollen sie doch nicht ausweiten;
s bleibt bei dem, was ist. Dabei ist die Lkw-Maut wich-
ig, damit wir die Transporte von der Straße endlich auf
ie Schiene verlegen. Wir brauchen keine unterirdischen
ahnhöfe, sondern wir brauchen eine Förderung der
ahn in anderer Hinsicht.
(Beifall bei der LINKEN – Patrick Döring
[FDP]: Keine Ahnung, und davon eine
Menge!)
Dann fordern Sie auch noch Kohlekraftwerke, und
war nicht nur die, die wir schon haben, und die, die ge-
lant und im Bau sind, sondern Sie wollen noch weitere
aben. Das alles hat mit Zukunft nichts zu tun.
Bei all dem, was Sie hier an Leistung betont haben,
err Fuchs, haben Sie einen Zusatz vergessen. Ob das
reditprogramm Offshorewindenergie mit 500 Millionen
uro, die Nationale Klimaschutzinitiative mit 200 Millio-
en Euro oder die Forschung für erneuerbare Energien
it 300 Millionen Euro: All dies steht unter dem Vorbe-
alt der Zustimmung des Bundesfinanzministers.
(Michael Kauch [FDP]: Nein, des
Bundestages!)
r kann jeden Tag Nein sagen.
Sie machen ein Programm der Vergangenheit und
ein Programm der Zukunft. Sie eskalieren, anstatt zu
eeskalieren. Gehen Sie endlich einen anderen Weg –
erade bei der Kernenergie!
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord-
neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN)
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Für Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt der Kollege
ürgen Trittin das Wort.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Oktober 2010 6637
(A) )
)(B)
Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben
heute den 1. Oktober 2010. Ich muss die Jahreszahl be-
tonen. Nur weil wir einen Wirtschaftsminister Brüderle
haben und weil in Stuttgart im Auftrag von Herrn
Mappus und Frau Merkel Baumschützer mit Wasserwer-
fern misshandelt werden, sind wir noch immer nicht
wieder in den 80er-Jahren angekommen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sowie bei Abgeordneten der SPD)
An die 80er-Jahre werde ich auch durch den heutigen
Tag erinnert. Ab heute darf in Gorleben wieder gebaut
werden. Damit setzen Sie, meine Damen und Herren von
der Koalition, eine unselige Tradition fort. Gorleben ist
damit nach Morsleben und nach der Asse das dritte
Atommülllager, das ohne ein atomrechtliches Genehmi-
gungsverfahren errichtet wird.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sowie bei Abgeordneten der SPD –
Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Warum haben
Sie denn nichts getan? Sie haben sieben Jahre
lang Verantwortung gehabt und nichts getan!)
In Morsleben hat Frau Merkel westdeutschen Müll
einlagern lassen, in der Asse haben Sie eine sichere La-
gerung verhindert, und nun wollen Sie diese unschöne
Tradition in Gorleben fortsetzen.
(Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Wer war
denn sieben Jahre lang Minister und hat nichts
getan? – Michael Kauch [FDP]: Wer war denn
Minister? Unglaublich!)
Was ist es anderes als ein Schwarzbau, wenn ohne eine
atomrechtliche Genehmigung gebaut wird und wenn die
Koalition des Eigentums dafür Kirchen und Bürger ge-
mäß dem Atomrecht enteignen will, damit anschließend
nach veraltetem Bergrecht weiter gebaut werden kann?
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
bei der SPD und der LINKEN)
Da wir feststellen müssen, dass es nicht einmal dem
Rahmenbetriebsplan entspricht, dass Sie dort bauen, wo
Sie bauen – das hat der Untersuchungsausschuss heraus-
bekommen –, ist das ein Schwarzbau. Sie bauen
schwarz; Sie erkunden nämlich nicht. All das, was wir
erkunden müssten, zum Beispiel die Beherrschbarkeit
von Gasbildung in dichten Salzgesteinen und die unter-
schiedlichen Vor- und Nachteile von Opalinuston, Granit
und Salz, können Sie in Gorleben nicht erkunden. Das
könnten Sie nur erkunden, wenn Sie endlich ein Stand-
ortauswahlverfahren durchführen würden, wie Ihnen die
Schweiz das vormacht.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
bei der SPD und der LINKEN – Dr. Michael
Fuchs [CDU/CSU]: Warum haben Sie es denn
nicht gemacht?)
Aber, meine Damen und Herren, was tun Sie? Seit
2005 liegt der Entwurf des Standortauswahlgesetzes im
Bundesumweltministerium vor. Sie blockieren es. Wis-
sen Sie, warum? Sie blockieren es, weil Frau
H
f
h
s
r
L
g
S
H
f
H
S
a
v
z
G
A
u
S
d
n
d
S
s
n
r
w
Z
G
A
c
E
w
d
d
(C
(D
omburger, Herr Kauder und die Kollegen der Koalition
ürchten, sie könnten diesen Ärger in ihren Wahlkreisen
aben. Deswegen sagen Sie: Bloß nicht hierher, der Müll
oll zu den Fischköppen, ein Auswahlverfahren blockie-
en wir um jeden Preis. – Sie verhindern die vernünftige
ösung des Atommüllproblems seit Jahren, und nun fan-
en Sie wieder an, in Gorleben schwarz zu bauen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
bei der SPD und der LINKEN – Michael
Kauch [FDP]: Welche Fische soll es denn im
Wendland geben?)
Die Prüfung der Geeignetheit dieses Endlagers haben
ie in verantwortliche Hände gelegt, nämlich in die
ände des Managers von Vattenfall, der wegen der Stör-
älle in Brunsbüttel und Krümmel gefeuert worden ist,
errn Thomauske.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN-
KEN)
ie haben ja eine große Neigung zu solchen Zusammen-
rbeiten. Bei Ihnen ist jetzt der ehemalige Angestellte
on Eon, Herr Hennenhöfer, für die Reaktorsicherheit
uständig.
(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN]: „Sicherheit“!)
Das Ergebnis können wir im heute vorliegenden
esetzentwurf nachlesen. Bisher gilt – das war der
tomausstieg –, dass die bestmögliche Gefahrenabwehr
nd Risikovorsorge zu gelten haben. Herr Minister, eine
teigerung von „bestmöglich“ gibt es nicht. Sie wollen,
ass künftig nur noch angemessene und geeignete Maß-
ahmen ergriffen werden,
(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Hört! Hört!)
as heißt, Sie senken den Standard. Ich sage Ihnen aber:
ie dürfen diesen Standard nicht senken; denn das ver-
tößt gegen die Verfassung, wie Sie im Kalkar-Urteil
achlesen können.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der
LINKEN)
Es ist absolut unerträglich, dass Sicherheitsanforde-
ungen von Aufsichtsbehörden künftig daran geknüpft
erden sollen, dass diese Nachrüstungsmaßnahmen zum
wecke der bestmöglichen Vorsorge – oder auch nur der
eeignetheit – nicht mehr als 500 Millionen Euro pro
KW kosten dürfen. Wer das macht, der verdealt Si-
herheit gegen Geld.
(Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Wer sagt so
etwas? – Michael Kauch [FDP]: Sie haben es
verdealt!)
s ist auch kein Zufall, dass dieser Deal von einem An-
alt formuliert worden ist, der häufiger für RWE als für
ie Bundesregierung arbeitet, der auf die Frage, wie er
enn dazu komme, sagt: So ist das Business. Bei dem
6638 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Oktober 2010
Jürgen Trittin
(A) )
)(B)
steht man mal auf der einen Seite, mal auf der anderen
Seite. – Das ist Ihr Verständnis von Sicherheit.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der
LINKEN)
Wir haben den drittältesten Atomkraftwerkspark der
Welt. Mit Biblis A betreiben wir das älteste Kraftwerk.
Die Sicherheit dieser alten Möhren wollen Sie Atomlob-
byisten überantworten. Das ist völlig unverantwortlich
und nicht akzeptabel.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der
LINKEN – Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Ginge
es ein bisschen lauter? Ich höre so schlecht!)
Sie erzählen uns, Sie tun das, weil Sie eine Brücke zu
den erneuerbaren Energien bauen wollen.
(Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Das haben
Sie nie geschafft!)
Befragt dazu, wo denn diese Brücke ist, haben Sie, Herr
Röttgen, in einem Zeitungsinterview gesagt: Wenn die
Erneuerbaren 40 Prozent unseres Stroms liefern. – Lesen
Sie Ihre eigene Meldung an die EU! Darin steht, dass Sie
im Jahre 2020 38,6 Prozent unseres Stroms erneuerbar
erzeugen wollen. Ich glaube, nach Ihrer Auffassung
müssen wir spätestens 2022 – das ist jetzige Rechtslage
des Ausstiegs – die 40 Prozent erreicht haben.
(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Ach!)
Was machen Sie? Sie verlängern die Laufzeit von Atom-
kraftwerken über 2040 hinaus. Sie haben die Brücke mal
eben um 20 Jahre verlängert und nicht verkürzt, wie es
richtig gewesen wäre.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
bei der SPD und der LINKEN)
Hören Sie auf, von Geld zu reden! Am Ende des Ta-
ges werden Sie für Energieeffizienz bzw. Energieeinspa-
rung maximal 14 bis 15 Milliarden Euro haben, wenn
Sie bei der Sicherheit ein Auge zudrücken. Wissen Sie,
wie hoch das Investment der erneuerbaren Energien im
Jahre 2009 – also in einem Jahr, nicht in 30 Jahren – ge-
wesen ist? 17,8 Milliarden Euro. Das heißt, Sie investie-
ren in einem Jahr mehr, als Sie glauben in 30 Jahren ein-
sammeln zu können.
(Patrick Döring [FDP]: So ein Quatsch! Der
glaubt das wirklich!)
Aber wird es denn dabei bleiben? Ich empfehle einen
Besuch bei der HUSUM WindEnergy. Werfen Sie dort
einen Blick in die Auftragsbücher. Für das Jahr 2012
verzeichnet die HUSUM WindEnergy, die größte Messe
der Windindustrie, ein Auftragsminus von 70 Prozent.
70 Prozent Einbruch! Wir werden weniger Investitionen
in erneuerbare Energien haben statt mehr. Das ist Ihre
Politik. Wir werden dabei Arbeitsplätze in großem Stil
verlieren.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der
s
z
Z
w
i
z
w
S
l
u
k
s
a
u
A
n
h
A
E
e
u
B
r
s
s
E
g
E
2
d
b
W
E
h
u
b
s
w
p
u
t
D
n
W
l
l
r
(C
(D
LINKEN – Patrick Döring [FDP]: Ursache
und Wirkung!)
Sie sagen: Sie tun das alles für den Klimaschutz. Ich
age: Sie reißen das Klimaschutzziel! Wer 2050 80 Pro-
ent des Stroms erneuerbar erzeugt, der wird das 2-Grad-
iel nicht einhalten können. Das kann man nämlich nur,
enn man vorher alle Zementwerke und alle Stahlwerke
n diesem Land schließt und den Kühen verbietet, Fladen
u produzieren. Das sind nämlich die Emissionen, die
ir jenseits der Energie noch haben werden. Ich frage
ie ernsthaft: Wollen Sie für den Weiterbetrieb von Koh-
ekraftwerken die Stahlindustrie, die Zementindustrie
nd die Landwirtschaft aus Deutschland vertreiben? Ich
ann nicht glauben, dass Sie hier ernsthaft so etwas be-
chließen wollen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der
LINKEN)
Das Energiekonzept der Bundesregierung ist nichts
nderes als das Geschäftsmodell von RWE, Eon, EnBW
nd Vattenfall. In Deutschland wird mit alten Kohle- und
tomkraftwerken Geld verdient, im Ausland wird in er-
euerbare Energien investiert. Wenn die alten Möhren
ier auslaufen, dann können wir den Strom aus dem
usland importieren. Sie haben das in Ihrem eigenen
nergieszenario in aller Ehrlichkeit aufgeschrieben. Bei
inem Rückgang des Anteils der erneuerbaren Energien
m 20 Prozent, bezogen auf die Meldungen, die Sie nach
rüssel geliefert haben, und bei einer Laufzeitverlänge-
ung um zwölf Jahre ergibt sich im Jahre 2050 ein Netto-
tromimport von 25 Prozent. Ein Viertel unseres Stroms
oll dann aus dem Ausland kommen. Von wegen mehr
nergiesicherheit! Ich nenne das, was Sie planen, weni-
er Energiesicherheit.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
bei der SPD und der LINKEN)
Schlimmer noch: Der Einstieg in die erneuerbaren
nergien und der Ausstieg aus der Atomenergie, die wir
000 in einer Koalition der ökologischen Erneuerung auf
en Weg gebracht haben, hat in diesem Land einen Boom
ewirkt. Neue Firmen, neue Anbieter, zum Beispiel in der
indenergiebranche, oder auch regionale Anbieter wie
NTEGA und andere sind auf den Markt getreten. Das
atte einen Effekt: Jedes Jahr verloren Eon, RWE, EnBW
nd Vattenfall 1 Prozent Marktanteil. Das heißt, wir ha-
en für mehr Wettbewerb gesorgt.
Jetzt kommt die sogenannte bürgerliche Koalition und
agt: Das geht uns zu weit. So viel Wettbewerb wollen
ir nicht. Wir wollen die Wiederherstellung des Mono-
ols der großen Vier im Kampf gegen die Stadtwerke
nd die Erneuerbaren. – Dafür rauben Sie anderen Un-
ernehmen die Investitionssicherheit. Ich sage Ihnen:
as wird keinen Bestand haben, nicht hier im Hause,
icht vor Gericht und nicht bei den nächsten Wahlen.
ir sagen in aller Deutlichkeit: Wir wollen in Deutsch-
and verlässliche Rahmenbedingungen in der Energiepo-
itik. Die wird es nur geben, wenn wir zum Konsens zu-
ückkehren und aufhören, diese Gesellschaft im Auftrag
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Oktober 2010 6639
Jürgen Trittin
(A) )
)(B)
von Jürgen Großmann von RWE zu spalten, wie Sie,
liebe Frau Merkel, es tun.
(Anhaltender Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN – Beifall bei der SPD und der LIN-
KEN)
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Für die FDP-Fraktion hat jetzt der Kollege Michael
Kauch das Wort.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Michael Kauch (FDP):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir sind
es inzwischen gewohnt, dass die Opposition bei diesem
Thema nur noch hysterisch reagiert, verblendet ist und
eine eingeschränkte Wahrnehmung hat. Aber das, was
wir hier gerade erlebt haben, Herr Trittin, war die größte
Heuchlerrede in der ganzen Debatte.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – La-
chen des Abg. Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN])
Sie, Herr Trittin, haben bei der Asse sieben Jahre
weggeschaut. Sie haben sieben Jahre nichts getan, um
die Suche nach einem Endlager voranzubringen, sei es
in Gorleben oder an einem anderen Standort. Sie fordern
eine Standortsuche immer nur dann, wenn Sie in der Op-
position sind. Das ist Ausdruck Ihrer Klientelpolitik.
Was hätte Ihre Klientel denn gesagt, wenn Sie verant-
wortungsvoll die Endlagerfrage vorangetrieben hätten?
Dann hätten diese Menschen Sie nicht mehr gewählt.
Deshalb haben die Grünen nichts, aber auch gar nichts
gemacht, um die Suche nach einem Endlager voranzu-
bringen. Es ist ein Vergehen an den kommenden Genera-
tionen, was Sie gemacht haben.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Sie, meine Damen und Herren von der SPD und den
Grünen, haben doch die größten Deals gemacht, die
diese Republik je gesehen hat. Dafür, dass die Energie-
versorger die Klappe halten, haben Sie ihnen zugesagt,
keine zusätzlichen Sicherheitsauflagen zu beschließen,
keine Steuern zu erheben
(Ulrich Kelber [SPD]: Lüge!)
und keine Gewinnabschöpfung vorzunehmen. Das hat
Herr Scheer selber zugegeben.
(Beifall des Abg. Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU] –
Volker Kauder [CDU/CSU]: Genau!)
Deshalb kann ich nur sagen: Wir sind die, die für
mehr Sicherheit sorgen, die eine Steuer einführen und
die Gewinne abschöpfen, wozu Sie sich nie getraut ha-
ben.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Wir schließen keine Deals über Sicherheit ab, wir garan-
tieren die Sicherheit durch Gesetze. Sie haben Sicherheit
durch Ihren Vertrag ausgeschlossen. Das ist der Unter-
schied. Es ist die Unwahrheit, was hier verbreitet wird.
Wir senken keine Sicherheitsstandards.
A
W
d
s
s
ti
h
D
E
F
1
s
l
r
S
d
n
w
b
D
9
Z
u
r
Z
S
b
b
(C
(D
(Ulrich Kelber [SPD]: Doch!)
lle Standards, die es heute gibt, werden erhalten.
(Ulrich Kelber [SPD]: Falsch!)
Wir setzen eine zusätzliche Risikovorsorge durch.
enn Herr Kelber sagt: „Das war heute auch schon so“,
ann schauen Sie bitte in § 18 des Atomgesetzes. Dort
teht nämlich, dass die Nachrüstungen, die über das De-
ign der Genehmigung hinausgehen, entschädigungspflich-
g sind, und zwar durch das Bundesland der Atombe-
örde, die die Aufsicht führt. Deshalb hat es das in
eutschland nie gegeben.
(Ulrich Kelber [SPD]: Sie haben gerade die Politik
der schwarz-gelben Koalition zitiert!)
Wenn Sie sich echauffieren, dass ab 500 Millionen
uro die Gewinnabschöpfung gesenkt wird, gilt doch
olgendes: Wenn wir „nur“ diese 500 Millionen von den
7 Kraftwerken nehmen, dann ersparen wir dem deut-
chen Steuerzahler allein durch diese Änderung 8,5 Mil-
iarden Euro, die als Entschädigung fällig gewesen wä-
en, wenn Sie das gemacht hätten, was wir jetzt wollen.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU –
Ulrich Kelber [SPD]: Herr Kauch, jetzt ist
Schluss!)
Deshalb sage ich, meine Damen und Herren, das, was
ie verbreiten, ist völlig abwegig. Das ist der Versuch,
ie deutsche Bevölkerung hinters Licht zu führen.
(Abg. Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischen-
frage)
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Herr Kollege Kauch.
Michael Kauch (FDP):
Nein, keine Zwischenfrage.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Keine Zwischenfrage. Gut, danke.
Michael Kauch (FDP):
Diese Koalition geht den Weg in das Zeitalter der er-
euerbaren Energien. Das gefällt Ihnen natürlich nicht,
eil wir mehr machen, als Sie jemals verabschiedet ha-
en, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU –
Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
Minus 70 Prozent!)
iese Koalition erhöht die Klimaschutzziele: 80 bis
5 Prozent bis 2050. Anders als Sie fixieren wir auch
wischenschritte, sodass man nachprüfen kann, ob wir
ns auf dem richtigen Weg befinden. Wir haben es be-
echnen lassen und wissen, dass es geht. Wir erhöhen die
iele für erneuerbare Energien auf 80 Prozent beim
trom und auf über 50 Prozent beim Primärenergiever-
rauch. Das haben Sie immer nur gefordert, aber Sie ha-
en es nie umgesetzt, meine Damen und Herren.
6640 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Oktober 2010
Michael Kauch
(A) )
)(B)
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Diese Koalition redet nicht nur von Investitionen in
erneuerbare Energien.
(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Nein, verhindert sie aktiv!)
Zusätzlich zu dem, was das Erneuerbare-Energien-Ge-
setz schon hergibt, zusätzlich zu dem, was die bisherigen
Förderprogramme beispielsweise für Ökoheizungen her-
geben, legen wir einen Energie- und Klimafonds auf.
Dieser Energie- und Klimafonds wird aus den Gewinnen
der Kernkraftwerke gespeist: etwa 15 Milliarden Euro.
Ab 2013 kommen dann aber 100 Prozent der Erlöse aus
den Emissionsrechten für CO2-Zertifikate dazu.
(Ulrich Kelber [SPD]: 100 Prozent?)
Das ist der größte Erfolg, den die Umweltpolitiker je-
mals gegenüber dem Bundesfinanzminister erreicht ha-
ben. Denn das sichert die Finanzierung der Programme
für Energieeffizienz, für Gebäudesanierung und erneuer-
bare Energien,
(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
Sie haben sie doch gerade gekürzt!)
ohne dass wir jedes Jahr zum Finanzminister betteln ge-
hen müssen.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU –
Ulrich Kelber [SPD]: 100 Prozent? Sind Sie
ganz sicher, dass das da drinsteht?)
– Da steht 100 Prozent der Mehrerlöse, nämlich genau
der Mehrerlöse, die noch nicht im Haushalt verplant
sind. 900 Millionen Euro sind unter Herrn Steinbrück
bereits verplant worden, unter anderem für das Marktan-
reizprogramm für erneuerbare Energien. Deshalb, Herr
Kelber, sollten Sie ganz ruhig sein, wenn Sie das hier
jetzt infrage stellen.
(Ulrich Kelber [SPD]: Die Sie dann gekürzt
haben! Sie haben die Ausgaben aus den
900 Millionen gekürzt!)
Meine Damen und Herren, das Wichtigste, was wir in
diesem Energiekonzept als Bundestagsfraktionen der Union
und der FDP klargestellt haben, ist: Der unbegrenzte Ein-
speisevorrang für erneuerbare Energien bleibt erhal-
ten. Damit ist das Märchen vom Tisch, dass das Ganze ein
Wettbewerb gegen die erneuerbare Energien wäre. Durch
den unbegrenzten Einspeisevorrang können die erneuer-
baren Energien nach ihren Möglichkeiten eingespeist
werden. Dadurch entsteht aber kein Wettbewerb zwi-
schen Erneuerbaren und Kernkraft, sondern ein Wettbe-
werb zwischen Kernkraft und Kohle.
(Beifall bei der FDP)
Wenn Sie das schlecht finden, dann sind Sie die Befür-
worter von mehr Kohle, von mehr Gas und von weniger
Klimaschutz, meine Damen und Herren von den Grünen.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Abschließend, meine Damen und Herren noch zu ei-
nem weiteren Märchen, nämlich dass der Wettbewerb so
negativ für die Stadtwerke wäre. Wenn Sie die neuesten
S
d
F
w
W
v
p
„
k
C
w
i
s
K
r
d
r
v
l
d
e
R
P
e
S
g
i
i
a
N
m
n
u
–
D
g
T
S
h
v
i
v
d
n
d
g
J
d
G
(C
(D
tellungnahmen der kommunalen Unternehmen lesen,
ann hört sich das schon ganz anders an. Denn unsere
raktionen haben das Energiekonzept an dieser Stelle in
esentlichen Punkten nachgebessert.
(Rolf Hempelmann [SPD]: Wo denn?)
ir haben nicht nur ein Offshore-Förderungsprogramm,
on dem gerade Zusammenschlüsse von Stadtwerken
rofitieren, sondern wir haben auch das Förderprogramm
Investitionszulagen für neue Kraftwerke“ auf neue,
leine Anbieter beschränkt. Es sind eben nicht RWE und
o, die davon profitieren, sondern nur noch die Stadt-
erke und kleine neue Anbieter. Unser Energiekonzept
st ein Programm zur Förderung des Mittelstands. Das
ollten Sie hier zur Kenntnis nehmen.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort dem
ollegen Hans-Josef Fell von Bündnis 90/Die Grünen.
Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Kollege Kauch, Sie haben genauso wie Ihre Vor-
edner von Union und FDP immer wieder behauptet,
ass Sie mit diesem Konzept den Ausbau der erneuerba-
en Energien vorantreiben. Wenn ich in das Gutachten
on EWI, Prognos und GWS schaue, das die Grund-
age dieses Konzepts der Bundesregierung gebildet hat,
ann kann ich diese Aussage nicht bestätigt finden. Was
ine Branche mit heute 300 000 Arbeitsplätzen in dieser
epublik braucht, sind gesicherte Absatzmärkte für ihre
rodukte, auch in Deutschland. Dieses Gutachten sieht
in bestimmtes jährliches Ausbauvolumen vor. Die drei
äulen, die im Bereich Elektrizität, erneuerbare Ener-
ien heute existent sind – die Windkraft an Land hatte
m letzten Jahr einen Zubau von 1,8 Gigawatt –, sollen
n den nächsten Jahren um sage und schreibe 65 Prozent
uf 0,65 Gigawatt jährlichen Zubaus reduziert werden.
ach 2020 soll dort weiter drastisch reduziert werden.
Die Photovoltaik hat heute ein großes Ausbauvolu-
en von etwa 5 bis 6 Gigawatt; sämtliche Zahlen ken-
en wir noch nicht exakt. Dieses Ausbauvolumen soll
m 75 Prozent zurückgeschraubt werden.
(Ulrich Kelber [SPD]: Im ersten Schritt!)
Im ersten Schritt, und danach noch viel deutlicher. –
as Ausbauvolumen der Bioenergiebranche soll jährlich
ar um 85 Prozent gesenkt werden. Auch angesichts der
atsache, dass der Ausbau der Wasserkraft und die
tromerzeugung aus Geothermie in Ihrem Konzept über-
aupt keine Rolle spielen, frage ich Sie: Wie wollen Sie
erantworten, dass diese Unternehmen 50 bis 70 Prozent
hres Marktvolumens verlieren werden? Wie wollen Sie
erantworten, dass die zahlreichen Arbeitsplätze dort
ann nicht mehr existent sind, dass einige dieser Unter-
ehmen, die den Rückgang ihres Marktvolumens auf
em Exportmarkt nicht auffangen können, in Konkurs
ehen werden müssen, dass Handwerker in den nächsten
ahren nicht mehr genügend Arbeitsaufträge haben? All
as kann man im Gutachten von EWI, Prognos und
WS nachlesen.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Oktober 2010 6641
Hans-Josef Fell
(A) )
)(B)
Ich habe Umweltminister Röttgen bereits mehrfach
aufgefordert, zu sagen, wie seine Zahlen aussehen, wenn
er abstreitet, dass die Zahlen in diesem Gutachten
Grundlage des Energiekonzepts der Bundesregierung
sind. Wenn ich mir die im Aktionsplan der Bundesregie-
rung prognostizierten Zahlen anschaue, die sie nach
Brüssel gemeldet hat, dann erkenne ich, dass dort ähnli-
che Reduktionen vorhanden sind und dass eben nicht der
Ausbau erneuerbarer Energien geplant ist. Einzig und al-
lein Offshore-Windenergie, die heute noch kein großes
Marktvolumen hat, soll gewährleisten, dass der Anteil
der erneuerbaren Energien an der Stromerzeugung 2020
bei 35 Prozent liegt. Wenn ich mir auch hier die Zahlen
für den jährlichen Ausbau anschaue, sehe ich: Die
Summe dessen, was Sie für Offshore-Windenergie plus
Onshore-Windenergie auszugeben planen, ist niedriger
als das, was heute für Onshore-Windenergieanlagen be-
reitgestellt wird. Ich stelle fest: –
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Herr Kollege Fell!
Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
– Sie werden diese Branche in den Abgrund treiben,
Arbeitsplätze vernichten –
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Herr Kollege Fell, Ihre Zeit ist schon lange zu Ende.
Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
– und keinen Ausbau erneuerbarer Energien herbei-
führen, wie ihn die Branche bräuchte.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sowie bei Abgeordneten der SPD)
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Herr Kollege Kauch, bitte, zur Erwiderung.
Michael Kauch (FDP):
Lieber Herr Kollege Fell, das war wieder ein klassi-
sches Beispiel von Wahrnehmungsschwäche, wie wir sie
in dieser Debatte immer wieder erleben.
Sie haben immer noch nicht verstanden, was wir hier
beschließen. Die Fraktionen von FDP und Union haben
keinen Antrag eingebracht, dass der Deutsche Bundestag
ein Gutachten beschließt. Auch ist es nicht so, dass die
Bundesregierung ein Gutachten beschlossen hat. Wir ha-
ben ein politisches Konzept beschlossen, dem eine Ex-
pertise zugrunde lag. Über deren Prämissen kann man
streiten. Man kann sagen: Diese Expertise enthält einige
Annahmen, die vielleicht zu optimistisch sind, beispiels-
weise was die Möglichkeit angeht, schon 2020 einen of-
fenen europäischen Binnenmarkt zu haben. Aber die
Zahlen, die Sie hier nennen, liegen nicht dem politischen
Konzept der Bundesregierung und auch nicht dieser Ko-
alition zugrunde. Es gilt das, was die Bundesregierung
beschlossen hat, nämlich der Aktionsplan für erneuer-
bare Energien. Das ist die Grundlage, die Beschluss-
lage dieser Bundesregierung, und dabei wird es auch
bleiben, Herr Fell.
m
m
2
D
B
c
m
l
D
f
W
s
t
S
l
d
t
w
d
i
s
E
M
n
s
i
H
I
m
W
I
B
m
S
s
i
m
N
f
S
g
V
W
d
g
z
(C
(D
Im Übrigen geht man in dem Gutachten von der Prä-
isse aus, dass es einen offenen europäischen Binnen-
arkt gibt. Man kann darüber streiten, ob das schon
020 der Fall sein wird, wie es die Gutachter schreiben.
ie politische Zielsetzung aber ist sinnvoll, dass wir im
lick auf die von den Verbraucherinnen und Verbrau-
hern zu tragenden Stromkosten erneuerbare Energien
öglichst dort in der Europäischen Union produzieren
assen, wo es am kostengünstigsten ist.
(Ulrich Kelber [SPD]: Für die Konzerne am
kostengünstigsten ist!)
as hat nichts mit der Wertschöpfung zu tun; denn es ist
ür die deutschen Hersteller genauso gut, wenn ihre
indkraftanlagen an der Biskaya aufgestellt werden an-
tatt im Harz. Verursachen Sie hier doch bitte keine Hys-
erie! Es geht darum, dass wir eine Versorgung mit
trom aus regenerativen Energiequellen aufbauen wol-
en.
Sie verwundern mich schon sehr, Herr Fell. Ich
achte immer, dass wir beide Protagonisten des Projek-
es Desertec sind, mit dem Strom in der Wüste erzeugt
erden soll. Mit Ihrer nationalistischen Argumentation
istanzieren Sie sich von der Politik, die Sie ansonsten
m Deutschen Bundestag vertreten. Wir als Koalition
tehen dazu, nicht nur in Deutschland, sondern in ganz
uropa alle erneuerbaren Energien entsprechend ihrer
öglichkeiten auszubauen. Deshalb werden wir das Er-
euerbare-Energien-Gesetz fortschreiben, mit Einspei-
evorrang und Vergütungssätzen, die jeder Technologie
n Deutschland eine Chance geben.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Für die SPD-Fraktion spricht jetzt der Kollege Rolf
empelmann.
(Beifall bei der SPD)
Rolf Hempelmann (SPD):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
ch möchte mich zuerst an Sie, Herr Bundeswirtschafts-
inister, wenden. Herr Brüderle, ich habe Sie in dieser
oche zweimal gefragt, wie Sie Ihre Atompolitik mit
hren Pflichten als oberster Wettbewerbshüter dieser
undesregierung vereinbaren wollen. Sie haben zwei-
al die gleiche Antwort gegeben. Das spricht zwar für
ie, aber die Antwort war zweimal falsch. Sie haben ge-
agt: Das ist doch ganz einfach; wenn länger Atomstrom
n das Netz eingespeist wird, erhöhen wir die Strom-
enge. Das Angebot wird dann größer sein als die
achfrage, und dann sinkt der Preis. – Das klingt ein-
ach, ist aber falsch. Klar ist: Wir erhöhen damit die
trommenge, die von den großen Vier längerfristig ein-
espeist werden kann. Wir stärken also das Oligopol der
ier. Interessanterweise sagt der eigentliche oberste
ettbewerbshüter in diesem Land, nämlich der Präsi-
ent des Bundeskartellamts, dass die Stärkung des Oli-
opols eben nicht zu niedrigeren, sondern mittelfristig
u höheren Preisen führt.
6642 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Oktober 2010
Rolf Hempelmann
(A) )
)(B)
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN – Ulrich Kelber [SPD]: Der hat
ja auch Ahnung im Vergleich zum Minister!)
Jetzt kommen wir zum Clou: Wird das Angebot grö-
ßer oder kleiner? Schauen wir uns die sonstigen Auswir-
kungen der Laufzeitverlängerung an. Da melden sich
nämlich die Wettbewerber zu Wort, und zwar sowohl die
privaten als auch die kommunalen Unternehmen. Es
melden sich übrigens auch die Kraftwerksbauunterneh-
men. Sie sagen unisono: Aufträge, die schon in Sicht wa-
ren, werden wieder zurückgenommen. – Das heißt, mit-
telfristig wird die Laufzeitverlängerung dazu führen,
dass das Angebot eher sinkt als steigt. Mit anderen Wor-
ten: Selbst mit Ihrer einfachen Logik müssten Sie darauf
kommen, dass wir durch die Laufzeitverlängerung ten-
denziell steigende Preise auslösen.
Jetzt kommen wir zu einer weiteren Verschärfung die-
ser Problematik. Herr Fuchs war ja ehrlich genug, zu sa-
gen, dass die großen Vier durch die Laufzeitverlänge-
rung Liquidität bekommen sollen, um Investitionen
sowohl in die Erneuerbaren als auch in den konventio-
nellen Kraftwerkspark tätigen zu können. Was bedeutet
das, wenn man gleichzeitig, Herr Kauch, den Stadtwer-
ken und den neuen Anbietern auf dem Strommarkt Mit-
tel für Investitionen entzieht? Was nutzt es, ihnen die
Möglichkeit zu geben, in Offshore-Anlagen zu investie-
ren, wenn man ihnen zugleich die Mittel entzieht?
(Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Wo entzie-
hen wir denen die Mittel?)
Darauf weisen die kommunalen Unternehmen und die
neuen Anbieter hin. Sie sagen: Wir sind mit unseren An-
lagen nicht mehr wettbewerbsfähig, wenn die Atom-
kraftwerke weiterlaufen. Man verringert damit unsere
Gewinnaussichten. Wir haben in Zukunft gar keine
Möglichkeiten mehr, zu investieren.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN)
Das ist der Grund, warum Investitionen zurückgenom-
men werden. Das ist auch der Grund, warum der Markt-
anteil der großen Vier in Zukunft sogar noch wachsen
wird. Die bekommen nämlich die Mittel, um in erneuer-
bare und in konventionelle Energien zu investieren. Das
wird deren Marktmacht weiter stärken.
Es gibt genug warnende Stimmen: Ich erinnere an die
Aussagen des jetzigen Präsidenten des Bundeskartellam-
tes. Der ehemalige Präsident des Bundeskartellamtes,
Böge, hat sogar ein Gutachten erstellt, in dem er all diese
Konsequenzen deutlich gemacht hat. Sie haben sich ei-
nen ehemaligen Präsidenten des Bundeskartellamtes ins
Haus geholt. Auch er hat in seiner alten Funktion auf all
diese Zusammenhänge hingewiesen, die er aber offenbar
in der Zwischenzeit – das Sein bestimmt das Bewusst-
sein –
(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Das stimmt nicht immer! Sie müssen
mal an Herrn Brüderle denken!)
zu den Akten gelegt hat.
h
S
g
p
S
r
m
s
D
s
I
d
E
d
n
E
l
v
k
a
E
m
A
N
d
A
a
w
h
w
1
R
A
l
w
S
e
D
m
d
F
k
s
I
K
B
i
d
(C
(D
Meine Kolleginnen und Kollegen, welchen Einfluss
at denn die Laufzeitverlängerung auf die Erneuerbaren?
tellt sie eine Brückenfunktion dar, wie Sie immer sa-
en? Sind Atomkraft und Erneuerbare das neue Traum-
aar der Nation?
(Ulrich Kelber [SPD]: So wie Schwarz-Gelb!)
timmt es wirklich, dass Atomkraftwerke so wunderbar
egelbar sind, wie Sie sagen? Schauen wir uns doch ein-
al Ihre eigenen Zahlen an: Sie gehen von einer ausge-
prochen hohen Auslastung der Atomkraftwerke aus.
ie Auslastung liegt zu Anfang bei 95 Prozent und
chlägt dann nur einen sehr leichten Sinkpfad ein. Die
nstitute gehen von ganz anderen Zahlen aus, jedenfalls
ann, wenn zugrunde gelegt wird, dass Ihre Ziele bei den
rneuerbaren erreicht werden. Die Institute sagen: In
iesem Fall ist die Auslastung der Atomkraftwerke viel
iedriger. Dafür gibt es eigentlich nur zwei Erklärungen.
ntweder Sie haben recht, dass die Auslastung tatsäch-
ich so hoch ist. Dann heißt das aber zugleich, dass Sie
on Anfang an nicht davon ausgehen, dass die Atom-
raftwerke heruntergeregelt werden und dass real – was
uf dem Papier steht, ist etwas anderes – der Vorrang für
rneuerbare gegenüber Atomkraft gilt. Sie gehen viel-
ehr davon aus, dass jede Kilowattstunde, die in einem
tomkraftwerk erzeugt werden kann, auch wirklich ins
etz eingespeist wird.
Oder – das ist die alternative Erklärung – Sie wissen,
ass eine so hohe Auslastung nicht möglich ist und die
uslastung tatsächlich sinken wird. Dann müssen Sie
ber offenbar etwas anderes im Kopf gehabt haben,
enn Sie dennoch von einer so hohen Auslastung ausge-
en. Was denn nun? Die Erklärung ist ganz einfach: Sie
ollen eine 15-jährige Laufzeitverlängerung hinter einer
2-jährigen verstecken. Sie haben behauptet, dass die
eststrommenge, die gemäß Ihrem Zugeständnis in den
tomkraftwerken produziert werden darf, für eine Rest-
aufzeit von 12 Jahren reicht. Wenn die Auslastung aber
egen des Ausbaus der Erneuerbaren niedriger ist, als
ie sie angeben, dann handelt es sich in Wirklichkeit um
ine Verlängerung um 15 Jahre.
(Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Skandal!)
as ist die Zahl, die seriöse Institute in diesem Zusam-
enhang nennen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN – Ulrich Kelber [SPD]: Schlüssige
Beweisführung!)
Ehrlichkeit in der Sache ist gefragt, auch bei dem an-
eren Thema, zu dem es heute Anträge von mehreren
raktionen gibt. Hier geht es um den deutschen Stein-
ohlebergbau. Ich kann das – weil meine Redezeit
chon fast abgelaufen ist – nur noch antippen. Ich sage
hnen: Die Bundesregierung steht hier in der Pflicht. Die
ommission war auf einem guten Weg und bereit, der
undesregierung zu folgen. Mittlerweile, Herr Brüderle,
st sie dazu nicht mehr bereit. Herr Oettinger schwänzt
ie wichtigsten Sitzungen.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Oktober 2010 6643
Rolf Hempelmann
(A) )
)(B)
(Christian Lange [Backnang] [SPD]: Das ist
wirklich unglaublich!)
Sie machen einen Prüfvorbehalt geltend, während Spa-
nien und Rumänien sagen: Einspruch! Wir bestehen auf
ein Ende der Subventionierung im Jahr 2018 bzw. in ei-
nem Fall im Jahr 2022. Frau Merkel, es wird wahr-
scheinlich Mitte Dezember auf dem Europäischen Rat
ihr Job sein müssen, das durchzusetzen, was wir in
Deutschland beschlossen haben und was die Kommis-
sion zwischenzeitlich schon einmal zu ihrer eigenen
Politik gemacht hatte.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN)
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat jetzt Herr Bundesminister Dr. Norbert
Röttgen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
Ach, er ist auch da? – Claudia Roth [Augs-
burg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum
reden Sie eigentlich als Letzter?)
Dr. Norbert Röttgen, Bundesminister für Umwelt,
Naturschutz und Reaktorsicherheit:
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-
ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit Jahrzehnten
fehlt unserem Land, fehlt unserer Gesellschaft, fehlt dem
Industrieland Deutschland ein Energiekonzept. Jetzt
liegt es vor, weil diese Koalition im Unterschied zu den
Vorgängerregierungen handelt. Das ist die Realität.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
Wo waren Sie den gestern?)
Der Punkt ist eben, dass ein Ausstieg noch kein Energie-
konzept macht. Sie haben im Jahr 2000 den Ausstieg be-
schlossen und den Kernkraftwerken noch 20 Jahre Rest-
laufzeit gegeben,
(Ulrich Kelber [SPD]: Maximal!)
aber den Einstieg versäumt. Mit Aussteigermentalität,
Ideologie, Falschbehauptungen und der Kampfmentali-
tät, die Sie zeigen, kann man kein Industrieland führen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Vielmehr braucht man einen verantwortungsvollen Ein-
stieg in die Energieversorgung.
(Ulrich Kelber [SPD]: Es war doch Norbert
Röttgen, der das Erneuerbare-Energien-Ge-
setz abgelehnt hat!)
– Vielleicht kann es bei all den Kampfbehauptungen und
Falschbehauptungen, die aufgestellt worden sind, hier
auch einmal möglich sein, eine sachliche Bemerkung zu
machen.
(Joachim Poß [SPD]: Herr Hempelmann hat ja
wohl sachlich diskutiert!)
K
b
e
z
O
E
A
s
–
g
D
v
w
–
i
J
a
k
e
J
E
E
E
d
H
F
n
s
u
I
s
F
(C
(D
Einstieg bedeutet übrigens nicht nur den Ausbau von
apazitäten. Wenn man in die Versorgung mit erneuer-
aren Energien einsteigen will, dann braucht man auch
inen Einstieg in die dazugehörige Infrastruktur aus Net-
en und Speichertechnologien.
(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
Und wer hat die 2005 blockiert? Sie!)
hne das haben Sie keine Versorgung mit erneuerbaren
nergie, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
Wer hat denn 2005 blockiert? Sie haben blo-
ckiert!)
uf diesem Gebiet haben Sie, Herr Kollege Trittin,
chlicht und ergreifend nichts gemacht.
(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
Sie waren gegen das Gesetz! CDU/CSU haben
das Gesetz im Bundesrat verhindert! So ist
das!)
Sie haben nichts gemacht. – Wir müssen jetzt die Fol-
en Ihrer Untätigkeit kompensieren. Wir tun es auch.
arauf können Sie sich verlassen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Genau aus diesem Grund ist übrigens eine Laufzeit-
erlängerung, wie ich von Anfang an gesagt habe, not-
endig.
(Abg. Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN] meldet sich zu einer Zwischenfrage)
Jetzt lasse ich keine Zwischenfrage zu. – Im Jahr 2000
st der Ausstieg beschlossen worden. Wir sind jetzt zehn
ahre weiter. Im Laufe der vergangenen zehn Jahre ist
uf dem Gebiet des Netzausbaus und bei den Speicher-
apazitäten praktisch nichts passiert. Wir können nicht
infach sagen: Das, was jetzt bei null steht, wird in zehn
ahren bei 100 Prozent sein. – Damit gefährden wir die
nergiesicherheit und die Versorgung mit erneuerbaren
nergien in Deutschland, und das dürfen wir nicht tun.
nergie ist auch eine Frage von elementarer Sicherheit;
iese gewährleisten wir.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
Ulrich Kelber [SPD]: Sie haben als Erster das
Speicherfördergesetz abgelehnt! – Gegenruf
des Abg. Volker Kauder [CDU/CSU]: Seien
Sie doch einmal friedlich, Herr Kelber!)
Ich stelle mir die Frage, warum Sie, Herr Kelber und
err Trittin, in dieser Debatte in einem solchen Maß
alschbehauptungen bewusst – anders kann ich mir das
icht erklären – aufstellen, die parlamentarisch schon
ehr befremdlich sind, die ich aber auch für scheinheilig
nd verantwortungslos halte.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
ch glaube, dass es einen Grund gibt, warum Sie mit die-
er Mischung aus Aggressivität, Kampfrhetorik und
alschbehauptungen hier auftreten.
6644 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Oktober 2010
Bundesminister Dr. Norbert Röttgen
(A) )
)(B)
(Ulrich Kelber [SPD]: Werden Sie einmal
konkret!)
– Ich werde ja gerade konkret. – Den Grund hat, wie ich
glaube, der Kollege Scheer heute auf den Punkt ge-
bracht. Herr Kollege Scheer, ich will das noch einmal
herausarbeiten; denn ich glaube, dass Sie den Sachver-
halt ganz zutreffend geschildert haben.
(Zuruf von der CDU/CSU: Ganz genau!)
Sie haben zutreffend gesagt: Der Ausstiegsvertrag, den
Rot-Grün abgeschlossen hat, war ein Vertrag im Sinne
des Wortes. Es war nämlich ein Austausch von Leistung
und Gegenleistung, der darin bestand, dass sich die
Kernenergieversorgungsunternehmen damit einverstan-
den erklären, dass Kernkraftwerke in Deutschland nur
noch gut 20 Jahre betrieben werden. Dann haben Sie die
Gegenleistungen des Staates, der Regierung genannt. Sie
haben zum Beispiel gesagt: Es wird – das war die Ge-
genleistung – keine Steuern, keine Kernbrennstoffsteuer,
geben, und es wird auch nicht mehr Sicherheit geben,
weil Sicherheitsmaßnahmen auch ein Kostenfaktor
sind. Als Gegenleistung des Staates verzichten wir auf
diese Kostenbelastungen.
(Ulrich Kelber [SPD]: Sie setzen die Unwahr-
heit vom Rednerpult aus fort! Es ist unglaub-
lich!)
Dazu will ich Ihnen zwei Dinge sagen. Die damalige
Regierung hat mit den Zusagen, es gebe keine Kern-
brennstoffsteuer und nicht mehr Sicherheitsmaßnahmen,
über Rechte verhandelt, die allein diesem Haus zustehen.
Es ist das Recht des Parlaments, Steuern zu beschließen,
und nicht das Recht der Regierung, darüber Verträge mit
Kernenergiewirtschaftsunternehmen zu schließen. Es be-
schädigt die Demokratie, es beschädigt das Parlament,
(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU und der
FDP)
wenn die Regierung dieses Parlament entmündigt. Es
beschädigt Demokratie und Parlament, dass die Koali-
tionsfraktionen von damals bei diesem parlamentari-
schen Entmündigungsprozess mitgemacht haben. Das ist
ein parlamentarischer Skandal, den Sie zu verantworten
haben.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Der zweite Skandal, der tief in das Staatsverständnis
einschneidet,
(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
Jetzt kommt er zu Herrn Thomauske!)
besteht darin, dass Sie über Sicherheit verhandelt haben.
Sie haben damals gesagt: Wir, die rot-grüne Regierung,
sind damit einverstanden, dass Sicherheit nicht zur Be-
dingung für den Betrieb von Kernkraftwerken gehört.
Sie ist ein Kostenfaktor. Wir sichern euch zu, dass an
diesem Kostenfaktor nichts geändert wird, egal was die
Sicherheit der Sache nach erfordert. – Das ist der Ver-
trag, den Sie abgeschlossen haben.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
Ulrich Kelber [SPD]: Eine freche Lüge!)
d
V
–
l
h
s
w
d
c
k
o
w
D
a
f
N
s
v
h
d
–
g
a
D
W
n
–
d
e
E
E
(C
(D
Ich habe Ihnen in der Regierungsbefragung zugesagt,
ass ich in jeder energiepolitischen Debatte aus dem
ertrag, den Sie geschlossen haben, vorlesen werde.
(Ulrich Kelber [SPD]: Vollständig!)
Vollständig. – Ich möchte Ihnen einige Vertragskaute-
en vorlesen. Der damalige Minister für Reaktorsicher-
eit, Jürgen Trittin, hat selber unterschrieben und zuge-
agt, dass die Bundesregierung keine Initiative ergreifen
erde, um diesen Sicherheitsstandard zu ändern. Er hat
ie Zusage gegeben: Es gibt keine Veränderung bei Si-
herheit und Sicherheitsstandards, und es gibt auch
eine Erhöhung von Sicherheit. – Das hat er zugesagt,
bwohl sich die Sicherheitstechnik vielleicht weiterent-
ickelt.
(Ulrich Kelber [SPD]: Zitieren Sie einmal
konkret!)
as ist die Zusage, die Sie gegeben haben. Sie ist unver-
ntwortlich.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
Ulrich Kelber [SPD]: Sie zitieren nicht!)
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Herr Kollege Röttgen, erlauben Sie eine Zwischen-
rage des Kollegen Scheer?
Dr. Norbert Röttgen, Bundesminister für Umwelt,
aturschutz und Reaktorsicherheit:
Nein danke. Ich möchte keine Zwischenfrage zulas-
en.
Ich kann noch weitergehen und andere Behauptungen
on Ihnen anführen. Herr Kollege Trittin, Sie haben be-
auptet – auch das wider besseres Wissen; Sie sollten
as in solchen Debatten unterlassen –
(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich
habe nur zitiert, Herr Röttgen!)
nein, Sie haben behauptet –: Wenn es zur Genehmi-
ung von Gorleben kommt, dann wird sie ohne ein
tomrechtliches Genehmigungsverfahren erfolgen.
(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Ich habe nur aus Ihrem Gesetzentwurf
zitiert, Herr Röttgen!)
iese Behauptung ist definitiv falsch.
(Beifall bei der CDU/CSU – Jürgen Trittin
[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich habe nur
gesagt: Sie bauen ohne eine atomrechtliche
Genehmigung!)
enn es, was wir heute noch nicht wissen, zu einer Ge-
ehmigung von Gorleben als Endlager kommen sollte
das ist ein ergebnisoffener Prozess –,
(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
Ergebnisoffen? Mit Herrn Thomauske?)
ann kann dies nur auf Grundlage und nach Abschluss
ines atomrechtlichen Zulassungsverfahrens geschehen.
twas anderes zu behaupten, ist die blanke Unwahrheit.
rzählen Sie nicht solche Unwahrheiten, nur um Stim-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Oktober 2010 6645
Bundesminister Dr. Norbert Röttgen
(A) )
)(B)
mung zu machen und Angst zu schüren! Lassen Sie das
sein! Es ist unverantwortlich.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Es gibt eine zweite Unwahrheit, die Sie verbreiten.
Man fragt sich schon, ob Sie nicht irgendein Argument
in der Sache oder irgendeinen Vorschlag haben, wie Sie
es machen wollen. Offensichtlich haben Sie kein Argu-
ment und keinen Vorschlag, sonst würden Sie nicht Un-
wahrheiten erzählen.
(Ulrich Kelber [SPD]: Sie machen sich da
vorne gerade lächerlich!)
Sie behaupten nämlich, durch das Gesetz würde die Si-
cherheit geschmälert. Ich betone zum wiederholten Male
in diesem Parlament: nicht mit einer Vorschrift, nicht mit
einem Wort! Vielmehr bleibt der komplette Standard an
Sicherheitsvorschriften und Sicherheitsmaßnahmen, der
jetzt im Atomgesetz mit allen Klagemöglichkeiten und
mit allen Verfahren sowie mit allen materiellen Vor-
schriften enthalten ist, selbstverständlich erhalten. Es
wird nichts begrenzt; es wird nichts beschnitten. Alle Si-
cherheitsvorschriften bleiben zunächst so, wie sie sind.
Aber zu den Sicherheitsstandards, die wir haben, kommt
eine Stufe von Sicherheitsanforderungen hinzu; diese
führen wir zusätzlich ein.
(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Zusätzlich? Das glauben Sie doch sel-
ber nicht! Was ist denn die Steigerung von
bestmöglich?)
Es wird ein über das bisherige Maß der Erforderlichkeit
hinausgehender Maßstab zur weiteren Vorsorge gegen
Risiken angelegt, mit dem erstmalig eindeutig klarge-
stellt wird, dass dann, wenn sich die Technik und die
Wissenschaft auf dem Gebiet der Sicherheit fortentwi-
ckeln, diese neuen zusätzlichen Sicherheitserkenntnisse
auch als rechtliche Anforderung an den Betrieb von
Kernkraftwerken im Einzelfall durchgesetzt werden
können. Das ist ein klarer Fortschritt an Sicherheit; das
ist mehr Sicherheit.
(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Das ist ein Rückschritt! – Bärbel Höhn
[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist kein
Fortschritt! Das wissen Sie auch!)
Dies wird allerdings nicht in einem Vertrag, sondern in
einem Gesetz geregelt. Das haben Sie in beiderlei Hin-
sicht nicht zustande gebracht. Das ist die Wahrheit. Sie
wollen dieses Gesetz bekämpfen, weil Sie an diesem
Punkt gescheitert sind.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Sie haben nicht mehr Sicherheit erreicht, sondern Sie ha-
ben gedealt. Den Vorwurf kann ich Ihnen nicht ersparen.
(Ulrich Kelber [SPD]: Sie wollen das Bundes-
verwaltungsgericht aushebeln!)
Wir haben in diesem Vertrag den Aspekt der Sicherheit
nicht angesprochen. Das ist der entscheidende Unter-
schied zu Ihrer damaligen Vereinbarung.
E
w
c
G
t
h
w
d
e
d
g
Z
m
v
W
c
g
z
W
d
s
m
u
h
a
a
b
m
A
g
d
g
g
Z
t
m
M
s
W
r
–
(C
(D
(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Nein! Es wurde nur Herr Großmann
kurz dazugebeten!)
s gibt in dem Vertrag, der allein Regelungen zur Ge-
innabschöpfung beinhaltet, keine Limitierung der Si-
herheitsanforderungen. Es gibt eine neue, zusätzliche
rundlage für Sicherheitsmaßnahmen. Der eine Reak-
orsicherheitsminister, der die Sicherheit verdealt hat,
eißt Jürgen Trittin; das muss hier einmal ausgesprochen
erden. Sie sind das, was Sie anderen vorwerfen. Das ist
ie Realität.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Jetzt noch einmal zur Sache. Zum Einstieg möchte ich
inen Teil der Falschbehauptungen, die Sie machen, wi-
erlegen. Wir haben gerade wieder über den Ausstieg
esprochen; ich rede jetzt über den Einstieg, über die
iele, die wir verfolgen. Der Einstieg, den wir vorneh-
en, dient dazu, die Energiesicherheit und die Klima-
erträglichkeit zu steigern sowie die Wachstums- und
ettbewerbspotenziale der Technologien in den Berei-
hen der erneuerbaren Energien und der Effizienzstei-
erung zum Nutzen unseres Landes und des Klimas aus-
uschöpfen.
(Ulrich Kelber [SPD]: Da haben Sie damals
gegen alle Gesetze gestimmt!)
enn man das erreichen will, dann muss man heute han-
eln. Wenn man heute nicht handelt und weiter Ver-
äumnisse zulässt, wie Sie es getan haben, dann steuert
an auf massive Probleme bei der Energieversorgung
nd der Klimaverträglichkeit zu; das ist völlig klar. Des-
alb sind die Ziele anspruchsvoll und ehrgeizig; sie sind
ber erreichbar, wenn man heute handelt.
Ich drücke die Ziele, die wir uns setzen, in Zahlen
us: Reduzierung der Treibhausgasemission um 80
is 95 Prozent bis 2050 in dem Langfristhorizont, in dem
an Energiepolitik nur machen kann; Steigerung des
nteils der erneuerbaren Energien an der Stromversor-
ung auf 80 Prozent; Halbierung des Stromverbrauchs
urch mehr Energieeffizienz. Verbesserung der Ener-
ieeffizienz um 2,1 Prozent pro Jahr, bezogen auf den
esamten Energieverbrauch. Das sind anspruchsvolle
iele. Aber wir trauen uns zu, sie mit konsequenter Poli-
ik zu erreichen, und zwar in Etappen, die wir einlegen,
it einem Überprüfungsprozess und mit 60 konkreten
aßnahmen beispielsweise zur Finanzierung von Off-
hore-Windkraftanlagen.
(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: 35 Großaufträge! Keine 60 Maßnah-
men!)
ir werden auch den Ausbau der Onshore-Anlagen vo-
antreiben.
(Zuruf des Abg. Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN])
Kollege Fell, Sie wissen es doch besser.
(Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Nein!)
6646 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Oktober 2010
Bundesminister Dr. Norbert Röttgen
(A) )
)(B)
Allein in diesem Jahr werden wir wahrscheinlich eine
Verdopplung der gesamten nationalen Kapazität auf
dem Gebiet der Photovoltaik erreichen, und das, nach-
dem wir die Vergütung reduziert haben, weil die Markt-
preise in der Photovoltaik um 40 Prozent gesunken sind.
Es kann also überhaupt nicht die Rede davon sein, dass
die Branche einbricht, wie Sie es in der Debatte behaup-
tet haben. Die Branche boomt. Wir wollen, dass sie
boomt, weil das für die Entwicklung unseres Landes gut
ist.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Neben den genannten Maßnahmen haben wir – das ist
schon gesagt worden – ein Sofortprogramm mit zehn
Punkten finanziell abgesichert. Es wird in einem Jahr
umgesetzt. Zur Erreichung der Ziele werden 60 Maßnah-
men ergriffen. Dazu bieten wir eine Finanzierung, von
der man als Umwelt- und Klimapolitiker nur träumen
kann.
(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN]: Albträume!)
Das ist ein Erfolg, den ich für nicht möglich gehalten
habe, als wir mit den Gesprächen darüber begonnen ha-
ben. Der Aufbau beginnt im nächsten Jahr mit einem Be-
trag von 300 Millionen Euro. Ab 2013 wird verlässlich
und langfristig ein Betrag von jährlich rund 3 Milliarden
Euro für Energiepolitik, Effizienzpolitik und Klima-
schutzpolitik zur Verfügung stehen. Das ist ein sensatio-
neller Erfolg. Wir sind stolz, dies erreicht zu haben.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Weil es sich hier um das anspruchsvollste und konse-
quenteste Umwelt- und Energieprogramm handelt, ist es
ein Meilenstein in der Umwelt- und Klimaschutzpolitik
in Deutschland. Das vertreten und verteidigen wir. Wir
werden es gegen Ihren Neid und Ihre Proteste umsetzen,
weil es – das ist unsere Orientierung – gut für unser
Land ist.
(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und
der FDP)
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Für die SPD-Fraktion spricht jetzt der Kollege Marco
Bülow.
(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
Moment! Ich hatte eine Kurzintervention an-
gemeldet!)
– Ich habe übersehen, dass Bärbel Höhn von den Grünen
eine Kurzintervention beantragt hat.
Bitte sehr, Frau Höhn.
Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Minister Röttgen, Sie haben die Zwischenfrage,
die ich stellen wollte, nicht zugelassen. Sie haben in die-
ser Debatte als Zweiter geredet, nicht als Erster. Das
macht deutlich: Sie sind der Verlierer dieses Jahres; das
muss man eindeutig so sehen.
W
e
d
s
S
u
S
S
s
–
e
z
S
S
–
n
c
r
f
g
–
w
u
i
w
D
a
a
z
D
(C
(D
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der
LINKEN – Widerspruch bei der CDU/CSU)
eil Sie der Verlierer sind, klammern Sie sich an einen
inzigen Punkt: Sie würden mehr Sicherheit bieten als
ie anderen. Deshalb zitiere ich aus der damals geschlos-
enen Vereinbarung noch einmal, was dort zum Thema
icherheit steht. Denn Sie zitieren immer nur einen Satz
nd versuchen, aus diesem abzuleiten, es habe weniger
icherheit gegeben. Dabei verschweigen Sie die anderen
ätze. Kennen Sie folgenden Satz aus der damals ge-
chlossenen Vereinbarung?
Während der Restlaufzeiten wird der von Recht und
Gesetz geforderte hohe Sicherheitsstandard weiter
gewährleistet …
Die EVU werden bis zu den in Anlage 3 genannten
Terminen
also dynamisch –
Sicherheitsüberprüfungen … durchführen und die
Ergebnisse den Aufsichtsbehörden vorlegen.
Erstmals! Daraus ist das kerntechnische Regelwerk
ntstanden. Es liegt auf Ihrem Schreibtisch. Warum set-
en Sie es nicht endlich in Kraft? Dann hätten wir mehr
icherheit bei den Atomkraftwerken. Sie verhindern die
icherheitsstandards bei den Atomkraftwerken.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der
LINKEN – Ulrich Kelber [SPD]: Jetzt ist mal
vollständig zitiert worden! – Weiterer Zuruf)
Auch die Kanzlerin will ablenken, weil ihr das unange-
ehm ist.
Wenn Sie schon, Herr Röttgen, so viel Wert auf Si-
herheit und Vorsorge legen, dann müssen wir Sie an Ih-
en eigenen Maßstäben messen. Sie haben in der Frank-
urter Allgemeinen Zeitung vom 20. Mai dieses Jahres
esagt:
Drei
Kernkraftwerke –
haben keinen Schutz gegen Flugzeugabstürze. Die
Kraftwerke müssen etappenweise auf den Stand der
Nachrüsttechnik gebracht werden.
Nach unserem Atomausstieg würde das Atomkraft-
erk Biblis A jetzt abgeschaltet. Herr Minister, sind wir
ns einig, dass die beste Sicherheit für die Bevölkerung
st, wenn wir Biblis A abschalten, nicht mehr und nicht
eniger?
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
bei der SPD und der LINKEN)
as wäre aus dem Atomausstieg von Jürgen Trittin und
nderen gefolgt!
Aber ich frage Sie heute sehr konkret: Was wollen Sie
n Nachrüstungsmaßnahmen für Biblis A in Gang set-
en? Wie sieht Ihre Sicherheit für Biblis A wirklich aus?
as wollen wir endlich von Ihnen hören; denn dazu ha-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Oktober 2010 6647
Bärbel Höhn
(A) )
)(B)
ben Sie bisher konkret nie etwas gesagt. Wir erwarten,
dass Sie das heute tun.
Der letzte Punkt, den ich ansprechen möchte. Sie ver-
suchen immer, darzustellen, wir wären gegen Netze und
Netzausbau. Können Sie bestätigen, dass es Jürgen
Trittin war, der 2005 mit dem Infrastrukturbeschleuni-
gungsgesetz hier einen Weg gewiesen hat? Woran ist er
gescheitert? Er ist im Bundesrat an der Mehrheit der
CDU/CSU- und FDP-geführten Länder gescheitert. Sie
haben den Ausbau der Infrastruktur seit 5 Jahren blo-
ckiert. Das waren Sie und nicht wir.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
und bei der SPD)
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Herr Bundesminister, bitte.
Dr. Norbert Röttgen, Bundesminister für Umwelt,
Naturschutz und Reaktorsicherheit:
Frau Kollegin, nur, damit wir uns richtig verstehen:
Ich bin, offen gestanden, gar nicht der Auffassung, dass
Sie gegen Sicherheit und gegen den Netzausbau sind.
(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:
Ah!)
Meine These ist nur, dass Sie auf all diesen Gebieten
nichts erreicht haben. Sie sind Maulhelden und können
gut reden; aber Sie bekommen nichts hin. Das ist der
Unterschied zwischen unseren beiden Regierungen:
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
Was haben Sie denn erreicht?)
Wir legen jetzt ein Energiekonzept vor. Bei uns steht die
Sicherheit im Gesetz. Der arme Trittin musste sie ver-
dealen. Ich behaupte gar nicht, dass er das wollte. Aber
er hat bei den Rotwein- und Zigarrenrunden keine
Chance gehabt, die Sicherheit ins Gesetz zu bringen. Das
war damals die Realität: Tun wir doch nicht so, als wäre
das alles vergessen!
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Er hat es nicht hinbekommen.
Es ist beschämend, das immer wieder vortragen zu
müssen,
(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Frau Höhn hat das schon ordentlich
vorgetragen!)
aber ich muss das tun, weil bei Ihnen eine partielle Ver-
gesslichkeit, was das eigene Tun anbelangt, festzustellen
ist.
(Zuruf der Abg. Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN] – Gegenruf des Abg. Volker
Kauder [CDU/CSU]: Sind Sie mal ruhig! –
Gegenruf der Abg. Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN]: Sie haben mir gar nichts vor-
zuschreiben, Herr Kauder!)
D
s
r
r
D
S
e
n
t
V
t
g
e
d
r
d
D
v
n
m
l
W
e
b
i
l
W
K
n
W
v
(C
(D
arum will ich noch einmal die Passage vorlesen, die
ozusagen der Gipfel des Ausverkaufs von Parlaments-
echten ist, den Sie sich in diesen Rotwein- und Zigar-
enrunden mit der Kernenergiewirtschaft geleistet haben.
(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
Das müssen Sie gerade sagen!)
a haben Sie ja nicht nur die Sicherheit verdealt, sondern
ie haben sogar zugesagt, dass die Beteiligten diese Ver-
inbarung auf der Grundlage schließen, dass in dem zu
ovellierenden Atomgesetz – das ist Sache des Parlamen-
es! – einschließlich der Begründung die Inhalte dieser
ereinbarung umgesetzt werden. Die rot-grünen Koali-
ionsfraktionen haben sich selber zu einem Umsetzungs-
esetzgeber bezüglich der Vereinbarungen mit der Kern-
nergiewirtschaft degradiert.
(Ulrich Kelber [SPD]: Das steht doch in Ihren
Vereinbarungen genauso drin!)
Jetzt kommt es noch stärker. Es hätte ja sein können,
ass jemand in der Regierung oder im Parlament sich he-
ausgenommen hätte, etwas anderes zu beschließen, als
ie Vereinbarung vorgesehen hat.
(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
Sie reden aber drum herum! Was ist jetzt mit
Bibis A?)
arum wurde Folgendes sichergestellt:
Über die Umsetzung in der AtG-Novelle wird auf
der Grundlage des Regierungsentwurfs vor der Ka-
binettsbefassung zwischen den Verhandlungspart-
nern beraten.
(Lachen bei der FDP)
Bevor etwas ins Kabinett geht, wird es Eon und RWE
orgelegt, damit die feststellen können, ob es in Ord-
ung ist. Das ist eine besondere Form der Ressortabstim-
ung, die Sie da vorgenommen haben. Das ist eine Pein-
ichkeit und ist ein Skandal und nichts anderes.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
Ulrich Kelber [SPD]: Und das von Ihnen! Von
euch so etwas? Schamfrei!)
Jetzt kommen wir einmal zu Biblis A. Ich frage Sie:
ie haben Sie im Jahr 2000 die Risiken von Biblis A
ingeschätzt? Dramatisch? Hinnehmbar? Jedenfalls ha-
en Sie mit Ihrer Risikoeinschätzung, die nicht meine
st, dem zugestimmt, dass Biblis A noch zehn Jahre
äuft.
(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
Das ist ja jetzt auch so!)
aren das wirklich dramatische Risiken? Wenn ein
ernkraftwerk den Sicherheitsanforderungen nicht ge-
ügt, dann muss es abgeschaltet werden.
(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Er weicht aus!)
enn Sie dieser Auffassung waren, dann hätten Sie das
eranlassen müssen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
6648 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Oktober 2010
Bundesminister Dr. Norbert Röttgen
(A) )
)(B)
Sie waren die Aufsicht über die Aufsicht, Herr Kollege
Trittin. Sie haben auch auf diesem Feld versagt. Bei Fra-
gen der Sicherheit darf man nicht nur reden; dabei muss
man handeln.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
Sagen Sie doch einmal, was Sie jetzt machen
wollen! Was machen Sie denn? – Ulrich
Kelber [SPD]: Was machen Sie jetzt?)
Wir schaffen nunmehr eine bessere, zusätzliche Grund-
lage dafür, dass die Atomaufsicht der Länder einschrei-
ten und handeln kann, selbst wenn der Atomaufsichts-
minister im Bund mehr ein Maulheld als ein Handelnder
ist.
(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
Was machen Sie jetzt? Sie beantworten die
Frage nicht! Sie machen doch gar nichts! Sie
sind der Maulheld! Was haben Sie denn er-
reicht? Nichts!)
Die Atomaufsicht der Länder kann jetzt handeln, wenn
sie möchte. So wird das sein, wenn dieses Gesetz hier
beschlossen wurde.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
Nichts gesagt zu Biblis A! – Volker Kauder
[CDU/CSU], zu Abg. Bärbel Höhn [BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN] gewandt: Schämen
sollten Sie sich! So sind die Grünen! Hohe
moralische Ansprüche an andere und selber
machen sie die größten Sauereien!)
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Nun bitte ich um Aufmerksamkeit für den nächsten
Redner. Das ist der Kollege Marco Bülow für die SPD-
Fraktion.
(Beifall bei der SPD)
Marco Bülow (SPD):
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Ich wünsche allen gerade geborenen Kindern und denen,
die demnächst geboren werden, alles Gute. Allerdings:
Wenn die Regierung ihre Atomvorhaben wahrmacht,
werden diese Kinder unnötigen zusätzlichen Gefahren
und Belastungen ausgesetzt. Erst wenn die jetzt neu Ge-
borenen 30 Jahre alt sind, werden sie hoffen können,
dass wir endlich aus der Uralttechnologie Atomkraft
aussteigen. Der radioaktive Abfall – jährlich zusätzlich
400 Tonnen – wird den nachfolgenden Generationen
auch in Tausenden von Jahren noch vor den Füßen lie-
gen. All diese Kinder hatten niemals die Chance, darüber
zu entscheiden, ob die Atomkraftwerke länger laufen
sollen, ob sie Atomkraft überhaupt wollen.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS-
SES 90/DIE GRÜNEN)
Sie müssen mit den Gefahren und dem Abfall leben, egal
wie jetzt entschieden wird. Das nennen Sie Demokratie?
Das nennen Sie Generationengerechtigkeit?
l
d
W
K
s
s
r
d
a
d
S
I
l
d
w
d
v
D
g
k
s
w
t
m
g
v
A
K
r
m
m
r
g
c
D
A
n
n
g
i
S
b
D
b
n
(C
(D
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der
LINKEN)
Zu Biblis A: Wenn Biblis A jetzt noch 8 Jahre länger
äuft, dann wird Biblis A am Ende 44 Jahre alt sein. Auf
er Welt gibt es kein Atomkraftwerk, das 44 Jahre alt ist.
ir haben weltweit keine Erfahrung damit, was mit
ernkraftwerken passiert, die über 40 Jahre alt sind, wie
ie erodieren und welche neuen Gefahren dadurch ent-
tehen. Wir sprechen nämlich nicht nur über die Gefah-
en, die jetzt entstehen, sondern auch über die Gefahren,
ie hinzukommen, wenn Atomkraftwerke über 40 Jahre
m Netz sind. Wenn wir noch an der Regierung wären,
ann wäre Biblis A jetzt verschwunden.
(Patrick Döring [FDP]: Verschwunden wäre es
auch nicht! Das wäre ein Zwischenlager!)
o müssen wir diese Gefahr auch in Zukunft hinnehmen.
Es gibt weitere Auswirkungen, beispielsweise auf die
nvestitionen in die erneuerbaren Energien. Sie postu-
ieren immer wieder die große Brücke. Das Gegenteil ist
och der Fall, und deswegen steigen Ihnen die Stadt-
erke aufs Dach. Die Auswirkung davon wird sein, dass
ie meisten jetzt nicht mehr in erneuerbare Energien in-
estieren, weil sie wissen, dass der Markt gesättigt ist.
as heißt, der Weg ins solare Zeitalter wird deutlich län-
er.
Es ist ferner fraglich – das ist eine weitere Auswir-
ung –, ob Gorleben, sofern Sie es als Endlager durch-
etzen, für den Atommüll überhaupt ausreicht oder ob
ir ein weiteres Endlager brauchen. Auch darüber soll-
en Sie sich vielleicht einmal Gedanken machen.
Da wir schon beim Thema Müll sind: Jedes Unterneh-
en, auch jede Currywurstbude braucht einen Entsor-
ungsplan. Nur diejenigen, die den gefährlichsten Abfall
on allen produzieren, haben, 50 Jahre nachdem das erste
tomkraftwerk in Deutschland ans Netz ging – Herr
auch, wir sprechen nicht von 7, sondern von 50 Jah-
en –, noch immer keinen Entsorgungsplan und noch im-
er kein Endlager. Das sollten wir, glaube ich, auch ein-
al auf den Punkt bringen. Das ist absurd.
(Zuruf von der FDP: Elf Jahre Sozial-
demokratie!)
Frei nach Minister Brüderle, der heute von Einstiegs-
egierung gesprochen hat: Ja, Sie sind eine Einstiegsre-
ierung, und zwar steigen Sie ein in eine alte, gefährli-
he Versorgungs- und Energiepolitik. Sie sind vor allen
ingen eine Einstiegsregierung für die Allmacht der
tomlobby.
Es fing an mit Herrn Hennenhöfer. Das muss man sich
och einmal zu Gemüte führen: Herr Hennenhöfer war ei-
er der größten Atomlobbyisten, den es in Deutschland
ab. Den haben Sie als Erstes in die Regierung geholt, um
hn für die Atomfragen zuständig zu machen. Dann haben
ie eine Anwaltskanzlei, die hauptsächlich für RWE ar-
eitet, beschäftigt, um einen Atomvertrag zu schreiben.
ann haben Sie für Ihre Prognose noch einen Gutachter
estellt, der von den großen Energieversorgungsunter-
ehmen getragen wird.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Oktober 2010 6649
Marco Bülow
(A) )
)(B)
Herr Kauch, Sie haben gerade davon gesprochen,
dass dieses Gutachten und die Prognose nicht in erster
Linie berücksichtigt würden. Schauen Sie bitte einmal in
Ihr Energiekonzept! Darin steht nicht nur, dass die Pro-
gnose wichtig ist, sondern auch, dass das, was darin
steht, der Kompass für Ihre Energiepolitik ist. Schauen
Sie da vielleicht einmal hinein!
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der
LINKEN – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN]: Aha! Der Kompass von Herr
Kauch!)
Zusammengefasst: Da haben also Leute ein Atomge-
setz erstellt – es ist ja schön, dass die Bundesregierung
an diesem Atomgesetz überhaupt beteiligt worden ist –,
die hauptsächlich und maßgeblich für die Atomwirt-
schaft arbeiten. Die haben ihr eigenes Gesetz geschrie-
ben. Das haben Sie hier eingebracht und nennen das
auch noch „Revolution“ und „Einstieg in das Zeitalter
der Erneuerbaren“. Das ist wirklich ein Hohn. Das ist
wirklich das, was ich scheinheilig nenne, Herr Umwelt-
minister.
In Zukunft werden wir uns die Frage stellen müssen,
wie überhaupt mit einzelnen Maßnahmen in dem Be-
reich umgegangen worden ist. Ich will als ein Beispiel
die Brennelementesteuer nennen, die Sie hier immer
wieder so hochhalten; das sei das Tolle, was Sie der
Energiewirtschaft abgerungen haben.
Ja, im Sommer hörte es sich noch ganz gut an. Wir hat-
ten ja als Erste gefordert, dass es eine Brennelemente-
steuer geben soll. Irgendwann sind Sie dieser Forderung
gefolgt und haben dann postuliert, Ihr Finanzminister bei-
spielsweise: Die Brennstoffsteuer kommt unbefristet. Sie
wird unabhängig vom Atomgesetz gemacht, und sie hat
auch eine bestimmte Höhe. – Was wir jetzt haben, ist eine
befristete Brennelementesteuer. Sie fällt deutlich niedri-
ger aus, als Sie im Sommer postuliert haben. Das Aller-
beste ist: Im Gesetz steht, dass sich die Atomwirtschaft
das Recht nimmt – Sie billigen ihr dieses Recht zu –, da-
gegen Klage zu führen. Das heißt, Sie gehen doch davon
aus, dass es die Brennelementesteuer am Ende vielleicht
gar nicht geben wird, und nehmen das nur als Ausrede da-
für, dass Sie der Atomwirtschaft irgendetwas abgerungen
haben. Das, denke ich, ist scheinheilig.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der
LINKEN)
Dann zu Ihren Argumenten, Herr Brüderle und Herr
Fuchs – ich kann es nicht mehr hören; denn das sind die
Debatten aus den 70er- und 80er-Jahren –: Wenn wir die
Atomkraftwerke nicht länger laufen lassen, dann gehen
hier die Lichter aus; dann brauchen wir Energie aus
Tschechien usw. – Das sind die alten Kamellen, die im-
mer wieder gebracht werden.
(Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Natürlich!
Wo soll sie denn sonst herkommen?)
Ich will Ihnen einmal Folgendes sagen – vielleicht
kennen Sie die Zahlen ja und verschweigen sie; oder Sie
h
D
l
s
l
v
b
l
U
n
k
z
d
b
w
W
h
z
l
w
s
U
s
s
l
d
E
z
t
d
I
d
H
d
p
(C
(D
aben keine Ahnung –: Im ersten Halbjahr 2010 gab es in
eutschland einen Stromexportüberschuss von 11 Mil-
iarden Kilowattstunden. Das ist ungefähr die Menge von
ieben Atommeilern. Wir könnten also sieben Atommei-
er abschalten, ohne auch nur eine Kilowattstunde neu
on irgendwo herholen zu müssen oder durch Erneuer-
are generieren zu müssen.
Dazu kommen noch zwei Atomreaktoren, die eigent-
ich immer stillstehen, die wegen Pannen und anderer
ngeschicklichkeiten gar nicht am Netz sind. Das heißt,
eun Atomkraftwerke – das ist mehr als die Hälfte –
önnten wir sofort abschalten, ohne irgendeinen Effekt
u spüren. Das ist die Realität in Deutschland! Reden Sie
och nicht davon, dass die Lichter ausgehen!
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der
LINKEN)
Herr Röttgen, was Ihre tollen, unglaublichen Vorha-
en und all die Maßnahmen angeht, die Sie durchführen
ollen, so sind 35 von diesen Maßnahmen Prüfaufträge.
ir wissen doch, wie diese Prüfaufträge am Ende ausge-
en. Das ist nur Schönmalerei in Ihrem Gesetz. Im Prin-
ip haben Sie nichts auf den Tisch gelegt, außer der Ver-
ängerung der Atomlaufzeiten. Deswegen, Herr Röttgen,
erden Sie auch nicht als Umweltminister in die Ge-
chichte eingehen, sondern als Atomminister.
Ich finde es schade, dass die Umweltpolitiker der
nion – sie haben ja heute auch nicht geredet; wahr-
cheinlich deshalb, weil es ihnen peinlich ist oder weil
ie nicht durften –, von denen ich einige sehr schätze,
eider nicht mitdiskutieren und Ihnen leider keinen Wi-
erstand leisten.
(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Der Christian
Ruck wird Ihnen gleich die Leviten lesen! –
Gegenruf des Abg. Ulrich Kelber [SPD]: Der
ist nur formal zuständig!)
Zum Schluss. Es gibt ein schönes Sprichwort von
rich Kästner: Du sollst den Kakao, durch den man dich
ieht, nicht auch noch trinken. – In diesem Sinne: Leis-
en Sie doch endlich Widerstand! Wir jedenfalls werden
as tun: hier im Parlament und auf der Straße – gegen
hre verrückten Pläne.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der
LINKEN)
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Nun hat das Wort der Kollege Dr. Christian Ruck für
ie CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Dr. Christian Ruck (CDU/CSU):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
err Bülow, Sie haben ganz übersehen, dass ich noch
rankomme. Ich bezeichne mich tatsächlich als Umwelt-
olitiker.
6650 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Oktober 2010
Dr. Christian Ruck
(A) )
)(B)
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
neten der FDP – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN]: Das wollen wir Ihnen auch
nicht absprechen!)
Deswegen möchte ich an dieser Stelle gern meine Ver-
sion der Dinge vortragen:
Ich bin jetzt immerhin schon 20 Jahre Parlamentarier
und habe vieles erlebt. Ich muss aber zugeben: Von die-
ser unwürdigen und unseriösen Show, die Sie von Rot-
Grün in diesen Wochen im Rahmen der Energiediskus-
sion abliefern, bin ich schon beeindruckt. Sie arbeiten
mit Unterstellungen, mit Verleumdungen, mit Verdächti-
gungen und auch mit Verhetzung. Sie schüren Gewalt
und wecken Illusionen. Das ist mit meinem Verständnis
von Parlamentarismus nicht zu vereinbaren.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
In dieser Debatte geht es um mehr als nur um das eine
oder andere Einzelgesetz. Es geht um eine grundsätzli-
che Weichenstellung, auch für das Wohl und Wehe unse-
rer Kinder und Kindeskinder.
(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
Gerade darum dürfen Sie so nicht reden!)
Mich ärgert zum Beispiel, dass Sie die Bundesregierung
kritisieren, weil sie die Endlagerfrage jetzt entschlossen
angeht,
(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Nein, tut sie nicht!)
was Sie zehn Jahre lang mit allen möglichen Mitteln ver-
hindert haben. Ich kann mich noch gut an die Auseinan-
dersetzungen erinnern, die wir im Parlament geführt ha-
ben. Sie haben nichts anderes getan, als der Bevölkerung
den Atommüll vor die Füße zu kippen. Noch jetzt stehen
die Castorbehälter in der freien Prärie, sozusagen in bes-
seren Garagen.
(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Aber Sie packen jetzt doch noch wei-
tere Castorbehälter dazu! In Gundremmingen
und überall packen Sie weitere dazu!)
Das ist keine Antwort auf die Atommüllfrage. Das war
Feigheit und Verantwortungslosigkeit.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Ich möchte Ihnen jetzt einmal etwas zu den angebli-
chen Lobbyisten in diesem Haus sagen: Die Kernkraft-
betreiber haben insbesondere für die Forschung aufsum-
miert Subventionen in Höhe von 20 Milliarden Euro
erhalten. Die Solarbranche, die ganz offiziell und finan-
ziell dem einen oder anderen von Rot-Grün nahe steht,
wird in den nächsten Jahren Subventionen in Höhe von
100 Milliarden Euro erhalten. Die Kernkraft macht aber
ein Viertel der Stromerzeugung aus – und die Photovol-
taik nur 1 Prozent – und verursacht zehnmal so hohe
CO2-Vermeidungskosten wie die Windenergie. So viel
zum Thema Lobbyismus.
Was ich außerdem als Unverschämtheit ansehe, ist
Ihre Geschichte mit den Geheimverträgen. Das ist eine
Verleumdung.
W
s
G
d
l
u
t
v
E
e
H
A
d
W
a
k
c
s
r
im
d
g
n
z
d
K
m
s
d
l
v
d
s
b
P
n
s
s
(C
(D
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
as wir im Koalitionsvertrag vereinbart haben, unter-
cheidet sich nicht von dem, was wir jetzt machen. Im
egensatz zu Ihren Mauscheleien von damals werden
ie Verträge erst unterschrieben, wenn das gesamte par-
amentarische Verfahren durchgezogen ist
(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
Durchgezogen! – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN]: Durchgezogen! Das ist genau
das Wort! Sie müssen unbedingt vor dem
nächsten Parteitag fertig werden!)
nd dieses Hohe Haus darüber beschlossen hat. Das un-
erscheidet uns von den damaligen Weicheikoalitionären
on Rot-Grün fundamental.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Ich bekenne mich ohne Wenn und Aber zu diesem
nergiekonzept. Es ist ein großes Rad. Es beinhaltet
hrgeizige Ziele. Wir haben den Weg dazu gewiesen.
err Hempelmann, ich bin immer für einen seriösen
ustausch von Meinungen. Ich würde nie sagen, dass
ieses Energiekonzept keine Verbesserungen nötig hat.
ir werden im Laufe der nächsten Jahre und vielleicht
uch der nächsten Jahrzehnte sehr wohl miteinander dis-
utieren können, was wir korrigieren müssen und wel-
he Verbesserungsmöglichkeiten es gibt. Die Weichen-
tellungen, die hier getroffen sind, halte ich aber für
ichtig.
Das betrifft auch die Laufzeitverlängerung. Ich habe
mer Respekt vor Leuten gehabt – auch vor Kollegen –,
ie gesagt haben: Wir wollen dieses Restrisiko auch we-
en Tschernobyl damals nicht tragen. – Es ist aber ge-
auso ehrenhaft, wenn man in einem Abwägungsprozess
u anderen Ergebnissen kommt – vor dem Hintergrund
er völlig anders gearteten Sicherheit der deutschen
ernkraftwerke und alternativer Gefahren wie dem Kli-
awandel –, wenn man die Atommüllfrage ganz ent-
chlossen angeht und das Atommüllproblem löst.
Ich sage ganz offen: Durch die längeren Laufzeiten
er Kernkraftwerke, die billigen und CO2-freien Strom
iefern,
(Ulrich Kelber [SPD]: Ach, Herr Ruck!)
erschaffen wir uns die nötigen gewaltigen Finanzmittel,
(Marco Bülow [SPD]: Das stimmt doch nicht! –
Rolf Hempelmann [SPD]: Sagen Sie doch mal
etwas zum Wettbewerb!)
ie für den Umbau unserer nationalen Wirtschaft nötig
ind, und zwar ohne dass wir Hunderttausende von Ar-
eitsplätzen ins Ausland treiben. Das ist der eigentliche
unkt. Das ist die eigentliche Brücke, eine Brücke, die
icht ins Nichts führen darf.
(Ulrich Kelber [SPD]: Sogar die Szenarien
besagen etwas anderes!)
Die erste Lebenslüge von Rot-Grün lautet, dass un-
ere Wirtschaft auch dann blüht, wenn die Energiekosten
teigen.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Oktober 2010 6651
Dr. Christian Ruck
(A) )
)(B)
(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
Das sagen wir doch gar nicht! Wir sind nur ge-
gen unfaire, zu hohe Energiepreise wegen des
Monopols! Sie lassen doch die Energiepreise
steigen!)
Die zweite Lebenslüge ist, dass die erneuerbaren Ener-
gien sofort die Rolle der konventionellen Kraftwerke
übernehmen könnten.
(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
Das haben Sie ja gar nicht verstanden, Herr
Ruck! Sie lassen die Energiepreise steigen!
Sie!)
Ich sage Ihnen: Wenn wir Ihrer Strategie folgen wür-
den, wäre das ein gigantischer Schildbürgerstreich. Dann
würden wir nämlich mit teurem Geld, und zwar dem der
normalen Stromkunden und Bürger, einen Hype im Be-
reich der Sonnen- und Windenergie erzeugen.
(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
Herr Ruck, wegen des fehlenden Wettbewerbs
sind die Energiepreise hoch! Sie machen die
Energiepreise hoch!)
Aber der Strom könnte gar nicht mehr abgenommen
werden, weil wir weder die nötigen Speichertechnolo-
gien noch die nötigen Netze haben.
(Beifall der Abg. Marie-Luise Dött [CDU/
CSU] – Ulrich Kelber [SPD]: Aha! Und des-
wegen wollen Sie den Ausbau jetzt also erst
mal zurückfahren, ja?)
Deswegen ist es nur logisch,
(Ulrich Kelber [SPD]: Das nennen Sie
„logisch“?)
dass wir Geld und Zeit gewinnen müssen, sowohl für die
Entwicklung neuer Technologien und neuer Netze
(Marco Bülow [SPD]: Die haben wir doch
schon! – Ulrich Kelber [SPD]: Durch einen
langsameren Ausbau der Erneuerbaren?)
als auch, Herr Kelber, für die Entwicklung von Techno-
logien zur CO2-Abscheidung.
Auch Sie von Rot-Grün könnten an dieser Stelle be-
weisen, dass es Ihnen wirklich um den Klimaschutz
geht.
(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
Ach! Was Sie machen, ist doch nur für Ihre
Lobby! Sie machen das doch nur für die Gro-
ßen! Das ist unglaublich, Herr Ruck!)
Wir haben die Chance. Wir brauchen aber noch mehr
Technologien. Allein mit der CO2-Abscheidetechnologie
(Marco Bülow [SPD]: Das Gesetz haben Sie
doch verhindert!)
könnten wir die 12 Tonnen CO2, die jeder Bundesbürger
pro Jahr verursacht,
(Ulrich Kelber [SPD]: Es sind zum Glück nur
noch 10!)
u
D
s
G
d
s
D
i
d
u
w
w
K
d
b
e
d
h
M
f
s
H
s
i
(C
(D
m 5 Tonnen reduzieren. Das wäre ungeheuer viel.
(Ulrich Kelber [SPD]: Und für wie lange? –
Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
Es sind nicht mehr 12, sondern nur noch 10!
9,5 ganz genau!)
eswegen ist die CO2-Abscheidung ein wichtiger Be-
tandteil unseres Energiekonzeptes.
Darüber hinaus brauchen wir Geld und Zeit für die
ebäudesanierung; auch dies ist für uns ein entscheiden-
er Hebel.
Jetzt komme ich zum Wettbewerb.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Herr Kollege, darf ich Sie kurz unterbrechen?
Dr. Christian Ruck (CDU/CSU):
Ja.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Der Kollege Bülow würde gerne eine Zwischenfrage
tellen.
Dr. Christian Ruck (CDU/CSU):
Nein, keine Zwischenfrage.
(Gerd Bollmann [SPD]: Dann mach den
letzten Satz schnell!)
ie Einwände der Kommunen und die Diskussion mit
hnen müssen wir sehr ernst nehmen. Ich habe den Ein-
ruck, dass der Widerspruch der Kommunen, seitdem
nser Energiekonzept vorliegt, erheblich geringer ge-
orden ist,
(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Ach, Quatsch! – Jürgen Trittin [BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN]: Die, die ich gestern
besucht habe, sehen das anders!)
eil auch wir Parlamentarier einiges zum Wohle der
ommunen getan haben. Ich sage noch einmal: Ich halte
ie Kommunen für ein ganz wichtiges Element der Wett-
ewerbsregulierung auf unserem Energiemarkt.
(Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: So ist es!)
Lassen Sie mich darauf hinweisen – Herr Kauch hat
s schon gesagt –: Gerade wir Umweltpolitiker und auch
ie Entwicklungspolitiker sind stolz darauf, erkämpft zu
aben, dass ab dem Jahr 2013 nicht 50 Prozent der
ehrerlöse aus dem Handel mit Emissionszertifikaten
ür den Umwelt- und Klimaschutz bereitgestellt werden,
ondern 100 Prozent.
(Ulrich Kelber [SPD]: 100 Prozent von …?)
ier hat uns auch der Bundesfinanzminister, der über
einen Schatten gesprungen ist, geholfen. Dafür bin ich
hm sehr dankbar.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
der FDP)
6652 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Oktober 2010
Dr. Christian Ruck
(A) )
)(B)
Meine Damen und Herren, unsere Fraktion hat in die-
ser Woche den Kongress „Klima und Energie – Techno-
logien für eine nachhaltige Zukunft“ veranstaltet. Dieser
Kongress hat mich beschwingt. Wir haben noch viele
Möglichkeiten. Aber wir brauchen auch noch viele
Technologiesprünge, um unsere ehrgeizigen Ziele zu er-
reichen.
Wir setzen der rot-grünen Kultur des Destruktivismus
eine ganz andere Haltung entgegen. Wir vertrauen auf
den Mut, auf den Einfallsreichtum und auf die Tatkraft
der deutschen Ingenieure und Naturwissenschaftler. Wir
setzen auf Innovation. So werden wir die ökonomische
und die ökologische Führerschaft Deutschlands in der
Welt ausbauen.
Vielen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege
Bernhard Schulte-Drüggelte für die CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
neten der FDP)
Bernhard Schulte-Drüggelte (CDU/CSU):
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-
legen! Wir beraten heute über das Energiekonzept der
Bundesregierung. Die fünf Gesetzentwürfe beraten wir
zum ersten Mal. Es geht um den Energiemix der Zu-
kunft, um eine zuverlässige, wirtschaftliche und umwelt-
verträgliche Energieversorgung. Wir haben heute erlebt
– wie auch in den letzten Tagen und Wochen –, dass na-
türlich kontrovers, hitzig und aufgeregt diskutiert wird;
das ist völlig selbstverständlich. Aber, werte Kollegin
Höhn, es wäre schön, wenn man zumindest in der Nähe
der Wahrheit bliebe.
(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
Das sind wir geblieben! Ich habe vor allem Zi-
tate gebracht!)
Ich bin der Meinung, dass die Probleme möglichst sach-
lich debattiert werden sollten und dass man sich am
Wohl der Allgemeinheit orientieren sollte. Zumindest
sollte man das versuchen.
Bei der Rede von Herrn Trittin vorhin ist mir aufge-
fallen: Wenn man sehr laut ist, wird das Argument nicht
besser. – Ich erinnere mich noch an Joschka Fischer. Er
hat einmal gesagt, wenn er schreien wolle, dann gehe er
ins Fußballstadion. Sie sollten sich vielleicht einmal ein
Beispiel daran nehmen.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
neten der FDP)
Die Bürgerinnen und Bürger und auch die Wirtschaft
haben einen Anspruch auf verlässliche Antworten für die
kommenden Jahre und auch für die nächsten Jahrzehnte.
(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Die kündigen Sie auf!)
W
m
t
s
w
m
z
v
d
D
l
d
f
g
s
d
d
s
K
s
n
g
s
b
u
i
e
–
H
S
d
d
m
–
S
e
ü
K
g
v
(C
(D
ir sollten verlässlich sein. Orientierung ist nötig. Ich
öchte in diesem Zusammenhang am Anfang der Bera-
ungen nur zwei Fragen stellen. Die erste Frage richtet
ich an die Menschen, die Energie einsparen sollen: Zu
elchen Investitionen können wir die Menschen er-
untern, und wie kann der Staat das unterstützen? Die
weite Frage richtet sich an die Wirtschaft: Welche In-
estitionen können wir der Wirtschaft zumuten, ohne
ass sie Betriebe und Arbeitsplätze ins Ausland verlegt?
as sind für mich die wichtigen Fragen, die die Grund-
age der Beratung sind.
Es geht um die Interessen verschiedener Branchen;
as haben wir gerade in einigen Beiträgen gehört. Aber
ür mich geht es nicht um Industrieinteressen. Für mich
eht es vielmehr um das wohlverstandene Interesse un-
eres Industrielandes. Ich finde, das ist ein Unterschied,
en man einmal herausstellen sollte.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
neten der FDP)
Der Bundestag wird jetzt öffentliche Anhörungen
urchführen. Dabei besteht für Wissenschaft und Wirt-
chaft die Möglichkeit, Argumente darzulegen. Herr
elber, die Beratungen fangen jetzt erst an, und die Ent-
cheidungen fallen später. Sie brauchen sich jetzt noch
icht zu entscheiden. Warten Sie die sachlichen Beratun-
en ab und treffen Sie erst dann die Entscheidung!
(Ulrich Kelber [SPD]: In der übernächsten Sit-
zungswoche!)
Ich finde eines ganz besonders wichtig, nämlich dass
ich die Abgeordneten ihrer öffentlichen Verantwortung
ewusst sind
(Marco Bülow [SPD]: Ja, genau!)
nd einigermaßen neutral bleiben, vielleicht auch eine
nnere Distanz haben und dann im Interesse des Landes
ntscheiden.
(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
Ja, das machen wir, aber Sie nicht! – Marco
Bülow [SPD]: Sie werden doch nicht einen
Punkt ändern!)
Das habe ich gerade gesagt; so sollte es sein. – Was
err Gysi vorhin gesagt hat – er ist jetzt nicht mehr hier;
prüche, und dann weg –, war nicht in Ordnung; denn
ie Vorgehensweise, die ich gerade aufgezeigt habe und
er auch Sie zustimmen, ist keine Schwächung der De-
okratie, sondern eine Stärkung der Demokratie.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
neten der FDP – Zurufe von der LINKEN:
Oje, oje!)
Das stimmt!
Die erneuerbaren Energien sollen eine tragende
äule der künftigen Energieversorgung werden. Das ist
in Ziel, das viele von uns haben. Wir streiten uns jetzt
ber den richtigen Weg; das ist selbstverständlich. Die
oalition will Wirtschaft und Umwelt zusammenbrin-
en. Versorgungssicherheit, Bezahlbarkeit und Umwelt-
erträglichkeit – das sind die Stichworte.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Oktober 2010 6653
Bernhard Schulte-Drüggelte
(A) )
)(B)
Herr Fuchs hat gerade schon gesagt: Wir wollen eine
ideologiefreie und technologieoffene, aber keine macht-
orientierte Energiepolitik. Das ist das Ziel.
(Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Ziel verfehlt!)
– Das ist das Ziel, Herr Kollege.
(Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Das Ziel ist aber verfehlt!)
Zu einer sachorientierten Problemlösung – lassen Sie
mich das noch sagen – gehört auch eine sachorientierte
Sprache. Das Schüren von Emotionen ist bestimmt nicht
immer hilfreich. Vor allem spricht das gegen eine ernst-
hafte Debatte, die bei diesem ernsten Thema nötig ist.
Ich habe den Eindruck, dass es Ihnen um Sprüche und
nicht um die Sache geht. Ich bin zwar für ein streitiges
Debattieren, aber dieses streitige Debattieren sollte im
Interesse der Zukunftsfähigkeit des Industrielandes
Deutschland sein.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen nun zunächst zu den unstrittigen Über-
weisungen. Es geht dabei um die Tagesordnungspunkte
25 b bis 25 d und 25 f sowie die Zusatzpunkte 8 bis 10
und 12. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorla-
gen auf den Drucksachen 17/3051, 17/3052, 17/3053,
17/3055, 17/3043, 17/3044, 17/3061 und 17/3049 an die
in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge-
schlagen. – Ich sehe, damit sind Sie einverstanden. Dann
sind diese Überweisungen so beschlossen.
Nun geht es um die Überweisungen, bei denen die Fe-
derführung strittig ist.
Tagesordnungspunkt 25 a. Der Antrag der Fraktionen
der CDU/CSU und FDP zum Energiekonzept der Bun-
desregierung auf Drucksache 17/3050 soll an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse überwiesen wer-
den. Die Federführung ist strittig. Die Fraktionen der
CDU/CSU und FDP wünschen Federführung beim Aus-
schuss für Wirtschaft und Technologie. Die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen wünscht Federführung beim
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher-
heit.
Wir stimmen nun zunächst über den Überweisungs-
vorschlag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ab, das
heißt Federführung beim Ausschuss für Umwelt, Natur-
schutz und Reaktorsicherheit. Wer stimmt für diesen
Überweisungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Ent-
haltungen? – Der Überweisungsvorschlag ist damit
mehrheitlich abgelehnt.
Nun stimmen wir über den Überweisungsvorschlag
der Fraktionen der CDU/CSU und FDP ab, das heißt Fe-
derführung beim Ausschuss für Wirtschaft und Techno-
logie. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? –
Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Dieser Überwei-
s
t
g
d
s
a
g
i
F
D
G
s
n
F
E
a
d
d
s
E
g
h
D
e
L
s
ü
t
s
B
R
s
F
d
E
a
d
F
s
h
d
a
f
(C
(D
ungsvorschlag ist mit den Stimmen der Koalitionsfrak-
ionen bei Gegenstimmen der Oppositionsfraktionen an-
enommen.
Tagesordnungspunkt 25 e. Hier wird interfraktionell
ie Überweisung des Entwurfs eines Kernbrennstoff-
teuergesetzes der Fraktionen der CDU/CSU und FDP
uf Drucksache 17/3054 an die in der Tagesordnung auf-
eführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Federführung
st ebenfalls strittig. Die Fraktionen der CDU/CSU und
DP wünschen Federführung beim Haushaltsausschuss.
ie Fraktionen der SPD, Die Linke und Bündnis 90/Die
rünen wünschen Federführung beim Finanzausschuss.
Auch hier stimmen wir zunächst einmal über den Vor-
chlag der Fraktionen der SPD, Die Linke und Bünd-
is 90/Die Grünen ab, das heißt Federführung beim
inanzausschuss. Wer stimmt dafür? – Wer ist dagegen? –
nthaltungen? – Dann ist dieser Überweisungsvorschlag
bgelehnt.
Nun stimmen wir über den Überweisungsvorschlag
er Fraktionen der CDU/CSU und FDP ab, das heißt Fe-
erführung beim Haushaltsausschuss. Wer stimmt für die-
en Überweisungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? –
nthaltungen? – Dieser Überweisungsvorschlag ist an-
enommen, das heißt die Federführung liegt beim Haus-
altsausschuss.
Zusatzpunkt 11. Der Antrag der Fraktion Bündnis 90/
ie Grünen zur Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit
ines Gesetzgebungsverfahrens zur Verlängerung der
aufzeiten von Atomkraftwerken auf Drucksache 17/3083
oll an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse
berwiesen werden. Auch hier ist die Federführung strit-
ig. Die Fraktionen der CDU/CSU, FDP und SPD wün-
chen Federführung beim Innenausschuss. Die Fraktion
ündnis 90/Die Grünen wünscht Federführung beim
echtsausschuss.
Wir stimmen zunächst über den Überweisungsvor-
chlag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ab, das heißt
ederführung beim Rechtsausschuss. Wer stimmt für
iesen Überweisungsvorschlag? – Wer ist dagegen? –
nthaltungen? – Dann ist dieser Überweisungsvorschlag
bgelehnt.
Nun stimmen wir über den Überweisungsvorschlag
er Fraktionen der CDU/CSU, FDP und SPD ab, das heißt
ederführung beim Innenausschuss. Wer stimmt für die-
en Überweisungsvorschlag? – Wer ist dagegen? – Ent-
altungen? – Dann ist dieser Überweisungsvorschlag mit
en Stimmen der Fraktionen, die diese Federführung
uch beantragt haben, angenommen, das heißt die Feder-
ührung liegt beim Innenausschuss.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 26 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Klaus
Ernst, Matthias W. Birkwald, Heidrun Dittrich,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
Rente ab 67 vollständig zurücknehmen
– Drucksache 17/2935 –
6654 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Oktober 2010
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
(A) )
)(B)
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. – Ich
sehe, damit sind Sie einverstanden. Dann können wir so
verfahren. Wenn die Gespräche der Kolleginnen und
Kollegen außerhalb des Plenarsaals durchgeführt werden
und wir die volle Konzentration auf die Redner dieser
Debatte haben, dann kann ich die Aussprache eröffnen.
Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat das
Wort der Kollege Klaus Ernst für die Fraktion Die
Linke.
(Beifall bei der LINKEN)
Klaus Ernst (DIE LINKE):
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Präsi-
dentin! Wir legen Ihnen heute einen Antrag vor, mit dem
wir das Ansinnen, das Renteneintrittsalter deutlich zu er-
höhen, ablehnen wollen. Sie argumentieren, dass es auf-
grund der demografischen Entwicklung notwendig sei,
dass man zukünftig erst mit 67 in Rente gehen kann. Sie
sagen: Weil die Menschen länger leben, verlängert sich
die Zeit, in der sie Rente beziehen. Das ist nicht finan-
zierbar, und weil es nicht finanzierbar ist, müssen die
Menschen länger arbeiten, um die Rentenbezugszeiten
wieder zu verkürzen. Das greift zu kurz. Wir leugnen
nicht, dass es demografische Veränderungen gibt. Aber
wir glauben nicht, dass es deshalb notwendig wäre, län-
ger zu arbeiten. Ich möchte Ihnen einige Gründe vortra-
gen, warum wir das weder für sinnvoll noch für notwen-
dig halten.
Wir wissen, dass das Bruttoinlandsprodukt jährlich
in einer Größenordnung von etwa 1,5 Prozent wächst.
Das bedeutet, dass wir im Jahre 2030 ein deutlich höhe-
res Bruttoinlandsprodukt haben als heute. Ferner wissen
wir, dass gleichzeitig die Zahl der Menschen, die im Jahr
2030 in der Bundesrepublik Deutschland leben werden
– das sagen uns alle Demografen –, sinken wird. Es wer-
den deutlich weniger sein, als es heute sind.
Was haben wir dann für einen Zustand? Wir haben
den Zustand, dass der Kuchen, der zu verteilen ist, deut-
lich größer geworden ist. Im Jahr 2030 wird er rund
30 Prozent größer sein, es werden sich aber deutlich we-
niger Menschen diesen Kuchen teilen müssen. Wenn ich
den Dreisatz heranziehe, den man auf der Volksschule
Sauerland lernt, dann weiß ich, dass die einzelnen Ku-
chenstücke – wenn der Kuchen größer wird und weniger
Leute ihn sich teilen müssen – nicht kleiner, sondern
größer werden. Das Problem ist, dass Sie diesen Tatbe-
stand permanent leugnen.
(Beifall bei der LINKEN – Dr. Heinrich L.
Kolb [FDP]: Das scheint mir eher die Baum-
schule Sauerland zu sein als die Volksschule
Sauerland!)
– Das hat mit Baumschule nichts zu tun, sondern es hat
etwas damit zu tun, dass Sie das Argument benutzen, um
d
K
s
n
K
J
B
R
I
t
r
g
R
a
a
t
K
s
M
s
i
H
l
n
k
d
v
g
g
t
t
M
ß
s
d
r
S
k
b
e
g
6
h
n
B
g
u
A
t
2
2
v
s
(C
(D
ie Menschen hinter die Fichte zu führen – wie die
anzlerin immer so schön sagt –, indem Sie so tun, als
ei das ein demografisches Problem. Das ist es aber
icht.
Warum gibt es aber trotzdem ein Problem, wenn der
uchen größer wird und damit auch die Kuchenstücke?
emand klaut uns den halben Kuchen, bevor er an die
ürgerinnen und Bürger und an die Rentnerinnen und
entner verteilt wird. Diesen Kuchenklau betreiben Sie.
(Beifall bei der LINKEN)
ch sage Ihnen auch, in welcher Weise Sie das tun. Sie
un das dadurch, indem Sie beispielsweise die Einfüh-
ung des Mindestlohns verweigern. Durch die Verwei-
erung des Mindestlohns fehlen Einzahlungen in die
entenkassen. Sie verweigern es dadurch, dass Sie Leih-
rbeit in der derzeit geltenden Form zulassen, weil Leih-
rbeiter deutlich weniger verdienen als Vollzeitbeschäf-
igte in einem normalen Arbeitsverhältnis. Auch dies ist
uchenklau: Wir wissen, dass 40 Prozent der neu abge-
chlossenen Arbeitsverhältnisse insbesondere bei jungen
enschen nur noch als befristete Verhältnisse abge-
chlossen werden, weshalb auch die Bezahlung niedriger
st. Wir wissen auch, dass die Menschen durch die
artz-Gesetze so viel Angst vor einem Arbeitsplatzver-
ust haben, dass sie bereit sind, Lohnsenkungen hinzu-
ehmen.
Es ist Fakt, dass wir in der Bundesrepublik eine sin-
ende Lohnquote zu verzeichnen haben; das werden Sie
och wohl nicht leugnen wollen. Wenn Sie die Löhne
on der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, von dem
rößer werdenden Kuchen abkoppeln, dann ist es lo-
isch, dass wir Probleme bei der Finanzierung der Ren-
enkasse haben. Das hat aber nichts mit Demografie zu
un, sondern schlichtweg mit der Tatsache, dass Sie den
enschen, insbesondere auch den Rentnern, einen gro-
en Teil dessen vorenthalten, was in diesem Land erwirt-
chaftet wird. Das ist eine Tatsache.
(Beifall bei der LINKEN)
Frauen sind davon besonders betroffen. Wir wissen,
ass die geringeren Löhne von Frauen später zu geringe-
en Rentenleistungen führen werden. Auch dazu haben
ie mit Ihrem Vorschlag, die Rente ab 67 einzuführen,
einen vernünftigen Beitrag geleistet.
Ein anderes Argument betrifft die Frage, ob der Ar-
eitsmarkt und die Beschäftigungssituation insgesamt
s hergeben, die Menschen länger arbeiten zu lassen. Da
enügt ein Blick auf die Realität. Nur 9,9 Prozent der
4-Jährigen, also derjenigen, die bis 67 arbeiten sollten,
aben eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung,
ur 6,4 Prozent arbeiten Vollzeit. Das sind Zahlen der
undesregierung. Wenn man sich die einzelnen Berufs-
ruppen anschaut, dann stellt man fest: Von den Malern
nd Lackierern sind es gerade einmal 2,9 Prozent, die im
lter von 64 Jahren noch eine sozialversicherungspflich-
ige Beschäftigung haben, von den Mechanikern sind es
,8 Prozent, im Bau- und Raumausstattergewerbe sind es
,7 Prozent, von den Bäckern sind es 2,0 Prozent und
on den Dachdeckern, Gerüstbauern und Zimmerern
ind es 1,6 Prozent. Denen, deren Beschäftigungsquote
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Oktober 2010 6655
Klaus Ernst
(A) )
)(B)
im Alter von 64 Jahren – es geht um die sozialversiche-
rungspflichtige Beschäftigung – nur 1,6 Prozent beträgt,
sagen Sie, sie sollten bis 67 arbeiten. Wissen Sie was?
Diese Leute halten Sie schlichtweg für verrückt. Diese
Rechnung geht einfach nicht auf.
(Beifall bei der LINKEN)
Wenn also insgesamt 90 Prozent außen vor sind, dann
gibt die Arbeitsmarktsituation einen späteren Rentenein-
tritt schlichtweg nicht her. Die höchste Arbeitslosen-
quote bei den 55- bis unter 65-Jährigen haben wir in
Ostdeutschland mit 13 Prozent. Wenn man sich den An-
teil der Älteren an den Erwerbslosen ansieht, dann stellt
man fest, dass wir seit 2004 eine kontinuierliche Steige-
rung des Anteils der Älteren an den Erwerbslosen insge-
samt haben. Und dann sagen Sie, dass die Arbeitsmarkt-
situation es erlaubt, dass die Menschen länger arbeiten.
36 Prozent der Betriebe beschäftigen keinen einzigen
Menschen über 50. Nur 11,7 Prozent der neu Eingestell-
ten sind über 50 Jahre alt. Gleichzeitig kürzen Sie noch
die Mittel für die aktive Arbeitsmarktpolitik, die diese
Situation vielleicht ändern könnte.
An Ihren Aussagen wird deutlich, dass Sie es über-
haupt nicht darauf anlegen, das zu tun, was im Gesetz
mit Ihrer Zustimmung beschlossen wurde, nämlich im
Jahr 2010 zu prüfen, ob die Arbeitsmarktsituation über-
haupt ein späteres Renteneintrittsalter ermöglicht. Sie
nehmen diese Prüfung überhaupt nicht ernst. Frau von
der Leyen, ich zitiere Sie aus dem Focus vom
17. Mai 2010:
Es hat enorme Kraft gekostet, die Rente mit 67 fest-
zuschreiben. Wenn wir keine griechischen Verhält-
nisse wollen, müssen wir länger arbeiten. Wir leben
auch länger.
Sie bringen kein einziges Argument bezüglich der Be-
schäftigungssituation in der Realität.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
Herr Brauksiepe sagt es noch deutlicher. Er ist ein
ganz Ehrlicher. Er sagte über die Rente mit 67:
Es wird dabei bleiben, egal wie die Beschäftigung
Älterer aussieht.
So veräppeln Sie die Leute im Land.
(Beifall bei der LINKEN)
Sie tun so, als würden Sie tatsächlich darüber nachden-
ken; in Wirklichkeit haben Sie die Entscheidung aber
längst gefällt.
Es wird immer angeführt, die Situation in den Be-
trieben werde sich verbessern. Im Jahr 2009 haben nur
44 Prozent aller Betriebe überhaupt Weiterbildung be-
trieben, und zwar für die gesamte Belegschaft. Wir wis-
sen auch, dass Weiterbildung in den Betrieben in der Re-
gel für die Höherqualifizierten angeboten wird und
weniger für die, für die die Rente mit 67 unmöglich ist.
Also hält auch das Argument der Weiterbildung einer
Überprüfung nicht stand.
In Wirklichkeit führt die Rente ab 67 für 90 Prozent
der Beschäftigten zu höheren Abschlägen. Sie wissen
d
i
b
D
z
h
H
a
t
s
h
d
s
p
D
d
n
u
d
l
s
g
r
V
g
g
z
e
f
M
h
m
g
i
n
t
w
B
z
d
k
ü
m
e
l
e
t
(C
(D
as. Der Abschlag beträgt 7,2 Prozent für alle, die schon
m Alter von 64 Jahren keinen Job mehr haben und dann
is 67 arbeiten müssten. Das ist offensichtlich gewollt.
ie Rente ab 67 ist nichts anderes als ein Rentenkür-
ungsprogramm. Das ist das, was Sie den Menschen
ierzulande zumuten.
(Beifall bei der LINKEN – Dr. Dagmar Enkelmann
[DIE LINKE]: Rentenklau!)
Ich möchte auf eine Größenordnung hinweisen. Die
öhe der Abschläge hat von 2000 bis 2008 von 35 Euro
uf durchschnittlich 115 Euro zugenommen. Das bedeu-
et, dass wir bei einem durchschnittlichen Rentenan-
pruch von 848 Euro noch einmal 115 Euro abzuziehen
aben. Sie treiben mit der Rente ab 67 die Menschen in
ie Grundsicherung im Alter. Das ist es, was Sie offen-
ichtlich vorhaben. Sie wollen die gesetzliche Rente ka-
uttschießen, um die privaten Versicherungen zu stützen.
as ist Ihr Konzept.
(Beifall bei der LINKEN)
Ein weiteres Argument, das Sie immer anführen, ist
as der Generationengerechtigkeit. Wir wissen, dass
ur um 0,5 Prozent höhere Beiträge notwendig wären,
m auf die Rente ab 67 zu verzichten; 0,25 Prozent für
en Arbeitnehmer.
Ich kenne keinen, der wegen 0,25 Prozent zwei Jahre
änger arbeiten möchte. 0,25 Prozent sind beim Durch-
chnittsverdiener 7 Euro. Wegen 7 Euro zwei Jahre län-
er arbeiten zu lassen, das ist dann Ihre Generationenge-
echtigkeit. Ich sage Ihnen: Sie treffen mit diesem
orschlag Jung und Alt gleichermaßen. Die Jungen krie-
en weniger Geld, kriegen weniger Rente und sollen län-
er arbeiten. Den Alten muten Sie zu, in den Betrieben
u bleiben, bis sie umfallen. Vielleicht löst sich dann das
ine oder andere Rentenproblem biologisch. Das ist of-
ensichtlich das, worauf es hinausläuft.
(Beifall bei der LINKEN – Max Straubinger
[CDU/CSU]: Ach Gott, oh Gott! So etwas
Dummes!)
eine Damen und Herren, ich halte diese Politik, die Sie
ier betreiben, für absolut unzumutbar. Deswegen
öchte ich auch noch einmal auf unsere Vorschläge ein-
ehen; dies ist nötig.
Die Rente mit 67 gehört sofort zurückgenommen. Es
st auch keine Lösung – das muss ich meinen Kollegin-
en und Kollegen der SPD sagen –, zu sagen: Dann war-
en wir mal bis 2015, aber 2029 wird sie dennoch voll
irken. Ihr Vorschlag, dass die Rente mit 67 bei einer
eschäftigungsquote der 60- bis 65-Jährigen von 50 Pro-
ent eingeführt werden soll, bedeutet dann immer noch,
ass die Hälfte der Betroffenen nur eine Rentenkürzung
riegt. Das kann doch nicht eure Lösung sein. Deshalb
berdenken Sie diesen Vorschlag bitte noch einmal, da-
it wir da zurande kommen.
Ein weiterer Punkt ist: Wir brauchen natürlich sofort
ine Stabilisierung der Löhne, unter anderem den gesetz-
ichen Mindestlohn, und wir brauchen vor allen Dingen
ine andere Rentenformel. Wir brauchen eine Erwerbs-
ätigenversicherung, in die alle einzahlen und in der alle
6656 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Oktober 2010
Klaus Ernst
(A) )
)(B)
gleich behandelt werden – auch die Beamten, auch die
Selbstständigen und auch wir als Mitglieder des Deut-
schen Bundestages.
(Beifall bei der LINKEN – Matthias W.
Birkwald [DIE LINKE]: Und die Ministerin-
nen und Minister!)
Es ist nicht akzeptabel, dass hier den Menschen dau-
ernd eine Kürzung der Renten – auch mit der Rente ab 67 –
verordnet wird, während gleichzeitig die Abgeordneten
des Bundestages so tun, als würde es sie überhaupt
nichts angehen. Es geht sie auch tatsächlich nichts an,
weil sie sich selber eine höhere Rente genehmigen. Das
ist aus meiner Sicht nicht akzeptabel. Es muss bei der
Rente ab 65 bleiben, und es muss für bestimmte Berufs-
gruppen eine Möglichkeit zum vorzeitigen Ausstieg ge-
ben.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der LINKEN)
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Nächster Redner ist der Kollege Peter Weiß für die
CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU):
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-
gen! Für diejenigen in unserem Land, die in den nächs-
ten 10, 20 Jahren in Rente gehen können, also die Senio-
rinnen und Senioren der Zukunft, gibt es eine wirklich
gute Nachricht. Diese Nachricht ist, dass die Lebenser-
wartung, dass die Lebenszeit, die wir beim Renteneintritt
vor uns haben, in den kommenden Jahrzehnten noch ein-
mal deutlich ansteigen, wir also einen echten Gewinn an
Lebenszeit und Lebensqualität haben werden, und dass
sich damit auch die Zeit, in der wir aufgrund einer le-
benslangen Arbeitsleistung Rente beziehen, noch einmal
deutlich ausweiten wird.
Ich finde, diejenigen, die diesen erfreulichen Zuge-
winn an Rentenleistung, an Lebensqualität, an Lebens-
zeit haben werden, dürfen sich auch mit einem Stück-
chen Solidarität für diesen Zugewinn bedanken. Die
Antwort auf die Frage, ob wir in den kommenden Jahren
und Jahrzehnten eine Veränderung an der Regelalters-
grenze in der gesetzlichen Rentenversicherung vorneh-
men, richtet sich zuallererst danach, ob das Solidaritäts-
prinzip in der Sozialversicherung in unserem Land noch
funktioniert.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Damit komme ich sehr bewusst – dies auch aufgrund
meiner Vorbildung – zu der christlichen Soziallehre, zu
der als wichtiges Prinzip das Solidaritätsprinzip gehört.
Aber ich habe gelernt, dass auch bei der Linken, bei den
Sozialisten, Solidarität ein hoher Wert sei.
(Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Kampfbe-
griff! – Max Straubinger [CDU/CSU]: Aber
nur innerhalb der Partei! – Dr. Diether Dehm
[DIE LINKE]: Norbert Blüm!)
D
i
B
b
l
n
d
ü
S
w
d
–
d
d
d
e
c
s
E
D
H
u
w
m
d
s
s
l
a
E
d
w
l
w
E
E
2
g
l
h
m
m
(C
(D
eswegen muss ich Ihnen Folgendes sagen: Solidarität
st keine Einbahnstraße. Wenn sich diejenigen, die an der
ezugsdauer von Rente, an Lebensjahren und an Le-
ensqualität etwas hinzugewinnen, zu Recht auf die So-
idarität der Jungen, die dafür bezahlen, verlassen kön-
en, dann kann es umgekehrt nicht verkehrt sein, dass
ie Älteren auch ein Stück Solidarität mit den Jungen
ben und ihnen dieses Bezahlen ein bisschen erleichtern.
olidarität ist keine Einbahnstraße. Deswegen ist das,
as die Linke hier vorführt, der Todesstoß für das Soli-
aritätsprinzip in unserem Land.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Das ist
Norbert Blüm, was wir sagen! Christliche So-
ziallehre! – Gegenruf des Abg. Dr. Wolfgang
Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Norbert Blüm als Kronzeuge!)
Norbert Blüm war ein Bundesarbeitsminister, der in
er Tradition der christlichen Soziallehre und des Soli-
aritätsprinzips stand und deswegen dafür gesorgt hat,
ass die gesetzliche Rentenversicherung in Deutschland
in stabiles System der Altersvorsorge ist und bleibt.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Der Kollege Ernst, der offensichtlich ein fleißiger Bä-
ker ist, hat versucht, das Ganze mit dem Kuchenbei-
piel etwas anders darzustellen.
(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Ein
gutes Beispiel!)
r hat allerdings etwas Entscheidendes verschwiegen:
er Kuchen der Zukunft wird anders aufgeteilt als heute.
(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Das stimmt!)
eute teilen sich diesen Kuchen sehr viele Erwerbstätige
nd wenige Rentnerinnen und Rentner. In der Zukunft
erden sich immer weniger Erwerbstätige den Kuchen
it Rentnerinnen und Rentnern teilen. Schon das zeigt,
ass sein Kuchenbeispiel nicht stimmt. Wer Kuchen
tiehlt, fährt eben Porsche, Herr Ernst.
(Beifall bei der CDU/CSU – Klaus Ernst [DIE
LINKE]: Die höchste Form der Intelligenz!)
Richtig ist: Wenn überhaupt eine Chance bestehen
oll, dass ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
änger arbeiten, als das heute der Fall ist, dann muss es
uch die entsprechenden Arbeitsplätze dafür geben. Die
rfahrung der vergangenen 10 bis 20 Jahre war, dass es
iese Arbeitsplätze nicht in genügender Zahl gab. Des-
egen ist die Erwerbstätigenquote Älterer in Deutsch-
and immer weiter gesunken. Vorruhestandsmodelle
urden modern, durch die dafür gesorgt wird, dass die
rwerbsquote Älterer so niedrig ist, wie sie ist.
In den kommenden 10 bis 20 Jahren wird sich diese
ntwicklung allerdings ins Gegenteil verkehren. Im Jahr
029 – das ist das Jahr, in dem die neue Regelalters-
renze 67 in Kraft treten soll – werden wir in Deutsch-
and fast 8 Millionen Erwerbstätige weniger als heute
aben. Schon heute wird uns ein massiver Fachkräfte-
angel vorausgesagt. Angesichts dieser Situation kann
an eben nicht bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag warten.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Oktober 2010 6657
Peter Weiß (Emmendingen)
(A) )
)(B)
Vielmehr muss man jetzt handeln; denn die notwendige
Anzahl an Arbeitsplätzen ist in den kommenden Jahren
erkennbar vorhanden. Wenn wir nicht handeln, werden
wir den Fachkräftemangel in Deutschland massiv erhö-
hen.
Zu Recht fordern die Wählerinnen und Wähler, un-
sere Mitbürgerinnen und Mitbürger von uns, den Politi-
kern, immer, ihnen die Wahrheit zu sagen. Die Wahrheit
ist: 2029 gibt es 8 Millionen Erwerbstätige weniger als
heute. Wir haben einen dringenden Bedarf, dass Men-
schen länger arbeiten. Es gibt die Chance, das zu ge-
währleisten, und diese Chance sollten wir auch nutzen.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
neten der FDP)
Jetzt kann man sich natürlich fragen: Wie macht man
das?
(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Das ist die entscheidende Frage!)
SPD und Linke haben den Vorschlag gemacht, abzuwar-
ten.
(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Was?)
Man will schauen, wie sich die Erwerbstätigkeit Älterer
entwickelt, und irgendwann später möchte man handeln.
(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das ist
nicht unser Vorschlag! – Dr. Dagmar
Enkelmann [DIE LINKE]: Wir warten nicht
ab!)
– Doch. Sie wollen abwarten.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Birkwald?
Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU):
Bitte.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Herr Kollege Birkwald, bitte.
Matthias W. Birkwald (DIE LINKE):
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Kollege Weiß,
ich habe zwei Fragen an Sie.
Bundeskanzlerin Merkel hat in ihrer Regierungserklä-
rung vom 30. November 2005 gesagt – ich zitiere –:
Wenn wir es nicht schaffen, dass auch die Älteren
wieder die Chance haben, länger arbeiten zu kön-
nen, dann werden wir in der Gesellschaft kein Ver-
ständnis dafür erhalten, dass wir die Lebensarbeits-
zeit insgesamt verlängern. Beides muss Hand in
Hand gehen. Alles andere wird keine Akzeptanz
finden.
(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Es geht doch
voran!)
Vor diesem Hintergrund bitte ich Sie erstens, zu be-
werten, was es dann bedeutet, dass im Jahr 1999
2
a
e
k
h
k
E
d
G
s
M
R
n
r
d
h
A
a
t
s
L
e
e
m
g
h
T
h
n
d
b
v
A
e
W
(C
(D
9,6 Prozent derjenigen, die neu in Rente gegangen sind,
us versicherungspflichtiger Beschäftigung kamen und
s dann mit mehr oder weniger kontinuierlichem Absin-
en im Jahr 2008 nur noch 17,8 Prozent waren. Dazu
ätte ich gern eine Antwort von Ihnen.
(Beifall bei der LINKEN)
Zweitens möchte ich Sie fragen, wie Sie auf die Idee
ommen können, dass das Kuchenbeispiel, das Klaus
rnst vorgetragen hat, falsch sei. Die Kuchenstücke wer-
en natürlich größer, wenn es weniger Menschen in der
esamtgesellschaft gibt. Das ist jetzt nicht irgendwoher,
ondern das können Sie gern nachlesen: „Rente mit 67“,
onitoring-Bericht des Netzwerks für eine gerechte
ente. Darin sind die Zahlen enthalten.
Im Jahr 1970 gab es einen Anteil der Erwerbsperso-
en an der Bevölkerung, der im Jahr 2060 wieder er-
eicht werden wird. Warum das in der Zwischenzeit, in
er wir im Verhältnis deutlich mehr Erwerbspersonen
aben, ein Problem sein soll, erschließt sich mir nicht.
uch darauf hätte ich gerne eine Antwort.
(Beifall bei der LINKEN – Dr. Dagmar
Enkelmann [DIE LINKE]: Einfache Mathe-
matik!)
Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU):
Es ist alles einfache Mathematik. Sie sollten aber bitte
uch die Variablen im Spiel benennen.
(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Das
ist Politik!)
Erster Punkt. Machen wir ein kleines Beispiel. Heute
rifft sich eine Großfamilie mit zehn Personen. Davon
ind drei Personen in Rente und sieben Personen junge
eute, die voll und ganz im Erwerbsleben stehen, Steu-
rn und Sozialversicherungsbeiträge zahlen. Diese Leute
ssen zusammen den Kuchen. Drei Stückchen bekom-
en die Senioren, sieben Stückchen bekommen die jun-
en Leute, die arbeiten gehen und den Kuchen bezahlt
aben.
(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Toll!)
In 20 Jahren treffen wir keine zehn Personen mehr am
isch, sondern nur noch sechs. Von denen, die da sitzen,
at natürlich jeder mehr Kuchen zur Verfügung.
(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Eben! –
Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Er hat
es verstanden!)
Jetzt kommt aber der große Unterschied. Drei von ih-
en sind in Rente, und drei gehen arbeiten und haben
en Kuchen bezahlt. Diesen Punkt haben Sie nicht mit
erechnet. Deswegen ist Ihre Rechnung falsch.
(Zuruf von der FDP: Deswegen können die
sich nicht mehr so oft Kuchen leisten!)
Zweiter Punkt. Dass in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit
iele nicht aus dem Erwerbsleben heraus, sondern aus
rbeitslosigkeit heraus in Rente gehen, ist richtig. Die
ntscheidende Frage, die Sie aber völlig ausblenden, ist:
as bringt die Zukunft?
6658 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Oktober 2010
Peter Weiß (Emmendingen)
(A) )
)(B)
Am vergangenen Montag haben auch Sie an der
Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Soziales teil-
genommen. Herr Dr. Walwei vom Institut für Arbeits-
markt- und Berufsforschung hat uns Folgendes vorgetra-
gen – ich zitiere –:
Die Beschäftigungsquoten haben in den letzten
zehn Jahren enorm zugelegt.
(Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]
nimmt wieder Platz)
– Ich beantworte Ihnen Ihre Frage. Sie haben zwei Fra-
gen gestellt. Jetzt bekommen Sie auch zwei Antworten.
(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Sie ant-
worten nicht!)
– Doch. – Frau Präsidentin.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Ich habe die Uhr noch nicht weitergestellt.
Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU):
Gut.
Das gilt im Grunde für alle Altersgruppen, 50- bis
54-, 55- bis 59-, 60- bis 64-Jährige, bei der letzten
Gruppe am allerstärksten. Auch die Erwerbsnei-
gung der Älteren hat kontinuierlich zugenommen.
Herr Birkwald, deswegen ist es richtig, was ich hier
vorgetragen habe. Wir haben schon heute einen Anstieg
der Beschäftigungsquote Älterer. Diese Beschäftigungs-
quote Älterer werden wir in den nächsten Jahrzehnten
noch einmal deutlich steigern, auch steigern können,
weil nicht genügend jüngere Arbeitskräfte in den Ar-
beitsmarkt nachkommen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Toll! Bravo! –
Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Das
war zu einfach!)
Es ist die Frage gestellt worden, was man als Rente
ausbezahlt bekommt. Es ist – wie es oft in Rentendebat-
ten geschieht – das Lied von der sinkenden Rente und
der Zerstörung des gesetzlichen Rentensystems gesun-
gen worden. Die Anhebung der Altersgrenze in der ge-
setzlichen Rentenversicherung und damit die Möglich-
keit, zwei Jahre zusätzlich etwas für seine Rente
anzusparen,
(Dr. Ilja Seifert [DIE LINKE]: Das ist eine
Unverschämtheit!)
führt aufgrund des in der Rentenformel enthaltenen
Nachhaltigkeitsfaktors dazu, dass die Möglichkeiten für
Rentensteigerungen in den kommenden Jahren nicht ab-
nehmen, sondern zunehmen. Deshalb ist in Wahrheit die
Anhebung der Regelaltersgrenze für die gesetzliche
Rentenversicherung keine Zerstörung, sondern eine Sta-
bilisierung und schafft die Möglichkeit, dass auch künf-
tigen Rentnerinnen und Rentnern wieder Rentenerhö-
hungen zugutekommen. Das ist, wie ich finde, eine
positive Nachricht für künftige Seniorinnen und Senio-
ren in unserem Land.
G
R
g
k
ü
S
m
S
U
v
A
W
J
D
d
a
e
l
d
p
S
s
d
z
I
m
t
2
A
E
i
I
s
1
d
i
b
w
d
A
d
r
t
d
s
A
m
s
M
(C
(D
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Nun stellt sich die Frage, wie man das umsetzt. Die
roße Koalition aus CDU/CSU und SPD hatte sich zu
echt dazu entschlossen, die Anhebung der Regelalters-
renze in kleinen Schritten vorzunehmen, um keinen der
ünftigen Jahrgänge von Seniorinnen und Senioren zu
berfordern. Genau das halte ich für den richtigen Weg.
olidarität verlangt, dass wir die notwendigen Maßnah-
en, die wir ergreifen müssen, auf möglichst viele
chultern gleichmäßig verteilen. Die Vorschläge, die
mstiegsphase der Erhöhung des Renteneintrittsalters
on 65 auf 67 Jahre zu verkürzen oder die Erhöhung der
ltersgrenze auf einen Schlag einzuführen, würden in
ahrheit eine massive Ungerechtigkeit gegenüber den
ahrgängen mit sich bringen, die es dann treffen würde.
eshalb noch einmal ein klares Bekenntnis: Wir wollen
as, was auf uns zukommt, solidarisch
(Elke Ferner [SPD]: Solidarisch?)
uf möglichst viele Schultern verteilen. Deswegen dau-
rt die Umstiegsphase von 2012 bis 2029. Mir persön-
ich wäre es ehrlich gesagt sogar lieber gewesen, wenn
iese Phase noch länger dauerte, aber diese Umstiegs-
hase zu verkürzen – das wird ja insbesondere von der
PD vorgeschlagen –, würde zur Entsolidarisierung un-
erer Gesellschaft führen, also dem Gegenteil von Soli-
arität.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Jahres-
ahlen 2012 und 2029 sind nicht willkürlich gegriffen.
m Jahr 2012 werden zum ersten Mal in Deutschland
ehr Mitbürgerinnen und Mitbürger ihren 65. Geburts-
ag feiern als Mitbürgerinnen und Mitbürger ihren
0. Geburtstag. Das Jahr 2012 ist das Jahr, in dem die
lterspyramide umkippt und die Zahl der Älteren, deren
rwerbsleben endet, höher liegt als die der Jüngeren, die
n das Erwerbsleben eintreten.
(Dr. Ilja Seifert [DIE LINKE]: Aber die Pro-
duktivität steigt trotzdem!)
m Jahr 2029 werden insgesamt 1,35 Millionen Men-
chen – der geburtenstärkste Jahrgang war der Jahrgang
964 – ins Rentenalter kommen. Ins Erwerbsleben treten
ann diejenigen ein, die letztes Jahr geboren wurden,
nsgesamt 351 000. Vor diesem Hintergrund wurden die
eiden Daten 2012 und 2029 ausgewählt. Diese Zahlen
urden nicht willkürlich gegriffen, sondern sie spiegeln
ie Lebenswirklichkeit in unserem Land hinsichtlich des
ltersaufbaus unserer Gesellschaft exakt wider.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, zu Recht wird
arauf hingewiesen – auch von der Frau Bundeskanzle-
in; vorhin wurde ja aus ihrer Regierungserklärung zi-
iert –, dass der Erfolg dieses Konzeptes entscheidend
avon abhängt, ob sich im Denken der Personalchefs un-
erer Betriebe grundlegend etwas ändert, sie also ältere
rbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer endlich wieder
ehr wertschätzen und ihnen eine Chance geben, und ob
ich auf dem Arbeitsmarkt bessere Chancen für ältere
itmenschen ergeben.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Oktober 2010 6659
Peter Weiß (Emmendingen)
(A) )
)(B)
(Zuruf von der LINKEN: Als Minijobber!)
Deswegen haben wir klugerweise in das Gesetz hinein-
geschrieben, dass die Bundesregierung darüber regelmä-
ßig einen Bericht zu erstatten hat.
(Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Na toll!)
Sie wird diesen Bericht erstmals im November dieses
Jahres vorlegen.
(Anton Schaaf [SPD]: Aber das Ergebnis ist
schon klar! – Elke Ferner [SPD]: Sie kennen
das Ergebnis jetzt schon!)
Deswegen schlage ich einfach einmal vor, dass wir,
verehrte Kolleginnen und Kollegen, bevor wir ständig ir-
gendwelche Schaufensterdebatten zu diesem Thema füh-
ren, erst einmal diesen von uns als Parlament selbst in
Auftrag gegebenen Bericht – wir als Parlament haben ja
beschlossen, dass die Regierung einen solchen Bericht
vorlegen soll – zur Kenntnis nehmen, die Zahlen gründ-
lich studieren und auswerten, um dann über notwendige
Konsequenzen miteinander zu beraten. Nicht irgendwel-
che Wolkenkuckucksheime, sondern die Ergebnisse von
Studien, wie die konkreten Chancen für ältere Menschen
auf dem Arbeitsmarkt aussehen, stellen die Leitlinie für
uns bei der Erhöhung der Regelaltersgrenze in der Ren-
tenversicherung dar. In diesem Bereich werden wir uns
auch in den kommenden Jahren entsprechend arbeits-
marktpolitisch anstrengen müssen. Wir haben die Chance
dazu, und diese Chance sollten wir auch ergreifen.
Vielen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Nächster Redner ist für die SPD-Fraktion der Kollege
Josip Juratovic.
(Beifall bei der SPD)
Josip Juratovic (SPD):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Wir debattieren heute erneut über
die Erhöhung des Renteneintrittsalters. Das ist mir auch
sehr wichtig; denn diese Diskussion wird in der gesam-
ten Gesellschaft geführt.
Wenn ich in meinem Wahlkreis Gespräche führe, ist
die Rente immer ein sehr emotionales Thema, und das
zu Recht; denn die Diskussion ist häufig von Halbwahr-
heiten und Populismus geprägt. Die Menschen in unse-
rem Land wollen aber eine ehrliche Debatte über die
Rente. Deshalb müssen wir uns an der Realität orientie-
ren:
Erstens. Immer weniger jüngere Menschen müssen
die Rente von immer mehr älteren Menschen bezahlen.
Zudem werden die Menschen in unserem Land zum
Glück immer älter und beziehen länger ihre Rente.
Zweitens. Viele Menschen in unserem Land können
nicht bis 67 arbeiten. Meine Frau ist Krankenschwester.
Sie und ihre Kolleginnen können unter den derzeitigen
Arbeitsbedingungen nicht bis 67 durchhalten.
S
k
a
v
h
a
z
f
b
s
D
d
I
n
l
d
w
s
K
U
d
e
d
b
w
e
d
l
t
e
d
a
K
o
V
R
g
k
F
S
t
(C
(D
(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Kassie-
rerinnen und viele andere auch nicht!)
Aus diesen Erkenntnissen müssen wir politische
chlüsse ziehen. Um unser Rentensystem finanzieren zu
önnen, brauchen wir Reformen. Somit kommen wir
uch an einer Erhöhung des Renteneintrittsalters nicht
orbei. Allerdings: Wenn wir das Renteneintrittsalter an-
eben, müssen wir unsere Arbeitswelt verändern.
In diesem Bewusstsein haben wir in der Großen Ko-
lition die Rente mit 67 beschlossen, und zwar bewusst
usammen mit einer im Gesetz verankerten Überprü-
ungsklausel. Demnach ist die Rente mit 67 nur umsetz-
ar, wenn die Voraussetzungen auf dem Arbeitsmarkt
timmen.
(Anton Schaaf [SPD]: So ist das!)
as ist und bleibt eine vernünftige Lösung, die sich an
er gesellschaftlichen Realität orientiert.
Meine Kolleginnen und Kollegen von der Linken, mit
hrer Forderung, die Rente mit 67 abzuschaffen, verken-
en Sie leider die Realität. Der demografische Wandel
ässt sich nicht so einfach wegdiskutieren, auch nicht mit
em von der SPD geforderten Mindestlohn und der Er-
erbstätigenversicherung. Das wissen Sie, und das wis-
en auch meine ehemaligen Kollegen am Fließband.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
ollegen Schlecht?
Josip Juratovic (SPD):
Nein. – Meine Kolleginnen und Kollegen von der
nion und von der FDP, auch Sie verschließen sich vor
er Realität. Sie halten stur an der Erhöhung des Renten-
intrittsalters fest, ohne Rücksicht auf die Situation auf
em Arbeitsmarkt. Aber die Arbeitswelt in den Betrie-
en ist in den letzten drei Jahren nicht altersgerechter ge-
orden. Die Arbeitswelt ist gekennzeichnet von einer
normen Leistungsverdichtung. Schonarbeitsplätze wur-
en wegrationalisiert, in vielen Betrieben liegt die Aus-
astung bei über 95 Prozent, Taktzeiten werden verdich-
et, Erholungszeiten werden verkürzt. Es existiert ein
normer psychischer Druck. Das Arbeitsklima ist durch
en Stress sehr belastet. Das bringt viele Arbeitnehmer
n den Rand ihrer Leistungsfähigkeit.
Unter diesen Umständen können meine ehemaligen
ollegen nicht bis 67, allerdings auch nicht bis 65 und
ft nicht einmal bis 60 arbeiten.
(Katja Mast [SPD]: Recht hat er!)
iele Arbeitnehmer gehen also nicht freiwillig früher in
ente, sondern können bei den derzeitigen Arbeitsbedin-
ungen einfach nicht mehr mithalten. Sie haben also
eine Chance, tatsächlich bis 67 zu arbeiten.
Kolleginnen und Kollegen von der Union und von der
DP, wenn Sie die Rente mit 67 ohne Rücksicht auf die
ituation auf dem Arbeitsmarkt umsetzen, ist dies fak-
isch eine Rentenkürzung.
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
6660 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Oktober 2010
Josip Juratovic
(A) )
)(B)
Deshalb müssen wir unsere Arbeitswelt altersgerechter
gestalten, damit die Menschen auch eine Chance haben,
tatsächlich länger arbeiten zu können.
(Karl Schiewerling [CDU/CSU]: Sehr richtig!)
Erstens brauchen wir gleitende Übergänge in die
Rente. Dazu gehören Gleitzeit, Urlaubsanspruch und
schrittweise Arbeitszeitreduzierung. Wir müssen die Al-
tersteilzeit weiterentwickeln und fördern und flexible al-
tersgerechte Arbeitszeiten einrichten. Wir brauchen eine
Teilrente, damit Arbeitnehmer ihre Arbeitszeit reduzie-
ren können, ohne einen enormen Einkommensverlust
hinnehmen zu müssen.
Zweitens müssen wir für eine angemessene Renten-
höhe sorgen. Die Rente muss armutsfest sein, um Alters-
armut zu verhindern. Dazu zählen Mindestentgeltpunkte,
besonders für Zeiten unverschuldeter Arbeitslosigkeit
und für geringe Einkommen. Hier müssen wir vor allem
an Geringverdiener denken, die keine Betriebsrente und
keine Riester-Rente erhalten.
Drittens brauchen wir neue Wege im präventiven Ge-
sundheitsschutz gemeinsam mit Arbeitgebern, Arbeit-
nehmern und Krankenkassen. Wir brauchen Weiterbil-
dung und Qualifizierung speziell für ältere Arbeitnehmer.
Dazu muss die von der SPD angestoßene Initiative
„50 plus“ ausgeweitet werden. Wir müssen uns Gedan-
ken machen über Schonarbeitsplätze, die eventuell auch
subventioniert werden müssen.
Wir müssen aber auch die Wirtschaft fordern. Die
Politik allein kann die Arbeitswelt nicht altersgerechter
gestalten. Dazu brauchen wir die Unternehmen. Sie müs-
sen sich verändern und können ihre Mitarbeiter nicht
mehr mit 60 Jahren in die Frühverrentung schicken.
In dieser Debatte hilft uns kein Populismus. Vernunft
kennt kein Ja oder Nein. Weder ist es vernünftig, die
Rente mit 67 abzuschaffen, wie es die Linke fordert,
noch ist es vernünftig, die Rente mit 67 ohne Rücksicht
auf den Arbeitsmarkt umzusetzen, wie Union und FDP es
planen. Deshalb sage ich: Vernünftig ist eine abwägende
Lösung, wie sie in der Überprüfungsklausel vorgesehen
ist. Erst wenn die Voraussetzungen auf dem Arbeitsmarkt
geschaffen sind, können wir das Renteneintrittsalter er-
höhen. Deshalb sollten wir die Erhöhung des Rentenein-
trittsalters verschieben und die Zeit zur altersgerechten
Gestaltung der Arbeitswelt nutzen. Das ist die ehrliche
und verständliche Ansage der SPD.
Meine Kollegen am Fließband und die Kolleginnen
meiner Frau im Krankenhaus müssen wissen: Die Politik
kümmert sich darum, dass jeder gesund in Rente gehen
und von dieser Rente anständig und in Würde leben
kann.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der SPD)
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Kollege
Schlecht.
b
b
D
d
6
B
t
i
N
J
s
w
d
g
h
s
w
s
F
s
s
d
l
d
H
n
d
l
Z
s
u
n
(C
(D
Michael Schlecht (DIE LINKE):
Es ist bedauerlich, dass Sie anscheinend das Kuchen-
eispiel des Kollegen Klaus Ernst nicht verstanden ha-
en.
(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Ihr
habt es nicht verstanden! Die Frage ist, wer
den Kuchen bezahlt! Das habt ihr immer noch
nicht kapiert!)
enn die Demografie ist nun wirklich kein Argument
afür, das Renteneintrittsalter zu erhöhen.
Ich will ein weiteres Beispiel anführen. In den 50er-,
0er-Jahren ist in der Tat eine Art demografischer
ombe explodiert. Im Jahre 1950 betrug der Altersquo-
ient noch sieben zu eins. Dieses Verhältnis hat sich bis
n die 60er-Jahre hinein auf vier zu eins verschlechtert.
ach Ihrer Logik hätte sich in diesen zehn, fünfzehn
ahren ein massiver Sozialabbau und eine massive Ver-
chlechterung der Rentensituation ergeben müssen. Wir
issen alle: Das Gegenteil ist der Fall. 1958 gab es
urch die große Rentenreform gewaltige Verbesserun-
en.
Das heißt, Veränderungen im Altersaufbau sind über-
aupt kein zwingender Grund dafür, in der Rente zu Ver-
chlechterungen zu kommen. Dass das jetzt so ist, ist
irklich bedauerlich. Ich sage ganz deutlich: Keiner
ehnt sich mehr als wir danach, dass die SPD in dieser
rage eine Kurskorrektur vornimmt und sich dadurch re-
ozialdemokratisiert. Davon ist bei der Rente außer die-
em einen Ansatz, dass Sie von der SPD die Einführung
er Rente mit 67 um vier Jahre hinausschieben wollen,
eider nichts zu spüren.
Danke schön.
(Beifall bei der LINKEN – Karl Schiewerling
[CDU/CSU]: Diese Argumentation führt dazu,
dass die solidarische Rente aufgegeben wird
und wir eine Staatsrente bekommen!)
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Wollen Sie erwidern? – Nein.
Dann hat der Kollege Dr. Heinrich Kolb das Wort für
ie FDP-Fraktion.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU)
Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
err Ernst, wenn Sie gestatten, würde ich zunächst ei-
ige Bemerkungen an die Adresse der SPD richten und
anach auf Ihren Antrag zu sprechen kommen. Hoffent-
ich reicht die Zeit; man kann die Redezeit ja immer mit
wischenfragen verlängern.
(Heiterkeit bei Abgeordneten der FDP und der
CDU/CSU)
Herr Juratovic, wir müssen heute noch einmal fest-
tellen: Die Rente mit 67 ist von einem SPD-Minister
mgesetzt worden, von Franz Müntefering, der dem Ver-
ehmen nach damals unter durchaus dramatischen Um-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Oktober 2010 6661
Dr. Heinrich L. Kolb
(A) )
)(B)
ständen die Kanzlerin zur Seite genommen hat und ihr
vermutlich gesagt hat: Hören Sie, das ist eine unabweis-
bare Notwendigkeit. – Er hat dann konsequenterweise
die Rente mit 67 ins Gesetz gebracht.
(Zuruf des Abg. Josip Juratovic [SPD])
Mit dieser Feststellung sollte man anfangen.
Dann wurde, vermutlich auf Druck Ihrer Fraktion,
eine Überprüfungsklausel in das Gesetz aufgenommen,
die Sie in Ihrem jüngsten Präsidiumsbeschluss zitieren.
Zuerst werden die Voraussetzungen für die Einführung
festgelegt. Im nächsten Absatz erklären Sie zu Recht,
dass der Prozentsatz der sozialversicherungspflichtig be-
schäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im
Alter von 60 bis 64 durchschnittlich von 10,7 Prozent im
Jahr 2000 auf 21,5 Prozent im Jahr 2009 gestiegen ist,
sich also mehr als verdoppelt hat. Sie fangen diesen Satz
mit dem Wort „Zwar“ an, um anschließend zu sagen, der
Anteil müsse noch steigen. Da bin ich absolut bei Ihnen:
Es ist, glaube ich, Konsens in diesem Hause, dass wir die
Erwerbsbeteiligung Älterer nachhaltig steigern wollen.
Herr Kollege Juratovic, liebe Kolleginnen und Kolle-
gen von der SPD, ich frage mich aber schon: Welche Er-
wartungen hatten Sie eigentlich damals im Jahr 2007, als
Sie die Rente mit 67 eingeführt haben? Wollten Sie
schon heute eine Erwerbsbeteiligung von 30 Prozent
oder 35 Prozent erreicht haben?
(Josip Juratovic [SPD]: 50 Prozent!)
Wir kommen hier in Ihrem Sinne – in dem Sinne, in dem
Franz Müntefering damals den Vorschlag gemacht hat –
deutlich voran. Sie zucken jetzt aber zurück und sagen:
Das reicht uns noch nicht; wir wollen abwarten und set-
zen es dann gegebenenfalls komprimiert in einem kürze-
ren Zeitraum um. – Das sind nach meinem Dafürhalten
Ausflüchte. Die Wahrheit ist nämlich: Sie wollen zu kei-
ner Ihrer früheren Reformen mehr stehen.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Ich finde das traurig.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Herr Kollege Kolb, gestatten Sie die Zwischenfrage
des Kollegen Birkwald?
Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
Ja, selbstverständlich. Ich habe nur fünf Minuten Re-
dezeit.
(Heiterkeit bei Abgeordneten der FDP und der
CDU/CSU)
Matthias W. Birkwald (DIE LINKE):
Herr Kollege Kolb, Sie haben förmlich nach einer
Zwischenfrage gerufen.
(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]:
Gelechzt!)
– Ja, gelechzt. Deswegen würde ich Sie, nachdem Sie
gerade die Kollegen von der Sozialdemokratie auf frü-
here Positionen angesprochen haben, gerne fragen, wie
S
b
g
D
T
w
J
g
k
l
w
t
r
I
c
b
d
a
s
e
d
k
v
g
D
3
s
t
2
ä
w
s
(C
(D
ie es denn mit Ihren früheren Positionen halten. Sie ha-
en am 14. Dezember 2006 in der Debatte zum Alters-
renzenanpassungsgesetz gesagt:
Herr Minister Müntefering, die Anhebung, die Sie
vorhaben, macht doch nur Sinn, wenn die Men-
schen am Schluss wirklich die Gelegenheit haben,
länger zu arbeiten.
ann haben Sie die Rente mit 67 als einen „unerwarteten
abubruch“ bezeichnet und gesagt:
Die Menschen ahnen – Herr Minister, ich sage: zu
Recht –, dass die Reform der Rente aufgrund man-
gelnder begleitender Arbeitsmarktreformen für die
allermeisten Versicherten auf eine verkappte Ren-
tenkürzung hinauslaufen wird
(Zurufe von der LINKEN: Oh!)
Kollege Weiß hat mir eben keine befriedigende Ant-
ort auf meine Frage gegeben, was es bedeutet, „dass im
ahr 1999 29,6 Prozent derjenigen, die neu in Rente ge-
angen sind, aus versicherungspflichtiger Beschäftigung
amen und es dann mit mehr oder weniger kontinuier-
ichem Absinken im Jahr 2008 nur noch 17,8 Prozent
aren“. Ich möchte Sie fragen, ob Sie Ihre kritische Hal-
ung zur Rente erst mit 67 aus dem Jahr 2006 weiter auf-
echterhalten?
(Beifall bei der LINKEN)
Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
Vielen Dank. Ich bitte Sie, stehen zu bleiben. Ich will
hre Frage gerne beantworten; aber das könnte ein biss-
hen mehr Zeit erfordern.
(Heiterkeit bei Abgeordneten der FDP und der
CDU/CSU)
Wir stehen zu unseren damaligen Positionen. Wir ha-
en immer gesagt: Die Rente mit 67 ist eine Herausfor-
erung; es kommt auf die Entwicklung am Arbeitsmarkt
n, sie ist entscheidend. Wenn Sie heute in die Zeitungen
chauen, stellen Sie fest: Wir hatten in den letzten Jahren
ine positive Entwicklung am Arbeitsmarkt,
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
ie natürlich auch den älteren Arbeitnehmern zugute-
ommt. 3,03 Millionen Menschen – immer noch viel zu
iele – sind in unserem Land im September arbeitslos
ewesen.
(Elke Ferner [SPD]: Wie viele Ältere sind
denn dabei?)
ie Prognosen gehen davon aus, dass wir die Zahl von
Millionen Arbeitslosen im Oktober unterschreiten.
Als Franz Müntefering damals, 2007, die Reform um-
etzte, hatten wir Arbeitslosenzahlen, die eher in Rich-
ung 5 Millionen gingen. Das ist ein Unterschied von
Millionen und damit natürlich auch eine deutliche Ver-
nderung bei den Möglichkeiten Älterer, sich am Er-
erbsleben zu beteiligen.
Zweitens. Herr Kollege Birkwald, ich habe immer ge-
agt: Das Ende der Krise – wir erleben es erfreulicher-
6662 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Oktober 2010
Dr. Heinrich L. Kolb
(A) )
)(B)
weise etwas früher, als wir alle befürchtet hatten – ist der
Anfang der demografisch bedingten Arbeitskräfteknapp-
heit. Das ist so. Das ist auch in dem Beispiel von Peter
Weiß zum Ausdruck gekommen. In den nächsten Jahren,
beginnend 2012 und innerhalb relativ kurzer Zeit deut-
lich spürbar, werden ältere Arbeitnehmer aus dem Er-
werbsleben ausscheiden und jüngere in deutlich geringe-
rer Zahl in den Arbeitsmarkt nachrücken. Das wird zu
Veränderungen führen, die Sie in Ihren Prognosen nicht
ins Kalkül ziehen. Für diejenigen Gruppen, die heute am
Arbeitsmarkt Probleme haben – Alleinerziehende, ältere
Arbeitnehmer, auch Menschen mit geringerer Qualifika-
tion –, erhöhen sich die Chancen deutlich. – Sagen Sie
mir bitte, wenn die Uhr weiterläuft; dann müsste ich die
Beantwortung abbrechen. Sonst würde ich die Frage
gerne weiter beantworten. – Das spiegeln auch Zahlen
wider, die ich in meiner weiteren Rede noch benennen
möchte. Da tut sich also etwas.
Das Dritte ist: Wir stehen weiterhin zu unserem Kon-
zept der Flexibilisierung. Bei einer Anhebung der Re-
gelaltersgrenze ist es nach unserer Auffassung unverän-
dert notwendig, dass man den Menschen die Chance
gibt, auf der Basis der eigenen freien Entscheidung über
einen früheren Renteneintritt, natürlich mit Abschlägen,
nachzudenken. Ich glaube, der Staat hat auch kein Recht,
Menschen, die im Hinblick auf das Alter Ansprüche
oberhalb der Grundsicherung erworben haben, vorzu-
schreiben, bis 67 zu arbeiten. Diese Entscheidungsfrei-
heit sollten wir jedem Einzelnen einräumen.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Ich hoffe, dass damit Ihre Frage ausreichend beantwortet
ist, Herr Kollege Birkwald.
Jetzt will ich noch ein paar Zahlen nennen, Frau Kol-
legin Enkelmann, die ich der Antwort auf Ihre Große
Anfrage entnehme. Ich gehe immer davon aus, dass Sie
Fragen stellen, um auch die Antworten zur Kenntnis zu
nehmen. Das haben Sie aber anscheinend nicht getan.
Die Zahl der Nichterwerbstätigen über 60 Jahre ist im
Zeitraum von 2000 bis 2008 von über 80 auf 65 Prozent
gesunken. Das ist auch ein wichtiger Hinweis an Ihre
Adresse, Herr Juratovic. Sie schreiben nämlich in Ihrem
Präsidiumsbeschluss:
Aber wenn weiterhin durchschnittlich rund
80 Prozent der Menschen über 60 Jahre nicht mehr
sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind, wirkt
eine Anhebung … aus demografischen Gründen …
wie eine … Rentenkürzung.
Wenn die Menschen zwar nicht mehr sozialversiche-
rungspflichtig beschäftigt, aber kurz vor Erreichen des
Regelalters in deutlich höherem Maße erwerbstätig sind,
beispielsweise als Selbstständige,
(Max Straubinger [CDU/CSU]: Mit selbststän-
diger Tätigkeit hat die SPD ihre Schwierig-
keit!)
kommt es deshalb nicht zwingend dazu – man muss das
immer zusammen betrachten: gesetzliche Rente plus Al-
tersvorsorge aus anderen Quellen –, dass sich die Situa-
tion des Gesamtalterseinkommens verschärft. Das ist ein
w
v
m
c
b
w
d
f
h
–
b
E
a
f
J
–
M
S
h
6
t
1
S
A
d
t
s
f
W
h
p
g
n
d
d
d
5
b
s
d
n
i
S
a
l
l
d
w
(C
(D
ichtiger Punkt, den Sie bei Ihrem Präsidiumsbeschluss
ollkommen ausgeblendet haben und den Sie noch ein-
al überdenken sollten.
Man kann es auch an einer anderen Zahl verdeutli-
hen: Der Anteil der über 60-Jährigen, die aus der Ar-
eitslosigkeit noch einmal in volle Erwerbstätigkeit
echseln konnten, hat sich allein von 2006 bis 2009
eutlich mehr als verdoppelt. Das sind Menschen, die
rüher praktisch keine Chance mehr am Arbeitsmarkt
atten. Das ist eine dramatische Veränderung.
(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN]: Nennen Sie mal die Prozentzah-
len!)
Ich habe immer gesagt, Frau Müller-Gemmeke: Wir
rauchen einen Paradigmenwechsel auf den Golfplätzen.
s war lange Zeit schick in Deutschland, über 50-Jährige
us den Betrieben zu verbannen. Das habe ich immer für
alsch gehalten. Offensichtlich hat sich da in den letzten
ahren etwas bewegt.
(Zuruf der Abg. Katja Mast [SPD])
Vielleicht auch wegen der Politik von Franz
üntefering; darauf können Sie doch stolz sein. Aber
ie blenden das vollkommen aus, und das kann ich über-
aupt nicht nachvollziehen.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Ich habe es schon gesagt: 21,5 Prozent der 60- bis
4-Jährigen sind sozialversicherungspflichtig beschäf-
igt. Aber die Tendenz ist gut. Vor zehn Jahren waren es
0 Prozent. Das muss man in der Zukunft fortschreiben.
ie müssen auch sehen, dass die Zahlen derzeit durch die
bwicklung der Altersteilzeit belastet sind,
(Max Straubinger [CDU/CSU]: So ist es!)
ie in hohem Maße genutzt worden ist; das ist in der Sta-
istik noch enthalten. Viele haben, natürlich auch in An-
ehung der möglicherweise bevorstehenden Abschaf-
ung, einen richtigen Run auf die Altersteilzeit gestartet.
enn dieser Effekt erst einmal beseitigt ist, wird man se-
en, dass die Möglichkeiten der sozialversicherungs-
flichtigen Beschäftigung älterer Arbeitnehmer sich sehr
ut entwickeln werden.
Darüber hinaus weise ich darauf hin, dass das nicht
ur für die alten, sondern auch für die neuen Bundeslän-
er gilt. Das ist die letzte Zahl, die ich – mit Blick auf
ie Uhr, Frau Präsidentin – noch nennen will. Die Zahl
er sozialversicherungspflichtig Beschäftigten zwischen
5 und 65 Jahre ist in Ostdeutschland im Zeitraum 2005
is 2009 um erfreuliche 38,3 Prozent gestiegen; davon
ind fast zwei Drittel in Vollzeitbeschäftigung. Ich kann
as hier aus Zeitgründen nicht weiter ausführen, weil
iemand eine weitere Zwischenfrage gestellt hat. Aber
ch will noch Folgendes sagen: Der Trend ist aus unserer
icht durchaus ermutigend. Das ist ein Grund, das, was
uf dem Weg ist, fortzuführen, jedoch gleichzeitig deut-
ich zu machen, dass wir mit den Flexibilisierungsmög-
ichkeiten ein Ventil anbieten wollen. Darüber denken
och auch Sie von der SPD nach. Zum Beispiel könnten
ir bei den Zuverdienstgrenzen etwas verändern. Wenn
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Oktober 2010 6663
Dr. Heinrich L. Kolb
(A) )
)(B)
wir mit diesem Konzept vorangehen, sind wir, glaube
ich, auf einem guten Weg.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Wolfgang
Strengmann-Kuhn für die Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen.
Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir haben kurz vor der Sommerpause eine Debatte über
die Rente mit 67 geführt. Jetzt führen wir schon wieder
eine darüber. Teilweise haben wir die gleichen Reden
gehört, zum Beispiel von Herrn Ernst, Herrn Weiß und
Herrn Kolb.
(Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Ihre Rede
wird auch nicht anders werden!)
Ich könnte jetzt auch einfach die gleiche Rede halten,
aber ich will anders anfangen und an einem Tag wie
heute etwas Grundsätzliches und Nachdenkliches sagen.
Als Politiker müssen wir, glaube ich, insgesamt auf-
passen, dass wir nicht über die Köpfe der Menschen hin-
weg und jenseits der Realitäten regieren. Vor diesem
Hintergrund fand ich die Rede des Herrn Juratovic sehr
hilfreich. Ich hätte mich gefreut, wenn Sie auf der rech-
ten Seite des Hauses etwas besser zugehört hätten und
nicht so viel und so laut gequatscht hätten.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sowie bei Abgeordneten der SPD – Max
Straubinger [CDU/CSU]: Es wäre auch gut,
Sie würden bei uns zuhören!)
Es passieren zurzeit mehrere Dinge: In Stuttgart wird
ein Projekt mit brutaler Gewalt gegen den Willen eines
großen Teils der Bevölkerung vor Ort durchgesetzt.
Heute Morgen haben wir über die Laufzeitverlängerung
der Atomkraftwerke diskutiert, die die Bundesregierung
gegen den Willen der Mehrheit der Menschen durchset-
zen will.
(Max Straubinger [CDU/CSU]: Das ist im
Sinne der Arbeitsplätze in unserem Land, die
wichtig sind für die Rente!)
Ebenso ist die Mehrheit der Bevölkerung gegen die
Rente mit 67.
(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]:
93 Prozent!)
– Ja.
Wir Grünen halten die Rente mit 67, um das klar zu
sagen, grundsätzlich für die richtige Perspektive.
(Max Straubinger [CDU/CSU]: Aha!)
Ich erkläre gleich, warum. Wir dürfen aber nicht den
Fehler machen, anzunehmen, die Ablehnung der Bevöl-
kerung komme daher, dass die Menschen zu dumm
s
M
P
L
g
d
b
k
A
s
A
R
m
G
w
w
e
m
d
g
a
d
k
t
s
m
n
M
R
d
d
u
a
d
d
d
b
s
B
w
b
d
n
r
b
(C
(D
eien und das nicht verstehen würden. Häufig sind die
enschen durchaus klüger, als wir Politikerinnen und
olitiker glauben.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/
DIE GRÜNEN und der LINKEN)
Die Frage: „Rente mit 67? Ja oder nein?“, die die
inke häufig stellt, greift zu kurz. Wenn die Mehrheit
egen die Rente mit 67 ist, stecken dahinter mehrere
urchaus reale Sorgen der Menschen. Die Menschen ha-
en Angst, dass die Rente mit 67 dazu führt, dass sie
eine existenzsichernde Rente mehr erhalten. Sie haben
ngst, dass sie erwerbsunfähig werden und höhere Ab-
chläge als heute in Kauf nehmen müssen. Sie haben
ngst, dass sie nicht bis 67 arbeiten können und ihre
ente entsprechend gekürzt wird. An diesen Punkten
üssen wir ansetzen. Ich kann Ihnen versichern: Wir
rüne nehmen die Sorgen der Menschen sehr ernst und
erden Vorschläge dazu unterbreiten. Bald, wenn wir
ieder regieren, werden wir uns darum kümmern, dass
s Lösungen gibt.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Ich habe es schon gesagt: Wir Grüne halten die Rente
it 67 nach wie vor für die richtige Perspektive. Wenn
ie Menschen länger arbeiten, sind die Beiträge niedri-
er und die Renten höher, Herr Ernst, sodass letztlich
lle davon profitieren können. Es profitieren alle von
iesem größeren Kuchen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN –
Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Wichtiger Hin-
weis!)
Wenn die Menschen allerdings nicht länger arbeiten
önnen, dann handelt es sich tatsächlich um eine Ren-
enkürzung, und das gilt es, zu verhindern. Wenn man
ich die Zahlen anschaut – Sie haben ein paar genannt –,
uss man sagen: Die Voraussetzungen sind jetzt noch
icht gegeben.
(Beifall des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE
LINKE])
an muss aber betonen, dass es, wenn wir über die
ente mit 67 sprechen, nicht um diejenigen geht, die in
en Jahren 2010, 2011 oder 2012 in Rente gehen, son-
ern es geht um die Rente mit 66 ab dem Jahr 2024 und
m die Rente mit 67 für meinen Jahrgang und später,
lso ab 2031. Bis dahin ist durchaus noch Zeit.
Ich erwarte, dass in dem Bericht, den uns die Bun-
esregierung Ende November vorlegen wird, nicht nur
ie aktuellen Zahlen enthalten sind, Herr Fuchtel, son-
ern auch Prognosen bezüglich der Entwicklung des Ar-
eitsmarktes für Ältere; denn das ist eine wichtige Ent-
cheidungsgrundlage. Außerdem erwarte ich von der
undesregierung, dass sie in diesem Bericht ausführt,
ie sie es erreichen will, dass die Menschen länger ar-
eiten, wie sie bessere Möglichkeiten schaffen will, dass
ie Menschen früher in Rente gehen können, wenn sie
icht so lange arbeiten können, und wie die Bundes-
egierung Armut im Alter verhindern will. Dazu gibt es
isher relativ wenige Vorschläge.
6664 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Oktober 2010
Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn
(A) )
)(B)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
bei der SPD und der LINKEN – Anton Schaaf
[SPD]: Gar nichts gibt es da!)
Wir Grüne wollen verhindern, dass die Rente mit 67
eine Rentenkürzung durch die Hintertür wird. Wir Grüne
wollen für diejenigen, die nicht so lange arbeiten kön-
nen, Möglichkeiten schaffen, früher in Rente zu gehen.
Last but not least, wir Grünen wollen den Menschen die
Angst vor der Altersarmut nehmen.
Die Voraussetzungen für die Rente mit 67 im Jahre
2031 müssen jetzt geschaffen werden; denn die Arbeits-
bedingungen von heute bestimmen, ob die Menschen in
der Zukunft tatsächlich länger arbeiten können.
Was tut die Bundesregierung dafür? Nichts. Wo bleibt
denn die Weiterbildungsoffensive für die Älteren? Wo
bleibt das Erwachsenen-BAföG, damit sich auch Ältere
weiterbilden und ein Studium aufnehmen können? Wo
bleibt die Kampagne für eine Kultur der Altersarbeit?
Wo sind denn die Arbeitsmarktmaßnahmen, die zuneh-
mend insbesondere auf die Älteren zugeschnitten sind?
(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Die werden gerade gekürzt!)
– Genau; Herr Kurth sagt gerade: Die werden im nächs-
ten Jahr gekürzt.
Was unternimmt denn die Bundesregierung, damit die
Unternehmen mehr alters- und alternsgerechte Arbeits-
plätze schaffen?
(Karl Schiewerling [CDU/CSU]: Können Sie
sich vorstellen, das die Unternehmen ein Ei-
geninteresse daran haben?)
Damit die Menschen länger arbeiten können, ist es
aber nicht nur notwendig, dass die Arbeitsbedingungen
der Älteren verbessert werden, sondern wir brauchen
insgesamt Arbeitsbedingungen – das hat Herr Kollege
Juratovic schon gesagt –, die nicht krank machen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Weiß?
Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN):
Gerne.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Bitte.
Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU):
Herr Kollege Strengmann-Kuhn, Sie haben zu Recht
die Frage gestellt: Was tut die Bundesregierung, was tun
wir insgesamt politisch dafür, dass ältere Menschen län-
ger arbeiten können und dabei auch gesund bleiben? Des-
wegen möchte ich Sie fragen: Ist Ihnen bekannt, dass wir
mit dem Gesetz zur Anhebung der Regelaltersgrenze
auch die Initiative „50 plus“ beschlossen und gestartet ha-
ben, dass wir im Haushalt des Bundesministeriums für
A
a
b
s
ä
h
d
A
g
B
b
d
z
A
m
z
u
s
m
D
D
w
s
ü
d
n
d
d
c
m
t
f
–
h
n
A
f
w
H
k
F
w
s
k
a
d
m
d
te
m
(C
(D
rbeit und Soziales nicht gekürzt, sondern mit einem be-
chtlichen Ansatz die Initiative „Neue Qualität der Ar-
eit“ mit vielen Unternehmen starten, die große Fort-
chritte bei der Verbesserung der Beschäftigungssituation
lterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gemacht
aben, dass wir aus diesem Programm neue Projekte in
en Bereichen Arbeitsschutz, Gesundheitsprävention und
rbeitsorganisation fördern, mit denen erkennbar mehr
etan werden kann als heute, damit ältere Menschen eine
eschäftigungschance haben und tatsächlich länger ar-
eiten können, und dass viele der Unternehmen, die sich
aran beteiligen – leider beteiligen sich nicht alle daran –,
um Beispiel bei Wettbewerben wie „Deutschlands beste
rbeitgeber“ dafür ausgezeichnet worden sind, dass sie
odellhaft etwas tun? Würden Sie also freundlicherweise
ur Kenntnis nehmen, dass seitens der Bundesregierung
nd aus dem Bundeshaushalt eine kräftige Förderung ent-
prechender Projekte erfolgt, die modellhaft zeigen, dass
an etwas tun kann, wenn man will?
(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Wir brauchen keine Modellprojekte,
wir brauchen Strategien!)
Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/
IE GRÜNEN):
Es ist schön, dass es da kleinere Modellprojekte gibt.
ie Aktion „50 plus“ hat ja auch bewirkt, dass die Er-
erbsbeteiligung der über 55-Jährigen insgesamt ge-
tiegen ist. Aber wir haben die Zahlen gehört: Bei den
ber 60-Jährigen, insbesondere bei den 64-Jährigen, ist
ie Erwerbsquote immer noch sehr gering. Da muss also
och deutlich mehr getan werden. Dazu habe ich von
ieser Regierung – Sie haben ja vor allen Dingen von
er Großen Koalition geredet – jetzt noch kein wirkli-
hes Konzept gesehen. Da müssen wir in der Tat mehr
achen, insbesondere im Bereich Gesundheitspräven-
ion; denn das ist, glaube ich, ein ganz zentraler Baustein
ür die Rente mit 67 im Jahre 2030.
(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]:
Schauen Sie einmal in die Programme und in
den Haushalt!)
Vielleicht noch etwas zum Haushalt. – Markus Kurth
at es gerade eingeworfen: Bei den Arbeitsmarktmaß-
ahmen soll ja um 1,5 Milliarden Euro gekürzt werden.
ngesichts dessen werden die Arbeitsmarktmaßnahmen
ür die Älteren sicherlich nicht ausgebaut werden. Das
ar noch eine ergänzende Antwort auf die Frage von
errn Weiß.
Wir brauchen insgesamt Arbeitsbedingungen, die nicht
rank machen. Wir brauchen gute Arbeit. Frau
ischbach, Sie haben ja neulich in der Debatte gefragt,
as denn gute Arbeit ist. Gute Arbeit bedeutet, dass Men-
chen von ihrer Arbeit nicht krank werden. Das liegt an
örperlichen Bedingungen; das liegt aber zunehmend
uch daran – auch das hat Herr Juratovic schon gesagt –,
ass die Menschen viel mehr unter Stress stehen. Wenn
an sich die Zahlen anschaut, dann stellt man fest, dass
ie Zahl der psychischen Erkrankungen aufgrund schlech-
r Arbeitsbedingungen stark angestiegen ist. Auch da
üssen wir ansetzen.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Oktober 2010 6665
Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn
(A) )
)(B)
Aber zu guter Arbeit gehört neben den gesundheitlich
positiven Arbeitsbedingungen auch eine vernünftige Be-
zahlung, und dazu gehört auch eine Eindämmung von
prekären Jobs. Wer ständig unter Existenzängsten leidet,
wird nicht bis 67 durchhalten können.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
und bei der SPD sowie des Abg. Dr. Ilja
Seifert [DIE LINKE])
„Angst essen Seele auf.“ Wir brauchen mehr Gesund-
heitsprävention. Wir brauchen einen Mindestlohn, und
wir brauchen endlich gleichen Lohn für gleiche Arbeit.
Auch hier geht die Bundesregierung genau in die entge-
gengesetzte Richtung.
Ehe Sie gleich wieder aufstehen, Herr Weiß, lassen
Sie mich sagen: Ich weiß natürlich, dass es in bestimm-
ten Branchen mittlerweile Mindestlöhne gibt. Aber Sie
wehren sich ja immer noch gegen den gesetzlichen Min-
destlohn für alle, und Sie wehren sich gegen gleichen
Lohn für gleiche Arbeit in der Leiharbeit.
Wir Grünen sind keine Traumtänzer. Es wird sicher-
lich auch in 20 Jahren noch Menschen geben, die nicht
bis 67 arbeiten können. Für diese Menschen müssen wir
bessere Möglichkeiten schaffen, früher in Rente zu ge-
hen. Dass die Altersgrenze, ab der eine Erwerbsminde-
rungsrente ohne Abschläge bezogen werden kann, von
63 auf 65 Jahre steigen soll, ist vor diesem Hintergrund
ein Skandal. Wir wollen das ändern.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Die Menschen sollen die Möglichkeit erhalten, ihre
Arbeitszeit bereits ab einem Alter von 60 Jahren zu redu-
zieren und Teilrente zu beziehen. Das höre ich zwar im-
mer mal wieder von einzelnen Kolleginnen und Kolle-
gen aus den Regierungsfraktionen. Ein Vorschlag, über
den wir diskutieren könnten, liegt bisher allerdings noch
nicht vor. Genauso wenig liegt ein Konzept gegen Al-
tersarmut vor. Es gibt Ankündigungen; im nächsten Jahr
soll eine Kommission eingesetzt werden, die sich mit der
Altersarmut befasst. Wir wissen aber noch immer nicht,
was in dieser Kommission tatsächlich besprochen wer-
den soll. Wir wissen auch immer noch nicht, wer Mit-
glied dieser Kommission werden soll. Angesichts der
Dinge, die zurzeit bei der Regelsatzerhöhung und der
Gesundheitsreform ablaufen, ist die Ankündigung, dass
die Bundesregierung eine Kommission zur Altersarmut
bilden will, für viele Betroffene eher eine Drohung als
eine Hoffnung.
(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Aller-
dings! – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das liegt
vor allem daran, dass in diesem Jahr zwei
große Reformen zu machen waren, weil Rot-
Grün verfassungswidrige Gesetze vorgelegt
hat!)
Wenn bei dieser Kommission zur Bekämpfung der
Altersarmut ähnliche Ergebnisse herauskommen, dann
werden wir damit mit Sicherheit nicht einverstanden
sein. Sie können aber vielleicht in weiteren Redebeiträ-
gen für Klarheit darüber sorgen, was passieren soll und
wie das Konzept der Bundesregierung zur Bekämpfung
d
S
m
s
I
s
i
n
d
v
g
h
r
t
H
K
g
R
k
d
s
f
m
l
l
J
E
–
l
n
w
w
z
h
r
w
d
g
d
R
(C
(D
er Altersarmut aussieht. Ich fürchte aber, dass von Ihrer
eite nicht viel kommen wird.
Zusammenfassend will ich sagen: Wir Grünen neh-
en die Sorgen der Menschen sehr ernst und wollen die
ozialen Voraussetzungen für die Rente mit 67 schaffen.
m Gegensatz zur der Linken wollen wir sie nicht ab-
chaffen. Der Unterschied zwischen uns und den Linken
st, dass wir sagen: Wenn man die entsprechenden Maß-
ahmen ergreift, dann bietet die Rente mit 67 tatsächlich
ie richtige Perspektive, eine Perspektive für die Renten-
ersicherung und für die Menschen. Diese Voraussetzun-
en müssen in der Tat aber erst geschaffen werden. Ich
offe, dass wir bald wieder Gelegenheit haben, diese Vo-
aussetzungen zu schaffen und die Bekämpfung der Al-
ersarmut in Angriff zu nehmen.
Herzlichen Dank.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sowie bei Abgeordneten der SPD –
Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das habe ich jetzt
nicht verstanden!)
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Frank
einrich das Wort.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Frank Heinrich (CDU/CSU):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Liebe
olleginnen! Ich möchte kurz auf meinen Vorredner ein-
ehen: Ich bin sehr froh über den Duktus, der bei Ihrer
ede spürbar war. Ich habe auch noch eine kurze Bemer-
ung zu Ihrer Rede, Herr Juratovic. Sie sprachen davon,
ass die Situation auf dem Arbeitsmarkt nicht berück-
ichtigt werde. Das ist auch eine Ihrer Erklärungen da-
ür, warum Sie sich von der Rente mit 67 verabschieden
öchten. Sie werten die vorliegenden Anzeichen näm-
ich anders als wir. Wir warten eben, bis der Bericht vor-
iegt. Und dieser Bericht kommt. Er wurde für dieses
ahr angekündigt. Wir werden ihn abwarten und keine
ntscheidung treffen, bevor er nicht vorliegt.
(Anton Schaaf [SPD]: Aber das Ergebnis ist
doch schon klar! Das Ergebnis hat die Ministe-
rin doch schon verkündet! Der Staatssekretär
auch!)
Warten Sie das Ergebnis ab, das Ende November vor-
iegen wird. Dann können wir gerne über all das, was
och umstritten ist, diskutieren.
Der Bericht wird bis Ende des Jahres vorliegen. Ich
erde die Zahlen und Zeichen, die wir sehen, jetzt nicht
iederholen. Ich denke, das verwirrt mehr, als dass es
ur Klärung beiträgt. Ich möchte aber auf zwei Sachver-
alte hinweisen: Sie haben gesagt, dass es eine Regie-
ungskommission geben wird, die zurzeit eingerichtet
ird, und dass Sie mitgeteilt bekommen möchten, wer
ieser Regierungskommission angehören wird. Im Übri-
en ist im Sozialministerium ein Referat, das für Fragen
er Altersarmut zuständig ist, gebildet worden. Dieses
eferat hat seine Arbeit im Juni aufgenommen. Ich
6666 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Oktober 2010
Frank Heinrich
(A) )
)(B)
kenne es noch nicht. Deshalb kann ich darüber noch
keine Aussagen treffen.
Herr Kollege von den Linken, am Anfang Ihrer Rede
ging es sehr stark darum, was wir brauchen. Ich möchte
an das Thema nicht in der gleichen Art wie Sie herange-
hen und nicht sagen: Wir brauchen alles. – Ich möchte
vielmehr grundsätzliche Bemerkungen machen, wie
mein Vorredner. Ich möchte drei Kernaussagen dazu
treffen, was nach unserer Meinung notwendig ist. Ers-
tens. Die Menschen brauchen eine finanzielle Absiche-
rung. Das hat mit diesem Thema zu tun. Das hat auch
mit den Ängsten zu tun, die Sie angesprochen haben.
Diese wollen wir ernst nehmen. Es geht dabei nicht nur
um materielle Dinge. Zweitens. Die Wirtschaft braucht
Wissen, Erfahrung und Planungssicherheit. Drittens. Die
Rente braucht Zukunft und Tragfähigkeit. Dabei geht es
auch um die Ängste unserer Mitbürger.
Zum ersten Punkt. Menschen brauchen eine finan-
zielle Absicherung. Aber es geht in der Zukunft – je
länger sie leben, desto mehr – nicht nur um das Materi-
elle, obwohl auch dieser Aspekt natürlich behandelt wer-
den muss und wichtig ist. Stabile und ausreichende Ren-
ten in der Zukunft sind letztlich nur in Kombination mit
Maßnahmen in den Bereichen Bildung, Familienförde-
rung und Integration möglich. Das Gesamtkonzept muss
stimmen. Die einzelnen Elemente müssen miteinander
verflochten sein. Dabei geht es zum Beispiel um die
Pflege, um die Gesundheitsreform und die Teilhabe älte-
rer Menschen; Herr Kolb hat das vorhin schon gesagt.
Es ist nötig, wahrzunehmen und zu respektieren, dass
es auch im Alter um Lust am Leben geht, nicht nur um ein
„Ausdimmen“. Es geht um Lebensqualität und Ausbil-
dungschancen. Selbst Angehörige der Altersgruppe, über
die wir reden, die 55- bis 65-Jährigen, können noch eine
Ausbildung beginnen. Lebenslanges Lernen bekommt
somit eine ganz neue Dimension.
(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN]: Dafür muss man aber auch
etwas tun! – Elke Ferner [SPD]: Das lebens-
lange Lernen täte einigen in Ihrer Fraktion gut! –
Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD –
Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das tut
uns allen gut! – Anton Schaaf [SPD]: Dazu
muss man aber auch die Bereitschaft haben!)
Ein weiterer Aspekt ist der Zugang zu Selbstentfal-
tungs- und Freizeitmöglichkeiten. Menschenwürde hat
auch damit zu tun, gebraucht zu werden, und zwar nicht
nur, weil wir das politisch wollen und es generationenbe-
dingt bzw. von den Zahlen her notwendig ist. Vielmehr
geht es darum, in die Gesellschaft einbezogen und betei-
ligt zu sein. Das betrifft die Teilhabe sowohl im Ehren-
amt als auch in sozialversicherungspflichtiger Beschäfti-
gung.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Lebenslanges Lernen muss durchbuchstabiert wer-
den, in der Wirtschaft und im einzelnen Unternehmen.
Diesem Begriff wollen wir neues Leben einhauchen.
Diesen Prozess muss die Politik natürlich begleiten.
Quer durch Europa gibt es, mit wenigen Ausnahmen, die
g
g
s
S
u
D
e
c
w
A
e
z
s
d
r
n
g
d
a
d
x
t
U
g
m
B
s
d
G
n
I
m
f
n
A
i
–
–
d
g
k
B
a
m
(C
(D
leichen Schwierigkeiten, was die Alterspyramide an-
eht. Wenn wir den Einstieg verschlafen und vom Ein-
tieg in die Rente mit 67 abrücken, dann fehlt uns am
chluss die Zeit, dann fehlen uns die Jahre der Planung
nd dann fehlt die Verlässlichkeit für die Betriebe.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
ie Menschen müssen sich auf das, was sie erwartet,
instellen können, und die Firmen brauchen Planungssi-
herheit. Es ist besser, wir fangen jetzt damit an, zumal
ir die vorliegenden Zahlen für deutlich genug halten.
Ich nenne nur eine Zahl. 2009 waren 38,7 Prozent der
ngehörigen der Altersgruppe der 60- bis 64-Jährigen
rwerbstätig, damit fast doppelt so viele wie zehn Jahre
uvor. Diese Tendenz kann man nicht von der Hand wei-
en. Die anderen Zahlen sind vorhin schon erwähnt wor-
en.
Es ist nicht legitim – hier gebe ich meinem Vorredner
echt –, den Eindruck zu erwecken, als wäre schon
ächstes Jahr längeres Arbeiten angesagt. Ich bin Jahr-
ang 1964, gehöre also dem ersten Jahrgang an, der von
er Rente mit 67 betroffen sein wird. Das ist aber ganz
m Ende. Darauf kann man sich einstellen. Bis wir in
en Genuss dieser Regelung kommen, ist noch viel Fle-
ibilität möglich, und zwar nicht nur Flexibilität aufsei-
en der Politik, die Sie einfordern, sondern auch in den
nternehmen und der Wirtschaft, übrigens auch aus Ei-
eninteresse, wie vorhin in einem Zwischenruf ange-
erkt wurde.
Zudem entwickelt sich in der Bevölkerung und in den
etrieben ein Bewusstsein für dieses Thema. Unter-
chätzen Sie nicht unsere Mitbürger! Auch sie beziehen
ie Rente mit 67 schon in ihre Überlegungen mit ein.
estern Abend habe ich mit einem 25-Jährigen telefo-
iert, der, wie ich glaube, heute hier im Publikum sitzt.
ch stellte ihm die Frage: Was hältst du von der Rente
it 67? Die relativ spontane Antwort war: Wenn Beruf
ür mich Berufung ist, dann mag ich auch mit 67 noch
icht aufhören.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
uch dies ist ein Indiz dafür, dass eigentlich gewünscht
st, sich zu beteiligen.
(Anton Schaaf [SPD]: Ist ja toll! Das muss
aber doch niemand! Das muss ich schon heute
nicht!)
Wie bitte?
(Anton Schaaf [SPD]: Aber das muss doch nie-
mand! – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]:
Genau! Das muss niemand!)
Es muss niemand; aber es ist möglich. Deshalb muss
ieser Bereich flexibler geregelt werden.
Zweitens. Die Wirtschaft braucht Wissen, Erfahrun-
en und Planungssicherheit. Die Antwort auf den Fach-
räftemangel muss neben erhöhten Anstrengungen im
ildungsbereich und einer attraktiven Integrationspolitik
uch lauten, dass Fachkräfte länger beschäftigbar sein
üssen, unter anderem durch die Rente mit 67. Es gibt
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Oktober 2010 6667
Frank Heinrich
(A) )
)(B)
allerdings auch andere Mittel und Wege in unserem
Land, die noch nicht in dem Maße ausgeschöpft werden,
zum Beispiel das betriebliche Eingliederungsmanage-
ment. Es ist nutzbar und erfolgreich, wenn Mitarbeiter,
etwa nach einer Krankheit oder einem Arbeitsunfall,
wieder eingegliedert werden müssen.
Viele Unternehmen nutzen und schätzen schon heute
das Wissen und die Fähigkeiten der Altersgruppe, über
die wir heute reden und bei der bezweifelt wird, dass sie
einfach übernommen werden kann. Vorletzte Woche
wurde mir von Unternehmern in meinem Wahlkreis
Chemnitz gesagt: Ich stelle fast nur Leute ein, die älter
als 45, 50 Jahre sind. – Ich habe sie gefragt: Warum? Die
Antwort lautete: weil sie fachlich fit und erfahren sind,
oft eine Familie haben, ortsgebunden sind und wir uns
darauf verlassen können, dass sie uns nicht irgendwann
wegbrechen.
Verschiedene Schätzungen – sie sind unterschiedlich
hoch, aber hoch sind sie alle – besagen, dass in den
nächsten Jahren in diesem unseren Land sehr viele Ar-
beitskräfte aus dem Arbeitsmarkt ausscheiden. Sie wer-
den fehlen, und wir müssen sie ersetzen.
Dritter Punkt. Die Rente braucht Zukunft und Verläss-
lichkeit. Der Anlass dieser ganzen Diskussion – dies
wissen wir alle – ist leider das Zauberwort „Demogra-
fie“. Der demografische Wandel macht die Rente mit 67
nahezu zur Bedingung.
(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Es wird
nicht besser, wenn man es öfter sagt!)
Herr Weiß hat das am Anfang gesagt. Dabei geht es na-
türlich um die Finanzierbarkeit. Die Fakten verändern
sich manchmal schneller, als sich das Bewusstsein ver-
ändert. Deshalb brauchen wir intelligente und machbare
Lösungen sowie Flexibilität. Darauf wollen auch wir als
Politiker reagieren, auch in meiner Fraktion. Unterneh-
mer machen das. Sie heißen nicht umsonst so. Sie wis-
sen sich zu helfen. Sie unternehmen etwas – ich erlebe
das, wenn ich meine Runde bei den Chefs und Ge-
schäftsführern mache –, und zwar nicht nur um ihrer
selbst willen, wie das manchmal unterstellt wird, son-
dern auch in Verantwortung für ihre Mitarbeiter, deren
Familien und das Gemeinwesen. Wie oft habe ich ge-
hört: Probleme? Die sind zum Lösen da. – In solchen
Momenten bin ich stolz, in diesem Land zu leben, in
dem immer noch mitgedacht und mitgemacht wird.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND-
NIS 90/ DIE GRÜNEN]: Aber auch die Regie-
rung muss einmal Probleme lösen!)
Ich komme mit zwei kleinen Zusammenfassungen
zum Ende. Natürlich gibt es verschiedene Wege, darauf
zu reagieren. Wir lehnen ab, dass wir die Beitragssätze
erhöhen; das haben wir hiermit ausgedrückt. Es geht um
eine längere Einzahldauer; das ist uns wichtig. Es geht
um mehr Beitragszahler, vielleicht auch durch Integra-
tion und eine bessere und schnellere Schulung, auch
durch die Rente mit 67. Sie trägt dazu bei, in einem aus-
gewogenen Verhältnis zwischen den Generationen die
finanzielle Grundlage und die Leistungsfähigkeit der ge-
s
s
n
w
r
s
s
S
K
V
w
a
I
s
m
s
s
d
s
–
k
w
s
u
r
R
b
g
m
i
T
–
d
a
c
p
H
(C
(D
etzlichen Rentenversicherungen nachhaltig sicherzu-
tellen. Ich betone noch einmal das vorhin so oft ge-
annte Wort „Solidarität“.
Wissenschaft und EU loben Deutschland dafür, dass
ir diesen Schritt gehen. Sie gehen in ihren Aufforde-
ungen – ich denke da an das EU-Parlament – zum Teil
ogar noch weit über dieses Alter hinaus. Ich denke, wir
ind da auf einem guten Weg.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Nächster Redner ist der Kollege Anton Schaaf für die
PD-Fraktion.
(Beifall bei der SPD)
Anton Schaaf (SPD):
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
olleginnen und Kollegen! Hier ist jetzt wiederholt der
orwurf gemacht worden, die SPD-Bundestagsfraktion
ürde sich von den Sozialreformen der letzten Jahre ver-
bschieden.
(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das ist ja nicht
aus der Luft gegriffen!)
ch will jetzt einmal die gestrige Debatte um die Regel-
ätze nach dem SGB II betrachten: Es war die Union, die
it fast allen Rednern, die hier gesprochen haben, ver-
ucht hat, sich aus der Verantwortung für das SGB II zu
tehlen. Bis auf Karl Schiewerling haben alle versucht,
ie Verantwortung für das, was im SGB II steht, aus-
chließlich bei Rot-Grün abzuladen.
(Max Straubinger [CDU/CSU]: Das stimmt
doch nicht!)
Das haben Sie getan. – So viel zum Thema Redlich-
eit. Das muss man hier einmal sagen. Uns diesen Vor-
urf zu machen, ist schlicht unredlich.
Ich sage Ihnen noch etwas: Wir haben gestern in Zwi-
chenfragen deutlich gemacht, wie das mit Redlichkeit
nd Transparenz ist. Sie, meine Damen und Herren, wa-
en es, die uns die realen Grunddaten, die Zahlen, die
ohdaten und die Alternativberechnungen zum SGB II
zw. zum Regelsatz im Ausschuss per Mehrheit verwei-
ert haben. Sie haben das gemacht, nicht die Sozialde-
okraten, nicht die Linken und auch nicht die Grünen
m Deutschen Bundestag. Das muss man hier zum
hema Redlichkeit einmal sagen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf
der Abg. Ingrid Fischbach [CDU/CSU])
Frau Fischbach, ich sage Ihnen Folgendes: Solange wir
en Eindruck haben, dass sich Sozialpolitik bei der Ko-
lition zwischen der einen Leitplanke, die „vermeintli-
he römische Dekadenz“ heißt, und der anderen Leit-
lanke, die da lautet: „schon eingestelltes Geld im
aushalt“, bewegt, können Sie nicht mit der Zustim-
6668 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Oktober 2010
Anton Schaaf
(A) )
)(B)
mung aus den Reihen der sozialdemokratischen Fraktion
rechnen.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/CSU:
Das wollen wir nicht!)
Nun aber zum Thema, das heute auf der Tagesord-
nung steht. Der Kollege Ernst ist noch hier. Herr Kollege
Ernst, es ist noch nicht ausgemacht, ob der Kuchen, der
zu verteilen ist, in 20 oder 30 Jahren gleich groß, größer
oder kleiner ist. Man muss schlichtweg mit allen diesen
Möglichkeiten rechnen. Sie können das Wirtschafts-
wachstum und die Leistungsfähigkeit der Gesellschaft
für die nächsten 20 bis 30 Jahre nicht vorhersagen. Das
geht nicht. Da müssten wir alle etwas schlauer sein, als
wir es sind. Dafür müssten wir übersinnliche Kräfte ha-
ben. Aber eines ist auf jeden Fall absehbar, nämlich dass
wir immer weniger und immer älter werden.
(Beifall des Abg. Dr. Heinrich L. Kolb [FDP])
Dazu gibt es Zahlen. Darüber brauchen wir nicht zu dis-
kutieren. Mit diesem Fakt müssen wir umgehen.
Es gibt unterschiedliche Antworten. Ich gebe Ihnen
durchaus recht, dass es andere Antworten geben könnte
als die reine Erhöhung des Renteneintrittsalters – aller-
dings nur, wenn es um die Frage der Finanzierbarkeit
geht. Die Finanzierbarkeit der Rente kann anders als nur
über eine Erhöhung des Renteneintrittsalters sicherge-
stellt werden. Darin gebe ich Ihnen allemal recht, zumal
das, was wir bei den Beitragssätzen sparen, marginal ist.
(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Genau!)
Aber wie sieht es mit der Leistungsfähigkeit der Ge-
sellschaft aus? Wie halte ich diese Gesellschaft, die
schrumpft und älter wird, leistungsfähig, damit all das,
was wir verteilen, tatsächlich auch erwirtschaftet werden
kann? Dass es dann verteilt wird, geschieht übrigens
auch zu Recht, weil es erwirtschaftet worden ist. – Diese
Frage müssen Sie alternativ beantworten. Wenn die Ant-
wort nicht ein höheres Renteneintrittsalter ist, dann brau-
chen wir alternative Antworten auf die Frage, wie wir
mit der Demografie in den nächsten 10, 20 und 30 Jah-
ren umgehen.
(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Sehr richtig!)
Hierauf vermisse ich allerdings jede Antwort.
(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Fehlanzeige bei
denen!)
Deswegen werden wir Ihrem Antrag in der vorliegen-
den Form mit Sicherheit nicht zustimmen, auch wenn er
einiges Richtige beinhaltet.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Herr Birkwald möchte Ihnen noch eine Zwischen-
frage stellen.
(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Redezeit-
verlängerung!)
S
h
h
s
S
d
a
j
e
a
d
c
B
e
d
d
i
r
J
d
t
d
z
w
e
b
w
Z
s
i
s
n
W
W
A
f
(C
(D
Anton Schaaf (SPD):
Ja, selbstverständlich. Wenn der rentenpolitische
precher der linken Fraktion, der ja Ahnung vom Thema
at, Redezeit nur darüber generieren kann, dass er sich
ier zu einer Zwischenfrage meldet, dann lasse ich das
elbstverständlich gerne zu.
(Beifall des Abg. Dr. Heinrich L. Kolb [FDP])
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Herr Birkwald, bitte sehr.
Matthias W. Birkwald (DIE LINKE):
Vielen Dank für die Blumen, Herr Kollege Schaaf. –
ie haben ja eben davon gesprochen, dass man nur be-
ingt in die Zukunft schauen kann, und Sie haben das
uch auf das Wirtschaftswachstum bezogen. Ich bitte Sie
etzt um Aufklärung.
Zum Ersten. In der Öffentlichkeit ist ja der Eindruck
ntstanden, dass sich die SPD beim Thema „Rente erst
b 67“ bewegt habe. Am 18. August 2010 wurde gemel-
et, dass es zwischen Parteichef Gabriel und Fraktions-
hef Steinmeier, dem ich von hier aus noch einmal gute
esserung wünsche,
(Beifall bei der LINKEN und der FDP sowie
bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
inen Kompromiss dergestalt gegeben haben soll, dass
ie Rente ab 67 erst dann eingeführt werden soll, wenn
ie Quote der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten
m Alter zwischen 60 und 64 bei 50 Prozent liegt.
Nun ist von der Arbeitnehmerkammer Bremen ausge-
echnet worden, dass, wenn man die Entwicklung vom
ahr 2000 bis heute fortschreibt, dies genau im Jahr 2030
er Fall sein wird, Sie also dann damit anfangen könn-
en, das Renteneintrittsalter anzuheben, während es bei
er jetzigen Regelung dann schon erreicht worden wäre.
Ich bitte Sie, dazu etwas zu sagen.
Zum Zweiten. Wie soll es funktionieren, dass gleich-
eitig dem Wunsch des Fraktionschefs nachgegeben
ird, wonach das Endziel, 2029, bestehen bleibt? Das ist
in Widerspruch. Ich bitte Sie, den aufzuklären.
Weil Sie eben von der Zukunft gesprochen haben: Ha-
en Sie eine andere Zielmarke als 2029, und, wenn ja,
elche Projektionen legen Sie dieser zugrunde?
Anton Schaaf (SPD):
Ich danke Ihnen außerordentlich, weil ich jetzt die
eit nutzen kann, um auf unser Konzept und unsere Be-
chlüsse einzugehen und anschließend das zu sagen, was
ch sonst noch zu sagen habe.
Also: Wir haben nicht nur die Quote miteinander be-
prochen, und Grundlage unserer Diskussion war auch
icht nur die Quote, sondern es ging auch um die Frage:
ie gehen wir mit dem Thema Erwerbsminderung um?
as machen wir mit denjenigen, die nach langjähriger
rbeit nicht mehr arbeiten können? Wie gehen wir mit
lexiblen Übergängen um, also zum Beispiel mit der Al-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Oktober 2010 6669
Anton Schaaf
(A) )
)(B)
tersteilzeit und der Teilrente? Für uns geht es um eine
Gesamtstrategie und nicht nur um einen Punkt, wie die
Quote.
Zur Quote. Wären wir in Verantwortung, was wir
nicht sind,
(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Was Sie aber bis
vor einem Jahr waren!)
dann würden wir an dem Thema Erwerbsminderungs-
rente massiv arbeiten. Wir brauchen einen besseren Zu-
gang, insbesondere für Menschen, die aufgrund ihrer Ar-
beit psychisch krank sind, und wir brauchen eine bessere
Ausstattung der Erwerbsminderungsrente. Dadurch würde
die Zahl derer, die tatsächlich bis 67 arbeiten müssen,
natürlich verringert, weil die Menschen einfacher aus
dem Arbeitsleben ausscheiden könnten, wenn sie „ka-
putt“ sind. Selbstverständlich würden wir auch versu-
chen, bessere Möglichkeiten für flexible Übergänge zu
schaffen.
(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Aber Sie haben doch
bis vor einem Jahr elf Jahre lang regiert!)
Leider war es uns im Rahmen der Großen Koalition
nicht möglich, beispielsweise die Förderung der Alters-
teilzeit beizubehalten. Dadurch würde die Quote derer,
die regulär in den Altersruhestand gehen, auch wieder
abgesenkt werden.
Von daher ist die Quote zwar eine ordentliche Ziel-
marke, aber sie ist nicht ausschließlich das, was unser
Konzept ausmacht. Vielmehr muss man es in Gänze be-
achten. – Ich danke Ihnen.
(Beifall bei der SPD)
Ich komme noch einmal zu der Aussage: Ihr habt es ja
mitbeschlossen. – Ja, das stimmt; das ist schon richtig.
(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Vorangetrieben!)
Wir haben vor dem Hintergrund der aktuellen Debatte
gesagt: Es gibt im Moment keine Alternative dazu. –
Herr Strengmann-Kuhn, ich bin hier sofort wieder bei
Ihnen, dass die Frage nach einem höheren Rentenein-
trittsalter irgendwann mit Sicherheit beantwortet wer-
den muss.
Man könnte das jetzt tun, aber es hätte doch folgen-
den Nachteil, wenn wir das jetzt täten: Die Beschäfti-
gungsquote der 60- bis 64-Jährigen liegt zurzeit bei
21,5 Prozent, und in den letzten zehn Jahren hat sich
diese Quote in der Tat verdoppelt.
(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Welche Zahlen
haben Sie sich denn vorgestellt?)
Wenn man diese Entwicklung über die nächsten zwei
Jahre fortschreibt, dann sieht man, dass dann vielleicht
25 Prozent der 60- bis 64-Jährigen beschäftigt sein wer-
den. Viel mehr werden es aber nicht sein.
(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Weil noch die
Altersteilzeit kommt!)
Für diejenigen, die das reguläre Renteneintrittsalter nicht
erreichen, bedeutet das, ab 2012 dauerhaft 0,3 Prozent
m
s
n
b
V
k
t
a
d
z
u
o
6
D
t
S
w
s
D
K
t
d
n
b
k
m
g
s
i
s
s
a
p
b
B
d
f
2
d
s
b
r
v
f
S
n
I
s
(C
(D
ehr Abschläge hinnehmen zu müssen, und zwar unver-
chuldet. Wir Sozialdemokraten sagen: Da wollen wir
icht mitmachen; so war es nie gedacht. Deswegen ha-
en wir gegen den massiven Widerstand der Union in
erhandlungen dafür gesorgt, dass die Überprüfungs-
lausel ins Gesetz geschrieben wird. Sie besagt eindeu-
ig, was zu geschehen hat.
Die Begründungen der Union zu diesem Thema sind
benteuerlich. Es steht ja im Gesetz, dass im Jahr 2010
ie Regierung verpflichtet ist, die arbeitsmarkt- und so-
ialpolitische Situation der älteren Arbeitnehmerinnen
nd Arbeitnehmer zu überprüfen, und empfehlen muss,
b vor diesem Hintergrund die Einführung der Rente mit
7 ab 2012 geboten ist.
(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Ja!)
ie Arbeitsministerin hat ja offensichtlich die Auswer-
ung dieser Überprüfung nicht vorliegen, und auch der
taatssekretär Brauksiepe hat sie nicht – zumindest
urde das heute gesagt –, und trotzdem haben beide ge-
agt: Ab 2012 kommt die Rente mit 67 auf jeden Fall. –
as ist Pharisäertum. Das ist rücksichtslos. Das hat mit
enntnisnahme der Realität in dieser Republik nichts zu
un.
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Meine Damen und Herren von der Union, wir nehmen
as gemeinsam beschlossene Gesetz in Gänze ernst,
icht nur die Teile, die die Arbeitnehmerinnen und Ar-
eitnehmer belasten, sondern auch die Überprüfungs-
lausel, die wir ins Gesetz hinein verhandelt haben.
Der Kollege Weiß hat etwas zum Thema Fachkräfte-
angel gesagt. Die Frage der Solidarität wurde breit an-
esprochen. Lieber Peter Weiß, das mit der Solidarität ist
o eine Sache. Gefordert war Solidarität von denen, die
n Rente gehen; da hieß es: Sie gehen halt ein bisschen
päter. Wir erinnern uns an das Rentennachhaltigkeitsge-
etz aus dem Jahre 2003. Da wurde gesagt: Sie werden
uch für weniger – man könnte an der Stelle sagen: dop-
elt solidarisch – gehen. Es wurde ferner gefordert: Ar-
eitnehmer müssen solidarisch sein. – In der Tat: Die
eiträge werden etwas steigen, bis maximal 22 Prozent;
enn wir haben das sogenannte Beitragsdogma einge-
ührt, das besagt: Die Beiträge dürfen nicht über
2 Prozent steigen. – Es wird also Solidarität eingefor-
ert.
Es stimmt, wenn man sagt, dass sich unsere Gesell-
chaft verändert und wir daher eine breitere Solidarität
rauchen. Aber wenn es darum geht, die sozialen Siche-
ungssysteme solidarisch und paritätisch zu finanzieren,
erabschiedet sich die Union aus der Solidarität und
riert die Arbeitgeberbeiträge ein. So viel zum Thema
olidarität. Sie überlassen die Lasten allein den Arbeit-
ehmerinnen, Arbeitnehmern und Rentnern.
(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Wer hat sie denn
aufgegeben?)
m Bereich der Gesundheitspolitik ist das ganz klar ge-
chehen.
6670 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Oktober 2010
Anton Schaaf
(A) )
)(B)
Zu den Themen „Qualität der Arbeit“, „Voraussetzun-
gen schaffen“, „gute Arbeit“ gibt es von dieser Bundes-
regierung null Ansage. Sie ergreifen keine Initiative. Es
passiert überhaupt nichts. Wir hatten auch eine Debatte
zum Thema „prekäre Beschäftigung“. Viele Menschen
in diesem Lande, die deswegen nie über ein ausreichen-
des Renteneinkommen verfügen werden, arbeiten für 5,
6 oder 7 Euro die Stunde, und zwar den ganzen Tag. Wir
haben Ihnen gesagt: Passen Sie auf, was passiert, wenn
ab dem nächsten Jahr die Arbeitnehmerfreizügigkeit gilt.
Viele Menschen aus Osteuropa werden kommen und das
derzeitige Lohnniveau noch unterbieten. In dieser Hin-
sicht tun Sie nichts, um Ordnung auf dem Arbeitsmarkt
zu schaffen, um dafür zu sorgen, dass die Menschen ein
sicheres Einkommen und damit eine gesicherte Rente
haben.
Ich sagen Ihnen etwas – das ist mittlerweile, auch
nach dieser Debatte, meine feste Überzeugung –: Sie
sind der Meinung – zumindest Teile von Ihnen, auf jeden
Fall die Arbeitsministerin –, dass derjenige, der ein leis-
tungsloses Einkommen bezieht, kein Bier trinken und
auch keine Zigaretten rauchen soll. Zumindest muss man
das nicht berechnen. Rentenpolitisch gesehen sind Sie
völlig leistungslos. Die Ministerin sollte sich von daher
überlegen, Ihnen teuren Wein und die Zigarren zu ver-
bieten.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN – Ingrid Fischbach [CDU/
CSU]: Das war jetzt aber ganz schwach! Toni,
du warst schon mal stärker!)
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Das Wort hat nun der Kollege Sebastian Blumenthal
von der FDP-Fraktion.
(Beifall bei der FDP)
Sebastian Blumenthal (FDP):
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Nach
dem Versuch der Vergangenheitsbewältigung der SPD,
den wir eben erlebt haben, komme ich zu dem konkreten
Antrag zurück, den uns die Linke vorgelegt hat. Die
Linke fordert – ich zitiere – „eine Umorientierung in der
Finanzierung der gesetzlichen Rente sowie den Umbau
der gesetzlichen Rentenversicherung“. Zur Frage, wie
dieser Umbau konkret aussehen soll, bleibt der Antrag
zunächst sehr vage und wenig konkret. Der vorliegende
Antrag ist Teil eines Rentenkonzepts, das im aktuellen
Wahlprogramm der Linken sehr genau beschrieben wird.
Nun will ich nicht behaupten, dass sich der Blick ins
Wahlprogramm der Linken grundsätzlich lohnt, aber in
diesem Fall ist er durchaus hilfreich.
(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]:
Immer!)
– Herr Birkwald, genau so ist das.
Sie fordern in Ihrem Wahlprogramm, die staatliche
Unterstützung der privaten Vorsorge einzustellen und die
privat erworbenen Ansprüche und die staatlichen För-
dermittel in die gesetzliche Rente zu überführen. Was
b
D
V
t
r
R
s
d
l
r
d
g
u
u
„
m
b
r
w
t
V
D
D
b
v
s
b
t
b
n
w
s
s
n
k
c
–
S
w
t
H
(C
(D
edeutet das konkret für die Bürgerinnen und Bürger?
as hieße: Alle Ersparnisse aus den Sparverträgen und
ersicherungen, die der privaten Vorsorge dienen, müss-
en den Bürgern entzogen werden. Das sind unter ande-
em private Renten- und Lebensversicherungen, das sind
iester-Sparverträge, das sind Rürup-Renten, und es
ind unzählige private Betriebsrenten, über die wir re-
en. Das, was die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
ange Jahre angespart haben, wird ihnen entzogen. Wir
eden nicht über Millionäre und Spitzenverdiener, son-
ern wir reden überwiegend über Kleinsparer. Das ist
enau die Gruppe, auf die Sie abzielen. Dem werden wir
ns entgegenstellen.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU – Matthias W. Birkwald [DIE
LINKE]: Ihr wollt die kleinen Leute schützen!
Das glauben euch auch alle!)
Im Mai dieses Jahres hat Ihre Genossin Lötzsch das
nsägliche Zitat gebracht, dass es auf dem Finanzmarkt
Taliban im Nadelstreifen“ geben würde, weil Finanz-
anager sehr streitbare Vorgänge vollzogen haben. Jetzt
etätigen Sie sich selbst durch das Ansinnen, das ich ge-
ade geschildert habe, als Finanzspekulanten; denn Sie
ollen die private Altersvorsorge der Menschen hinter-
reiben, und Sie offenbaren erneut ein erschreckendes
erständnis vom Verhältnis zwischen Staat und Bürger.
as werden wir von der FDP-Fraktion nicht mittragen.
agegen werden wir uns energisch stellen.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU)
Ich möchte zusammenfassen, was Sie gefordert ha-
en. Die privaten Rentenersparnisse werden also erst
on den Linken zwangsaufgelöst und anschließend ver-
taatlicht. So steht es in Ihrem Programm. Schauen Sie
itte nach, Herr Birkwald.
(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ich
kenne das Programm!)
Das heißt, jede Form der staatlich geförderten priva-
en Vorsorge wollen Sie auflösen und damit wollen Sie
ei den Menschen abkassieren. Nicht nur auf den Fi-
anzmärkten, sondern auch auf den Immobilienmärkten
ürden Sie als Spekulanten aktiv werden. Viele Men-
chen haben nämlich im Rahmen der privaten Altersvor-
orge zum Beispiel in Eigenheime investiert. Wenn es
ach Ihnen ginge, müssten auch diese Immobilien ver-
auft werden. Das wäre die Konsequenz der Verstaatli-
hung der privaten Altersvorsorge.
(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Jetzt
fängt es an, Kabarett zu werden, Herr Kol-
lege!)
Wo wir gerade beim Kabarett sind – das ist ein gutes
tichwort, Herr Birkwald –: Das erklärt vielleicht auch,
arum Teile Ihres Spitzenpersonals Immobilien in Ös-
erreich haben. Da zeigt sich die Konsequenz in Ihrem
andeln.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Oktober 2010 6671
Sebastian Blumenthal
(A) )
)(B)
Ich gehe davon aus, dass Sie das nicht einfach so in
das Wahlprogramm geschrieben haben, sondern es ernst
damit meinen. Herr Kollege Ernst, es geht hier nicht um
Kuchenklau, wie Sie es dargestellt haben, sondern es
geht um Rentenklau. Das ist die logische Konsequenz
aus Ihrem Gedankengang.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU)
Als Fazit möchte ich festhalten: Der Antrag ist fach-
lich völlig unausgegoren, er ist sozial unausgewogen,
und Sie bestrafen die private Initiative der Bürger, die
für ihr Alter vorsorgen. Der Antrag ist überflüssig und
verzichtbar. Das sind Gründe genug, ihn abzulehnen.
Das werden wir tun.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU – Matthias W. Birkwald [DIE
LINKE]: Zum Karneval lade ich Sie nach
Köln ein! – Gegenruf des Abg. Sebastian
Blumenthal [FDP]: Ich komme gern! Sie trin-
ken gern Kölsch, ich weiß!)
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Das Wort hat der Kollege Dr. Matthias Zimmer für
die CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Dr. Matthias Zimmer (CDU/CSU):
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe
den Eindruck, dass neben der spannenden Debatte über
die Frage der Rentensicherung heute hier noch ein ande-
res Thema ganz spannend ist, nämlich die Frage: Wo
steht die SPD?
(Anton Schaaf [SPD]: Nicht nur heute! Das ist
immer spannend!)
Ich habe nach den beiden Debattenbeiträgen, die ich hier
gehört habe, den Eindruck, dass die SPD in der Frage
der Rente mit 67 auf der Suche nach einem Notausgang
für Helden ist. Ich bin mir sicher: Den werden Sie eines
Tages finden. Sie haben sich auch bei anderen Themen
aus der Verantwortung gestohlen, nachdem Sie keine
Regierungsverantwortung mehr hatten.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Schauen wir uns einmal genauer an, was in dem An-
trag der Linken steht. Ich will auf einige Forderungen
genauer eingehen.
Sie wollen den Ausstieg aus der Rente mit 67 durch
einen höheren Beitragssatz von 0,5 Prozentpunkten ge-
genfinanzieren. Das kann man machen. Wir haben im
Wesentlichen drei Stellschrauben, um mit dem demogra-
fischen Problem der Rentenversicherung umzugehen:
die Kürzung der Renten, die Verlängerung der Arbeits-
zeiten oder die Erhöhung des Rentenbeitrags.
(Karl Schiewerling [CDU/CSU]: Oder Erhö-
hung des Bundeszuschusses!)
I
s
b
S
g
d
s
t
s
–
D
d
c
w
k
s
b
d
d
D
s
s
I
s
p
b
r
v
w
M
m
n
e
b
g
l
w
l
(C
(D
ch halte das allerdings für falsch, weil damit Arbeit zu-
ätzlich belastet wird, und das ist etwas, was wir augen-
licklich überhaupt nicht gebrauchen können.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU –
Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: 7 Euro
für Durchschnittsverdienende!)
Dann wollen Sie die Arbeitslosigkeit durch die
chaffung sozialversicherungspflichtiger Beschäfti-
ungsverhältnisse bekämpfen. Ich nehme einmal an,
ass Sie hier nicht die 500 000 öffentlich geförderten zu-
ätzlichen Stellen meinten, die Sie neulich in einem An-
rag gefordert haben,
(Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Das kommt
dazu!)
ondern Arbeitsplätze, die in der Wirtschaft entstehen.
(Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Sehr wahr!)
Einverstanden.
(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Mit einem
Infrastrukturprogramm! 2 Millionen!)
as wollen wir auch. Aber dann dürfen Sie doch nicht
ie Arbeit durch einen höheren Rentenbeitrag teurer ma-
hen. Das passt nicht zusammen.
(Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Das sagen
Sie! Das ist Ihre Theorie!)
Im Übrigen: Dort, wo Sie in der politischen Verant-
ortung stehen – das habe ich einmal nachgeschaut –,
önnen Sie doch beweisen, wie man neue Arbeitsplätze
chafft. Die Zahlen, die gestern herausgekommen sind,
elegen: Berlin hat die höchste Arbeitslosigkeit im Bun-
esgebiet. Wie wollen Sie dann die Arbeitslosigkeit
urch die Schaffung neuer Arbeitsplätze bekämpfen?
(Zuruf von der CDU/CSU: Indem die den
Wirtschaftssenator stellen!)
as passt, glaube ich, nicht zusammen.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Dann schlagen Sie vor, die Deckelung des Beitrags-
atzes aufzuheben. Dadurch würden höhere Anwart-
chaften entstehen; aber die wollen Sie dann deckeln.
ch halte schon eine Aufhebung der Beitragsbemes-
ungsgrenze aus verfassungsrechtlichen Gründen für
roblematisch; aber das Äquivalenzprinzip aufzuge-
en, bedeutet, dass der Charakter der Rentenversiche-
ung ein völlig anderer wird. Auch das wirft erhebliche
erfassungsrechtliche Fragen auf.
Natürlich taucht wie das Teufelchen in der Box auch
ieder das Thema Mindestlohn auf. Nun stellen Sie den
indestlohn in einen Zusammenhang mit den Einnah-
en der Rentenversicherung. Ich bin mir allerdings
icht sicher, ob hier nicht ein Irrtum vorliegt. Ich fürchte
her, dass mit der Einführung des Mindestlohnes Ar-
eitsplätze verloren gingen. Sie werden vermutlich sa-
en, dass das Arbeitsplätze sind, die nicht Ihrer Vorstel-
ung von guter Arbeit entsprechen. Das mag sein. Aber
enn diese Arbeitsplätze dann wegfallen, hat das natür-
ich auch Auswirkungen auf die Renteneinzahlungen.
6672 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Oktober 2010
Dr. Matthias Zimmer
(A) )
)(B)
(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: In ganz Europa
geht es! Nur hier soll es nicht gehen!)
Einige Probleme mit der Rente mit 67, die hier zum
Teil schon zur Sprache gekommen sind, möchte ich aus
unserer Sicht einmal ansprechen. Es ist richtig, dass es
gerade in körperlich anstrengenden Berufen ausge-
sprochen schwierig ist, bis zum 67. Lebensjahr zu arbei-
ten. Ein Maurer arbeitet nicht bis 67; aber, wie es Franz
Müntefering von diesem Pult einmal formuliert hat: Der
steht auch nicht mehr mit 64 auf dem Gerüst. – Ich
denke, dass hier die Arbeitgeber und die Gewerkschaf-
ten gefordert sind, gerade in solchen Berufen frühzeitig
Weiterbildungsangebote oder Schulungen, die einen an-
deren Arbeitseinsatz erlauben, anzubieten.
(Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Können Sie
sich das bei einem Maurer vorstellen?)
Das betrifft neben der Baubranche die Forst- und Land-
wirtschaft, aber auch den Einzelhandel und die Pflege.
Es ist richtig, dafür Sorge zu tragen, dass immer mehr
ältere Arbeitnehmer auch tatsächlich in Arbeit sind. Das
ist so in 2007 verabredet worden. Wenn wir aber feststel-
len, dass noch zu wenig ältere Arbeitnehmer in Arbeit
sind, dann heißt das doch nicht, dass wir aus der Rente
mit 67 aussteigen müssen, sondern nur, dass wir uns
mehr anstrengen müssen,
(Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Strengen Sie
sich erst mal an! Dann sehen wir weiter!)
diesen Anteil den Arbeitnehmer zu steigern. Wir tun das
mit der Perspektive „50plus“, die schon gute Erfolge
aufweisen kann; der Kollege Strengmann-Kuhn hat das
eben bestätigt.
Wir müssen weg von einem Jugendlichkeitswahn in
der Arbeitswelt, der manchmal seltsame Blüten getrie-
ben hat. Jung soll der Arbeitnehmer sein, keine 30, mit
zehn Jahren Berufserfahrung – im Ausland studiert, mit
Doktorhut, zeitlich und örtlich unbegrenzt flexibel.
Nein, ich glaube, wir müssen einen Bewusstseinswandel
befördern. Wir müssen den Erfahrungsschatz hervorhe-
ben, die Beständigkeit und Gelassenheit, die vielleicht
erst mit zunehmendem Alter kommen.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
der FDP)
Vielleicht müssen wir den Betrieben auch Mittel an die
Hand geben, ihre Mitarbeiter zu halten, etwa durch einen
deutlichen Ausbau der Mitarbeiterbeteiligung. Denn
eines ist richtig: Je besser die Arbeit, je besser das Ar-
beitsklima, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass
länger gearbeitet werden kann. Das geht zumindest aus
dem DGB-Index Gute Arbeit 2009 sehr deutlich hervor.
Hier haben wir noch einigen Handlungsbedarf.
Meine Damen und Herren, der Umstand, der zu unse-
rer Diskussion geführt hat, ist der, dass die Menschen
länger leben und länger Rentenzahlungen erhalten. 1960
haben die Rentner im Durchschnitt zehn Jahre Rente be-
zogen.
K
m
w
d
v
d
m
A
B
H
w
l
h
g
n
K
m
r
M
G
f
d
g
h
m
r
w
b
r
g
R
g
d
r
l
R
2
r
b
t
h
(C
(D
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Herr Kollege, möchten Sie eine Zwischenfrage des
ollegen Schaaf zulassen?
Dr. Matthias Zimmer (CDU/CSU):
Aber natürlich.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Bitte schön.
Anton Schaaf (SPD):
Herr Kollege, Sie haben eben gesagt, dass wir uns
ehr anstrengen müssen, damit Ältere länger beschäftigt
erden und in Arbeit bleiben können. Man solle nicht
afür eintreten, die Rente mit 67 zu verhindern bzw. zu
erschieben, sondern man solle quasi in Kauf nehmen,
ass es so ist. Ich gebe Ihnen recht: Wir müssen uns
ehr anstrengen, damit ältere Arbeitnehmerinnen und
rbeitnehmer in Arbeit bleiben oder in Arbeit kommen.
is dahin sind wir d’accord.
Würden Sie mir zugestehen, dass Menschen vor dem
intergrund der realen Zahlen – sie liegen vor, und sie
erden sich in den nächsten zwei Jahren nur unwesent-
ich verbessern – dauerhaft höhere Abschläge als heute
innehmen müssen, weil sie vorzeitig in den Ruhestand
ehen müssen und somit gezwungen werden, Leistungen
ach dem SGB II zu beziehen? Nehmen wir das in
auf? Das war die Frage. Wenn Sie sagen: „Wir müssen
ehr tun am Arbeitsmarkt“, dann gebe ich Ihnen völlig
echt, auch wenn Ihre Aussage mit den Absenkungen der
ittel für den Eingliederungstitel nicht korrespondiert.
Ich möchte noch gerne ein Versäumnis nachholen.
estern hat nicht nur ein CDU-Kollege Verantwortung
ür die Reform des SGB II übernommen, sondern auch
er Kollege Lehrieder; das will ich hier ausdrücklich sa-
en. Alle anderen Rednerinnen und Redner der Union
aben diese Verantwortung aber leider nicht übernom-
en.
Dr. Matthias Zimmer (CDU/CSU):
Herr Kollege Schaaf, es tut immer gut, wenn von Ih-
er Seite die Kollegen der CDU gelobt werden. Ich
ünschte mir eigentlich, dass Sie sehr viel stärker, als es
isher der Fall gewesen ist, bei dem, was in 2007 verab-
edet worden ist, bleiben. Ich wünschte mir von Ihnen ei-
entlich ein deutliches „Wir stehen nach wie vor zu der
ente mit 67“. Ich glaube, das wäre etwas, was zur be-
rifflichen Klarheit und zur Klarheit in der Diskussion in
iesem Hause beitragen würde.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Meine Damen und Herren, der Umstand, der zu unse-
er Diskussion geführt hat, ist der, dass Menschen länger
eben und länger Rentenzahlungen erhalten. 1960 haben
entner im Durchschnitt zehn Jahre Rente bezogen,
030 werden es 20 Jahre sein. Das ist eine gute Nach-
icht. Solange wir im bestehenden Rentensystem blei-
en, halte ich es schon für legitim, etwas länger zu arbei-
en. Wir werden sicherlich an anderer Stelle Gelegenheit
aben, über Alternativen zu unserem jetzigen System
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Oktober 2010 6673
Dr. Matthias Zimmer
(A) )
)(B)
nachzudenken. Ich persönlich verhehle nicht meine
Sympathie für das Rentenmodell der katholischen Ver-
bände. Ich hoffe sehr, dass wir bei der Diskussion über
Altersarmut auch darüber diskutieren, ob wir unser be-
stehendes Rentensystem nicht langfristig transformieren
wollen. Für heute und den hier diskutierten Antrag bleibt
aber festzuhalten, dass er nichts Neues, aber viel Fal-
sches enthält und deswegen unsere Zustimmung nicht
finden kann.
Danke schön.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Silvia Schmidt hat das Wort für die SPD-Fraktion.
(Beifall bei der SPD)
Silvia Schmidt (Eisleben) (SPD):
Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen und Kol-
legen! Herr Dr. Zimmer, Sie haben zu Recht gesagt: Von
bestimmten Dingen sollte man sich nicht verabschieden.
„Rente mit 67“ ist ein sehr wichtiges Thema in der Ge-
sellschaft. Viele Menschen lehnen die Rente mit 67 ab,
weil sie einfach noch nicht verstanden haben, worum es
eigentlich geht. Die Einführung der Rente mit 67 muss
sehr gut vorbereitet sein, damit die Menschen diese Re-
form begreifen, akzeptieren und mittragen können. Eine
entsprechende Haltung ist zum heutigen Zeitpunkt ein-
fach noch nicht da.
Herr Heinrich, Sie haben wunderbar geredet. Was Sie
gesagt haben, war alles sehr schön. Wenn man das hört,
möchte man gerne bis zum 70. Lebensjahr zur Arbeit ge-
hen. Aber Sie haben auch die Worte verwendet: ge-
braucht werden, lebenslanges Lernen, Spaß am Leben
haben. Glauben Sie mir, ein Erwerbsminderungsrentner
hat heute keinen Spaß am Leben. Das ist uns bewusst;
das haben wir nicht nur in der Anhörung erfahren. Es
gibt hier einige schwerwiegende Punkte. Wir müssen das
Problem der Erwerbsminderungsrente in den Griff be-
kommen. Dabei geht es nicht nur um den Maurer oder
den Metaller, sondern auch um Frauen, die zum Beispiel
im Krankenhaus als Krankenschwester oder im Pflege-
dienst arbeiten. Hier soll noch einmal auf das hingewie-
sen werden, was wir verändern müssen, damit eine Ver-
besserung eintritt.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Zurzeit leben in Deutschland 1,1 Millionen Men-
schen, die eine Erwerbsminderungsrente bekommen.
Übrigens waren es 2000 noch 1,4 Millionen Menschen.
Wir haben die Zugangsvoraussetzungen deutlich erhöht.
Das könnte man kritisieren; aber es war ein guter Weg,
den wir damit gegangen sind. Wir haben das betriebli-
che Eingliederungsmanagement gemäß § 84 SGB IX
eingeführt. Damit ist endlich gesetzlich verankert, dass
Unternehmen Verantwortung für ihre Mitarbeiter tragen.
Die Unternehmen sind also mitverantwortlich dafür, ob
ihre Mitarbeiter in gutem gesundheitlichen Zustand sind,
ob sie sich wohlfühlen. Um dem gerecht zu werden,
müssen sie zusammen mit den Betriebsräten oder den je-
w
S
U
d
l
D
t
I
K
r
S
n
d
m
v
k
s
–
m
s
d
b
P
u
f
i
d
h
d
i
E
g
d
s
F
l
s
n
u
f
w
W
e
B
S
b
A
D
i
S
r
(C
(D
eiligen Interessenvertretungen, zum Beispiel den
chwerbehindertenvertretungen, tätig werden.
Das passiert sehr selten. Nur 50 Prozent der großen
nternehmen wissen, dass es ein betriebliches Einglie-
erungsmanagement gibt, und bei den kleinen und mitt-
eren Unternehmen sind es gerade einmal 25 Prozent.
amit will man nicht nur den Menschen gesund erhal-
en, sondern man will auch seinen Arbeitsplatz erhalten.
ch frage mich manchmal, warum die Wirtschaft dieses
onzept nicht viel intensiver nutzt. Auf der einen Seite
eden wir über Fachkräftemangel, und auf der anderen
eite haben wir 1,1 Millionen Erwerbsminderungsrent-
er, die zu Hause sitzen und sehr gern arbeiten würden,
ies aber nicht in Form einer Zuverdienstlösung; das
öchte ich auch noch einmal deutlich sagen.
(Beifall bei der SPD)
Im Bereich der Erwerbsminderungsrenten ist in den
ergangenen Jahren ein großes Problem auf uns zuge-
ommen: Die Zahlbeträge für Erwerbsminderungsrenten
ind deutlich nach unten gegangen. Das heißt, sie liegen
im Osten wie im Westen – gerade am Existenzmini-
um. Gerade Menschen mit Behinderungen – und dies
ind Erwerbsminderungsrentner – haben natürlich einen
eutlichen Mehrbedarf. Wenn sie diesen Mehrbedarf ha-
en, stehen sie bei den Kommunen an und müssen das
rozedere mit Anträgen, Ablehnungen, Widersprüchen
nd Bescheiden durchlaufen, um endlich einen Ausgleich
ür ihren Mehrbedarf zu erhalten, wobei eine Kommune
n der jetzigen Situation – ich erinnere nur an die Reform
er Eingliederungshilfe – natürlich nicht das Geld dazu
at. An dieser Stelle gilt es, deutlich zu machen, wie wir
ie Erwerbsminderungsrentner unterstützen können.
Ein weiteres Problem, das schon angesprochen wurde,
st, dass eine größere Anzahl von psychisch Kranken
rwerbsminderungsrente bezieht. – Herr Kolb, es wäre
ut, wenn Sie zuhören würden. – Gerade die Menschen,
ie auf dem Arbeitsmarkt flexibel sein müssen, die mobil
ein müssen, die Stress ausgesetzt sind, die lange von den
amilien getrennt sind, die Mobbing über sich ergehen
assen müssen, die einem starken Leistungsdruck ausge-
etzt sind, werden verstärkt zu Erwerbsminderungsrent-
ern. Die Krankenkassen warnen uns und sagen, dass das
nsere zukünftigen Erwerbsminderungsrentner sind. Ich
rage mich, wie wir dieses Problem aus der Welt schaffen.
Hier ist ein Präventionsgesetz vonnöten. Darüber
ird noch gar nicht gesprochen.
(Zuruf von der FDP: Fehlanzeige!)
ir haben zu Zeiten der Großen Koalition versucht, es
inzubringen. Das hat aber nicht funktioniert. Auch der
undesrat hat es abgelehnt. Wir haben damals im
GB IX festgelegt: Prävention vor Reha. – Aber wir ha-
en kein Präventionsgesetz. Wir brauchen eine humane
rbeitswelt, damit Menschen freiwillig länger arbeiten.
as ist ein wesentlicher Punkt.
In den vergangenen Monaten – von Januar bis Mai –
st die Förderung der BA zur Wiedereingliederung von
chwerbehinderten auf dem Arbeitsmarkt deutlich zu-
ückgegangen, und zwar um 24 Prozent. Ältere schwer-
6674 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Oktober 2010
Silvia Schmidt (Eisleben)
(A) )
)(B)
behinderte Langzeitarbeitslose haben kaum eine Chance,
an irgendwelchen Maßnahmen der BA teilzunehmen,
um wieder ins Arbeitsleben eintreten zu können. Diese
werden dann meistens in die Erwerbsminderungsrente
verwiesen. Wenn sie ganz viel Pech haben, dann kom-
men sie in eine geschützte Werkstatt. Das kann nicht un-
ser Zukunftsmodell sein. Wir müssen den Menschen die
Angst nehmen. Wir müssen den Menschen sagen, dass
sie in Zukunft gute und sichere Arbeitsverhältnisse ha-
ben und gerne zur Arbeit gehen werden. Davon profitiert
auch die Wirtschaft und dementsprechend auch das Ren-
tensystem.
Wir fordern, dass der Zugang zur Erwerbsminde-
rungsrente wieder erleichtert wird. Die Abschläge müs-
sen abgeschafft werden. 10,4 Prozent sind relativ viel.
Bei dem niedrigen Betrag, den heute ein Erwerbsminde-
rungsrentner im Durchschnitt bekommt, ist das schon
dramatisch.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Frau Schmidt, kommen Sie bitte zum Ende.
Silvia Schmidt (Eisleben) (SPD):
Wir brauchen endlich ein Präventionsgesetz. Außer-
dem brauchen wir endlich auch gesetzliche Mindest-
löhne.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]:
Und Karthago muss zerstört werden!)
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Gabriele Molitor hat das Wort für die FDP.
(Beifall bei der FDP)
Gabriele Molitor (FDP):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Der Antrag der Linken, den wir zu beraten haben, geht
an der Realität vorbei und erkennt Wahrheiten einfach
nicht an. Es scheint, als ob die Linken noch nie etwas
vom Fachkräftemangel oder von der demografischen
Entwicklung gehört hätten.
(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Die haben auch
keine Fachkräfte! Da kann auch nichts man-
geln!)
Anstatt auf diese drängenden Fragen die passenden Ant-
worten zu suchen, wird ein Kampf der Generationen her-
aufbeschworen. In Ihrem Antrag schreiben Sie, dass die
Rente mit 67 jungen Menschen den Zugang zum Ar-
beitsmarkt versperre.
(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das
stimmt auch!)
Dabei verschließen Sie die Augen davor, dass die Unter-
nehmen dringend auf das Know-how älterer Arbeitneh-
merinnen und Arbeitnehmer angewiesen sind.
(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Warum
beschäftigen die dann keine?)
S
Z
d
w
h
a
E
l
z
V
d
b
ä
D
R
r
W
l
r
t
D
r
s
w
G
g
l
te
u
B
E
d
s
k
h
a
f
(C
(D
ie verkennen auch die Tatsache, dass es in Deutschland
ehntausende offener Ausbildungsplätze gibt.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU)
Ein Blick ins Ausland lohnt: Dänemark und die Nie-
erlande planen die Rente mit 67, Lettland und Irland
ollen die Regelaltersgrenze sogar auf 68 Jahre erhö-
en. In den USA gilt die Altersgrenze von 67 Jahren für
lle Personen, die nach 1960 geboren wurden. Auch die
uropäische Kommission lobt unsere Pläne ausdrück-
ich.
Im kommenden November wird das Arbeits- und So-
ialministerium einen Prüfbericht vorlegen, in dem die
oraussetzungen für die Rente mit 67 untersucht wer-
en. Dieser Bericht soll dann alle vier Jahre fortgeschrie-
en werden und über die Entwicklung der Beschäftigung
lterer Arbeitnehmer auf dem Arbeitsmarkt informieren.
abei wird auch geprüft werden, ob die Anhebung der
egelaltersgrenze weiterhin vertretbar ist oder ob Ände-
ungen notwendig sind. Ich denke, das ist der richtige
eg. Dadurch können wir zukünftig frühzeitig auf mög-
iche Fehlentwicklungen reagieren.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU)
Anders als die Linke wollen wir nicht mit der Förde-
ung von Altersteilzeit Steuergelder für die Frühverren-
ung verschwenden.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU)
ie Koalition hat die Fortführung der staatlichen Förde-
ung von Altersteilzeit im Koalitionsvertrag ausgeschlos-
en, weil von den so frei gewordenen Stellen zwei Drittel
eggefallen sind, das heißt nicht wiederbesetzt wurden.
roße Unternehmen haben diese Maßnahme also dazu
enutzt, mit staatlicher Hilfe Stellen abzubauen. Wir wol-
en kein Blockmodell mehr, auf das 90 Prozent der Alters-
ilzeitfälle entfielen, sondern die Kombination von Rente
nd Zuverdiensten.
(Beifall bei der FDP – Dr. Heinrich L. Kolb
[FDP]: Das ist auch im Interesse der Men-
schen!)
ei diesem Thema argumentieren Sie auch unlogisch.
ine Wiedereinführung der Altersteilzeit würde nämlich
azu führen, dass weniger Menschen in die Rentenkas-
en einzahlen.
Bereits heute ist ein Umdenken in der Wirtschaft er-
ennbar. Die Unternehmen wollen ihre Arbeitnehmer
alten und gerade auf die Erfahrungen ihrer älteren Mit-
rbeiterinnen und Mitarbeiter nicht verzichten.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU)
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Kollege Schaaf würde Ihnen gerne eine Zwischen-
rage stellen.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Oktober 2010 6675
(A) )
)(B)
Gabriele Molitor (FDP):
Herr Schaaf hat zwar heute schon viel Gelegenheit
gehabt, zu reden, aber von mir aus: Bitte schön.
Anton Schaaf (SPD):
Frau Molitor, ich danke Ihnen sehr. Es handelt sich
auch nur um eine Frage zur Altersteilzeit, auf die Sie
vielleicht mit einer Präzisierung antworten können.
Bei der geförderten Altersteilzeit gab es die Bedin-
gung, dass der Arbeitsplatz nicht wegfällt. Zwei Drittel
der Altersteilzeit, die in Anspruch genommen wird und
wurde, war nicht geförderte Altersteilzeit. Wenn Sie jetzt
sagen, dass das nur negative Auswirkungen habe, dann
muss man doch präzisieren, dass es negative Auswirkun-
gen nur im Zusammenhang mit der nicht geförderten Al-
tersteilzeit, wozu nach wie vor die Möglichkeit besteht
– Sie haben diese ja nicht abgeschafft –, gab und gibt. Im
Zusammenhang mit der geförderten Altersteilzeit gab es
keine negativen Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt,
weil Bedingung für die Förderung eben der Erhalt des
Arbeitsplatzes war. Können Sie mir das bestätigen?
Gabriele Molitor (FDP):
Ich denke, die Zahlen sprechen eine deutliche Spra-
che.
(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das ist wahr!)
Ich wehre mich dagegen, Steuergelder zu verwenden,
um Unternehmen solche Umstrukturierungen zu ermög-
lichen.
(Beifall des Abg. Dr. Heinrich L. Kolb [FDP])
Ich denke, wir haben hier den richtigen Weg eingeschla-
gen.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU)
Also: Der Fachkräftemangel wird die Nachfrage nach
gut ausgebildeten und erfahrenen Kräften erhöhen. In
der Krise wurde deutlich, dass in schwierigen Zeiten die
Menschen nicht entlassen worden sind – das Kurzarbei-
tergeld hat sicherlich sehr viel dazu beigetragen –; denn
die Unternehmen wissen ganz genau: Wer einmal entlas-
sen wurde, kommt nicht mehr zurück.
(Beifall bei der FDP – Anton Schaaf [SPD]:
Wer hat es erfunden?)
– Das haben wir gemeinsam erfunden.
(Anton Schaaf [SPD]: Die FDP hat dagegen
gestimmt!)
Ein flexibler Renteneintritt ermöglicht den gleitenden
Übergang vom Erwerbsleben in den Ruhestand. Ein
Wegfall der Hinzuverdienstgrenzen ermöglicht, den ei-
genen Lebensstandard selbst zu bestimmen; das ist uns
sehr wichtig.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU)
Die Beseitigung von Barrieren zur Beschäftigung älte-
rer Menschen führt dazu, dass Gesellschaft und Unter-
n
t
a
W
ß
n
n
f
m
d
S
D
t
l
l
a
s
d
a
K
W
d
r
d
v
b
J
J
o
I
d
z
R
i
W
m
–
J
(C
(D
ehmen stärker vom Know-how älterer Mitarbeiter profi-
ieren können. Von der Wertschätzung älterer Menschen,
uch älterer Arbeitnehmer haben wir schon in anderen
ortbeiträgen gehört. Dem kann ich mich nur anschlie-
en.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU)
All diese Vorkehrungen, alle diese politischen Maß-
ahmen, die wir ergriffen haben, zeigen der jungen Ge-
eration, wie verantwortungsvoll wir mit der Renten-
rage umgehen und dass sie sich keine Sorgen machen
uss, weil für ihren Ruhestand vorgesorgt ist. Das ist
er richtige Weg, und dafür setzen wir uns ein.
Vielen Dank.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Max
traubinger das Wort.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Max Straubinger (CDU/CSU):
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!
ie Linke in unserem Haus stellt heute wieder den An-
rag, die Rente mit 67 abzuschaffen, und verschließt
etztendlich die Augen vor der demografischen Entwick-
ung und auch vor den zukünftigen Herausforderungen
uf dem Arbeitsmarkt. Jetzt, beim Aufschwung, wird
ichtbar, dass wir Fachkräfte brauchen und dass wir hän-
eringend um sie werben müssen. Deshalb ist es richtig,
n dieser Rentengesetzgebung, die wir in der Großen
oalition gemeinsam geschaffen haben, festzuhalten.
ir wissen, dass die Gesamtgesellschaft, die Jungen und
ie Alten, diese demografische Herausforderung solida-
isch zu tragen hat.
Wenn bis zum Jahr 2029 das Regeleintrittsalter auf
as 67. Lebensjahr angehoben wird, so ist dies ein maß-
oller Schritt, weil bis zu diesem Zeitpunkt auch die Le-
enserwartung der Menschen in Deutschland um drei
ahre steigt. Wenn wir dann die Arbeitszeit um zwei
ahre verlängern, so ist dies ein sehr maßvoller, generati-
nengerechter und verantwortbarer Schritt.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
ch danke dem Kollegen Strengmann-Kuhn ausdrücklich
afür, dass er sich ebenfalls dazu bekannt hat.
Aber dem Antrag liegen auch falsche Behauptungen
ugrunde, so beispielsweise die Behauptung, mit der
ücknahme der Rente mit 67 könnten junge Menschen
n Arbeit kommen. Das ist nicht der Fall. Im Gegenteil:
ir haben heute einen Lehrstellenüberschuss; das hat
eine Vorrednerin bereits dargelegt.
(Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Wir haben
über 3 Millionen registrierte Arbeitslose!)
Wir haben die Arbeitslosigkeit in den vergangenen
ahren signifikant abgebaut, und wir sind auf einem gu-
6676 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Oktober 2010
Max Straubinger
(A) )
)(B)
ten Weg, jetzt auch die 3-Millionen-Grenze zu unter-
schreiten. Das ist mit ein Ergebnis unserer Politik.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Vor allen Dingen ist dies kein Rentenkürzungspro-
gramm, wie Sie es darstellen wollen.
Ich denke, es ist viel besser, an praktischen Beispielen
darzustellen, wie sich die Demografie entwickelt. Ich
glaube, dass man sich vor 10 oder 20 Jahren gar nicht vor-
stellen konnte, dass man 100 Jahre alt werden kann. Wir
haben den Kollegen Frankenhauser einmal gefragt, wie
das in der Stadt München ist, und er hat mir die Zahlen
dankenswerterweise schnell mitgeteilt. In München gibt
es momentan 224 Personen über 100 Jahre. Wenn wir die
Lebenserwartungsstatistiken betrachten, ergibt sich, dass
vor allem Frauen älter werden – das ist auch schön – und
dass vor allen Dingen ein weibliches Kind, das heute ge-
boren wird, die Chance hat, 102 Jahre alt zu werden. Man
stelle sich vor, jemand geht mit 67 in Rente und wird
102 Jahre alt. Das bedeutet 35 Jahre Rentenbezug. Das
macht klar, welche Herausforderung die demografische
Entwicklung bedeutet und dass die Bewältigung dieser
Herausforderung eben von allen Generationen gerecht
getragen werden muss und nicht so, wie es die Linken in
unserem Haus darlegen, die die Augen vor dieser Gene-
rationenfrage verschließen.
Werte Damen und Herren, eine Antwort auf diese He-
rausforderung war die Gesetzgebung, die wir jetzt um-
setzen. Aber wichtig ist, dass die Menschen in Arbeit
sind.
Heute sind schon mehrere Zahlen der älteren Be-
schäftigten in unserem Land genannt worden. Gerade
die Entwicklung im letzten Jahr war bedeutsam. Ich darf
ganz kurz die entsprechenden Zahlen nennen. Die Zahl
der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in der
Gruppe zwischen 60 und 64 Jahren lag im März 2010
bei 1 080 000. Diese Zahl ist innerhalb eines Jahres um
120 000 gestiegen. Dies, verehrter Herr Kollege Anton
Schaaf, ist ein Beleg dafür, dass die sogenannte Betrach-
tungsklausel greift. Nach dieser Klausel muss geprüft
werden, ob es verantwortbar ist, die Rente mit 67 ab dem
Jahr 2012 in die Tat umzusetzen. Die Zahlen zeigen in
signifikanter Weise, dass auch Menschen in einem höhe-
ren Alter noch sozialversicherungspflichtig beschäftigt
sind. Dass dies so bleibt, dafür setzen wir uns ein.
Ich bin überzeugt, dass sich diese Entwicklung fort-
setzen wird; denn das Programm für die geförderte Al-
tersteilzeit – der Herr Kollege Kolb hat dies bereits aus-
geführt – läuft aus und findet nur noch für diejenigen
Anwendung, die diesen Schritt bis zum 31. Dezember
2009 gegangen sind.
Es zeigt sich sehr deutlich: Die sozialversicherungs-
pflichtige Beschäftigung älterer Bürgerinnen und Bürger
wird weiter zunehmen. Deshalb bedarf es keines Antrags
wie den der SPD, in dem das Erreichen eines bestimm-
ten Beschäftigungsquotienten gefordert wird. Denn mit
Instrumenten wie beispielsweise dem Kündigungsschutz
für ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer stellen
wir sicher, dass die Beschäftigung von Menschen zwi-
s
s
v
e
p
B
n
g
R
l
B
g
g
n
ä
u
m
j
l
a
k
r
s
S
d
W
(C
(D
chen 60 und 64 Jahren bzw. zwischen 60 und 67 Jahren
teigen wird.
Noch ein Punkt ist wichtig. Wir haben im Rahmen der
ergangenen Rentenreform auf Verlangen der CSU ver-
inbart, dass derjenige, der 45 Jahre sozialversicherungs-
flichtige Beschäftigung und damit die entsprechenden
eitragszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung
achweisen kann, mit 65 Jahren abschlagsfrei in Rente
ehen kann. Das ist unser sozialpolitischer Beitrag zur
entengesetzgebung, der meines Erachtens in der öffent-
ichen Darstellung viel zu kurz kommt.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
neten der FDP)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die vom Deutschen
undestag verabschiedeten Rentengesetze sind demo-
rafisch und vor allen Dingen gesellschaftspolitisch aus-
ewogen. Wir werden diese Gesetze zukünftig mit Maß-
ahmen flankieren, mit denen sichergestellt wird, dass
ltere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit guten
nd altersgerechten Arbeitsplätzen versorgt werden. Da-
it besteht für sie die Möglichkeit, bis zum 67. Lebens-
ahr ihrer Arbeit nachzugehen.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Zwischen den Fraktionen ist es verabredet, die Vor-
age auf Drucksache 17/2935 an die in der Tagesordnung
ufgeführten Ausschüsse zu überweisen. – Dazu gibt es
einen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 27 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Re-
strukturierung und geordneten Abwicklung
von Kreditinstituten, zur Errichtung eines Re-
strukturierungsfonds für Kreditinstitute und
zur Verlängerung der Verjährungsfrist der ak-
tienrechtlichen Organhaftung (Restrukturie-
rungsgesetz)
– Drucksache 17/3024 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Haushaltsausschuss
Hierzu ist es vorgesehen, eine Stunde zu debattie-
en. – Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist es so be-
chlossen.
Für die Bundesregierung hat der Parlamentarische
taatssekretär Hartmut Koschyk das Wort.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
neten der FDP)
Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär beim Bun-
esminister der Finanzen:
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!
ir sind uns darüber einig, dass eine zentrale Lehre aus
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Oktober 2010 6677
Parl. Staatssekretär Hartmut Koschyk
(A) )
)(B)
der Finanzmarktkrise die stärkere, vor allem aber die
effizientere Regelung der Finanzmärkte sein muss. Da-
für hat die Bundesregierung auf internationaler Ebene
– beim IWF, bei den G 20 und auf europäischer Ebene –
ein Bündel von Regulierungsmaßnahmen maßgeblich
vorangebracht, die natürlich national umgesetzt werden
müssen.
Wir alle wissen: Dazu gehört auf der einen Seite, dass
wir die Eigenkapitalausstattung der Banken verbessern.
Die geringe Eigenkapitalausstattung der Banken war ein
Grund für die Krise. Die Bemühungen im Basler Aus-
schuss dienen dem Ziel, die Eigenkapitalausstattung zu
verbessern. Es muss aber auch darum gehen, sogenannte
systemrelevante Finanzinstitute überhaupt nicht in Schief-
lagen geraten zu lassen. Die Problematik, um die es hier
geht, wird in der Fachwelt als Moral Hazard bezeichnet.
Das heißt nicht anderes, als dass der Staat mit seiner Re-
gulierung dafür sorgen muss, dass systemrelevante Ban-
ken nicht in die Versuchung geführt werden, höhere Ri-
siken, als sie verantworten können, einzugehen, weil sie
sich ihrer Rettung durch den Staat sicher sein können.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Dem dient der Gesetzentwurf, der in einer guten Part-
nerschaft zwischen dem Justizministerium und dem Fi-
nanzministerium entwickelt wurde. Er stärkt die Eigen-
verantwortung der Banken, er schützt so den deutschen
Finanzsektor mit maßgeschneiderten Instrumenten zur
Reorganisation und Restrukturierung vor bedrohlichen
Dominoeffekten, und er sorgt dann, wenn es zu einer
Krise kommt, für einen besseren Schutz unserer Steuer-
zahler, indem er den Bankensektor an den Kosten künfti-
ger Krisen beteiligt.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Die Finanzkrise hat klargemacht, dass die bisherigen
Reorganisations- und Insolvenzverfahren vieler Länder
– auch in Deutschland – für die Sanierung systemrele-
vanter Banken verbessert werden müssen. Diese Verfahren
zielten in der Regel darauf ab, im Falle einer Schieflage
den Geschäftsbetrieb einzufrieren und die Vertragsbezie-
hungen zu anderen Finanzmarktteilnehmern zu unterbre-
chen. Bei systemrelevanten, auch international vernetz-
ten Banken ist aber eine solche Vorgehensweise – das
hat die Krise deutlich gemacht – ungeeignet. Denn das
Einfrieren des Geschäftsbetriebs und die Unterbrechung
der Vertragsbeziehungen einer großen national und inter-
national stark vernetzten Bank kann eine Vertrauenskrise
unter den Banken auslösen und zu einer Gefahr für das
gesamte Finanzsystem führen; das haben wir in der Fi-
nanzmarktkrise erlebt. Ich darf nur an die Insolvenz der
international stark vernetzten Bank Lehman Brothers er-
innern, die zu einem zeitweiligen Zusammenbruch der
globalen Finanzmärkte führte.
Wir führen deshalb mit dem vorliegenden Gesetzent-
wurf ein intelligentes Regime zur Restrukturierung und
geordneten Abwicklung von systemrelevanten Banken
in Deutschland ein. Es geht darum, dass Banken ihre fi-
nanziellen Schwierigkeiten in Zukunft nicht mehr aus
Furcht vor Marktreaktionen verdecken können; denn ge-
rade in der Frühphase der Gefährdung eines Instituts be-
s
S
h
s
h
G
n
s
ö
D
K
u
D
b
f
R
e
k
s
t
S
D
u
n
t
g
d
i
u
a
f
t
n
I
F
l
v
g
V
s
R
A
K
V
l
s
w
g
t
n
(C
(D
tehen oftmals noch die besten Chancen, die beginnende
chieflage mit einem relativ geringen Aufwand zu ver-
indern.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Hier setzt unser Gesetzentwurf an. Er sieht ein mehr-
tufiges Verfahren vor, mit dem Schieflagen durch frü-
es und entschiedenes Eingreifen auf der Ebene der
eschäftsführung bewältigt werden können. Im soge-
annten Sanierungsverfahren, das allen Banken offen-
teht, wird eine breite Palette von Handlungsoptionen er-
ffnet. Hier sind zunächst noch keine Eingriffe in
rittrechte vorgesehen.
Im Ernstfall greift dann aber bei systemrelevanten
reditinstituten das sogenannte Reorganisationsverfahren,
m Gefahren für die Stabilität des Systems abzuwehren.
as Reorganisationsverfahren orientiert sich dabei am
ereits existierenden und bewährten Insolvenzplanver-
ahren. Sind die Beteiligten nicht bereit, aktiv an einer
eorganisation des Instituts mitzuwirken, oder erscheint
in Reorganisationsverfahren nicht aussichtsreich, dann
ann die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht
ofort ein aufsichtsrechtliches Eingriffsverfahren einlei-
en.
Mit diesem Regime führen wir ein Instrument ein, das
chieflagen von Instituten in Zukunft verhindern soll.
ie Entscheidung, ob eine Bank in eine Schieflage gerät
nd ob diese Bank systemrelevant ist, wird in Zukunft
icht mehr die Bank selber, sondern die Bankenaufsicht
reffen. Natürlich schließen sich die beiden von mir auf-
ezeigten Verfahren nicht aus. Voraussetzung ist also,
ass die in Schwierigkeiten geratene Bank national oder
nternational vernetzt ist. Dann kann der Staat eingreifen
nd, wenn es keinen anderen Ausweg gibt, Maßnahmen
nordnen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Meine sehr verehrten Damen und Herren, dieses Ver-
ahren ist das eine. Aber wir brauchen auch Krisenreak-
ionsmöglichkeiten. Deshalb werden wir einen soge-
annten Restrukturierungsfonds schaffen, an den alle
nstitute eine Sonderabgabe entrichten müssen, um im
alle der Krise nicht automatisch wieder den Steuerzah-
er zur Kasse zu bitten. Da werden wir sehr vernünftig
orgehen. Das heißt, wir werden in einer noch vorzule-
enden Verordnung Parameter entwickeln, die wir in das
erfahren einführen werden. Selbstverständlich wird es
o sein, dass die Abgabe risikoadjustiert ist: Je höher die
isiken bei einem Institut sind, desto höher ist auch die
bgabe, die eine Bank zu leisten hat.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Ich will hier ankündigen, dass wir gemeinsam mit den
oalitionsfraktionen anstreben, im parlamentarischen
erfahren des vorliegenden Gesetzentwurfes eine Rege-
ung zu finden, die die Kappung variabler Gehaltsbe-
tandteile bei gestützten Banken ermöglicht. Das ist ein
ichtiges Thema, wie die Diskussion der letzten Tage
ezeigt hat. Das Justizministerium und das Finanzminis-
erium werden gemeinsam mit den Bundestagsfraktio-
en das laufende Gesetzgebungsverfahren nutzen, um
6678 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Oktober 2010
Parl. Staatssekretär Hartmut Koschyk
(A) )
)(B)
hier zu vernünftigen, aber auch rechtssicheren Lösungen
zu kommen.
Schließlich möchte ich darauf hinweisen, dass der
Entwurf eine Verlängerung der Verjährungsfrist von fünf
auf zehn Jahre für die Haftung der Organe von Aktienge-
sellschaften bei Pflichtverletzungen vorsieht. Dadurch
können Ersatzansprüche auch dann noch durchgesetzt
werden, wenn sie spät bekannt werden.
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf legen wir einen
wichtigen Mosaikstein für ein Gesamtkunstwerk neu
greifender, besserer und effizienterer Regelungen für un-
sere Finanzmärkte vor.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Der Kollege Manfred Zöllmer hat das Wort für die
SPD.
(Beifall bei der SPD)
Manfred Zöllmer (SPD):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Lieber Herr Kollege Koschyk, ich habe gerade gehört,
dass es sich bei Ihrem Gesetzentwurf um ein Gesamt-
kunstwerk handeln soll.
(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: So was
kennen Sie gar nicht! – Leo Dautzenberg
[CDU/CSU]: Das ist es auch! Das sind Sie
nicht gewohnt, Herr Kollege!)
– Nein; das überfordert mich in der jetzigen Situation. –
Da müssen wir einmal schauen, ob dieses Kunstwerk
sehr abstrakt oder sehr konkret ist; dann werden wir es
entsprechend bewerten.
Aus den USA stammt eine Begrifflichkeit, die bereits
im Jahre 1914 während der ersten Finanzkrise geprägt
worden ist und die auch heute eine große Rolle spielt:
„too big to fail“. Genau mit diesem Phänomen sind wir
in der Finanzmarktkrise konfrontiert worden. Der dro-
hende Zusammenbruch eines systemrelevanten Kredit-
institutes hätte dramatische Folgen für die Stabilität des
gesamten Finanzsystems und unübersehbare negative
Folgen für die Gesamtwirtschaft gehabt. Das Problem
dabei ist: Wenn wir eine solche Situation haben, wird ein
zentraler Mechanismus unserer Marktwirtschaft außer
Kraft gesetzt. Dieser Mechanismus besagt: Wenn ein
Unternehmen schlecht wirtschaftet, auf Dauer Verluste
macht und nicht wettbewerbsfähig ist, dann muss es vom
Markt verschwinden. Wenn das nicht mehr gilt, dann hat
das Konsequenzen. Das Fehlen dieses Mechanismus ist
wegen der Sicherheit, dass im Zweifelsfalle der Staat
einspringen würde, natürlich nicht nur für Anleger at-
traktiv, sondern besonders für die Bankmanager. Wir ha-
ben gesehen, dass diese Situation die Bankmanager dazu
verleitet, besonders risikoreiche Geschäfte zu tätigen.
Denn mit diesen besonderen, waghalsigen Geschäften
konnten sie dicke Renditen und exorbitante Boni bekom-
men.
s
g
b
v
–
–
G
A
r
v
A
l
r
b
s
c
o
a
b
v
s
E
d
w
m
E
W
E
t
w
e
w
s
k
f
g
a
b
d
b
r
t
r
s
h
(C
(D
Nun geht es um einen Gesetzentwurf, mit dem man
ich dieser Problematik annimmt. Dieser Gesetzentwurf
ründet sich in vielen Punkten auf die Vorarbeiten der
eiden Minister Frau Zypries und Herrn Steinbrück im
ergangenen Jahr.
(Zuruf des Abg. Leo Dautenzenberg [CDU/
CSU])
Etwas lauter, bitte. Ich habe es nicht verstanden.
(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Die haben das
nur nie finalisiert!)
Das war im August letzten Jahres. Daran, dass Sie das
anze aufgenommen haben, kann man sehen, dass gute
rbeit geleistet worden ist.
Dieser Gesetzentwurf sieht ein zweistufiges Verfah-
en mit einem Sanierungs- und einen Reorganisationsteil
or. Im Kern ist das richtig. Der erste Teil basiert auf der
uffassung, dass in einer freiheitlichen marktwirtschaft-
ichen Ordnung derjenige Verantwortung für eine Sanie-
ung hat, der auch die unternehmerische Verantwortung
esitzt. Das ist ordnungspolitisch der richtige Ansatz. Er
etzt voraus, dass von den Aufsichtsgremien entspre-
hend gehandelt wird. Wenn weder Sanierung noch Re-
rganisation klappen, dann muss die Aufsicht die Bank
ufspalten und systemrelevante Teile auf eine Brücken-
ank übertragen, die dann fortgeführt wird. Der Rest
erbleibt in einer sogenannten Bad Bank, also in einer
chlechten Bank, und könnte dann abgewickelt werden.
in „too big to fail“ würde es zumindest für diesen Teil
ann nicht mehr geben.
Der Teufel steckt aber bekanntlich im Detail. Wir
erden uns diesen Gesetzentwurf sehr genau ansehen
üssen.
(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Er liegt aber
schon länger vor!)
s bleiben einige Fragen. Ich will einige Fragen stellen:
ie sieht es mit den Arbeitnehmerrechten aus? Welche
ingriffsrechte haben die Sanierungs- und Reorganisa-
ionsberater in diesem Zusammenhang? Für uns wäre es
ichtig, dass die zentralen Arbeitnehmerrechte auch in
iner Krisensituation gewahrt bleiben. Der Gesetzent-
urf sieht vor, dass die BaFin tätig wird. Das ist klar, da
ie für die Finanzaufsicht zuständig ist. Daneben be-
ommt die Abwicklungsbehörde bei der Bundesanstalt
ür Finanzmarktstabilisierung neue und zusätzliche Auf-
aben. Diese Konstruktion wird man sich einmal genau
nsehen müssen. Es kann natürlich passieren, dass diese
eiden Institutionen, wenn sie nicht miteinander, son-
ern eher gegeneinander arbeiten, für zusätzliche Pro-
leme sorgen und das Verfahren unnötig verkomplizie-
en.
Aufseiten der Sparkassen gibt es die große Befürch-
ung, dass viele Regelungen nicht mit dem Sparkassen-
echt übereinstimmen. Ich glaube, das sollten wir sehr
orgfältig prüfen und Probleme in diesem Zusammen-
ang zweifelsfrei klären.
(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Welche sind
das denn bei den Sparkassen?)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Oktober 2010 6679
Manfred Zöllmer
(A) )
)(B)
– Bei den Debt-to-Equity Swaps, der Umwandlung von
Fremdkapital in Eigenkapital, zum Beispiel sagen die
Sparkassen: Dies ist nach unserer Rechtskonstruktion
nicht möglich.
(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Das kommt
darauf an!)
– Lassen Sie uns das doch einmal in Ruhe klären. Wir
führen ja noch eine Anhörung durch.
Gestern haben wir hier über den Boniskandal bei der
HRE diskutiert. Wir haben gesagt, dass wir in diesem
Zusammenhang dringend gesetzliche Regelungen brau-
chen, damit auch in bestehende Verträge eingegriffen
werden kann.
(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Richtig!)
Ich glaube, auch dies ist ein Punkt, bei dem wir nach-
arbeiten müssen.
Die entscheidende Frage lautet: Wie praxisrelevant
sind die gesetzlichen Regelungen eigentlich? Funktio-
niert das? Wird ein Kreditinstitut in einer schwierigen
Situation seine Sanierungsbedürftigkeit freiwillig anzei-
gen? Wird diese Regelung wirklich als Chance begrif-
fen, oder wird die Nutzung dieser Regelung als Zeichen
des Scheiterns interpretiert? Das müssen wir klären. Von
daher bedauern wir ein bisschen den großen Zeitdruck,
den die Bundesregierung bei diesem doch sehr komple-
xen Gesetzeswerk aufgebaut hat.
Ein wichtiger Teil dieses Gesetzentwurfs ist die soge-
nannte Bankenabgabe. Wir müssen zum einen feststel-
len, dass damit ein Restrukturierungsfonds gespeist wer-
den muss. Aus diesem Fonds sollen in zukünftigen
Krisensituationen Maßnahmen finanziert werden. Das
Problem dabei ist nur, dass das Aufkommen aus der
Bankenabgabe mehr als gering ist. Im günstigsten Fall
sind das 1,3 Milliarden Euro. Aber es kann auch viel we-
niger sein. Überlegen wir einmal, wie viele Jahrzehnte
wir brauchen – vielleicht ist es sogar ein ganzes Jahrhun-
dert –, um diesen Topf mit entsprechenden Mitteln zu
füllen.
(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Dann haben
Sie den Restrukturierungsfonds falsch verstan-
den, Herr Kollege!)
Wenn die Bankenabgabe so gering dimensioniert ist,
dann wird der Staat in einer solchen Situation auch zu-
künftig in der Pflicht sein. „Staat“ bedeutet konkret, dass
die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler gefordert sind.
Im Übrigen entlarvt sich die Regierungsrhetorik von ei-
ner Beteiligung der Banken an den Kosten der Krise da-
mit als Luftbuchung. Es geht nicht um eine Beteiligung
der Banken an einer Krise, sondern es geht um die Betei-
ligung an zukünftigen Krisen.
(Zuruf von der FDP: Richtig!)
Sie haben es nicht hinbekommen oder nicht gewollt,
die Banken an den aktuellen Krisenkosten zu beteiligen,
und das ist nicht akzeptabel.
(Beifall bei der SPD)
a
b
g
e
d
„
m
n
t
F
B
s
d
–
l
s
e
A
d
e
g
–
b
v
s
W
g
w
1
I
D
B
d
(C
(D
Dann müssen wir darüber reden, ob es richtig ist,
uch Sparkassen, Bausparkassen, Volks- und Raiffeisen-
anken für beitragspflichtig zu erklären, obgleich sie ei-
ene Sicherungssysteme haben und nicht Täter, sondern
her Opfer der Krise waren. Das sehen im Übrigen auch
ie Länder so.
Außerdem taucht bei den Ländern noch das Stichwort
landeseigene Förderbanken“ auf. Auch darüber wird
an sicherlich reden müssen.
(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Richtig!)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben in der Fi-
anzkrise sehr viel über die globale Vernetzung der Insti-
ute gelernt. Deswegen müssen wir uns auch mit der
rage auseinandersetzen: Wie gehen wir eigentlich mit
anken um, die grenzüberschreitend agieren? Warum
ind Filialen grenzüberschreitender Banken nicht von
er Abgabe betroffen?
(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Weil sie Filia-
len sind!)
Weil sie Filialen sind. – Großbritannien macht das völ-
ig anders. Da geht es nach dem Territorialprinzip. Dort
ind deutsche Banken, die Filialen haben, ebenfalls zu
iner Abgabe verpflichtet.
(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Nein, das sind
dort Niederlassungen! Das ist ein Unter-
schied!)
Ich glaube, wir können Folgendes feststellen: Diese
rt der Bankenabgabe führt in die Irre. Dadurch werden
ie Banken nicht an den Kosten der Krise beteiligt, und
s wird dadurch auch keine ausreichende Vorsorge ge-
en zukünftige Krisen getroffen. Das bedauern wir sehr.
(Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Was ist denn
die Alternative? – Leo Dautzenberg [CDU/
CSU]: Was wollen Sie denn jetzt?)
Die Alternative heißt Finanztransaktionsteuer. Das
leibt unser Ziel; das bleibt unser Weg.
(Beifall bei der SPD und der LINKEN – Leo
Dautzenberg [CDU/CSU]: Das ist eine ganz
andere Baustelle, Herr Kollege!)
Ich war gestern auf einer Veranstaltung der Landes-
ertretung Rheinland-Pfalz. Dort ist ein gewisser Profes-
or Kirchhof aufgetreten; Sie sollten ihn noch kennen.
issen Sie, was dieser Professor Kirchhof vorgeschla-
en hat? Er hat gesagt: Finanztransaktionsteuer. Er
ollte sogar eine Finanztransaktionsteuer in Höhe von
Prozent. Er hat das vehement vertreten.
(Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Auf nationaler
Ebene?)
ch finde, daran könnten Sie sich ein Beispiel nehmen.
as wäre der richtige politische Weg.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen den
anken das staatliche Ruhekissen nehmen, und es muss
abei bleiben: Die Banken müssen an den Kosten der
6680 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Oktober 2010
Manfred Zöllmer
(A) )
)(B)
Krise beteiligt werden. In diesem Sinne werden wir uns
intensiv mit dem Gesetzentwurf auseinandersetzen.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der SPD)
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Björn Sänger hat das Wort für die FDP-Fraktion.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Björn Sänger (FDP):
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Nur 6 Prozent aller Unternehmen werden älter
als 100 Jahre. Diese Zahl zeigt ganz deutlich, dass das
Scheitern, dass Marktaustritte, dass das Leben und Ster-
ben in einer sozialen Marktschaft dazugehören, so wie
sie auch zum realen Leben dazugehören.
Bislang war eine Gruppe von diesem Prozess faktisch
weitgehend ausgenommen. Das waren Kreditinstitute,
wenn sie eine bestimmte Größe hatten – es ist nicht ganz
klar, um welche Größe es sich dabei handelt; wir hatten
IKB, wir haben HRE – und das Ganze eine gewisse Sys-
temrelevanz hat. Diese Institute konnten oder können
faktisch nicht aus dem Markt ausscheiden.
Das Ganze hat drei Folgen. Die erste Folge ist: Die
unternehmerische Entscheidung wird vom Risiko ent-
koppelt, im Übrigen auch von der Verantwortung der Ei-
gentümer, genauer hinzuschauen, was sich denn eigent-
lich in ihrer Bank, an der sie Anteile haben, tut. Zweite
Folge, daraus resultierend: Es werden Entscheidungen
getroffen, die mit einer vernünftigen Risikosteuerung
nichts zu tun haben. Man trifft die Entscheidung anders,
wenn man die Gefahr des Scheiterns vor Augen hat. Da-
mit bin ich schlussendlich bei der dritten Folge: Die Ge-
fahr, dass der Steuerzahler einspringen muss, steigt ex-
trem.
Jetzt liegt uns hier die Problemlösung vor; ich sage
einmal, ein weiterer Mosaikstein im großen Gesamt-
kunstwerk der christlich-liberalen Bundesregierung,
(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Das ist mehr
als ein Mosaikstein!)
was die Neuordnung der Finanzmärkte angeht, der ganz
offensichtlich mehrere Mütter und Väter hat, wie alles,
was gut ist. Es gibt ein Positionspapier der FDP aus dem
Sommer letzten Jahres, in dem man viel von dem wie-
derfindet, was dieser Gesetzentwurf richtigerweise be-
inhaltet.
Wir haben uns auf drei große Maßnahmen konzen-
triert: erstens auf die Schaffung eines Rechtsrahmens,
um ein kontrolliertes Ausscheiden aus dem Markt oder
aber auch eine Sanierung zu ermöglichen, zweitens ein
branchenfinanzierter Fonds zur Stabilisierung des
Finanzsystems, sofern dies denn notwendig ist, und drit-
tens die Verschärfung der Haftung für die Handelnden.
D
g
a
n
B
l
a
K
E
d
B
r
D
a
r
I
D
B
D
f
m
m
S
w
k
s
t
g
d
e
d
n
m
w
m
s
L
(C
(D
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU)
as alles zeigt die entschlossene und sachgerechte Re-
ulierung der Bundesregierung, die sich wieder einmal
ls vorbildlich erweist.
Ich möchte auf die erste und die dritte Maßnahme gar
icht genauer eingehen, sondern werde mich auf die
ankenabgabe konzentrieren. Hierzu besteht offensicht-
ich der größte Diskussionsbedarf. Rund um die Banken-
bgabe gibt es eine ganze Reihe von Irrtümern. Der Herr
ollege Zöllmer hat soeben einen davon angesprochen.
r hat freundlicherweise auch zugegeben, dass es sich in
er Tat um einen Irrtum handelt. Der Irrtum lautet, die
anken sollen für die Krise zahlen. Das ist aber faktisch
echtlich nicht machbar.
(Joachim Poß [SPD]: Daran hat die FDP auch
nie gedacht! – Nicolette Kressl [SPD]: Können
wir das noch einmal so hören?)
eswegen ist unser Ansatz, einen präventiven Fonds
ufzubauen, um im gegebenen Fall aus der Branche he-
aus einspringen zu können, richtig. – Dies war der erste
rrtum.
(Beifall bei der FDP)
Der zweite Irrtum ist, dass man einzelne Säulen des
rei-Säulen-Bankwesens in Deutschland von dieser
ankenabgabe ausschließen kann.
(Joachim Poß [SPD]: Das hat Herr Schäuble
anders gesagt!)
en Sparkassen ist das Thema Landesbank nicht ganz
remd. Auch in Bezug auf die Genossenschaftsbanken
uss man sagen, dass eigene Schutzmechanismen im-
er nur vor inneren Problemen schützen. Einen externen
chock wie die Finanzkrise, die wir erleben mussten,
ird ein eigenes Sicherungssystem niemals auffangen
önnen. Bei illiquiden Märkten nützt auch die beste In-
titutssicherung nichts, wenn keine Mittel an den Märk-
en vorhanden sind.
Ich fasse zusammen: Wir haben eine Bankenabgabe
eschaffen, die fair nach Risiken über die vorhandenen
rei Säulen differenziert. Wir haben durch das Gesetz
in Instrumentarium geschaffen, welches sicherstellt,
ass ein Karren, der gegen die Wand gefahren wird,
icht auf Kosten des Staates repariert wird. Er soll viel-
ehr abgeschleppt werden, damit man schauen kann,
as man damit noch machen kann. Im schlimmsten Fall
uss er eben abgewrackt werden, und das ganz ohne
taatliche Abwrackprämie.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Richard Pitterle spricht jetzt für die Fraktion Die
inke.
(Beifall bei der LINKEN)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Oktober 2010 6681
(A) )
)(B)
Richard Pitterle (DIE LINKE):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Da ich aus der Region Stuttgart komme,
muss ich etwas vorausschicken:
(Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär:
Nicht schon wieder! Bei jeder Rede! Was hat
dieses Thema hier zu suchen?)
Trotz der gestrigen skandalösen Einsätze mit Wasser-
werfern und Reizgas werden heute Abend in Stuttgart
10 000 Bürgerinnen und Bürger für eine sinnvolle Spar-
maßnahme demonstrieren. Sie wollen sich und uns
Stuttgart 21 ersparen, weil es in einer Zeit leerer Kassen
nicht zu rechtfertigen ist, Milliarden in der Erde zu ver-
buddeln.
(Beifall bei der LINKEN)
Hierbei finden sie die Linke an ihrer Seite. Die Bürgerin-
nen und Bürger von Stuttgart haben gelernt, dass sie auf
die Straße gehen müssen, um etwas zu verändern,
(Björn Sänger [FDP]: Sie haben die falsche
Rede!)
dass es nicht ausreicht, die Vernunft auf ihrer Seite zu
haben, wenn hinter der Gegenseite starke wirtschaftliche
Interessen stehen.
Gleiches gilt für die Situation der Banken. So lange
augenscheinlich nicht Tausende Menschen auf die
Straße gehen und die Deutsche Bank belagern, die viele
Besucher meines Wahlbüros für die eigentliche Regie-
rung halten, scheint sich nichts zu bewegen. Wir brau-
chen endlich ein Gesetz, das tatsächlich Lehren aus der
Krise zieht und diejenigen zur Kasse bittet, die die Ver-
ursacher waren.
(Beifall bei der LINKEN – Leo Dautzenberg
[CDU/CSU]: Das ist der Beitrag zur Restruk-
turierung der Banken!)
Frau Merkel hat in der Haushaltsdebatte am 20. Ja-
nuar dieses Jahres gesagt, es gehe darum, „Wege zu fin-
den, um zu verhindern, dass Banken so groß sind oder so
verflochten sind, dass sie uns immer wieder sozusagen
erpressen können“. Wer den Mund so spitzt wie Frau
Merkel, der sollte auch einmal pfeifen. Ich meine, davon
ist in diesem Gesetz nichts zu spüren.
(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Den haben sie
noch nicht gelesen, Herr Kollege!)
Allein mit diesem Gesetz werden Sie künftigen Finanz-
krisen nicht vorbeugen, weil der gewählte Ansatz grund-
legend falsch ist.
(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Blödsinn!)
Um Ihnen das an einem Bild zu erklären: Ein wieder-
holt brandgefährdetes Hochhaus kann man abreißen und
stattdessen mehrere kleine Häuser bauen. Man kann aber
auch vollmundig versprechen, eine höchst effektive Feu-
erwehr aufzubauen, sich aber in Wirklichkeit damit be-
gnügen, Handfeuerlöscher zur Pflicht zu erklären. Genau
das tun Sie.
(Beifall bei der LINKEN)
b
i
s
n
B
e
I
l
ß
t
n
w
T
e
G
k
v
f
g
c
B
s
W
s
m
i
v
b
4
w
k
k
G
i
t
A
K
l
d
v
G
V
p
g
M
(C
(D
Sie wollen uns weismachen, dass man einen Groß-
rand mit den verordneten Handfeuerlöschgeräten schon
rgendwie unter Kontrolle bringen wird. Aber Sie täu-
chen sich, meine Damen und Herren. Denn wer sagt Ih-
en, dass die verantwortlichen Manager im Haus, um im
ild zu bleiben, die Feuerlöscher auch benutzen, wenn
s anfängt, zu brennen? Möglicherweise haben sie kein
nteresse, dass bekannt wird, dass es unter ihrem Dach
odert, und hoffen, das Feuer vielleicht auch mit den Fü-
en austreten zu können.
Selbst BaFin-Präsident Jochen Sanio hat im HRE-Un-
ersuchungsausschuss festgestellt, dass damals alle Maß-
ahmen, die nach § 45 Kreditwesengesetz möglich ge-
esen wären, das Problem nicht gelöst hätten und das
odesurteil für die betroffene Bank gewesen wären.
(Christian Ahrendt [FDP]: Deswegen wird
§ 45 KWG jetzt ja auch geändert! Wenn Sie
den Gesetzentwurf gelesen hätten, würden Sie
das wissen!)
Damit wir uns nicht missverstehen: Auch wir sind für
in Insolvenzrecht für Banken. Aber wir machen uns im
egensatz zu Ihnen keine Illusion, dass dadurch Finanz-
risen verhindert werden könnten. Warum sollten die
orgeschlagenen Maßnahmen bei den Banken auch
unktionieren? Da ein Sanierungsplan vom Oberlandes-
ericht bestätigt werden muss, ist er nicht zu verheimli-
hen und wird zwangsläufig bekannt. Dies birgt für die
ank die Gefahr, dass sich Kunden und Geschäftspartner
ofort abwenden und ihre Mittel abziehen. Ich frage Sie:
ie wollen Sie solch eine Kettenreaktion verhindern?
(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Restrukturie-
ren!)
Damit komme ich zur Bankenabgabe. Wie, bitte
chön, wollen Sie sich mit den angesprochenen Einnah-
en von 1,2 oder 1,3 Milliarden Euro – zu einer Abgabe
n dieser Höhe wollen Sie die Banken jetzt vorsorglich
erpflichten – für die nächste Krise wappnen, wenn doch
ei der letzten Krise Bürgschaften in Höhe von
80 Milliarden Euro bereitgestellt werden mussten? Ent-
eder sind Sie grenzenlose Optimisten, oder die Ban-
enlobby rennt bei Ihnen offene Türen ein.
Ich sage: Sie wollen vor allen Dingen die Öffentlich-
eit beruhigen und mit Scheinaktivitäten einlullen.
roßspurig behaupten Vertreter der Regierungskoalition
mmer wieder, man wolle den Finanzsektor an den Kos-
en der Krise beteiligen. Aber in Wirklichkeit sind es die
rbeitslosen, die Rentnerinnen und Rentner sowie die
ranken, die für die Bewältigung der Krisenfolgen zah-
en.
Kürzungen im sozialen Bereich und die Verabschie-
ung von der Solidarität bei der gesetzlichen Kranken-
ersicherung sind Ihre neuesten Grausamkeiten. Schwarz-
elb hat augenscheinlich nicht den Mut, sich gegen die
erursacher der Krise und die Nutznießer des Kasinoka-
italismus zu stellen und die Spekulationsgewinne geld-
ieriger Banker abzuschöpfen, geschweige denn den
ut, das Kasino zu schließen.
6682 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Oktober 2010
Richard Pitterle
(A) )
)(B)
Dies wird auch am vorliegenden Gesetzentwurf deut-
lich. Statt einer wirklichen Bankenabgabe, wie sie von
der Linken, Attac und Gewerkschaften gefordert wird,
kommt bei Ihnen ein Restukturierungsfonds heraus, in
den laut Presseberichten lächerliche 1,2 Milliarden Euro
pro Jahr eingezahlt werden sollen.
Wir kritisieren an diesem Restrukturierungsfonds,
dass das von den Banken zu zahlende Geld nicht in den
Bundeshaushalt fließt, obwohl die Banken mit Mitteln
aus dem Bundeshaushalt, nämlich mit Steuergeldern, ge-
rettet wurden.
Wir kritisieren daran, dass die Höhe der Abgabe und
die Höhe der Beiträge der einzelnen Banken ohne Zu-
stimmung von Bundestag und Bundesrat bestimmt wer-
den sollen;
(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Sauerei!)
dadurch beschädigen Sie wieder einmal die parlamenta-
rische Demokratie.
Wir kritisieren, dass das Bundesministerium der Fi-
nanzen einen Freibrief bekommt, die Abgabe so gering
zu gestalten, wie es will. Da kann ich nur sagen: Ban-
kenlobby, ick hör dir trapsen.
Auch wenn die Banken offiziell nun nicht laut
„Hurra!“ schreien – denn den Banken erscheint jede
Steuer und Abgabe als eine ungerechte Belastung –, ha-
ben sie sehr wohl verstanden, dass sie von dieser Regie-
rung nicht wirklich etwas zu befürchten haben.
Aber nicht jeder aus dem Bankensektor, der jetzt
schreit, schreit zu Unrecht. Wir als Linke sind der Mei-
nung, dass die Einbeziehung der Sparkassen, Raiffeisen-
banken und Volksbanken in den vorgesehenen Restruk-
turierungsfonds nicht zu rechtfertigen ist.
(Beifall bei der LINKEN)
Denn diese haben sich größtenteils nicht an Spekulati-
onsgeschäften beteiligt und haben großen Anteil daran,
dass die vielen kleinen und mittleren Unternehmen trotz
Krise mit Krediten versorgt wurden. Viel wichtiger ist:
Die Sparkassen, Raiffeisen- und Volksbanken hatten
schon vor der Krise eigene Sicherungsfonds, die bei ei-
ner Krise gegriffen hätten.
Darf ich Sie daran erinnern, dass Frau Merkel im Hin-
blick auf die Sparkassen, Volks- und Raiffeisenbanken
noch am 16. Mai dieses Jahres in ihrer Rede vor dem
DGB-Bundeskongress zum gleichen Ergebnis gekom-
men ist? Sie sagte wortwörtlich – Zitat –:
Sie stellen kein systemisches Risiko dar und denen
können wir auch keine Bankenabgabe abnehmen.
Das ist die Realität in Deutschland.
Und wo ist die Realität hin? Sie handeln doch nach dem
Motto: Was interessiert mich mein Geschwätz von ges-
tern.
Schauen wir nach Stuttgart. So wie die Bürgerinnen
und Bürger dort nicht nachlassen, gegen ein unsinniges
Bauprojekt aktiv zu werden, werden wir als Linke im
Bundestag weiterhin darauf drängen, dass Sie endlich
Lehren aus der Krise ziehen. Wir brauchen eine wirkli-
c
s
B
l
s
g
1
s
B
h
l
B
k
k
G
D
n
V
z
W
v
w
S
w
v
f
g
k
–
ß
s
e
n
h
d
s
B
b
S
d
(C
(D
he Bankenabgabe und endlich eine Finanztransaktion-
teuer, nicht nur kosmetische Veränderungen.
(Beifall bei der LINKEN – Christian Ahrendt
[FDP]: Den Mindestlohn haben Sie verges-
sen!)
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Der Kollege Dr. Gerhard Schick hat das Wort für
ündnis 90/Die Grünen.
Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kol-
egen! Lassen Sie mich als Erstes sagen, was dieses Ge-
etz leistet und was es nicht leistet. Ich glaube, das ist
anz wichtig.
In Deutschland gibt es etwa 2 000 Banken, von denen
900 im Wesentlichen Sparkassen und Volksbanken
ind. Bei ihnen haben wir in Bezug auf das Sterben von
anken, das Herr Sänger genannt hat, in der Vergangen-
eit keine Probleme gesehen. Das wurde im Verbund ge-
öst. Da gibt es also bereits einen Mechanismus, wie
anken untergehen können. Für diese wird das Gesetz
einen großen Unterschied machen.
Auf der anderen Seite gibt es ein paar sehr große Ban-
en. Ich kenne niemanden, der behauptet, dass dieses
esetz für eine Deutsche Bank anwendbar sein wird.
eswegen muss man sich einmal klarmachen, dass hier
och eine ganz große Lücke vorhanden ist. Das große
ersprechen, der Steuerzahler solle nicht mehr herange-
ogen werden, wird mit diesem Gesetz nicht eingelöst.
er etwas anderes behauptet, macht den Leuten etwas
or. Insofern war die Rede des Staatssekretärs gerade
ieder einmal sehr grenzwertig.
(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Nein, sie war
hervorragend!)
ie haben gesagt: Wir lösen das Problem Moral Hazard,
o Banken Risiken eingehen können, weil sie darauf
ertrauen können, dass sie der Steuerzahler im Zweifels-
all rettet. – Nein, wir lösen es nur für einen eng be-
renzten Teil von Banken; denn die größten 10, 15 Ban-
en werden nicht erfasst; da lässt es sich nicht umsetzen.
(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Es geht nicht
um einen Rettungsfonds, sondern um einen
Restrukturierungsfonds!)
Dann zeigen Sie mir einmal, wie das für die ganz gro-
en Banken gehen soll. Das können wir dann im Aus-
chuss diskutieren. Für die 1 900 kleinsten Banken wird
s keinen großen Unterschied machen. – Es gibt also ei-
en eng begrenzten Bereich, in dem das Gesetz über-
aupt nur anwendbar ist. Für diesen Bereich ist es gut,
as zu machen.
Aber wir sollten ehrlich sein: Es gibt eine große Bau-
telle. Das heißt, in Deutschland gibt es nach wie vor
anken, für die wir kein Verfahren haben, wie sie ster-
en könnten, und bei denen deswegen das Problem, das
ie, Herr Staatssekretär, angesprochen haben, nämlich
as Moral-Hazard-Problem, das Too-big-to-fail-Pro-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Oktober 2010 6683
Dr. Gerhard Schick
(A) )
)(B)
blem, nach wie vor besteht. Deshalb ist Handlungsbedarf
vorhanden. Da muss noch etwas getan werden.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Das Zweite, was das Gesetz nicht leistet – darauf ist
schon eingegangen worden –, ist die Frage: Wer zahlt ei-
gentlich für diese Finanzkrise? Sie haben in den Zwi-
schenrufen so getan, als hätten Sie das nie behauptet;
aber die Zitate sind eindeutig: Den Bürgerinnen und
Bürgern ist gesagt worden, dass die Verursacher, die
Banken, für die jetzige Krise zahlen sollen. Das haben
die Bundeskanzlerin und der Herr Finanzminister ge-
sagt. In diesem Gesetz steht, dass das nicht passieren
wird. Deswegen ist die Frage offen, wer die Kosten die-
ser Krise tragen wird. Die Regierungskoalition verwei-
gert die Antwort. Wir können aber an Ihren konkreten
Taten sehen, wer es tun soll. Das Sparpaket gibt zum
Beispiel Antwort. Es ist ganz klar: Erst kam die große
Ankündigung, dass die Wirtschaft etwas tragen soll, aber
nach und nach – über die verschiedenen Vorschläge –
landen die Kosten doch bei den Bürgerinnen und Bür-
gern. Ich finde, Sie sollten ehrlich sein und sagen, dass
die ursprüngliche Ankündigung, dass die Verursacher
für diese Krise zahlen, nicht eingehalten wird, sondern
dass die Kosten bei den Bürgerinnen und Bürgern lan-
den. Alles andere wäre unehrlich.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN-
KEN)
Wenn wir jetzt das nehmen, was dieses Gesetz tatsäch-
lich leistet, nämlich für mögliche künftige Krisen einen
Fonds aufzubauen und ein Verfahren für im Wesentlichen
mittelgroße Banken in Deutschland für die Rettung be-
reitzustellen, dann, glaube ich, können wir im parlamen-
tarischen Verfahren sehr konkret zusammenwirken und
schauen, dass wir das Gesetz an entscheidenden Stellen
noch verbessern. Ich finde, im Ansatzpunkt sind viele
vernünftige Sachen drin.
Aber Punkt eins. Wir müssen uns mit der parlamenta-
rischen Kontrolle beschäftigen.
(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Das wird noch
ergänzend kommen, Herr Kollege!)
Das, was bisher im Bereich SoFFin, im Rahmen des ge-
heim tagenden Gremiums an Nichtinformation der Parla-
mentarier und Nichtinformation der Öffentlichkeit statt-
gefunden hat, muss mit Inkrafttreten des neuen Gesetzes
ein Ende haben, und es muss eine effektive parlamentari-
sche Kontrolle geben.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Ich glaube, hier sind unsere Einschätzungen ähnlich ge-
worden,
(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Klar!)
und da sollten wir noch einmal nachsteuern.
Der zweite Punkt, bei dem wir einen Korrekturbedarf
sehen. Die Antwort auf die Frage, wer diese Bankenab-
gabe zahlen soll, ist heikel. Sie orientieren sich jetzt am
K
v
t
f
s
c
D
k
s
u
F
m
v
h
t
A
w
r
l
S
b
n
s
h
g
v
t
s
H
h
l
ü
a
o
n
w
g
Z
i
d
E
b
d
w
V
n
d
g
n
B
d
(C
(D
reditwesengesetz, ökonomisch ist das aber kein sinn-
olles Abgrenzungskriterium; denn wenn Sie argumen-
ieren, Sparkassen und Volksbanken seien positiv betrof-
en, weswegen sie auch etwas beitragen müssten, dann
tellt sich die Frage, warum das nicht auch für die Versi-
herungen gilt.
(Zuruf von der LINKEN: Tja!)
eswegen ist das, was Sie hier vorlegen, ökonomisch in-
onsistent. Wir werden im Ausschuss versuchen müs-
en, zusammen eine Lösung zu finden, die tragfähig ist
nd durch die nicht die Falschen belastet werden.
Hinzu kommt natürlich auch die Risikogewichtung.
ührt die Bankenabgabe durch ihre Ausgestaltung also
öglicherweise dazu, dass teilweise mehr Risiken als
orher eingegangen werden oder dass vernünftiges Ver-
alten stärker belastet wird als unvernünftiges Verhal-
en?
Den dritten Korrekturbedarf gibt es hinsichtlich der
ntwort auf die Frage, ob die Gläubiger einbezogen
erden. Einer der großen Schwachpunkte der Banken-
ettung in Deutschland ist, dass die Gläubiger hinsicht-
ich der Rettungskosten völlig außen vor geblieben sind.
ie versuchen hier ein Verfahren. Ich wünsche Ihnen da-
ei frohe Verrichtung. Wenn die Gläubiger einer Bank
ämlich im Ausland sitzen, dann wird es nicht so einfach
ein, das umzusetzen, was Sie hier vorgelegt haben. Ich
alte das nicht für eine stabile Lösung. Ich glaube, das
eht nur, wenn das in den Anleihebedingungen von
ornherein festgelegt wird. Wir sehen hier einen Korrek-
urbedarf und hoffen, dass wir den Gesetzentwurf in die-
er Richtung noch einmal verbessern können.
Den vierten Korrekturbedarf sehen wir beim Thema
aftung. Es ist gut und richtig, dass Sie bei der Organ-
aftung die Verjährungsfristen verlängern. Ich sehe al-
erdings, dass es noch ein Defizit gibt. Wir reden hier nur
ber die Innenhaftung. Unseres Erachtens gehört aber
uch die Außenhaftung bei falscher, unvollständiger
der nicht vorhandener Kapitalmarktinformation mit hi-
ein. Das ist vor einigen Jahren schon einmal diskutiert
orden, auf Druck aus der Finanzbranche aber zurück-
ezogen worden. Ich finde, das Thema gehört in diesem
usammenhang noch einmal auf die Tagesordnung. Das
st ein weiterer Punkt, den wir korrigieren wollen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Fünftens: Sie haben angekündigt, dass Sie bezüglich
er Bonuszahlungen eine Korrektur vornehmen wollen.
s ist gut, wenn Sie das tun, aber es sollte dann nicht da-
ei bleiben, dass irgendetwas im Gesetz steht. Die Bun-
esregierung sagte mir bisher auf meine Anfrage: Nein,
ir kontrollieren nicht, ob das Gesetz in Bezug auf die
ergütungen eingehalten wird. – Ich finde, genauso we-
ig, wie wir uns im Straßenverkehr darauf verlassen,
ass sich alle Leute an die Geschwindigkeitsbegrenzun-
en halten, genauso wenig sollte man sich bei solch ei-
er Frage völlig blind auf die Informationen aus der
ank verlassen. Wir fordern Sie auf, auch eine Kontrolle
ieser Regelungen vorzunehmen.
6684 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Oktober 2010
Dr. Gerhard Schick
(A) )
)(B)
Weil wir gesehen haben, dass es bei Teilen der Bran-
che eine Selbstbedienungsmentalität gibt, müssen wir
dafür sorgen, dass die Regeln, die gemacht werden, auch
durchgesetzt werden. Auch hier sehen wir also einen
Korrekturbedarf hinsichtlich Ihres Gesetzentwurfs.
Alles Weitere in den Ausschussberatungen.
Vielen Dank.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
bei der SPD und der LINKEN)
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Der Kollege Leo Dautzenberg spricht für die CDU/
CSU.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Leo Dautzenberg (CDU/CSU):
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Unter
dem Titel „Gesetz zur Restrukturierung und geordneten
Abwicklung von Kreditinstituten, zur Errichtung eines
Restrukturierungsfonds für Kreditinstitute und zur Ver-
längerung der Verjährungsfrist der aktienrechtlichen Or-
ganhaftung“, kurz gesagt: Restrukturierungsgesetz, hat
die Bundesregierung – insbesondere die zwei beteiligten
Ministerien, nämlich das Bundesfinanzministerium und
das Bundesjustizministerium – einen Meilenstein vorge-
legt. Das ist nicht nur ein Mosaikstein, sondern man kann
hier betonen, dass das wirklich ein aus den Erfahrungen
aus der Finanzmarktkrise und der Wirtschaftskrise ge-
wonnener Meilenstein dafür ist, wie man zukünftig die
Restrukturierung von Banken und Finanzinstituten be-
treiben kann, was bisher im Grunde nicht möglich war.
Das soll in einem geordneten Verfahren auf den Weg ge-
bracht werden.
Von daher ist das ein sehr anspruchsvoller Gesetzent-
wurf, weil es – das ist nie so betrachtet worden – einen
Unterschied darstellt, Herr Kollege Zöllmer, ob man ver-
sucht, einen Gewerbebetrieb oder ein Industrieunterneh-
men gemäß der Insolvenzordnung zu restrukturieren, zu
sanieren oder sogar zu reorganisieren, oder ob es sich
dabei um ein Finanzinstitut handelt.
Der große Unterschied ist, dass Sie bei einem Finanz-
institut weiterhin die Zahlungsströme zwischen den Ban-
ken ermöglichen müssen, was Sie in einem normalen
Verfahren bei einem gewerblichen Betrieb nicht müssen.
Dort können Sie einen Cut machen und bewerten, wie
die Sache aussieht, aber für die Vernetzung der Institute
– es geht um die Restrukturierung von systemischen
Banken – brauchen Sie zur Begleitung einen Restruktu-
rierungsfonds, und ein Restrukturierungsfonds ist etwas
anderes als ein Rettungsfonds. Diesen Unterschied muss
man sehen. Ich stimme allen Rednern zu: Sie können nie
einen Rettungsfonds in einer Größenordnung generieren,
der ausreicht, um eine große, systemische Bank zu ret-
ten.
(Nicolette Kressl [SPD]: Das tragen dann die
Steuerzahler!)
– Nein, Frau Kollegin Kressl, das wird nicht möglich
sein; so viel Volumina kann man nicht generieren. Des-
h
s
n
u
M
t
t
r
h
f
R
c
b
d
c
d
a
n
d
w
u
k
w
z
d
b
f
s
m
s
v
u
v
u
B
e
d
S
e
v
S
h
R
g
s
s
ü
m
n
K
(C
(D
alb sprechen wir auch nicht von einem Rettungsfonds,
ondern von Restrukturierungsmaßnahmen, die von ei-
em Restrukturierungsfonds begleitet werden
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
nd in den die Banken ihre Abgabe zu entrichten haben.
an muss die intellektuelle Anstrengung, zwischen Ret-
ung und Restrukturierung zu differenzieren, schon un-
ernehmen.
Wir haben dafür – der Herr Staatssekretär hat es be-
eits ausgeführt – bestimmte Stufenverfahren vorgese-
en. Das erste erfolgt, was die Sanierung anbelangt, auf
reiwilliger Basis. Aber wenn es um die Bereiche der
estrukturierung und Reorganisation geht, sind staatli-
he Eingriffe notwendig, um diese Restrukturierung her-
eiführen zu können. Diese Maßnahmen greifen sehr
rastisch ein und korrespondieren mit folgender Tatsa-
he: Wenn wir diese Kompetenz der Aufsicht zuordnen,
ann ist es nur konsequent, Herr Staatssekretär, dass wir
lsbald die Neustrukturierung der Finanzaufsicht vor-
ehmen, damit dieses Vorhaben zeitlich kompatibel zu
em vorliegenden Gesetzeswerk auf den Weg gebracht
erden kann.
(Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN]: Sehr nötig!)
Wir haben die Möglichkeit, bei der Restrukturierung
nd Reorganisation als öffentlicher Eingriff – das ist er-
lärt worden – das, was man als überlebensfähig ansieht,
iederum begleitet durch den Restrukturierungsfonds,
u privatisieren oder, wenn man es öffentlich gestaltet,
urch eine sogenannte Brückenbank auf den Weg zu
ringen. Aber eine Begleitung des Restrukturierungs-
onds ist immer erforderlich. Diesen Widerspruch müs-
en Sie auflösen. Sie sagen: Die beteiligten Banken und
anche Bankengruppen müssen nicht dazugehören, weil
ie nichts verursacht haben. Aber hier geht es um Prä-
ention, also darum, etwas für die Zukunft zu machen,
nd nicht darum, die Vergangenheit zu betrachten.
Die Betrachtung der Vergangenheit zeigt: Es ist aus
erfassungsrechtlichen Gründen sehr schwierig, die Ver-
rsacher der Krise heranzuziehen, weil der Umfang der
eteiligung nicht so genau bestimmt werden kann, dass
s verfassungsrechtlich fest ist. Herr Kollege Sieling,
urch das Gremium, dem wir beide angehören, dem
oFFin-Ausschuss, ist Ihnen bekannt, dass wir im End-
ffekt erst dann wissen werden, was vom Volumen her
erursacht worden ist, wenn wir in 20, 25 Jahren den
chlussstrich gezogen haben.
Deshalb ist es konsequent, einen anderen Weg zu ge-
en. Wir handeln präventiv. Neben den Aspekten, die im
estrukturierungsgesetz enthalten sind, haben wir vor-
esehen, Maßnahmen nach dem Finanzmarktstabili-
ierungsgesetz und insbesondere nach dem Finanzmarkt-
tabilisierungsfondsgesetz in die neue Regelung zu
bernehmen, wodurch begleitend Garantien übernom-
en und Rekapitalisierungen durchgeführt werden kön-
en.
Das, was hier vorgelegt worden ist, ist die richtige
onsequenz aus den Verwerfungen, die wir auf dem
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Oktober 2010 6685
Leo Dautzenberg
(A) )
)(B)
Finanzmarkt hatten, aus Bankenrettungswochenenden,
die wir so nicht mehr haben wollen. Vor allen Dingen
sorgen wir dafür, dass der Steuerzahler zwar nicht völlig
verschont wird, er aber zumindest nicht immer der Erste
ist, der herangezogen wird, wenn Banken in eine Schief-
lage geraten. Deshalb freue ich mich auf die Beratungen.
Vielen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Der Kollege Dr. Carsten Sieling spricht jetzt für die
SPD-Fraktion.
(Beifall bei der SPD)
Dr. Carsten Sieling (SPD):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
In dieser Debatte hat zuerst der Herr Staatssekretär von
„Gesamtkunstwerk“ gesprochen und dann hat Herr
Sänger diesen Begriff herausgearbeitet. Ich habe mir die
Mühe gemacht und schnell einmal nachgeschaut, was
man unter einem Gesamtkunstwerk versteht.
(Björn Sänger [FDP]: Wussten Sie das vorher
nicht?)
– Das wusste ich natürlich, aber wenn Sie die genaue
Definition hören, dann werden Sie besonders erfreut
sein. – Das ist ein Werk verschiedener Künste. Dazu ge-
hört die Musik, aber auch die Dichtung, Herr Kollege.
(Heiterkeit bei der SPD)
Weiterhin gehören dazu Tanz, Pantomime und ein biss-
chen Malerei.
(Dr. Hans-Peter Friedrich [Hof] [CDU/CSU]:
Na, dann fangen Sie mal an!)
Schauen wir uns aber einmal die Bewertung an. So sagt
zum Beispiel Odo Marquard, dass das Gesamtkunstwerk
eine „Tendenz zur Tilgung der Grenze zwischen ästheti-
schem Gebilde und Realität“ habe.
(Heiterkeit und Beifall bei der SPD)
Wenn Sie das auf Ihren Gesetzentwurf anwenden, dann
kann ich nur sagen: Herzlichen Glückwunsch!
Aber wir sind hier in einer Diskussion, in der wir
ernsthaft prüfen müssen, was von den Ansprüchen, die
formuliert worden sind, eigentlich bleibt. Die Kanzlerin
– Herr Kollege Dautzenberg, ich glaube, das betrifft ins-
besondere Ihre Aussagen, aber auch die von Herrn
Sänger – hat hier an dem Tag, an dem sie den Bundes-
haushalt 2011 vertreten hat, gesagt, die Bankenabgabe
diene dazu, den Steuerzahler zu verschonen und die
Banken heranzuziehen. Sie sagen, das könne die Ban-
kenabgabe gar nicht leisten. Herr Sänger spricht von
dem ersten großen Irrtum, den man sehen werde.
(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: „Verschonen“
ist etwas anderes als „nicht in Anspruch neh-
men“! Wenn Sie zugehört hätten, wäre Ihnen
das aufgefallen, Herr Kollege!)
D
K
z
m
o
u
M
w
–
d
w
e
d
a
w
n
h
D
h
i
r
S
d
g
w
b
i
g
t
r
I
r
E
S
ü
v
f
d
r
D
s
d
–
D
d
(C
(D
er Irrtum liegt bei Ihnen. Sie setzen nicht um, was die
anzlerin den Bürgerinnen und Bürgern Deutschlands
ugesagt hat. Das ist ein Widerspruch, den Sie auflösen
üssen. Irgendeine Seite hat die Unwahrheit gesagt,
der Sie ändern etwas an dem Gesetz.
Es ist natürlich richtig, dass diese Bankenabgabe nie
nd nimmer diese Aufgabe erfüllen kann. Sie legen ein
odell vor, wonach 1 Milliarde Euro pro Jahr erzielt
erden soll.
(Björn Sänger [FDP]: 1,2 Milliarden!)
1,2 Milliarden Euro. Sie sind noch stolzer. – Dabei ist
as Jahr 2006 Ihr Referenzjahr. Mich hat interessiert,
arum Sie das Jahr 2006 als Referenzjahr nehmen. Weil
s vor der Krise liegt? Ich habe nachgefragt. Das Bun-
esfinanzministerium hat geantwortet, dass es, hätte man
ls Referenzjahr 2009 gewählt, 500 Millionen Euro ge-
esen wären, beim Referenzjahr 2008 nur 300 Millio-
en Euro. Selbst Ihre 1,2 Milliarden Euro sind noch
ochgegriffen.
(Beifall bei der SPD)
ies ist eine weitere Mogelpackung. Der Staatssekretär
at vorhin gesagt, die Bankenabgabe solle dazu dienen,
m Falle einer Krise den Steuerzahler nicht wieder he-
anziehen zu müssen. Dieser Aussage ist Herr Kollege
änger – das war mein Lieblingsoppositionsredner in
ieser Debatte; das muss ich gestehen – direkt entgegen-
etreten. Einigen Sie sich in Ihrer Koalition, was Sie
irklich wollen.
(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Das machen
wir schon, Herr Kollege!)
Herr Dautzenberg, ich komme jetzt zu Ihnen. Sie ha-
en alle Illusionen, Erwartungen und Hoffnungen, die es
n der Bevölkerung, in der Politik und in der Branche
ab, zerstreut, indem Sie gesagt haben, das sei kein Ret-
ungsfonds, sondern es handele sich um eine Restruktu-
ierungsmaßnahme.
(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Das ist ein
Unterschied!)
ch bezweifele, dass Restrukturierungen in einem größe-
en Ausmaß mit Einnahmen in Höhe von 1 Milliarde
uro pro Jahr finanzierbar sind. Selbst wenn Sie diese
umme einnehmen, dauert es viele Jahre, bis der Fonds
berhaupt wirksam werden kann. Es kommt doch nicht
on ungefähr, dass der IWF, der Internationale Währungs-
onds, eine Bankenabgabe vorschlägt, die 2 bis 4 Prozent
er Wirtschaftsleistung eines Landes ausmacht. Das wä-
en 40 Milliarden bis 60 Milliarden Euro.
(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Als Rettungs-
fonds, ja!)
ie Issing-Kommission, auf die Sie sich in Ihrem Ge-
etzentwurf durchaus beziehen, spricht von 120 Milliar-
en Euro. Das ist immerhin eine Regierungskommission
ich bitte Sie! –, die spricht von 120 Milliarden Euro.
as ist alles nichts.
Zum Schluss möchte ich hier darauf hinweisen, dass
ie weitere Debatte ja noch erbringen wird, dass nicht al-
6686 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Oktober 2010
Dr. Carsten Sieling
(A) )
)(B)
lein wir die Gegenargumente, die hier von den Kollegen,
die das im Vorfeld kritisch sehen, formuliert worden
sind, vorbringen. Ich habe hier die Stellungnahmen des
Landes Hessen vorliegen. Herr Sänger, da sind Ihre Par-
teifreunde in der Regierung. Dann habe ich hier die Stel-
lungnahme Baden-Württembergs. Auch da sind Ihre Par-
teifreunde in der Regierung. Beide Länder sagen sehr
eindeutig: Das Ganze ist falsch konzipiert, weil die Spar-
kassen und die Genossenschaftsbanken beigezogen sind;
das solle man ändern.
(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Warten Sie
doch unsere Beratungen ab!)
Sie kritisieren die Sache mit der Förderbank. Klären Sie
erst einmal die Sichtweise in Ihrem eigenen Lager, bevor
Sie hier herkommen und uns mit Gesetzesvorschlägen,
die Sie hinterher bei Ihren eigenen Leuten nicht umset-
zen können, die Zeit rauben. Meine Damen und Herren,
Sie haben viel zu tun. Ich freue mich auf die Ausschuss-
beratungen.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der SPD)
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Christian Ahrendt hat das Wort für die FDP-Fraktion.
Christian Ahrendt (FDP):
Verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kol-
leginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Kollege
Sieling, das Gesamtkunstwerk erschließt sich oftmals
nur dem sachkundigen Betrachter. Heute waren Sie mit
Ihrer Rede zumindest kein sachkundiger Betrachter des-
sen, was die Bundesregierung hier vorgelegt hat.
Lassen Sie mich auf zwei Dinge hinweisen. Mit dem
Restrukturierungsgesetz, das vorgelegt worden ist, reagiert
die Bundesregierung binnen Jahresfrist sehr erfolgreich
auf eine Krise, die gezeigt hat, dass wir keinen vernünfti-
gen Ordnungsrahmen haben, um die Finanzmarktunruhen,
die wir erlebt haben, in den Griff zu bekommen. Man
kann jetzt sagen, das Gesetz reiche nicht aus. Das kann
man aber nur tun, wenn man es nicht gelesen hat.
Der zentrale Gedanke dieses Gesetzes ist es, im Vor-
feld einer Bankenkrise die Krise in den Griff zu bekom-
men.
(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: So ist es!
Richtig!)
Wenn man das erkennen will – man erkennt es; weil es
immer schon so war, mit einem Blick ins Gesetz; denn
ein Blick ins Gesetz erhöht die Rechtskenntnis –, dann
schaut man sich im Entwurf den § 45 KWG an. Da wer-
den Sie als Erstes lesen, dass der Eingriffszeitraum bei
Bankkrisen für die Bankenaufsicht nach vorn verlegt
worden ist. Sie werden als Zweites lesen, dass Sie ein
zweites Eingriffsszenario haben, wenn Eigenmittel kon-
kret gefährdet sind und die Liquidität gefährdet ist. Dann
sieht das Gesetz in § 45 Abs. 2 Nr. 7 bereits einen Re-
strukturierungsplan vor. Wir sehen auch beim Sonderbe-
auftragten, § 45 c, einen Sanierungsplan vor. Das heißt,
w
n
n
e
s
a
d
n
W
n
d
s
w
z
m
s
B
d
r
D
z
s
l
s
d
s
a
h
a
a
k
s
V
d
e
k
s
v
D
w
ü
w
h
l
S
a
(C
(D
ir wollen die Banken da fangen, wo sie im Grunde ge-
ommen schon in der Anlage ihres Geschäftsmodells ei-
en Fehler begehen und über die Aufsicht korrigierend
ingreifen.
Das ist der zentrale Gedanke des Gesetzes. Der Ge-
etzgeber greift hier den Gedanken der Haftung anders
uf, weil es sich gerade in der Finanzkrise gezeigt hat,
ass man eine systemrelevante Bank nicht vom Markt
ehmen kann, ohne große Verwerfungen zu riskieren.
eil wir das klassische Haftungsprinzip, das wir haben,
icht an der Stelle verwirklichen können, wo es sich in
er normalen Wirtschaft verwirklicht, nämlich in der In-
olvenz, sagen wir: Es verwirklicht sich dadurch, dass
ir früh eingreifen, früh gegensteuern. Deswegen ist die
entrale Vorschrift, die der Gesetzgeber hier aufgenom-
en hat, § 45 KWG.
Wenn man sich den anschaut, Herr Kollege, dann er-
chließt sich ein Stück weit das Kunstwerk – um bei dem
egriff zu bleiben –, das hier vorgelegt worden ist.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Der zweite Punkt, über den man auch zu reden hat, ist
as Sanierungsverfahren und das Reorganisationsverfah-
en, das in Art. 1 des Gesetzentwurfs vorangestellt wird.
amit geben wir Banken ein konkretes Handlungswerk-
eug an die Hand, um in einem Sanierungsverfahren
elbst aus der Krise herauszukommen. Da gibt es sicher-
ich in den Beratungen den einen oder anderen Pinsel-
trich, den man an dieser Stelle noch leisten muss.
Wir werden uns fragen müssen, ob wir den Begriff
er Sanierungsbedürftigkeit so stehen lassen, wie er da
teht, nämlich ohne Definition, und ob wir es wirklich
uf eine Freiwilligkeit ankommen lassen oder ob wir
ier sagen: Wir werden die Sanierungsbedürftigkeit auch
n dieser Stelle des Gesetzes definieren und werden sie
n konkretere Handlungsfolgen und Tatbestände an-
nüpfen. Damit wird man sich auseinandersetzen müs-
en. Die Gesetzesberatungen sind ein parlamentarisches
erfahren, und wir werden in diesem Verfahren noch
iejenigen Pinselstriche ziehen, die erforderlich sind, um
in Gesamtkunstwerk zu schaffen.
An dieser Stelle werden wir auch den Haftungsgedan-
en verwirklichen, sowohl mit Blick auf das Institut und
eine Aktionäre als auch mit Blick auf die im Institut
erantwortlich handelnden Vorstände und Aufsichtsräte.
as erreichen wir damit, dass wir die Verjährungsfrist so
eit verlängern, dass es auch im Nachhinein möglich ist,
ber entsprechende Aufklärungen seitens der Staatsan-
altschaften und seitens der Bankenaufsicht Sachver-
alte aufzuarbeiten, die haftungsrechtlich und strafrecht-
ich verfolgt werden müssen.
Lassen Sie uns vernünftig in die Beratungen eintreten.
ie sind eingeladen, sich einzubringen. Dazu müssen Sie
ber mehr leisten als das, was Sie heute geleistet haben.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU –
Nicolette Kressl [SPD]: Oberlehrer war er im-
mer gern!)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Oktober 2010 6687
(A) )
)(B)
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Elisabeth Winkelmeier-Becker hat jetzt das Wort für
die CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
neten der FDP)
Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU):
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kollegen! Im
Rückblick können wir heute sicherlich sagen, dass wir
ganz gut durch diese Krise gekommen sind, auch wenn
wir vielleicht noch nicht so ganz an Schmitz Backes vor-
bei sind, wie man im Rheinland sagt. Aber vorläufig
können wir sagen, dass Schlimmeres verhütet worden
ist.
Diese Krise hat Schwächen des Systems offengelegt.
Sie hat vor allem gezeigt, dass die Chance auf Gewinne
auf der einen Seite und die Risiken, zu denen es kommt,
wenn sich Verluste einstellen, auf der anderen nicht zu-
sammenpassen. Hohe Renditen waren die Grundlage für
hohe Dividenden und hohe Boni. Solange die Renditen
hoch waren, waren sie etwas Gutes. Als sich dann aber
Verluste realisiert haben, ging es darum, wer sie trägt.
Das musste vom Staat übernommen werden, um Schlim-
meres zu verhindern. Was hier getrennt worden ist, das
muss wieder zusammengefügt werden. Die Verbindung
von Chancen und Risiken ist ein Grundsatz unserer so-
zialen Marktwirtschaft. Chancen und Risiken sind zwei
Seiten derselben Medaille. Das muss auch für Banken
gelten, insbesondere für sehr große, systemrelevante.
Wenn wir an den Februar 2009 zurückdenken, erin-
nern wir uns, dass die Aktionäre der HRE damals nicht
sehr kooperativ waren; vielmehr haben sie versucht, ihre
fast wertlosen Anteile möglichst teuer zu verkaufen. Sie
haben ihr erpresserisches Potenzial ganz bewusst auszu-
nutzen versucht und darauf spekuliert, dass der Staat für
sämtliche Verluste aufkommt. „Too big to fail“, das war
die Hoffnung, die sich damit verband. Um dem entge-
genzuwirken, war es sehr wichtig und notwendig, dass
wir eine klare gesetzliche Regelung schaffen, durch die
der Aufsichtsbehörde ein effektives Eingriffsverfahren
ermöglicht wird, sodass Gefahren für den gesamten
Geldverkehr abgewendet werden können.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
der FDP)
Ein solches Verfahren ist aber nur die Ultima Ratio.
Uns geht es jetzt darum, den Banken und ihren Aktio-
nären – sozusagen als Prima oder Secunda Ratio – zu-
sätzlich die Möglichkeit einzuräumen, im Vorfeld von
aufsichtsrechtlichen Maßnahmen und einer möglichen
Insolvenz durch eigene Initiative eine Sanierung oder
Reorganisation vorzunehmen. Das erfordert der Grund-
satz der Verhältnismäßigkeit. Man sollte nicht immer
gleich mit dem schärfsten Schwert kommen, sondern zu-
vor, wenn das Kind noch nicht in den Brunnen gefallen
ist, andere Möglichkeiten ausschöpfen.
Auf der ersten Stufe soll ein Sanierungsverfahren ste-
hen, das die Bank im Zusammenspiel mit der BaFin und
dem OLG einleiten kann. Ein Sanierungsberater wird
e
g
B
f
e
t
d
s
s
P
V
o
a
d
w
s
a
v
r
W
s
a
G
R
r
h
v
n
B
f
d
h
s
t
s
2
B
c
s
k
w
n
A
J
t
t
t
l
e
S
w
ä
d
(C
(D
ingesetzt; aber es wird noch nicht in Rechte Dritter ein-
egriffen. Reicht das nicht, dann steht systemrelevanten
anken das Reorganisationsverfahren offen. Dieses Ver-
ahren ist in Anlehnung an das Insolvenzplanverfahren
ntwickelt worden. Dabei ist zum ersten Mal ein Dept-
o-Equity Swap vorgesehen. Dadurch werden die Rechte
er Aktionäre einbezogen. Damit einher geht ein ge-
traffter, das ganze Verfahren nicht aufhaltender Rechts-
chutz für diejenigen Gläubiger und Aktionäre, die den
lan nicht mittragen wollen. Sie können außerhalb des
erfahrens geltend machen, dass ihre Anteile ohne Re-
rganisation mehr wert gewesen wären.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
In die Rechte von Arbeitnehmern, Herr Zöllmer, wird
n dieser Stelle ganz bewusst nicht eingegriffen. Weder
ie Entgelte noch die Ansprüche aus Altersversorgungen
erden berührt. Es handelt sich nämlich nicht um ein In-
olvenzverfahren; deshalb gibt es auch kein Insolvenz-
usfallgeld und dergleichen. Das ist hier völlig außen
or. Es geht darum, die Hauptgläubiger in das Sanie-
ungsverfahren einzubeziehen.
Beide Verfahren sind Angebote an die Kreditinstitute.
er sie nicht nutzt, der soll es eben bleiben lassen, darf
ich dann aber nicht beschweren, wenn zum Schwert der
ufsichtsrechtlichen Maßnahmen gegriffen wird. Das
anze bringt Haftung und Verantwortung, Chancen und
isiken wieder ein Stück weit zusammen.
Ich will noch kurz auf die Verlängerung der Verjäh-
ungsfrist eingehen. Die Bankenkrise – ich denke, das
at sich gezeigt – beruhte nicht nur auf einem kollekti-
en Irrtum, auf irgendeinem Hype, der für den Einzelnen
icht durchschaubar war. Hier haben auch einzelne
ankmanager individuelle Fehlentscheidungen getrof-
en, die ihnen vorzuwerfen sind. Wir sehen, dass einige
en Papieren von Anfang an nicht getraut haben, die sich
interher als riskant erwiesen haben. Einige haben
chnell bemerkt, dass Subprime kein besonderes Quali-
ätssiegel ist. Andere haben es erst bemerkt, als es zu
pät war. Diese Fehler wurden vor allem in den Jahren
006 und 2007 gemacht und zeigten sich dann in der
ankenkrise im Jahr 2008.
Hier ist noch vieles aufzuklären, sowohl in tatsächli-
her als auch rechtlicher Hinsicht. Es müssen noch Maß-
täbe entwickelt werden, anhand derer man beurteilen
ann, was nun vorwerfbar war und was nicht vorwerfbar
ar. Bei der IKB warten wir immer noch auf das Ergeb-
is einer Sonderprüfung, die bereits im Jahr 2008 in
uftrag gegeben worden ist und sich natürlich auf die
ahre davor bezieht. Wenn noch geprüft wird, ob Haf-
ungstatbestände erfüllt sind, können wir nicht gleichzei-
ig zuschauen, wie die Verjährung nach fünf Jahren ein-
ritt. Es kann nicht sein, dass wir Verjährung eintreten
assen, während die Sache noch geprüft wird.
An dieser Stelle müssen wir schauen, ob das so, wie
s im Gesetzentwurf steht, richtig ist, ob das wirklich die
ache trifft oder ob das vielleicht über das hinausgeht,
as wir wollen. Ob die Regelungen zur Beweislast ge-
ndert werden müssen, werden wir noch prüfen. Auch
ie Fristen zur Aufbewahrung, der direkte Anwendungs-
6688 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Oktober 2010
Elisabeth Winkelmeier-Becker
(A) )
)(B)
bereich und dergleichen sind zu prüfen. Das alles kann
man im Detail noch ändern und prüfen.
Die Botschaft im Hinblick nicht nur auf die Sachver-
halte der Vergangenheit, sondern auch auf die Zukunft
muss klar lauten: Der Zusammenhang zwischen Chan-
cen und Risiken sowie die Verantwortung für das, was
der Einzelne auf jeder Ebene tut, werden wieder in den
Vordergrund gestellt.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Der Kollege Ralph Brinkhaus spricht für die CDU/
CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Ralph Brinkhaus (CDU/CSU):
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich
möchte daran erinnern, dass dies der fünfte Gesetzent-
wurf zur Bankenregulierung im weiteren Sinne ist, den
wir, die Koalitionsfraktionen bzw. die Regierung, inner-
halb eines Jahres vorlegen. Wir haben einen Gesetzent-
wurf zum Rating und einen Gesetzentwurf zur Vergü-
tungspolitik vorgelegt.
(Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Das war eine EU-Vorgabe!)
Wir haben Regelungen zu Leerverkäufen und Regelun-
gen zur Verbriefung im Zusammenhang mit der Umset-
zung der Kapitaladäquanzrichtlinie geschaffen.
Heute haben wir ein wahnsinnig ambitioniertes Pro-
gramm auf den Weg gebracht, das wirklich bemerkens-
wert ist. Es ist bemerkenswert, weil wir in der Regulie-
rungssystematik zum ersten Mal vom Ende her
angreifen. Das heißt, wir akzeptieren mit diesem Gesetz,
dass es möglich ist, dass Banken scheitern, dass betriebs-
wirtschaftliche Konzepte von Banken scheitern. Wir ver-
suchen nicht wie bei anderen Konzepten, ein Scheitern
von vornherein durch mehr Eigenkapital, durch mehr Li-
quidität, durch eine bessere Transparenz oder durch das
Verbot von bestimmten Geschäften zu verhindern. Es ist
wirklich bemerkenswert, dass wir das so frühzeitig anpa-
cken, weil es ein ganz komplizierter Gesetzentwurf ist.
Meine Damen und Herren von der Opposition, ich hätte
mir gewünscht, dass das in dem ein oder anderen Wort-
beitrag einmal zum Ausdruck gekommen wäre; denn bei
allen Unterschieden, die uns trennen, ist das wirklich
eine gute Sache. Es lohnt sich, gemeinsam für dieses
Projekt zu arbeiten.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Es ist ein bemerkenswertes Projekt, weil wir damit in-
ternational eine Vorreiterrolle einnehmen. Es gibt das
eine oder andere Land, das ebenfalls Regelungen in die-
sem Bereich erarbeitet. Wir werden aber dafür kritisiert,
dass wir nicht EU-weit abgestimmt vorgehen, sondern
dass wir vorangehen. Wir sind auch bei den Leerverkäu-
fen vorangegangen. Vorangehen ist manchmal wichtig.
Wir sind die größte Volkswirtschaft in Europa. Deswe-
g
d
f
E
s
z
I
g
m
s
b
g
s
D
w
e
s
V
i
d
t
e
d
f
a
z
s
e
w
n
E
G
d
E
i
w
d
T
l
n
g
a
h
n
g
n
(C
(D
en müssen wir auch einmal Gas geben und zusehen,
ass die anderen hinter uns herkommen; denn anders
unktioniert das nicht. Das ist die Erfahrung, die wir in
uropa gemacht haben.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Ein weiterer Punkt, der bemerkenswert ist, ist der Re-
trukturierungsfonds. Die Banken werden an den Kosten
ukünftiger Krisen beteiligt. Um gleich einmal mit zwei
rrtümern aufzuräumen: Es geht um die Kosten zukünfti-
er Krisen. Insofern läuft die Argumentation, man habe
it der alten Krise nichts zu tun, völlig ins Leere. Die ist
chlicht und einfach falsch.
(Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Sehr
richtig! Genau!)
Der zweite Irrtum ist, zu sagen: Ich bin zu klein; ich
in nicht systemisch; ich habe damit nichts zu tun. – Fra-
en Sie doch einmal bei den Volksbanken und Sparkas-
en nach, wie viele Hypo-Real-Estate-Papiere in deren
epots gelegen haben! Fragen Sie einmal diese Banken,
elche Geschäfte sie gemacht haben! Fragen Sie doch
inmal die größeren Banken, ob es Schieflagen in die-
em Bereich gegeben hat oder ob alles glattgegangen ist!
or diesem Hintergrund kann ich nicht verstehen, dass
mmer wieder darauf insistiert wird, dass einige Banken
amit nichts zu tun gehabt hätten. Das ist meines Erach-
ens schlichtweg falsch.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Das gilt auch für Versicherungen!)
Dieses Gesetz ist nicht nur bemerkenswert, sondern
s ist auch wahnsinnig anspruchsvoll. Dieses Gesetz ist
eswegen so anspruchsvoll – vor diesem Hintergrund
reue ich mich, dass hier auch die Kollegen vom Rechts-
usschuss und aus dem Bereich Arbeitsmarktpolitik sit-
en –, weil es Bankenrecht mit Insolvenzrecht, mit Ge-
ellschaftsrecht und mit Arbeitsrecht verknüpft. Das ist
in wahnsinnig ambitioniertes Projekt. Es ist auch des-
egen ein so wahnsinnig ambitioniertes Projekt, weil es
otwendig ist, dass dieses Projekt von Anfang an fliegt.
s muss deswegen fliegen, weil die Mechanismen des
esetzes in einer akut brennenden Krise eingesetzt wer-
en. Um bei dem Bild „brennende Krise“ zu bleiben:
ine Feuerwehr muss sich darauf verlassen können, dass
hre Ausrüstung funktioniert, wenn es brennt. Deswegen
ürde ich mich sehr darüber freuen, wenn wir uns bei
en Diskussionen, die wir führen, nicht immer nur am
hema Bankenabgabe festbeißen würden. Ich würde viel
ieber mit Ihnen darüber diskutieren, ob das Gesetz tech-
isch funktioniert, ob die Abläufe und die Verknüpfun-
en passen. Dazu, Herr Sieling, muss man ein Gesetz
ber auch lesen. Dazu reicht es nicht, immer nur darauf
erumzuhauen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
Manfred Zöllmer [SPD]: Na, na!)
Vor diesem Hintergrund sollten wir in den Diskussio-
en, die wir jetzt führen werden, nicht mit der Frage be-
innen, ob die Bankenabgabe einen Euro höher oder
iedriger sein sollte – das wäre völlig verfehlt und ginge
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Oktober 2010 6689
Ralph Brinkhaus
(A) )
)(B)
völlig am Thema vorbei –, sondern wir sollten schauen,
ob wir hier einen Mechanismus haben, um in Krisen pro-
aktiv Reorganisations- und Sanierungsverfahren oder,
wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist, Übertra-
gungsverfahren einleiten zu können. Darauf sollten wir
uns konzentrieren. Das empfehle ich auch dem einen
oder anderen Verbandsvertreter, statt sich immer wieder
nur auf den genannten Kritikpunkt zu konzentrieren.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
Dr. Carsten Sieling [SPD]: Der eine oder an-
dere? Das sind fast alle!)
Ich möchte noch etwas anmerken, das ebenfalls sehr
bemerkenswert ist. Wir haben jetzt vor, eine Vorgehens-
weise zu verankern, die wir bislang noch nie gewählt ha-
ben. Wir sehen – meine Kollegin Winkelmeier-Becker
hat es erklärt – für Reorganisationsverfahren erstmals
den Dept-to-Equity Swap vor. Das bedeutet, dass zum
ersten Mal auch die Gläubiger in Anspruch genommen
werden. Bei allen Regulierungsmaßnahmen haben wir
bisher immer eine Gruppe geschützt, nämlich die Gläu-
biger. Sie konnten davon ausgehen, dass, egal was pas-
siert, entweder die Sicherungssysteme greifen oder,
wenn diese nicht funktionieren, der Staat eingreift. Ich
finde, das war nicht fair. Es lohnt daher, den im Gesetz-
entwurf enthaltenen Gedanken, auch den Gläubiger in
einem geordneten Verfahren einzubeziehen, weiter zu
verfolgen und über ihn an der einen oder anderen Stelle
zu diskutieren. Für wirtschaftliches Handeln trägt immer
derjenige die Verantwortung, der handelt. Wenn wir in
vielen anderen Bereichen wie bei Hartz IV erwarten,
dass die Menschen die Konsequenzen ihres wirtschaftli-
chen Handelns übernehmen und sich nicht einer Vollkas-
komentalität hingeben, dann müssen wir das auch im
Bankenbereich verlangen.
Ich bin der Meinung, dass es durchaus der Sache wert
ist, über diesen Gesetzentwurf weiter sachlich zu disku-
tieren und an der Technik zu feilen. Sie sollten anerken-
nen, dass dieser Gesetzentwurf insgesamt gelungen ist.
Er stellt einen epochalen Schritt, einen Quantensprung
dar. Dafür herzlichen Dank an die Bundesregierung und
alle Beteiligten.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Ich schließe die Aussprache.
Zwischen den Fraktionen ist verabredet worden, den
Gesetzentwurf auf Drucksache 17/3024 an die in der Ta-
gesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen.
Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann
ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 28 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Arbeit und Soziales
(11. Ausschuss)
– zu dem Antrag der Fraktion der SPD
Fairness in der Leiharbeit
d
s
h
D
B
W
t
G
d
p
O
n
z
d
s
D
u
t
u
b
r
k
i
w
s
R
Z
v
e
ü
S
(C
(D
– zu dem Antrag der Abgeordneten Jutta
Krellmann, Sabine Zimmermann, Klaus Ernst,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
Lohndumping verhindern – Leiharbeit
strikt begrenzen
– zu dem Antrag der Abgeordneten Beate
Müller-Gemmeke, Brigitte Pothmer, Kerstin
Andreae, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Zeitarbeitsbranche regulieren – Missbrauch
bekämpfen
– Drucksachen 17/1155, 17/426, 17/551, 17/3082 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Jutta Krellmann
Es ist vorgesehen, hierüber eine Dreiviertelstunde zu
ebattieren. – Dazu sehe und höre ich keinen Wider-
pruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Für die Bundesregierung
at das Wort der Parlamentarische Staatssekretär
r. Ralf Brauksiepe.
Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär bei der
undesministerin für Arbeit und Soziales:
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
ir debattieren heute über drei Anträge der Opposi-
ionsfraktionen zum Thema Zeitarbeit. Dies gibt mir die
elegenheit, darzustellen, welche Initiativen die Bun-
esregierung zu diesem Thema ergriffen hat und weiter
lant. Daraus ergibt sich, warum uns die Anträge der
ppositionsfraktionen nicht überzeugen können.
Bei guter Politik geht es darum, Probleme zu erken-
en und zu benennen, dann entschlossen zu handeln und
um richtigen Zeitpunkt das Richtige zu tun. Im Januar
ieses Jahres war der richtige Zeitpunkt für das ent-
chlossene Einschreiten unserer Arbeitsministerin
r. Ursula von der Leyen im Fall Schlecker. Sie hat klar
nd deutlich gesagt, dass die bekannt gewordenen Prak-
iken dieses Drogeriediscounters nicht hinnehmbar sind,
nd hat die Firma damit zu einem schnellen Einlenken
ewogen. Das war das richtige Regierungshandeln zur
ichtigen Zeit, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Wir haben damit gleichzeitig eine umfassende Dis-
ussion über das Thema Zeitarbeit angestoßen, wie sie
n dieser Tiefe bisher noch von keiner Regierung geführt
orden ist. Der bestehende gesetzliche Rahmen in die-
em Bereich stammt noch aus der Zeit der rot-grünen
egierung und ist im Wesentlichen auch konstant. Im
uge dieser Diskussion sind verschiedene Vorschläge
on verschiedenen Seiten erarbeitet worden. Dabei geht
s uns allerdings auch darum, dass wir Entscheidungen
ber Gesetzesänderungen nicht auf der Grundlage von
timmungen und Einzelfällen treffen,
(Katja Mast [SPD]: Schlecker ist kein
Einzelfall!)
6690 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Oktober 2010
Parl. Staatssekretär Dr. Ralf Brauksiepe
(A) )
)(B)
sondern dass wir zum richtigen Zeitpunkt die richtigen
Vorschläge machen, die zu einer sachgerechten Weiter-
entwicklung auf dem Gebiet der Zeitarbeit führen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Die Fakten zeigen, dass Zeitarbeit für Menschen, die
sonst schlechte Chancen auf dem ersten Arbeitsmarkt
hätten, Brücken in Arbeit baut. Dies wird auch aus dem
Elften Bericht der Bundesregierung zur Arbeitnehmer-
überlassung deutlich. Die Fakten, die dort aufgeführt
werden, zeigen, dass wir es nicht zulassen dürfen, dass
das wichtige arbeitsmarktpolitische Instrument Zeitar-
beit diskreditiert wird; denn es hat seine gute Berechti-
gung auf dem Arbeitsmarkt. Die Bundesregierung steht
hier als Institution in bester Kontinuität zur Politik, die
die Vorgängerregierungen in der Vergangenheit – auch
mit Unterstützung anderer Koalitionsfraktionen – ge-
macht haben. Wir verstecken uns nicht. Wir brauchen
uns für das, was wir gemacht haben, nicht zu entschuldi-
gen. Die Bundesregierung steht in Kontinuität zum In-
strument der Zeitarbeit genauso wie zur Missbrauchsbe-
kämpfung in der Zeitarbeit. Beides gehört zusammen,
liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Wir haben deshalb mit allen Partnern in der Branche –
mit Gewerkschaften, mit Arbeitgeberverbänden, mit den
Zeitarbeitsunternehmen genauso wie mit den Unterneh-
men, die Zeitarbeit nutzen – darüber gesprochen, wie ein
Missbrauch in der Zeitarbeit verhindert werden kann.
Wir haben nicht nur das getan, sondern wir haben als
Bundesregierung parallel dazu die Bundesagentur für
Arbeit, die das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz durch-
führt, aufgefordert, das Personal für diesen Bereich auf-
zustocken. Dies ist mittlerweile umgesetzt, und die
geschulten Kräfte arbeiten seit Mitte Juli in den zustän-
digen Regionaldirektionen der Bundesagentur für Ar-
beit. Das heißt, dass jetzt rund 100 Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter – 30 Prozent mehr als zuvor – für die Ertei-
lung der Verleiherlaubnisse und für die Prüfung der Zeit-
arbeitsunternehmen zuständig sind. Wir wissen: Wo es
Probleme gibt, muss auch gehandelt werden. Davor ver-
schließen wir nicht die Augen. Wir haben gehandelt. Das
war unsere Aufgabe, der wir nachgekommen sind, liebe
Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zu-
rufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN)
Jetzt ist es an der Zeit, dass wir auch zu gesetzlichen
Regelungen kommen, um die schwarzen Schafe in der
Branche, die es in der Zeitarbeit genauso wie anderswo
gibt, in die Schranken zu weisen. Die Bundesregierung
begrüßt ausdrücklich, dass die Tarifvertragsparteien in
ihren Tarifvertragswerken Vorkehrungen getroffen ha-
ben, um einen Fall wie Schlecker in Zukunft zu verhin-
dern. Unsere sorgfältigen Prüfungen im Ministerium ha-
ben ergeben, dass es über diese begrüßenswerten
Initiativen der Tarifvertragsparteien hinaus notwendig
ist, dies auch gesetzlich zu flankieren, damit es künftig
keinen Drehtüreffekt mehr derart geben kann, dass Ar-
beitnehmerinnen und Arbeitnehmer entlassen werden
u
l
K
s
u
n
T
G
l
z
n
u
a
b
m
k
W
m
Z
D
v
k
g
Z
a
–
b
g
c
l
v
n
s
A
m
D
Z
r
W
g
g
(C
(D
nd nach kurzer Zeit in dem Unternehmen, das sie ent-
assen hat, oder in einem anderen Unternehmen aus dem
onzernverbund am gleichen Arbeitsplatz zu deutlich
chlechteren Bedingungen als Zeitarbeitnehmerinnen
nd Zeitarbeitnehmer wieder eingestellt werden. Das ist
icht Sinn und Zweck der Zeitarbeit. Zu dem, was die
arifvertragsparteien gemacht haben, kommt jetzt eine
esetzgebungsinitiative hinzu: Wir flankieren gesetz-
ich, dass Missbrauch in der Zeitarbeit verhindert wird.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Wir nehmen das noch zu verabschiedende Gesetz
um Anlass, in diesem Zusammenhang bereits die soge-
annte Leiharbeitsrichtlinie der Europäischen Union
mzusetzen. Der Umsetzungsbedarf ist zwar nicht groß,
ber auch kleine Zeichen sind manchmal wichtig. Es ist
eispielsweise nicht nachvollziehbar, dass Zeitarbeitneh-
erinnen und Zeitarbeitnehmer in den Entleihbetrieben
einen Zugang zu Gemeinschaftseinrichtungen haben.
enn es eine Betriebskantine für die Stammarbeitneh-
er gibt, dann macht es Sinn, dass diese auch von den
eitarbeitnehmern genutzt werden kann.
(Katja Mast [SPD]: Die brauchen gleiches
Geld für gleiche Arbeit!)
arüber ist bei der Erarbeitung der Leiharbeitsrichtlinie
erhandelt worden. Auch das werden wir umsetzen. Wo
onkreter Handlungsbedarf besteht, da handeln wir.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Gleichzeitig – da liegt der Unterschied zu den Anträ-
en der Opposition – wissen wir um die Bedeutung der
eitarbeitsbranche für den Arbeitsmarkt. Man soll sie
ber nicht überbewerten. Es haben in dieser Branche
auch das kann man in unserem Bericht nachlesen –
undesweit nie mehr als 2,6 Prozent der Beschäftigten
earbeitet. Daher kann man nicht sagen, dass diese Bran-
he, was die Beschäftigtenzahlen angeht, an der Spitze
iegt. Trotzdem sollte man sie wichtig nehmen.
Uns geht es darum, die Leiharbeitsbranche nicht zu
erteufeln, sondern an den Stellen etwas zu tun, an de-
en Handlungsbedarf besteht. Im Interesse der Men-
chen, die gering qualifiziert sind, die schon lange ohne
rbeit sind oder die vielleicht noch nie gearbeitet haben,
üssen wir die Chancen nutzen, die die Zeitarbeit bietet.
eswegen geht es darum, sachgerecht und zum richtigen
eitpunkt das Notwendige zu tun. Das tut die Bundes-
egierung. Für diesen Kurs bitten wir um Unterstützung.
Vielen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Für die SPD-Fraktion hat die Kollegin Katja Mast das
ort.
(Beifall bei der SPD)
Katja Mast (SPD):
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-
en! Sehr geehrter Herr Staatssekretär Brauksiepe, es
eht bei der Regulierung von Leiharbeit nicht um die
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Oktober 2010 6691
Katja Mast
(A) )
)(B)
Möglichkeit, in den gleichen Kantinen zu essen, sondern
es geht um gleiches Geld für gleiche Arbeit.
(Beifall bei der SPD und der LINKEN)
Wenn Sie den Bürgerinnen und Bürgern vormachen, es
gehe ausschließlich um die Nutzung von Gemeinschafts-
einrichtungen, dann verkennen Sie die Gefahr, die vom
flächendeckenden Lohndumping und von der Tatsache
ausgeht, dass Menschen in diesem Land in prekären Ar-
beitsverhältnissen stehen. Das ist die Axt an unserer so-
zialen Marktwirtschaft.
(Beifall bei der SPD)
Wir reden an diesem Freitagmittag im Kern über die
Würde der Arbeit, über gute Arbeit und über Fairness
auf dem Arbeitsmarkt. Wir reden in diesem Zusammen-
hang über die notwendige gesetzliche Regulierung der
Leiharbeit, bei der gute Arbeit und Fairness besonders
wichtig sind. Ich will an dieser Stelle deutlich sagen: Es
geht bei der Bekämpfung von prekärer Beschäftigung
nicht nur um die Regulierung von Leiharbeit, sondern es
geht auch um faire Regeln beim Berufseinstieg von Ju-
gendlichen, für die sogenannte Generation Praktikum.
Es geht darum, dass Menschen von ihrer Hände Arbeit
in Würde leben können. Deshalb brauchen wir einen flä-
chendeckenden gesetzlichen Mindestlohn. Es geht auch
darum, dass es in Deutschland keine unsinnigen Befris-
tungen mehr gibt. Wann sollen denn die jungen Men-
schen in dieser Republik eine Familie gründen, wenn sie
dauerhaft mit befristeter Beschäftigung in Unsicherheit
gehalten werden und kein ausreichendes Einkommen ha-
ben?
Das alles sind Punkte, Herr Brauksiepe, die die
schwarz-gelbe Koalition bei ihrer Politik vergisst. Sie re-
den immer nur über Detailprobleme. Es ist gut, dass Sie
anfangen, bei Schlecker etwas zu verändern; das will ich
ausdrücklich sagen. Aber damit es Fairness in der Leih-
arbeit gibt, brauchen wir gesetzliche Initiativen mit dem
Ziel: gleiches Geld für gleiche Arbeit.
(Beifall bei der SPD)
Leiharbeit wird in Deutschland zu oft für Lohndum-
ping und zur Verdrängung regulärer Beschäftigung miss-
braucht. Ich will Ihnen ein Beispiel aus meinem Wahl-
kreis nennen. Ich habe kürzlich einen Arbeitsvertrag zu
sehen bekommen, der mit einer Leiharbeitsfirma in
Pforzheim, Baden-Württemberg, geschlossen wurde. Da-
rin war ein Lohn von unter 7 Euro die Stunde bei einer
wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden vereinbart.
Davon kann man nicht in Würde leben. Sie sagen, das
sei kein Problem, das sei gute Arbeit. Ich sage Ihnen:
Meine Partei wird immer dafür kämpfen, dass es diese
Form von „guter“ Arbeit in Deutschland nicht mehr gibt.
(Beifall bei der SPD)
Die IG Metall hat eine Umfrage unter Betriebsräten
durchgeführt und bei der Auswertung festgestellt – die
Ergebnisse wurden erst kürzlich veröffentlicht –, dass
jetzt im Aufschwung viele Menschen wieder in Arbeit
kommen. Das ist zunächst einmal gut; denn Arbeit be-
deutet Teilhabe an dieser Gesellschaft. Es wurde aber
auch festgestellt, dass 20 Prozent der Betriebe die Leih-
a
p
i
s
s
L
B
v
w
d
d
d
n
r
v
n
c
n
a
b
d
a
B
n
f
N
M
n
i
c
b
i
b
s
C
d
a
f
w
m
W
r
s
L
l
a
d
d
(C
(D
rbeit nutzen, um bestehende Stammarbeitsplätze durch
rekäre Beschäftigungsverhältnisse zu ersetzen. Für Sie
st das kein Problem. Sie sagen, man müsse da nicht ge-
etzgeberisch handeln. Ich sage Ihnen: Wir müssen ge-
etzgeberisch handeln; wir brauchen faire Regeln in der
eiharbeit.
(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Beate
Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN])
Im Übrigen finden wir Abgeordnete des Deutschen
undestags – damit meine ich alle Fraktionen, die hier
ertreten sind – nur dann Akzeptanz für unsere Politik,
enn wir den Menschen die Gewissheit geben – ich
enke dabei auch an die Schülerinnen und Schüler, mit
enen ich oft über ihre Zukunft auf dem Arbeitsmarkt
iskutiere –: Wenn ich mich anstrenge, bekomme ich ei-
en Arbeitsplatz, von dem ich mich auf jeden Fall ernäh-
en kann; noch besser wäre, wenn auch die Familie da-
on ernährt werden könnte. Aber das interessiert Sie
icht. Sie sind der Meinung, wir bräuchten keine flä-
hendeckenden Mindestlöhne. Sie sind auch der Mei-
ung, wir bräuchten keinen Mindestlohn in der Leih-
rbeit. Das lassen wir Ihnen nicht durchgehen.
(Beifall bei der SPD)
In Baden-Württemberg findet der Beschäftigungsauf-
au jetzt nach der Krise zu über 50 Prozent im Bereich
er Leiharbeit statt. Lassen Sie mich noch ein Beispiel
us meinem Wahlkreis nennen. Bei der Firma Inovan in
irkenfeld haben im Zuge der Krise 100 Mitarbeiterin-
en und Mitarbeiter ihren Arbeitsplatz verloren. Jetzt
indet wieder ein Beschäftigungsaufbau statt. Aber wie?
icht, indem man die ehemaligen Mitarbeiterinnen und
itarbeiter zurückholt. Nein, es werden Leiharbeiterin-
en und Leiharbeiter eingestellt. Das ist nicht fair. Das
st keine gute Unternehmenspolitik. Dieser Politik rei-
hen Sie die Hand.
Leiharbeit braucht klare Regeln. Wir haben im Ar-
eitnehmerüberlassungsgesetz verankert, dass Leiharbeit
mmer dem Grundsatz „Gleiches Geld für gleiche Ar-
eit“ folgen muss. Als wir diese Regelung 2003 gemein-
am – im Übrigen in großer Übereinstimmung mit der
DU/CSU – verabschiedet haben, hat keiner daran ge-
acht, dass die Öffnungsklausel – „ein Tarifvertrag kann
bweichende Regelungen zulassen“ – in Deutschland
lächendeckend von den sogenannten christlichen Ge-
erkschaften für Lohndumping über Haustarifverträge
issbraucht würde. Damit klar ist, worüber ich rede:
ir waren damals der Meinung, es gehe hier nur um Ta-
ifverträge unter dem Dach des Deutschen Gewerk-
chaftsbundes; damals war der erste Tarifvertrag für die
eiharbeit überhaupt gerade erst abgeschlossen. Plötz-
ich sprossen Arbeitgeberverbände in dieser Republik
us dem Boden, die dann Tarifverträge über Löhne von
eutlich unter 7,50 Euro pro Stunde abgeschlossen und
amit letztendlich das Lohnniveau gedrückt haben.
(Pascal Kober [FDP]: Tun Sie doch nicht so,
als ob Sie das überrascht hätte! Das haben Sie
doch in Kauf genommen! Das wollten Sie
doch so!)
6692 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Oktober 2010
Katja Mast
(A) )
)(B)
Wir haben bereits gestern eine Debatte über dieses
Thema geführt. Ich sage Ihnen: Wenn Sie es nicht schaf-
fen, dass der Verdienst höher als das Arbeitslosengeld II
ist, dann brauchen wir uns gar nicht erst darüber zu un-
terhalten, inwiefern wir die Würde von Menschen, die
am Rand stehen, durch eine Erhöhung der Regelsätze
gewährleisten können. Sie organisieren einen flächende-
ckenden Abbau des Sozialstaats, der sozialen Marktwirt-
schaft und der Teilhabe. Da kann niemand in diesem
Haus ruhig bleiben.
Herr Kober, Sie haben gleich die Möglichkeit, Ihre
Vorstellung von fairer und guter Arbeit zu äußern. Ich
bin gespannt, was Sie dazu sagen werden und ob Sie ei-
nen flächendeckenden Mindestlohn in Deutschland wol-
len, zumindest für Beschäftigte in der Leiharbeit. Ich
glaube, das wollen alle wissen, die heute zuhören.
(Beifall bei der SPD)
Ich bin froh, dass die IG Metall vor einigen Monaten
die große Initiative „Gleiche Arbeit – Gleiches Geld“ ge-
startet hat. Sie hat gestern den ersten Tarifvertrag abge-
schlossen, in dem für die Stahlindustrie gleiches Geld
für gleiche Arbeit vereinbart ist. Bereits gestern ging
mehrfach die Meldung über den Ticker, dass Arbeitge-
berverbände dagegen sind, dass dieser Tarifabschluss
Vorbildcharakter hat. Ich bin der festen Überzeugung: Er
muss Vorbildcharakter haben. Ich bin der IG Metall und
dem Arbeitgeberverband dankbar für ihre kleine Revolu-
tion in der Tarifpolitik am gestrigen Tag.
Weil ich genau weiß, was die Redner der schwarz-
gelben Regierungskoalition nachher sagen werden, will
ich an dieser Stelle sehr deutlich festhalten: Wir brau-
chen im Hinblick auf die Regulierung von Leiharbeit
und auf die Lohnuntergrenze nicht nur faire und kluge
Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften, sondern auch
Initiativen für gesetzliches Handeln. Wir brauchen einen
gesetzlichen flächendeckenden Mindestlohn,
(Beifall bei der SPD – Matthias W. Birkwald
[DIE LINKE]: Jawohl!)
und es ist Ihre Aufgabe, einen entsprechenden Gesetz-
entwurf in den Deutschen Bundestag einzubringen.
Wenn Sie schon nicht bereit sind, das flächendeckend
für alle Branchen zu machen, dann ist das Mindeste, was
man von Ihnen erwarten kann, wenn Sie die Leiharbeit
bekämpfen wollen und durch Ihr Handeln eine Legitima-
tion guter Politik erreichen wollen, dass Sie die Leihar-
beitsbranche in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz auf-
nehmen und damit dafür sorgen, dass in dieser Branche,
in der prekäre Beschäftigung in besonderem Maße er-
folgt, eine faire Lohnuntergrenze gilt. Im Referentenent-
wurf steht es jetzt nicht. Ich bin gespannt, ob der Gesetz-
entwurf, über den wir in ein paar Wochen diskutieren
werden, das enthalten wird. Unsere Unterstützung haben
Sie, wenn es darum geht, hier eine Lohnuntergrenze zu
vereinbaren. Unsere Unterstützung haben Sie nicht,
wenn Sie nur Detailprobleme in der Leiharbeit regeln.
(Beifall bei der SPD)
t
–
c
s
n
g
V
D
i
g
n
u
s
t
r
i
k
d
D
d
b
d
k
W
T
n
L
m
g
l
d
u
h
s
M
(C
(D
Was machen Sie in der Leiharbeit eigentlich? Sie legi-
imieren Löhne von 5, 6 und 7 Euro.
(Gitta Connemann [CDU/CSU]: 5, 6 und 7 Euro?
98 Prozent Tarifbindung! Woher nehmen Sie
die Zahlen?)
Sie legitimieren solche Löhne, solange Sie nicht glei-
hes Geld für gleiche Arbeit im Arbeitnehmerüberlas-
ungsgesetz vereinbaren. Frau Connemann, Sie haben
ach mir noch genug Zeit, zu reden. Wenn Sie es jetzt
enau wissen wollen, stellen Sie eine Zwischenfrage.
(Gitta Connemann [CDU/CSU]: Ohne Daten, ohne
Fakten! Woher nehmen Sie die Zahlen?)
Sie legitimieren diese Löhne, weshalb Menschen in
ollzeitarbeit Arbeitslosengeld II beantragen müssen.
amit stellen Sie einen Blankoscheck für Lohndumping
n dieser Republik aus. Das ist Sozialpolitik auf Abwe-
en, und dagegen werden wir uns als Sozialdemokratin-
en und Sozialdemokraten immer wieder wenden.
(Beifall bei der SPD – Gitta Connemann
[CDU/CSU]: Was erzählen Sie da bloß für
Märchen? Unglaublich! – Gegenruf der Abg.
Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Wo haben Sie
bloß Ihre Augen?)
Im Übrigen geht es beim Thema Leiharbeit nicht nur
m die Beschäftigten, über die ich jetzt schon viel ge-
prochen habe. Sie spalten Belegschaften in Belegschaf-
en erster, zweiter und dritter Klasse. Es geht auch da-
um, dass die Handwerker und der ehrliche Mittelstand
n Deutschland bei Ausschreibungen nicht zum Zuge
ommen, weil sie gegenüber dem Lohndumping von an-
eren Unternehmen keine Chance haben.
(Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: So sieht es aus!)
amit werden gute Arbeitsplätze vernichtet, und anstän-
ige Firmenchefs haben keine Chance, sich am Markt zu
ehaupten. Aber Sie sagen: Das ist uns alles egal;
(Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Uns nicht!)
a schauen wir gerne weg. – Sie organisieren Billigkon-
urrenz, die den Zuschlag bekommt. Das ist Politik des
egschauens, und deshalb werden wir Sie bei diesem
hema im Deutschen Bundestag immer wieder stellen.
(Beifall bei der SPD)
Sie vergessen auch völlig, dass ab Mai 2011 Arbeit-
ehmerfreizügigkeit gilt und dadurch der Druck auf die
öhne noch stärker zunimmt. Deshalb will ich noch ein-
al sagen: Die SPD will im Grundsatz gleiches Geld für
leiche Arbeit. Das steht in dem Antrag, den wir vorge-
egt haben. Wir wollen über das Arbeitnehmer-Entsen-
egesetz eine untere Haltegrenze für die Kolleginnen
nd Kollegen und Beschäftigten in der Leiharbeit einzie-
en. Wir wollen, dass das Synchronisationsverbot abge-
chafft, die konzerninterne Verleihung begrenzt und die
itbestimmung gestärkt wird.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Kommen Sie bitte zum Schluss.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Oktober 2010 6693
(A) )
)(B)
Katja Mast (SPD):
Herr Präsident, ich komme zum Schluss. – Außerdem
wollen wir, dass sich unser aller Bundesarbeits- und -so-
zialministerin Ursula von der Leyen für die kleinen
Leute in unserer Gesellschaft verantwortlich fühlt,
(Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Das tut sie
doch!)
dass sie sich als Schutzmacht für die Menschen in dieser
Gesellschaft versteht.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Jetzt ist aber wirklich Schluss, Frau Mast.
Katja Mast (SPD):
Sie soll sich zur Speerspitze der Bewegung machen,
wenn es um die Würde der Arbeit geht.
(Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Genau!)
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Frau Kollegin Mast, bitte! Sie haben Ihre Zeit weit
überzogen. Bitte kommen Sie jetzt zum letzten Satz.
Katja Mast (SPD):
Ich komme zum letzten Satz, Herr Präsident. – Dann
werden wir in dieser Gesellschaft auch wieder über eine
echte soziale Marktwirtschaft sprechen können.
(Beifall bei der SPD)
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat der Kollege Pascal Kober von der FDP-
Fraktion.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Pascal Kober (FDP):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das
Thema Zeitarbeit hat uns in den letzten Monaten zu
Recht ausgiebig beschäftigt. Dass vereinzelt Unterneh-
men die Zeitarbeit in unverantwortlicher Art und Weise
ausgenutzt haben, ist bei uns allen in diesem Hohen
Haus auf große Ablehnung gestoßen. Das will ich für die
FDP-Fraktion hier noch einmal deutlich betonen.
Der Unterschied zwischen den Regierungsfraktionen
und den Oppositionsfraktionen liegt in der Schlussfolge-
rung, die aus diesen Vorgängen gezogen wird. Während
Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition,
die Fälle zum Anlass nehmen, eine ganze Branche besei-
tigen zu wollen, handeln wir mit Vernunft und Augen-
maß.
(Beifall bei der FDP – Dr. Axel Troost [DIE
LINKE]: Von wegen! Gar nicht!)
Wir schaffen die Voraussetzungen dafür, dass Geschäfts-
modelle wie im Fall Schlecker künftig nicht mehr mög-
lich sind.
(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Es gibt aber nicht nur Schlecker!)
E
K
A
b
c
W
d
b
b
l
h
c
h
M
d
S
b
W
z
d
m
g
Z
s
i
w
K
e
D
B
s
b
w
D
k
b
s
r
m
c
f
I
(C
(D
s ist nicht akzeptabel, wenn die Stammbelegschaft von
onzernen in Leiharbeitsgesellschaften, bei denen die
rbeitsbedingungen für die Arbeitnehmerinnen und Ar-
eitnehmer ungünstiger sind, ausgelagert wird.
Auf der anderen Seite sehen wir aber auch die Chan-
en, die die Zeitarbeitsbranche vielen Menschen bietet.
ürde man hier und heute Ihren Anträgen folgen, würde
as für viele Menschen, die bei Zeitarbeitsunternehmen
eschäftigt sind, in naher Zukunft die Arbeitslosigkeit
edeuten. Das ist das Gegenteil dessen, was die christ-
ich-liberale Koalition zur Maßgabe ihrer Politik erklärt
at.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU)
Wir möchten den Menschen in unserem Land Chan-
en auf dem Arbeitsmarkt eröffnen bzw. Chancen offen-
alten. Ich muss zugestehen, dass dies auch einmal die
aßgabe von Sozialdemokraten und Grünen war. Doch
iese Zeiten sind nun offenbar endgültig vorbei, leider.
(Johannes Vogel [Lüdenscheid] [FDP]: Hört!
Hört!)
Der populistische Reflex siegt bei Ihnen über die
achkenntnis. Sie vergessen die Chancen, die die Zeitar-
eit vielen Menschen bietet. Sie ist jetzt, in der Zeit der
irtschafts- und Finanzkrise, für viele der erste Schritt
urück in den Arbeitsmarkt. Diese Chance wollen Sie
en Menschen nehmen, indem Sie das wirksame Instru-
ent der Zeitarbeit gänzlich zerschlagen. Untersuchun-
en zeigen uns, dass 62,2 Prozent der Menschen, die in
eitarbeitsverhältnissen beschäftigt sind, zuvor nicht be-
chäftigt waren. Sie zeigen uns auch, dass 11,4 Prozent
n ihrem Leben zuvor überhaupt noch nicht beschäftigt
aren. Dies belegt, welche Chancen die Zeitarbeit beim
ampf gegen Arbeitslosigkeit bietet. Zeitarbeit ist das
rfolgreichste Arbeitsmarktinstrument, das wir haben.
arauf hat der Parlamentarische Staatssekretär Ralf
rauksiepe schon hingewiesen. Mit keinem anderen In-
trument ist es gelungen, so viele Menschen in Arbeit zu
ringen.
(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN]: In Leiharbeit zu bringen!)
Ich kann Ihnen aber sagen, dass sich auch die FDP
eitergehende Gedanken zum Thema Zeitarbeit macht.
(Zuruf von der LINKEN: Oh!)
ie Zeitarbeit soll der Bewältigung von Auftragsschwan-
ungen dienen und dabei helfen, Menschen in den Ar-
eitsmarkt zu integrieren. Für die FDP ist Zeitarbeit – das
age ich ausdrücklich – kein Instrument der Lohndiffe-
enzierung nach unten.
(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Das ist aber die Realität!)
Deutschland setzt zum 1. Mai 2011 die Arbeitneh-
erfreizügigkeit um. Anstatt sich über diesen wesentli-
hen Schritt im Rahmen der europäischen Integration zu
reuen, wird von mancher Seite Angst davor geschürt.
ch halte das angesichts der Tatsache, dass Deutschland
6694 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Oktober 2010
Pascal Kober
(A) )
)(B)
als Exportland wie kein zweites Land von der europäi-
schen Integration profitiert, für unangebracht.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU)
Niemand kann heute seriöserweise sagen, welche Folgen
diese Umsetzung zum 1. Mai 2011 zeitigen wird. Ich
kann Ihnen aber deutlich und klar sagen: Mit der FDP
wird es in der Zeitarbeitsbranche keinen Mindestlohn
nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz geben.
Liebe Frau Mast, ich komme zu dem, was Sie gesagt
haben. Auch wir von der FDP sehen Handlungsbedarf
im Bereich der Zeitarbeit, jedoch ganz unabhängig vom
1. Mai 2011. Wir halten es nicht für gerechtfertigt, dass
Zeitarbeiter auf Dauer schlechter bezahlt werden als die
Stammbelegschaft, wenn sie die gleiche Tätigkeit aus-
üben und die gleiche Qualifikation besitzen. Ein solcher
Lohnunterschied ist nur für die Dauer einer Einarbei-
tungsphase nachvollziehbar und begründbar. Daher set-
zen wir uns dafür ein, dass der Grundsatz des Equal Pay
nach einer angemessenen Einarbeitungszeit eingehalten
werden muss.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Herr Kollege Kober, erlauben Sie eine Zwischenfrage
der Kollegin Mast?
Pascal Kober (FDP):
Aber gerne.
(Gitta Connemann [CDU/CSU]: Sie hat doch
schon so lange geredet!)
Katja Mast (SPD):
Herr Kollege Kober, einer Aussage von Herrn Kolb in
der Presse habe ich entnommen, dass Sie für Equal Pay,
also für gleiches Geld für gleiche Arbeit, nach einer kur-
zen Einarbeitungszeit – wie Sie es immer nennen – sind.
Meine Frage an Sie ist: Was ist für Sie eine angemessene
Einarbeitungszeit, insbesondere im Hinblick darauf, dass
50 Prozent der Leiharbeitsverträge eine Laufzeit von
maximal drei Monaten haben?
Pascal Kober (FDP):
Frau Mast, ich darf Ihnen hier die Transparenz bieten,
die Sie wünschen. Wir als FDP-Bundestagsfraktion füh-
ren gerade Gespräche mit Zeitarbeitsunternehmen und
mit Arbeitnehmervertretungen, mit Firmen, die Zeitar-
beit verwenden. Wir werden uns nach den Gesprächen
ein sachgerechtes Urteil bilden und werden Ihnen dann
auf Ihre Frage eine sachgerechte Antwort geben. Das ist
seriöse Politik: erst denken, dann handeln.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Unsere Politik orientiert sich an dem, was für den
Einzelnen und seine Chancen, Arbeit zu finden, hilfreich
ist. Deshalb werden wir bestehende Fehler beseitigen,
dabei aber nicht über das Ziel hinausschießen, wie es die
Anträge der Opposition tun. Das ist verantwortliche
Politik für die Menschen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
l
D
n
L
–
s
u
a
T
k
s
s
l
L
K
g
s
S
s
d
N
I
i
l
J
r
s
i
K
w
k
t
j
(C
(D
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Durch Sie haben wir jetzt zwei Minuten gespart. Vie-
en Dank.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP, der CDU/
CSU und der SPD)
as ist durchaus als Vorbild für die nachfolgenden Red-
er zu sehen.
Jetzt hat die Kollegin Krellmann für die Fraktion Die
inke das Wort.
(Beifall bei der LINKEN – Karl Schiewerling
[CDU/CSU]: Alle Hoffnungen ruhen auf Ih-
nen! – Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Habe
ich jetzt die zwei Minuten mehr?)
Nein, die zwei Minuten hat die Kollegin Mast vorher
chon verbraucht.
(Heiterkeit – Jutta Krellmann [DIE LINKE]:
So ein Ärger!)
Jutta Krellmann (DIE LINKE):
Guten Tag, Herr Präsident! Hallo, liebe Kolleginnen
nd Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Nach
cht Monaten liegt jetzt ein Gesetzentwurf auf dem
isch. Er ist, wie zu befürchten war, unsozial und löst
eine Probleme. Es sind die Schwächsten der Gesell-
chaft, die schutzlos bleiben. Diese Bundesregierung
paltet das Land weiter in Arm und Reich. Acht Monate
ang haben Sie eine Lösung angekündigt und jetzt die
ösung „Weiter so!“ vorgelegt.
Die Leiharbeit frisst sich währenddessen wie eine
rake durch die Arbeitswelt: bei Krankenhäusern, Ta-
eszeitungen, Banken, Druckereien usw. Die Liste ließe
ich problemlos fortsetzen.
(Karl Schiewerling [CDU/CSU]: 0,9 Prozent
aller Beschäftigten! Die Krake!)
ogar auftragsstarke Firmen wie Airbus sind dabei.
Frau von der Leyen behauptet hingegen, es handele
ich um Einzelfälle. Während Sie nichts taten, kommt
ie Leiharbeit nach der Krise wieder auf die Beine. Die
achfrage nach billigen Hire-and-Fire-Kräften boomt.
(Gitta Connemann [CDU/CSU]: Können Sie
das auch auf Deutsch sagen?)
m Bundesdurchschnitt betrug der Anteil der Leiharbeit
m Juni mehr als ein Drittel der offen gemeldeten Stel-
en; in Hamburg waren es sogar 55 Prozent.
Schauen wir uns das verarbeitende Gewerbe an! Seit
uni 2009 sind knapp 120 000 feste Arbeitsplätze verlo-
en gegangen. Gleichzeitig wurden 170 000 Leiharbeits-
tellen geschaffen. Hier wird in großem Stil feste Arbeit
n unsichere Arbeit umgewandelt. Die Kolleginnen und
ollegen der Leiharbeit bekommen bis zu einem Drittel
eniger Lohn. Die Unternehmensstrategie heißt: Löhne
ürzen.
Jugendliche und Berufsanfänger sind dabei am stärks-
en betroffen. Mehr als die Hälfte der Leiharbeiter sind
unge Erwachsene unter 35.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Oktober 2010 6695
Jutta Krellmann
(A) )
)(B)
Gestern fand in Hannover eine Demonstration von
800 Auszubildenden statt, die gegen Leiharbeit und pre-
käre Beschäftigung, für mehr Ausbildungsplätze und für
eine gute Zukunft für sich als Jugendliche gekämpft ha-
ben.
(Beifall bei der LINKEN)
Wie sollen die eine Familie gründen, ein Häuschen
bauen oder ihre Zukunft planen? Gleiches Geld für glei-
che Arbeit ist der Schlüssel und das Ende der Ausbeu-
tung. Das wissen Sie eigentlich.
Das alles kann man per Gesetz lösen. Aber das scheint
die Bundesregierung nicht zu interessieren. Im Gegenteil:
Sie zementieren mit Ihrem Gesetzentwurf ganz bewusst
das Lohndumping in der Leiharbeit. Was Sie vorschla-
gen, Frau von der Leyen, schafft den Missbrauch in der
Leiharbeit nicht ab. Der Vorschlag ist nichts anderes als
gesetzlich geregelter Missbrauch in der Leiharbeit. Mehr
noch: Der Vorschlag ist Anstiftung zum Missbrauch.
Verhindert wird nur ein Ausnahmetatbestand der
Leiharbeit: Der Arbeitgeber soll seine Beschäftigten
nicht direkt in die Leiharbeit ausgliedern können, so wie
es bei Schlecker der Fall war. Das ist der einzige Tatbe-
stand, Herr Kober. Leiharbeit als systematisches Lohn-
dumping im Betrieb bleibt erhalten.
Es liegen drei Vorschläge der Opposition auf dem
Tisch. Alle zielen darauf ab, die Leiharbeit zu be-
grenzen. All diese Vorschläge sind besser als der Regie-
rungsentwurf. Gleiches Geld für gleiche Arbeit ist ein
Menschenrecht. Dieses Recht will die Linke schützen,
und zwar ohne Ausnahme und vom ersten Tag an.
(Beifall bei der LINKEN)
Was in diesem Bundestag bisher unmöglich war, ist
den Kollegen in der Stahlindustrie gestern gelungen;
Frau Mast hat das gerade angesprochen. Meinen herzli-
chen Glückwunsch von dieser Stelle an die Kolleginnen
und Kollegen in den Stahlbetrieben!
(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Katja
Mast [SPD] und der Abg. Beate Müller-
Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Ihnen ist es gelungen, in einem Flächentarifvertrag zum
ersten Mal Equal Pay durchzusetzen. Dieser Flächen-
tarifvertrag ist natürlich ein Tarifvertrag zwischen Ar-
beitgebern und Arbeitnehmern. Er ist das Ergebnis einer
Tarifrunde. Die Kolleginnen und Kollegen, die in den
Stahlbetrieben arbeiten, haben dafür gekämpft. Sie ha-
ben die Forderung gestellt und deren Durchsetzung er-
reicht. Wenn es am Ende nicht so schnell gegangen
wäre, hätten sie noch weiter dafür gestreikt.
(Beifall bei der LINKEN)
Das ist aus meiner Sicher ein echter Durchbruch. Es
geht also. Warum nicht für alle? Warum nicht in ganz
Deutschland? Warum nicht per Gesetz?
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
Frau von der Leyen, beenden Sie diese haarsträu-
bende Ungerechtigkeit! Ob Hartz-IV-Erhöhungen von
5
l
v
d
S
w
a
m
N
n
s
g
H
a
d
m
b
h
v
8
r
z
h
k
ju
D
p
B
a
d
s
g
n
s
S
t
v
n
k
c
(C
(D
Euro oder das Weiter-so in der Leiharbeit: Das ist herz-
ose Politik. Das ist soziale Kälte. Das hat mit der Würde
on Menschen und Arbeit nichts zu tun. Die Quittung
afür bekommen Sie hoffentlich demnächst auf der
traße, wenn Ihnen möglichst viele Menschen sagen,
omit sie nicht einverstanden sind und dass sie sich eine
ndere Politik für dieses Land wünschen.
Vielen Dank.
(Beifall bei der LINKEN)
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat jetzt die Kollegin Beate Müller-Gem-
eke von Bündnis 90/Die Grünen.
Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
EN):
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegin-
en und Kollegen! Wirtschaftsminister Brüderle sagte in
einer Haushaltsrede, der Aufschwung sei ein Beschäfti-
ungsaufschwung und das deutsche Jobwunder löse
underttausende persönlicher Konjunkturprogramme
us.
(Pascal Kober [FDP]: Recht hat er!)
„Beschäftigungsaufschwung“ bedeutet aber für mich,
ass reguläre Beschäftigung entsteht. Wir können mo-
entan allerdings nur einen Aufschwung in der Leihar-
eitsbranche verzeichnen. Die Zahl der Leiharbeitskräfte
at bereits im Juni den alten Rekord von Juli 2008, also
or der Krise, gebrochen. Laut Branche hat sie also mit
26 000 Leiharbeitskräften im Juni ihre Höchstmarke er-
eicht. Dieses Jobwunder kann ich nur als bedenklich be-
eichnen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Leiharbeitskräfte müssen jeden Euro fünfmal umdre-
en. Von Anschaffungen, Urlaub und Freizeitaktivitäten
önnen sie nur träumen. Leiharbeitskräfte sind vor allem
nge Menschen. An Familienplanung ist nicht zu denken.
er Boom in der Leiharbeit löst daher wahrlich keine
ersönlichen Konjunkturprogramme aus, wie Minister
rüderle meint. Konjunktur hat einzig und allein das
ufstockende Arbeitslosengeld II. Dennoch haben wir
ie Krise gut überstanden. Dazu hat vor allem das Zu-
ammenhalten der Tarifpartner viel beigetragen. Der Re-
ierung kann man allenfalls zugutehalten, dass sie dabei
icht wesentlich gestört hat.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
In Sachen Leiharbeit hat das Arbeitsministerium aber
chlichtweg versagt.
(Karl Schiewerling [CDU/CSU]: Zum Bei-
spiel mit dem Kurzarbeitergeld!)
eit Dezember wird angekündigt, dass das Arbeitsminis-
erium etwas gegen den Missbrauch in der Leiharbeit
orlegen will. Im Bundestag wurde hierzu noch immer
ichts beschlossen. Der Gesetzentwurf der Ministerin
ommt schlichtweg zu spät und ist zudem nicht ausrei-
hend. Damit wird sich die Leiharbeit weiter ausweiten.
6696 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Oktober 2010
Beate Müller-Gemmeke
(A) )
)(B)
Schon lange fordern wir die Regulierung der Leihar-
beit, damit im momentanen Aufschwung reguläre Be-
schäftigungsverhältnisse entstehen können. Die Bundes-
regierung hat aber nichts gegen den Aufbau prekärer
Beschäftigungsverhältnisse getan. Das zeigt einmal
mehr, wohin die Reise gehen soll. Der Niedriglohnbe-
reich soll nicht begrenzt, sondern eher noch ausgebaut
werden. Ich kann nur fragen: Wie weit wollen Sie das ei-
gentlich noch treiben? In meinem Wahlkreis gibt es bei-
spielsweise einen Betrieb mit 102 Festangestellten und
über 80 Leiharbeitskräften. Das ist kein Einzelfall. Herr
Kollege Kober kann diesen Betrieb in Reutlingen gern
einmal besuchen.
Immer mehr Menschen leben in Unsicherheit und
Angst, und immer mehr Menschen müssen von niedri-
gen Löhnen leben. Sie, die Regierungsfraktionen, ma-
chen Politik gegen und nicht für die Menschen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Ich fordere Sie auf: Sorgen Sie endlich dafür, dass die
Leiharbeit nicht weiter reguläre Beschäftigung verdrängt
und zur Absenkung der Löhne führt! Ich verzichte da-
rauf, all unsere Forderungen gebetsmühlenartig zu wie-
derholen. Alle notwendigen Maßnahmen und Argu-
mente können Sie in unserem Antrag nachlesen.
Ich möchte unsere Forderung „Gleicher Lohn für
gleiche Arbeit“ in den Mittelpunkt stellen und mit der
Haushaltswoche verbinden. Das Sparpaket ist und bleibt
sozial unausgewogen. Sie könnten einen deutlich ge-
rechteren Weg gehen. Regulieren Sie einfach die Leih-
arbeit! Führen Sie das Prinzip „Gleicher Lohn für glei-
che Arbeit“ ein! Beenden Sie die Subventionierung von
Unternehmen! Damit reduzieren Sie die Ausgaben für
aufstockendes Arbeitslosengeld II und entlasten den
Haushalt. Gleichzeitig sorgen Sie so für höhere Steuer-
einnahmen und Mehreinnahmen bei den Sozialversiche-
rungen. Machen Sie den Weg frei für reguläre Beschäfti-
gung und faire Löhne! Das wäre wesentlich gerechter,
als auf dem Rücken der Schwächsten in unserer Gesell-
schaft zu sparen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Ich versichere Ihnen, dass Sie auch die Sympathie der
Gewerkschaften, der Beschäftigten und der Opposition
haben, wenn Sie diesen Schritt wagen. Ich versichere Ih-
nen, dass dann auch viele Arbeitgeber erleichtert sein
werden, nämlich diejenigen, die das Instrument Leih-
arbeit nicht missbrauchen und gerechte Löhne zahlen.
Denn diese Betriebe leiden unter der Konkurrenz, die die
Löhne durch Leiharbeit drückt.
Zeigen Sie endlich wirtschafts- und sozialpolitische
Kompetenz! Sorgen Sie für einen fairen Wettbewerbs-
rahmen, indem Sie die Leiharbeit sozialverträglich aus-
gestalten! Degradieren Sie die Leiharbeitskräfte nicht zu
Beschäftigten zweiter Klasse! Es wird Zeit, dass Sie die
Leistung der Leiharbeitskräfte wirklich wertschätzen.
Machen Sie endlich eine Politik des Respekts! Wie das
geht – ich sagte es schon –, können Sie in unserem An-
trag nachlesen.
Vielen Dank.
G
g
f
n
D
n
s
a
d
s
r
s
f
D
H
d
R
n
f
d
g
b
v
D
m
S
s
(C
(D
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN-
KEN)
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Für die CDU/CSU hat jetzt das Wort die Kollegin
itta Connemann.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Gitta Connemann (CDU/CSU):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ein Virus
eht um in diesem Haus – diesen Eindruck habe jeden-
alls ich nach den Debattenbeiträgen der Opposition –,
ämlich der Virus der Vergesslichkeit.
(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN]: Vergesslichkeit? Das müssen ge-
rade Sie sagen!)
enn die Regelungen, über die wir heute sprechen, sind
icht von dieser christlich-liberalen Koalition beschlos-
en worden, sondern sie sind das Ergebnis einer Reform
us dem Jahre 2003,
(Katja Mast [SPD]: Ja! Na und?)
ie seinerzeit „Hartz I“ genannt wurde und das Parade-
tück von Rot-Grün war.
(Pascal Kober [FDP]: Hört! Hört!)
Dieses Paradestück, das Sie heute vollkommen in Ab-
ede stellen, hat – darauf dürfen Sie außerordentlich
tolz sein – zu enormen Erfolgen am Arbeitsmarkt ge-
ührt.
(Katja Mast [SPD]: Darauf sind wir auch
stolz! – Gegenruf des Abg. Björn Sänger
[FDP]: Davon ist aber nur sehr wenig zu spü-
ren, Frau Mast!)
eswegen können wir heute über Helden reden. „Die
elden des Aufschwungs“, so hat das Magazin Focus
ie Zeitarbeitnehmer in Deutschland bezeichnet – zu
echt, denn ohne Zeitarbeitsbranche könnten wir uns
icht seit Monaten über sinkende Arbeitslosenzahlen
reuen. Jede dritte neue Stelle in Deutschland kommt aus
er Zeitarbeit.
Auch in meiner Heimat hat sich der Arbeitsmarkt un-
laublich gut entwickelt. Die neueste Meldung: Die Ar-
eitslosenquote ist dort mit 6,5 Prozent so niedrig wie
or 30 Jahren. Das ist ein unglaublicher Erfolg.
(Karl Schiewerling [CDU/CSU]: Richtig!)
ie Agentur für Arbeit in meiner Heimatstadt Leer hat
ir mitgeteilt, dass 40,7 Prozent des Zugangs an offenen
tellen aus der Zeitarbeit stammen.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Frau Kollegin Connemann, erlauben Sie eine Zwi-
chenfrage der Kollegin Pothmer?
Gitta Connemann (CDU/CSU):
Ja, gerne.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Oktober 2010 6697
(A) )
)(B)
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Bitte schön.
Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Frau Connemann, Sie haben gerade zum wiederholten
Male darauf hingewiesen, dass es die rot-grüne Regie-
rung war, die die Liberalisierung der Zeitarbeit durchge-
setzt hat. Haben Sie, wie auch wir, zur Kenntnis genom-
men, dass das Ziel der Liberalisierung der Zeitarbeit, das
darin bestand, Auftragsspitzen abzufedern, nicht erreicht
werden konnte und die gesellschaftliche Realität so aus-
sieht – dies wurde in vielen Untersuchungen von ver-
schiedenen Instituten, unter anderem vom Institut für
Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, nachgewiesen –,
dass die Betriebe die Liberalisierung der Leiharbeit statt-
dessen in erheblichem Umfang genutzt haben, um
Stammbelegschaften zu ersetzen? Das war unser Impuls
und war unser Ziel nicht.
Ich frage Sie: Ist das Ihr Ziel? Wir haben diese An-
träge jetzt eingebracht, weil wir feststellen mussten, dass
es einen erheblichen Missbrauch gibt, der weit über
Schlecker hinausreicht. Ich frage Sie: Sehen Sie diesen
Missbrauch nicht? Sind Sie bereit, diesem Missbrauch
entgegenzuwirken?
(Beifall bei der SPD und der LINKEN)
Gitta Connemann (CDU/CSU):
Verehrte Frau Kollegin Pothmer, wenn jemand Miss-
brauch entgegenwirken will, dann ist das die christlich-
liberale Koalition.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – La-
chen bei der SPD und der LINKEN – Jutta
Krellmann [DIE LINKE]: Jetzt sind wir im
Kabarett!)
Denn wir haben nach dem Vorfall Schlecker sofort ge-
handelt. Wir haben uns an die Tarifvertragsparteien ge-
wandt und darum gebeten, dass eine Formulierung ge-
funden wird, um Schlecker und seine Genossen
auszuschließen.
(Silvia Schmidt [Eisleben] [SPD]: Genossen?
Was soll das jetzt?)
Ich betone das Wort „Genossen“. Die Auseinanderset-
zung mit Fällen wie Schlecker hat eines deutlich ge-
macht, nämlich dass es tatsächlich durchaus prominente
Mitspieler gibt, angefangen von der Frankfurter Rund-
schau – wir haben bereits damals darüber gesprochen,
dass die SPD an diesem Zeitungsunternehmen erhebli-
che Anteile hält –
(Zustimmung des Abg. Pascal Kober [FDP])
bis hin zu Unternehmen wie der AWO. Da muss etwas
passieren. Es ist auch etwas passiert;
(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN]: Was denn?)
denn es war diese Bundesregierung mit Bundesministe-
rin von der Leyen, die einen Entwurf vorgelegt hat, um
einem Problem zu begegnen, das Sie bei Ihrer Gesetzge-
bung nicht erkannt haben.
d
A
d
H
s
B
b
w
m
k
–
S
F
a
E
t
n
p
n
Z
h
t
i
s
s
d
B
b
k
w
d
m
a
d
m
k
d
n
J
s
(C
(D
Frau Kollegin Pothmer, Sie haben mich nach der Zahl
er IAB gefragt. Da fällt mir ein Wort von Konrad
denauer ein, der einmal gesagt hat: Wir alle leben unter
emselben Himmel, aber wir haben nicht alle denselben
orizont. – Wenn ich die Aussage der IAB lese, dann
agt mir das – Sie können es nachlesen; Sie kennen den
ericht sehr gut; ich habe jetzt das Zitat leider nicht da-
ei, aber ich schicke es Ihnen gerne –, dass die immer
ieder gepflegte Behauptung, dass durch Leiharbeit
assenweise Stammbelegschaft ersetzt worden ist, in
einer Weise empirisch belegt ist.
(Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Natürlich ist
das belegt!)
Ich bin noch nicht fertig, Frau Pothmer; bitte bleiben
ie noch stehen. Sie haben mich in einer sehr langen
rage auf die IAB angesprochen. Dann darf ich Ihnen
uch lange antworten.
(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Das IAB! So viel Richtigkeit muss
sein!)
Die IAB hat festgestellt, dass die durchschnittliche
insatzzeit eines Leiharbeitnehmers in Deutschland un-
er drei Monate beträgt. Ein Arbeitseinsatz von drei Mo-
aten ist sicherlich nicht geeignet, um Stammarbeits-
lätze zu ersetzen. Das sollten Sie bitte zur Kenntnis
ehmen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN]: Es geht um den Klebeeffekt! Wie-
der keine Antwort!)
Nehmen Sie doch einmal wahr, welche Potenziale die
eitarbeit bietet! 90 Prozent der Zeitarbeitsunternehmen
aben in einer Umfrage mitgeteilt, dass sie in den nächs-
en Monaten weitere Mitarbeiter einstellen wollen. Das
st eine gute Nachricht für eine Branche, die es durchaus
chwer hat, nicht nur deshalb, weil sie diskreditiert wird,
ondern auch deshalb, weil sie die erste war, die unter
er Krise litt. Diese Branche büßte in der Krise als erste
ranche Beschäftigung ein. Aber so rettete sie Stamm-
elegschaft. Auf diese Weise konnten Betriebe sehr
urzfristig auf Auftragseinbrüche reagieren. Jetzt, da es
ieder aufwärtsgeht, gibt es in diesen Betrieben noch
ie Kernmannschaft. Hinzu kommen die Zeitarbeitneh-
er, die eingestellt werden, um die Produktionsspitzen
bzufedern.
Damit hat die Zeitarbeit in Deutschland in der Krise
ie Wettbewerbsfähigkeit unserer Betriebe gestärkt. Da-
it hat die Zeitarbeit in Deutschland gemeinsam mit
lugen Instrumenten wie der Kurzarbeit das Wunder am
eutschen Arbeitsmarkt erst möglich gemacht. Bitte
ehmen Sie das zur Kenntnis!
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Deshalb stellt der Focus unter anderem fest:
Für die Wirtschaft ist die Erfindung der Zeitarbeit
ein Glücksfall.
a, ein Glücksfall. Ich betone: nicht nur für die Wirt-
chaft, sondern auch für unseren Arbeitsmarkt.
6698 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Oktober 2010
Gitta Connemann
(A) )
)(B)
Aber wie reagieren Sie darauf, meine Damen und
Herren von der Opposition? Diffamierend und diskrimi-
nierend. Dies beginnt übrigens schon bei Ihrer Wort-
wahl. Sie halten stoisch an der überkommenen Bezeich-
nung „Leiharbeit“ fest. Das ist diskriminierend; denn es
gibt keinen Begriff, der auf Zeitarbeit weniger zuträfe
als „Leihe“.
(Jutta Krellmann [DIE LINKE]: „Sklaven-
arbeit“ wäre da auch noch!)
Gegenstände werden verliehen. 830 000 Zeitarbeit-
nehmer in Deutschland sind aber keine Sachen. Deshalb
verstehe ich persönlich die Forderung nach einer ent-
sprechenden Gesetzeskorrektur auch durchaus. Darauf
gehen Sie in dem Reigen Ihrer Anträge übrigens nicht
ein. Dort, wo es kneift, kneifen Sie selbst, meine Damen
und Herren von der Opposition. Sie beschränken sich
lieber darauf, Ihre Vorurteile zu pflegen.
Frau Kollegin Mast, Sie haben in Ihrer Rede zunächst
behauptet, Zeitarbeit sei eine prekäre, also eine unsi-
chere Beschäftigung. Das ist falsch.
(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Ah ja!)
Tatsache ist: Jeder Zeitarbeitnehmer steht in einem nor-
malen Arbeitsverhältnis.
(Katja Mast [SPD]: Reden Sie doch einmal mit
den Leuten!)
Er genießt Kündigungsschutz, er hat Anspruch auf
Lohnfortzahlung und auf Urlaub, nur die Arbeitsorte
wechseln häufiger, wie übrigens auch bei Vertretern,
Bauarbeitern und Fernfahrern. Die Liste ließe sich fort-
setzen.
(Katja Mast [SPD]: Reden Sie mit den Men-
schen! – Beate Müller-Gemmeke [BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN]: Nur leider mit
45 Prozent weniger Lohn!)
Frau Kollegin Mast, Sie behaupten, in der Zeitarbeit
sei Lohndumping die Regel. Bitte nehmen Sie zur
Kenntnis: Das ist falsch. – Tatsache ist: 98 Prozent der
Zeitarbeitnehmer – ich wiederhole: 98 Prozent – fallen
unter Tarifverträge.
(Katja Mast [SPD]: Für 5, 6 oder 7 Euro!)
Davon können viele Branchen nur träumen.
(Zuruf von der SPD: Sagen Sie doch einmal,
wie viel sie verdienen!)
Es gibt einen Einstiegslohn für ungelernte Hilfskräfte im
Osten von 6,40 Euro und im Westen von 7,60 Euro.
(Katja Mast [SPD]: Und die Öffnungsklausel?)
Diese wurden übrigens von den von Ihnen so diffamier-
ten christlichen Gewerkschaften abgeschlossen. Was sa-
gen Sie denn zu dem Abschlussverhalten von DGB-Mit-
gliedsgewerkschaften, die zum Beispiel in Thüringen
Tarifverträge für Friseure abschließen? Wo ist da Ihre
Kritik?
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
d
i
Z
e
c
r
a
a
d
s
e
M
h
U
g
r
1
g
n
A
K
f
d
B
k
t
b
d
J
m
H
v
L
a
n
t
(C
(D
Sie behaupten weiter, Stammbelegschaften würden
urch Zeitarbeitnehmer ersetzt. Das ist falsch. Tatsache
st: Nur 2 Prozent der Betriebe haben zu gleicher Zeit
eitarbeitnehmer eingestellt und andere Beschäftigte
ntlassen. 98 Prozent der Betriebe verhalten sich glückli-
herweise anders als Schlecker.
Ihre Anträge und damit auch Ihre Forderungen basie-
en auf falschen Grundlagen. Deshalb lehnen wir sie ab.
Ich persönlich bedaure es, dass Sie sich mit diesem
ußerordentlich wichtigen Thema nur so oberflächlich
useinandergesetzt haben;
(Katja Mast [SPD]: Das Kompliment gebe ich
zurück! – Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Das kann
man nur zurückgeben!)
enn es gibt ja tatsächlich Herausforderungen. Wir müs-
en die EU-Zeitarbeitsrichtlinie fristgerecht im Maßstab
ins zu eins umsetzen. Wir müssen verhindern, dass sich
issbräuche wie bei Schlecker wiederholen. Für beides
at unsere Bundesregierung, hat Frau Bundesministerin
rsula von der Leyen zukunftsweisende Lösungen vor-
elegt, die von Herrn Staatssekretär Brauksiepe auch be-
eits vorgestellt worden sind.
Wir müssen auch eine Antwort auf die sich ab dem
. Mai kommenden Jahres stellenden Herausforderun-
en finden: Wie können wir unsere inländischen Arbeit-
ehmer und Arbeitgeber vor Billigkonkurrenz aus dem
usland schützen? Hier stellt sich für mich die Frage:
ann hier mit dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz gehol-
en werden, oder wäre hier nicht ein Referenztarifvertrag
ie bessere Lösung, ein Referenztarifvertrag, der von der
undesregierung im Einvernehmen mit einer Branchen-
ommission festgesetzt wird? Sofern dieser unterschrit-
en wird, könnte Equal Pay gelten.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Kommen Sie bitte zum Schluss, Frau Connemann.
Gitta Connemann (CDU/CSU):
Wir müssen dafür sorgen, dass die klassische Zeitar-
eit nicht wieder durch Umgehung diskreditiert wird. Ist
ie Überlassung eines Arbeitnehmers für mehr als ein
ahr wirklich noch Zeitarbeit? Diese Frage stellt sich
ir. Hat Rot-Grün durch die unbegrenzte Öffnung der
öchstüberlassungsdauer nicht erst Scheinzeitarbeit pro-
oziert?
Das sind viele Fragen, die wir beantworten müssen.
eider können wir dabei nicht mit Ihrer Hilfe rechnen,
ber wir werden diese Aufgabe auch selbst bewältigen.
Vielen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat
un der Kollege Ulrich Lange von der CDU/CSU-Frak-
ion das Wort.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Oktober 2010 6699
(A) )
)(B)
Ulrich Lange (CDU/CSU):
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Ich begrüße Sie ganz herzlich. Herzlich willkommen zur
Quartalsrede Zeitarbeit. Es hat sich nichts geändert; wir
brauchen auch keine Zwischenfragen mehr.
(Sönke Rix [SPD]: Das ist ja das Problem!
Deshalb sind wir jetzt hier!)
– Ja, natürlich, es hat sich nichts geändert. Ich habe be-
reits zweimal eine Rede dazu gehalten. Lesen Sie sie!
Ich werde nicht alles wiederholen.
(Beifall der Abg. Brigitte Pothmer [BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN])
Es ist wie beim Vokabellernen: Manche merken sich
gute Argumente, manche merken sich gute Argumente
nicht. – Sie scheinen sie sich nicht merken zu können.
(Iris Gleicke [SPD]: Sie haben keine guten
Argumente!)
Ihnen scheint entgangen zu sein, dass wir zwischen-
zeitlich mit allen vier großen Arbeitgeberverbänden und
zwei Gewerkschaften Mindestlöhne in der Zeitarbeit
vereinbart haben. Das bedeutet, dass nahezu die gesamte
Branche einen vollständigen Tarifvertrag mit Mindest-
lohn hat. Das beweist die Stärke unseres Systems. Bei
uns bestimmen die Tarifparteien – die selbst Sie eben
noch so gelobt haben, Frau Kollegin Krellmann – und
nicht der Staat die Löhne, und das ist gut so.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Sie haben sich ja auch immer so für die
Stärkung der Gewerkschaften eingesetzt!)
Eines ist damit klar geworden – das hat sich auch bei
der Anhörung gezeigt –: Die Zeitarbeitsbranche selbst ist
daran interessiert, aus der Schmuddelecke herauszukom-
men. Denn wofür steht seriöse Zeitarbeit? Sie steht für
eine Brücke in die Arbeit für Menschen, die sonst
schlechte Chancen haben, für die Flexibilisierung bei
Auftragsspitzen und Auftragsflauten, für Perspektiven,
in den Arbeitsmarkt zu kommen, und außerdem für voll
sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse.
Vergessen Sie das nicht! Zeitarbeit ist auch Arbeitneh-
merschutz, und zwar in vollem Umfang: Kündigungs-
recht, Teilzeit, Befristung und Urlaub. Für die Zeitarbeit
gelten alle Arbeitnehmerschutzrechte.
Staatssekretär Brauksiepe hat es angesprochen: Un-
sere Ministerin hat wie versprochen gehandelt. Wir ha-
ben den ersten Entwurf auf dem Tisch liegen. Wir wol-
len den Drehtüreffekt konsequent verhindern, wir wollen
einen Zugang zu den Gemeinschaftseinrichtungen und
konsequent eine Unterrichtungspflicht über freie Ar-
beitsplätze in den Einsatzunternehmen.
Wir sind auf dem richtigen Weg. Wir sind im Laufe
des Jahres Schritt für Schritt vorangekommen. Meine
Damen und Herren von Rot-Grün, es ist unerträglich,
dass Sie jedes Mal Ihre Ära der schrankenlosen Liberali-
sierung im Arbeitsrecht negieren wollen. Aber das las-
sen wir nicht zu. Sie waren es, die Equal Pay ausgehöhlt
haben. Sie waren es, die Missbrauch legalisiert haben.
N
W
d
s
I
W
H
b
ü
u
I
d
i
Z
s
S
w
b
z
s
A
s
F
„
s
D
S
d
d
l
D
h
d
h
m
F
G
m
s
A
c
M
e
B
(C
(D
ur ein kleiner Hinweis, Frau Kollegin Mast: Meines
issens bestand bei Hartz I keine Zustimmungspflicht
urch den Bundesrat. Das haben Sie hier alleine be-
chlossen.
(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Hört! Hört!)
Wir, die christlich-liberale Koalition, reparieren heute
hre Baustellen: gestern Hartz IV, heute die Zeitarbeit.
ir haben das aufzuräumen, was Sie hinterlassen haben.
(Katja Mast [SPD]: Das ist nicht so! Stimmt
nicht!)
ören Sie auf mit Ihrem Populismus. 5 Millionen Ar-
eitslose waren Ihre Hypothek. Heute sind wir knapp
ber der 3-Millionen-Grenze, und wir werden sie noch
nterschreiten.
Meine Damen und Herren von der SPD, hören Sie mit
hrer „Hartzer Rolle rückwärts“ auf. Ihr ehemaliger, ver-
ienter Arbeitsminister hat einmal gesagt: „Opposition
st Mist“. Ihre Opposition ist zurzeit ganz großer Mist.
eigen Sie endlich Rückgrat. Treffen Sie fachliche Ent-
cheidungen. Wir stehen vor einem Jobwunder. Helfen
ie mit, dass es in Deutschland weiterhin greift. Ich
ünsche Ihnen in diesem Sinne einen schönen 3. Okto-
er in einem guten Deutschland mit guten Arbeitsplät-
en.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus-
es für Arbeit und Soziales auf Drucksache 17/3082. Der
usschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Be-
chlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der
raktion der SPD auf Drucksache 17/1155 mit dem Titel
Fairness in der Leiharbeit“. Wer stimmt für diese Be-
chlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? –
ie Beschlussempfehlung ist angenommen mit den
timmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen
er Fraktionen der SPD und der Grünen bei Enthaltung
er Fraktion Die Linke.
Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ab-
ehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf
rucksache 17/426 mit dem Titel „Lohndumping ver-
indern – Leiharbeit strikt begrenzen“. Wer stimmt für
iese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Ent-
altungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stim-
en der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der
raktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die
rünen bei Enthaltung der Fraktion der SPD angenom-
en.
Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buch-
tabe c seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des
ntrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksa-
he 17/551 mit dem Titel „Zeitarbeitsbranche regulieren –
issbrauch bekämpfen“. Wer stimmt für diese Beschluss-
mpfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die
eschlussempfehlung ist wiederum mit den Stimmen
6700 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Oktober 2010
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
(A) )
)(B)
der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Linken
und der Grünen bei Enthaltung der SPD-Fraktion ange-
nommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 29 a und b auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Monika
Lazar, Sven-Christian Kindler, Tom Koenigs,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN
Daueraufgabe Demokratiestärkung – Die Aus-
einandersetzung mit rassistischen, antisemiti-
schen und menschenfeindlichen Haltungen
gesamtgesellschaftlich angehen und die För-
derprogramme des Bundes danach ausrichten
– Drucksache 17/2482 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)
Innenausschuss
Haushaltsausschuss
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla
Jelpke, Jan Korte, Matthias W. Birkwald, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus
verstärken – Bundesprogramme gegen Rechts-
extremismus ausbauen und verstetigen
– Drucksache 17/3045 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)
Innenausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Red-
nerin der Kollegin Monika Lazar vom Bündnis 90/Die
Grünen das Wort.
Monika Lazar (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus, Rassismus,
Antisemitismus und anderen Formen der gruppenbezo-
genen Menschenfeindlichkeit ist eine gesamtgesell-
schaftliche Aufgabe. Um nachhaltig Erfolge zu erzielen,
braucht man einen langen Atem. Initiativen müssen in-
haltlich weitgehend unabhängig von staatlichem Ein-
fluss wirken können. Es ist ein Austausch auf Augen-
höhe zwischen Initiativen und den zuständigen Stellen
auf allen Ebenen nötig. Es muss gesichert werden, dass
erfolgreiche Strukturen und Projekte dauerhaft Förde-
rung erhalten.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
bei der SPD und der LINKEN)
Deshalb fordern wir die Bundesregierung, aber auch
die Länder auf, die erfolgreichen Programme auf hohem
Niveau fortzusetzen, sie weiterzuentwickeln und zu ver-
bessern. In unserem Land werden bundesweit rassistisch
und rechtsextrem motivierte Gewalttaten begangen. Das
reicht von Beschimpfung und Diskriminierung bis hin zu
Mord. Vor diesem Hintergrund ist es nicht nachvollzieh-
b
r
g
B
ü
S
I
f
t
d
s
e
r
d
n
b
j
s
t
m
e
s
D
g
c
f
v
S
t
D
v
g
z
f
b
a
v
n
f
B
s
g
H
A
h
u
g
(C
(D
ar, warum es nicht einen zügigen Aufbau von Opferbe-
atungsstellen auch in den westlichen Bundesländern
ibt. Alles, was die Bundesregierung in einem aktuellen
ericht dazu vorlegt, ist die Aussage: Die Entscheidung
ber solche strukturellen Fragen obliegt den Ländern. –
o einfach sollte man es sich aber nicht machen.
(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Richtig!)
ch erwarte, dass auch der Bund seiner Verantwortung
ür Opfer rechter Gewalt gerecht wird und sich die be-
roffenen Opfer nicht erst Hunderte von Kilometern zu
en Anlaufstellen bewegen müssen.
In Ostdeutschland wurden die Opferberatungsstellen
chon vor Jahren unter Rot-Grün aufgebaut. Leider gibt
s dort jedes Jahr Probleme wegen finanzieller Schwie-
igkeiten. Eine dieser Einrichtungen mit Problemen ist
ie Opferberatung in Sachsen. Sie berichtete mir vor we-
igen Tagen über ihre Lage. Im Frühjahr dieses Jahres
eantragte sie Mittel in Höhe von 100 000 Euro, wovon
eweils die Hälfte der Bund und das Land Sachsen tragen
ollten. Die Mittel von Sachsen erhielt sie, aber im Sep-
ember kam ein Schreiben vom Bund, dass keine Mittel
ehr verfügbar seien. Ob das Land die fehlende Summe
rsetzen wird, ist unklar, aber ich glaube es nicht ange-
ichts der Sparmaßnahmen, die auch Sachsen ergreift.
amit wird es ab Oktober zu deutlichen Stellenkürzun-
en kommen müssen. Von einer professionellen und flä-
hendeckenden Arbeit kann daher keine Rede sein. Ich
ordere die Bundesregierung auf, sich mit den Ländern
erbindlich darüber zu verständigen, wie man wichtige
trukturen erhalten und Planungssicherheit gewährleis-
en kann.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
bei der SPD und der LINKEN)
ieses Beispiel zeigt: Wir brauchen eine langfristige,
erlässliche Förderstrategie.
Die Konzentration auf Extremismus, die dem Pro-
ramm ab dem nächsten Jahr zugrunde liegen soll, führt
u einem falschen Ansatz. Das kritisiert auch die Links-
raktion in ihrem Antrag, der heute parallel zu unserem
eraten wird. Zu Recht beanstandet sie darin, dass sich
us dieser Extremismustheorie keine Konzepte für prä-
entive Arbeit ableiten lassen.
Die Bundesregierung hat in diesem Bereich auch
och keine Konzepte, wie sich bei verschiedenen Nach-
ragen der Opposition auch in anderen Bereichen – zum
eispiel zum Bündnis für Demokratie und Toleranz, das
ich in den letzten Jahren diesen Themen gewidmet hat –
ezeigt hat. Dort gibt es einfach nichts.
(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: So ist es!)
err Kues, Sie können uns ja in der nächsten Woche im
usschuss etwas vorlegen. Bis jetzt gibt es leider nur
eiße Luft.
Wir müssen demokratische und tolerante Haltungen
nd Handlungsweisen in der gesamten Gesellschaft – kind-
erecht, angefangen bei den Kleinsten – dauerhaft stär-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Oktober 2010 6701
Monika Lazar
(A) )
)(B)
ken. Und da war das, was der Staat gestern in Stuttgart
vorgemacht hat, kein Beweis für Demokratie.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN –
Zuruf von der CDU/CSU)
Die Förderung muss auf zivilgesellschaftliche An-
sätze ausgerichtet sein und verstetigt werden. Es ist not-
wendig, die in Ostdeutschland entwickelten erfolgrei-
chen Standards, besonders bei mobiler Beratung und bei
Opferberatung, auf die alten Bundesländer zu übertra-
gen.
Das neue Programm soll anders gestrickt werden. Wir
haben genügend Forderungen vorgelegt. Fördern Sie
zielgerecht Aktivitäten gegen Rechtsextremismus, Ras-
sismus, Antisemitismus und andere Formen der grup-
penbezogenen Menschenfeindlichkeit, und das nicht nur
an den vermeintlich extremen Rändern, sondern auch in
der Mitte der Gesellschaft!
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
bei der SPD und der LINKEN)
Gute lokale Aktionspläne, mobile Beratungsteams und
Opferberatungsstellen müssen langfristig gesichert oder
– wie in Westdeutschland – überhaupt erst aufgebaut wer-
den.
Ganz wichtig ist, dass auch kleine Träger und alterna-
tive Projekte Förderchancen erhalten. Sie brauchen ein
Antragsrecht direkt beim Bund. Solche Mittel sind mit
Sicherheit eine sinnvolle Investition in unsere Demokra-
tie.
Zum Schluss noch einmal meine Forderung: Bezie-
hen Sie bei der Neugestaltung der Bundesprogramme die
Wirklichkeit, die Erfahrungen aus der Praxis und auch
die Erfahrungen der Opposition mit ein!
Vielen Dank.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
bei der SPD und der LINKEN)
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat jetzt der Kollege Eckhard Pols von der
CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Eckhard Pols (CDU/CSU):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Verpackung und Inhalt klaf-
fen leider zu oft auseinander. Das können wir immer
wieder der Zeitschrift der Stiftung Warentest entnehmen,
die gern über Mogelpackungen berichtet. Ähnlich wie es
sich mit dem Unterschied zwischen Verpackung und In-
halt verhält, verhält es sich auch mit Ihrem Antrag,
meine Damen und Herren von Bündnis 90/Die Grünen.
(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Tolles Argument!)
In der Überschrift zu Ihrem Antrag heißt es „Dauerauf-
gabe Demokratiestärkung“. Das ist eine Aufgabe, der
sich die demokratischen Fraktionen dieses Hauses selbst-
verständlich verpflichtet fühlen. Auch Ihre Analyse unter
N
b
–
m
g
E
s
m
n
s
g
I
w
w
I
s
S
D
f
w
d
P
D
Z
A
d
d
K
d
n
w
(C
(D
ummer I kann ich in einigen Aspekten teilen. Sie schrei-
en:
Jeder Form von Menschenfeindlichkeit und ideolo-
gisch motivierter Gewalt muss entgegengetreten
werden, selbstverständlich auch dann, wenn sie aus
dem linken politischen Spektrum kommt oder isla-
mistisch motiviert ist.
Das ist ein Satz, der quasi auch von der Union stam-
en könnte. So viel zur Verpackung.
Nun geht es aber in Ihrem Forderungskatalog ans Ein-
emachte, nämlich an den Inhalt der Verpackung. Beim
ingemachten ist es dann mit unseren Gemeinsamkeiten
chnell vorbei, Frau Lazar.
Sie bemängeln, dass das Antragsrecht für die Förder-
ittel des Programms „Vielfalt tut gut“ auf die Kommu-
en beschränkt ist. Sie kritisieren, dass die Gemeinden
o politisch unliebsame Projektträger von den Förderun-
en ausschließen könnten.
(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Alles schon passiert!)
ch meine, die meisten Kommunalpolitiker werden sehr
ohl wissen, was für die Demokratie vor Ort gut ist und
as nicht.
(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Ich lade Sie gerne einmal nach Sachsen
ein!)
ch setze da auf die Erfahrungen und den gesunden Men-
chenverstand dieser Kommunalpolitiker in den Kreisen,
tädten und Gemeinden.
(Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Das ist gerade das
Problem!)
amit der Kampf gegen Extremismus weiterhin vor Ort
est verankert werden kann, ist es eben unbedingt not-
endig, die Mandatsträger in den Städten und Gemein-
en an diesen Entscheidungsprozessen zu beteiligen.
Die Grünen und die Linke fordern ein ergänzendes
rogramm für freie Träger mit direktem Antragsrecht.
(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Das hatten wir unter Rot-Grün auch
schon!)
as würde die Beteiligung der Kommunen beschneiden.
u dem Weg über die Kommunen gibt es jedoch keine
lternative;
(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Doch, die gab es schon!)
enn eine dauerhafte Förderung von Kleinstprojekten
urch den Bund verstößt gegen die verfassungsmäßige
ompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern.
(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Was ist
denn das für ein Unsinn?)
Der Erfolg von „Vielfalt tut gut“ zeigt, wir sind da auf
em richtigen Weg. Die von Ihnen schon angesproche-
en lokalen Aktionspläne – bisher sind es 90 – werden
eitergeführt, und zusätzlich werden 90 weitere Projekte
6702 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Oktober 2010
Eckhard Pols
(A) )
)(B)
gefördert. Die Ausschreibung für diese zusätzlichen lo-
kalen Aktionspläne läuft in Kürze an, und die Nachfrage
ist jetzt schon deutlich erkennbar.
(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Dagegen haben wir auch nichts! Ist
okay!)
Fragwürdig ist natürlich auch die Forderung der Grü-
nen, von einer Regelüberprüfung engagierter Initiativen
gegen Rechtsextremismus durch den Verfassungsschutz
abzusehen.
(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Sehr
richtig!)
Zum einen finden überhaupt keine regelmäßigen Über-
prüfungen statt. Zum anderen sollte gerade eine Organi-
sation, die sich der Extremismusbekämpfung und der
Demokratieförderung verschrieben hat, nichts zu verber-
gen haben. Ein klares Bekenntnis zu unserer Verfassung
sollte da eine Selbstverständlichkeit sein.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Jeder meiner Handwerkskollegen muss zum Beispiel
eine Tariftreueerklärung abgeben, wenn er einen öffent-
lichen Auftrag erhalten will. Zur Sicherheit führen wir
die Abgabe einer Erklärung zur Verfassungstreue als
neue Bedingung für die Gewährung von Fördermitteln
ein. Es ist daher schon erstaunlich, dass einige Linke und
selbsternannte antifaschistische Organisationen anschei-
nend ein Problem damit haben.
Sowohl Bündnis 90/Die Grünen als auch die Linke
fordern, auf die Ausweitung der Bundesprogramme auf
Linksextremismus und Islamismus zu verzichten. Ich
verstehe nicht, warum Sie dem Staat auf dem linken Auge
ein Pflaster verpassen wollen. Jede Form des Extremis-
mus ist eine Gefahr für unsere Demokratie, egal ob er
links, rechts oder religiös motiviert ist.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Deshalb setzt zum Beispiel das Programm „Zusam-
menhalt durch Teilhabe“ bereits sehr frühzeitig an. Es
handelt sich hierbei um ein vorbeugendes Programm,
welches auf die Stärkung eines friedfertigen und gedeih-
lichen Zusammenlebens abzielt. Wir wollen so bereits
im Vorfeld Ängsten und Vorverurteilungen den Nährbo-
den entziehen. Extremismus darf gar nicht erst entste-
hen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Ein grundlegendes Problem Ihrer Forderungen ist, dass
linksextremen Vereinigungen, zum Beispiel die selbster-
nannte Antifa oder SJD – Die Falken, Tür und Tor geöff-
net wird, um mit Steuergeldern ihre Aktivitäten zu finan-
zieren.
(Zurufe von der SPD: Was? – Gabriele
Fograscher [SPD]: Jetzt ist aber gut!)
– Hören Sie zu! – Derartige Organisationen berufen sich
auf Antifaschismus, um so ihre eigene Ideologie zu
rechtfertigen, welche sich in Wahrheit gegen unsere frei-
heitlich-demokratische Grundordnung richtet. Wir unter-
scheiden zwischen demokratischen Antifaschisten und
nichtdemokratischen Antifaschisten. Es ist doch so: Aus
e
m
w
t
t
t
u
E
w
m
E
d
k
r
l
s
W
p
K
d
s
F
d
z
–
s
z
s
Ä
u
ü
T
v
w
J
w
Ü
n
h
d
s
r
h
t
(C
(D
inem Linksextremisten wird nicht automatisch ein De-
okrat, nur weil er sich als Antifaschist bezeichnet. Wir
ollen keine Förderung linksextremer und antidemokra-
ischer Aktivitäten mit dem Geld der Bürger.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Der Kampf gegen Rassismus, Antisemitismus und In-
oleranz ist ein Kennzeichen einer wehrhaften Demokra-
ie. Wir wollen das Demokratiebewusstsein von Kindern
nd Jugendlichen von Anfang an stärken, um sie so vor
xtremismus jeglicher Art zu schützen. Deshalb haben
ir den Haushaltsansatz zur Bekämpfung des Extremis-
us und zur Stärkung der Demokratie um 5 Millionen
uro auf insgesamt 29 Millionen Euro erhöht. Das ist
er höchste Ansatz seit 2001, Frau Lazar. Von Kürzung
ann hier also keine Rede sein. Das Familienministe-
ium hat die Maßnahmen zur Stärkung von Vielfalt, To-
eranz und Demokratie entsprechend gebündelt und logi-
cherweise in einem Haushaltstitel zusammengeführt.
ir wollen auf administrativer Ebene für die Projekt-
artner die Betreuung aus einer Hand ermöglichen.
Meine Damen und Herren, wir, die christlich-liberale
oalition, und die Regierung der Mitte sind weder auf
em linken noch auf dem rechten Auge blind. Bei uns
timmen Verpackung und Inhalt überein.
Vielen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat der Kollege Sönke Rix von der SPD-
raktion.
Sönke Rix (SPD):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auf
ie kruse Vorstellung, gerade Die Falken als linksextrem
u bezeichnen, will ich jetzt hier gar nicht eingehen.
(Eckhard Pols [CDU/CSU]: Linksextrem! SJD –
Die Falken!)
Sie mussten noch einmal nachlesen, was Ihnen aufge-
chrieben worden ist. Die Falken als linksextrem zu be-
eichnen, Herr Kollege, dazu gehört schon etwas. Ich
chlage Ihnen vor: Überprüfen Sie das, bevor Sie solche
ußerungen hier in diesem Hause wiederholen!
Jedes Jahr, liebe Kolleginnen und Kollegen, immer
ngefähr zur Haushaltsdebattenzeit, unterhalten wir uns
ber die Programme zur Förderung von Demokratie und
oleranz, zur Bekämpfung von Rechtsextremismus oder
on Extremismus allgemein. Das geschieht jedes Jahr
ieder und alle vier Jahre ganz besonders, weil alle vier
ahre neue Förderrichtlinien auf den Markt geworfen
erden. Zur Überprüfung dieser Richtlinien und zur
berprüfung der Programme will ich im Moment noch
icht viel sagen. Aber das, was man bisher trotz aller Ge-
eimhaltung hört, vor allen Dingen die Rückmeldungen,
ie man von den Trägern der Programme bekommt, be-
agen, dass wir in den vergangenen Jahren in diesem Be-
eich gute Arbeit geleistet haben. Unseren Dank verdient
aben insbesondere die zivilgesellschaftlichen Organisa-
ionen, die sich hier trotz der Bürokratie, trotz der jedes
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Oktober 2010 6703
Sönke Rix
(A) )
)(B)
Jahr von neuem zu stellenden Anträge und trotz der alle
vier Jahre neuen Richtlinien engagiert haben.
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Ich gebe aber zu, dass es viel zu verbessern gibt.
Auch während der Zeit der Großen Koalition hat sich
nicht immer alles so entwickelt, wie sich die Sozialde-
mokraten das vorgestellt haben und wie sie es vielleicht
umgesetzt hätten, wenn sie allein regiert hätten.
Weniger Bürokratie brauchen wir unbedingt bei die-
sen Programmen. Wir brauchen auch so etwas wie einen
Feuerwehrtopf, eine Möglichkeit, um kurzfristig auch
kleinere Projekte zu unterstützen. Das ist bisher nicht
vorgesehen. Ich appelliere an die Bundesregierung, so
etwas auf den Weg zu bringen.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN)
Generell brauchen wir einfach weniger Projektitis im
Kampf gegen Rechtsextremismus bzw. – um es positiv
zu formulieren – im Kampf für Demokratie und Tole-
ranz. Wir brauchen das als eine stetige Aufgabe, sodass
wir uns nicht jedes Jahr darüber unterhalten müssen, ob
es genügend Mittel und vernünftige Strukturen gibt.
Als wir über Antisemitismus diskutiert haben, haben
wir fraktionsübergreifend beschlossen, dass wir den
Kampf gegen Antisemitismus und damit auch gegen
Rechtsextremismus verstetigen wollen. Leider hat die
Bundesregierung hierzu bis dato noch nichts vorgelegt.
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Am Montag hatte ich ein Treffen mit einigen Vertre-
tern der Vereine und Verbände, die diese Programme be-
treiben. Monika Lazar war auch dabei. Keiner von ihnen
wusste irgendetwas über die neuen Leitlinien.
(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Wir aber auch nicht!)
Wir als Parlamentarier haben sowieso vorher nichts er-
fahren. Damit kann man manchmal schon leben. Wenn
man aber der Auffassung ist, dass Demokratiestärkung
nur durch die Zivilgesellschaft selbst möglich ist, dann
sollte man aber auch die Zivilgesellschaft und die Orga-
nisationen bei der Erarbeitung der Richtlinien mit ein-
binden. Das ist leider nicht passiert, und das ist ganz
scharf zu kritisieren.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN)
Das spricht insgesamt dafür, dass eine Demokratieof-
fensive dieser Bundesregierung nicht stattfindet. Man
muss sich nur einmal die Website der Bundesfamilien-
ministerin anschauen. Die Bekämpfung von Rechts-
extremismus findet dort nur ganz am Rande statt. Die
Aufgabe muss aber offensiv angegangen werden, Pro-
jekte für Demokratie und für Toleranz auf den Weg zu
bringen. Das muss eine Aufgabe nicht nur der Familien-
ministerin, sondern der gesamten Bundesregierung sein.
I
g
d
H
e
n
K
g
c
Z
o
R
I
v
d
S
V
S
h
V
f
m
a
f
–
l
k
i
D
S
D
F
n
t
S
w
w
(C
(D
ch vermisse jedoch ein Gesamtkonzept der schwarz-
elben Koalition.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN)
Ich appelliere deshalb noch einmal an die Mehrheit in
iesem Hause, insbesondere vor dem Hintergrund der
aushaltsdebatte, dass sie den Kampf gegen Rechts-
xtremismus ernst nimmt und diesen vernünftig mit fi-
anziellen Mitteln ausstattet. Ich appelliere an Sie, ein
onzept vorzulegen, das aufzeigt, wie dieser Kampf ge-
en Rechtsextremismus verstetigt werden kann. Entwi-
keln Sie endlich ein Gesamtkonzept und binden Sie die
ivilgesellschaft dabei ein!
Abschließend zitiere ich aus einem Papier des „Welt-
ffenen Sachsen“: Gelebte Demokratie ist die beste
echtsextremismusbekämpfung. – Fangen wir damit an.
ch hoffe, Sie sind dabei.
Danke schön.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN)
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat jetzt der Kollege Florian Bernschneider
on der FDP-Fraktion.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Florian Bernschneider (FDP):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bun-
esrepublik Deutschland ist eine wehrhafte Demokratie.
ie ist eine wehrhafte Demokratie, weil die Mütter und
äter unseres Grundgesetzes richtige und wichtige
chlüsse aus der jüngsten deutschen Geschichte gezogen
aben, weil sie erkannt haben, dass es wichtig ist, gegen
erfassungsfeinde nicht erst vorzugehen, wenn sie straf-
ällig werden, sondern bereits vorher.
Deswegen ist es richtig, dass wir an dieser Stelle im-
er wieder über präventive Ansätze diskutieren. Es ist
ber falsch, diese präventiven Ansätze an Opferzahlen
estzumachen.
(Sönke Rix [SPD]: Wer hat das denn
gemacht?)
Der Antrag der Grünen führt sogar bereits in der Ein-
eitung die Opferzahlen auf.
Meine Damen und Herren, wenn es zu Opfern
ommt, dann ist es für präventive Ansätze zu spät. Dann
st das ein Fall für die Justizbehörden. Eine wehrhafte
emokratie reagiert früher. Sie reagiert, bevor es zu
traftaten kommt. Deswegen ist es für eine wehrhafte
emokratie auch nicht hinnehmbar, dass man sich bei
acebook mit Heinrich Himmler befreundet sein. Ge-
auso wenig ist es für eine wehrhafte Demokratie akzep-
abel, dass Rechtsradikale CDs mit Hassparolen auf
chulhöfen verteilen.
Meine Damen und Herren, bitte erklären Sie mir aber,
arum es für eine wehrhafte Demokratie in Ordnung ist,
enn die Antifa Flyer mit der Aufschrift „Frei sein, high
6704 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Oktober 2010
Florian Bernschneider
(A) )
)(B)
sein, Terror muss dabei sein“ vor Schulen verteilt. Bitte
erklären Sie mir doch einmal, warum eine wehrhafte De-
mokratie wegschauen sollte bei Überschriften wie „Hass-
prediger werben um Jugendliche“. Warum soll eine
wehrhafte Demokratie wegschauen, wenn Pierre Vogel
auf YouTube mit einem Berliner Rapper für seine radi-
kalen Glaubenssätze wirbt? Der Antrag der Linkspartei
gibt uns einmal mehr keine Antwort darauf.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Sie schaffen es einmal mehr, ganze vier Seiten zu fül-
len, ohne überhaupt einmal das Wort „Linksextremis-
mus“ zu benutzen.
(Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Das kennen wir
auch nicht!)
– Ja, genau. Ich wollte gerade fragen, ob Sie das Wort
„Linksextremismus“ nicht schreiben können. Zumin-
dest wollen Sie es nicht erwähnen.
(Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Erklären Sie mir
doch einmal, was Linksextremismus ist!)
– Ja, ich kann Ihnen sagen, warum Sie keine Lust haben,
sich damit auseinanderzusetzen.
(Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Nein, Sie sollen es
mir einmal erklären!)
Das würde ja bedeuten, auch einmal das Demokratiever-
ständnis der eigenen Mitglieder genauer unter die Lupe
zu nehmen.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU – Dr. Peter Tauber [CDU/
CSU]: Oder das eigene!)
Die Grünen sind Ihnen da, meine Damen und Herren
von der Linkspartei, jedenfalls einen Schritt voraus. Sie
erkennen in ihrem Antrag an, dass man „jeder Form von
Menschenfeindlichkeit und ideologisch motivierter Ge-
walt“ entgegentreten muss. Aber welche Schlüsse ziehen
Sie daraus? In der Begründung ihres Antrags heißt es:
Eine „Ausdehnung der Programmmittel auf den Kampf
gegen ‚Linksextremismus‘ und ‚Islamismus‘“ wäre „in-
haltlich falsch“ und würde die Gefahr befördern, „dass
mittelfristig die Mittel für den Kampf gegen“ Rechts-
extremismus „gekürzt werden“. Meine Damen und Her-
ren, was soll uns das sagen? Handelt es sich bei den Grü-
nen um Extremismusprävention nach Kassenlage?
Vor diesem Hintergrund möchte ich Sie beruhigen
– entsprechende Vorwürfe werden uns ja immer vorge-
halten –: Diese Bundesregierung hat nicht vor, die Mittel
im Bereich Extremismusprävention zu kürzen.
(Zuruf der Abg. Halina Wawzyniak [DIE
LINKE])
Wir erweitern den Blick auf extremistische Gefahren
– das stimmt –, aber wir erhöhen auch die Mittel, die wir
dafür brauchen.
(Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Sie schmeißen
Geld zum Fenster heraus!)
Deswegen wird der Titelansatz auch von 19 auf 29 Mil-
lionen Euro erhöht, um mehr als 50 Prozent. Man kann
u
K
v
n
w
w
m
d
u
r
d
g
e
f
D
a
s
r
m
e
B
n
P
U
P
b
g
g
–
m
j
s
u
e
u
B
t
L
e
w
(C
(D
ns also nicht vorwerfen, weder den Kolleginnen und
ollegen von der Unionsfraktion noch uns, dass wir die
on Rechtsextremismus ausgehende Gefahr nicht ernst
ehmen. Wir erweitern jedoch den Blickwinkel. Ich
ürde mir die gleiche Ernsthaftigkeit auch bei Ihnen
ünschen, wenn es um andere Gefahren als Rechtsextre-
ismus geht.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Die Grünen kritisieren dann in ihrem Antrag außer-
em unser Verständnis von Extremismusbekämpfung
nd überhaupt den Begriff des Extremismus. Das über-
ascht mich, weil es eine lange Rechtsprechungstradition
es Bundesverfassungsgerichts gibt, auf die wir zurück-
reifen können, um zu verdeutlichen, was unter Rechts-
xtremismus zu verstehen ist und was eine verfassungs-
eindliche Gruppe ist.
(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Ich habe das vor zwei Wochen in mei-
ner Rede erklärt! Das können Sie noch einmal
nachlesen!)
aran hat sich seit Rot-Grün nichts geändert. Es wurde
uch keine neue Definition von Extremismus aufgestellt,
eitdem die Regierung gewechselt hat.
Aber natürlich – darin sind wir uns ja einig und da-
über brauchen wir nicht zu streiten – kann man nicht
it den gleichen Mitteln Rechtsextremismus, Links-
xtremismus und Islamismus bekämpfen. Das hat diese
undesregierung aber auch gar nicht vor. Wir setzen
och wesentlich früher an. Wir wollen schon an dem
unkt ansetzen, wo sich Jugendliche noch gar nicht im
mfeld einer extremistischen Bewegung befinden. Bei
rävention geht es nicht nur darum, gegen etwas zu mo-
ilisieren, sondern vor allem darum, für etwas zu be-
eistern: für Demokratie, für Vielfalt, für Toleranz. Wir
lauben, wenn jemand dieses Rüstzeug mit sich trägt
Demokratie, Vielfalt und Toleranz –, dann ist er im-
un gegen jede Form von Extremismus und erkennt in
eder Form von Extremismus das Falsche. Deswegen
etzen wir mit unserem Programm auch genau hier an
nd erweitern den Blick. Das ist der richtige Weg.
Ich würde mich freuen, wenn Sie endlich aufhörten,
inen verengten Blick auf die Thematik zu richten, und
ns dabei unterstützten, etwas Vernünftiges in diesem
ereich zu erreichen.
Vielen Dank.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU –
Gabriele Fograscher [SPD]: Wenn Sie denn
endlich einmal etwas vorlegten!)
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat die Kollegin Ulla Jelpke von der Frak-
ion Die Linke.
Ulla Jelpke (DIE LINKE):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch die
inke meint, dass die Bundesprogramme gegen Rechts-
xtremismus und für Demokratie seit vielen Jahren eine
ichtige und unverzichtbare Arbeit in den Ländern und
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Oktober 2010 6705
Ulla Jelpke
(A) )
)(B)
Kommunen leisten. Die intensive Auseinandersetzung
mit Nazistrukturen hat Früchte getragen. Das muss man
ganz klar sagen. Wir messen das vor allem daran, dass es
gelungen ist, Neofaschismus, Rassismus und Antisemi-
tismus zu einem öffentlichen Thema zu machen, um
Aufmerksamkeit und Gegenwehr mobilisieren zu kön-
nen.
Doch die Träger dieser unbestreitbar sinnvollen Pro-
jekte müssen sich seit Jahr und Tag gegen Beschrän-
kungsversuche und Bevormundung wehren. Sie müssen
teilweise jedes Jahr aufs Neue, wie wir schon gehört ha-
ben, um ihre Existenz bangen. Deshalb hat die Linke ei-
nen eigenen Antrag vorgelegt. Wir wollen erreichen,
dass die Bundesprogramme langfristig abgesichert wer-
den und ihre Ausweitung auch nach Westdeutschland
möglich ist, ohne andere bestehende Programme finan-
ziell einzuschränken. Meine Damen und Herren, wir
meinen, der Kampf gegen Neofaschismus muss uns das
wert sein.
(Beifall bei der LINKEN)
Herr Pols, ein Problem, auf das Sie in diesem Zusam-
menhang aufmerksam gemacht haben, stellt sich auf
kommunaler Ebene häufig genau andersherum dar, als
Sie es hier dargestellt haben. Es ist der Versuch, die rea-
len Naziprobleme zu verschweigen oder zu verharm-
losen. Das gibt es immer wieder. Bloß nicht den Finger
in die Wunde legen, bloß nicht zugeben, dass es in un-
serer Gemeinde Nazis gibt, ist das Motto leider allzu vie-
ler Kommunen und Verwaltungen.
Die Programme haben hier den Druck wesentlich er-
höht. Mit dem Ignorieren oder stillschweigenden Tole-
rieren von Angriffen auf Migranten, Obdachlose oder
auf Antifaschisten muss endlich Schluss gemacht wer-
den. Sie haben für Aufmerksamkeit gesorgt, wenn es
rassistische Vorfälle gab, beispielsweise in Fußballsta-
dien, aber auch, wenn es um Nazischmierereien ging.
Umso unverständlicher ist es für uns, dass vor allem
in der Unionsfraktion ständig blockiert und gebremst
wird. Sie versuchen schon seit Jahren, die Programme an
die politische Kandare zu nehmen und sie wieder ver-
stärkt unter Verwaltungsbürokratie zu bringen. In diesem
Zusammenhang nenne ich in der Tat noch einmal Ihre
Versuche, die Projekte verfassungsschutzmäßig in die
Regelanfrage hineinzunehmen, oder dass, wie kürzlich
geschehen, die Ministerin eine Kampagne gegen a.i.d.a.
macht, gegen ein Zentrum in München, das Antifa-Do-
kumentationen archiviert. Jetzt hat das oberste Gericht
entschieden, dass es aus dem Verfassungsschutzbericht
herausgenommen werden muss. Ich halte es für einen
Skandal, Projekte immer wieder als linksextremistisch
zu verdächtigen.
(Beifall bei der LINKEN)
Ausschlaggebend dafür ist die Kalter-Krieg-Mentali-
tät, die in der Union immer noch Misstrauen gegen Anti-
faschismus hervorbringt. Da kann ich nur sagen: Für die
Fraktion Die Linke ist Antifaschismus kein Ausdruck ei-
ner besonderen linksradikalen Gesinnung, sondern
schlichtweg eine demokratische Selbstverständlichkeit.
D
l
g
g
d
w
K
m
d
g
g
D
r
S
d
u
l
–
B
n
j
n
v
G
g
s
I
g
k
b
g
D
R
a
d
s
d
B
s
u
A
d
(C
(D
(Beifall bei der LINKEN)
eswegen fordern wir auch: Die Bundesprogramme sol-
en nicht länger Modellprojekte sein, sondern dauerhaft
efördert werden. Dafür brauchen Sie mehr Geld. Das
ilt auch für die zahlreichen lokalen Aktionspläne. Es
arf nicht sein, dass sinnvolle Projekte dort, wo sie nötig
ären, aus Geldmangel ausfallen müssen oder nur auf
osten anderer Projekte stattfinden können. Zudem
üssen auch im Westen unbedingt Beratungsstellen für
ie Opfer rassistischer und rechtsextremistischer An-
riffe aufgebaut werden. Jeder Versuch, den Kampf ge-
en Neonazismus zu verwässern, ist verantwortungslos.
as sage ich vor allem auch mit Blick auf die Bundes-
egierung, die ohne jedes Konzept – Herr Bernschneider,
ie haben es eben angesprochen – eine Extremismus-
ebatte anzettelt. Sie ist noch nicht einmal in der Lage,
ns eine klare Auskunft darüber zu geben, was eigent-
ich das Problem des Linksextremismus ist.
(Zuruf von der FDP: Wir sind nicht auf einem
Auge blind! Das ist der Unterschied! Wir
kämpfen gegen jede Art von Extremismus!)
Schauen Sie sich die vielen Kleinen Anfragen an. Die
undesregierung ist nicht in der Lage, dies auch nur an-
ähernd zu beschreiben. Dennoch wirft sie für diese Pro-
ekte Millionen aus dem Fenster. Ich will nur daran erin-
ern, dass im letzten Haushaltsjahr 2 Millionen Euro
eranschlagt wurden und Sie nicht wussten, wo Sie das
eld unterbringen konnten. Setzen Sie es für den Kampf
egen Rechtsextremismus ein; da ist es auf jeden Fall
innvoller eingesetzt als bei dem, was Sie im Moment in
hrer Konzeption vorlegen.
Ich will noch einmal verdeutlichen, wie Ihre Debatte
egenwärtig geführt wird. Unserer Meinung nach gibt es
eine Rechtfertigung dafür, Krawalle am 1. Mai mit dem
einahe schon systematischen Terror der Neonazis
leichzusetzen. Das tun Sie hier ständig.
(Manfred Grund [CDU/CSU]: Es gibt also
gute Krawalle und schlechte! – Ingrid
Fischbach [CDU/CSU]: Krawall bleibt Kra-
wall!)
amit verharmlosen Sie im Grunde genommen den
echtsextremismus und ermutigen ihn meines Erachtens
uch. Ich möchte noch einmal ganz deutlich sagen, dass
ies auch eine Verhöhnung der 137 Menschen ist, die
eit 1990 durch Nazis ums Leben gekommen sind, wie
ie Zeit und der Tagesspiegel erneut recherchiert haben.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Frau Jelpke, kommen Sie bitte zum Schluss!
Ulla Jelpke (DIE LINKE):
Die Linke fordert seit vielen Jahren eine unabhängige
eobachtungsstelle. Sie ist hier auch schon einmal be-
chlossen worden. Unabhängiges Beobachten ist nötig,
m eine genaue Analyse über Rechtsextremismus und
ntisemitismus zu bekommen. Wir wünschen uns, dass
er Bundestag das endlich umsetzt.
6706 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Oktober 2010
Ulla Jelpke
(A) )
)(B)
(Beifall bei der LINKEN – Manfred Grund
[CDU/CSU]: Mit Schiffen Waffen gegen Is-
rael hinfahren! Das ist klasse!)
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Peter Tauber von
der CDU/CSU-Fraktion.
Dr. Peter Tauber (CDU/CSU):
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, es
darf kein Zweifel daran bestehen, dass im Kampf gegen
den Rechtsextremismus alle demokratischen Fraktionen
dieses Hauses Seite an Seite stehen sollten. Es darf auch
keinen Zweifel daran geben, dass Bildung und Aufklä-
rung die effektiven Instrumente gegen braune Rattenfän-
ger sein müssen und sein können.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Deswegen haben wir trotz unseres Sparhaushaltes die
Mittel für den Kampf gegen den Rechtsextremismus
nicht gekürzt.
(Florian Bernschneider [FDP]: Genau!)
Das muss man an dieser Stelle sagen.
Wir erwarten von denjenigen, die sich in diesem Feld
engagieren, natürlich auch, dass sie ein ganz klares Be-
kenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung
und zum Grundgesetz abgeben. Wer das nicht kann, ist
ungeeignet, junge Menschen über die Gefahren des
Rechtsextremismus oder des Extremismus im Allgemei-
nen aufzuklären. Auch daran darf es aus meiner Sicht
keinen Zweifel geben.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Es geht noch um ein anderes Prinzip; denn es geht
nicht allein um die Aufklärung über die Gefahren einer
dumpfen Ideologie. Es geht auch darum, deutlich zu ma-
chen, dass wir nicht bereit sind, zu tolerieren, dass in
diesem Land extremistische Gruppen ihre Partikularinte-
ressen mit Gewalt gegen Sachen und Personen auf der
Straße und an anderen Orten durchsetzen. Auch das
muss man klar sagen. Den Opfern ist es vollkommen
egal, ob sie von einem politischen Radikalinski, von ei-
nem Islamisten, von einem militanten Tierschützer oder
von einem gewaltbereiten Fußballfan geschlagen, getre-
ten und verletzt werden. Wir müssen daher das Thema
Extremismus in seiner Gesamtheit betrachten. Eine Ver-
engung auf den Rechtsextremismus ist falsch und führt
in die Irre.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Die klare Aussage, dass jede Form von Extremismus
Mist ist, muss aus meiner Sicht jeder Abgeordnete des
Deutschen Bundestages unterschreiben können. In Ih-
rem Antrag gibt es sehr viele Sätze, die ich sofort unter-
schreiben würde. Aber wenn Sie darin mit Blick auf den
Antisemitismus Ihre Perspektive – das ist das Bedauerli-
che – eindimensional verengen,
(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Das stimmt doch gar nicht!)
d
s
D
c
L
n
d
s
D
w
L
–
d
g
D
e
e
t
s
E
l
F
n
P
T
m
m
n
d
P
l
a
w
(C
(D
ann ist das leider der falsche Weg.
Ich möchte gerne Charlotte Knobloch zitieren, die ge-
agt hat:
Diese Bundesrepublik ist für uns Juden wieder eine
Heimat geworden, wir sind fester Bestandteil der
deutschen Gesellschaft.
ieser Satz muss uns alle stolz machen.
(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
Da sind wir uns doch alle einig!)
Nachdenklich müssen wir aber angesichts der Tatsa-
he werden, dass 5,4 Prozent der Jugendlichen in diesem
and latent antisemitisches Gedankengut pflegen. Noch
achdenklicher müssen wir angesichts der Tatsache wer-
en, dass dieser Anteil bei Jugendlichen mit muslimi-
chem Hintergrund bei über 15 Prozent liegt.
(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: In dieser Einschätzung sind wir uns
doch einig!)
er Generalsekretär des Zentralrats der Juden hat des-
egen gesagt: Die Gewaltbereitschaft im muslimischen
ager ist vergleichbar mit der im rechtsextremen Lager.
Das wird auch der Verfassungsschutz bestätigen. Aber
iese Tatsache negieren Sie in Ihren Diskussionsbeiträ-
en permanent.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
Sönke Rix [SPD]: Das stimmt überhaupt
nicht! Antisemitismus ist Antisemitismus!)
as ist sehr bedauerlich.
Es muss uns alle sehr nachdenklich stimmen, dass wir
s bisher nicht geschafft haben, diesen jungen Leuten zu
rklären, dass jeder Deutsche eine besondere Verantwor-
ung gegenüber Israel und gegenüber Menschen jüdi-
chen Glaubens hat.
(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Den Kampf gegen den Antisemitismus
haben wir mit dem gesamten Haus beschlos-
sen!)
s gehört zur Staatsräson der Bundesrepublik Deutsch-
and, für das Existenzrecht Israels einzutreten und die
reundschaft zum jüdischen Volk immer wieder zu beto-
en. Cem Özdemir hat es übrigens selbst gesagt. Diese
osition fehlt leider in dieser Klarheit in Ihrem Antrag.
(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es
ist echt peinlich, was Sie sagen!)
Ich komme zum nächsten Punkt. Wir dürfen beim
hema Antisemitismus nicht nur auf den Rechtsextre-
ismus und den Islamismus schauen. Der Bundestag hat
it großer Mehrheit beschlossen: Wer an Demonstratio-
en teilnimmt, auf denen Israel-Fahnen verbrannt wer-
en und antisemitische Parolen gerufen werden, ist kein
artner im Kampf gegen den Antisemitismus.
Mitglieder Ihrer Fraktion, meine Kollegen von der
inken Seite, haben in der Vergangenheit immer wieder
n Demonstrationen teilgenommen, bei denen Parolen
ie „Tod Israel“ gerufen wurden und bei denen Israel-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Oktober 2010 6707
Dr. Peter Tauber
(A) )
)(B)
fahnen verbrannt wurden. Deswegen sind Sie für mich
kein Partner im Kampf gegen den Antisemitismus. Das
sage ich an dieser Stelle ganz deutlich.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Ulla
Jelpke [DIE LINKE]: Lüge nennt sich das!)
– Das ist keine Lüge. Sie können es an verschiedenen
Stellen nachlesen: Neun Abgeordnete Ihrer Fraktion hat-
ten gar kein Problem, an solchen Demonstrationen teil-
zunehmen.
Ich bin sehr froh, dass die Bundesregierung einen
positiven Ansatz wählt, um junge Menschen für Demo-
kratie zu begeistern, um sie zu überzeugen, dass die Art,
wie wir unser Gemeinwesen organisieren, die beste ist.
Alle, die daran mitwirken wollen, sind herzlich eingela-
den.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat jetzt die Kollegin Gabriele Fograscher
von der SPD-Fraktion.
(Beifall bei der SPD)
Gabriele Fograscher (SPD):
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Demokratiestärkung, die Auseinandersetzung mit rassis-
tischen, antisemitischen und menschenfeindlichen Ein-
stellungen, war und bleibt eine Daueraufgabe jeder Bun-
desregierung und auch des Bundestages. Hier vermissen
wir Impulse und Engagement dieser Bundesregierung.
Stichwort Antisemitismus. Im Vorfeld des 9. Novem-
ber will ich daran erinnern, dass vor zwei Jahren alle
Fraktionen gemeinsam hier im Bundestag einen Antrag
zur Bekämpfung des Antisemitismus und zur Stärkung
jüdischen Lebens in Deutschland verabschiedet haben.
Aber wie sieht es mit der Umsetzung aus? Was ist aus
dem Expertengremium geworden? Wie ist es besetzt?
Welche Themen und Aufgaben bearbeitet es? Wann er-
hält der Bundestag einen Bericht darüber?
(Beifall bei der SPD)
Ich will auf die Bundesprogramme eingehen. Seit
dem Jahr 2000 finanziert der Bund Programme zur Stär-
kung der Zivilgesellschaft, zunächst Entimon und Civitas,
jetzt „Vielfalt tut gut“. Aus diesen Programmen haben
sich viele wirksame Projekte und Ansätze entwickelt. Es
sind Strukturen entstanden, die es nachhaltig zu sichern
gilt, so die Beratungsstellen für Opfer politisch motivier-
ter Gewalt oder die Landeskoordinierungsstellen und die
lokalen Aktionspläne als Anlaufstelle für Initiativen und
Kommunen sowie als Netzwerk zum Austausch von
Ideen und nachahmungswerten Aktivitäten. Allerdings
begleitet uns hier seit zehn Jahren das Problem, eine
nachhaltige Finanzierung zu gewährleisten.
(Iris Gleicke [SPD]: Das ist leider wahr!)
Deshalb müssen wir uns in den Beratungen ernsthaft um
Lösungen bemühen.
w
s
m
G
P
m
z
u
v
r
m
k
e
r
I
n
g
d
m
n
e
s
e
t
p
m
s
w
L
E
D
v
t
V
d
s
z
s
z
k
d
t
g
w
B
t
(C
(D
(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Ulla
Jelpke [DIE LINKE])
Schwerpunkt der Programme des Familienministeriums
ar immer die Förderung von Demokratie und Toleranz
owie die Information und Aufklärung über Rechtsextre-
ismus, über die Ideologie, Erscheinungsformen und
egenstrategien. Sie wünschen eine Ausdehnung der
rogramme auf andere Erscheinungsformen des Extre-
ismus; aber Sie sind uns bis heute Strategien und Kon-
epte für die Auseinandersetzung mit Linksextremismus
nd islamistischem Extremismus schuldig geblieben.
(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Ulla
Jelpke [DIE LINKE])
Das Bündnis für Demokratie und Toleranz, initiiert
on Bundesinnenministerium und Bundesjustizministe-
ium, zeichnet jedes Jahr im Wettbewerb „Aktiv für De-
okratie und Toleranz“ Projekte aus, die sich für Demo-
ratie und Toleranz, gegen Extremismus und Gewalt
ngagieren. Viele Menschen in unserem Land engagie-
en sich hier, freiwillig, ehrenamtlich, mit Fantasie und
deenreichtum. Dafür sind wir dankbar. Die Anerken-
ung in Form des Preises und der öffentlichen Würdi-
ung ist für viele ein Ansporn.
Sie versuchen nun jedoch seit Monaten, dem Bündnis
ie Aufgabe zuzuschieben, sich auch mit Linksextremis-
us zu befassen. Mit den Instrumenten, die dem Bünd-
is zur Verfügung stehen, geht das aber nicht. Es gibt
ben keine zivilgesellschaftlichen Projekte, die sich die-
er Aufgabe stellen können und wollen. Wir werden
rnsthaft über die politischen Vorgaben und die Ausrich-
ung des Bündnisses reden müssen. Auch die Personal-
olitik in der Geschäftsstelle muss ein Thema sein.
(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Ulla
Jelpke [DIE LINKE])
Die Gleichsetzung von Links- und Rechtsextremis-
us verstellt die Sicht darauf, dass es für die unter-
chiedlichen Phänomene unterschiedliche Herangehens-
eisen und Konzepte zur Lösung geben muss. Das starre
inks-Rechts-Denken führt zu falschen Entscheidungen.
in Beispiel dafür: Die Antifaschistische Informations-,
okumentations- und Archivstelle e. V., a.i.d.a., wurde
om bayerischen Verfassungsschutz als linksextremis-
isch eingestuft.
Am Donnerstag letzter Woche hat der Bayerische
erwaltungsgerichtshof in zweiter Instanz entschieden,
ass der Verfassungsschutzbericht „ein auch nicht an-
atzweise durch tatsächliche Anhaltspunkte nachvoll-
iehbar belegtes Negativurteil“ über a.i.d.a. enthält; ent-
prechende Stellen im Bericht seien zu schwärzen oder
u streichen.
Extremismus, insbesondere Rechtsextremismus, ist
ein Phänomen an den Rändern der Gesellschaft. Stu-
ien belegen, dass es in der Mitte der Gesellschaft rassis-
ische, antisemitische und fremdenfeindliche Einstellun-
en gibt. Es ist kein Jugendproblem. Deshalb müssen
ir über die Ausrichtung von Folgeprogrammen im
undesfamilienministerium und im Bundesinnenminis-
erium diskutieren.
6708 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Oktober 2010
Gabriele Fograscher
(A) )
)(B)
Es ist kein ostdeutsches Problem. Ich begrüße, dass
der Bundesinnenminister das Bundesprogramm „Zusam-
menhalt durch Teilhabe“ initiiert hat. Dafür sind
18 Millionen Euro für drei Jahre vorgesehen. Dieses
Programm soll Projekte für demokratische Teilhabe und
gegen Extremismus in Ostdeutschland fördern. Extre-
mistische Bestrebungen sind kein Problem allein der
neuen Bundesländer; sie sind ein gesamtdeutsches Pro-
blem. Im ersten Halbjahr 2010 gab es, so die Auskunft
der Bundesregierung, insgesamt 36 überregionale Veran-
staltungen und Aufmärsche von Rechtsextremisten. Da-
von fanden 19 in den sogenannten alten Bundesländern
statt.
Wer Demokratieförderung ernst nimmt, darf die Mit-
tel für die Bundeszentrale für politische Bildung nicht
kürzen. Er muss plebiszitäre Elemente auch auf Bundes-
ebene einführen. Er darf Kommunen und Bundesländer
nicht finanziell ausbluten lassen, sodass sie ihre Aufga-
ben nicht mehr wahrnehmen können. Er muss Projekte,
Initiativen und Strukturen nachhaltig finanzieren. Er
muss Menschen, die sich engagieren, unterstützen und
ermuntern, statt sie vom Verfassungsschutz überprüfen
zu lassen.
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Kommen Sie bitte zum Schluss, Frau Fograscher.
Gabriele Fograscher (SPD):
In diesem Sinne wünsche ich uns ernsthafte und ziel-
führende Beratungen in den Ausschüssen.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN)
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Jetzt hat die Kollegin Ewa Klamt von der CDU/CSU-
Fraktion das Wort.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Ewa Klamt (CDU/CSU):
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Ich bin fest davon überzeugt, dass es in diesem Haus den
parteiübergreifenden Konsens gab und gibt, gegen jede
Form von Rechtsextremismus vorzugehen. Ebenso bin
ich jedoch der Überzeugung, dass das nicht dazu führen
darf – diesen Satz richte ich besonders an die Kollegin-
nen und Kollegen der Linken –, dass andere Formen von
Extremismus in unserem Land völlig ausgeblendet wer-
den.
Richtigerweise verweisen die Grünen in ihrem Antrag
auf den Bericht des UN-Sonderberichterstatters von die-
sem Jahr, in dem dieser feststellt, dass das Rassismus-
verständnis in Deutschland zu eng auf rechtsextremisti-
sche Handlungen beschränkt ist. So richtig es ist, dass
wir gegen Rassismus, Antisemitismus, menschenfeindli-
che Haltungen und Rechtsextremismus vorgehen, so
w
s
A
j
i
ß
k
i
m
A
g
w
u
s
E
D
n
t
p
d
K
g
e
f
d
B
d
I
s
a
G
g
P
O
–
I
d
k
P
d
m
(C
(D
ichtig ist es, Islamismus und Linksextremismus in un-
erem Land Einhalt zu gebieten.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
us meiner Sicht ist das eine Selbstverständlichkeit für
eden, der sich dem Grundgesetz verpflichtet fühlt und
m Deutschen Bundestag unser Volk vertritt.
Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, ignorieren au-
erdem mit etlichen Ihrer Forderungen die Zuständig-
eitsverteilung gemäß Grundgesetz. So kann der Bund
n den Themenfeldern Rechtsextremismus, Antisemitis-
us und Fremdenfeindlichkeit nur im Rahmen seiner
nregungsfunktion tätig werden. Das haben wir bisher
etan. Wir haben viel Anerkennung dafür erfahren, und
ir werden es auch weiterhin tun.
Demokratiestärkung als Daueraufgabe des Bundes
nd eine entsprechende Dauerförderung sind nicht zuläs-
ig.
(Sönke Rix [SPD]: Das stimmt gar nicht!)
ntsprechend müsste Ihnen bekannt sein, dass eine auf
auer angelegte Förderung von Kleinstprojekten vor Ort
icht möglich ist; denn hierfür sind gemäß der Kompe-
enzverteilung die Kommunen und Länder zuständig.
(Sönke Rix [SPD]: Wer ist denn Gesetzgeber?)
Sie blenden außerdem bereits bestehende präventiv-
ädagogische Programme des Bundes aus, zum Beispiel
ie Förderung der politischen Bildung im Rahmen des
inder- und Jugendplans. Gerade bei jungen Menschen
ilt es anzusetzen. Ihr demokratisches Bewusstsein gilt
s zu stärken, und ihre politische Partizipation gilt es zu
ördern.
Ich halte darum die Annahme für zu kurz gegriffen,
ass unsere Verantwortung sich ausschließlich auf die
ekämpfung des Rechtsextremismus beziehen soll, wie
ies die Linke in ihrem Antrag fordert.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
ch erinnere Sie deshalb an die unter anderem vom Deut-
chen Gewerkschaftsbund veranstaltete Demonstration
m 12. Juni dieses Jahres in Berlin, in der Ihre Kollegin
esine Lötzsch zum Kampf für ein gerechtes Land auf-
erufen hatte. Dieser „Kampf“ endete mit 14 verletzten
olizisten – zwei davon wurden schwer verletzt –, die
pfer einer Splitterbombe wurden.
(Sönke Rix [SPD]: Ist jetzt auch der DGB
linksradikal?)
Er hat zu der Demonstration aufgerufen.
(Lachen bei der SPD)
ch erinnere nur an das, was wir hier besprechen. Dass
ieser Anschlag aus dem linksextremistischen Lager
am, steht außer Frage.
Sosehr ich befürworte, dass die bisher erfolgreichen
rogramme gegen Rechtsextremismus fortgeführt wer-
en, so klar plädiere ich dafür, dass wir gegen alle For-
en von Extremismus vorgehen; denn alle Extremisten
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Oktober 2010 6709
Ewa Klamt
(A) (C)
(D)(B)
haben eines gemeinsam: Sie lehnen unsere freiheitliche
Grundordnung ab.
Zur Erfüllung unserer Aufgabe, zur Stärkung der De-
mokratie, stehen insgesamt 29 Millionen Euro pro Jahr
für die Programme zur Verfügung. Das sind 5 Millio-
nen Euro mehr als im letzten Haushaltsjahr.
Der Handlungsbedarf gegen Rechtsextremismus ist
nach wie vor groß. Das belegen die aktuellen Zahlen des
Verfassungsschutzes. In dieser Woche wurde aber auch
bekannt gegeben, dass Deutschland weiterhin im Fokus
islamistischer Gruppierungen liegt. Das islamistische
Potenzial ist im vergangenen Jahr erneut angestiegen:
Inzwischen gibt es 36 270 Mitglieder.
Genauso besorgniserregend ist die Zunahme der Ge-
walt in der linksextremistischen Szene um 59 Prozent.
Ich erinnere daran, dass der Präsident des Bundesamtes
für Verfassungsschutz nach dem Bombenanschlag auf
Polizisten in Berlin einen signifikanten Anstieg militan-
ter linksextremer Gewalt konstatierte. Ebenso zeigte sich
der stellvertretende Bundesvorsitzende der Gewerk-
schaft der Polizei sehr besorg
tiere – „bis in linksliberale bü
Tendenz“ gebe, „linke Gewalt
Lassen Sie uns deshalb mit
dieser Bundesregierung ange
sam für unsere freiheitliche D
(Ingrid Fischbach [CD
für eine Demokratie, die sich gegen jede Form von Ge-
walt wendet, die keine Form von Gewalt verharmlost
und weder auf dem linken noch auf dem rechten Auge
blind ist.
Ich danke Ihnen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Die letzte Rede des heutigen Tages war gleichzeitig
die erste Rede der Kollegin Klamt in diesem Hause. Ich
gratuliere Ihnen dazu im Namen des ganzen Hauses.
(Beifall)
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 17/2482 und 17/3045 an die in der Ta-
gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann
sind die Überweisungen so beschlossen.
unserer heutigen Tages-
ng des Deutschen Bun-
. Oktober 2010, 13 Uhr,
8 Uhr)
Berichtig
62. Sitzung, Seite 6519 (
zweite Satz ist wie folgt zu lese
§ 53 b der StPO einschlägig, de
antrag in den § 160 a übergegan
ung
A), zweiter Absatz, der
n: „Ursprünglich war der
r durch einen Änderungs-
gen ist.“
t darüber, dass es – ich zi-
rgerliche Kreise hinein die
zu verharmlosen“.
den Programmen, die von
schoben werden, gemein-
emokratie eintreten,
U/CSU]: Sehr gut!)
Wir sind damit am Schluss
ordnung.
Ich berufe die nächste Sitzu
destages auf Mittwoch, den 6
ein.
Die Sitzung ist geschlossen.
(Schluss: 16.2
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Oktober 2010 6711
(A) )
)(B)
für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver-
sammlung des EuroparatesLutze, Thomas DIE LINKE 01.10.2010
*
Lindner, Christian FDP 01.10.2010
Lips, Patricia CDU/CSU 01.10.2010
Wöhrl, Dagmar CDU/CSU 01.10.2010
Zimmermann, Sabine DIE LINKE 01.10.2010
Anlage 1
Liste der entschuldigt
Abgeordnete(r)
entschuldigt bis
einschließlich
Beckmeyer, Uwe SPD 01.10.2010
Binder, Karin DIE LINKE 01.10.2010
Binding (Heidelberg),
Lothar
SPD 01.10.2010
Brähmig, Klaus CDU/CSU 01.10.2010
Burchardt, Ulla SPD 01.10.2010
Daub, Helga FDP 01.10.2010
Frankenhauser, Herbert CDU/CSU 01.10.2010
Dr. Gerhardt, Wolfgang FDP 01.10.2010
Glos, Michael CDU/CSU 01.10.2010
Dr. Götzer, Wolfgang CDU/CSU 01.10.2010
Graf (Rosenheim),
Angelika
SPD 01.10.2010*
Dr. Freiherr zu
Guttenberg, Karl-
Theodor
CDU/CSU 01.10.2010
Hartmann
(Wackernheim),
Michael
SPD 01.10.2010
Hermann, Winfried BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
01.10.2010
Dr. Högl, Eva SPD 01.10.2010
Humme, Christel SPD 01.10.2010
Dr. Jung, Franz Josef CDU/CSU 01.10.2010
Klöckner, Julia CDU/CSU 01.10.2010
Kopp, Gudrun FDP 01.10.2010
Kunert, Katrin DIE LINKE 01.10.2010
Leidig, Sabine DIE LINKE 01.10.2010
M
M
M
D
M
D
O
D
R
R
S
D
S
D
S
S
S
D
S
W
W
A
(C
(D
Anlagen zum Stenografischen Bericht
en Abgeordneten
arks, Caren SPD 01.10.2010
eierhofer, Horst FDP 01.10.2010
einhardt, Patrick FDP 01.10.2010
r. Middelberg, Mathias CDU/CSU 01.10.2010
üller (Köln), Kerstin BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
01.10.2010
r. Murmann, Philipp CDU/CSU 01.10.2010
swald, Eduard CDU/CSU 01.10.2010
r. Paul, Michael CDU/CSU 01.10.2010
oth (Heringen),
Michael
SPD 01.10.2010
upprecht
(Tuchenbach),
Marlene
SPD 01.10.2010
chäffler, Frank FDP 01.10.2010
r. Schäuble, Wolfgang CDU/CSU 01.10.2010
cheel, Christine BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
01.10.2010
r. Schmidt , Frithjof BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
01.10.2010
chmidt (Aachen), Ulla SPD 01.10.2010
chreiner, Ottmar SPD 01.10.2010
chuster, Marina FDP 01.10.2010
r. Steinmeier, Frank-
Walter
SPD 01.10.2010
üßmair, Alexander DIE LINKE 01.10.2010
einberg, Harald DIE LINKE 01.10.2010
erner, Katrin DIE LINKE 01.10.2010
bgeordnete(r)
entschuldigt bis
einschließlich
(A) (C)
)(B)
Anlage 2
Amtliche Mitteilungen
Um das baldige Inkrafttreten der im Beschäftigungschan-
cengesetz getroffenen Regelungen nicht zu verhindern,
verzichtet der Bundesrat auf eine Anrufung des Vermitt-
V
Der Bundesrat hat in seiner 874. Sitzung am 24. Sep-
tember 2010 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen
zuzustimmen bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Ab-
satz 2 des Grundgesetzes nicht zu stellen:
– Gesetz für bessere Beschäftigungschancen am Ar-
beitsmarkt
(Beschäftigungschancengesetz)
Der Bundesrat hat ferner die nachstehende Entschlie-
ßung gefasst:
Der Bundesrat bedauert, dass sein Beschluss vom
4. Juni 2010, berufliche Weiterbildungsmaßnahmen nach
dem SGB III im Bereich der Altenpflege zu entfristen und
als Rechtsanspruch zu gewähren – Bundesratsdrucksache
225/10 (Beschluss) –, im weiteren Gesetzgebungsverfah-
ren keine Berücksichtigung gefunden hat.
Die Altenpflege bietet im Hinblick auf eine Verbesse-
rung der Beschäftigungschancen am Arbeitsmarkt beson-
ders gute Chancen. Denn anders als im Wirtschaftsbereich,
in dem mit einem rasanten Anstieg des Fachkräftebedarfs
erst in den kommenden Jahren gerechnet werden muss,
herrscht in der Altenpflege bereits eine massive Nach-
frage nach qualifizierten Mitarbeiterinnen und Mitarbei-
tern. Gemeldet wird derzeit bundesweit ein Bedarf an
rund 30 000 Pflegefachkräften – mit zu erwartender deut-
lich steigender Tendenz. Die Pflegebranche gilt damit zu
Recht als einer der größten Jobmotoren überhaupt. Dies
umso mehr, als die Fachkraftausbildung in der Alten-
pflege ein zukunftsträchtiges, sinnvolles und krisensiche-
res Berufsfeld eröffnet. Deshalb gilt es, über verstärkte
Anstrengungen in der Berufsausbildung hinaus auch alle
anderen Möglichkeiten zur Gewinnung von Fachpersonal
möglichst umfassend zu nutzen. Dies gilt gerade auch für
Maßnahmen der beruflichen Weiterbildung im Bereich
der Altenpflege, zumal im Hinblick auf die demografi-
sche Entwicklung ohnehin mit einem Rückgang an ju-
gendlichen Bewerberinnen und Bewerbern zu rechnen
ist. Experten, wie z. B. das Deutsche Institut für ange-
wandte Pflegeforschung in Köln (dip), raten deshalb
ebenfalls, den Bereich der beruflichen Weiterbildung
nach dem SGB III im Bereich der Alten- und Kranken-
pflege stärker in den Blick zu nehmen. Lebenserfahrene
Personen, die z. B. durch Kindererziehung oder eine fa-
miliäre Pflegezeit den Anschluss in ihrem alten Beruf
verloren haben, können in diesem Berufsfeld neue Erfül-
lung finden.
Angesichts der erklärten Absicht der Bundesregie-
rung, im Jahr 2011 eine umfassende Prüfung der arbeits-
marktpolitischen Instrumente vornehmen zu wollen, er-
scheint es vor dem Hintergrund des Fachkräftebedarfes in
der Altenpflege inkonsequent, gerade die für die Alten-
pflege bedeutsamen Fördermöglichkeiten auslaufen zu
lassen, während andere Instrumente verlängert werden.
l
g
d
t
ü
–
–
–
–
–
–
g
k
t
Offsetdrucke
ertrieb: Bundesanzeiger Verlagsgesellschaft mbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln
(D
ungsausschusses. Der Bundesrat fordert die Bundesre-
ierung jedoch auf, zeitnah eine Regelung zu schaffen,
ie einen Anspruch auf Förderung der beruflichen Wei-
erbildung nach dem SGB III im Bereich der Altenpflege
ber den gesamten Ausbildungszeitraum vorsieht.
Gesetz zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses
2005/214/JI des Rates vom 24. Februar 2005 über
die Anwendung des Grundsatzes der gegenseiti-
gen Anerkennung von Geldstrafen und Geldbu-
ßen
Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie des Europäi-
schen Parlaments und des Rates über Endener-
gieeffizienz und Energiedienstleistungen
Gesetz über die Verwendung von Verwaltungsda-
ten für Wirtschaftsstatistiken, zur Änderung von
Statistikgesetzen und zur Anpassung einzelner
Vorschriften an den Vertrag von Lissabon
Gesetz zu dem Änderungsprotokoll vom 11. De-
zember 2009 zum Abkommen vom 23. August
1958 zwischen der Bundesrepublik Deutschland
und dem Großherzogtum Luxemburg zur Ver-
meidung der Doppelbesteuerungen und über ge-
genseitige Amts- und Rechtshilfe auf dem Gebiete
der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen
sowie der Gewerbesteuern und der Grundsteuern
Gesetz zu dem Abkommen vom 13. Juli 2006 zwi-
schen der Regierung der Bundesrepublik Deutsch-
land und der mazedonischen Regierung zur Ver-
meidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet
der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen
Gesetz zu dem Protokoll vom 15. Mai 2003 zur Än-
derung des Europäischen Übereinkommens vom
27. Januar 1977 zur Bekämpfung des Terrorismus
Die Vorsitzende des folgenden Ausschusses hat mit-
eteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden Unionsdo-
umente zur Kenntnis genommen oder von einer Bera-
ung abgesehen hat.
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit
Drucksache 17/136 Nr. A.93
Ratsdokument 10429/09
Drucksache 17/136 Nr. A.94
Ratsdokument 11063/09
Drucksache 17/136 Nr. A.95
Ratsdokument 11598/09
Drucksache 17/136 Nr. A.98
Ratsdokument 13183/09
Drucksache 17/504 Nr. A.21
Ratsdokument 17199/09
Drucksache 17/592 Nr. A.6
EuB-EP 1989; P7_TA-PROV(2009)0089
Drucksache 17/790 Nr. 1.39
Ratsdokument 17473/08
6712 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Oktober 2010
rei, Bessemerstraße 83–91, 1
, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de
63. Sitzung
Berlin, Freitag, den 1. Oktober 2010
Inhalt:
Redetext
Anlagen zum Stenografischen Bericht
Anlage 1
Anlage 2