Protokoll:
16086

insert_drive_file

Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 16

  • date_rangeSitzungsnummer: 86

  • date_rangeDatum: 9. März 2007

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: None Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 20:33 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 16/86 – zu dem Antrag der Abgeordneten Dirk Niebel, Dr. Heinrich L. Kolb, Detlef Parr, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Weichenstellung für eine Verbesserung der Beschäfti- gungschancen Älterer – zu dem Antrag der Abgeordneten Kornelia Möller, Dr. Barbara Höll, Werner Dreibus, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion der LINKEN: Beschäftigungspolitik für Ältere – für ein wirtschafts- und arbeits- marktpolitisches Gesamtkonzept – zu dem Antrag der Abgeordneten Katrin Göring-Eckardt, Brigitte Pothmer, Kerstin Andreae, weiterer SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung der Regel- altersgrenze an die demografische Entwicklung und zur Stärkung der Finanzierungsgrundlagen der ge- setzlichen Rentenversicherung (RV- Altersgrenzenanpassungsgesetz) (Drucksachen 16/3794, 16/4583) . . . . d) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales – zu dem Antrag der Abgeordneten Klaus Ernst, Katja Kipping, Karin Binder, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN: Nein zur Rente ab 67 – zu dem Antrag der Abgeordneten Irmingard Schewe-Gerigk, Brigitte 8661 D Deutscher B Stenografisc 86. Sit Berlin, Freitag, d I n h a Tagesordnungspunkt 20: a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Verbesse- rung der Beschäftigungschancen äl- terer Menschen (Drucksachen 16/4371, 16/4421, 16/4578, 16/4581) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Beschäfti- gungschancen älterer Menschen (Drucksachen 16/3793, 16/4578, 16/4581) b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales 8661 A 8661 A Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Vermittlung in Selbstständigkeit undestag her Bericht zung en 9. März 2007 l t : durch Bundesagentur für Arbeit er- möglichen – Künstlerdienste sichern (Drucksachen 16/241, 16/3027, 16/3779, 16/4578) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Anpassung der Regelaltersgrenze an die demo- grafische Entwicklung und zur Stär- kung der Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversiche- rung (RV-Altersgrenzenanpassungs- gesetz) (Drucksachen 16/4372, 16/4420, 16/4583) – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der 8661 B 8661 D Pothmer, Markus Kurth, weiterer A geordneter und der Fraktion d BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN b- es : II Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. März 2007 Neue Kultur der Altersarbeit – An- passung der gesetzlichen Renten- versicherung an längere Rentenlauf- zeiten – zu dem Antrag der Abgeordneten Volker Schneider (Saarbrücken), Klaus Ernst, Karin Binder, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion der LINKEN: Stichtagsregelung für die Altersteil- zeit im RV-Altersgrenzenanpas- sungsgesetz (Rente mit 67) verlän- gern (Drucksachen 16/2747, 16/3812, 16/3815, 16/4583) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Antrag der Abgeordneten Volker Schneider (Saarbrücken), Klaus Ernst, Hüseyin- Kenan Aydin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN: Altersteilzeit fortentwickeln (Drucksache 16/4552) . . . . . . . . . . . . . . . . f) Antrag der Abgeordneten Volker Schneider (Saarbrücken), Klaus Ernst, Hüseyin-Kenan Aydin, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion der LINKEN: Rente mit 67 – Berichtspflicht zum Arbeitsmarkt nicht verwässern – Be- standsprüfungsklausel konkretisieren (Drucksache 16/4553) . . . . . . . . . . . . . . . . Franz Müntefering, Bundesminister BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Heinrich L. Kolb (FDP) . . . . . . . . . . . . . . Ilse Falk (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klaus Ernst (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Heinrich L. Kolb (FDP) . . . . . . . . . . . . Klaus Ernst (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Dr. Heinrich L. Kolb (FDP) . . . . . . . . . . . . . . Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klaus Brandner (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jörg Rohde (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Ralf Brauksiepe (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Otto Fricke (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klaus Ernst (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8662 A 8662 B 8662 B 8662 C 8664 C 8666 C 8668 C 8669 D 8670 C 8671 B 8672 C 8673 A 8673 C 8675 B 8676 B 8676 D 8677 D 8678 D 8680 A Anton Schaaf (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Max Straubinger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Dr. Herbert Schui (DIE LINKE) . . . . . . . . Wolfgang Meckelburg (CDU/CSU) . . . . . . . . Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 21: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung: Beteiligung be- waffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz einer Internationalen Sicher- heitsunterstützungstruppe in Afghanis- tan unter Führung der NATO auf Grundlage der Resolutionen 1386 (2001), 1413 (2002), 1444 (2002), 1510 (2003), 1563 (2004), 1623 (2005) und 1707 (2006) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen (Drucksachen 16/4298, 16/4571, 16/4580) b) Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Monika Knoche, Dr. Norman Paech, Wolfgang Gehrcke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN: Keine Tornado-Aufklä- rungsflugzeuge in Afghanistan einset- zen (Drucksachen 16/4047, 16/4576) . . . . . . . c) Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Keine Zusage deutscher Tor- nados ohne Bundestagsmandat (Drucksachen 16/4048, 16/4614) . . . . . . . d) Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Werner Hoyer, Birgit Homburger, Rainer Brüderle, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Neues Mandat für Tornado-Ein- satz unerlässlich (Drucksachen 16/4096, 16/4613) . . . . . . . Heidemarie Wieczorek-Zeul, Bundesministerin BMZ . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Werner Hoyer (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Eckart von Klaeden (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Dr. Norman Paech (DIE LINKE) . . . . . . . 8681 A 8682 D 8683 B 8684 A 8686 A 8688 C 8686 D 8687 A 8687 B 8687 B 8687 C 8690 B 8691 C 8692 D Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. März 2007 III Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eckart von Klaeden (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Oskar Lafontaine (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Renate Künast (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gert Weisskirchen (Wiesloch) (SPD) . . . . . . . Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Katrin Kunert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Dr. Norman Paech (DIE LINKE) . . . . . . . . . . Gert Weisskirchen (Wiesloch) (SPD) . . . . . . . Birgit Homburger (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Bernd Siebert (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Rainer Arnold (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gert Winkelmeier (fraktionslos) . . . . . . . . . . . Dr. Christian Ruck (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Dr. Hans-Peter Bartels (SPD) . . . . . . . . . . . . . Bernd Schmidbauer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 22: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes (Drucksachen 16/3064, 16/4554) . . . . . . . b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Heinrich L. Kolb, Dirk Niebel, Christian Ahrendt, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der FDP: Gesetzliche Mindestlöhne ablehnen – zu dem Antrag der Abgeordneten Brigitte Pothmer, Kerstin Andreae, Matthias Berninger, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN: Arbeit in Ar- mut verhindern (Drucksachen 16/1653, 16/2978, 16/4554) Gerd Andres, Parl. Staatssekretär BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dirk Niebel (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8694 B 8694 C 8695 A 8696 D 8698 C 8699 C 8699 D 8701 A 8701 B 8701 C 8702 D 8703 D 8705 A 8706 A 8707 A 8708 B 8709 C 8711 D 8710 B 8710 C 8710 D 8714 B Dr. Reinhard Göhner (CDU/CSU) . . . . . . Gitta Connemann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Werner Dreibus (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anette Kramme (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Paul Lehrieder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 29: a) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zu den Pro- tokollen vom 16. Mai 2006 über die Än- derung des Abkommens vom 6. Juni 1955 über die Errichtung eines Inter- nationalen Ausschusses für den Inter- nationalen Suchdienst und der Verein- barung vom 6. Juni 1955 über die Beziehungen zwischen dem Internatio- nalen Ausschuss für den Internationa- len Suchdienst und dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz (Drucksachen 16/4380, 16/4573) . . . . . . . b) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Zu- satzprotokoll vom 12. September 2002 zum Übereinkommen vom 16. Novem- ber 1989 gegen Doping (Drucksachen 16/4012, 16/4561) . . . . . . . Tagesordnungspunkt 23: Antrag der Abgeordneten Dr. Herbert Schui, Dr. Barbara Höll, Werner Dreibus, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN: Arbeitsplatzabbau bei Airbus verhindern – Staatliche Sperrminorität bei EADS her- stellen (Drucksache 16/4308) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Herbert Schui (DIE LINKE) . . . . . . . . . . Peter Hintze, Parl. Staatssekretär BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Herbert Schui (DIE LINKE) . . . . . . . . Jürgen Koppelin (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Ditmar Staffelt (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 8715 B 8716 D 8718 D 8720 A 8720 D 8722 B 8723 D 8725 D 8724 B 8724 C 8724 C 8724 D 8728 A 8729 A 8730 A 8731 A IV Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. März 2007 Tagesordnungspunkt 24: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Umwelthaftung zur Vermeidung und Sanierung von Umweltschäden (Drucksachen 16/3806, 16/4587) . . . . . . . . . . Sigmar Gabriel, Bundesminister BMU . . . . . Horst Meierhofer (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Andreas Jung (Konstanz) (CDU/CSU) . . . . . Lutz Heilmann (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Matthias Miersch (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 25: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Einmalzahlungen für die Jahre 2005, 2006 und 2007 (Einmalzah- lungsgesetz 2005, 2006 und 2007 – EzG 2007) (Drucksachen 16/4379, 16/4572, 16/4582) . . Tagesordnungspunkt 26: Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 4. Juli 2006 zur Verlängerung des Abkom- mens vom 9. April 1995 zwischen der Bun- desrepublik Deutschland und den Vereinig- ten Arabischen Emiraten zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermö- gen und zur Belebung der wirtschaftlichen Beziehungen (Drucksachen 16/4378, 16/4579) . . . . . . . . . . Manfred Kolbe (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 10: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der LINKEN: Beschäftigungspolitische Ver- antwortung der Bundesregierung im Zu- sammenhang mit dem Personalabbau bei deutschen Großunternehmen . . . . . . . . . . . Werner Dreibus (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Alexander Dobrindt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Heinz-Peter Haustein (FDP) . . . . . . . . . . . . . . 8732 C 8732 D 8733 C 8734 D 8736 C 8737 C 8738 B 8739 B 8739 D 8740 A 8740 D 8741 D 8741 D 8742 D 8743 C Martin Dörmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Kai Wegner (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Herbert Schui (DIE LINKE) . . . . . . . . . . Katja Mast (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU) . . . Ulrich Kelber (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stefan Müller (Erlangen) (CDU/CSU) . . . . . Klaus Barthel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Berichtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Ottmar Schreiner, Andreas Steppuhn, Lothar Mark, Klaus Barthel, Rüdiger Veit, Gabriele Hiller-Ohm, Martin Burkert, René Röspel und Willi Brase (alle SPD) zur namentlichen Ab- stimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung der Regelaltersgrenze an die demografische Entwicklung und zur Stärkung der Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung (RV-Altersgrenzenanpas- sungsgesetz) (Tagesordnungspunkt 20 c) . . . Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Andrea Wicklein, Iris Gleicke, Andrea Nahles, Peter Friedrich, Dr. Margrit Spielmann, Petra Bierwirth, Lothar Binding (Heidelberg), Rolf Kramer, Katja Mast, Annette Fasse, Renate Gradistanac, Dirk Manzewski, Christian Lange (Backnang) Heinz Schmitt (Landau), Petra Heß, Johannes Pflug, Petra Weis, Uta Zapf, Manfred Zöllmer, Marko Mühlstein und Christel Riemann-Hanewinckel (alle SPD) zur na- mentlichen Abstimmung über den Entwurf ei- nes Gesetzes zur Anpassung der Regelalters- grenze an die demografische Entwicklung und zur Stärkung der Finanzierungsgrundla- gen der gesetzlichen Rentenversicherung (RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz) (Tages- ordnungspunkt 20 c) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 4 Erklärungen nach § 31 GO zur namentlichen Abstimmung über den Entwurf eines Geset- 8744 D 8745 D 8747 A 8748 A 8749 A 8750 B 8751 A 8752 B 8753 C 8753 D 8755 A 8755 C 8756 C Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. März 2007 V zes zur Anpassung der Regelaltersgrenze an die demografische Entwicklung und zur Stär- kung der Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung (RV-Alters- grenzenanpassungsgesetz) (Tagesordnungs- punkt 20 c) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Elvira Drobinski-Weiß (SPD) . . . . . . . . . . . . . Dr. Reinhard Göhner (CDU/CSU) . . . . . . . . . Josip Juratovic (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Christian Kleiminger (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Dr. Bärbel Kofler (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Karl Lauterbach (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Christoph Strässer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 5 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Ortwin Runde, Renate Schmidt (Nürnberg), Elke Ferner, Dr. Ernst Dieter Rossmann, Lothar Mark, Petra Merkel (Berlin), Marlene Rupprecht (Tuchenbach), Ulla Burchardt, Dirk Manzewski, Christian Kleiminger, Marko Mühlstein, Dr. Margrit Spielmann, Sönke Rix, Dr. Rainer Tabillion, Reinhold Hemker, Angelika Krüger-Leißner, Frank Hofmann (Volkach), Mechthild Rawert, Renate Gradistanac, Hilde Mattheis, Wolfgang Spanier, Martin Burkert, Ute Kumpf, Gabriele Hiller-Ohm, Jürgen Kucharczyk und Christel Humme (alle SPD) zur namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung zu dem Antrag der Bundesregierung: Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz einer Internationalen Sicherheitsunterstützungs- truppe in Afghanistan unter Führung der NATO auf Grundlage der Resolutionen 1386 (2001), 1413 (2002), 1444 (2002), 1510 (2003), 1563 (2004), 1623 (2005) und 1707 (2006) des Sicherheitsrates der Vereinten Na- tionen (Tagesordnungspunkt 21 a) . . . . . . . . . Anlage 6 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Heinz Schmitt (Landau), Angelika Graf (Ro- senheim), Dr. Marlies Volkmer, Detlef Müller (Chemnitz), Waltraud Lehn, Christel Riemann-Hanewinckel, Dr. Bärbel Kofler, Dr. Wolfgang Wodarg, Christine Lambrecht und Elvira Drobinski-Weiß (alle SPD) zur na- mentlichen Abstimmung über die Beschluss- empfehlung zu dem Antrag der Bundesregie- rung: Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz einer Internatio- nalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Af- ghanistan unter Führung der NATO auf Grundlage der Resolutionen 1386 (2001), 8757 B 8757 C 8757 D 8758 C 8759 B 8759 C 8759 D 8760 B 8761 B 1413 (2002), 1444 (2002), 1510 (2003), 1563 (2004), 1623 (2005) und 1707 (2006) des Si- cherheitsrates der Vereinten Nationen (Tages- ordnungspunkt 21 a) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 7 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Andrea Nahles, Niels Annen, Gerold Reichenbach, Monika Griefahn, Ursula Mogg, Garrelt Duin, Anette Kramme, Nicolette Kressl und Kerstin Griese (alle SPD) zur namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung zu dem Antrag der Bundesregierung: Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz einer Internationalen Sicherheitsunterstützungs- truppe in Afghanistan unter Führung der NATO auf Grundlage der Resolutionen 1386 (2001), 1413 (2002), 1444 (2002), 1510 (2003), 1563 (2004), 1623 (2005) und 1707 (2006) des Sicherheitsrates der Vereinten Na- tionen (Tagesordnungspunkt 21 a) . . . . . . . . . Anlage 8 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Alexander Bonde, Winfried Nachtwei, Jürgen Trittin, Ute Koczy, Volker Beck (Köln), Dr. Gerhard Schick, Thilo Hoppe und Bärbel Höhn (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur namentlichen Abstimmung über die Be- schlussempfehlung zu dem Antrag der Bun- desregierung: Beteiligung bewaffneter deut- scher Streitkräfte an dem Einsatz einer Internationalen Sicherheitsunterstützungs- truppe in Afghanistan unter Führung der NATO auf Grundlage der Resolutionen 1386 (2001), 1413 (2002), 1444 (2002), 1510 (2003), 1563 (2004), 1623 (2005) und 1707 (2006) des Sicherheitsrates der Vereinten Na- tionen (Tagesordnungspunkt 21 a) . . . . . . . . . Anlage 9 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Katrin Göring-Eckardt, Kerstin Andreae, Christine Scheel, Elisabeth Scharfenberg, Dr. Thea Dückert, Margareta Wolf (Frankfurt) und Brigitte Pothmer (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung zu dem Antrag der Bundesregierung: Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz einer In- ternationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan unter Führung der NATO auf Grundlage der Resolutionen 1386 (2001), 1413 (2002), 1444 (2002), 1510 (2003), 1563 (2004), 1623 (2005) und 1707 (2006) des Si- cherheitsrates der Vereinten Nationen (Tages- ordnungspunkt 21 a) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8762 B 8763 A 8764 A 8764 D VI Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. März 2007 Anlage 10 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Winfried Hermann, Peter Hettlich, Dr. Anton Hofreiter, Dr. Harald Terpe, Sylvia Kotting- Uhl und Monika Lazar (alle BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) zur namentlichen Abstim- mung über die Beschlussempfehlung zu dem Antrag der Bundesregierung: Beteiligung be- waffneter deutscher Streitkräfte an dem Ein- satz einer Internationalen Sicherheitsunter- stützungstruppe in Afghanistan unter Führung der NATO auf Grundlage der Resolutionen 1386 (2001), 1413 (2002), 1444 (2002), 1510 (2003), 1563 (2004), 1623 (2005) und 1707 (2006) des Sicherheitsrates der Vereinten Na- tionen (Tagesordnungspunkt 21 a) . . . . . . . . . Anlage 11 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Hans-Josef Fell und Wolfgang Wieland (beide BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur nament- lichen Abstimmung über die Beschlussemp- fehlung zu dem Antrag der Bundesregierung: Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz einer Internationalen Sicher- heitsunterstützungstruppe in Afghanistan un- ter Führung der NATO auf Grundlage der Resolutionen 1386 (2001), 1413 (2002), 1444 (2002), 1510 (2003), 1563 (2004), 1623 (2005) und 1707 (2006) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen (Tagesordnungs- punkt 21 a) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 12 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Britta Haßelmann und Ulrike Höfken (beide BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur namentli- chen Abstimmung über die Beschlussempfeh- lung zu dem Antrag der Bundesregierung: Be- teiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz einer Internationalen Sicher- heitsunterstützungstruppe in Afghanistan un- ter Führung der NATO auf Grundlage der Resolutionen 1386 (2001), 1413 (2002), 1444 (2002), 1510 (2003), 1563 (2004), 1623 (2005) und 1707 (2006) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen (Tagesordnungs- punkt 21 a) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 13 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Ernst Kranz und Frank Schwabe (beide SPD) zur namentlichen Abstimmung über die Be- schlussempfehlung zu dem Antrag der Bundes- regierung: Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz einer Internationa- len Sicherheitsunterstützungstruppe in Afgha- 8765 B 8766 A 8766 D nistan unter Führung der NATO auf Grund- lage der Resolutionen 1386 (2001), 1413 (2002), 1444 (2002), 1510 (2003), 1563 (2004), 1623 (2005) und 1707 (2006) des Si- cherheitsrates der Vereinten Nationen (Tages- ordnungspunkt 21 a) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 14 Erklärungen nach § 31 GO zur namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung zu dem Antrag der Bundesregierung: Beteili- gung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz einer Internationalen Sicherheits- unterstützungstruppe in Afghanistan unter Führung der NATO auf Grundlage der Re- solutionen 1386 (2001), 1413 (2002), 1444 (2002), 1510 (2003), 1563 (2004), 1623 (2005) und 1707 (2006) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen (Tagesordnungs- punkt 21 a) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Veronika Bellmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Dr. Axel Berg (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lothar Binding (Heidelberg) (SPD) . . . . . . . Klaus Brandner (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Martin Gerster (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Petra Hinz (Essen) (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . Iris Hoffmann (Wismar) (SPD) . . . . . . . . . . . Manfred Kolbe (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Jürgen Koppelin (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Katharina Landgraf (CDU/CSU) . . . . . . . . . Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gisela Piltz (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Maik Reichel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Rainer Stinner (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 15 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung des Antrags: Arbeitsplatzabbau bei Airbus ver- hindern – Staatliche Sperrminorität bei EADS herstellen (Tagesordnungspunkt 23) . . . . . . . Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 16 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über Einmalzah- lungen für die Jahre 2005, 2006 und 2007 8767 C 8768 A 8768 B 8768 C 8769 C 8773 C 8774 B 8775 B 8776 A 8776 B 8776 D 8777 B 8777 B 8777 D 8778 A 8778 C 8779 A 8779 D 8779 D Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. März 2007 VII (Einmalzahlungsgesetz 2005, 2006 und 2007 – EzG 2007) (Tagesordnungspunkt 25) . . . . . . . Siegmund Ehrmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Max Stadler (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Petra Pau (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . . Silke Stokar von Neuforn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Christoph Bergner, Parl. Staatssekretär BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 17 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 4. Juli 2006 zur Verlängerung des Ab- kommens vom 9. April 1995 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Verei- nigten Arabischen Emiraten zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen und zur Belebung der wirtschaftlichen Bezie- hungen (Tagesordnungspunkt 26) . . . . . . . . . Lothar Binding (Heidelberg) (SPD) . . . . . . . Carl-Ludwig Thiele (FDP) . . . . . . . . . . . . . . Dr. Axel Troost (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staats- sekretärin BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 18 Amtliche Mitteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8780 C 8780 C 8781 D 8782 B 8782 D 8783 A 8784 D 8784 D 8786 B 8787 A 8787 D 8788 C Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. März 2007 8661 (A) (C) (B) (D) 86. Sit Berlin, Freitag, d Beginn: 9
  • folderAnlagen
    Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 20 a bis 20 f auf: a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Beschäfti- gungschancen älterer Menschen – Drucksachen 16/4371, 16/4421 – – Zweite und dritte Beratung des von den Frak- tionen der CDU/CSU und der SPD einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ver- besserung der Beschäftigungschancen älterer Menschen – Drucksache 16/3793 – aa) Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Arbeit und Soziales (11. Au- sschuss) – Drucksache 16/4578 – Berichterstattung: Abgeordnete Kornelia Möller Rede bb)Bericht des Haushaltsausschusses (8. Aus- schuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung – Drucksache 16/4581 – Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Michael Luther Waltraud Lehn Dr. Claudia Winterstein Roland Claus Anja Hajduk b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- richts des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Heinrich L. Kolb, Detlef P Abgeordneter und der Fraktion der FDP zung en 9. März 2007 .00 Uhr Weichenstellung für eine Verbesserung der Beschäftigungschancen Älterer – zu dem Antrag der Abgeordneten Kornelia Möller, Dr. Barbara Höll, Werner Dreibus, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN Beschäftigungspolitik für Ältere – für ein wirtschafts- und arbeitsmarktpolitisches Gesamtkonzept – zu dem Antrag der Abgeordneten Katrin Göring-Eckardt, Brigitte Pothmer, Kerstin Andreae, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- NEN Vermittlung in Selbstständigkeit durch Bun- desagentur für Arbeit ermöglichen – Künst- lerdienste sichern – Drucksachen 16/241, 16/3027, 16/3779, 16/4578 – Berichterstattung: Abgeordnete Kornelia Möller c) – Zweite und dritte Beratung des von der Bun- text desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung der Regelalters- grenze an die demografische Entwicklung und zur Stärkung der Finanzierungsgrund- lagen der gesetzlichen Rentenversicherung (RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz) – Drucksachen 16/4372, 16/4420 – – Zweite und dritte Beratung des von den Frak- tionen der CDU/CSU und der SPD einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur An- passung der Regelaltersgrenze an die demografische Entwicklung und zur Stär- ng der Finanzierungsgrundlagen der ge- zlichen Rentenversicherung (RV-Alters- nzenanpassungsgesetz) Dirk Niebel, arr, weiterer ku set gre – Drucksache 16/3794 – 8662 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. März 2007 (A) (C) (B) (D) Vizepräsidentin Petra Pau Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- ses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) – Drucksache 16/4583 – Berichterstattung: Abgeordneter Peter Weiß (Emmendingen) d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- richts des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) – zu dem Antrag der Abgeordneten Klaus Ernst, Katja Kipping, Karin Binder, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der LINKEN Nein zur Rente ab 67 – zu dem Antrag der Abgeordneten Irmingard Schewe-Gerigk, Brigitte Pothmer, Markus Kurth, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Neue Kultur der Altersarbeit – Anpassung der gesetzlichen Rentenversicherung an län- gere Rentenlaufzeiten – zu dem Antrag der Abgeordneten Volker Schneider (Saarbrücken), Klaus Ernst, Karin Binder, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion der LIN- KEN Stichtagsregelung für die Altersteilzeit im RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz (Rente mit 67) verlängern – Drucksachen 16/2747, 16/3812, 16/3815, 16/4583 – Berichterstattung: Abgeordneter Peter Weiß (Emmendingen) e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Volker Schneider (Saarbrücken), Klaus Ernst, Hüseyin- Kenan Aydin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN Altersteilzeit fortentwickeln – Drucksache 16/4552 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Volker Schneider (Saarbrücken), Klaus Ernst, Hüseyin- Kenan Aydin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN Rente mit 67 – Berichtspflicht zum Arbeits- markt nicht verwässern – Bestandsprüfungs- klausel konkretisieren – Drucksache 16/4553 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Zu dem Entwurf eines RV-Altersgrenzenanpassungs- gesetz – „RV“ soll wohl „Rentenversicherung“ heißen –, über den wir später namentlich abstimmen werden, liegt je ein Entschließungsantrag der Fraktionen der FDP, Die Linke sowie des Bündnisses 90/Die Grünen vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Bundes- minister Franz Müntefering. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Franz Müntefering, Bundesminister für Arbeit und Soziales: Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Konzept der Bundesregierung zum Übergang vom Erwerbsleben ins Rentenalter enthält vier zentrale Ele- mente: Erstens. Die Anhebung des Renteneintrittsalters – schrittweise von 2012 an bis zum Jahre 2029 – auf 67 Jahre, mit Sonderregelungen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit 45 Beitragsjahren. Zweitens. Die Erhöhung der Beschäftigungschancen Älterer mit der Initiative „50 plus“. Über diese beiden Punkte entschei- det der Deutsche Bundestag, entscheiden wir heute. Der dritte Punkt des Konzepts heißt: Ausbau der be- trieblichen Säule und der privaten Säule – Riesterrente – zusätzlicher Altersvorsorge. Und viertens. Das Bemühen um alternsgerechte und altengerechte Arbeit und die Aus- gestaltung der Phase des Übergangs von der Beschäfti- gung zur Rente. Diese beiden Elemente stehen noch zur Diskussion und zur Entscheidungsfindung an. Wer vor 50 Jahren sein Berufsleben begann, der kennt noch die 48-Stunden-Woche und weiß, dass damals im Schnitt zehn Jahre lang Rente gezahlt wurde. Heute ha- ben wir die 35-bis-40-Stunden-Woche und zahlen 17 Jah- re lang Rente. Wir treten im Durchschnitt nicht mehr mit 16 ins Berufsleben ein, sondern mit 21. Wir arbeiten auch in Zukunft nicht länger, sondern weniger lang als die Ge- nerationen vor uns. 1960 kamen auf einen Rentner acht Personen im Erwerbsalter. Heute sind es 3,2 Personen. (Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das stimmt nicht!) 2030 werden auf einen Rentner noch 1,9 Personen im Erwerbsalter kommen; die Rente würde dann durch- schnittlich 20 Jahre lang gezahlt. Man kann das alles ignorieren. Klug wäre das nicht und verantwortlich schon gar nicht. Wir haben aber die Verantwortung, und zwar für heute und für morgen, auch für die kommenden Generationen. Wir müssen handeln. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Das Problem ist nicht neu, und einiges ist in den vergan- genen Jahren schon getan worden, um die Balance zwi- schen den Generationen zu wahren und um das System der beitragsgestützten Alterssicherung, der klassischen Rente, zukunftsfest zu machen und so lukrativ wie mög- lich zu halten. Der Rentenniveausatz sinkt bis 2030 auf Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. März 2007 8663 (A) (C) (B) (D) Bundesminister Franz Müntefering rund 43 Prozent. Die Rentenversicherungsbeiträge sollen bis 2020 nicht über 20 Prozent, bis 2030 nicht über 22 Prozent steigen. Der Eintritt aus Arbeitslosigkeit in vorgezogene Rente mit Abschlag ist bald erst mit 63 Jah- ren möglich. Aus der Bundeskasse fließen jährlich rund 78 Milliarden Euro in indirekte oder direkte Rentenzah- lungen – übrigens: 78 Milliarden Euro von 265 Milliar- den Euro, die der Haushalt insgesamt umfasst. Ich sage das für die, die schlichtweg mehr Geld aus der Steuer- kasse fordern. Auch um diese Perspektive nicht leichtfer- tig ins Rutschen zu bringen, verschieben wir das Renten- eintrittsalter ab 2012 in achtzehn Jahresschritten bis 2029 von 65 auf 67 Jahre. Meine Damen und Herren, wenn daran Kritik geübt wird, gibt es vor allen Dingen zwei Fragen, die man ernst nehmen muss. Die erste Frage heißt: Gibt es denn Arbeit für die, die schrittweise länger arbeiten sollen und wollen? Die zweite Frage lautet: Kann man physisch und psychisch bis 67 Jahre arbeiten? Zur Antwort auf die erste Frage, ob es denn Arbeit gibt, trägt die Initiative „50 plus“ bei, die wir heute ebenfalls auf den Weg bringen. 1998 waren 39 Prozent der über 55-Jährigen in Deutschland in Beschäftigung. Heute sind es 48 Prozent. Noch vor 2010 wollen wir bei über 50 Prozent sein. Ich habe keinen Zweifel, dass wir das schaffen werden. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Und was ist mit den anderen?) Ich bin sicher, das schaffen wir so wie die skandinavi- schen Länder auch. Dort liegt diese Zahl bei über 70 Prozent. So anders als bei uns sind die Lebens- und Arbeitsbedingungen dort nicht. Seit Anfang 2006 ist die Zahl der Arbeitslosen in der Gruppe der über 50-Jähri- gen in Deutschland um 170 000 gesunken. Es gibt zur- zeit 853 000 offene Stellen in Deutschland, 624 000 da- von sind unmittelbar bei der BA gemeldet. Liebe Kolleginnen und Kollegen, entscheidend ist, ob wir als Gesellschaft wollen. Ob wir wollen, dass Arbeit- nehmer nicht mehr mit 50, 55 oder 60 Jahren als un- brauchbar ausgegliedert werden. Ob wir wollen, dass sie eine echte Chance haben. Wir jedenfalls wollen das. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Allerdings müssen einige große Unternehmen damit auf- hören, ihre Mitarbeiter auf Kosten der sozialen Siche- rungssysteme so früh wie möglich in die Frühverrentung zu drängen. (Dr. Ralf Brauksiepe [CDU/CSU]: Sehr rich- tig!) Die Initiative „50 plus“ nimmt bestehende Aktivitäten auf, die schon seit einigen Jahren zu Erfolgen führen, und gibt ihnen neue Impulse. Viele Firmen erkennen in- zwischen den Vorteil eines vernünftigen Altersmix in ih- rer Belegschaft. Es tut sich etwas. Das verstärken wir mit unserer heutigen Entscheidung. Durch Kombilohn, Ein- gliederungszuschuss und Weiterbildungsangebote wird die Integration der über 50-jährigen Arbeitslosen von der BA und vom Bund gefördert. Die Initiative „50 plus“ kann ein neuer Anfang werden. Man muss es, wie ge- sagt, nur wollen. Auf die zweite Frage, ob man überhaupt bis 67 arbei- ten kann, gibt es zwei Antworten, die einander ergänzen: Die erste Antwort lautet: Man kann. In zahlreichen Berufen geht das, aber nicht in allen. Wir müssen in ei- ner älter werdenden Gesellschaft systematisch darange- hen, altersgerechte Arbeiten und altengerechte Arbei- ten zu entwickeln und zu aktivieren. Die Humanisierung der Arbeitswelt, der Arbeitsschutz ist wichtig. Das ist keine Aufgabe von gestern und vorgestern, sondern bleibt eine zentrale Herausforderung. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Arbeit wird immer anstrengend sein; keine Illusion. Der Verschleiß ist unabwendbar. Aber durch aktiven Ar- beitsschutz, gezielte Prävention und vernünftige Arbeits- zeitgestaltung ist ein Teil der Belastungen vermeidbar, die heutzutage insbesondere zulasten der Augen, des Rü- ckens und der Psyche gehen. Ich fordere Arbeitgeber und Gewerkschaften auf, sich dieser Herausforderung bewusst und gezielt zu stellen. Seitens der Politik wer- den wir helfen, soweit das nur geht. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Aber das ist eine Aufgabe, die vor Ort in den Betrieben bewältigt werden muss. INQA ist eine Initiative, in der bereits eine Reihe von Firmen, unterstützt von der Poli- tik, an dieser Herausforderung arbeiten, und zwar mit Erfolg. Die zweite Antwort auf die Frage, ob man überhaupt bis 67 arbeiten kann, lautet: Das ist individuell sehr un- terschiedlich. Deshalb braucht man individuelle Antwor- ten. Sie hängen davon ab, welche Arbeit getan werden soll. Das Argument, dass der 66-jährige Maurer nicht mehr oben auf dem Gerüst stehen kann, ist in sehr vielen Fällen richtig. Der 64-jährige Maurer kann das aller- dings auch nicht mehr. (Dr. Ralf Brauksiepe [CDU/CSU]: So ist es!) Wenn Invalidität gegeben ist, wird es auch in Zukunft die teilweise oder volle Erwerbsminderungsrente geben. Teilrente bleibt grundsätzlich möglich, und die Frage nach dem Zuverdienst ist gestellt. Altersteilzeit in der klassischen – überwiegend praktizierten – Form wird es auch über 2009 hinaus geben. Der Eintritt in die vorge- zogene Rente ab 63 muss nicht zu den vollen Abschlä- gen führen, wenn rechtzeitig dafür gesorgt wird, dass mit Zusatzbeiträgen an die Rentenversicherung gegenge- steuert wird. Arbeitszeit- und Wertkonten können in Ta- rifverträgen eine größere Rolle spielen als bisher. Das alles sind Punkte, die – systematischer als bisher – für den Übergang aus dem Erwerbsleben in die Rente genutzt werden können. Wichtig für die materielle Si- cherheit im Alter ist, ob es uns in Deutschland gelingt, generell den Wohlstand zu halten und zu mehren oder nicht. Neben die gesetzliche Rente, die das Kernstück der Alterssicherung in Deutschland bleiben wird, muss zunehmend die zusätzliche Altersvorsorge treten. Rund 8664 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. März 2007 (A) (C) (B) (D) Bundesminister Franz Müntefering 17 Millionen Menschen nehmen an einer betrieblichen Altersvorsorge teil. Inzwischen sind über 8 Millionen in die Riesterrente eingestiegen. Hier wollen wir im Laufe des Jahres noch eine Verbesserung erreichen. Die Koali- tion will, dass Familien mit aufwachsenden Kindern in der Riesterrente noch stärker gefördert werden als bis- her. Wir wollen zudem – da muss die Gestaltung noch vereinbart werden – den Ankauf von selbstgenutztem Wohneigentum oder Wohnrechten über die Riesterrente noch deutlicher als bisher ermöglichen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Wir haben den Insolvenzschutz für die Betriebsrenten verbessert. Wir stützen den Anspruch auf Portabilität solcher Vorsorge. Wenn die Firma insolvent wird oder wenn der Arbeitnehmer das Unternehmen freiwillig wechselt, bleibt die angesparte Altersvorsorge sicher; dafür garantieren wir. Wenn die Erhöhung des Renteneintrittsalters 2012 konkret wird, wird die Initiative „50 plus“ schon fünf Jahre wirken. Sie wird auch darüber hinaus die Erhö- hung des Renteneintrittsalters flankieren. Die heutigen Entscheidungen sind richtig. Es gibt keinen Grund, den Menschen in Deutschland wegen dieser Entscheidungen Angst zu machen. Im Gegenteil: Unser Land braucht den Erfahrungsschatz, das Wissen und das Können der älte- ren Generation, um seine Wohlstandsfähigkeit auch in Zukunft zu behalten. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Wir sichern damit auch die Spielräume für verstärkte Qualifizierung, Bildung, Ausbildung und Weiterbildung. Im Jahr 2010 wollen wir in Deutschland 3 Prozent unse- res Bruttoinlandsprodukts für Forschung und Entwick- lung ausgeben. Für den Bund bedeutet das, dass er rund 6 Milliarden Euro mehr für diese Zwecke einsetzen muss. Diese Investition in die Innovationsfähigkeit un- seres Landes ist keine Garantie, aber die einzige Chance, dass Deutschland auch in Zukunft Hochleistungsland und Wohlstandsland bleibt und damit auch ein Land mit insgesamt guter Alterssicherung. Denn das sind wir. Es gibt arme Rentnerinnen und Rentner; das ist wahr. Ihnen haben wir mit der Grundsicherung eine materielle Ga- rantie gegeben. Wahr ist aber auch: Es gab noch nie eine Generation Älterer, die so zuverlässig und so stabil so- zial abgesichert war wie diese; das soll so bleiben. Dafür kämpfen wir als Regierung und als Koalition. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Die vorgezogene Rente mit 63 wird 2029 in einem Hochleistungsland höher sein als eine volle Rente mit 67 in einem Land, das an Schwung verloren hätte. Wir müs- sen Hochleistungsland bleiben wollen. Deutschland darf seinen Wohlstand nicht verlieren. Wir müssen jetzt in die Zukunftsfähigkeit des Landes investieren. Was wir für die Kinder und die jungen Menschen sowie die Weiter- bildung ausgeben, ist der beste Garant dafür, dass die Rente in Deutschland auch in Zukunft sicher ist und dass die ältere Generation dann in einem Wohlstandsland eine Rente hat, von der sie leben kann. Wir müssen den Gesamtzusammenhang sehen. Was wir jetzt in die Köpfe und Herzen der jungen Menschen sowie in Ausbildung, Qualifizierung, Forschung und Technologie investieren, bildet die Grundlage dafür, dass 2020, 2030 die Renten in Deutschland hoch sein werden, und zwar so hoch, dass die Menschen davon ordentlich leben können. Das wollen wir. Und das können wir. Mit den heutigen Entscheidungen helfen wir, dies vorzube- reiten. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Dr. Heinrich Kolb für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP) Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die steigende Lebenserwartung der Menschen in unse- rem Land stellt wegen der damit verbundenen längeren Rentenbezugsdauer eine große demografische Heraus- forderung für die gesetzliche Rentenversicherung dar. Die Antwort auf diese Herausforderung erfordert nach unserem Dafürhalten einen Paradigmenwechsel, also ei- nen grundlegend neuen Ansatz bei der Gestaltung des Übergangs von der Arbeit in die Rente. Nicht mehr ein möglichst frühes Ausscheiden aus dem Arbeitsprozess, sondern eine möglichst lange Teilhabe am Erwerbsleben muss zum neuen Leitbild werden. (Beifall bei der FDP) Denn tatsächlich sind in der Vergangenheit im Rahmen der Altersteilzeit ältere Arbeitnehmer regelrecht aus dem Erwerbsleben gedrängt worden. Viele haben die Früh- verrentung bzw. die Altersteilzeit aber auch bewusst als einen vergleichsweise sicheren Hafen in Zeiten einer schwierigen Arbeitsmarktlage für Ältere angesteuert. Die Rente mit 67 ist nicht die einzige Möglichkeit, der demografischen Herausforderung zu begegnen. Die FDP setzt diesem Ansatz das Konzept eines flexiblen Übergangs in die Rente bei gleichzeitigem Wegfall der Zuverdienstgrenzen entgegen. Bevor ich Ihnen unser Konzept erläutere, will ich kurz darauf eingehen, warum wir Ihren Gesetzesvorschlag zur Rente mit 67 ablehnen. (Dr. Ralf Brauksiepe [CDU/CSU]: Weil Sie in der Opposition sind!) – In der Anhörung ist sehr deutlich geworden, wo die Schwachpunkte liegen, Herr Brauksiepe. Das ist zum ei- nen die Tatsache – insofern muss ich dem Minister wi- dersprechen –, dass der weit überwiegende Teil der Be- troffenen keine Chance haben wird, bis zum Erreichen des neuen Renteneintrittsalters von 67 Jahren zu arbei- ten. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. März 2007 8665 (A) (C) (B) (D) Dr. Heinrich L. Kolb Professor Rürup – Ihr Berater, Herr Müntefering – hat in der Anhörung offen gesagt, es werde unterstellt, dass 40 Prozent der Betroffenen tatsächlich diese zwei Jahre länger arbeiteten. Das ist schon sehr viel, wenn wir be- denken, dass zurzeit nur noch 22 Prozent der Rentenzu- gänge aus einer sozialversicherungspflichtigen Beschäf- tigung erfolgen. Wollen Sie ernsthaft behaupten, Herr Müntefering, Ihr Konzept „50 plus“ – der zweite Aufguss von Instru- menten, die sich schon in der Vergangenheit als wir- kungslos erwiesen haben – werde die Situation grundle- gend ändern? Das können Sie getrost vergessen. Ich denke, Ihr Gesetzentwurf zur Verbesserung der Beschäf- tigungschancen älterer Menschen ist genauso ein Etiket- tenschwindel wie das Gesetz zur Stärkung des Wettbe- werbs im Gesundheitswesen. Was Sie uns damit präsentieren, ist weiße Salbe. Es ist alter Wein in alten Schläuchen. Die Wirkung liegt nahe bei null. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wenn Sie das anders sehen würden, Herr Kollege Brandner und Herr Kollege Schaaf, dann hätten Sie doch in der Abstimmung in Ihrer Fraktion die Überprüfungs- klausel mit einem konkreten Beschäftigungsziel scharf schalten können und sich daran messen lassen, welche Verbesserungen bei der Beschäftigung älterer Arbeit- nehmerinnen und Arbeitnehmer tatsächlich erreicht werden können. Das haben Sie aber nicht getan. (Carl-Ludwig Thiele [FDP]: So ist es!) Das ist der eine Punkt, den wir kritisieren. Ein weiterer Punkt sind die massiven verfassungs- rechtlichen und europarechtlichen Bedenken, die in der Anhörung vorgetragen wurden und die Ablehnung Ihres Konzeptes zwingend erforderlich machen. Sie ha- ben nämlich bei dem Versuch, die Anhebung der Regel- altersgrenze auf 67 etwas „aufzuhübschen“, eine Aus- nahmeregelung für besonders langjährig Versicherte in den Gesetzentwurf aufgenommen, die auf breiten Wider- spruch der Sachverständigen wie auch der Deutschen Rentenversicherung selbst gestoßen ist. Kritisiert wird, dass das Vorhaben gegen das Prinzip der Teilhabeäqui- valenz verstößt und Frauen, Arbeitslose und freiwillig Versicherte keine Chance haben, von dieser Sonderrege- lung Gebrauch zu machen. Insofern gibt es gute Gründe, mit der Deutschen Rentenversicherung die Verfassungs- mäßigkeit zu bezweifeln und mit dem Deutschen Juris- tinnenbund die Unvereinbarkeit mit europäischem Recht festzustellen. Auf diese massive Kritik haben Sie aber nicht re- agiert. Sie haben keine Änderungsanträge vorgelegt, um den Bedenken Rechnung zu tragen. Das ist ein klarer Verstoß gegen das Struck’sche Gesetz, wonach angeb- lich nichts so aus dem Bundestag herauskommt, wie es hineingegangen ist. Nein, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koali- tion, Ihr Motto lautet vielmehr: Augen zu und durch. (Beifall bei der FDP) Ich kann mir vorstellen, dass die SPD-Fraktion nach den jüngsten Umfragen am liebsten ganz auf die Debatte zur Rente mit 67 verzichtet hätte. Aber dass Sie uns zumu- ten, in eineinhalb Stunden zwölf Vorlagen im Parlament durchzuhecheln, und dass Sie in einer Sitzung des feder- führenden Ausschusses die Aussprache gar ganz verwei- gert haben, (Dirk Niebel [FDP]: Pfui!) zeigt, dass es Ihnen lieber ist, ein mängelbehaftetes Ge- setz im Rekordtempo durch das Parlament zu peitschen, als gemeinsam nach einer tragfähigen Lösung zu suchen. (Beifall bei der FDP) Wir legen Ihnen heute einen Entschließungsantrag vor, der Eckpunkte eines Konzeptes für einen flexiblen Übergang in die Rente enthält, den sich einer Untersu- chung der Bertelsmann-Stiftung zufolge zwei Drittel der Befragten wünschen und den wir für besser geeignet hal- ten, den Bedürfnissen der Menschen nach individueller und abgesicherter Lebensgestaltung im Alter gerecht zu werden. (Beifall bei der FDP) Ich will Ihnen dieses Konzept in seinen Grundzügen beschreiben. Erstens soll nach unserem Konzept für alle Versicherten ab 60 Jahren der Rentenzugang möglich sein, wobei die Versicherten wählen können, ob sie eine Vollrente oder eine Teilrente aus den bis zu diesem Zeit- punkt erworbenen Entgeltpunkten beziehen wollen. Vo- raussetzung für den flexiblen Rentenzugang ist alleine die Grundsicherungsfreiheit. Die Prüfung erfolgt für die Bedarfsgemeinschaft, sodass in der Regel auch Frauen der flexible Rentenzugang ermöglicht wird. Wir gehen davon aus, dass 90 Prozent der Versicherten diese Mög- lichkeit werden nutzen können. (Klaus Brandner [SPD]: Mogelpackung!) Zweitens. Die Grenzen für Zuverdienst neben dem Rentenbezug werden aufgehoben. Die Versicherten ent- scheiden selbst, ob und in welchem Umfang sie neben einem Rentenbezug noch erwerbstätig sein wollen. (Beifall bei der FDP) Dadurch wird es möglich, den Lebensstandard auch bei einem vorzeitigen Rentenbezug zu halten. Für den Zu- verdienst werden Sozialversicherungsbeiträge gezahlt. Die durch die Rentenbeiträge erworbenen Entgeltpunkte können vom Arbeitnehmer zur Erhöhung der eigenen Rente eingesetzt werden. Drittens. Es gibt einen individuellen Zugangsfaktor, mit dem berücksichtigt wird, wie lange der Versicherte arbeitet. Je länger er arbeitet, desto höher sind der Zu- gangsfaktor und damit die Rente. Es erfolgt eine für jede Alterskohorte, für jeden Jahrgang individuelle Berech- nung des Rentenwertes. Dadurch wird eine gerechte Ver- teilung der Lasten der Alterung auf die verschiedenen Jahrgänge erreicht, während im Gesetzentwurf der Ko- alition die Jahrgänge 1964 bis 1979 besonders stark be- lastet werden. 8666 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. März 2007 (A) (C) (B) (D) Dr. Heinrich L. Kolb Viertens. Wir wollen eine flankierende Reform des Arbeitsmarktes, sodass diejenigen, die aufgrund der verstärkten Anreize länger arbeiten wollen, auch länger arbeiten können. (Beifall bei der FDP – Klaus Brandner [SPD]: Weniger Kündigungsschutz, keine Mitbestim- mung – das passt zum Rentenkonzept der FDP!) Das ist das Konzept. Dieser in vier Punkten umrissene Ansatz ist im besten Sinne ein liberales Konzept. (Klaus Brandner [SPD]: Neoliberal!) Er setzt auf die freie Entscheidung des Einzelnen, wäh- rend Sie über die Köpfe der Betroffenen hinweg ein hö- heres Renteneintrittsalter anordnen wollen. Er berück- sichtigt die verbreiteten Ängste der Menschen in unserem Lande, im Falle der Arbeitslosigkeit als ältere Arbeitnehmerinnen oder Arbeitnehmer auf Hartz IV ver- wiesen zu werden und jenseits niedriger Schongrenzen eigenes Vermögen und eigene Altersvorsorge einsetzen zu müssen. (Beifall bei der FDP) Darüber hinaus ist unser Modell – das wird der Regelfall sein – in den Fällen besonders interessant, in denen bei reduzierter Arbeitszeit und entsprechend reduziertem Verdienst eine bisherige Beschäftigung fortgeführt wird. Hier können durch den Abschlag auf die Teilrente ent- stehende Lücken nicht nur wieder geschlossen, sondern sogar überkompensiert, also eine auf Dauer höhere Rente erreicht werden, was natürlich die Neigung, tat- sächlich länger tätig zu bleiben, deutlich erhöhen wird. Dass trotz oder gerade wegen der Möglichkeit eines Rentenzugangs ab 60 die tatsächlichen Beschäftigungs- quoten älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer steigen werden, zeigen die Erfahrungen in Dänemark und in Schweden, wo in der Altersklasse 55 bis 65 61 zw. 69 Prozent der Betroffenen noch erwerbstätig sind. In Deutschland sind es gerade einmal 45 Prozent. Das ist der springende Punkt: Erst das Gefühl, nicht mehr arbeiten zu müssen, aber weiter arbeiten zu kön- nen, versetzt die Menschen in die Lage, sich für eine möglichst lange Teilhabe am Erwerbsleben zu entschei- den. (Beifall bei der FDP) Jüngere und ältere Arbeitnehmer stehen auch nicht in einem Konkurrenzverhältnis, wie es uns die Erfinder der Altersteilzeit weismachen wollen. Nein, die Älteren ver- drängen keine Jüngeren, sondern sie treten, wie Profes- sor Sinn in der Anhörung gesagt hat, mindestens additiv hinzu, wenn sie nicht sogar Komplemente sind. Ältere Arbeitnehmer sind in der Lage, Jüngere anzuleiten, ih- nen zu zeigen, wie man arbeitet, und sie können die Ar- beit organisieren. Wenn wir diesen Bereich des Arbeits- marktes stärken, entstehen zugleich auch zusätzliche Jobs für die Jüngeren. Deswegen bitte ich Sie heute, un- serem Entschließungsantrag zuzustimmen, den Weg für ein modernes und flexibles Konzept des Übergangs vom Arbeitsleben in die Rente freizumachen und den Entwurf zur Rente mit 67 abzulehnen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der FDP) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die Unionsfraktion hat die Kollegin Ilse Falk das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD) Ilse Falk (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir heute in zweiter und dritter Lesung die beiden Vorhaben, nämlich Verbesserung der Beschäfti- gungschancen älterer Menschen und Anpassung der Re- gelaltersgrenze an die demografische Entwicklung, zur Abstimmung stellen, und zwar unverändert zur Abstim- mung stellen, dann tun wir das, weil wir überzeugt sind, dass es auf mittlere Sicht zu dieser Anpassung kommen muss, um gerade für die jüngere Generation schon heute ein Stück Verlässlichkeit in der Rentenpolitik zu errei- chen. Lassen Sie mich eines vorweg sagen, weil es eng mit dem Thema Rente verzahnt ist: Wir haben es in dieser Koalition geschafft, die Arbeitslosigkeit innerhalb eines kurzen Zeitraums signifikant zu senken, und, was noch wichtiger ist, wir haben eine Trendwende im Bereich der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten erreicht. Seit einigen Monaten verzeichnen wir hier einen beständig wachsenden Aufwuchs. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD – Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Das ist bestimmt der Merkel-Auf- schwung!) Dies kann nicht oft genug betont werden, und es ist und bleibt ein Verdienst der Großen Koalition, dieser Regie- rung und damit der Bundeskanzlerin, die diese Regie- rung führt. (Klaus Uwe Benneter [SPD]: Und auch von dem vorhergehenden Kanzler! – Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Oder war es Schröder? Ist es der Schröder-Aufschwung?) Diese positive Entwicklung bedeutet Einnahmen für die sozialen Sicherungssysteme und bewirkt natürlich auch eine leichte Entspannung in der Rentenkasse. Gleichwohl sind die beiden Gesetze, über die wir heute sprechen, notwendig. Ich bin dem Bundesarbeitsminister dankbar, dass er hierzu die Initiative ergriffen hat (Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Okay, es ist der Münte-Aufschwung!) und angesichts der massiven Kritik der Opposition und zahlreicher Verbände, allen voran der Gewerkschaften, standhaft geblieben ist. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Erfreulicherweise steigt die Lebenserwartung. Damit werden viele in den Genuss einer Rentenbezugsdauer Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. März 2007 8667 (A) (C) (B) (D) Ilse Falk kommen, die im Vergleich zu der der Generationen vor ihnen erheblich länger ist. Gleichzeitig – auch das ist die Wahrheit – werden nach wie vor zu wenige Kinder gebo- ren. Damit stößt der Generationenvertrag, wie wir ihn seit Jahrzehnten kennen, an seine Grenzen. Deshalb müssen wir bereits heute Maßnahmen ergreifen, um die Rente für künftige Generationen zukunftsfest zu ma- chen. Verbesserte Rahmenbedingungen in der Familienpoli- tik tragen hoffentlich zur Entschärfung bei. So sollen El- terngeld und mehr Betreuungsplätze den Eltern die Er- füllung des Kinderwunsches und die vielfach gewünschte Vereinbarkeit von Familie und Beruf er- leichtern. Dass sowohl Erwerbstätigkeit als auch die Über- nahme von Erziehungsaufgaben mit der Notwendigkeit der Alterssicherung von Frauen heute immer eng ver- knüpft ist, gilt zwar als selbstverständlich, bedarf aber ganz sicher noch der Verbesserung. Das soll aber nicht durch die Verabschiedung dieses Gesetzes erreicht wer- den; vielmehr muss es ganz sicher an anderer Stelle noch einmal aufgegriffen werden. Die Anpassung der Regelaltersgrenze sichert die langfristige Finanzierbarkeit unseres Rentensystems. Gleichzeitig geben wir den jungen Menschen damit be- reits heute ein Signal, worauf sie sich einzustellen haben. Erstens: dass die gesetzliche Rentenversicherung auch in Zukunft eine solide Basis der Altersversorgung sein wird. Zweitens aber auch: dass sie dringend zusätzlich so- wohl private als auch – nach Möglichkeit – betriebliche Altersvorsorge betreiben sollten. Erstaunt habe ich gesehen, dass gerade junge Men- schen nicht an den Demonstrationen gegen die rentenpo- litischen Maßnahmen teilgenommen haben. (Lachen bei der LINKEN – Volker Schneider [Saarbrücken] [DIE LINKE]: Die stehen hier vor der Tür! So sehen Sie an den Realitäten vorbei, Frau Falk!) Offensichtlich haben sie verstanden, dass es um ihre In- teressen geht. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Es war schon interessant, zu beobachten, dass über- wiegend diejenigen demonstriert haben, die von den heute zu beschließenden Maßnahmen überhaupt nicht betroffen sind. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Andere, so scheint mir, haben noch nicht einmal reali- siert, dass die Anpassung bis zum Jahr 2029 stufenweise erfolgen wird. Für die Aufgeregtheiten, die in den letzten Wochen gerade bei den älteren Arbeitnehmern kräftig geschürt worden sind, gibt es also keinerlei nachvollziehbaren Grund. Ich sage das bei allem Verständnis dafür, dass sich die Älteren mit den jungen Kollegen in dieser Frage solidarisch fühlen. Die langfristige Finanzierbarkeit der Rentenversiche- rung ist allerdings nur ein Aspekt, den es zu berücksich- tigen gilt. Ein weiteres wesentliches Anliegen der heute zur Beratung anstehenden Maßnahmen ist, dass in Ge- sellschaft und Wirtschaft ein Umdenken stattfinden muss. Einerseits werden sich die jüngeren Arbeitnehmer darauf einstellen müssen, dass sie den gleitenden Über- gang in die Rente nicht schon mit 50 Jahren planen kön- nen, wie das ihre Eltern teilweise getan haben und zum Teil immer noch tun. Hier gilt es aufzupassen. Während das allgemeine Renteneintrittsalter langsam, aber kon- tinuierlich gestiegen ist, sinkt das Alter des Zugangs in die Erwerbsminderungsrente nach wie vor. Auch das muss uns zu denken geben, zumal längst nicht immer körperliche Beschwerden der Anlass sind, sondern im- mer häufiger psychische Erkrankungen. Andererseits muss es auch ein Umdenken in den Unternehmen geben. Hier müssen Veränderungspro- zesse forciert und aktiv begleitet werden. Dazu gehören nach meinem Verständnis Themen wie Weiterbildung und die Unterstützung lebenslangen Lernens. Außerdem müssen für Arbeitnehmer, die körperlich anstrengende Arbeit und/oder Schichtarbeit leisten, in der Tat Modelle weiterentwickelt werden, die sie vor gesundheitlichen Schäden bewahren. Beispiele wie Arbeitsplatzrotation im Betrieb zur Verhinderung von einseitigen Belastun- gen oder Anwendung der Erkenntnisse über die körperli- chen Auswirkungen der Schichtarbeit müssen umgesetzt werden. Die Bevölkerungsentwicklung zeigt: Wir müs- sen in Kürze damit rechnen, dass ältere Arbeitnehmer auch deswegen gesucht sein werden, weil es gar nicht mehr genügend Berufseinsteiger geben wird, um den Bedarf zu decken. Deshalb sind Unternehmen gut bera- ten, die sich in ihrer Personalpolitik rechtzeitig auf die ver- änderten Verhältnisse einstellen, schon heute darauf re- agieren, die Beschäftigten länger in den Betrieben halten und auch dazu übergehen, wieder ältere Menschen ein- zustellen, statt sie über Frühverrentungsprogramme in die Frührente zu schicken. Die Initiative „50 plus“ mit einem Bündel von Maßnahmen wird hierbei unterstüt- zend wirksam sein. Weil die Kritiker hartnäckig das Gegenteil behaupten, möchte ich einige Anmerkungen zur sozialverträglichen Ausgestaltung des Gesetzes machen. Der Union war es ein großes Anliegen, denjenigen, die über Jahrzehnte hinweg Beiträge gezahlt haben und damit über viele Jahre Solidarität geübt haben, auch weiterhin einen vorzeitigen Ruhestand ohne Abschläge zu ermöglichen. (Volker Schneider [Saarbrücken] [DIE LINKE]: Das nennt die Deutsche Rentenversicherung „Umverteilung von unten nach oben“!) Deshalb können diejenigen, die 45 Beitragsjahre aufzu- weisen haben, weiterhin mit 65 Jahren abschlagsfrei in Rente gehen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) 8668 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. März 2007 (A) (C) (B) (D) Ilse Falk Ich will aber nicht verschweigen, dass die Sachver- ständigen in der Anhörung gerade hierzu kritische An- merkungen gemacht haben. (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: So ist das!) Wir halten die getroffenen Regelungen dennoch für rich- tig und wichtig. Allerdings scheint es aus meiner Sicht lohnenswert zu sein, die vorgetragenen Anregungen für einen flexibleren Ausstieg aus dem Erwerbsleben mit der gebotenen kritischen Sorgfalt ernsthaft zu bedenken. (Beifall des Abg. Dr. Guido Westerwelle [FDP]) Dabei darf allerdings die Regelaltersgrenze von 67 Jahren ebenso wenig infrage gestellt werden wie die mit diesem Gesetz verfolgte Zielrichtung. Auf einen weiteren Punkt möchte ich in diesem Zu- sammenhang hinweisen, der mir als Familienpolitikerin besonders wichtig ist. Wer Kinder großzieht, übt eben- falls Solidarität mit der Gesellschaft. Deshalb soll die Familienleistung der Beitragsleistung gleichgestellt werden. (Beifall bei der CDU/CSU) Wer Kinder erzieht oder Angehörige pflegt, dem wird diese Zeit auf die 45 Jahre angerechnet, also drei Jahre Erziehungszeit, die sich zugleich rentensteigernd aus- wirken, sowie die Kinderberücksichtigungszeiten, die zwar nicht finanziell wirksam werden, aber sich mit bis zu zehn Jahren pro Kind auf die Ermittlung der Beitrags- jahre auswirken, plus eventuelle Pflegezeiten. (Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie viele Kinder muss denn dann eine Frau haben, dass sie auf 45 Jahre kommt?) Vizepräsidentin Petra Pau: Kollegin Falk, jetzt geraten Sie langsam in die Phase, in der Sie die Redezeit Ihrer Kollegen in Anspruch nehmen. Ilse Falk (CDU/CSU): Letzter Satz. – Uns ist klar, dass damit nicht der Nachteil der lückenhaften Rentenbiografien der Frauen ausgeglichen werden kann. Aber ohne diese Regelung hätten noch viel weniger Frauen die Chance, 45 Beitragsjahre zu erreichen. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir machen damit einen mutigen Schritt in einer Zeit, die allen Anlass zu Optimismus gibt. Wir machen es für die Menschen und nicht gegen sie. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Klaus Ernst für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Klaus Ernst (DIE LINKE): Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Präsi- dentin! Warum das Konzept der Regierung nicht funktioniert, ist mit zwei Sätzen aufgezeigt: Sie können nicht sagen, wo die Menschen länger arbeiten sollen, und Sie können auch nicht sagen, wie sie es machen sol- len. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos]) Das ist Ihr Problem. Deshalb geht Ihr gesamtes Konzept nicht auf. (Zurufe von der CDU/CSU) – Da können Sie grölen, wie Sie wollen; das ist Fakt. Schauen wir uns die Bauindustrie an: Nur 10 Prozent erreichen das zurzeit geltende Renteneintrittsalter von 65 Jahren. 33 Prozent scheiden wegen Erwerbsunfähigkeit vorher aus. Das Durchschnittseintrittsalter ist 58. – Sagen Sie denen doch einmal, wie sie es hinbekommen sollen, bis 65 zu arbeiten, ohne dass Sie das Gesetz ändern! Wenn Sie das können, dann haben Sie vielleicht eine Chance, hier ernst genommen zu werden. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos]) Das Institut der Bundesagentur für Arbeit, das IAB, hat festgestellt: 1,2 bis 3 Millionen zusätzliche Arbeits- plätze sind notwendig, um das einigermaßen hinzube- kommen. – Wo sollen die denn sein? Wir erleben doch gerade das Gegenteil. Schauen Sie sich einmal um! Trotz des Aufschwungs erleben wir einen Arbeitsplatzabbau. Wo bitte schön sollen denn die Menschen arbeiten? Ihr Konzept ist eine pure Luftnummer. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos] – Zuruf von der CDU/CSU: Wo leben Sie denn?) Weil auch Sie von der Sozialdemokratie das wissen – mein Kollege Schaaf weiß das ebenfalls –, haben Sie den Antrag abgelehnt, der von einigen Sozialdemokraten eingebracht wurde und darauf zielt, zumindest hinzube- kommen, dass der Anteil – – (Elke Ferner [SPD]: Wir haben gar nicht über den Antrag abgestimmt! Reden Sie doch nicht so ein dummes Zeug!) – Ihr habt ihn gar nicht abgestimmt. Ihr habt ihn ver- schoben nach dem Motto: Wenn du nicht mehr weiter weißt, gründe einen Arbeitskreis. – Das macht ihr ge- rade; das ist eure Praxis. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos]) Sie glauben selber nicht, dass Ihr Konzept aufgeht. Ihr Konzept hat einen wesentlichen Nachteil, nämlich den, dass es nicht aufgeht; das wissen Sie. Wenn Sie denken würden, es tatsächlich hinzubekommen, dass der Anteil der über 55-Jährigen in Arbeit im Jahr 2010 bei über 50 Prozent liegt, dann hätten Sie es beschlossen. Wenn Sie wirklich glauben würden, dass Ihr Konzept funktioniert, dann hätten Sie den Vorschlag des DGB Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. März 2007 8669 (A) (C) (B) (D) Klaus Ernst ernst genommen, der empfohlen hat: Macht die Rente mit 67 dann, wenn die Arbeitslosigkeit auf 2 Millionen gesunken ist. – Das traut ihr euch aber hinten und vorne nicht. Das ist der Grund. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos]) Was übrig bleibt, ist eine Rentenkürzung: Wer heute 40 Jahre arbeitet, erhält nach 40 Versicherungsjahren circa 950 Euro. Angenommen, wir hätten das, was Sie jetzt beschließen, schon vor 30 Jahren gemacht, dann läge die Rente jetzt bei 750 Euro, bei Einführung der Rente mit 67 läge sie sogar bei nur 700 Euro. Das ist Ihr Konzept. Das ist eine pure Rentenkürzung. Sie machen Politik zulasten der Leute. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos] – Elke Ferner [SPD]: Das stimmt doch nicht!) – Da könnt ihr euch aufregen, wie ihr wollt. Ich weiß, dass es euch nicht gefällt, wenn man euch die Wahrheit sagt. Es gab einmal eine Sozialdemokratie, die den Namen auch verdient hat. Davon seid ihr himmelweit entfernt. (Klaus Uwe Benneter [SPD]: Wir sind nicht so marktschreierisch wie du!) Ich will euch noch etwas sagen, Kolleginnen und Kol- legen: (Klaus Uwe Benneter [SPD]: Er will uns was erzählen!) Die Rente mit 67, wenn sie denn eingeführt wird, macht 0,3 bis 0,5 Beitragssatzpunkte aus. Da frage ich mich: Geht es Ihnen wirklich darum, den Beitragssatz stabil zu halten? Das wesentliche Problem Ihres Ansatzes ist, dass Sie von der Beitragsstabilität ausgehen und nicht davon, dass wir in diesem Land eine vernünftige Rente brauchen. Das ist Ihr Problem. Ich sage Ihnen, worum es wirklich geht. Bleiben die Beiträge wirklich stabil? Das ist doch überhaupt nicht wahr. Die Beiträge bleiben nur für die Arbeitgeber stabil. Die Arbeitnehmer werden sich zusätz- lich versichern müssen und bei Weitem mehr Belastungen haben als gegenwärtig. Das ist die Realität. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos]) Die Forschungsgruppe Wahlen sagt, dass gegenwärtig 83 Prozent der Bürger in unserem Land das Anheben des Renteneintrittsalters ablehnen, 78 Prozent aus dem Lager der Union, 84 Prozent der SPD-Mitglieder. Ich habe Herrn Weiß im Ausschuss gehört. Er hat gesagt, die Zu- stimmung der Bürger zu diesem Konzept nehme zu. Ich weiß nicht, von welcher Skatrunde er das hat. Das ZDF- Politbarometer sagt etwas anderes. Deshalb sage ich Ihnen: Was Sie hier machen, ist eine Politik gegen die große Mehrheit der Bürger unseres Landes. Deshalb haben Sie den Anspruch, Volkspartei zu sein, verwirkt. (Beifall bei der LINKEN – Klaus Uwe Benneter [SPD]: Sie reden dem Volk nach dem Mund!) – Dazu muss ich Folgendes sagen, Herr Kollege: Wenn man das Parlament durch den Haupteingang und nicht durch den Hintereingang betritt, stellt man fest, dass über dem Eingang „Dem Deutschen Volke“ steht. Wenn ihr so weitermacht, müsst ihr draufschreiben: „Der Deutschen Versicherungswirtschaft“. Das kommt eurer Politik nämlich näher. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos]) Zum Schluss möchte ich Folgendes anmerken: (Zurufe von der CDU/CSU: Gott sei Dank!) Gewerkschaften und Arbeitnehmer werden es nicht ver- gessen, wenn ausgerechnet die Sozialdemokratie, die ihre Verbindung zu den Gewerkschaften so gerne betont, so etwas macht. Heute früh habe ich gesehen, dass der Kol- lege Steppuhn, ein Mitglied Ihrer Fraktion, gegen dieses Konzept stimmen wird. Im Gegensatz zu Ihnen, Kollege Brandner, versteht er noch etwas von der Praxis. Er weiß, was das bedeutet. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos]) Gegenwärtig würde die SPD 25 Prozent der Stimmen erhalten. Sie nähern sich zielstrebig, von oben, dem Projekt 18. Das haben Sie auch verdient. Wenn man, wie Sie, die Arbeitnehmer auf die Weise betrügt, dass man vor der Wahl das Gegenteil von dem sagt, was man nachher macht, und sich dann auch noch über die Be- schwerden aufregt, wie Herr Müntefering, dann kann ich dazu nur sagen: Sie tragen dazu bei, dass der Politiker in diesem Land inzwischen den Ruf eines Trickbetrügers hat. Hören Sie auf mit dieser Politik! (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos]) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Irmingard Schewe-Gerigk für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen. (Dr. Ralf Brauksiepe [CDU/CSU]: Jetzt wird es hoffentlich etwas differenzierter! – Gegen- ruf der Abg. Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Wir holen für euch die Kasta- nien aus dem Feuer!) Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Viele von uns waren in den letzten Monaten zu Veranstal- tungen von Gewerkschaften und Verbänden eingeladen. Dort wurde deutlich: Die Rente mit 67 ist gewiss keine populäre Entscheidung, vor allem weil die meisten Men- schen diese Entscheidung vor dem Hintergrund der heutigen Arbeitsmarktsituation sehen; wir haben gerade gehört, dass das bei der Linksfraktion ähnlich ist. Dabei ist eines klar, Herr Ernst: Wenn die Rente mit 67 voll wirksam wird, also im Jahre 2029, wird es aufgrund der demografischen Entwicklung 8 Millionen Menschen im Erwerbsalter weniger geben. (Elke Ferner [SPD]: Die können nicht rechnen!) 8670 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. März 2007 (A) (C) (B) (D) Irmingard Schewe-Gerigk Wenn Sie die Ihrer Meinung nach zusätzlich benötigten 1,2 Millionen Arbeitsplätze davon abziehen, haben wir immer noch eine erkleckliche Summe. Ihr Argument können Sie also vergessen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD – Zurufe von der LINKEN) Die Unternehmen werden also, ob sie wollen oder nicht, ihre Jugendzentriertheit aufgeben und sich auf eine alternde Belegschaft einstellen müssen. Die lange Übergangszeit von 22 Jahren schafft Planungssicherheit. Betriebe können rechtzeitig in die betriebliche Weiterbil- dung und Gesundheitsförderung sowie in eine bessere Arbeitsorganisation investieren. Für uns Grüne ist die Integration Älterer in den Arbeitsmarkt eine wesentliche Voraussetzung für die Rente mit 67. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir erwarten von der Regierung, dass sie uns alle zwei Jahre die Beschäftigungssituation der über 55-Jährigen darlegt, damit möglicherweise weitere Maßnahmen er- griffen werden können. Wir stehen zu einer schrittweisen Erhöhung des Renten- alters, wie sie auch in Großbritannien, Dänemark und Portugal vorgesehen ist. Wir Grüne stehen dazu, und das auch in der Opposition. Wir wollen nämlich, dass auch unsere Kinder noch eine verlässliche Rente bekommen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD) Die Linksfraktion macht es sich einfach. Sie leugnet die demografische Entwicklung. Neuerdings hat sich auch die FDP der Fundamentalopposition angeschlossen. (Dr. Ralf Brauksiepe [CDU/CSU]: Wohl wahr! – Widerspruch bei der FDP) Noch in der Bundestags-Enquete-Kommission „Demogra- fischer Wandel“ waren Sie mit uns für eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit. Aber, Herr Kolb, was stört Sie schon Ihr dummes Geschwätz von gestern? (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Ralf Brauksiepe [CDU/CSU]: Leider wahr!) Ich kann dazu nur sagen: Mit einer solchen Position haben Sie ein Dauerabo für die Opposition gebucht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Gestatten Sie eine Zwischenfrage? Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Sehr gerne, Herr Kolb. Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Frau Kollegin Schewe-Gerigk, wären Sie bereit, mir zuzustimmen, dass Sie hier ein doppelbödiges Spiel betreiben? (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Anton Schaaf [SPD]: Nein!) Sie wollen doch die Rente mit 67 ablehnen und haben kein eigenes alternatives Konzept. (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die FDP allerdings hat sich der Mühe unterzogen, hier einen eigenen Vorschlag zu unterbreiten, wie die längere Teilhabe älterer Menschen am Erwerbsleben tatsächlich gewährleistet werden kann. Das unterscheidet uns. Wir betreiben keine Fundamentalopposition. Wir bewerten – genau wie Sie – kritisch den Vorschlag der Regierung und werden – genau wie Sie – diesen Vorschlag ablehnen. Wir aber haben einen eigenen Vorschlag anzu- bieten, von dem wir glauben, dass er besser ist. (Beifall des Abg. Carl-Ludwig Thiele [FDP]) An der Stelle stehen Sie ziemlich nackt da. Wären Sie bereit, mir zuzustimmen? (Beifall bei der FDP) Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Herr Kollege Kolb, ich freue mich, dass Sie meine Redezeit verlängern. – Haben Sie vielleicht einmal auf die Tagesordnung geschaut, ob ein Entschließungsantrag der Grünen-Bundestagsfraktion darauf steht, (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das ist aber kein Konzept!) der da lautet, dass wir für die Rente mit 67 sind, dass wir eine Teilrente vorsehen, dass wir die Ausnahmeregelung ablehnen? (Klaus Brandner [SPD]: Geschlafen!) Haben Sie das vielleicht einmal gelesen? Nun zu Ihrem Konzept. Ich hatte eigentlich nicht so viel Redezeit, aber wenn Sie mich dazu auffordern, sage ich etwas dazu. (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Gerne!) Sie schlagen vor, dass man statt mit 67 mit 60, aber mit Abschlägen, in Rente geht (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Kann, nicht muss!) – ja, gehen kann. Wer kann denn diese Regelung in An- spruch nehmen? Das sind die gutverdienenden Männer, die eine entsprechend hohe Rente haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD) Sie wissen ganz genau, dass sich das Intentegehen mit 60 und den damit verbundenen Abschlägen in Höhe Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. März 2007 8671 (A) (C) (B) (D) Irmingard Schewe-Gerigk von 25 Prozent nur leisten kann, wer ein hohes Einkommen hat. Schauen Sie sich einmal die durchschnittliche Rente von Frauen an! Sie haben gesagt, von der Möglichkeit könne nur jemand Gebrauch machen, der mindestens das Grundsicherungsniveau erreicht. Die durchschnittliche Frauenrente liegt heute bei 500 Euro. Viele Frauen könnten überhaupt nicht in den Genuss Ihrer Regelung kommen. Darum lehnen wir einen solchen Blödsinn ab. Er ist Ausdruck der Klientelpolitik und passt zu Ihnen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD – Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN], zu Abg. Dr. Heinrich L. Kolb [FDP] gewandt: Fragen Sie noch etwas!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Zeiten von Norbert Blüm sind vorbei, in denen man den Menschen vorgaukeln konnte, die Rente sei sicher. Die Menschen erwarten auch von der Opposition nicht nur Klamauk oder Opportunismus, sondern ehrliche Antworten. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN) Zu diesen ehrlichen Antworten gehört, dass bei uns we- gen der niedrigen Geburtenrate und der steigenden Le- benserwartung immer weniger Erwerbstätige immer mehr und immer länger Renten zahlen müssen. (Frank Spieth [DIE LINKE]: Schon mal was von Produktivität gehört?) Darum gerät der Generationenvertrag zunehmend aus dem Lot. Heute sind es zwei Erwerbstätige – ich habe da andere Zahlen als Sie, Minister Müntefering –, die für eine Rente aufkommen müssen, ohne Reformen wäre das Verhältnis künftig eins zu eins. Es gäbe andere Möglichkeiten zur Stabilisierung der Rentenversicherung: Man kann die Beiträge erhöhen; aber damit belastet man einseitig die Erwerbstätigen. Man kann auch das Nettorentenniveau kürzen; dann be- trifft das aber nur die Rentnerinnen und Rentner. (Zuruf des Abg. Klaus Ernst [DIE LINKE]) Das wäre eine Rentenkürzung. – Beide Lösungen schei- den für uns Grüne aus, weil wir nicht einseitig eine Ge- neration belasten wollen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Kollegin Schewe-Gerigk, gestatten Sie eine Zwi- schenfrage des Kollegen Ernst? Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Gerne, Kollege Ernst. Klaus Ernst (DIE LINKE): Frau Kollegin, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu neh- men, dass die Arbeitnehmer, wenn sie das Rentenniveau, das sie heute haben, sichern wollen, zusätzliche Beiträge in eine private Versicherung geben müssen und damit natürlich eine faktische Beitragserhöhung haben, die hö- her ist, als wenn sie paritätisch von Arbeitgebern und Arbeitnehmern finanziert würde, oder ist Ihnen das ent- gangen? (Beifall bei der LINKEN) Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Das ist mir nicht entgangen, Herr Kollege Ernst. Sie wissen, dass die Riesterrente inzwischen zu einem Er- folgsmodell geworden ist: 8 Millionen Menschen haben inzwischen einen solchen Vertrag abgeschlossen. Es gibt gar keine bessere Anlagemöglichkeit als diese, (Lachen bei der LINKEN) weil sie vom Staat gefördert wird. Ich sehe hier auf der Tribüne sehr viele junge Men- schen. Man kann den jungen Menschen wirklich nur ra- ten, sich rechtzeitig darauf einzustellen. (Volker Schneider [Saarbrücken] [DIE LINKE]: In welchem Aufsichtsrat sitzen Sie denn?) Denn wenn wir länger leben werden – und wir wissen, dass die Lebenserwartung weiter steigt –, dann brauchen wir sehr frühzeitig eine Absicherung, die auf drei Säulen steht. (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Das kostet doch Geld!) Dazu gehören die gesetzliche Rentenversicherung, die gegen Armut sichert, eine private Vorsorge und eine be- triebliche Alterssicherung. Diese drei Säulen werden es ermöglichen, dass die Menschen auch in vielen Jahr- zehnten noch ein auskömmliches Leben haben werden. Dafür stehen wir. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD) Wir stehen für Generationengerechtigkeit und darum unterstützen wir die Initiative von Minister Müntefering im Grundsatz. (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Aber?) An dieser Stelle enden allerdings unsere Gemeinsamkei- ten; denn meine Fraktion ist nicht bereit, Ihrer neuen ab- schlagsfreien Rente nach 45 Versicherungsjahren zu- zustimmen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Diese Regelung diskriminiert Frauen, Erwerbslose und Menschen, die spät in den Beruf einsteigen. Die Rege- lung ist sozial unausgewogen, verstößt gegen europäi- sches Recht, ist verfassungsrechtlich bedenklich und fi- nanzpolitisch nicht vertretbar. Zugegeben, das ist jetzt harter Tobak, aber ich werde das gleich begründen. Alle Sachverständigen, auch Ihre eigenen, haben das in der Anhörung so gesehen, und selbst der Bundesrat hat entsprechende Einwände vorgebracht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 8672 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. März 2007 (A) (C) (B) (D) Irmingard Schewe-Gerigk Herr Minister, ich weiß ja, dass die Sauerländer stur sind, aber nach derart eindeutigen Aussagen hätte ich er- wartet, dass Sie Ihr Gesetz noch einmal ändern. Sie ver- fahren nach dem Motto – da muss ich Ihnen Recht ge- ben, Herr Kolb –: Augen zu und durch. – Ich kann nur noch einmal den Bundespräsidenten auffordern, diesem Gesetz seine Unterschrift zu verweigern. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie, meine Damen und Herren von den Regierungs- fraktionen, gaukeln den Menschen vor, die abschlagfreie Rente nach 45 Jahren belohne Menschen in belastenden Berufen. Das ist wirklich Etikettenschwindel. Der Dach- decker kommt nicht in den Genuss; der geht nämlich mit 58 Jahren in die Erwerbsminderungsrente. Ein Bauarbei- ter kommt wegen Zeiten der Arbeitslosigkeit im Winter nicht auf die 45 Jahre und eine Krankenschwester erst recht nicht. Profitieren werden von Ihrer Regelung An- gestellte im öffentlichen Dienst, die schon jetzt eine gute Versorgung haben. Finanzieren müssen das alle Versi- cherten. Damit haben Sie Ihr Ziel verfehlt; das wissen Sie auch. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Nur 4 Prozent der Frauen, die im Jahr 2004 in Rente gingen, hatten 45 Beitragsjahre erreicht. Bei den Män- nern waren es 41 Prozent; das ist das Zehnfache, wenn ich es richtig ausgerechnet habe. Das ist eine mittelbare Diskriminierung von Frauen. Nun halten Sie dagegen: Die Erwerbstätigkeit künfti- ger Frauengenerationen nehme zu und außerdem gebe es künftig die Kinderberücksichtigungszeiten. – Dieses Glatteis betrete ich nicht. Sie müssen sich schon ent- scheiden: Entweder nimmt die Frauenerwerbstätigkeit zu, dann werden diese Zeiten gar nicht berücksichtigt, oder die Frauen geben ihre Erwerbstätigkeit aufgrund ih- rer Kinder auf; dann erhalten sie die Anrechnungszeiten. Aber um mit den Anrechnungszeiten zu einer abschlag- freien Rente zu kommen, müssten nicht erwerbstätige Frauen mindestens zehn bzw. 15 Kinder bekommen. Ein solches Familienkonzept hat, glaube ich, noch nicht ein- mal Die Linke im Saarland, Herr Lafontaine, oder? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Frau Kollegin, Sie haben gleich die Möglichkeit, noch einmal zu sprechen, weil der Kollege Kolb eine Kurzintervention angemeldet hat. Ich bitte Sie aber, jetzt zum Schluss Ihrer Rede zu kommen. Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Ich komme jetzt zum Schluss. Ich frage die Vertreter und Vertreterinnen der Regie- rungskoalition: Wie wollen Sie eigentlich einer Verfas- sungsrichterin erklären, dass jemand, der mit 20 in den Beruf geht, zwei Jahre länger Rente bezieht als jemand, der das erst mit 22 Jahren tut, aber die gleichen Renten- anwartschaften hat? Dabei wünsche ich Ihnen viel Spaß. Herr Minister, wenn Sie behaupten – Vizepräsidentin Petra Pau: Sie können jetzt nicht noch etwas Neues anfangen. Bitte den letzten Satz! Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): – das ist wirklich der letzte Satz –, dass Sie mit dieser Regelung die Akzeptanz der Rente mit 67 erhöhen, kann ich Ihnen nur sagen: Das ist keine glaubhafte Politik. Verkaufen Sie die Menschen doch nicht für dumm! Sie werden ganz schnell merken, wer die Zeche für Ihre Be- ruhigungspille zahlen muss. Glaubhafte Politik sieht an- ders aus. Darum werden wir diesem Gesetzentwurf nicht zustimmen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Kollege Kolb. Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Frau Kollegin Schewe-Gerigk, Sie haben in Ihrer Antwort auf meine Frage unser Konzept – ich vermute einmal: versehentlich – falsch dargestellt. Sie haben keine weitere Zwischenfrage zugelassen, mit der ich die Falschdarstellung hätte korrigieren können. Deswegen muss ich diese Kurzintervention machen. Erstens will ich Sie darauf hinweisen, dass man nach dem Konzept der FDP mit 60 in Rente gehen kann, aber nicht muss. Es ist ein Angebot an ältere Arbeitnehmerin- nen und Arbeitnehmer. Es ist eine wirksame Rückfallpo- sition in einer schwierigen Situation, die nicht zuletzt mit Stimmen der Grünenfraktion in diesem Hause in den letzten Legislaturperioden herbeigeführt worden ist. Mit 60 den Arbeitsplatz zu verlieren, noch 18 Monate lang Arbeitslosengeld I zu beziehen und dann auf Hartz IV zurückgeworfen zu werden – das ist eine menschenun- würdige Situation, die viele Menschen in unserem Lande belastet. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Hier sagen wir: Mit dem Angebot der Rente ab 60 wird es möglich, sich aus eigener Kraft, mit dem, was man bis zu diesem Zeitpunkt an Anwartschaften erworben hat, in dieser schwierigen Situation zu helfen. Darum geht es, Frau Schewe-Gerigk; das muss ich hier deutlich machen. Zweitens. Ich glaube nicht, dass durch unser Angebot ein Anreiz zu einer flächendeckenden Verrentung mit 60 erfolgt. Ich weiß nicht, woher Sie die Information haben, die Abschläge würden 27 Prozent betragen. Ich kann das nicht nachvollziehen. Nach geltendem Recht sind es 18 Prozent, die man dann aber teilweise ausgleichen kann. Es ist vollkommen klar: Durch die Kumulation von Arbeitseinkommen und Rente, die zumindest teil- weise versteuert werden muss, lohnt sich der Vollrenten- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. März 2007 8673 (A) (C) (B) (D) Dr. Heinrich L. Kolb bezug ab 60 in der Regel nicht. Aber es wird sehr inte- ressant sein, eine reduzierte Arbeitszeit mit einer Teilrente zu kombinieren. Damit eröffnet man den Men- schen die Möglichkeit, sich Zug um Zug gleitend aus dem Arbeitsleben zurücknehmen und in das Leben als Rentner sozusagen hineinzuwachsen. Darum geht es. Der dritte Punkt, auf den ich hinweisen will. Für die Prüfung der Grundsicherungsfreiheit stellen wir auf die Bedarfsgemeinschaft ab. Das heißt, dass auch Frauen, die in der Regel niedrigere Ansprüche haben, in die Lage versetzt werden, ihre bis dahin erworbenen Anwart- schaften in einen Rentenbezug umzusetzen. Unser Modell ist kein Modell für Menschen mit höhe- rem Einkommen. Das Modell steht allen offen. 90 Prozent der Bevölkerung werden die Möglichkeit ha- ben, von diesem flexiblen Übergang Gebrauch zu ma- chen. Das sind die Kernpunkte. Sie haben unser Modell bewusst falsch dargestellt. Deswegen war diese Kurzin- tervention erforderlich. (Beifall bei der FDP) Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Herr Kollege Kolb, ich glaube, Sie haben mich be- wusst missverstanden. (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das ist klar!) Ich hatte mich zuerst versprochen, habe aber dann ge- sagt, dass man mit 60 in Rente gehen kann. – Aber wer kann denn mit 60 in Rente gehen? Schauen Sie doch ein- mal in der Dokumentation der Anhörung nach, wie hoch die Abschläge sein werden, wenn man mit 60 in Rente geht und das Referenzalter, wie Sie auch sagen, 67 ist. Das können nur Menschen, die ein hohes Einkommen haben und nebenbei noch etwas verdienen. Bei dieser Gelegenheit wollen Sie dann gleich noch einen Kombilohn für Rentner und Rentnerinnen ein- führen; denn Sie wissen ganz genau: Wenn man mit 60 in Rente gehen und ohne Hinzuverdienstgrenzen, die Sie ja beseitigen wollen, erwerbstätig sein kann, dann wer- den die Menschen sicherlich von der Möglichkeit Ge- brauch machen und noch sehr lange arbeiten, hinzuver- dienen und ihre Arbeitskraft billig auf dem Arbeitsmarkt anbieten. Ich habe Ihr Konzept verstanden. Ich verstehe, dass die FDP ein solches Konzept vorlegt, weil das wieder Klientelpolitik ist. Die Berechnung, wie viele Frauen es sich wegen der Abschläge nicht leisten können, mit 60 Jahren in Rente zu gehen, reiche ich Ihnen nach. Wir werden ja sicher- lich noch einmal darüber diskutieren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Klaus Brandner für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Klaus Brandner (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gegen die Rente mit 67 gibt es mas- sive und zuweilen wütende Proteste. Gerade wir Sozial- demokraten waren in den letzten Monaten Zielscheibe dieser Aktivitäten. Dieser Streit ist aus meiner Sicht zum Teil in einer Art und Weise geführt worden, die ich bisher auch aus harten politischen Auseinandersetzungen nicht kannte. Abge- ordnetenkollegen wurden steckbrieflich verfolgt, be- droht und als Arbeiterverräter beschimpft. (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Stimmt auch!) An mir, als jemand, der seine Heimat in der IG Metall und sein Leben in den Dienst der Arbeitnehmerinteres- sen gestellt hat, geht dieser Protest nicht spurlos vorüber. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Um es klar zu sagen: Ich habe Verständnis für die Sorgen und Ängste der Menschen. Diese Sorgen für die eigenen Zwecke zu instrumentalisieren, Ängste zu schü- ren und die Menschen zu verunsichern, ist jedoch heuch- lerisch und verantwortungslos. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Wir haben es gerade wieder gehört: Erwartet wird, dass eine Politik nach Meinungsumfragen und möglichen Wahlergebnissen betrieben wird. Das ist keine Politik aus Verantwortung. Das ist eine Politik, die den Men- schen Angst macht. Kollege Ernst, dafür haben Sie ge- rade wieder ein Beispiel geliefert. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie des Abg. Hans-Michael Goldmann [FDP] und der Abg. Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]) Für mich und meine Partei will ich hier jedoch klar sagen: Wir nehmen die Sorgen der Menschen sehr ernst. (Lachen bei der LINKEN) Wir wissen: Viele Menschen können es sich nicht vor- stellen, ihre Arbeit bis zum 67. Lebensjahr durchzuhal- ten. Natürlich kann man vom Dachdecker nicht erwar- ten, dass er seine Arbeit auf dem Dachfirst bei Wind und Wetter noch mit 67 leistet. (Volker Schneider [Saarbrücken] [DIE LINKE]: Statistisch gesehen ist er mit 63 Jahren tot!) Was kann man zum Beispiel dem Sichtprüfer, der mit höchster Konzentration stundenlang Tausende von Tei- len auf mikroskopisch kleine Fehler untersucht, oder dem Arbeiter im Dreischichtsystem am Band oder den Pflegekräften, die nicht nur körperlich, sondern auch psychisch bis an die Grenzen der Belastbarkeit gefordert werden, zumuten? Die Antwort kann nicht sein: weitere Arbeitsverdichtungen, längere Tages- und Wochenar- beitszeiten und weniger Pausen. Nein, wir brauchen eine 8674 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. März 2007 (A) (C) (B) (D) Klaus Brandner tägliche Entlastung, angepasste Taktzeiten und weniger Belastungen. Wir fordern: Die Arbeitsbedingungen müssen verbessert werden. Arbeit darf nicht krank ma- chen, Arbeit muss leistbar sein. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Das heißt, wir brauchen gesundheitsgerechte und alters- gerechte Arbeitsbedingungen. Ich will an dieser Stelle ganz deutlich sagen: Wenn die großen Wirtschaftsverbände die Kraft, die sie für Forderungen zum Abbau des Kündigungsschutzes, der Mitbestimmung und der Arbeitnehmerrechte generell aufbringen, dafür verwenden würden, die Arbeitsbedin- gungen zu verbessern, dann wären wir in diesem Land schon ein wesentliches Stück weiter. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir müssen die Arbeit den Menschen anpassen und nicht umgekehrt. Auch, um Belastungen zu mindern, brauchen wir in Zukunft gleitende Übergänge. Die Altersteilzeit bietet diese Möglichkeit, und die Alters- teilzeit läuft nicht aus. Der Bundesarbeitsminister hat es hier noch einmal deutlich gesagt und den Menschen da- mit ein Signal des Vertrauens gesandt: Die Altersteil- zeitregelung, die durch die Bundesagentur wegen der hohen Arbeitslosigkeit und der geburtenstarken Jahr- gänge besonders gefördert worden ist, aber von vornhe- rein bis zum 31. Dezember 2009 befristet war – also noch fast drei Jahre gilt –, läuft mit Wirkung des Jahres 2015 aus. Das ist ein langer Planungszeitraum, auf den man sich einstellen kann. Wir Sozialdemokraten sind auch bereit, über flexible Übergänge zu reden, durchaus unter Einbeziehung der Bundesagentur. Aber eine ver- blockte Altersteilzeitform in der jetzt gültigen Fassung stellt ein Frühverrentungsmodell dar, das wir im Kern ablehnen und nicht als zukunftsgerichtet einschätzen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich will an diesem Punkt auch ganz deutlich sagen: Es ist schon ungeheuerlich, was die Spitzenverbände der Wirtschaft in diesem Bereich tun. Hier in Berlin laufen sie den Abgeordneten die Büros ein und fordern laut die Abschaffung der durch die Bundesagentur geförderten Altersteilzeit. Vor Ort, zum Beispiel in den Großbetrie- ben wie Siemens, Bosch und Daimler, werden die Be- triebsräte unter Druck gesetzt, und es wird gesagt: Würde es die durch die BA geförderte Altersteilzeit nicht mehr geben, könnten keine Auszubildenden mehr eingestellt oder Ausgebildete nicht in ein Anstellungs- verhältnis übernommen werden. Man muss dazu deut- lich sagen: Es ist ein Skandal, was sich teilweise im Land abspielt. Hier werden Betriebsräte instrumentali- siert. Das ist nicht in Ordnung. Insofern wehren wir uns gegen diese negative Praxis. (Beifall bei der SPD) Für uns, meine Damen und Herren, stand immer fest: Rente mit 67 kommt nur, wenn ältere Arbeitnehmer auf dem Arbeitsmarkt bessere Chancen haben. Das ist die Voraussetzung für die Anhebung des Renteneintritts- alters. Deshalb haben wir im Gesetz auch eine Überprü- fungsklausel vorgesehen. Weil es sich um eine verbindli- che Überprüfung handelt, sind wir damit eine politische Verpflichtung eingegangen. Ich kann die Forderung von Frau Schewe-Gerigk, alle zwei Jahre einen entsprechen- den Bericht vorzulegen, nur begrüßen. Aus der von der Bundesagentur veröffentlichten Statistik geht jeden Mo- nat hervor, wie sich die Zahl der älteren Arbeitslosen in diesem Land entwickelt bzw. welche Fortschritte beim Abbau der Arbeitslosigkeit erzielt werden. Die Beschäf- tigungsquote der Älteren muss steigen; das steht fest. Mit der Initiative „50 plus“ schaffen wir zum einen Be- dingungen, dass Ältere gar nicht erst arbeitslos werden müssen, und zum anderen sorgen wir durch geeignete Förderinstrumente dafür, dass diejenigen, die arbeitslos sind, wieder eine Chance auf Beschäftigung bekommen. (Beifall bei der SPD) Es tut sich was in diesem Land, meine Damen und Herren. Man muss sich nur einmal die Datenlage des letzten Monats vor Augen führen: Die Zahl der arbeitslo- sen über 50-Jährigen ist im Vergleich zum Vorjahr, also von Februar 2006 zu Februar 2007, um 172 000 zurück- gegangen. Wir sehen also, dass sich die Verhältnisse än- dern. Diesen Prozess müssen wir aktiv gestalten, anstatt so zu tun, als sei die Welt statisch und die jetzige Aus- gangssituation für immer festgeschrieben und nicht ver- änderbar. (Beifall bei der SPD) Deshalb sage ich Ihnen, Kollege Ernst, der Sie von einer Luftnummer bei der Entwicklung der Arbeitslosenzah- len gesprochen haben, ganz klar: Wer hier Luftnummern verzapft, spürt jeder anhand der Datenlage. Wir nehmen die Zahlen ernst. Wenn Sie auch ernst genommen wer- den wollen, dann sollten Sie diese harten Daten akzep- tieren. (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Ha, ha! – Dr. Peter Struck [SPD]: So ist es!) Der Schlüssel zu längerer Erwerbstätigkeit liegt in der fortlaufenden Qualifizierung und Weiterbildung der Beschäftigten, und zwar, bitte schön, nicht nur in der Führungsetage, sondern aller Beschäftigten. Zu den jetzt schon wieder von vielen Unternehmen zu hörenden Kla- gen über Fachkräftemangel sage ich ganz klar: Der Ge- setzgeber ist der völlig falsche Adressat. Der Adressat ist die Wirtschaft selber. Sie hat es jetzt in der Hand, dafür zu sorgen, dass es genügend Fachkräfte in unserem Land gibt. (Beifall bei der SPD) Wir erwarten in diesem Bereich seitens der Unterneh- men ganz klar mehr Anstrengungen und mehr aktive Un- terstützung für die Bemühungen der Betriebsräte, die Arbeitsbedingungen zu verbessern und den Ausbau der Weiterbildungsmöglichkeiten zu forcieren. Für uns steht fest: Wir müssen den Rentenzugang fle- xibilisieren. Das ist eine wichtige Aufgabe. Alle Parteien haben diese Notwendigkeit bei den Beratungen in der letzten Sitzung des Ausschusses, die sich zu diesem The- menkomplex über mehrere Stunden erstreckten, Herr Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. März 2007 8675 (A) (C) (B) (D) Klaus Brandner Kollege Kolb, erkannt. Natürlich müssen die Arbeitsbe- dingungen verbessert werden. Das ist die Hauptaufgabe der Unternehmen. Nur so können wir erreichen, dass die Menschen gesund in Rente gehen können. Wir wollen die Finanzierungsgrundlage der Rente stärken. Mehr Menschen in Arbeit; der Weg ist beschrie- ben. Dazu brauchen wir gutes wirtschaftliches Wachs- tum; das entwickelt sich zurzeit. Wir wollen die Alters- grenzen an die demografische Entwicklung anpassen. Wir wissen: Wir starten später ins Arbeitsleben und leben länger. Es gibt also keine Verlängerung der Le- bensarbeitzeit, sondern nur eine Anpassung an die veränderten Verhältnisse und die Entwicklungen der Vergangenheit. Wir wollen die Beschäftigungschancen Älterer erhöhen: durch alternsgerechtes Arbeiten, glei- tende Übergänge, flexiblen Ausstieg. Das leisten wir mit dem Tandem der vorliegenden Gesetzentwürfe. Beide Gesetze gehören zusammen, und beide sind – davon bin ich überzeugt – notwendig und richtig und werden das deutsche Rentenversicherungssystem zukunftssicher in die nächsten Jahre führen. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Jörg Rohde für die FDP- Fraktion. (Beifall bei der FDP) Jörg Rohde (FDP): Herr Minister Müntefering! Sehr geehrte Damen und Herren! Frau Präsidentin! Die heutige Debatte um die Rente mit 67 und die Maßnahmen zur Verbesserung der Beschäftigungschancen Älterer beschließen ein miss- glücktes Kapitel sozialpolitischer Reformversuche, auch wenn heute natürlich versucht wird, das anders darzu- stellen. (Beifall bei der FDP) Die Rente mit 67 und die arbeitsmarktpolitischen Be- gleitgesetze werden weder den Menschen, die sie betref- fen, gerecht, noch lösen sie die anzugehenden Probleme. (Beifall bei der FDP) Herr Ernst, warum man die Linke nicht ernst nimmt, ist mit einem Satz gesagt: Sie bleiben vor dem Hinter- grund der demografischen Entwicklung die Antwort schuldig, wie Sie in der Zukunft ein stabiles und finan- zierbares Rentensystem erreichen wollen. (Beifall bei der FDP) Frau Schewe-Gerigk, Sie sind eben auf die Riester- Rente eingegangen. Die Riester-Rente war nur ein Pro- pagandatrick, um die Rentenkürzung durch Rot-Grün zu kaschieren. Auch das muss einmal gesagt werden. (Beifall bei der FDP) Herr Brandner hat sich mit der Aufgabe von Betriebs- räten auseinandergesetzt. Betriebsräte vor Ort sollten sich weder von Unternehmen noch von Gewerkschaften oder gar von der SPD instrumentalisieren lassen. (Beifall bei der FDP) Sie werden von den Arbeitnehmern vor Ort gewählt. Deswegen sollen sie unabhängig sein. (Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Sehr richtig!) Dann können sie ihre Aufgabe wahrnehmen. (Anton Schaaf [SPD]: Deshalb wollen Sie auch deren Rechte beschränken!) Die Anhörungen haben gezeigt, dass das vorgeschla- gene Paket der Arbeitsmarktmaßnahmen unzureichend ist. Die Beschäftigungsquote Älterer wird nicht nach- haltig gesteigert. Die von Ihnen aufgeführten Maßnah- men kann man wieder nur als alten Wein in alten Schläu- chen bezeichnen. (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Weder die vorgeschlagene Ausweitung von Weiterbil- dungsmaßnahmen für befristete Arbeitsverhältnisse noch Lohnzuschüsse werden die Beschäftigung Älterer signifikant steigern können. Entsprechend erwartet das Bundesministerium auch nur eine Zunahme der Beschäftigung Älterer von bis zu 100 000 Personen, was für die 55- bis 64-Jährigen gerade einmal eine Steigerung von 1 Prozentpunkt von 45 auf 46 Prozent ausmachen würde. Das kann ja wohl nicht reichen. Um den anstehenden Aufgaben gerecht zu werden, ist es nach Ansicht der FDP notwendig, ein grundsätzliches Umdenken im Bereich der Rentenversicherung anzusto- ßen und das Verhältnis von Arbeit und Rentenbezug neu anzupassen. Die Lebensarbeitzeit der Menschen ist zu verlängern und dafür die Beschäftigungsquote Älterer zu erhöhen. Dies kann aber nicht durch eine verordnete Rente mit 67 über die Köpfe der Versicherten hinweg ge- schehen. Vielmehr müssen Möglichkeiten zum Beschäf- tigungsaufbau im Alter durch geeignete Rahmenbedin- gungen und Anreize geschaffen werden. (Beifall bei der FDP) Dr. Kolb hat eben den konstruktiven Vorschlag der FDP dargelegt. Mit einem solchen System wird man den Interessen Älterer gerecht, wie ich an einem Beispiel kurz schildern möchte: Ein Versicherter, der mit 60 ar- beitslos wird, weil seine Firma insolvent wird, fällt nach heutiger Rechtslage erst auf das ALG I und nach 18 Monaten auf das ALG II, Hartz IV, zurück. Er muss dann sein Vermögen einsetzen, bevor er eventuell, wenn er 45 Versicherungsjahre gearbeitet hat, mit 63 Jahren in Rente gehen kann. Allerdings unterliegt er dann – heute bis zum 65., später bis zum 67. Lebensjahr – engen Zu- verdienstgrenzen; bei einer Vollrente sind das 350 Euro. So kann er seine Abschläge nicht durch Zuverdienst aus- gleichen und seinen Lebensstandard halten. Mit dem von der FDP vorgeschlagenen Modell kann der Versicherte entweder sofort nach der Insolvenz oder nach dem Bezug des Arbeitslosengeldes I seine Rente beanspruchen und sie durch Zuverdienst aufstocken, je 8676 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. März 2007 (A) (C) (B) (D) Jörg Rohde nachdem, was für eine Teilzeitbeschäftigung er finden möchte und kann. (Beifall bei der FDP) Dadurch kann er erstens seinen Lebensstandard halten und zweitens durch den Erwerb von Entgeltpunkten die Abschläge für die vorzeitige Rente zum Teil ausglei- chen. Den Versicherten könnten so wirkungsvoll die Ängste vor einem Rückfall auf Hartz IV im Alter ge- nommen werden. (Beifall bei der FDP) Mit dem FDP-Modell wird so eine freiheitliche Ge- staltung des Übergangs vom Erwerbsleben zum Ru- hestand ermöglicht. Genau dies wünschen sich die Menschen. Es entspricht auch den Erfordernissen einer älter werdenden Gesellschaft. Zwar sind die Menschen immer leistungsfähiger – auch bis ins höhere Alter –; aber das gilt bei weitem nicht für alle Menschen. Daher muss gerade im Alter ein Wahlrecht für die Versicherten geschaffen werden, ihren Möglichkeiten entsprechend zu arbeiten und ihren Lebensstandard zu sichern. Ich freue mich, dass auch die SPD Überlegungen an- stellt, wie man den Renteneintritt flexibler gestalten kann, und dass sie die Vorschläge der FDP vielleicht auf- greifen möchte. Auch die Gewerkschaften fordern fle- xible Regelungen. Was Sie heute vorlegen, ist verfas- sungsrechtlich bedenklich. Daher lehnt die FDP die Rente mit 67 ab. Vielen Dank. (Beifall bei der FDP) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die Unionsfraktion hat der Kollege Dr. Ralf Brauksiepe das Wort. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Ralf Brauksiepe (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir gehen heute angesichts einer älter werdenden und schrumpfenden Bevölkerung einen wichtigen Schritt, um die gesetzliche Rentenversicherung nachhaltig zu si- chern. Deswegen ist dies ein guter Tag für alle, denen das solidarische Sicherungssystem am Herzen liegt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dieter Grasedieck [SPD]) Drei Jahre längere Lebenserwartung bis 2030 und zwei Jahre längere Lebensarbeitszeit: Das bedeutet im- mer noch ein Jahr längere Rentenbezugszeit. Wer das leugnet und darauf basierende Maßnahmen bekämpft, der versucht, Adam Riese zu bekämpfen. Dieser Kampf ist nicht zu gewinnen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD) Angesichts eines Rückgangs der Arbeitslosigkeit bei den über 50-Jährigen um 13,4 Prozent allein in einem Jahr ist dieser Schritt, den wir gehen, verantwortbar. Wie richtig dieser Gesetzentwurf ist, kann man sehen, wenn man sich mit dem beschäftigt, was die Opposition hier vorgelegt hat. Ich will das einmal tun und beginne mit dem FDP-Antrag. Dieser Antrag hat eine Vorgeschichte. Herr Kolb hat auf dem letzten FDP-Parteitag einen Antrag zur Rente mit 67 gestellt. Herr Westerwelle und Herr Niebel haben sich dagegen ausgesprochen. Nach dem Motto „Wir sind doch Opposition! Warum sollen wir das beschließen?“ ist der Antrag abgelehnt worden. Dann haben Sie lange über die Frage gestritten, ob Sie nun für die Rente mit 67 oder für die Rente mit 65 sind, Herr Kolb. Das vorlie- gende Ergebnis ist eine Rente mit 60, (Widerspruch bei der FDP) allerdings nur für diejenigen, die sich das leisten können. Sie haben die Frage also nicht beantwortet. Ihren Antrag haben Sie im Ausschuss wenige Stunden vor der Sitzung vorgelegt. Auf den Hinweis, warum Sie so lange gebraucht haben, haben Sie gesagt, Sie hätten ihn schon ein paar Tage vorher über die „FAZ“ einge- bracht. (Widerspruch des Abg. Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]) Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ ist zwar eine gute Zeitung, aber sie mit einem Verfassungsorgan zu ver- wechseln, ist doch seltsam. Man muss sich daher nicht wundern, dass Sie manchmal Probleme haben, zu prü- fen, ob ein Vorschlag verfassungsgemäß ist. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD) Herr Kolb, fragen Sie einmal Ihre Friseurin, welche Rentenansprüche sie mit 60 hat und ob sie davon leben kann. Fragen Sie einmal ihren Briefträger bei der nächs- ten Gelegenheit, welche Ansprüche er mit 60 hat und ob er davon leben kann. Was Sie uns hier vorlegen, ist doch zynisch, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Brauksiepe, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Fricke? Dr. Ralf Brauksiepe (CDU/CSU): Gerne. Vizepräsidentin Petra Pau: Bitte. Otto Fricke (FDP): Verehrter Kollege Brauksiepe, es ist ja in Ordnung, wenn sich die Abgeordneten der Regierungskoalition, wie das jetzt der Fall ist, lieber Stück für Stück an den Vorschlägen der Opposition abarbeiten als an den eige- nen Vorschlägen. Wenn Sie, was Ihr gutes Recht ist, un- sere Vorschläge kritisieren, dann muss ich Sie allerdings fragen, ob Sie heute wenigstens sagen können: Die Rente mit 67 ist sicher. Bevor Sie andere kritisieren, Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. März 2007 8677 (A) (C) (B) (D) Otto Fricke sollten Sie das tun. Ich möchte Sie daher bitten, diesen Satz zu sagen. (Beifall bei der FDP) Dr. Ralf Brauksiepe (CDU/CSU): Herr Kollege, die Kollegin Falk und die Kollegen von der SPD haben das, was wir zur ersten Lesung einge- bracht haben, ausführlich erläutert. Mit den von uns vor- gelegten Entwürfen erreichen wir die Ziele, die wir uns mit Blick auf das Rentenniveau und die Beiträge gesetzt haben, und das ist auch notwendig. Sie müssen, wenn Sie schon solchen Unsinn vorlegen, damit leben, dass darüber geredet wird. Mir ist klar, dass Ihnen das pein- lich ist. Wir reden über Ihre Vorschläge, weil sie so unse- riös sind, dass man sie nicht umsetzen kann. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD – Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Können wir die Antwort noch einmal hören?) Jetzt möchte ich etwas zu dem sagen, was die Grü- nen hier vorgelegt haben. Ich will ausdrücklich anerken- nen, dass die Grünen den Grundsatz mittragen, dass die Lebensarbeitszeit verlängert werden muss. Ich kann fest- stellen: Die Große Koalition und die Grünen erklären ge- meinsam: Es muss eine Verlängerung der Lebensarbeits- zeit über einen langen Zeitraum hinweg geben. Nur FDP und PDS sind dagegen. Das erkenne ich im Hinblick auf die Grünen ausdrücklich an. Nun sind Sie am Ende nach langem Versuchen aber doch in die Populismusfalle hineingeplumpst. Sie neh- men Anstoß an einer Günstigstellung von Menschen, die besonders lange Beiträge gezahlt haben. Frau Kollegin Schewe-Gerigk, ich spreche Sie direkt an: Ich bitte Sie zunächst einmal, bei der Wahrheit zu bleiben. Wenn Sie sagen, dass bei Bauarbeitern witterungsbedingte Zeiten der Arbeitslosigkeit nicht mitgewertet werden, dann hat das etwas mit der Vergangenheit und nichts mit der Ge- genwart zu tun. Mit der Einführung des Saisonkurzarbei- tergeldes ist dieses Problem gelöst. Ich bitte, das zur Kenntnis zu nehmen. Nun gibt es ja in dieser Zeit interessante Entwicklun- gen. Oft wimmelt unser ganzes Land von Hobbybundes- trainern. Seit ein paar Tagen erleben wir, dass die Oppo- sition voll von Hobbyverfassungsrichtern ist, (Volker Schneider [Saarbrücken] [DIE LINKE]: So wie Ihr Bundespräsident?) die alle mal soeben erklären, was alles angeblich nicht verfassungsgemäß ist. (Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Meinen Sie Herrn Professor Rürup? Wen meinen Sie eigentlich?) Hobbyverfassungsrichter brauchen wir aber nicht. Wir haben diese gesetzlichen Initiativen geprüft. Die jetzige Justizministerin war auch unter Ihrer Regierung Justizministerin. Warum glauben Sie es nicht, wenn von diesem Justizministerium erklärt wird, dass die geplan- ten Regelungen verfassungsgemäß sind? Dies hat seine guten Gründe, Frau Schewe-Gerigk: Die allgemeine Mindestversicherungszeit beträgt fünf Jahre. Für unter- tagebeschäftigte Bergleute kennt das Rentenrecht eine Wartezeit von 25 Jahren. Da bedarf es nicht der Entgelt- punkte für einen Obersteiger. Und wenn Sie nach 35 Beitragsjahren eine Regelung für langjährig Versi- cherte in Anspruch nehmen wollen, fragt auch keiner, welche Entgeltpunkte Sie angesammelt haben. In all die- sen Fällen geht es nur um die Beitragszeiten. (Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Wo waren Sie denn bei der Anhörung?) Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Brauksiepe, gestatten Sie eine weitere Zwi- schenfrage des Kollegen Ernst? Dr. Ralf Brauksiepe (CDU/CSU): Wenn ich meinen Gedanken beendet habe, Frau Präsi- dentin. Frau Kollegin, Sie haben hier Folgendes gemacht: Sie haben sich gedacht: Warum sollen wir von der Opposi- tion ein Gesetz, das umstritten ist, mittragen? Sie haben ein Haar in der Suppe gesucht, und es leider bei Men- schen gefunden, die sehr verdienstvoll zu den sozialen Sicherungssystemen beitragen. Ich sage Ihnen ganz deutlich: Langjährige Beitragszahler, Menschen, die 45 Jahre in die sozialen Sicherungssysteme eingezahlt haben, haben Respekt verdient und nicht die Neidde- batte, die Sie hier führen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD) Klaus Ernst (DIE LINKE): Herr Kollege, Sie haben gerade von Hobbyverfas- sungsrichtern gesprochen. Es ist ja so, dass in der jüngs- ten Zeit Gesetze der Bundesregierung vom Bundespräsi- denten kassiert wurden. Würden Sie auch diesen unter die Hobbyverfassungsrichter einreihen? Dr. Ralf Brauksiepe (CDU/CSU): Herr Kollege Ernst, ich darf Sie auf die Verfassungs- lage hinweisen, nach der die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen vom Bundesverfassungsgericht festgestellt wird und nicht vom Bundespräsidenten. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Die Verfassungslage ist da eindeutig. (Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Was?) Der Bundespräsident muss ein Gesetz nicht unterzeich- nen; aber er ist nicht für die abschließende Feststellung der Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes zuständig. (Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Oh!) Dafür ist das Bundesverfassungsgericht zuständig. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) 8678 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. März 2007 (A) (C) (B) (D) Dr. Ralf Brauksiepe Wir sehen jeder Überprüfung dessen, was wir hier vorle- gen, mit großer Gelassenheit entgegen. Lassen Sie mich noch wenige abschließende Bemer- kungen machen. Wir werden insgesamt ein Gesetzespa- ket verabschieden, das politisch und auch verfassungs- rechtlich Bestand haben wird. Es geht in der Tat darum, dass man hier politische Entscheidungen treffen muss. Wir haben uns politisch entschieden, und wir haben uns verfassungsrechtlich abgesichert. Ich will deutlich sa- gen: Man sollte sich nicht hinter der Verfassung verste- cken, wenn man politische Wertungen vornimmt. Alle diejenigen, die sich im Ausschuss dazu geäußert haben, sind nun wirklich keine Verfassungsrichter. (Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Was sind Sie von Beruf, Herr Kollege?) – Das ist der Unterschied: Ich lasse mich von Experten beraten. (Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Aber nicht bei diesem Gesetz!) Ich muss nicht alles selber wissen, Herr Westerwelle. Ich nehme das auch nicht für mich in Anspruch. Wir werden uns noch mit der Initiative „50 plus“ und der Förderung der beruflichen Weiterbildung beschäfti- gen. Wie wichtig das ist, sieht man – zwar nicht in der heutigen Debatte, aber in anderen – am Beispiel des Herrn Lafontaine. Wer aus Ärger über den Chef die Bro- cken hinwirft, Jahre später in den Beruf zurückkehrt und die Zeit dazwischen nicht genutzt hat, sich weiterzubil- den, der redet so wie Oskar Lafontaine und die PDS in dieser Debatte. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD) Deswegen ist es wichtig, dass wir älteren Arbeitnehme- rinnen und Arbeitnehmern das ersparen. Wir treten hier nicht an, um einen Populismuspreis zu gewinnen – wir tun das, was in dieser Situation notwen- dig ist. Deswegen darf ich mich bei den Mitgliedern der Bundesregierung und den Kolleginnen und Kollegen der Großen Koalition herzlich bedanken, dass wir dies ge- meinsam stemmen. Lieber Klaus Brandner, du hast im Zusammenhang mit dieser Debatte von persönlichen Verletzungen ge- sprochen. Lass mich dazu sagen: Diese Art von Debatte, wie ihr sie jetzt auch erlebt habt, die haben wir schon über viele Jahre erlebt, auch vor 1998. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vielleicht können wir daraus gemeinsam die Konse- quenz ziehen, auch wenn wir wieder einmal politische Gegner sind, dass es Arten des Umgangs miteinander gibt, die wir nicht wollen und die man sich in einer De- mokratie schenken sollte. (Beifall bei der CDU/CSU) Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen, herzli- chen Dank an alle, die dieses wichtige Gesetz mit vorbe- reitet haben. Wir setzen heute das gemeinsam als richtig Erkannte in der Großen Koalition gemeinsam durch, im Interesse heutiger und zukünftiger Generationen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Dr. Gregor Gysi für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Kollege Brauksiepe, vom Leiden bei Debatten verstehen auch wir eine Menge, wenn auch in ganz an- deren Zusammenhängen. Zweitens muss ich Ihnen doch eine kleine rechtliche Belehrung erteilen: Der Bundes- präsident ist nicht berechtigt, nach eigenen Vorstellun- gen zu entscheiden, ob er ein Gesetz unterschreibt oder nicht. Er ist verpflichtet, Gesetze zu unterschreiben, es sei denn, sie sind offenkundig grundgesetzwidrig; das ist der einzige Anhaltspunkt, den er hat. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Aus diesem Grunde hat er zwei Gesetze nicht unter- schrieben. Ich finde es gut, wenn wir viele Amateurverfassungs- richterinnen und -verfassungsrichter haben, weil das nämlich bedeutet, dass sie sich Gedanken darüber ma- chen, ob das, was sie beschließen, grundgesetzwidrig ist oder nicht. Ein Finanzgericht hat gerade festgestellt, dass Ihre Kürzung der Pendlerpauschale zumindest nach des- sen Auffassung grundgesetzwidrig ist, und den Fall des- halb zum Bundesverfassungsgericht geschickt. Ich finde, etwas mehr Belehrung auf der Strecke ist für Sie sinn- voll. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]) Wir haben einen wirtschaftlichen Aufschwung; da- rauf weisen Sie ständig hin. Doch ich würde Sie gerne einmal fragen, wer von diesem wirtschaftlichen Auf- schwung eigentlich etwas hat. Gibt es für die Arbeitslo- sen irgendeine Verbesserung? Sie haben die Jüngeren vom Arbeitslosengeld II ausgeschlossen, und es gibt kei- nen Inflationsausgleich; die Arbeitslosen haben alle Ver- teuerungen aus eigener Tasche zu bezahlen. Es gibt also keine Verbesserungen. Bei den Geringverdienenden kann man nur sagen: Es gibt jetzt mehr von ihnen. Auch sie bekommen keinen Inflationsausgleich. Die Geringverdienenden dienen im Kern nicht nur als billige Arbeitskräfte, sondern auch zum Vertuschen, wie hoch die Arbeitslosigkeit tatsäch- lich ist. (Beifall bei der LINKEN) Den Kranken bleiben die Zuzahlungen erhalten. Die Große Koalition hat eine Gesundheitsreform beschlos- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. März 2007 8679 (A) (C) (B) (D) Dr. Gregor Gysi sen, die ich in bestimmten Teilen für verfassungswidrig halte – wieder so ein Amateurrichter. (Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Sie haben das doch gelernt!) Wir werden sehen, ob das eines Tages auch das Bundes- verfassungsgericht so einschätzt. Klar ist bei der Ge- sundheitsreform, dass die Beiträge der Versicherten stän- dig steigen werden. Den Beitrag, den die Unternehmen zahlen, wollen Sie dagegen an einer bestimmten Stelle einfrieren. Das Ganze hat mit mehr sozialer Gerechtig- keit nichts zu tun, ganz im Gegenteil. (Beifall bei der LINKEN) Den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern haben Sie trotz der zunehmenden Entfernung zwischen Woh- nung und Arbeitsplatz die Pendlerpauschale für die ers- ten 20 Kilometer gestrichen und für die restlichen Kilo- meter deutlich gekürzt. Das hat, wie gesagt, bereits das erste Finanzgericht als verfassungswidrig eingestuft. Dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer etwas vom wirtschaftlichen Aufschwung hätten, kann also kei- ner behaupten. Zur Lohnentwicklung. Wir sind das einzige neoliberal geprägte Land, das so konsequent ist, dass die Löhne in Deutschland in den letzten acht Jahren um 0,9 Prozent gesunken sind – selbst in den USA, in Großbritannien, in Frankreich, in der gesamten EU sind die Löhne und Ge- hälter gestiegen. Nur in Deutschland sind sie gesunken. Jene haben vom wirtschaftlichen Aufschwung nichts. (Klaus Brandner [SPD]: Sie müssen den Ab- schluss in der Chemieindustrie sehen!) – Jetzt gibt es die erste Ausnahme: Im Bereich der Che- mie ist eine Lohnsteigerung von 3,6 Prozent vereinbart worden. Ich bin sehr gespannt, wie es in den anderen Be- reichen ausgeht. Nur, wir müssen hinzufügen: Es gibt immer weniger Menschen, die tarifgebunden bezahlt werden; im Osten sind es gerade noch 20 Prozent. Die anderen Menschen freuen sich schon, wenn sie einen Haustarif haben. (Beifall bei der LINKEN) Den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern nützt der Wirtschaftsaufschwung also auch nicht. Nun zu den Rentnerinnen und Rentnern, um die es heute geht. In dieser Debatte geht es weniger um die heutigen Rentnerinnen und Rentner als vielmehr um die künftigen – weshalb ich auch nie verstehe, warum die Grünen immer sagen, das alles geschehe im Interesse der jungen Leute. Wieso soll es im Interesse der Jungen lie- gen, dass sie erst zu einem späteren Zeitpunkt Rente be- kommen? (Beifall bei der LINKEN – Zuruf vom BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Ja! Das verstehen Sie wirklich nicht! Das merkt man immer wieder!) – Draußen demonstrieren übrigens gerade 3 000 junge Leute, weil sie von Ihren Vorschlägen so „begeistert“ sind; das sollten Sie sich einmal ansehen. (Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN) Seit Jahren gab es für die Rentnerinnen und Rentner Null- und Minusrunden. Jetzt wird beschlossen, das Renteneintrittsalter schrittweise auf 67 Jahre zu erhöhen. Bundesminister Glos – der sich gerade amüsiert – und Bundesminister Schäuble weisen regelmäßig darauf hin: Das ist nicht das Ende, sondern erst der Anfang. Sie müssen das Renteneintrittsalter in Zukunft noch weiter erhöhen. – Mich würde interessieren: An welches Ren- teneintrittsalter denken Sie? Wo soll das Ganze enden, bei 70, bei 75? (Elke Ferner [SPD]: Gucken Sie nicht uns an! Gucken Sie lieber mal in Richtung Union!) Ich muss Ihnen ganz klar sagen: Das ist keine Lösung des Problems. (Beifall bei der LINKEN) Wahr ist aber – hier sind wir gefordert –, dass wir Al- ternativen anbieten müssen. Es reicht nicht aus, nur zu sagen, dass einem das nicht passt. Solche Alternativen gibt es. Wir müssen zum Beispiel über die Frage nach- denken: Wer zahlt eigentlich in die gesetzliche Renten- versicherung ein? Zu Bismarcks Zeiten taten dies 90 Prozent der Beschäftigten, weil 90 Prozent aller Ein- kommensbezieher abhängig beschäftigt waren. Heute sind dies nur noch 60 Prozent. Nur 60 Prozent der Ein- kommensbezieher sind abhängig beschäftigt und zahlen in die gesetzliche Rentenversicherung ein. Deshalb schlagen wir Ihnen erstens vor, schrittweise dazu überzugehen, alle Einkommensbezieher in die ge- setzliche Rentenversicherung einzubeziehen. Dann wäre das Finanzierungsproblem an einer entscheidenden Stelle gelöst. (Beifall bei der LINKEN – Klaus Brandner [SPD]: Das ist zwar sachlich richtig, aber ein- fach nicht machbar! Das wissen Sie! Ein billi- ger Trick! Dummes Zeug!) Zweitens. Es gibt Beitragsbemessungsgrenzen. Das heißt, mit dem oberhalb einer gewissen Grenze liegen- den Einkommen haftet man nicht mehr für die Renten- versicherung. Wir schlagen Ihnen vor, die Beitragsbe- messungsgrenzen schrittweise aufzuheben, sodass man auch für das höhere Einkommen Beiträge zahlen muss. Damit die Renten nicht ins Unermessliche steigen, sollte dieser Rentenanstieg abgeflacht werden. All diese Maß- nahmen wären grundgesetzgemäß und möglich. Schließlich schlagen wir Ihnen vor, bei den Unterneh- men die Sozialabgaben, die Sie leichtfertig Lohnneben- kosten nennen, nicht länger nach der heutigen Form zu berechnen, sondern andere Kriterien heranzuziehen. Man könnte zum Beispiel die Wertschöpfung der Unter- nehmen zugrunde legen, um bei der Berechnung flexi- bler vorgehen zu können und zu gerechteren Ergebnis- sen zu kommen. Ich möchte nicht, dass ein Unternehmen, das die doppelte Zahl von Beschäftigten, aber den gleichen Gewinn wie ein anderes Unternehmen hat, doppelt so hohe Abgaben wie letzteres Unterneh- men zahlen muss. Hier muss man mehr Gerechtigkeit herstellen. Das wären echte Reformen. Aber Sie ver- 8680 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. März 2007 (A) (C) (B) (D) Dr. Gregor Gysi schieben immer nur alles nach hinten, um die Rente zu kürzen. (Beifall bei der LINKEN) Lassen Sie mich zum Schluss auf Folgendes hinwei- sen: Sie ignorieren die ökonomische Tatsache, dass die Produktivität schneller wächst als die Wirtschaft. Jahr für Jahr werden in derselben Arbeitszeit mehr Güter her- gestellt und mehr Dienstleistungen erbracht; so viel kön- nen wir gar nicht verkaufen. In eine solche Zeit passt eine Kürzung der Arbeitszeit, nicht aber eine Verlän- gerung der Arbeitszeit um zwei Jahre. (Beifall bei der LINKEN) Es gibt nur zwei Gruppen, die etwas vom Wirtschafts- aufschwung haben – das ist leider viel zu wenig –: die Best- und Besserverdienenden und ein bestimmter Teil der Konzerne. Das ist das Problem. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Brigitte Pothmer für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen. Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ja, Herr Gysi, wir stehen tatsächlich zur Notwendigkeit, die Le- bensarbeitszeit zu verlängern, und zwar aus Rücksicht auf die jungen Menschen und die nachfolgenden Gene- rationen: weil wir sie nicht durch übermäßig hohe Bei- träge belasten wollen und belasten dürfen. Durch Ihren Vorschlag, weitere Gruppen in die gesetzliche Renten- versicherung einzubeziehen, wird dieses Problem nicht gelöst. Denn das hätte nicht nur zur Folge, dass es mehr Beitragszahlerinnen und Beitragszahler gibt, sondern auch, dass dann eine weitaus größere Gruppe aus dem Topf der gesetzlichen Rentenversicherung bedient wer- den müsste und davon profitieren würde. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Dr. Ralf Brauksiepe [CDU/CSU]: Ganz genau! Aber so weit können die nicht denken!) Im Rahmen einer Bürgerversicherung wäre das möglich, auch wenn es hier zu gewissen Verschiebungen kommen würde. Aber in der gesetzlichen Kranken- und Renten- versicherung geht diese Rechnung so nicht auf. Hier muss man zusätzliche Maßnahmen ergreifen. Dazu ste- hen wir. Wir sagen aber ganz deutlich, dass die Verlängerung der Lebensarbeitszeit zwingend mit einem noch größe- ren Kraftaufwand verbunden sein muss, um ältere Men- schen ins Erwerbsleben zu bringen bzw. sie im Erwerbs- leben zu halten. Wenn das nicht gelingt, dann ist die Verlängerung der Lebensarbeitszeit ein verkapptes Ren- tenkürzungsprogramm. Ich finde, das muss in diesem Zusammenhang deutlich gesagt werden. Herr Müntefering, ich bin tatsächlich der Meinung, dass die Anstrengungen der Regierung im Rahmen der Initiative „50 plus“ völlig unzureichend sind. Mit Ihrem Programm erreichen Sie, wenn alles gut läuft, ma- ximal 100 000 Menschen. Wir haben aber circa 1,3 Mil- lionen arbeitslose Menschen über 50. Das heißt, hier stimmen die Relationen bei weitem nicht. Die Zahl der arbeitslosen älteren Menschen stagniert seit Jahren auf einem hohen Niveau. Daran hat auch der Konjunkturauf- schwung nichts Wesentliches geändert. Herr Brandner, was wirkt, sind in erster Linie die 58er-Regelung, die Al- tersteilzeitregelung und die Unterbringung von Men- schen in Maßnahmen. Mit anderen Worten: Was wirkt, ist die Statistik. Aber im wirklichen Leben hat es keine großen Veränderungen gegeben. Das tatsächliche Aus- maß der Arbeitslosigkeit hat sich leider nicht verringert. Es gibt lediglich Verschiebungen im Zahlenverhältnis von offener zu verdeckter Arbeitslosigkeit älterer Men- schen. Hier wird ein Problem mehr verschleiert als tat- sächlich gelöst. Das müssen wir, die zu dem Konzept „Rente mit 67“ stehen, deutlich sagen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das ist einer der zentralen Gründe dafür, dass es in der Bevölkerung noch immer großen Widerstand gegen das Konzept der Rente mit 67 gibt. Nach wie vor sind weit über 70 Prozent gegen die Verlängerung der Le- bensarbeitszeit. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Großen Koalition, ein weiterer Grund dafür ist, dass Sie nicht wirklich für dieses Konzept eintreten und Überzeugungsarbeit leisten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wenn wir – ich sage ganz bewusst: wir – dieses Projekt erfolgreich umsetzen wollen, dann reicht es nicht, das im Parlament mit Mehrheit – egal wie groß sie ist – zu be- schließen. Vielmehr brauchen wir eine Mehrheit in der Bevölkerung für dieses Projekt. Das bedeutet, dass wir dafür kämpfen und argumentieren müssen. Hier darf man sich nicht in die Büsche schlagen, wie die Vertreter der Großen Koalition das immer wieder tun. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie versuchen noch nicht einmal, den Menschen die- sen notwendigen Schritt plausibel zu machen. Wir Grüne waren in den vergangenen Wochen und Monaten bei sehr vielen Podiumsdiskussionen vertreten, genauso wie Die Linke und die FDP. Diese haben aber Seit an Seit gegen die Rente mit 67 gekämpft. (Beifall der Abg. Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]) Die CDU glänzte durch Abwesenheit, während sich die SPD als Gegner der Rente mit 67 präsentierte. Wenn wir Grüne für die Rente mit 67 argumentieren, dann müssen wir uns anhören, wir würden das Geschäft der CDU be- treiben. Herr Steppuhn, was sagen Sie eigentlich dazu? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Paul Schäfer [Köln] [DIE LINKE]: So ist das!) Angesichts dieser Gemengelage sind wir die Einzigen, die die Rente mit 67 vertreten. Herr Brauksiepe, wir su- chen nicht das Haar in der Suppe. Vielmehr sind wir die- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. März 2007 8681 (A) (C) (B) (D) Brigitte Pothmer jenigen, die die Suppe servieren, die Ihre Leute offen- sichtlich gar nicht essen wollen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) So kann man die Menschen nicht überzeugen. Sie müssen den Rücken gerade machen und sich in den Wind stellen. Opportunismus und Wegducken nutzen hier gar nichts. So kommen Sie nicht weiter. Wir werden jedenfalls nicht länger Ihre Aufgabe erfüllen. Ich danke Ihnen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Anton Schaaf für die SPD- Fraktion. (Beifall bei der SPD) Anton Schaaf (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Frau Pothmer, die SPD-Bundestagsfraktion wird sich in dieser Frage nicht wegducken. Wir haben am Dienstag in großer Einvernehmlichkeit beschlossen, dem vorlie- genden Gesetzentwurf zuzustimmen. Ich sage das aus- drücklich, weil das, was Sie hier dargestellt haben, zu- mindest nicht in Gänze den Tatsachen entspricht. Viele von uns waren in den letzten Wochen unterwegs, ich per- sönlich als rentenpolitischer Sprecher meiner Fraktion, aber auch Klaus Brandner, Elke Ferner, Ludwig Stiegler und andere. Wir haben überall, wo es strittig war, den Kopf für diesen Gesetzentwurf hingehalten und ihn ver- treten. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dass es auch andere Meinungen gibt, gestehe ich zu. Dass das Vorhaben in der SPD-Bundestagsfraktion nicht unumstritten ist, ist kein besonderes Geheimnis. Dass wir uns heute nicht leicht tun, in einer so wichtigen Frage für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu entscheiden, ist für Sozialdemokraten eine Selbstver- ständlichkeit. (Beifall bei der SPD) Zum Gesetzentwurf ist einiges gesagt worden. Des- wegen will ich mich zunächst mit dem Entschließungs- antrag der FDP beschäftigen. Sehr geehrter Herr Kolb, Sie haben Ihr Konzept ausdrücklich als liberal bezeich- net. Ich habe Ihr Konzept sorgfältig gelesen. Sie haben das Aktionsprogramm „50 plus“ als weiße Salbe be- zeichnet und festgestellt, es sei nahezu ohne Wirkung. In Ihrem Entschließungsantrag finden sich Ihre liberalen Positionen dazu zwar in Klammern gesetzt, aber klipp und klar wieder: Einschränkungen für ältere Arbeitneh- mer beim Kündigungsschutz, bei der Tarifautonomie und der Betriebsverfassung. Das ist Ihr Aktionspro- gramm „50 plus“! Das geht aus Ihrem Entschließungs- antrag eindeutig hervor. (Beifall bei der SPD – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das ist richtig!) Gott sei Dank haben Sie für diesen neoliberalen Weg – als liberal kann man ihn nämlich nicht bezeichnen – keine Mehrheiten in diesem Haus. (Beifall bei der SPD – Detlef Parr [FDP]: Sie haben neoliberal immer noch nicht verstan- den!) Lassen Sie mich einen weiteren Punkt ansprechen. Sie haben gefordert, Versicherten ab 60 Jahren den vor- zeitigen Rentenzugang zu ermöglichen, wenn sie dies wollen. In der Anhörung haben aber Ihre Sachverständi- gen darauf hingewiesen, dass Abschläge in Höhe von 0,3 Prozent pro Monat nicht ausreichen; notwendig seien vielmehr 0,6 Prozent, also das Doppelte. Bezogen auf die sieben Jahre, die zwischen einem Rentenzugang mit 60 und der Rente mit 67 liegen, bedeutet das 50 Prozent Abschläge. Das ist ein Programm für Besserverdienende und Hochqualifizierte, die sich diese Abschläge leisten können; das ist aber kein Programm für Arbeitnehmerin- nen und Arbeitnehmer, die ihr Leben lang schwer gear- beitet haben. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Ralf Brauksiepe [CDU/CSU]) Das ist eine Tatsache. Insofern ist Ihr Programm nicht liberal, sondern zutiefst neoliberal. Herr Kollege Ernst, Sie haben festgestellt, dass es um eine Rentenkürzung geht. (Zuruf von der LINKEN: Ja!) Wenn man aber berücksichtigt, dass wir die Lebens- arbeitszeit durch unser aller Dazutun permanent verkürzt haben und damit die Rentenbezugsdauer immer weiter angestiegen ist, dann müsste man im Umkehrschluss feststellen, dass das eine gigantische Rentensteigerung – nämlich durch die Steigerung der durchschnittlichen Rentenbezugszeit von zehn auf 17 Jahre – war. Wenn man wie Sie argumentiert, dann müsste man im Um- kehrschluss auch das Argument vorbringen. Das tun wir nicht. Wir gehen aber davon aus, dass wir – wenn wir diesen Schritt nicht gehen würden – die Renten auf absehbare Zeit noch weiter absenken müssen, als es ohnehin not- wendig wird. Das ist der entscheidende Unterschied zwi- schen uns. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Ich halte angesichts der zu berücksichtigenden Stell- schrauben die Rente mit 67 für einen möglichen Weg, der demografischen Herausforderung zu begegnen. In der gesetzlichen Rentenversicherung gibt es drei Stell- schrauben: die Beiträge, die für die Rentnerinnen und Rentner erbrachten Leistungen und die Steuern. Vor die- sem Hintergrund ist die Heraufsetzung des Rentenein- trittsalters um zwei Jahre für uns der verträglichste Weg, auf die demografischen Herausforderungen zu antwor- ten. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) 8682 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. März 2007 (A) (C) (B) (D) Anton Schaaf Was die Erwerbsquote Älterer angeht, haben Sie die Situation als dramatisch schlecht bezeichnet. Sie ist in der Tat nicht befriedigend. Genauso unbefriedigend ist, dass 4,2 Millionen Menschen ohne Arbeit sind. Aber wenn man die Rente mit 67 ablehnt und die derzeitigen Arbeitslosenzahlen und die Beschäftigungsquote älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf die Zukunft projiziert, dann konstatiert man damit, dass man nicht mehr daran arbeitet, die Arbeitslosigkeit zu verringern. Die Sozialdemokraten werden es aber nicht hinnehmen, dass die Arbeitslosenquote auf dem derzeitigen Stand bleibt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Widerspruch des Abg. Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]) Wir finden uns mit dieser Tatsache nicht ab. Darin be- steht der entscheidende Unterschied zwischen uns. Was beispielsweise Ihre Äußerung angeht, es hätte eine Quote festgelegt werden müssen, will ich Ihnen ent- gegenhalten, dass sich seit dem Jahr 2000 die Beschäfti- gungsquote älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh- mer über 55 folgendermaßen verändert hat: In 2000 lag die Quote der Beschäftigten über 55 in den Betrieben bei 38 Prozent. Mittlerweile sind es 48,9 Prozent. Die Quote hat sich insofern deutlich verändert. (Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Die Statistik!) Mir kommt es an dieser Stelle nicht darauf an, ob die Quote 50 Prozent oder 60 Prozent beträgt; die Frage ist vielmehr, ob wir es bis 2010 – dann soll die Überprü- fungsklausel tatsächlich zum Zuge kommen – schaffen, älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern reale Chancen zu bieten. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Hilfreich ist dabei keine Quote; es geht vielmehr um die Chancen, die die Menschen haben. Das ist das entschei- dende Kriterium, das man zugrunde legen muss. Des Weiteren haben Sie gesagt – das stimmt mich sehr nachdenklich, übrigens bin ich dabei auch selbstkri- tisch; das gebe ich zu –, die Menschen könnten zum Teil gar nicht so lange arbeiten. In der Tat, das ist so. Es ist aber auch so, dass ganz viele Menschen es einfach nicht schaffen, bis 65 zu arbeiten. Man muss schlichtweg da- zusagen, dass dem so ist. Was haben wir gemacht? Ich war übrigens daran be- teiligt und sage Ihnen, was wir gemacht haben. Wenn je- mand schwer und hart in diesem Land arbeiten musste, dann haben wir uns weniger um die Arbeitsbedingun- gen solcher Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ge- kümmert als vielmehr darum, dass die Erschwernis be- zahlt wurde. Die Folge war, dass sich die Menschen sogar darum gerissen haben, schwer und hart zu arbei- ten, weil sie mehr verdient haben. Mit 55 waren sie dann kaputt, und wir, die Akteure im System, die Gewerk- schafterinnen und Gewerkschafter sowie die Betriebs- räte, haben nach dem Sozialstaat gerufen, damit er sich der kaputten Leute annimmt. Wieso lassen wir zu, dass Arbeit so kaputtmacht, dass sich die Allgemeinheit, der Sozialstaat, um die Menschen kümmern muss? (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) An dieser Stelle brauchen wir endlich einen Mentalitäts- wechsel, und zwar bei allen gesellschaftlichen Akteuren. Lasst uns ernsthaft über die Humanisierung der Arbeits- welt nachdenken. Humanisierung der Arbeitswelt kann nicht bedeuten, dass diejenigen, die schwer arbeiten, besser entlohnt werden, sondern sie müssen besser ge- schützt werden, damit sie in einem vernünftigen Ge- sundheitszustand in Rente gehen können. Darum wird es in Zukunft verstärkt gehen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Lassen Sie mich zum Schluss etwas sagen, weil Herr Ernst auf die Umfragen hingewiesen hat. Wer wird es ihm verdenken? Ja, Herr Ernst, die Umfragen für die SPD sind in der Tat im Moment nicht besonders toll. Sie sagen, wir hätten keine Zustimmung für die Politik, die wir machen. Insgesamt muss ich feststellen, dass die Große Koalition, wenn man zusammenrechnet, immer noch auf 60 Prozent und mehr kommt. Sie kommen auf 8 Prozent Zustimmung. Wenn man den Anteil der WASG herausrechnen würde, würde die PDS alleine auf 6 Prozent kommen. So sieht es letzten Endes aus. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Wir haben, zumindest was die gesellschaftlichen Fragen angeht, eine breite Mehrheit bei allen Umfragen – im Gegensatz zu Ihnen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Lassen Sie mich einen letzten Satz sagen: Arbeitnehme- rinnen- und Arbeitnehmerinteressen waren im Deut- schen Bundestag, bevor es die WASG gab, bei der So- zialdemokratie ordentlich aufgehoben. (Beifall bei der SPD – Zurufe von der LINKEN: Waren!) – Hören Sie gut zu! – Ich sage Ihnen zum Schluss Fol- gendes: Arbeitnehmerinnen- und Arbeitnehmerinteres- sen werden in diesem Deutschen Bundestag durch die SPD auch weiterhin ernst und wahrgenommen, wenn Sie alle schon Geschichte sind. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Lachen bei der LINKEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Max Straubinger für die Unionsfraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Max Straubinger (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Wir verabschieden heute ein notwendiges Gesetz, näm- lich ein Gesetz zur Sicherung der Rente in der Zukunft. Ich danke zu Beginn sehr herzlich vor allen Dingen dem Bundesminister, dass er so stark dafür eingetreten ist, Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. März 2007 8683 (A) (C) (B) (D) Max Straubinger und darüber hinaus den beiden Fraktionen der CDU/ CSU und der SPD, dass sie in einer schwierigen Phase eine schwierige Entscheidung für die zukünftige Renten- politik getroffen haben und trotz starker Kritik an diesem Gesetz, manchmal auch übermäßiger Kritik, standhaft geblieben sind. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich möchte dies begründen. Die Lebenserwartung steigt. Das ist gut für die Menschen in Deutschland. Wir haben eine längere Rentenbezugsdauer. Auch das ist gut für die Menschen in Deutschland. Wir haben aber in demselben Zeitraum einen Rückgang an Beitragszeiten erwerbstätiger Personen durch verlängerte Ausbildungs- zeiten und durch Frühverrentungsmaßnahmen. Diese Last kann zukünftig nicht mehr geschultert werden. Des- halb sind wir gefordert, die vorgesehenen Maßnahmen heute zu verabschieden. Ein Letztes: Die demografische Entwicklung ist für alle, die Entscheidungen herbeifüh- ren und heute abstimmen, gleich. Heute stehen zwei Bei- tragszahler einem Rentner gegenüber, im Jahr 2050 wird ein Beitragszahler einem Rentner gegenüberstehen. Dass deshalb Maßnahmen notwendig sind, um die Rente für die Bürgerinnen und Bürger sicher zu gestalten, liegt auf der Hand. Deshalb kann ich nur alle auffordern, sich an diesem Prozess zu beteiligen und dem heutigen Gesetz zuzustimmen. (Beifall bei der CDU/CSU) Was wäre – darauf sind schon vielfältige Antworten gegeben worden, auch vorhin von meinem Kollegen Anton Schaaf –, wenn wir nichts tun? Linke und Ge- werkschaften fordern das, und sie tragen tagtäglich ent- sprechende Ansinnen an uns heran. Wenn wir nichts tun, dann bedeutet das letztendlich höhere Beitragssätze für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das in diesem Haus gewollt ist. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass die Arbeitnehmerin- nen und Arbeitnehmer in unserem Land das wollen. Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Straubinger, gestatten Sie eine Zwischen- frage des Kollegen Schui? Max Straubinger (CDU/CSU): Ja. Vizepräsidentin Petra Pau: Bitte, Herr Schui. Dr. Herbert Schui (DIE LINKE): Herr Kollege, ist Ihnen bekannt, dass die Produktivi- tät der Arbeit sich bis zum Jahre 2050 mehr als verdop- pelt haben wird? Gegenwärtig kann ein Erwerbstätiger Waren und Dienstleistungen im Wert von 40 Euro pro Stunde produzieren. In dem von Ihnen angegebenen Zeitraum wird dieser Wert wahrscheinlich bei 100 Euro liegen. Aus dieser Masse lässt sich ein steigender Ren- tenaufwand – die Anzahl der Rentenberechtigten steigt – doch locker finanzieren. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Max Straubinger (CDU/CSU): Herr Kollege Schui, daran erkennt man letztendlich den Unterschied zwischen den Linken und den Verant- wortlichen hier im Hohen Hause. Sie verfrühstücken be- reits das, was prognostiziert wird, während wir uns auf die wirtschaftlichen Ergebnisse einstellen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) So war auch die Politik in der ehemaligen DDR. Der Kollege Gysi hat bereits vorhin ein Rentenversiche- rungssystem angepriesen, in das alle einzahlen, aus dem aber keiner etwas bekommt. So war es in der Vergangen- heit in der DDR. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Den Bürgerinnen und Bürgern gerade im Osten Deutsch- lands ist man dadurch besonders entgegengekommen, dass sie in die Rentenversicherung der Bundesrepublik Deutschland eintreten konnten. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Er kommt aus Hamburg!) – Das macht nichts; aber er vertritt dieselbe Politik. Heute wurde schon über einen abschlagsfreien Ren- tenzugang ab dem 65. Lebensjahr nach einer Beitrags- zahlungsdauer von 45 Jahren unter den verschiedens- ten – auch unter verfassungsrechtlichen – Aspekten diskutiert. Ich will mich hier nicht einmischen. Ich möchte auf etwas sehr Bemerkenswertes hinweisen: Wir wollen mit einer Sonderregelung diejenigen, die 45 Jahre lang Beiträge in die gesetzliche Rentenversi- cherung eingezahlt haben, belohnen. Man kann auch sa- gen: Wir wollen die Treue zur gesetzlichen Rentenversi- cherung belohnen. Ich glaube, es ist notwendig, das hier darzustellen. Die Kollegen von der FDP treten wie wir besonders für eine kapitalgedeckte Vorsorge ein. Man hat hier zum Beispiel noch nie infrage gestellt, dass bei einer abge- schlossenen Lebensversicherung, in die über die ge- samte Vertragsdauer eingezahlt wurde, ein Schlussge- winn anfällt. Ein solcher Gewinn wäre nicht angefallen, wenn der Vertrag vorzeitig gekündigt worden wäre. Selbst bei einer kapitalgedeckten Vorsorge wird eine langjährige Vertragsbindung honoriert. Mit anderen Worten: Langjährige Treue wird auch hier besonders be- lohnt. Ich bin der Meinung, dass eine solche Regelung auch in die gesetzliche Rentenversicherung aufgenom- men werden sollte. Dafür stehen wir. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich möchte noch etwas zum Konzept der FDP sagen. Auf der einen Seite wird gesagt: Wir wollen den Leuten ermöglichen, bis zum 67. Lebensjahr auf freiwilliger Ba- sis zu arbeiten; sie können aber mit 60 in Rente gehen. Die jetzigen Erfahrungen mit unseren Frühverrentungs- programmen – Sie selbst fordern, sie abzuschaffen – zei- gen sehr deutlich, dass die Arbeitnehmerinnen und Ar- beitnehmer möglichst früh in Rente gehen wollen. Wenn wir das Ganze der Freiwilligkeit überlassen, dann wer- den sich in der Zukunft noch mehr Arbeitnehmerinnen 8684 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. März 2007 (A) (C) (B) (D) Max Straubinger und Arbeitnehmer entscheiden, mit 60 in Rente zu ge- hen, wenn sie es überhaupt können. Bei Ihrem Modell wären 25 Prozent und mehr Abschlag notwendig. Das kann sich vor allen Dingen der geringverdienende Ar- beitnehmer nicht leisten. (Beifall bei der CDU/CSU) Deshalb stehen wir zu unserem Konzept. Das ist so- zial ausgewogen und sichert die Rente nach dem alten Blüm’schen Satz: Die Rente ist sicher. – Dafür sorgen wir hier in Deutschland mit unserer Zustimmung. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Ludwig Stiegler [SPD]) Vizepräsidentin Petra Pau: Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist schön, dass Sie sich schon zur namentlichen Abstimmung hier ver- sammeln. Ich bitte Sie aber, die Gespräche, die vielleicht dringend zu führen sind, draußen zu führen oder eben doch einzustellen, sodass wir dem Kollegen Meckelburg, dem ich jetzt für die Unionsfraktion das Wort erteile, noch zuhören können. (Beifall bei der CDU/CSU) Wolfgang Meckelburg (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als letzter Redner vor einer namentlichen Abstimmung hat man es häufig nicht so leicht. Deswegen will ich nicht mehr viele Zahlen zitieren, sondern die Grundbot- schaften noch einmal zusammenfassen. Wir verabschieden heute zwei Gesetze im Doppel- pack: die Rente mit 67 und die Verbesserung der Be- schäftigungschancen für Ältere, die sogenannte Initia- tive „50 plus“. Diese beiden Dinge gehören zusammen. Aus demografischen Gründen ist es notwendig, das Ren- teneintrittsalter zu erhöhen, nämlich von 65 auf 67. Ein solches Ziel ist aber nur erreichbar, wenn wir auch die Beschäftigung Älterer in den nächsten fünf bis 22 Jahren – das ist der Zeitraum, über den wir reden – erhöhen. Die Zahlen zur demografischen Entwicklung sind genannt worden. Ich will sie noch einmal zusammenfas- sen. Auf der einen Seite: Die Jüngeren, die Rentenversi- cherungsbeiträge zahlen, werden immer weniger; die Beitragszahlungsjahre nehmen ab. Auf der anderen Seite: Die Älteren, die Rente beziehen, werden immer älter; die Rentenbezugszeiten nehmen zu. Die Botschaft Nr. 1 aus diesen Zahlen ist: Für die Politik ergibt sich Handlungsbedarf, und wir als Große Koalition handeln. (Beifall bei der CDU/CSU) Die Alternative dazu wäre: nichts tun und abwarten. Das endet im Chaos. Die populistische Alternative dazu wird natürlich wie immer von den Linken vertre- ten: Augen zu vor der Realität, keine Strukturverände- rung – denn das könnte den Menschen wehtun –; statt- dessen alles so lassen, wie es ist, und unter Missachtung der Notwendigkeit von Korrekturen sogar noch draufsatteln. Das ist die Position der Linken. Hier paart sich die Wahrnehmung der Realität nach dem Motto „Augen zu!“ mit nicht begründetem „Alles wird gut“-Glauben und zusätzlichen Traumschiff-Verspre- chungen. Die Botschaft Nr. 2 lautet: Populismus hilft in dieser Frage nicht weiter, oder, fürs Volk gesagt: Leute, glaubt den Linken kein Wort! (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD) Es ist in der Tat so: Sie stehen jeden Tag auf dem Bahnsteig und warten darauf, dass Sie sich in irgendei- nen populistischen Zug setzen können. Wenn keiner kommt, setzen Sie selber einen aufs Gleis. Sie lassen von allem, was den Menschen wehtun könnte, die Finger. Sie machen Traumschiff-Versprechungen, die in der Realität nicht zu halten sind. – Lasst die Finger von den Linken! (Beifall bei der CDU/CSU) Rente mit 67. Ich will noch einmal deutlich sagen, worüber wir reden, weil vor allem diejenigen, die jetzt in Rente sind, sich darüber aufregen und erhitzen. Alle die, die jetzt in Rente sind, sind davon gar nicht betroffen. Wir reden über die Erhöhung des Renteneintrittsalters über den langen Zeitraum von 22 Jahren. Bis 2011 wird sich da überhaupt nichts tun. Von 2012 bis 2023 wird das Renteneintrittsalter jährlich nur um einen Monat erhöht. In den letzten Jahren, von 2024 bis 2029, wird es jähr- lich um zwei Monate steigen. Wir werden also erst im Jahr 2029 die Rente mit 67 Jahren erreicht haben. Das ist ein langer Zeitraum. Es ist verantwortungsvolle Politik, wenn man über einen so langen Zeitraum etwas vorbe- reitet, auf das sich die Menschen, die Wirtschaft und alle miteinander einstellen können. Botschaft Nr. 3 also: Die Erhöhung des Rentenein- trittsalters erfolgt über den langen Zeitraum von 22 Jahren. Das ist Politik mit Verantwortung und Augen- maß. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir wissen, dass es notwendig sein wird, in der Ge- sellschaft zu einem Mentalitätswechsel zu kommen. Wir müssen alle miteinander begreifen, dass es notwendig ist, länger im Berufsleben zu bleiben. Der Gesetzgeber begleitet dies mit der Initiative „50 plus“. Ich will die Maßnahmen noch einmal nennen: Wir werden durch den Kombilohn für Ältere bei der Entgeltsicherung zu Ver- besserungen kommen; wir werden den Eingliederungs- zuschuss für die Einstellung Älterer verbessern; wir wer- den bei der Förderung der beruflichen Weiterbildung etwas tun; wir werden die mehrfache Verlängerung der Beschäftigungsverhältnisse über befristete Arbeitsver- träge bis fünf Jahre für Ältere zulassen. Botschaft Nr. 4 lautet also: Die Bundesregierung, die Koalition flankiert den Prozess, ältere Menschen in den Arbeitsmarkt zu bringen. Das ist verantwortungsvoll. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. März 2007 8685 (A) (C) (B) (D) Wolfgang Meckelburg Ich bin zuversichtlich, dass sich die Situation für äl- tere Arbeitnehmer deutlich verbessern wird. Woher nehme ich diesen Optimismus? Erstens. Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit hat die Anzahl der sozialversicherungspflichtigen Be- schäftigungsverhältnisse bei Älteren – ich spreche über die 50- bis 65-Jährigen – von Juni 1999 bis 2006 um 730 000 zugenommen. Man muss sich klarmachen, was das heißt: Wir sind bereits bei einem gesellschaftlichen Mentalitätswandel angekommen. In einer Zeit, wo die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungs- verhältnisse allgemein zurückgegangen ist, hat bei den über 50-Jährigen ein Aufwuchs stattgefunden, und zwar seit 1999 um jährlich etwa 100 000. Das gibt mir die Hoffnung: Alle, vor allen Dingen die Unternehmen und die Tarifparteien, haben begriffen, dass wir auf diesem Gebiet etwas tun müssen. Zweitens. Ein weiterer Grund für meinen Optimismus ist die Entwicklung des allgemeinen Wirtschaftswachs- tums. Wir haben erreicht, dass sich die Beschäftigungssitua- tion Älterer verbessert hat. Bei der Erwerbstätigenquote haben wir einen Anstieg auf 48,3 Prozent gegenüber 45 Prozent im Vorjahreszeitraum zu verzeichnen. Gott sei Dank nimmt generell die Erkenntnis zu, dass ältere Arbeitnehmer für die Unternehmen notwendig sind. Sie sind aber nicht nur aufgrund ihrer Erfahrung und auf- grund des Fachkräftemangels in der Arbeitswelt notwen- dig, sondern viele ältere Menschen wollen auch wirklich arbeiten. Botschaft Nr. 5 lautet: Wir sind auf einem gu- ten Weg. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Zum Schluss möchte ich ein Versprechen einlösen, das ich der Kollegin Rita Pawelski gegeben habe, indem ich darauf hinweise, dass wir im Gesetzgebungsverfah- ren eine gesetzgeberische Grauzone beim Künstler- dienst der Bundesagentur geregelt haben. Mit der No- vellierung des Vermittlungsauftrages der Bundesagentur unterstützt die Große Koalition Künstler und Kultur- schaffende, vor allem die vielen selbstständigen, die vie- len jungen und die nicht berühmten, die sehr gute Leis- tungen bringen und auf diesen Dienst angewiesen sind. Diese beiden Gesetze gehören zusammen. Ich bitte Sie, heute beiden Gesetzen zuzustimmen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über die von der Bun- desregierung sowie von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwürfe eines Gesetzes zur Verbesserung der Beschäftigungschancen älterer Men- schen. Es handelt sich um die Drucksachen 16/3793, 16/4371 und 16/4421. Der Ausschuss für Arbeit und So- ziales empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/4578, die genannten gleichlautenden Gesetzentwürfe zusammenzuführen und in der Aus- schussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Ich gebe zu, Kolleginnen und Kollegen: Es ist etwas schwie- rig, festzustellen, wer sich aus dem Grund der Zustim- mung erhoben hat und wer sich in der Erwartung kom- mender Ereignisse, der namentlichen Abstimmung, erhoben hat. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit angenommen. Es ist mir nicht möglich, das genaue Abstimmungsergebnis festzu- stellen. Wir setzen die Abstimmung zu der Beschlussemp- fehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales auf Drucksache 16/4578 fort. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/241 mit dem Titel „Weichenstellung für eine Verbesserung der Beschäftigungschancen Älterer“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Damit ist die Beschlussempfehlung gegen die Stimmen der FDP-Fraktion angenommen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor ich in der Abstimmung fortfahre, bitte ich Sie noch einmal, sich hinzusetzen und nicht, indem Sie hier vorne stehen, Abstimmungsergebnisse zu verfälschen. Wir sind immer noch bei Tagesordnungspunkt 20 b. Unter Nr. 3 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/3027 mit dem Titel „Beschäfti- gungspolitik für Ältere – für ein wirtschafts- und arbeits- marktpolitisches Gesamtkonzept“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Gibt es Enthal- tungen? – Damit ist die Beschlussempfehlung gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und bei Enthaltung der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen angenommen. Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 4 seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/3779 mit dem Titel „Vermittlung in Selbstständigkeit durch Bundesagentur für Arbeit ermöglichen – Künstlerdienste sichern“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Gibt es Enthaltungen? – Damit ist die Beschlussempfehlung gegen die Stimmen der Fraktionen Bündnis 90/Die Grü- nen und Die Linke angenommen. Wir kommen damit zu Tagesordnungspunkt 20 c: Ab- stimmung über die von der Bundesregierung sowie von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Entwürfe eines RV-Altersgrenzenanpassungsgesetzes auf den Drucksachen 16/3794, 16/4372 und 16/4420. Mir liegen dazu 37 Erklärungen gemäß § 31 unserer Ge- schäftsordnung vor.1) 1) Anlagen 2 bis 4 8686 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. März 2007 (A) (C) (B) (D) Vizepräsidentin Petra Pau Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung auf Druck- sache 16/4583, die genannten gleichlautenden Gesetz- entwürfe zusammenzuführen und unverändert anzuneh- men. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. – Gegenstim- men? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Die Fraktionen der CDU/CSU, der SPD, der FDP und der Linken verlangen namentliche Abstimmung. Ich bitte alle Kolleginnen und Kollegen, bei der Stimmabgabe sorgfältig darauf zu achten, dass die Stimmkarten, die Sie jetzt gleich verwenden werden, Ihren Namen tragen und dass sich die Zahl 16 für die 16. Legislaturperiode vor Ihrer Nummer befindet. Ich bitte nun die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Sind die Plätze an allen Abstimmungsurnen besetzt? – Das ist der Fall. Ich eröffne die Abstimmung. (Vorsitz: Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner) Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme noch nicht abgegeben hat? – So, ich glaube, jetzt haben alle Mitglieder des Hauses ihre Stimmen abgegeben. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerin- nen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.1) Wir setzen die Abstimmungen fort. Ich bitte die Kol- leginnen und Kollegen, ihre Plätze einzunehmen. Wir kommen zur Abstimmung über die Entschließungs- anträge. Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/4618? – Gegen- probe! – Enthaltungen? – Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Fraktionen Die Linke, SPD, Bündnis 90/Die Grünen und CDU/CSU bei Gegenstimmen der FDP abgelehnt. Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/4617? – Wer stimmt dage- gen? – Enthaltungen? – Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU/ CSU und FDP bei Gegenstimmen der Linken abgelehnt. Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/4619? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Dieser Antrag ist mit den Stimmen der Fraktionen Die Linke, SPD, CDU/CSU und FDP bei Gegenstimmen der Grünen ab- gelehnt. Wir setzen die Abstimmung zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales auf Druck- 1) Ergebnis Seite 8688 A sache 16/4583 fort. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrages der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/2747 mit dem Titel „Nein zur Rente ab 67“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Ent- haltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stim- men von SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU/CSU und FDP bei Gegenstimmen der Linken angenommen. Unter Nr. 3 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrages der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/3812 mit dem Titel „Neue Kultur der Altersarbeit – Anpassung der gesetzlichen Rentenversicherung an längere Renten- laufzeiten“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschluss- empfehlung ist mit den Stimmen der Fraktionen Die Linke, SPD, CDU/CSU und FDP bei Gegenstimmen von Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 4 seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/3815 mit dem Titel „Stichtagsregelung für die Altersteilzeit im RV-Alters- grenzenanpassungsgesetz (Rente mit 67) verlängern“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussemp- fehlung ist mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU/CSU und FDP bei Gegenstimmen der Linken angenommen. Tagesordnungspunkte 20 e und 20 f. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen auf den Druck- sachen 16/4552 und 16/4553 zur federführenden Bera- tung an den Ausschuss für Arbeit und Soziales und zur Mitberatung an den Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend sowie an den Ausschuss für Gesundheit zu überweisen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 21 a bis 21 d auf: a) – Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuss) zu dem Antrag der Bundesre- gierung Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz einer Internationalen Sicher- heitsunterstützungstruppe in Afghanistan un- ter Führung der NATO auf Grundlage der Re- solutionen 1386 (2001), 1413 (2002), 1444 (2002), 1510 (2003), 1563 (2004), 1623 (2005) und 1707 (2006) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen – Drucksachen 16/4298, 16/4571 – Berichterstattung: Abgeordnete Eckart von Klaeden Detlef Dzembritzki Dr. Werner Hoyer Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. März 2007 8687 (A) (C) (B) (D) Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner Dr. Norman Paech Jürgen Trittin – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Aus- schuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung – Drucksache 16/4580 – Berichterstattung: Abgeordnete Steffen Kampeter Carsten Schneider (Erfurt) Jürgen Koppelin Roland Claus Anja Hajduk b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- richts des Auswärtigen Ausschusses (3. Aus- schuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Monika Knoche, Dr. Norman Paech, Wolfgang Gehrcke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LIN- KEN Keine Tornado-Aufklärungsflugzeuge in Af- ghanistan einsetzen – Drucksachen 16/4047, 16/4576 – Berichterstattung: Abgeordnete Eckart von Klaeden Detlef Dzembritzki Dr. Werner Hoyer Dr. Norman Paech Kerstin Müller (Köln) c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- richts des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuss) zu dem Antrag der Fraktion des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN Keine Zusage deutscher Tornados ohne Bun- destagsmandat – Drucksachen 16/4048, 16/4614 – Berichterstattung: Abgeordnete Eckart von Klaeden Detlef Dzembritzki Dr. Werner Hoyer Dr. Norman Paech Kerstin Müller (Köln) d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- richts des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Werner Hoyer, Birgit Homburger, Rainer Brüderle, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Neues Mandat für Tornado-Einsatz unerlässlich – Drucksachen 16/4096, 16/4613 – Berichterstattung: Abgeordnete Eckart von Klaeden Detlef Dzembritzki Dr. Werner Hoyer Dr. Norman Paech Kerstin Müller (Köln) Zu dem Antrag der Bundesregierung liegen ein Ent- schließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD sowie je ein Entschließungsantrag der Fraktionen der FDP und des Bündnisses 90/Die Grünen vor. Über die Beschlussempfehlung zum Antrag der Bundesregierung werden wir später namentlich abstimmen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Bundes- ministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul. Heidemarie Wieczorek-Zeul, Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gestern ist der deutsche Entwicklungs- und Wieder- aufbauhelfer der Welthungerhilfe Dieter Rübling im Norden Afghanistans ermordet worden. Wir alle trauern um Dieter Rübling. Wir danken ihm für sein zutiefst humanitäres Engagement. Unsere Gedanken sind bei der Familie und den Freunden des Toten. Wir trauern mit ihnen. Wir trauern mit der Welthungerhilfe, die seit über zwei Jahrzehnten so wertvolle Arbeit in Afghanistan und weltweit leistet. Dieter Rübling ist in dieser schweren Zeit nach Afghanistan gegangen, um den Menschen dort beim Wiederaufbau selbstlos zu helfen. Afghanistan nach Jahrzehnten des Bürgerkriegs, der Fremdherrschaft und des Talibanregimes wiederaufzubauen und zu stabilisieren, ist eine der schwierigsten Aufgaben, die es in diesen Tagen gibt. Die Arbeit der zivilen Helfer und Helferinnen, die unbewaffnet sind, ist mit großen Gefährdungen und Risiken verbunden. Dies wird allzu oft vergessen, wenn von zivilem Wiederaufbau gesprochen wird. Umso mehr verdienen die Aufbauhelferinnen und Aufbauhelfer in Afghanistan unser aller Hochachtung, Respekt, Unter- stützung und Dank. (Beifall im ganzen Hause) Wir fordern alle afghanischen Behörden auf, die Mörder zu stellen und der gerechten Strafe zuzuführen. Noch immer wissen wir nicht genug über die Hintergründe dieses Mordes. Aber ich will sagen: Unser Land hat seit 2001 allergrößte Anstrengungen unternommen, um den Menschen in Afghanistan zu helfen. Entwicklungshelfer und Entwicklungshelferinnen sowie Soldaten haben ihr Leben riskiert, um den geschundenen Menschen in Afghanistan beim Aufbau ihres Landes zu helfen. Wir bauen Schulen, wir sorgen für die Wasserversorgung, wir helfen vor allem den Frauen und Kindern. Die Men- schen in Afghanistan, die auf uns hoffen, können sich darauf verlassen, dass wir sie auch in Zukunft nicht im Stich lassen und uns nicht zurückziehen werden. Das sind wir ihnen schuldig. Das sind wir aber auch dem Mitarbeiter der Deutschen Welthungerhilfe schuldig, um den wir heute trauern. Das sind wir all denen schuldig, die Aufbauarbeit leisten. Ich danke Ihnen. (Beifall im ganzen Hause) 8688 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. März 2007 (A) (C) (B) (D) Dr. Hans Georg Faust Enak Ferlemann Schwenningen) Volker Kauder Thomas Rachel Hans Raidel Anette Widmann-Mauz Klaus-Peter Willsch Hartwig Fischer (Göttingen) Dirk Fischer (Hamburg) Axel E. Fischer (Karlsruhe- Land) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Jürgen Klimke Julia Klöckner Jens Koeppen Kristina Köhler (Wiesbaden) Manfred Kolbe Norbert Königshofen Peter Rauen Eckhardt Rehberg Katherina Reiche (Potsdam) Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Franz Romer Elisabeth Winkelmeier- Becker Matthias Wissmann Dagmar Wöhrl Wolfgang Zöller Willi Zylajew Ingrid Fischbach Eckart von Klaeden Dr. Peter Ramsauer Willy Wimmer (Neuss) Vizepräsidentin Dr. h. c Ich komme zurück zu Tag gebe das von den Schriftführ ermittelte Ergebnis der na über den Entwurf eines R Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 581; davon ja: 466 nein: 169 enthalten: 4 Ja CDU/CSU Ulrich Adam Ilse Aigner Peter Albach Peter Altmaier Dorothee Bär Thomas Bareiß Norbert Barthle Dr. Wolf Bauer Günter Baumann Ernst-Reinhard Beck (Reutlingen) Veronika Bellmann Dr. Christoph Bergner Otto Bernhardt Clemens Binninger Renate Blank Peter Bleser Dr. Maria Böhmer Jochen Borchert Wolfgang Börnsen (Bönstrup) Wolfgang Bosbach Klaus Brähmig Michael Brand Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Monika Brüning Georg Brunnhuber Gitta Connemann Leo Dautzenberg Hubert Deittert Alexander Dobrindt Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Maria Eichhorn Anke Eymer (Lübeck) Georg Fahrenschon Ilse Falk . Susanne Kastner: esordnungspunkt 20 c und erinnen und Schriftführern mentlichen Abstimmung entenversicherungs-Alters- Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) Erich G. Fritz Jochen-Konrad Fromme Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Dr. Peter Gauweiler Dr. Jürgen Gehb Norbert Geis Eberhard Gienger Michael Glos Ralf Göbel Dr. Reinhard Göhner Josef Göppel Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Ute Granold Reinhard Grindel Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Markus Grübel Manfred Grund Monika Grütters Karl-Theodor Frhr. Zu Guttenberg Olav Gutting Holger Haibach Gerda Hasselfeldt Ursula Heinen Michael Hennrich Jürgen Herrmann Bernd Heynemann Peter Hintze Robert Hochbaum Klaus Hofbauer Franz-Josef Holzenkamp Joachim Hörster Anette Hübinger Hubert Hüppe Susanne Jaffke Dr. Peter Jahr Dr. Hans-Heinrich Jordan Andreas Jung (Konstanz) Dr. Franz Josef Jung Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Alois Karl Bernhard Kaster Siegfried Kauder (Villingen- grenzenanpassungsgesetzes b men: 581. Mit Ja haben gest gestimmt 169, Enthaltungen damit angenommen. Hartmut Koschyk Thomas Kossendey Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Dr. Martina Krogmann Johann-Henrich Krummacher Dr. Hermann Kues Dr. Karl Lamers (Heidelberg) Andreas G. Lämmel Dr. Norbert Lammert Katharina Landgraf Dr. Max Lehmer Paul Lehrieder Ingbert Liebing Eduard Lintner Dr. Klaus W. Lippold Patricia Lips Dr. Michael Luther Stephan Mayer (Altötting) Wolfgang Meckelburg Dr. Michael Meister Friedrich Merz Laurenz Meyer (Hamm) Maria Michalk Dr. h. c. Hans Michelbach Philipp Mißfelder Dr. Eva Möllring Marlene Mortler Carsten Müller (Braunschweig) Stefan Müller (Erlangen) Bernward Müller (Gera) Dr. Gerd Müller Hildegard Müller Bernd Neumann (Bremen) Michaela Noll Dr. Georg Nüßlein Franz Obermeier Eduard Oswald Henning Otte Rita Pawelski Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Beatrix Philipp Ronald Pofalla Ruprecht Polenz Daniela Raab ekannt: Abgegebene Stim- immt 408, mit Nein haben vier. Der Gesetzentwurf ist Johannes Röring Kurt J. Rossmanith Dr. Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Albert Rupprecht (Weiden) Peter Rzepka Anita Schäfer (Saalstadt) Hermann-Josef Scharf Dr. Wolfgang Schäuble Hartmut Schauerte Dr. Annette Schavan Dr. Andreas Scheuer Karl Schiewerling Norbert Schindler Georg Schirmbeck Bernd Schmidbauer Christian Schmidt (Fürth) Andreas Schmidt (Mülheim) Ingo Schmitt (Berlin) Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Schummer Wilhelm Josef Sebastian Horst Seehofer Kurt Segner Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Jens Spahn Christian Freiherr von Stetten Gero Storjohann Andreas Storm Max Straubinger Thomas Strobl (Heilbronn) Lena Strothmann Michael Stübgen Hans Peter Thul Antje Tillmann Dr. Hans-Peter Uhl Arnold Vaatz Volkmar Uwe Vogel Andrea Astrid Voßhoff Gerhard Wächter Marco Wanderwitz Kai Wegner Marcus Weinberg Peter Weiß (Emmendingen) Gerald Weiß (Groß-Gerau) Karl-Georg Wellmann Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. März 2007 8689 (A) (C) (B) (D) Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner SPD Gregor Amann Gerd Andres Niels Annen Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Ernst Bahr (Neuruppin) Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Sören Bartol Sabine Bätzing Dirk Becker Uwe Beckmeyer Klaus Uwe Benneter Dr. Axel Berg Ute Berg Petra Bierwirth Lothar Binding (Heidelberg) Kurt Bodewig Gerd Bollmann Dr. Gerhard Botz Klaus Brandner Bernhard Brinkmann (Hildesheim) Ulla Burchardt Dr. Michael Bürsch Christian Carstensen Marion Caspers-Merk Dr. Peter Danckert Dr. Herta Däubler-Gmelin Karl Diller Martin Dörmann Dr. Carl-Christian Dressel Elvira Drobinski-Weiß Garrelt Duin Detlef Dzembritzki Sebastian Edathy Siegmund Ehrmann Hans Eichel Gernot Erler Petra Ernstberger Karin Evers-Meyer Annette Faße Elke Ferner Gabriele Fograscher Rainer Fornahl Gabriele Frechen Dagmar Freitag Peter Friedrich Sigmar Gabriel Martin Gerster Iris Gleicke Renate Gradistanac Angelika Graf (Rosenheim) Dieter Grasedieck Monika Griefahn Kerstin Griese Gabriele Groneberg Achim Großmann Wolfgang Grotthaus Wolfgang Gunkel Hans-Joachim Hacker Bettina Hagedorn Klaus Hagemann Alfred Hartenbach Michael Hartmann (Wackernheim) Nina Hauer Hubertus Heil Reinhold Hemker Rolf Hempelmann Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Petra Heß Petra Hinz (Essen) Gerd Höfer Iris Hoffmann (Wismar) Frank Hofmann (Volkach) Eike Hovermann Klaas Hübner Christel Humme Lothar Ibrügger Brunhilde Irber Johannes Jung (Karlsruhe) Josip Juratovic Johannes Kahrs Dr. h. c. Susanne Kastner Ulrich Kelber Christian Kleiminger Hans-Ulrich Klose Astrid Klug Walter Kolbow Fritz Rudolf Körper Karin Kortmann Rolf Kramer Anette Kramme Ernst Kranz Nicolette Kressl Volker Kröning Angelika Krüger-Leißner Dr. Hans-Ulrich Krüger Jürgen Kucharczyk Ute Kumpf Dr. Uwe Küster Christine Lambrecht Christian Lange (Backnang) Dr. Karl Lauterbach Waltraud Lehn Gabriele Lösekrug-Möller Dirk Manzewski Caren Marks Katja Mast Markus Meckel Petra Merkel (Berlin) Dr. Matthias Miersch Ursula Mogg Marko Mühlstein Detlef Müller (Chemnitz) Michael Müller (Düsseldorf) Gesine Multhaupt Franz Müntefering Dr. Rolf Mützenich Andrea Nahles Thomas Oppermann Holger Ortel Heinz Paula Johannes Pflug Joachim Poß Christoph Pries Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Mechthild Rawert Steffen Reiche (Cottbus) Maik Reichel Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Christel Riemann- Hanewinckel Walter Riester Sönke Rix Dr. Ernst Dieter Rossmann Karin Roth (Esslingen) Michael Roth (Heringen) Ortwin Runde Marlene Rupprecht (Tuchenbach) Anton Schaaf Axel Schäfer (Bochum) Bernd Scheelen Marianne Schieder Ulla Schmidt (Aachen) Silvia Schmidt (Eisleben) Renate Schmidt (Nürnberg) Heinz Schmitt (Landau) Carsten Schneider (Erfurt) Olaf Scholz Reinhard Schultz (Everswinkel) Swen Schulz (Spandau) Ewald Schurer Frank Schwabe Dr. Angelica Schwall-Düren Dr. Martin Schwanholz Rolf Schwanitz Rita Schwarzelühr-Sutter Wolfgang Spanier Dr. Margrit Spielmann Jörg-Otto Spiller Dr. Ditmar Staffelt Ludwig Stiegler Rolf Stöckel Christoph Strässer Dr. Peter Struck Joachim Stünker Dr. Rainer Tabillion Jörg Tauss Jörn Thießen Franz Thönnes Hans-Jürgen Uhl Simone Violka Jörg Vogelsänger Dr. Marlies Volkmer Hedi Wegener Andreas Weigel Petra Weis Gunter Weißgerber Gert Weisskirchen (Wiesloch) Dr. Rainer Wend Lydia Westrich Dr. Margrit Wetzel Andrea Wicklein Heidemarie Wieczorek-Zeul Dr. Dieter Wiefelspütz Engelbert Wistuba Heidi Wright Uta Zapf Manfred Zöllmer Brigitte Zypries Nein SPD Klaus Barthel Clemens Bollen Willi Brase Martin Burkert Lothar Mark Hilde Mattheis René Röspel Ottmar Schreiner Andreas Steppuhn Rüdiger Veit Waltraud Wolff (Wolmirstedt) FDP Jens Ackermann Dr. Karl Addicks Christian Ahrendt Daniel Bahr (Münster) Uwe Barth Angelika Brunkhorst Ernst Burgbacher Patrick Döring Mechthild Dyckmans Jörg van Essen Otto Fricke Horst Friedrich (Bayreuth) Dr. Edmund Peter Geisen Dr. Wolfgang Gerhardt Hans-Michael Goldmann Miriam Gruß Joachim Günther (Plauen) Dr. Christel Happach-Kasan Heinz-Peter Haustein Elke Hoff Birgit Homburger Dr. Werner Hoyer Michael Kauch Dr. Heinrich L. Kolb Hellmut Königshaus Gudrun Kopp Jürgen Koppelin Heinz Lanfermann Sibylle Laurischk Sabine Leutheusser- Schnarrenberger Michael Link (Heilbronn) Markus Löning Horst Meierhofer Patrick Meinhardt Jan Mücke Burkhardt Müller-Sönksen Dirk Niebel Detlef Parr Cornelia Pieper Gisela Piltz Jörg Rohde Frank Schäffler Dr. Konrad Schily Marina Schuster Dr. Max Stadler Dr. Rainer Stinner Carl-Ludwig Thiele Florian Toncar Christoph Waitz 8690 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. März 2007 (A) (C) (B) (D) Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner Nächster Redner in unser Dr. Werner Hoyer, FDP-Frak (Beifall bei Dr. Werner Hoyer (FDP) Frau Präsidentin! Liebe K Namens der FDP-Fraktion d desministerin, dafür, dass Sie ben, und für die Worte, die denke, der ganze Deutsche B und die Betroffenheit, die S haben. (Beifall im ga Meine Damen und Herre sonst gar nicht schlecht gewe terin für wirtschaftliche Zus lung diese Debatte eröffnet; d Ereignis von gestern ist deut lich die Lage ist und dass wir begeben sollten, in der wir in Süd, Zivilem und Militärisch wie Deutschen und Amerikan nern unterscheiden. Jeder Tot Im Zentrum unserer Debat Notwendigkeit des Aufbau kommt in allen Anträgen der er Debatte ist der Kollege tion. der FDP) : olleginnen und Kollegen! anke ich Ihnen, Frau Bun- diese Debatte eröffnet ha- Sie gefunden haben. Ich undestag teilt das Bedauern ie zum Ausdruck gebracht nzen Hause) n, es wäre vielleicht auch sen, dass die Bundesminis- ammenarbeit und Entwick- enn an diesem furchtbaren lich geworden, wie gefähr- uns nicht in eine Situation sofern zwischen Nord und em, Aufbau und Schutz so- ern, Kanadiern oder Italie- e ist einer zu viel. te steht aber zunehmend die s in Afghanistan – das Fraktionen des Deutschen Bundestages zum Ausdruck – Aufbau voranzutreiben, effek wirksam werden zu lassen. Ic es vielleicht durch Überweisu gen würde, diese Anträge d von Schwarz/Rot sowie von gemeinsamen Antrag zusam starkes Signal, wenn der De wendigkeit dieses Umsteuern gemeinsam kraftvoll zum Au (Beifall bei der FDP so der CDU Meine Damen und Herre dem Antrag der Bundesregi zustimmen. Es gibt bei uns ab nen in der letzten Woche die Abwägung, die wir vorgeno lich vortragen können und w Es ist klar, dass viele Koll schiefe Ebene fürchten. Des lich zu machen, dass wir a nicht weiter in etwas hineinru mehr beherrschen können. Es ist wichtig, dass wir r ginnen und Kollegen gibt, di ben, dass wir vielleicht verge dort sind, welche Verantwor , die Notwendigkeit, diesen tiv zu machen und schnell h würde es begrüßen, wenn ng in die Ausschüsse gelin- er Fraktionen – zumindest Grün und Gelb – zu einem menzuführen. Es wäre ein utsche Bundestag die Not- s gegenüber der Regierung sdruck bringen würde. wie bei Abgeordneten /CSU) n, die FDP-Fraktion wird erung mit großer Mehrheit er kein Hurra. Ich habe Ih- außerordentlich schwierige mmen haben, hier ausführ- ill mich nicht wiederholen. eginnen und Kollegen die wegen ist es wichtig, deut- ufpassen werden, dass wir tschen, was wir dann nicht espektieren, dass es Kolle- e befürchten und Sorge ha- ssen, warum wir überhaupt tung wir für das Leben der Dr. Guido Westerwelle Dr. Claudia Winterstein Dr. Volker Wissing Hartfrid Wolff (Rems-Murr) Martin Zeil DIE LINKE Hüseyin-Kenan Aydin Dr. Dietmar Bartsch Karin Binder Dr. Lothar Bisky Heidrun Bluhm Eva Bulling-Schröter Dr. Martina Bunge Roland Claus Sevim Dağdelen Dr. Diether Dehm Werner Dreibus Dr. Dagmar Enkelmann Klaus Ernst Wolfgang Gehrcke Diana Golze Dr. Gregor Gysi Heike Hänsel Lutz Heilmann Hans-Kurt Hill Cornelia Hirsch Inge Höger Dr. Barbara Höll Ulla Jelpke Dr. Hakki Keskin Katja Kipping Monika Knoche Jan Korte Katrin Kunert Oskar Lafontaine Michael Leutert Ulla Lötzer Dr. Gesine Lötzsch Ulrich Maurer Dorothée Menzner Kornelia Möller Kersten Naumann Wolfgang Nešković Dr. Norman Paech Petra Pau Bodo Ramelow Elke Reinke Paul Schäfer (Köln) Volker Schneider (Saarbrücken) Dr. Herbert Schui Dr. Ilja Seifert Dr. Petra Sitte Frank Spieth Dr. Kirsten Tackmann Dr. Axel Troost Alexander Ulrich Sabine Zimmermann BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Marieluise Beck (Bremen) Volker Beck (Köln) Cornelia Behm Birgitt Bender Grietje Bettin Alexander Bonde Ekin Deligöz Dr. Thea Dückert Dr. Uschi Eid Hans Josef Fell Kai Gehring Katrin Göring-Eckardt Anja Hajduk Britta Haßelmann Winfried Hermann Peter Hettlich Priska Hinz (Herborn) Ulrike Höfken Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Thilo Hoppe Ute Koczy Sylvia Kotting-Uhl Fritz Kuhn Renate Künast Undine Kurth (Quedlinburg) Markus Kurth Monika Lazar Dr. Reinhard Loske Anna Lührmann Nicole Maisch Jerzy Montag Kerstin Müller (Köln) Winfried Nachtwei Omid Nouripour Brigitte Pothmer Claudia Roth (Augsburg) Krista Sager Elisabeth Scharfenberg Christine Scheel Irmingard Schewe-Gerigk Dr. Gerhard Schick Rainder Steenblock Silke Stokar von Neuforn Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Jürgen Trittin Wolfgang Wieland Josef Philip Winkler Margareta Wolf (Frankfurt) fraktionslos Henry Nitzsche Gert Winkelmeier Enthalten SPD Marco Bülow Gabriele Hiller-Ohm Dr. Bärbel Kofler Dr. Wolfgang Wodarg Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. März 2007 8691 (A) (C) (B) (D) Dr. Werner Hoyer Menschen in Afghanistan und für unsere eigenen Ent- wicklungshelfer, Soldaten und andere haben, die sich um den Aufbau Afghanistans bemühen. Es gibt übrigens auch solche, die Sorge haben, dass wir vergessen, dass wir Teil eines Bündnisses sind, das für uns ein Teil der Staatsräson ist, und dass wir der Renationalisierung un- serer Sicherheitspolitik ein für alle mal abgeschworen haben. (Beifall bei der FDP) Das ist keine leere Floskel. Was heißt denn Bündnis- fähigkeit? – Bündnisfähigkeit heißt doch nicht, einem anonymen Organ oder den amerikanischen Freunden zu gefallen. Bündnisfähigkeit bedeutet, in der Lage zu sein, auf politische und militärische Strategie, Taktik und Operationsführung aktiv Einfluss zu nehmen, gemein- sam getroffene Entscheidungen solidarisch zu tragen, gegebenenfalls dort, wo ein Veränderungsbedarf gege- ben ist, gemeinsam umzusteuern und gegebenenfalls – auch das kann niemand ausschließen – eines Tages ge- meinsam herauszugehen. Meine Damen und Herren, die Notwendigkeit der Umsteuerung ist evident. Es ist dringend geboten, das Politische vor das Militärische und den Aufbau vor den Aufmarsch zu setzen sowie die Priorität der Politik zu gewährleisten. Das muss sich auch in der Rhetorik wi- derspiegeln. Wir bringen uns doch unnötig in ein fal- sches Licht, wenn wir immer von dieser Offensive re- den, ohne dabei zu sagen, dass sie dazu dient, den Aufbau zu schützen. Es würde nämlich die Arbeit unse- rer Entwicklungshelfer unmöglich machen, wenn zum Beispiel von den Taliban, wie angekündigt, der riesige Staudamm, der fast eine halbe Million Menschen mit Wasser versorgen soll, zerstört würde. So macht das ja alles Sinn. Aber sich selbst rhetorisch in die Situation des Aggressors zu bringen, ist nicht sonderlich klug. (Beifall bei der FDP, sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Auch hier ist Umsteuerung und damit rhetorische Abrüs- tung geboten. Nun, meine Damen und Herren, zur großen Sorge, die viele von uns haben: Stehen wir möglicherweise vor dem Scheitern? Helfen uns da Durchhalteparolen? Hilft es uns, wenn wir markig sagen: Afghanistan ist erst ver- loren, wenn wir es verloren geben? Nein, meine Damen und Herren, das wird den Risiken und der Komplexität der Aufgabe nicht gerecht. Wir brauchen eine realisti- sche Definition unserer Ziele. Wenn wir daran gehen, müssen wir Abstriche machen, nicht bei der Aufbauar- beit, Frau Bundesministerin, nicht bei der konkreten Hilfe für die Menschen – diese ist notwendig –, sondern bei der Vorstellung, wir könnten innerhalb kürzester Zeit eine Westminsterdemokratie entwickeln (Dr. Peter Struck [SPD]: Richtig! Sehr gut!) und wären in der Lage, innerhalb kurzer Zeit die Errun- genschaften der Aufklärung über das Land zu bringen. (Dr. Peter Struck [SPD]: Ja!) Wenn es uns in Erinnerung an das, was vor dem 11. September in Afghanistan los war und was danach geschaffen wurde, gelingt, die Menschen besser vor eklatanten Menschenrechtsverletzungen zu schützen, wenn es gelingt, uns selber hier in Europa und anderswo den Terror vom Leibe zu halten, dann haben wir sehr viel gewonnen. Dazu können die Aufklärer der Bundes- wehr einen Beitrag leisten. Denn sie leisten natürlich auch einen wichtigen Beitrag zum Schutz der eigenen Soldaten, zum Schutz unserer Verbündeten und zum Schutz der Menschen in Afghanistan vor so genannten Kollateralschäden, das heißt vor der Einbeziehung un- schuldiger Zivilisten in Kriegshandlungen. Nach schwie- riger Abwägung werden wir deshalb dem vorgelegten Antrag der Bundesregierung mit großer Mehrheit zu- stimmen. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Nächster Redner ist der Kollege Eckart von Klaeden, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Eckart von Klaeden (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Ministerin Wieczorek-Zeul, auch im Namen meiner Fraktion möchte ich Ihnen herzlich für Ihre einfühlsa- men Worte danken, die Sie zum Tode von Dieter Rübling gefunden haben. Sein Tod sollte uns allen eine Mahnung sein, dass die Lage in Afghanistan gefährlich ist, unser Engagement dort wichtig ist und wir Afghanis- tan eben nicht verloren geben dürfen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN) Wenn wir uns die gesamte Lage in Afghanistan vor Augen führen, dann ergibt sich, wie der Kollege Hoyer zu Recht geschildert hat, ein differenziertes Bild. Es gibt gute und es gibt schlechte Nachrichten. Eine gute ist, dass Afghanistan heute kein sicherer Hafen für global agierende Terroristen mehr ist, dass die Taliban von der Macht vertrieben sind und dass die Ter- rorcamps von al-Qaida in Afghanistan zerschlagen sind. Eine schlechte Nachricht ist, dass insbesondere das letzte Jahr, in dem die Zahl der Selbstmordattentate um das Fünffache zugenommen hat und der Drogenanbau enorm angestiegen ist, für Afghanistan und die interna- tionale Gemeinschaft ein schwieriges Jahr gewesen ist. Es bleiben uns realistischerweise nur noch 18 bis 24 Monate, um den Trend zur Destabilisierung zu stop- pen und die Trendumkehr zu bewerkstelligen. Wenn uns das nicht gelingt, besteht die Gefahr, dass Afghanis- tan erneut zu einem Rückzugsraum für islamische Fun- damentalisten wird, die in ihrem Hass auf alles Westli- che und Liberale die Welt erneut mit transnationalem Terrorismus überziehen wollen. Es handelt sich deshalb 8692 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. März 2007 (A) (C) (B) (D) Eckart von Klaeden bei Afghanistan eben nicht um irgendein Entwicklungs- land am Hindukusch, sondern unser Erfolg dort ist von geopolitischer Bedeutung. Deswegen hat Peter Struck auch völlig recht, wenn er davon spricht, dass Deutsch- land am Hindukusch verteidigt wird. Wir setzen mit unserer Afghanistanpolitik, sowohl was die Ziele als auch was die Prinzipien angeht, das fort, was unter der rot-grünen Bundesregierung begon- nen wurde. Wir müssen heute darüber nachdenken, wie wir unsere Maßnahmen der veränderten Lage anpassen; aber es gibt ausdrücklich weder bei den Zielen noch bei den Prinzipien eine Veränderung. Deswegen finde ich es wenig glaubwürdig, wenn ehemalige Mitglieder der rot- grünen Bundesregierung heute gegen den Einsatz stim- men oder wenn die Menschenrechtsbeauftragte der frü- heren Bundesregierung sich gegen diesen Einsatz aus- spricht. (Beifall bei der CDU/CSU) Außerdem ist der militärische Einsatz unter Rot-Grün deutlich gefährlicher gewesen als heute; denn unter Rot- Grün haben wir Bodentruppen im Süden gehabt, haben deutsche Spezialkräfte gegen al-Qaida gekämpft. (Zuruf von der LINKEN: Darauf kommen wir zurück!) Wir brauchen eine nüchterne Analyse der kritischen Lage. Wir müssen erkennen, dass die Entwicklung der Lage nicht allein eine Folge der Ausweitung des ISAF- Einsatzes in den Süden und den Osten des Landes ist. Zur Herstellung der Stabilität im Süden und im Osten des Landes muss ISAF – nicht im völkerrechtlichen, aber im militärischen Sinne – Krieg führen. Es geht um asymmetrische Kriegsführung. Dazu werden die Tor- nados einen erforderlichen Beitrag leisten. Es ist eine Il- lusion, zu glauben, man könne die Operationen ISAF und OEF strikt voneinander trennen. Beide Operationen werden immer weiter miteinander verschränkt. Es gelten dieselben Einsatzregeln. Deutschland hat – auch bereits unter Rot-Grün – beide Operationen mandatiert. Die Er- folge von OEF und ISAF sind eng miteinander ver- knüpft. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Deswegen wäre es falsch, den Begriff „restriktiv“ im Antrag der Regierung so zu verstehen, dass ISAF prinzi- piell OEF Informationen vorenthalten würde. „Restrik- tiv“ bedeutet, dass die militärische Führung über die Weitergabe der Informationen entscheidet. Aber, wie ge- sagt, die Erfolge beider Operationen hängen eng mitein- ander zusammen. Auch eine Illusion ist, dass es im Rahmen der NATO unterschiedliche Strategien geben kann. Es gibt unter- schiedliche Verantwortungsbereiche; aber wir haben nur gemeinsam Erfolg oder würden gemeinsam scheitern. Von der Entwicklung in der nächsten Zeit wird abhän- gen, ob die bisherigen und die mittlerweile zusätzlich bereitgestellten militärischen und zivilen Mittel ausrei- chen. Deswegen ist es heute aus meiner Sicht nicht viel mehr als eine vage Hoffnung, dass wir, wie einige glau- ben, mit der Zustimmung zum Tornadoeinsatz von wei- teren Anforderungen in Bezug auf den Süden und Os- ten des Landes verschont bleiben. Als Bündnispartner müssen wir bereit sein, nicht nur dieselben Lasten, son- dern auch dasselbe Risiko wie unsere Verbündeten zu tragen. Das ist das Wesen eines Bündnisses. Nur so wird es uns auch gelingen, den erforderlichen Einfluss auf die Gesamtstrategie der NATO auszuüben. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD) Wenn ich davon gesprochen habe, dass wir uns viel mehr anstrengen müssen als bisher, dann gilt das nicht nur in militärischer, sondern auch und vor allem in zivi- ler Hinsicht. Weite Teile der afghanischen Bevölkerung empfinden keine Verbesserung ihrer Lebensgrundlagen. In der Wahrnehmung der afghanischen Bevölkerung – nur die ist entscheidend – ist die bisherige Entwick- lungsbilanz nicht überzeugend. Dabei gibt es sicherlich überzogene subjektive Wahrnehmungen; aber wir müs- sen dafür sorgen, dass wir die Herzen und Köpfe der Menschen gewinnen und Verbesserungen erreichen, die die Menschen in Bezug auf ihre Lebenswirklichkeit auch als solche empfinden. Ohne Entwicklung gibt es keine Sicherheit, aber ohne Sicherheit eben auch keine Entwicklung. Dazu muss die internationale Gemeinschaft in allen Bereichen – beim Aufbau der Polizei, beim Aufbau der Rechts- staatlichkeit, beim Aufbau der Verwaltung, bei der Be- kämpfung des Drogenanbaus und der Förderung von Anbaualternativen –, die wir gemeinsam übernommen und in internationalen Konferenzen festgelegt haben, ihre Anstrengungen wesentlich erhöhen. Wir brauchen bereits in den nächsten Monaten einen „Big Push“ beim Aufbau des Landes. Es geht um eine Konzentration der Kräfte und einen rascheren Mittelab- fluss in die prioritären Bereiche. Wir brauchen Leucht- turmprojekte, die der Bevölkerung in Afghanistan deut- lich machen, dass wir auf ihrer Seite sind und dass sich unser Engagement für sie lohnt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD) Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Herr Kollege von Klaeden, der Herr Kollege Paech möchte gerne eine Zwischenfrage stellen. Eckart von Klaeden (CDU/CSU): Bitte. Dr. Norman Paech (DIE LINKE): Herr Kollege von Klaeden, Ihre Redezeit geht zu Ende, aber Sie haben bis jetzt mit keinem Wort die schwerwiegenden verfassungs- und völkerrechtlichen Bedenken, die aus Reihen Ihrer Fraktion vorgebracht werden, erwähnt. Sie wissen, dass nach der Abstimmung einige Mitglieder Ihrer Fraktion eine Verfassungsklage in Karlsruhe einreichen. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. März 2007 8693 (A) (C) (B) (D) Dr. Norman Paech Meine Frage lautet: Ist Ihnen nicht bewusst, dass das, was Sie hier vortragen, eine Aufforderung zu einem schweren Völkerrechtsbruch ist? Ich will zur Begrün- dung drei Punkte anführen. Erster Punkt. Sie schicken die Tornados in einen Krieg im Süden Afghanistans, der nach übereinstimmen- der Meinung von Kollegen nicht nur des Europaparla- ments, sondern auch dieses Parlaments schon lange die Genfer Konvention verletzt. (Zuruf von der CDU/CSU: Ist das eine Frage?) Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Herr Kollege, es ist richtig, dass Sie im Rahmen einer Zwischenfrage eine Bemerkung machen können. Aber Sie können keine Kurzintervention machen. Dr. Norman Paech (DIE LINKE): Darf ich meine Frage begründen? (Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Stellen sol- len Sie sie!) Zweiter Punkt. Sie haben gesagt, dass ISAF und OEF ununterscheidbar sind und zusammenwachsen. Das ist eine Sprengung des Mandats von ISAF, also eine schwere Völkerrechtsverletzung. (Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Das darf doch nicht wahr sein!) Dritter Punkt. Die Einbeziehung in OEF, also in den Antiterrorkampf gegen al-Qaida – Sie haben selbst ge- sagt, dass die Camps gar nicht mehr bestehen –, kann nicht mehr als Verteidigungsauftrag nach Art. 51 Abs. 6 der UNO-Charta begründet werden. Sechs Jahre Selbst- verteidigung sind eine Absurdität. Das alles ist auch nicht mit dem Verteidigungsauftrag unserer Verfassung zu begründen. Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Herr Kollege, ich glaube, Ihre Frage ist verstanden worden. – Danke schön. Dr. Norman Paech (DIE LINKE): Ich möchte gerne, dass Sie sich dazu äußern. – Danke schön. (Beifall der Abg. Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]) Eckart von Klaeden (CDU/CSU): Herr Kollege Paech, das tue ich gerne. Wir haben die verfassungs- und völkerrechtlichen Bedenken, die von zwei Kollegen meiner Fraktion geäußert wurden, in un- serer Fraktion und ebenfalls im Auswärtigen Ausschuss ausführlich erörtert. Ich muss aber gegen diese Mi- schung von Vorurteilen und üblen Unterstellungen, die Sie gerade in Ihrer Frage, was das Vorgehen der NATO in Afghanistan angeht, geäußert haben, protestieren und möchte meine beiden Kollegen, die diese Bedenken ge- äußert haben, gegen die Vereinnahmung durch Sie in Schutz nehmen. Zur verfassungsrechtlichen und zur völkerrechtlichen Situation. OEF ist mandatiert durch denn Sicherheitsrat der Vereinten Nationen auf der Grundlage der Selbstver- teidigung. Diese Mission ist bisher nicht abgeschlossen. Wenn Sie sich mit der Situation vor Ort beschäftigen, dann wissen Sie, dass der Aufwand für OEF immer wei- ter abgeschmolzen wird. Die Zahl der für Afghanistan vorgesehenen Einsatzkräfte ist längst nicht mehr so hoch wie vor einigen Jahren. Damit korrespondiert die Ausweitung des ISAF-Ein- satzes. ISAF steht für die Stabilisierung und Unterstüt- zung der afghanischen Regierung. Dieser Einsatz ist ebenfalls mandatiert durch den Sicherheitsrat der Verein- ten Nationen. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat ausdrücklich gefordert, dass die Operationen ISAF und OEF in Afghanistan stärker miteinander verschränkt werden. Wir stehen also mit beiden Missionen auf einer klaren völkerrechtlichen Grundlage. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP) Was die verfassungsrechtlichen Bedenken angeht, so muss man sagen: Die Kollegen beziehen sich auf ein Minderheitenvotum, das vom Bundesverfassungsge- richt in einer Entscheidung von 1994 geäußert worden ist. Dieses Minderheitenvotum ist aber in weiteren Ent- scheidungen des Bundesverfassungsgerichtes aufgege- ben worden. Man kann zwar nach wie vor die in diesem Votum dargelegte Rechtsansicht vertreten, aber man kann für sie nicht mit Unterstützung des Bundesverfas- sungsgerichts – auch nicht in Form eines Minderheiten- votums – rechnen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD und der FDP) Ich war dabei, die Prioritäten zu erläutern, die sich auf ziviler Seite ergeben. Das gilt für den Aufbau und Aus- bau der Infrastruktur, insbesondere für den Straßenbau, die Energie- und die Wasserversorgung. Wir brauchen diese Projekte als Katalysator für eine friedliche und er- folgreiche Entwicklung in Afghanistan. Dabei sollten wir uns auch vor Augen führen, dass wir uns in unseren Bildungs- und Frauenförderprojekten stärker darauf kon- zentrieren – ich weiß, dass das für manchen politisch nicht korrekt klingt –, was die religiösen und kulturellen Traditionen dieses Landes sind, um mit solchen Projek- ten nicht konservativen oder fundamentalistischen Kräf- ten in die Hände zu spielen. Ich habe davon gesprochen, dass Afghanistan eine geo- politische Dimension hat. Dazu gehört eben auch, den Blick auf die Nachbarn Afghanistans zu richten: auf den Iran und insbesondere auf die Nuklearmacht Pakistan. Wir wissen, dass Pakistan enorme Schwierigkeiten hat, in seiner Grenzregion, in den sogenannten Tribal Areas, zu Afghanistan die Staatsgewalt auszuüben. Wir wissen, dass es dort Lager für Flüchtlinge aus Afghanistan mit über 3 Millionen Menschen und Koranschulen, soge- nannte Madrassas, gibt, in denen der Nachwuchs der Ta- liban herangezogen wird. Wir müssen alles tun, um auch die pakistanische Re- gierung bei der Herstellung der Staatsgewalt zu unter- 8694 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. März 2007 (A) (C) (B) (D) Eckart von Klaeden stützen. Wir müssen sie aber auch an dem messen, was sie international versprochen hat. Dazu brauchen wir einen institutionalisierten Dialog zwischen Afghanistan und Pakistan sowie die Unterstützung der internationa- len Gemeinschaft, damit es dazu kommen kann, dass ge- rade in den Grenzregionen eine entsprechende Stabilisie- rung stattfinden kann. Ein letzter Blick auf das, was andere leisten. Die Ka- nadier haben gerade ihren Entwicklungshilfeansatz um 200 Millionen kanadische Dollar erhöht. Die Amerika- ner haben ihre Mittel für den zivilen Aufbau um 10,9 Milliarden US-Dollar erhöht. Allein 2 Milliarden US-Dollar sind für die Unterstützung alternativer An- baumethoden zur Bekämpfung des Drogenanbaus vorge- sehen. Wenn wir glaubwürdig bleiben wollen, dann müssen wir bereit sein, sowohl auf militärischer als auch vor al- lem auf ziviler Seite deutlich mehr zu tun. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP) Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Das Wort zu einer Kurzintervention gebe ich dem Kollegen Trittin. – Herr von Klaeden, Sie können dann antworten. Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Lieber Herr Kollege von Klaeden, als Befürworter von ISAF, die wir beide sind, hätten wir darüber streiten können, ob der Einsatz dieser Tornados für einen Erfolg von ISAF von absoluter Bedeutung ist. Ich kann dies nach dem, was die Bundesregierung vorgetragen hat, nicht nachvollziehen. Wir sollten es aber beide unterlas- sen, uns in diesem Zusammenhang gegenseitig fehlende Glaubwürdigkeit zu attestieren. Deswegen habe ich mich zu Wort gemeldet. Sie selber haben darauf hingewiesen: Es gibt in Afghanistan Notwendigkeiten, die dringend geändert werden müssen; das sage ich als jemand, der zu Afgha- nistan steht. Sie selber haben darauf hingewiesen: Wir brauchen mehr zivile Hilfe. Nun gibt die Bundesregie- rung jährlich 20 Millionen Euro mehr. Sie selbst haben die Zahlen zitiert: Kanada gibt 200 Millionen kanadi- sche Dollar mehr. Die USA geben jährlich 1 Milliarde US-Dollar für den zivilen Bereich aus. Das ist das 50-Fache von dem, was Ihre Bundesregierung zur Verfü- gung zu stellen bereit ist. Wir sind uns einig, dass wir mehr Polizeihilfe brau- chen. In der diesbezüglichen Novelle reden wir aber im- mer noch von 40 Mitgliedern. Heute besteht die Situa- tion, dass Feldjäger der deutschen Bundeswehr in der Polizeiausbildung in Masar-i-Scharif engagiert sind; ich finde das richtig. Ich sage Danke zu den Feldjägern. Aber ich sage auch: Gibt es nicht dem Innenministerium und dem Außenministerium zu denken, dass das Militär, die Bundeswehr, heute offensichtlich zivile Aufgaben übernimmt? Das ist doch der Punkt, an dem Sie als Mehrheit hier in diesem Hause hätten handeln müssen, anstatt anderen an dieser Stelle die Glaubwürdigkeit ab- zusprechen. Ich füge ein Letztes hinzu. Wir haben Zweifel, ob das, was wir, diese Koalition und meine Partei, gemeinsam wollen, nämlich einen Strategiewechsel, tatsächlich am Boden angekommen ist, wenn wir gleichzeitig erleben müssen, dass Einigungsversuche zwischen den Briten und den Stammesältesten mithilfe von Raketenangriffen auf Familienangehörige von vermuteten Talibananhän- gern sabotiert werden. Das sind die umfassenden Zwei- fel, die meine Fraktion hat. Ein Teil meiner Fraktion sagt: Wir sagen trotz dieser Bedenken Ja. Andere sagen: Unter diesen Bedingungen können wir zu einem Einsatz von Tornados – nicht zu ISAF – nur Nein sagen. Ich finde, beides sind respektable Positionen, und beides ist kein Grund, irgendjemandem von uns die Glaubwürdig- keit abzusprechen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Herr Kollege von Klaeden. Eckart von Klaeden (CDU/CSU): Herr Kollege Trittin, ich kann nicht nachvollziehen, warum Sie nicht einsehen wollen, dass die Verbesserung der Aufklärungsfähigkeiten dem Einsatz von ISAF dient. Gerade der relativ geringe Truppenansatz, den die NATO für Afghanistan gewählt hat – die 40 000 Solda- ten sind ins Verhältnis zur Größe des Landes zu setzen –, macht deutlich, dass der Erfolg, die Effizienz und nicht zuletzt der Schutz der afghanischen Zivilbevölkerung und der internationalen Aufbauhelfer eine höhere Ziel- genauigkeit der militärischen Einsätze erfordert. Das kann man – das ist eine Binsenweisheit – nur durch ver- besserte Aufklärung erreichen. Deswegen ist es unver- ständlich, dass Sie nicht in der Lage sind, das nachzu- vollziehen. Mein zweiter Punkt. Mir kommen Ihre Hinweise, die Entwicklungshilfe sei aus Ihrer Sicht zu gering – das ist sie auch aus meiner Sicht –, wie eine Ausrede vor. Es wäre Ihnen schließlich während Ihrer Regierungszeit möglich gewesen, die Ansätze entsprechend zu erhöhen. Aber vor allem ist es doch so, dass die Sicherheit, die ISAF in Afghanistan schafft und zu der die Tornados ei- nen wesentlichen Beitrag leisten, erst die Voraussetzung dafür ist, dass überhaupt zivile Hilfe geleistet werden kann. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD und der FDP) Sicherheit ist nicht alles, aber ohne Sicherheit ist alles nichts. Sie müssen immer davon ausgehen, dass Ihr Votum – nicht Ausdruck einer politischen Strömung in Ihrer Wählerschaft – zur allgemeinen Regel für das Regierungshandeln gemacht werden kann. Wenn wir ISAF die nötige Unterstützung verweigern würden und ISAF deswegen nicht erfolgreich sein kann, dann hätte auch der zivile Aufbau keine Chance mehr. Deswegen ist Ihre Argumentation nicht überzeugend und, wie ich finde, auch nicht glaubhaft. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. März 2007 8695 (A) (C) (B) (D) Eckart von Klaeden (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD und der FDP) Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Nächster Redner ist der Kollege Oskar Lafontaine, Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Oskar Lafontaine (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Auch für meine Fraktion danke ich der Entwick- lungshilfeministerin, Frau Wieczorek-Zeul, für die Worte des Bedauerns und der Trauer, die sie hier zum Tod des Entwicklungshelfers gefunden hat. Ich begründe jetzt, warum meine Fraktion den Antrag der Bundesregierung ablehnt. Wir lehnen den Antrag der Bundesregierung ab, weil wir der Auffassung sind, dass die Entscheidung, wenn sie so durchgeführt wird, völ- kerrechtswidrig ist. (Beifall bei der LINKEN) Wir sind manchmal auf unsicherem Terrain, wenn wir das Völkerrecht beurteilen. Da das so selten geschieht, erinnere ich daran, dass auch das Bundesverwaltungs- gericht selbst die Zurverfügungstellung von Flugplätzen und militärischen Einrichtungen während des Irakkriegs als völkerrechtswidrig eingestuft hat und nach wie vor der damals amtierenden Regierung Beihilfe zum Bruch des Völkerrechts vorwirft – ohne dass dies zu irgendwel- chen Konsequenzen führt. (Beifall bei der LINKEN) Beim Völkerrecht – dies ist für unsere Beratung von Bedeutung – beziehen sich die Redner der Koalitions- parteien immer auf die Mandatierung durch die UNO nach Art. 51. Ich habe immer wieder darauf hingewie- sen, dass – unabhängig davon, wie man den Sachverhalt beurteilt; mein Kollege Norman Paech hat das Entschei- dende aus der Sicht unserer Fraktion dazu gesagt – nicht allein diese Mandatierung herangezogen werden kann. Genauso entscheidend, wenn nicht noch entscheidender, sind die Genfer Konventionen. Denn sie gehen noch näher heran, sie sagen: Es ist im Krieg verboten, un- schuldige Menschen zu töten; eine Kriegführung, die das nicht leistet, ist völkerrechtswidrig. (Beifall bei der LINKEN) Dieses Argument meiden die Redner der Koalition. Sie gehen nicht darauf ein, weil es nicht zu entkräften ist; ich werde darauf noch zurückkommen. Ich halte für Die Linke fest, dass wir in dem Grundge- setzartikel, der die Bundeswehr zur Verteidigungs- armee bestimmt, nach wir vor einen wesentlichen Bau- stein unserer Verfassung sehen. Die Bundeswehr ist keine Interventionsarmee, sie ist eine Verteidigungs- armee. (Beifall bei der LINKEN) Nach unserer Auffassung verstößt die Entsendung von Aufklärungstornados in das Kampfgebiet gegen den NATO-Vertrag. Der NATO-Vertrag hat die Mitglied- staaten der NATO zu einem Verteidigungsbündnis zu- sammengeschlossen. Es war eine fundamentale Verän- derung, über die im Parlament überhaupt nicht diskutiert worden ist – die Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, die dies kritisieren, haben recht –, dass die Führungsmacht der NATO, die Vereinigten Staaten von Amerika, eines Tages darauf gedrängt hat, aus diesem Verteidigungsbündnis ein weltweit agierendes Interven- tionsbündnis zu machen. Dies halten wir für fatal und lehnen es ab. (Beifall bei der LINKEN) Aus Sicht der amerikanischen Politik ist das logisch. Die amerikanische Politik zielt auf die Eroberung von Rohstoffquellen und Absatzmärkten. Wer Zweifel daran hat, möge die entsprechenden Dokumente des amerika- nischen Verteidigungsministeriums, des Pentagon, nach- lesen. Es gibt unzählige Fundstellen, die diese These be- legen. Ich bin der Auffassung, dass sich zivilisierte Staaten in der modernen Zeit nicht auf eine Außenpolitik oder gar auf eine Kriegsführung einlassen dürfen, die die Eroberung von Rohstoffquellen und Absatzmärkten zum Ziel hat. (Beifall bei der LINKEN) In der Debatte wird immer wieder gesagt, die NATO dürfe nicht scheitern. Meine Damen und Herren, die NATO ist in Afghanistan längst gescheitert. (Beifall bei der LINKEN) Damit Sie uns nicht wieder unterstellen, dass wir uns in irgendeiner Form unsachlich mit diesem Thema beschäf- tigen, möchte ich zum Beleg meiner These die „Süd- deutsche Zeitung“ zitieren: US-Soldaten wurden angegriffen … bei ihrer Ge- genwehr richteten sie offenbar jedes Mal ein Blut- bad unter Zivilisten an. … Unter den 4 000 Op- fern … im vorigen Jahr … sollen Schätzungen zu- folge mehr als tausend Zivilisten gewesen sein. Die Zahl … kann nicht mehr sein als ein vager Anhalts- punkt, denn sowohl tot als auch lebendig lassen sich Taliban-Kämpfer oft nur schwer von friedli- chen Bauern unterscheiden. So weit die Worte des Beobachters, des Korrespon- denten der „Süddeutschen Zeitung“. An dieser Beobach- tung wird deutlich, warum Ihre Entscheidung total falsch und durch nichts zu begründen ist. (Beifall bei der LINKEN) Da diesen Sachverhalt niemand bestreiten kann, kann auch niemand behaupten, dort sei eine Kriegsführung möglich, die die Genfer Konventionen beachtet. Auf- grund der Bedingungen vor Ort – weil man friedliche Menschen nicht von Kämpfern unterscheiden kann – ist jede Form der Kriegsführung, die Sie jetzt mittelbar un- terstützen wollen, ein Verstoß gegen die Genfer Konven- tionen. Das ist nicht zu verantworten. (Beifall bei der LINKEN) 8696 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. März 2007 (A) (C) (B) (D) Oskar Lafontaine Ich habe so oft gehört, es gehe hier um die Menschen- rechte. Ich habe so oft gehört, es gehe hier um die Frau- enrechte. Ich habe so oft gehört, es gehe hier um die Freiheit der Menschen. Meine Damen und Herren, ich möchte an eines erinnern: Bevor man Menschen Rechte zuweisen kann, müssen sie erst einmal leben. Das Recht auf Leben steht vor allen anderen Rechten, die hier im- mer wieder beschworen werden. (Beifall bei der LINKEN) Das Recht auf Leben können Sie bei dieser Vorge- hensweise nicht gewährleisten. Sie nehmen, wenn Sie dem Einsatz der Tornados in Afghanistan zustimmen, bewusst in Kauf, dass dort eine Kriegsführung stattfin- det, bei der Soldaten bei ihrer Gegenwehr nichts anderes tun können, als – so hat es der Korrespondent der „Süd- deutschen Zeitung“ beschrieben – „jedes Mal ein Blut- bad unter Zivilisten“ anzurichten. Sie stimmen zu, dass wir uns durch die Zurverfügungstellung von Bildern mit- telbar an dieser Art der Kriegsführung beteiligen. Das ist die Entscheidung, die Sie heute treffen wollen und die Sie vor Ihrem Gewissen moralisch rechtfertigen müssen. (Beifall bei der LINKEN) Die NATO ist längst gescheitert. Dennoch wird im- mer gesagt, die NATO wolle den Kampf um die Herzen und um die Köpfe der Menschen gewinnen. Glauben Sie angesichts der Bedingungen vor Ort, die so aussehen, dass man friedliche Menschen nicht von Kämpfern un- terscheiden kann, denn tatsächlich, man könne mit dieser Art der Kriegsführung den Kampf um die Herzen und Köpfe der Menschen gewinnen? Diese Art der Ausei- nandersetzung bzw. der Kriegsführung ist von vornhe- rein zum Scheitern verurteilt. Ein Mitglied der SPD-Fraktion sagte, „man müsse aufpassen, dass Afghanistan nicht zum deutschen Viet- nam werde“; so wurde es zitiert. Ich möchte dies wie folgt auf den Punkt bringen: Die „Irakisierung“ Afgha- nistans – dieser Begriff wird von vielen Militärs verwen- det – ist längst eingetreten. Mittlerweile haben wir in Afghanistan ähnliche Zustände wie im Irak. Das zeigt wieder einmal: Mit Bomben und mit Krieg ist kein Land zu befrieden, ist niemals Frieden in dieser Welt herzu- stellen. (Beifall bei der LINKEN) Dies sagen im Übrigen auch viele Soldaten, die an dieser Art der Kriegsführung und am Wiederaufbau beteiligt sind. Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass das oft sehr schwer voneinander zu trennen ist. Wer das einmal nachlesen will, dem empfehle ich das Interview des Chefs des Bundeswehr-Verbandes in einer hier in Berlin erscheinenden Tageszeitung, damit nicht die bil- lige Ausrede kommt, es handle sich nur um die Einrede der Fraktion Die Linke, wenn wir solche Argumente vortragen. Der Kollege von Klaeden hat noch einmal den Satz aufgegriffen: Deutschland wird am Hindukusch vertei- digt. Er hält das nach wie vor für richtig. Methodisch habe ich gelernt, solche argumentativen Zusammen- hänge umzudrehen. Wenn dieser Satz tatsächlich richtig ist, dann muss man begründen, warum der Satz „Afgha- nistan wird an den Alpen verteidigt“ falsch ist. (Rainer Arnold [SPD]: Nicht alles, was hinkt, ist ein Vergleich!) Dass Sie nicht verstehen, dass dort unschuldige Men- schen umgebracht werden! Bei den Paschtunen gilt ein Stammesgesetz, wonach man gehalten ist, Menschen, die unschuldig umgebracht werden, zu rächen. Aber Sie ignorieren das alles. Die Sicherheitskräfte haben recht, die sagen: Mit dieser Vorgehensweise erhöhen Sie die Gefahr eines Terroranschlags in Deutschland. Genau das kann nicht Ihre Absicht sein. (Beifall bei der LINKEN) Das ist nicht nur eine Intervention der Fraktion Die Linke. Vielmehr geht das auch aus den Meldungen her- vor, die Ihnen die Sicherheitsdienste immer wieder vor- legen. Die Einsichten der Sicherheitsdienste können Sie bei Ihrer Vorgehensweise nicht ignorieren. Ich fasse zusammen: Vor sechs Jahren mögen viele von Ihnen gute Absichten gehabt haben. Ich weiß, wie schwer es ist, einen einmal eingeschlagenen Weg zu ver- lassen. Aber nach sechs Jahren müssen Sie zu der Ein- sicht gekommen sein, dass man Terror nicht mit Krieg und Terror bekämpfen kann. Ich bitte Sie im Interesse unseres Landes, diesen Einsatz abzulehnen. (Beifall bei der LINKEN – Dr. Carl-Christian Dressel [SPD]: Gute Nacht!) Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Nächste Rednerin ist die Kollegin Renate Künast, Bündnis 90/Die Grünen. Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Lafontaine, lassen Sie mich einen Satz zu Ihrer Unter- stellung sagen, unsere Absicht sei – so haben Sie es sinn- gemäß formuliert –, den Terrorismus nach Europa und insbesondere nach Deutschland zu holen. Ich weiß nicht, wo Sie leben, aber das findet hier längst statt. Sie müssen sich mit der Tatsache auseinandersetzen, dass der 11. September und die Anschläge auf das World Trade Center von Mohammed Atta und anderen von Deutschland aus geplant und vorbereitet wurden. Sie müssen sich damit auseinandersetzen, dass in Deutsch- land der Anschlag auf den Weihnachtsmarkt in Straß- burg geplant wurde. Sie müssen sich damit auseinander- setzen, dass in Deutschland der Versuch unternommen wurde, Anschläge auf Züge durchzuführen, und dass dieser Versuch nur gescheitert ist, weil die Attentäter technisch nicht so versiert waren und die Rucksäcke des- halb nicht explodierten. Das ist die Realität, mit der wir uns alle auseinanderzusetzen haben. Die Gefahr ist längst da. Wir wollen dagegen kämpfen, weil wir Sicher- heit wollen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP) Die Mitglieder der Fraktion der Grünen haben sich die Entscheidung nicht einfach gemacht. Ich behaupte, Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. März 2007 8697 (A) (C) (B) (D) Renate Künast dass es uns wie manch anderem in diesem Hause und vielen anderen in Deutschland geht, die sich Gedanken darüber machen, was dieser Einsatz in Afghanistan ins- gesamt bedeutet und was es nun bedeutet, Tornados dorthin zu schicken. Wir haben eine Vielzahl von Ge- sprächen geführt und Anhörungen durchgeführt. Wir haben militärische und zivile Experten in unsere Frak- tion eingeladen und mit ihnen gesprochen. Wir haben zudem ein Gespräch mit dem afghanischen Außenminis- ter geführt. Mitglieder der Fraktion waren zum Beispiel 2006 in Afghanistan und haben sich vor Ort informiert. Angesichts unserer Bemühungen in diesem Zusam- menhang muss ich feststellen, Herr von Klaeden, dass Ihre Vorwürfe nicht angemessen sind. Das sage ich, ob- wohl ich vielleicht zu einem anderen Ergebnis komme als diejenigen aus meiner Fraktion, die direkt ange- sprochen wurden. Denn alle Mitglieder meiner Fraktion – auch frühere Bundesminister und Menschenrechts- beauftragte – haben damals nach ihrem Gewissen ent- schieden und tun dies auch heute wieder. Es gibt an keiner Stelle einen Freifahrtschein; wir werden vielmehr immer wieder um den zivilen und mili- tärischen Schutz und um den Wiederaufbau in Afghanis- tan ringen. Ich glaube, dass Sie heute alle glaubwürdig sein können, wenn Sie mit sich selber ringen und sich Ih- rer Verantwortung als Abgeordnete bewusst sind. Inso- fern meine ich, Ihr Beitrag war nicht hilfreich. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir haben uns Gedanken gemacht und kommen zu dem Ergebnis, dass eine kleine Mehrheit in unserer Fraktion mit Ja stimmen wird; eine kleinere Anzahl wird mit Nein stimmen. Hinzu kommen einige Enthaltungen. Die Begründungen unterscheiden sich durchaus. Ich möchte aber eines betonen: Wir haben in der Fraktion einen klaren Konsens erzielt: Wir stehen zu ISAF. Ich wage die These, dass es bei der heutigen Tor- nadoentscheidung auch längst darum geht. Wir wollen in Afghanistan eine zentrale politische und zivile Entwick- lung ermöglichen. Es gibt keine Alternative, dies ohne militärische Absicherung zu erreichen. Es gibt in unserer Fraktion niemanden, der einer Exitstrategie anhängen würde. Vielmehr treibt uns alle das Interesse, die Strategie zum Wiederaufbau in Af- ghanistan weiter zu verbessern. Darum geht es heute. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es geht nicht um eine Debatte über das Ob, sondern über das Wie bzw. über den Stellenwert des militäri- schen Einsatzes. Wir brauchen eine zivile Frühjahrsini- tiative für einen Strategiewechsel, der nicht nur auf NATO-Papieren geplant und in Sitzungen in Riga oder Sevilla besprochen wird. Notwendig ist vielmehr ein Strategiewechsel auf der zivilen Ebene, der in Afgha- nistan ankommt und den Menschen dort zeigt: Hier geht es vorwärts. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) So bewegen wir uns als Fraktion bei der heutigen Ent- scheidung – je nachdem, wie abgestimmt wird – in dem Spannungsfeld zwischen dem Gebot der Solidarität, dem Schutz der zivilen Helfer und der Afghaninnen und Afghanen und der Frage, ob der Einsatz nicht kontrapro- duktiv ist. Zumindest hat diese Bundesregierung herz- lich wenig dazu getan, den Tornadoeinsatz in den letzten Wochen und Monaten zu erklären. So wenig Informa- tion gab es noch nie. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Der Petersbergprozess hat die Grundlagen für einen politischen Prozess geschaffen. Es gibt ein Parlament, in dem sogar weibliche Abgeordnete vertreten sind. Es gibt eine neue Verfassung, Regierungsinstitutionen und einen Justizapparat. Auch in manchen anderen Bereichen sind Fortschritte erzielt worden. Bei alledem wissen wir aber, dass dies nur der Anfang ist und dass es noch jede Menge Mängel gibt. Wir wissen, dass es strukturelle Fehlentwicklungen gibt und dass manches Geld, das für Sicherheit, Justiz, Gesundheit und Bildung versprochen wurde, irgendwo – zum Teil auch durch Korruption – versickert ist, statt dazu beizutragen, die afghanische Regierung voll funk- tionsfähig zu machen. Das ist die Voraussetzung, um ih- ren staatlichen Aufgaben nachkommen zu können und für ihre Bürgerinnen und Bürger die entsprechenden Dienstleistungen – zum Beispiel Bildung und ein flä- chendeckendes Gesundheitssystem – zu erbringen. Denn dadurch wird eine Regierung auch innenpolitisch legiti- miert. Diesen Mangel werden wir nicht mit rein militäri- schen Mitteln beheben können. Dabei helfen uns auch die Tornados nicht. Sie dienen dem Zweck, sozusagen Übergriffe abzuwehren. Was die Legitimität der afgha- nischen Regierung angeht, damit sie auch von den Stämmen als Autorität akzeptiert wird, die deren Struk- turen und ihre Zukunft verändert, besteht noch erhebli- cher Handlungsbedarf. Wir erwarten von Frau Merkel – Frau Merkel ist heute nicht hier, weil sie in Brüssel ist; das respektieren wir –, dass sie sich jetzt engagiert. Wir erwarten, dass sie als Inhaberin der Ratspräsidentschaft in der Europäi- schen Union jetzt vorangeht und dieses Thema in Europa auf die Agenda setzt. Wir brauchen ein Mehr an ziviler Unterstützung. Mit Verlaub, Frau Wieczorek-Zeul, diese 20 Millio- nen Euro reichen bei weitem nicht aus. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Rainer Arnold [SPD]: 100 Millionen!) Wir brauchen mehr finanzielle Unterstützung. Wir brau- chen mehr Unterstützung, um beispielsweise den Poli- zeiapparat aufzubauen. Wir brauchen mehr Unterstüt- zung nicht nur für die Multiplikatoren, sondern auch für die kleinen Polizeibeamten vor Ort. Ich frage mich: Wo ist eigentlich das Engagement der Bundesregierung? Frau Merkel ist meines Erachtens auf der internationalen Ebene noch seltsam still. 8698 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. März 2007 (A) (C) (B) (D) Renate Künast Ich will sagen, was wir erwarten. Wir erwarten eine klare Aussage zur Drogenbekämpfung. Es gibt immer noch keine kohärente Strategie. Es wird zugelassen, dass international Sorge darüber verbreitet wird, dass Herbi- zide per Flugzeug ausgebracht werden. Wir wissen alle, dass selbst dann, wenn das nicht per Flugzeug geschieht, eine reine Herbizidstrategie vor Ort nicht nur den Mohn zerstört, sondern auch die Gesundheit der Menschen. Diese Strategie bietet den Menschen vor Ort keine Mög- lichkeit, ein anderes Gewerbe aufzubauen oder andere Früchte anzubauen. (Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Das muss Karzai entscheiden!) Genau dafür brauchen wir eine Strategie, aber keine, in der es um Herbizide und Angstmachen geht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Das wird die afghanische Regierung entscheiden!) Wir brauchen einen anderen Umgang mit Pakistan. Ich weiß, dies ist definitiv nicht einfach. Wir erwarten, dass Frau Merkel in Bezug auf den Drogenhandel auch gegenüber Karzai ihre Vorstellungen deutlich zum Aus- druck bringt und darauf dringt, dass er gegen die Kor- ruption kämpft, die in diesem Narco-State ja bis in die Exekutive reicht. Wir erwarten auch, dass diese Bundes- regierung ganz klar sagt, welches Ziel sie beispielsweise für den G-8-Gipfel hat. Spätestens dann – eigentlich ist es schon sehr spät – muss dafür Sorge getragen werden, dass Pakistan nicht durch sein zumindest doppelbödiges Verhalten die Lager der Taliban und von al-Qaida auf seinem Territorium unterstützt. Wir ringen an dieser Stelle um die Zustimmung. Wir wollen ISAF und Afghanistan unterstützen. Wir ringen mit uns selber. Wir wissen, dass das heute eine Gewis- sensentscheidung ist. Eines weiß ich aber auch: Wir müssen heute mit Blick auf die Entscheidung im Herbst, wenn es wieder um ISAF geht, eines hinkriegen, näm- lich den Strategiewechsel mit Leben füllen. Der Strate- giewechsel muss bei den Menschen vor Ort ankommen. Man muss sich mit Pakistan auseinandersetzen, und das Verhalten der Soldaten muss sich ändern. Es bedarf einer Vernetzung des Zivilen mit dem Militärischen. Da dür- fen keine Löcher entstehen. Natürlich brauchen wir auch ein Stück militärischen Schutz. Wie gesagt, wir wollen, dass es eine zivile Frühjahrsinitiative gibt und dass diese Bundesregierung wegen der doppelten Präsidentschaft ihrer Aufgabe nachkommt, jetzt in die Offensive zu ge- hen, damit das Zivile gestärkt wird. Sonst geht von die- sem Tag ein falsches Signal aus. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Nächster Redner ist der Kollege Gert Weisskirchen, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Gert Weisskirchen (Wiesloch) (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Frau Entwicklungsministerin, haben Sie herzlichen Dank dafür, dass Sie daran erinnert haben, dass der Mord an Dieter Rübling auch zeigt, wie risikoreich die Arbeit der zivilen Helferinnen und Helfer und derer ist, die im Auftrag des Entwicklungsministeriums dort ar- beiten. Wir sollten allen, die als Mitglieder von Nichtre- gierungsorganisationen, im Auftrag des Entwicklungs- ministeriums oder im Auftrag von vielen anderen, Kirchen beispielsweise, in diesem Land arbeiten und mithelfen, dass sich so etwas wie eine Zivilgesellschaft entwickelt, danken. Das ist ein unglaubliches Engage- ment. Wir wissen diese Arbeit zu schätzen und sagen Danke schön dafür. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Egon Bahr hat gestern Abend in einer Diskussion noch einmal deutlich gemacht, warum seiner Meinung nach diejenigen in der SPD-Bundestagsfraktion, die sich noch überlegen, mit Nein zu stimmen, anders handeln sollten. Sein zentrales Argument – ich halte es für rich- tig – ist: Man sollte aus dieser Abstimmung keine Grundsatzentscheidung machen; vielmehr sollte man sich überlegen, was die Folgen wären, wenn man mit Nein stimmt. Wenn Sie eine Sekunde – viele von uns ha- ben Erfahrungen und Begegnungen – – (Abgeordnete der Fraktion Die Linke halten Buchstabentafeln hoch) Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Linken, un- terlassen Sie diese Demonstration, oder verlassen Sie den Raum! – Ich bitte die Saaldiener, die Kolleginnen und Kollegen des Saales zu verweisen. Das, was Sie hier machen, geht nicht. (Zurufe von der CDU/CSU: Das gibt es doch gar nicht! – Peinlich ohne Ende! – Die sind bis heute nicht in der Demokratie angekommen! – Jörg van Essen [FDP]: So etwas Peinliches! – Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Wenn sie das ernst meinten, dürften sie nicht so grin- sen!) Ich bitte die Saaldienerinnen und Saaldiener, die De- monstration zu beenden. (Dirk Niebel [FDP]: Raustragen! – Weiterer Zuruf von der FDP: Peinlich ohne Ende! – Zu- ruf von der CDU/CSU: Die werden doch sonst nicht wahrgenommen!) Gert Weisskirchen (Wiesloch) (SPD): Lieber Kollege Gehrcke, ich sehe, dass Sie sich an dieser Demonstration beteiligt haben. (Zuruf des Abg. Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]) Sie wissen doch so gut wie alle, die Mitglieder des Aus- wärtigen Ausschusses sind, wie wir darum ringen, einen zivilen Aufbau in Afghanistan voranzutreiben. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. März 2007 8699 (A) (C) (B) (D) Gert Weisskirchen (Wiesloch) (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Doch nicht mit Tornados!) Wir ringen um die Chance, dass dieses Land sein Schicksal in die eigene Hand nehmen kann. Ich kann überhaupt nicht verstehen, in welcher demagogischen Form Sie hier auftreten. Das kann ich überhaupt nicht verstehen. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN) Vielleicht sollten wir uns alle gemeinsam überlegen, was geschehen würde, lieber Kollege Lafontaine, wenn wir den Taliban das militärische Handeln überlassen würden. Haben wir denn vergessen, was zum 11. September 2001 geführt hat? Haben wir vergessen, welche Schrekkensherrschaft die Taliban in Afghanistan ausgeübt haben? (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU und der FDP) Haben wir vergessen, dass Frauen gesteinigt worden sind? Haben wir vergessen, dass Kinder, insbesondere Mädchen, keine Chance gehabt haben, Schulen zu besu- chen? Haben wir vergessen, dass die Fußballstadien von den Taliban zu Hinrichtungsorten gemacht worden sind? Haben wir das alles vergessen? (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wollen wir vergessen, dass die Taliban jetzt wieder versuchen, im Süden Afghanistans Boden zurückzuge- winnen? Der Staudamm, der dort zurzeit gegen die An- griffe der Taliban verteidigt werden muss, ist die Le- bensader von mehreren Hunderttausend von Menschen im Süden Afghanistans. Die Taliban haben erklärt, sie wollten diese Lebensader durchschneiden, sie wollten den Staudamm zerbrechen. Können wir das hinnehmen? Wenn die Regierung Karzai die internationale Staatenge- meinschaft darum bittet, militärisch mitzuhelfen, dass dieser Angriff der Taliban abgewehrt wird: Können wir das zurückweisen? Können wir uns der Bereitstellung von sechs Tornados, die dabei mithelfen können, aufzu- klären, was dort seitens der Taliban militärisch ge- schieht, wirklich verweigern? Wir würden uns vielleicht geradezu mitschuldig daran machen, dass Hunderttau- sende von Menschen im Süden Afghanistans keine Le- bensperspektive haben. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ströbele? Gert Weisskirchen (Wiesloch) (SPD): Gerne, Herr Kollege Ströbele. (Monika Knoche [DIE LINKE]: Wie lange wollen Sie denn noch bleiben?) – Gute Frage. Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Herr Kollege, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu neh- men, dass die Fotoaufnahmen, die die Tornados ma- chen und an die Militäreinsatzführung weitergeben, auch dazu benutzt werden – ich betone: auch dazu be- nutzt werden –, Ziele auszumachen, auf die Raketen und Bomben abgeworfen werden, und dass wir dann, wenn in Zukunft Meldungen durch die Presse gehen, nach denen bei der Bombardierung von Gehöften, von Ortschaften, von Orten zahlreiche Menschen, die Hälfte oder ein Viertel davon Zivilisten, Frauen, Kin- der, alte Menschen, getötet worden sind, sagen müssen: Das kann auch auf der Grundlage der von unseren Tor- nados gelieferten Daten und Fotos geschehen sein? Gert Weisskirchen (Wiesloch) (SPD): Lieber Herr Kollege Ströbele, darf ich Ihre Frage mit einer Gegenfrage beantworten? (Oskar Lafontaine [DIE LINKE]: Nein! Ein- mal den Mut zu einer Antwort! – Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Das ist ein selbst- gerechter Typ da drüben!) Sie haben vielleicht gehört, Herr Kollege Ströbele – möglicherweise waren Sie aber auch nicht dabei, als das gesagt wurde –, dass das Parteimitglied der Grünen, der Außenminister Afghanistans, Dr. Rangin Spanta, Folgendes gesagt hat – ich zitiere ihn –: Diese Tornados machen Aufklärungsarbeit. Sie die- nen dem Schutz der afghanischen Zivilbevölke- rung, (Dr. Peter Struck [SPD]: So ist es!) weil die Grenzen ziemlich durchlässig sind: 2 400 km Grenze. Die Terroristen kommen, ziehen sich wieder ins Hinterland zurück. Die Tornado- Aufklärer können dagegen helfen. Ich schließe mich dem Außenminister Afghanistans, dem Mitglied der Grünen, ausdrücklich an. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Herr Kollege Weisskirchen, es gibt eine weitere Zwi- schenfrage, und zwar der Kollegin Kunert. Gert Weisskirchen (Wiesloch) (SPD): Bitte schön. Katrin Kunert (DIE LINKE): Herr Kollege Weisskirchen, ich habe eine ganz kon- krete Frage. Sie mögen die Aktion meiner Kolleginnen und Kollegen werten, wie Sie wollen; aber Ihnen ist si- cherlich bekannt, dass es eine Umfrage in der Bevölke- rung gegeben hat, wonach 77 Prozent der Befragten diesen Tornado-Einsatz ablehnen. Ich frage Sie: Wie 8700 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. März 2007 (A) (C) (B) (D) Katrin Kunert würden Sie Ihre Entscheidung gegenüber diesen 77 Pro- zent begründen? (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Das macht er doch gerade! – Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Fang noch mal von vorne an!) Gert Weisskirchen (Wiesloch) (SPD): Sie zu begründen, ist genau das, was ich mit meiner Rede beabsichtige. (Beifall der Abg. Uta Zapf [SPD]) Ich will an diesem Punkt Folgendes deutlich machen: Im kanadischen Parlament gab es vor einem Jahr eine Mehrheit von zwei Stimmen dafür, sich an dem militäri- schen Einsatz im Süden Afghanistans zu beteiligen. Viele Dutzende von kanadischen Soldaten haben bei die- sem Einsatz ihr Leben gelassen. Innerhalb der kanadi- schen Bevölkerung gibt es wie bei uns eine demoskopi- sche Mehrheit gegen diesen Einsatz. Was würde es im Hinblick auf die Entscheidung des kanadischen Parlaments, die Anfang des nächsten Jahres neu ansteht, bedeuten, wenn wir heute bei der Entschei- dung über den Tornado-Einsatz Nein sagen, wenn wir also den Einsatz des recht begrenzten militärischen In- struments von sechs Tornados heute verweigern wür- den? Ich bin ganz sicher, dass das kanadische Parlament dann sagen würde: Das ist aber solidarisch von euch; wir werden jetzt unsere Entscheidung gegen euch treffen. Was würde das für Afghanistan und für das gesamte Mandat bedeuten? Wir würden Afghanistan mit einer solchen Entscheidung in den Untergang treiben. Wir müssen Entscheidungen manchmal gegen Stimmungen treffen. Das ist jetzt nötig. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN) Militärisch können die Köpfe und Herzen der Afgha- nen nicht gewonnen werden. Da gebe ich allen recht, die das kritisch angemerkt haben; das gilt auch für einige in der SPD-Fraktion. (Oskar Lafontaine [DIE LINKE]: Ach so!) Es gilt aber eben auch der Satz: Ohne begrenzte militäri- sche Mittel wird es nicht das hinreichende Maß an Si- cherheit geben, das Afghanistan braucht, damit es ein- mal selbst über die eigene Entwicklung entscheiden kann. Dieses Maß an Sicherheit ist aber nötig. Ich stimme dem Kollegen von Klaeden ausdrücklich zu – er hat die Frau Ministerin zitiert –: Es gibt keine Sicherheit ohne Entwicklung. Aber auch der Umkehrsatz gilt: Es gibt keine Entwicklung ohne Sicherheit. Dieses Maß an Sicherheit muss jetzt hergestellt werden. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Frau Künast, vielleicht haben Sie nicht registriert – das möchte ich Ihnen doch sagen, weil Sie vorhin eine entsprechende Bemerkung gemacht haben –, dass Deutschland der viertgrößte (Oskar Lafontaine [DIE LINKE]: Truppen- steller!) – nein – Financier der Welt im Bereich der Entwick- lungshilfe ist. Nach den USA, Kanada und Großbritan- nien kommt Deutschland. Bis zum Jahr 2010 haben wir – nicht zu vergessen – von den 30 Milliarden US-Dollar, die im Afghanistan-Compact im letzten Jahr beschlossen worden sind, ohne Berücksichtigung unserer Zahlungen im Rahmen der Europäischen Union allein für den zivi- len Aufbau 1 Milliarde US-Dollar zur Verfügung ge- stellt. Damit macht Deutschland deutlich: Es ist das Wichtigste, den zivilen Aufbau voranzubringen. Dazu brauchen wir aber auch die militärische Unterstützung. Deswegen sind wir für den Tornadoeinsatz. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Die Behauptung der Linken, der PDS, wir hätten keine sichere völkerrechtliche Grundlage, wird durch häufiges Wiederholen nicht richtiger; sie bleibt falsch. (Dr. Peter Struck [SPD]: Richtig!) Ich will aus dem letzten Beschluss des Weltsicherheits- rats, Resolution 1707 vom September des letzten Jahres, zitieren. (Oskar Lafontaine [DIE LINKE]: Genfer Konvention!) Unter Ziffer 4 heißt es: Der Sicherheitsrat fordert nach Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen die ISAF auf, bei der Durchführung des Mandats der Truppe auch weiterhin in enger Abstimmung mit der Regierung der Islamischen Republik Afgha- nistan, mit dem Sonderbeauftragten des General- sekretärs sowie mit der Koalition der Operation „Dauerhafte Freiheit“ zu arbeiten. Wollen Sie etwa unterstellen, dass sich der Weltsicher- heitsrat konträr zum Völkerrecht verhält? Das ist doch eine absurde Unterstellung. Absurder kann es gar nicht sein, lieber Kollege Lafontaine. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN) Uns ist bewusst, dass es eine schwierige, auch eine Gewissensentscheidung ist – wir wissen, dass es Kolle- gen gibt, denen das schwerfällt –, dem Tornado-Einsatz zuzustimmen. Klar ist aber erstens, dass der zivile Im- puls gegenüber dem militärischen Impuls künftig ver- stärkt werden muss. Das ist durch den Strategiewechsel, der innerhalb der internationalen Staatengemeinschaft von Frank-Walter Steinmeier vorangetrieben worden ist, dokumentiert. Zweitens ist zuzugeben, dass die Aufgabe viel schwieriger ist, als wir uns das zu Beginn vorgestellt ha- ben. Das ist zutreffend. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. März 2007 8701 (A) (C) (B) (D) Gert Weisskirchen (Wiesloch) Drittens gilt, dass das Hilfskonzept umfassender orga- nisiert werden muss. Der Afghanistan-Compact ist der Ausdruck dafür, dass wir unsere Arbeit in Afghanistan ernst nehmen. Wir müssen den Menschen in Afghanistan sagen: Ihr könnt euch auf uns verlassen. Wenn ihr wollt, dass wir euch helfen, dann sind wir bei euch. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Das Wort zu einer Kurzintervention gebe ich dem Kollegen Paech. (Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Das ist doch dieser Plakatständer!) Dr. Norman Paech (DIE LINKE): Herr Kollege Weisskirchen, Sie haben uns „Verges- sen“ vorgeworfen. Vielleicht ist es so, dass man den Splitter im Auge des anderen sieht, aber den Balken vor den eigenen Augen nicht. (Beifall der Abg. Renate Künast [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN]) Sehen Sie denn nicht, dass Sie mit Ihrer Strategie, mit der Erweiterung des Kriegsszenarios das Gegenteil von dem machen, was Sie eigentlich machen wollen, näm- lich Hearts and Minds zu gewinnen, dass Sie die Taliban eigentlich nur unterstützen, dass Sie sie fördern? In dem sechsjährigen Krieg sind die Taliban noch nie so stark gewesen, insbesondere im Süden, wie jetzt. Das ist doch kein Ergebnis Ihres zivilen Impulses, sondern ein Ergeb- nis der Verstärkung der militärischen Aktivitäten. Ein Zweites. Einer ihrer größten Erfolge in diesen sechs Jahren ist – das wissen wir alle –, dass der Dro- genanbau und der Drogenhandel in dieser Region Di- mensionen wie noch nie zuvor angenommen haben. Das ist eine Kriegsökonomie, die die Taliban benutzen, um ihre Stärke weiter auszubauen. Mit der zunehmenden Militarisierung dieses Konfliktes werden also auch die Gegner gestärkt. Daran geht die NATO auf jeden Fall zugrunde. Danke schön. (Zuruf von der FDP: Sie hätten sich entschul- digen sollen!) Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Herr Kollege Weisskirchen. Gert Weisskirchen (Wiesloch) (SPD): Lieber Kollege Paech, lassen Sie mich nur einen Punkt aufgreifen. Wenn ich es richtig in Erinnerung habe, besteht das dortige Parlament zu über 30 Prozent aus Frauen. Das ist ein Zeichen dafür, dass es in Afgha- nistan auch eine qualitativ andere Entwicklung gibt. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP und des BÜND- NISSES 90/DIE GRÜNEN) Zuvor wurden sie gesteinigt, wurden sie unterdrückt und (Monika Knoche [DIE LINKE]: Wurden sie geschlagen!) wurden sie in einer Weise bedrängt, dass sie ihr eigenes Leben nicht haben führen können. Allein das macht deutlich, dass wir an der Seite Afghanistans bleiben und mithelfen müssen, damit Afghanistan seinen eigenen, selbstbestimmten Weg gehen kann. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Nächste Rednerin ist die Kollegin Birgit Homburger, FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP) Birgit Homburger (FDP): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Zahl der Selbstmordanschläge in Afghanistan hat sich im letzten Jahr gegenüber 2005 nahezu verfünf- facht. Auch in diesem Jahr gab es bereits rund 20 An- schläge. Wir stehen nicht am Anfang eines Engagements in Afghanistan. Wir stehen am Scheideweg dieses Engage- ments. Deswegen haben wir im Herbst des letzten Jah- res, als wir hier eine Debatte über die Verlängerung der Mandate ISAF und Operation Enduring Freedom geführt haben, auch eine Diskussion darüber begonnen, dass es einen Strategiewechsel hin zu einem besseren Gleichge- wicht zwischen zivilen und militärischen Maßnahmen geben muss. Das muss wiederhergestellt werden. Das bedeutet, dass sehr viel stärker als bisher auf zivil- militärische Zusammenarbeit und den Wiederaufbau in Afghanistan Wert gelegt werden muss. (Beifall bei der FDP) Wir haben hier auch über den Beitrag Deutschlands diskutiert. Wir leisten einen großen Beitrag. Das ist auch mehrfach gesagt worden. Wir haben jetzt die Chance, in der Nordregion schnell deutlich sichtbare Zeichen zu setzen und damit klarzumachen, dass wir dort sind, um den Menschen in diesem Land zu helfen. Das ist drin- gend erforderlich. Wir brauchen auch eine Optimierung der Leistungen, die die Bundesressorts erbringen. Diese müssen deutlich besser koordiniert werden. (Beifall bei der FDP) Genau darüber haben wir in den letzten Wochen ge- sprochen: über den Polizeiaufbau und den Aufbau des Justizvollzugswesens. Wir haben nicht nur hier im Deut- schen Bundestag darüber gesprochen, sondern dadurch ist auch einiges andere in Bewegung geraten. Bis hin zu den NATO-Verteidigungsministern hat sich die Einsicht durchgesetzt, dass das Ziel der Stabilisierung Afghanis- tans mit militärischen Mitteln allein nicht erreicht wer- den kann. Die große Mehrheit unserer Fraktion sieht, dass sich die Dinge hier in die richtige Richtung entwi- ckeln. Deshalb werden wir heute unsere Zustimmung nicht verweigern. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) 8702 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. März 2007 (A) (C) (B) (D) Birgit Homburger Der Einsatz der deutschen Recce-Tornados kann zu einer Verbesserung der Sicherheitslage beitragen. Das ist hier schon mehrfach gesagt worden. Es kann auch eine Optimierung der militärischen Operationen erreicht wer- den. Die Bundesregierung trägt eine große Verantwor- tung. Sie hat mehrfach versichert, dass sie über die Personalstrukturen Einfluss auf die militärische Opera- tionsführung hat. Wir erwarten, dass sie diesen Einfluss auch geltend macht und sich dafür einsetzt, zukünftig nicht nur Einsatzregeln, sondern auch Verhaltensregeln aufzustellen. Das wird für die weitere Entwicklung von Afghanistan entscheidend sein. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD]) Wir haben uns im Rahmen der Diskussion auch über die Frage unterhalten, ob die Tornados überhaupt ein- satzfähig sind. Diese Frage kam sowohl aus der Bevöl- kerung als auch von den Kolleginnen und Kollegen. Ich finde, die Bundesregierung hat nachvollziehbar dar- gelegt, dass die Einsatzfähigkeit voll gegeben ist, dass hier auch in Zusammenarbeit mit den anderen Nationen die Einsatzfähigkeit sichergestellt wird. Wir sagen deutlich: Wir im Deutschen Bundestag le- gen gemeinsam Wert darauf, dass die bestmögliche Aus- stattung der deutschen Soldatinnen und Soldaten sicher- gestellt wird und damit eben auch die Ausübung des neuen Mandats ermöglicht wird. (Beifall bei der FDP) Ich möchte an dieser Stelle ein Wort zur Finanzie- rung sagen. Meine Damen und Herren von der Bundes- regierung, im Rahmen der Beratungen kamen auch aus den Koalitionsfraktionen und aus dem Verteidigungs- ministerium große Bedenken darüber auf, dass dieser Einsatz erneut allein aus dem Haushalt des Verteidi- gungsministeriums finanziert werden wird. Das wird auf Dauer so nicht gehen können. Wenn Sie das auf Dauer weiter so machen, wird das nicht ohne Einfluss auf die Ausrüstung und Ausstattung der Soldatinnen und Solda- ten bleiben. Deshalb erwarten wir, dass Sie Anstrengun- gen unternehmen, dass solche zusätzlichen Einsätze zu- künftig aus dem allgemeinen Haushalt finanziert werden. (Beifall bei der FDP) Wichtig ist die politische Flankierung, nicht nur beim Wiederaufbau, sondern auch bei den Bemühungen um die Stabilisierung der afghanisch-pakistanischen Grenz- region. Und hier braucht es eine Unterstützung der pa- kistanischen Regierung gegen islamistische, terroristi- sche und kriminelle Kräfte in Pakistan. Auch hier muss es politische Initiativen der Bundes- regierung geben. Wenn wir dieses Problem und das Flüchtlingsproblem in der Grenzregion nicht lösen, wird das eine dauerhafte Quelle der Destabilisierung für Af- ghanistan sein. (Beifall bei der FDP) Meine Damen und Herren, deshalb sage ich sehr deut- lich: Mit der Zustimmung zum heutigen Mandat gibt es aus der Sicht unserer Fraktion keinen Automatismus hin- sichtlich weiterer Abstimmungen über eine Mandatsver- längerung; im Herbst dieses Jahres wird ja wieder eine anstehen. (Beifall bei der FDP) Wir erwarten, dass nicht nur über den Strategiewechsel gesprochen wird, sondern dass er auch umgesetzt wird. Ich möchte eine letzte Bemerkung machen, liebe Kol- leginnen und Kollegen. Die Diskussion in den letzten Wochen im Deutschen Bundestag war nicht etwa Hemmschuh, nein, sie war in vielen Punkten eine Unter- stützung für die Bundesregierung – auch auf NATO- Ebene –, wenn es darum ging, auf den politischen Wech- sel hinzuwirken. Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Frau Kollegin! Birgit Homburger (FDP): Frau Präsidentin! Ich komme zum letzten Satz. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, deshalb beweist sich an dieser Stelle die Überlegenheit des Konzepts der Par- lamentsarmee. Wir sollten gemeinsam dafür sorgen, dass das auch weiter so bleibt. (Beifall bei der FDP) Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Das Wort hat der Kollege Bernd Siebert, CDU/CSU- Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Bernd Siebert (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Unsere Soldatinnen und Soldaten erfüllen unter zum Teil gefährlichen Bedingungen ihren Auftrag in verschiede- nen Auslandseinsätzen. Nach besten Kräften, unterstützt von ihren Kameraden in der Heimat, tragen sie so zum guten Ansehen unseres Landes in der Welt entscheidend bei. Dafür gebührt – das kann man nicht nur nicht häufig genug wiederholen, sondern man muss es – den Angehö- rigen unserer Streitkräfte unser aller Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP und des BÜND- NISSES 90/DIE GRÜNEN) Insbesondere den Soldatinnen und Soldaten in Afgha- nistan ist ein Dank auszusprechen, denn sie haben in den letzten Jahren Hervorragendes geleistet. Heute entscheiden wir in diesem Hohen Haus über den Einsatz der Aufklärungstornados in Afghanistan. Eine wochenlange Diskussion liegt hinter uns. Ich denke, diese Diskussion hat deutlich gemacht, dass die meisten Mitglieder in den Fraktionen verantwortungs- voll mit diesem Thema umgegangen sind. Deshalb wer- den wir heute bei der Beschlussfassung auch eine so klare Mehrheit zur Kenntnis nehmen. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. März 2007 8703 (A) (C) (B) (D) Bernd Siebert Diese Diskussion hat auch gezeigt, dass die Bundes- wehr zu Recht als Parlamentsarmee dargestellt wird. Wir haben also bei der Entsendung deutscher Soldatinnen und Soldaten ins Ausland die letzte Entscheidung und damit auch eine besondere Verantwortung. Wichtiger erscheint mir allerdings, dass eine Befas- sung durch den Bundestag zu einer sicherheitspoliti- schen Diskussion in der breiten Öffentlichkeit unserer Gesellschaft geführt hat. Wir werden sehen, dass diese Diskussion heute nicht beendet ist, sondern auch in der Zukunft weitergeht. Ich will an dieser Stelle daran erin- nern, dass wir vor einem Jahr über den Kongoeinsatz entschieden haben. Wenn wir damals die Umfragen be- züglich eines möglichen Kongoeinsatzes als Grundlage für unsere Entscheidung genommen hätten, hätten wir nicht so einen erfolgreichen Einsatz im Kongo organi- siert und umgesetzt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD) Natürlich wird eine solche Diskussion kontrovers ge- führt. Das wesentliche Argument der Gegner eines Ein- satzes von Tornados in Afghanistan ist – wir haben das heute gehört –, dass der Einsatz eine völlig neue Dimen- sion der Kriegsbeteiligung bedeuten würde und zugleich zu einer weiteren Militarisierung der deutschen Außen- politik führen würde. Dem widerspreche ich ganz ent- schieden. Genau das Gegenteil ist der Fall. Wir sind uns, glaube ich, alle einig, dass unser Einsatz in Afghanistan nur durch einen ausgewogenen und ver- netzten sicherheitspolitischen Ansatz zum Erfolg führen kann. Das bedeutet den Einsatz sowohl ziviler als auch militärischer Mittel in Afghanistan. Das eine ist ohne das andere nicht denkbar, weiß doch eigentlich jeder, dass ziviler Aufbau und demokratische Strukturen in einem Klima von Krieg, Zerstörung und Existenzkampf der Bevölkerung nicht gedeihen können. Diese notwendige Sicherheit muss notfalls auch gegen Widerstände über längere Zeiträume verteidigt werden, nicht zuletzt, um das bisher Erreichte in Afghanistan abzusichern. Dafür brauchen wir den Einsatz militärischer Fähigkeiten. Die internationale Sicherheitsunterstützungstruppe ISAF hat bereits in der Vergangenheit militärische Auf- klärung in Afghanistan betrieben. Deutschland hat zum Beispiel Aufklärungsdrohnen des Typs LUNA im Nor- den Afghanistans im Einsatz. Im Bereich der Luftaufklä- rung hat es jedoch bisher eine Fähigkeitslücke gegeben, die wir nun schließen können. Unsere Tornados sind her- vorragend geeignet – das können sie besser als andere –, am Tage in Höhen von bis zu 8,5 Kilometern auch bei schlechtem Wetter und mit einer Geschwindigkeit von über 1 000 Kilometern pro Stunde exakte Bilder zu lie- fern und Nachtaufklärung mit Infrarot zu betreiben. Da- durch bieten die deutschen Tornados eine besondere Qualität im Bereich moderner Aufklärung. Wenn wir unsere Tornados nach Afghanistan senden, dann geht es dabei nicht nur um den Einsatz einer weite- ren militärischen Fähigkeit, sondern um unseren Beitrag an jenem abgestimmten und ausgewogenen Konzept, mit dem die langfristige Stabilisierung Afghanistans erreicht werden soll. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD) Denn die Aufklärung von Räumen und Objekten trägt unmittelbar zum Schutz unserer Soldatinnen und Solda- ten und zur Absicherung des zivilen Aufbaus bei. Dass dieser Schutz nicht ausschließlich unseren Kräften zur Verfügung stehen sollte, sondern allen Verbündeten, das versteht sich aus meiner Sicht von Bündnissolidarität von selbst. Deutschland beteiligt sich mit einer breiten Palette ziviler und militärischer Maßnahmen am Aufbau in Afghanistan. Die Bundeswehr schafft Sicherheit als Voraussetzung für eine positive Entwicklung. Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Herr Kollege, darf ich Sie an die Zeit erinnern! Bernd Siebert (CDU/CSU): Letzter Satz, Frau Präsidentin. – Die Tornados sind damit ein weiterer Schritt auf dem Weg zu Stabilität und Frieden in der Region. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD und der FDP) Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Nächster Redner ist der Kollege Rainer Arnold, SPD- Fraktion. Rainer Arnold (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Taliban sind wieder erstarkt. Vielleicht nimmt Die Linke einmal zur Kenntnis, dass sich deren menschen- verachtender Terror nicht in erster Linie gegen die Sol- daten aus 37 Ländern richtet, sondern gegen die Men- schen in Afghanistan, (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU, der FDP und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN – Monika Knoche [DIE LINKE]: Das wissen wir!) gegen die zivilen Aufbauhelfer, gegen die Schulen und gegen Lehrer, die Frauen und Mädchen unterrichten. (Monika Knoche [DIE LINKE]: Das ist uns bekannt!) Die meisten Opfer, die es durch Terrorismus gegeben hat, sind afghanische Zivilisten. Ich denke, die Taliban wissen auch, dass sie diese mi- litärische Auseinandersetzung nicht gewinnen können. Sie setzen aber auf eine andere Strategie, nämlich da- rauf, dass sie die westlichen Industrieländer, die sich dort engagieren, zermürben können. Deshalb glaube ich schon, dass die Art, wie wir heute diskutieren und wie wir entscheiden, am Ende nicht nur eine nationale Ange- legenheit ist, sondern auch Einfluss darauf hat, wie die- 8704 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. März 2007 (A) (C) (B) (D) Rainer Arnold ser Kampf in Afghanistan weitergeführt werden kann. Wir dürfen ihnen auch mit unserer Wortwahl nicht ent- gegenkommen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) In dieser schwierigen Phase in Afghanistan, in der es nicht um das Gelingen oder einen Misserfolg, sondern um eine Weichenstellung hin zu mehr Stabilität geht, hat die NATO – das ist kein anonymes Gremium, wir Deut- schen sind Mitglied der NATO – einen Anforderungs- katalog für zusätzliche Fähigkeiten aufgestellt. Ein Beitrag dazu sind diese Tornados, mit denen eine einzig- artige Fähigkeit verbunden ist. Die Ressourcen dafür hat momentan nur Deutschland frei. Die Aufnahmen dieser Tornados sind nicht die einzigen Auswertungsgrundla- gen für Entscheidungen in Afghanistan, sondern ein Teil der Informationen. Klar ist aber, dass damit zwei Dinge geleistet werden können: Erstens. Anschläge können dadurch in der Tat verhin- dert werden. (Lachen bei Abgeordneten der LINKEN) – Da gibt es doch nichts zu lachen. Ich weiß nicht, was für die Kollegen der Linken daran lustig ist. – Wir haben heute schon über das Staudammprojekt gesprochen. Für diesen Staudamm muss eine dritte Turbine auf dem Landweg transportiert werden. Natürlich können die Tornados diese Route, diese Straßen, bei jedem Wetter Tag und Nacht bestreifen und aufklären, ob dort in der Nacht Sprengfallen vergraben werden. Das ist wichtig für die Menschen in Afghanistan, deren Hoffnungen und deren Lebensbedingungen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Dirk Niebel [FDP]) Zweitens. Natürlich können die Tornados auch Ziele aufklären. Wir als Deutsche haben mit allen 36 Partnern ein gemeinsames Interesse daran, dass nicht immer neue Terroristen über die Grenze von Pakistan kommen. Je genauer die Ziele aufgeklärt werden, umso besser ist es möglich, zivile Opfer zu vermeiden. Ich sage an dieser Stelle eines: Natürlich müssen wir mit den amerikanischen Partnern immer wieder darüber reden, dass wir die Kultur der Afghanen respektieren wollen und wie sorgsam wir vorgehen, um zivile Schä- den zu vermeiden. Ein schlauer Rat aus Deutschland al- leine ist aber wohlfeil. Die Amerikaner fragen uns dann schon zu Recht, welchen Beitrag wir dazu leisten, damit solche Fehler nicht passieren. Die Tornados sind ein ernsthafter Beitrag dazu. Deshalb ist es richtig, verant- wortbar und notwendig, dass wir dies heute so entschei- den. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Ich verstehe die Sorge vieler Kolleginnen und Kolle- gen auch in diesem Haus, die in erster Linie befürchten, dass es so etwas wie eine Zwanghaftigkeit gibt, die nicht mehr kontrollierbar ist, sodass wir immer weiter in mili- tärische Auseinandersetzungen verwickelt werden. Diese Befürchtung ist aus zwei Gründen falsch: Der erste Grund ist, dass wir den deutschen Parla- mentsvorbehalt haben. Das Parlament hat ja mit dafür gesorgt, dass die Regierung einen Antrag vorgelegt hat, aufgrund dessen wir in dieser Debatte heute über die Tornados diskutieren. Wir selbst haben dies in der Hand. Der deutsche Parlamentsvorbehalt ist allerdings nicht nur ein Recht für uns Parlamentarier, sondern uns wird dadurch natürlich auch eine Verantwortung übertragen. (Jörg van Essen [FDP]: Aber ja!) Ich will schon noch einmal sagen: Die Linke und der Redner der Linken stehlen sich in dieser Frage nicht zum ersten Mal aus der Verantwortung. Das ist ein ernsthaftes Problem. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP und des BÜND- NISSES 90/DIE GRÜNEN – Oskar Lafontaine [DIE LINKE]: Eine Frechheit ist das!) Es gibt einen zweiten Grund, warum wir nicht in Dinge schlittern, die wir nicht haben wollen. Dieser Grund ist ganz klar: Alle, die heute mit Ja stimmen, wis- sen doch selbstverständlich, dass man den Krieg gegen Terroristen, die Sprengfallen aufstellen und Selbstmord- attentäter in ihren Reihen haben, nicht in erster Linie mi- litärisch gewinnt. Das ist eine Binsenweisheit. Natürlich hat die Bundesregierung wichtige Impulse dafür gege- ben – alle Ressorts –, dass die Staatengemeinschaft die militärischen und zivilen Aufbauanstrengungen stärker verzahnt und die Bemühungen erhöht – und das ist rich- tig so. Ich glaube, alle Parlamentarier werden genau beobachten, wie sich dies bis zum Oktober entwickeln wird, wenn wir erneut darüber diskutieren werden. Wir wissen aber eines: Wir dürfen jetzt nicht zurück- weichen. Häufig werden wir gefragt, wie lange das in Afghanistan dauern wird. Die Antwort ist eindeutig: (Hüseyin-Kenan Aydin [DIE LINKE]: Wenn das so weitergeht, noch 20 Jahre!) Es wird so lange gehen müssen, bis man den Terror zwar nicht besiegt, aber so weit zurückgedrängt hat, dass die af- ghanischen Sicherheitsbehörden – Polizei und Militär –, die noch weiter ausgebaut werden müssen, in ihrem ei- genen Land selbst die Verantwortung für Sicherheit übernehmen können. So lange wird sich Deutschland dort engagieren müssen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Ich sage zum Schluss: Es gibt in der Lehre des Islam einen sehr schönen Satz. Wir werden so lange dort blei- ben – das muss auch jeder Taliban wissen –, bis dieser Satz in ganz Afghanistan universelle Gültigkeit hat. Er lautet: Die Tinte des Schülers ist heiliger als das Blut des Kämpfers. Darum geht es am Ende. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. März 2007 8705 (A) (C) (B) (D) Rainer Arnold Herzlichen Dank, Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Nächster Redner ist der Kollege Gert Winkelmeier. Gert Winkelmeier (fraktionslos): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich kann mir gut vorstellen, dass es der Bundesregierung und manch einem hier im Parlament überhaupt nicht in den Kram passt, dass die NATO-geführte ISAF ausge- rechnet jetzt mit ihrer sogenannten Frühjahrsoffensive begonnen hat. Nun helfen nämlich alle Versuche nichts mehr, den eigenen Kollegen in der Öffentlichkeit vorzu- spiegeln, dass die Einsätze von ISAF und der Operation „Enduring Freedom“ in Zielsetzung und Mitteln etwas völlig Verschiedenes wären. Nein, jetzt ist für jedermann sichtbar, dass ISAF, die sogenannte Stabilisierungs- truppe, Krieg führt, und zwar so, wie wir ihn aus dem Irak und aus dem sogenannten Antiterrorkampf in Af- ghanistan seit 2001 kennen: mit wenig Rücksicht auf Verluste unter der unbeteiligten Zivilbevölkerung. (Zuruf von der CDU/CSU: Quatsch!) An diesem Krieg wird sich die Bundeswehr mit den Auf- klärungstornados beteiligen, wenn heute in diesem Hause nicht noch ein Wunder geschieht. Noch einmal: Aufklärung ist integraler Bestandteil der Kriegsführung. Deswegen gilt: Wer Jagdbombern Ziele zuweist, macht sich mitschuldig an der Tötung Un- schuldiger. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Wir haben es doch erst vergangenen Montag wieder er- lebt: Bei der Bombardierung eines Wohnhauses in der Provinz Kapisa in Nordafghanistan wurden fünf Frauen, drei Kinder und ein alter Mann getötet. Glaubt denn je- mand ernsthaft daran, dass so etwas durch die Recce- Tornados verhindert werden kann? Das Gegenteil trifft doch zu: Wenn Stunden nach der Momentaufnahme die Bomben fallen, hat sich die Lage doch längst verändert. Die paschtunischen Taliban warten doch nicht, bis ihnen die Bomben auf den Kopf fallen. Sie treten auch nicht in geschlossenen Formationen auf. Im Übrigen frage ich mich, wie ein Bildauswerter einen waffentragenden Bau- ern von einem Talibankämpfer unterscheiden soll. Nein, Kolleginnen und Kollegen, machen Sie sich nichts vor. Die Tornados, deren Einsatzkosten alleine bis Oktober 35 Millionen Euro betragen, sind aktiver Teil der Kriegsmaschinerie und ersetzen die britischen Har- rier-Bomber, die vorher die Aufklärungsarbeit geleistet haben. Im Rahmen der Frühjahrsoffensive sollen die Harrier voll in den Luft-Boden-Kampf eingreifen. An dieser Stelle ein Wort zu Herrn Kuhn. Er ist der Meinung, die Tornados seien nötig, um den Hilfsorgani- sationen den Weg zu weisen. So entnahm ich es der „Süddeutschen“ von vorgestern. Wissen Sie, Herr Kuhn, für mich ist das eine intellektuelle Zumutung von Ihnen, vom friedenspolitischen Aspekt einmal abgesehen. Ha- ben Sie sich eigentlich einmal überlegt, wie viel CO2 ein solcher Tornado ausstößt? Umweltschutz, meine Damen und Herren von den Grünen, hört nicht an den eigenen Grenzen auf und ist auch nicht teilbar. (Lachen bei der SPD – Dr. Carl-Christian Dressel [SPD]: Das ist nur noch Klamauk! – Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) In den letzten Jahren habe ich mir oft gewünscht, dass Ihre beiden Kollegen Petra Kelly und General Bastian noch leben würden. Die hätten Ihnen den Zusammen- hang von Friedens- und Umweltbewegung sicherlich ge- nau erklären können. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Der Tornadoeinsatz wird nicht mehr Schutz für unsere Soldaten bringen; denn auch die Deutschen werden mit der brutalen Kriegsführung der Alliierten identifiziert. Das wird auch im Norden auf die Bundeswehr zurück- schlagen. Die Menschen in Afghanistan leben seit Jahr- zehnten unter der Geißel des Krieges bzw. Bürgerkrieges. Seit Jahrzehnten sind sie Spielball fremder Interessen: erst britischer, dann russischer und heute amerikanischer Interessen. Geben wir ihnen endlich die Chance, ihr Schicksal selber zu bestimmen. Machen wir endlich Ernst mit wirklicher Hilfe für den Wiederaufbau in Afghanis- tan, (Dr. Carl-Christian Dressel [SPD]: Machen Sie endlich Schluss!) das uns noch traditionell freundschaftlich verbunden ist. Das geht aber nur unter Einbeziehung aller Gruppen im Land und nicht gegen sie; und schon gar nicht mit mili- tärischen Mitteln und mit der Überstülpung unserer Vor- stellungen von Demokratie. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Der Oberstarzt a. D. der Bundeswehr, Reinhard Erös, weist in der „Süddeutschen Zeitung“ vom 2. März und gestern Abend in Phoenix zu Recht darauf hin, dass die allein für 2007 für den Tornadoeinsatz benötigten Mittel den Bau von 1 200 Schulen ermöglichen würden. Zur- zeit wird noch mehr als zehnmal so viel für den Krieg ausgegeben wie für den Wiederaufbau. Für den Wieder- aufbau ist die Entwicklung einer Exit-Strategie nötig. Das heißt, die Aufwendungen für den wirtschaftlichen Aufbau sind um ein Vielfaches zu erhöhen, während die militärischen Kosten auf null gesenkt werden müssen. (Beifall bei der LINKEN) Was Sie, die Mehrheit in diesem Hause, aber heute beschließen wollen, ist das genaue Gegenteil. Ihre Stra- tegie führt unweigerlich in eine von anderen gewollte, immer tiefere Verstrickung in einen Krieg, der deutschen und europäischen Interessen zuwiderläuft. Als der engli- sche Umweltminister Michael Meacher nicht länger der Pudel des US-Präsidenten sein wollte, trat er zurück. Am 6. September 2003 schrieb er im „Guardian“: Dieser Krieg gegen den Terror ist ein Vorwand. Dem ist nichts hinzuzufügen, außer einem Wort an meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der SPD: Einst hatte Ihre Partei die Kraft zur Abkehr von der 8706 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. März 2007 (A) (C) (B) (D) Gert Winkelmeier Atomstrompolitik. Haben Sie heute endlich die Kraft, mit der Militarisierung der deutschen Außenpolitik auf- zuhören! Wenn Sie das nicht schaffen, dann – das pro- phezeie ich Ihnen – wird es auf lange Sicht keinen sozi- aldemokratischen Kanzler in diesem Lande mehr geben. Danke schön. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Nächster Redner ist der Kollege Dr. Christian Ruck, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Christian Ruck (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir Ent- wicklungspolitiker haben uns eindeutig für die Entsen- dung der Recce-Tornados nach Afghanistan ausgespro- chen, weil gerade wir wissen: Sicherheit und Entwicklung sind zwei Seiten der gleichen Medaille; nur beide Elemente zusammen sind der Schlüssel zum Erfolg unserer gemeinsamen Anstrengungen in diesem Land. Der feige Mord an dem deutschen Entwicklungshel- fer gestern zeigt, wie sehr sowohl unsere Bundeswehr- soldaten als auch die deutschen Entwicklungsfachleute jeden Tag in Unsicherheit leben – ebenso wie die afgha- nische Bevölkerung. Präzisere Aufklärung ist zwar kein Allheilmittel; aber es ist völlig klar, dass sie die Sicher- heit für unsere Soldaten, für unsere Entwicklungshelfer und für die afghanische Zivilbevölkerung erhöht, auch weil sie hilft, Kollateralschäden zu vermeiden oder zu minimieren. Das ist wichtig, damit die Afghanen in uns weiterhin Helfer und Freunde und nicht Besatzer sehen. Auf dem Rigaer Gipfel der NATO wurde offiziell be- stätigt, was wir schon oft gesagt haben: Der Weg zu ei- nem stabilen, friedlichen Afghanistan ohne Terrorismus ist nicht militärisch zu erzwingen, sondern nur durch ei- nen konzentrierten Aufbau und Wiederaufbau, der aber militärisch abgesichert werden muss, möglich. Wir ha- ben gesagt, dass dieser Einsatz auf zwei Beinen steht. Deswegen ist es auch richtig, dass die Bundesregierung die Mittel für die Entwicklung in Afghanistan um 25 Prozent erhöht. Ich freue mich – das sage ich ganz ehrlich – über die breite Unterstützung, die der zivile Aufbau, die Entwick- lungspolitik, die Entwicklungshilfe in diesem Hause jetzt genießen. Ich freue mich auch, dass die Amerikaner und andere einen substanzielleren Beitrag leisten. Ebenso freue ich mich auf die Unterstützung der Grünen beim nächsten Haushalt, Herr Trittin. Aber ich kann mir natürlich nicht verkneifen, auch Ihnen zu sagen: Erst seitdem die Grünen nicht mehr in der Regierung sind, nimmt das Budget der Entwicklungsministerin substan- ziell zu. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir müssen – das wurde heute völlig zu Recht schon festgestellt – natürlich auch sagen, dass die Entwicklung Afghanistans in letzter Zeit bedenklich ins Stottern gera- ten ist. Das hat verschiedene Ursachen: die ungelöste Drogenproblematik und auch das Wiedererstarken der Taliban. Die Taliban gehen nach dem Prinzip Zuckerbrot und Peitsche vor: auf der einen Seite soziale Hilfsleis- tungen, auf der anderen Seite Gewalt, Erpressung und Zusammenarbeit mit Drogenverbrechern, um die Macht in den Städten und im Land wiederzuerlangen. Herr Hoyer, Sie haben Recht, wenn Sie sagen, Durch- halteparolen seien zu wenig. Jawohl, Parolen sind zu we- nig; aber durchhalten ist wichtig. Wichtig ist auch, dass wir die richtigen Konsequenzen aus dem ziehen, was bisher nicht hundertprozentig geklappt hat. Erstens. Eine Erkenntnis ist, dass den Taliban und al-Qaida nicht allein mit zivilen Mitteln Einhalt geboten werden kann. Der Aufbau kann nicht ohne militärische Absicherung funktionieren. Zweitens. Unser Erfolg im Norden und im Osten ist nur nachhaltig, wenn die Stabilisierung im Westen und im Süden gelingt. Deshalb muss es eine verstärkte zivile Nachbarschaftshilfe beim Wiederaufbau in anderen Re- gionen geben. Drittens. Der Frieden in Afghanistan hängt vor allem von der Entwicklung auf dem Land ab. Wir müssen sie noch mehr in afghanische Hände legen. Das bedingt die raschere Qualifizierung von Lehrern, von Ärzten, von Verwaltungsbeamten – übrigens auch von Politikern – und von Polizisten. (Beifall bei der CDU/CSU) Es ist natürlich kontraproduktiv, dass in diesem Mo- ment die EU-Kommission ihre Entwicklungshilfe für Afghanistan kürzt, dass die UN so hohe Gehälter für Fahrer zahlt, dass jeder Lehrer lieber Fahrer werden will, und dass nach wie vor Teile der UN-Hilfslieferungen wie die Nahrungsmittelhilfe am Bedarf des Landes vor- beigehen. Der Wiederaufbau in Afghanistan kann nur in Zusam- menarbeit mit den Nachbarstaaten – auch das ist schon gesagt worden – gelingen. Da verweise ich auf den zentra- len Schwachpunkt, der bisher in der Gesamtstrategie auf- getaucht ist. Die 16 Millionen Paschtunen in Afghanistan und die 30 Millionen Paschtunen in Pakistan – zwischen ihnen existiert eine völlig offene Grenze – sind bisher in den letzten Jahren und Jahrzehnten von jeglicher Entwick- lung ausgeschlossen worden. Das bildet natürlich einen idealen Nährboden für Ideologien und Fremdenhass der Taliban. Deswegen ist es richtig, dass wir in unserer Ge- samtstrategie die Entwicklungspolitik und die Außenpoli- tik gegenüber Pakistan in unsere Überlegungen mit einbe- ziehen. Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Herr Kollege, Sie müssen zum Ende kommen. Dr. Christian Ruck (CDU/CSU): Jawohl, Frau Präsidentin. Ein letzter Punkt. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. März 2007 8707 (A) (C) (B) (D) Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Nein, kein letzter Punkt mehr, höchstens ein letzter Satz. Dr. Christian Ruck (CDU/CSU): Dann ein letzter Satz. Wir haben keinen Grund, vor der Drogenproblematik zu kapitulieren. Wenn wir die Unterstützung der Mullahs und der Stammesfürsten haben, wenn wir eine durch- dachte Wirtschaftspolitik betreiben, die den Bauern zu- gute kommt, und wenn wir unsere Anstrengungen in der Sicherheitspolitik mit Blick auf die Polizeiausbildung er- höhen, werden wir auch dieses Problem langfristig lösen können. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD) Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Das Wort hat der Kollege Hans-Peter Bartels, SPD- Fraktion. Dr. Hans-Peter Bartels (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auch mir wäre es lieber, wenn wir nach fünf Jahren Stabilisie- rungseinsatz in Afghanistan heute so weit wären, die Truppen zu reduzieren, statt sie verstärken zu müssen. So war es auf dem Balkan. Eine ganze Weile haben wir dort starke Truppenkontingente bereithalten müssen. Heute sieht die Situation hinsichtlich der Truppenstärke folgendermaßen aus: Mazedonien null, Bosnien deutlich reduziert. Im Kosovo gibt es noch eine große Truppen- stärke; aber perspektivisch gibt es eine Reduzierung. Eine Reduzierung muss das Ziel sein. Allerdings muss die Lage dies auch zulassen. Es muss das Ziel jedes Aus- landseinsatzes der Bundeswehr sein, dass es später auch ohne Militär geht. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Der Einsatz der Soldaten ist kein Selbstzweck. Um ein sicheres Umfeld zu schaffen, das den Wiederaufbau des Staates, den Bau von Straßen, Schulen und Kranken- häusern erst ermöglicht, brauchen die Menschen in Af- ghanistan heute die Unterstützung durch die Soldaten der NATO. Würden wir auf diese militärische Absiche- rung verzichten, könnten wir auch unsere zivilen Hilfen einstellen. Das darf aber keine Alternative sein. Es bringt nichts, die zivile Hilfe gegen die militärische auszuspie- len. Wäre keine internationale Schutztruppe im Land, dann würden sich die militanten Taliban-, Haqqani- und Hezb-e-Islami-Gruppen gewiss nicht in Respekt und Hochachtung vor Mädchenschulen, öffentlichen Rund- funkanstalten und Entwicklungsprojekten verbeugen, sondern sie angreifen, vertreiben und zerstören wie vor 2001. Alle diejenigen, die jetzt darüber reden, dass es an der Zeit sei, den Einsatz der Bundeswehr und der NATO zu beenden, müssen sich fragen lassen, wie es dann in Af- ghanistan weitergehen würde. Wer würde die vielen hoffnungsvollen Ansätze, die es trotz der schlechten Nachrichten gibt, dann zu einem Erfolg führen? Wir ha- ben den Menschen in diesem Land unsere Hilfe zuge- sagt. Wir stehen gegenüber der frei gewählten afghani- schen Regierung im Wort. Wir wussten, dass es ein längerer Einsatz wird. Wenn wir den Einsatz der Bun- deswehr jetzt beenden würden, statt zu unserer Verant- wortung zu stehen, wäre alles umsonst gewesen. Dann hätten wir ein massives Glaubwürdigkeitsproblem. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Jeder – so sagte neulich der afghanische Außenminis- ter Spanta, der auch bei uns im Verteidigungsausschuss zu Gast war –, der gedacht hat: „Fünf Jahre nach dem Fall der Taliban wird das Projekt endgültig ein Er- folgsprojekt“, war sehr naiv. Dr. Spanta sagte dies auf Deutsch. Er hat jahrzehntelang in Deutschland gelebt, nicht freiwillig, sondern im Exil als politisch Verfolgter. Ob er noch Mitglied des Bündnisses 90/Die Grünen ist, weiß ich nicht. Aber er ist ein mutiger Demokrat, der jetzt die Chance hat, um den Aufbau der Demokratie in seiner Heimat zu kämpfen. Dabei kann er sich auf unsere Hilfe verlassen, auch auf die militärische Sicherheit, die heute dazu noch notwendig ist. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Denn für Afghanistan gilt wie für viele andere Krisenre- gionen: Ohne Sicherheit vor gewalttätigen Fanatikern sind alle anderen Probleme erst recht nicht lösbar. Wir müssen Bedingungen schaffen, die die Arbeit der zivilen Kräfte ohne Bedrohung ermöglichen. Neue Hoff- nung wird es nicht geben, solange sich weder die Helfer noch die Bevölkerung einigermaßen sicher fühlen kön- nen. Wir haben als Teil der NATO mit unseren Partnern eine gemeinsame Verantwortung für ganz Afghanistan übernommen. Es gibt keine getrennte Sicherheit im Nor- den und im Süden des Landes. Mit der Bereitstellung der Recce-Tornados leisten wir einen Beitrag zur Stabilisie- rung der Lage auch in den südlichen Landesteilen. Ausdruck unseres umfassenden Politikansatzes sind dabei die sogenannten regionalen Wiederaufbauteams. Sie setzen sich aus Soldaten der Bundeswehr zusammen, die Seite an Seite mit Vertretern des Auswärtigen Amtes, des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammen- arbeit und Entwicklung sowie des Innenministeriums ar- beiten. Diesen Ansatz hat sich seit dem Rigaer Gipfel die NATO zu eigen gemacht – einschließlich der USA. Auch wenn unsere amerikanischen Verbündeten in der Presse gelegentlich mit Kritik an Deutschland zitiert werden, wird unser Engagement durchaus auch in Washington akzeptiert. General Eikenberry, bis zum ver- gangenen Jahr Oberbefehlshaber der US-Truppen in Af- ghanistan, lobte bei einer Kongressanhörung ausdrück- lich unseren Beitrag und bescheinigte den Deutschen – so berichtet es der Korrespondent der Zeitung „Die Welt“ –, dass sie „sehr gute Arbeit“ leisteten. Das ist übrigens der gleiche General, den die „FAZ“ einige Monate zuvor mit den Worten zitierte: Das effektivste Waffensystem, das 8708 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. März 2007 (A) (C) (B) (D) Dr. Hans-Peter Bartels wir haben, ist der wirtschaftliche Wiederaufbau. – Das ist richtig. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Trotzdem entsteht in unserer Öffentlichkeit manch- mal der Eindruck, Deutschland setze hauptsächlich auf das Militär. Das liegt vielleicht auch an unserem Prinzip der Parlamentsarmee. Wir stimmen in diesem Hause ja regelmäßig über die Verlängerung der Einsätze der Bun- deswehr ab, nicht jedoch über die zivile Aufbauhilfe. Dank der Beteiligung des Parlaments an den Entsende- entscheidungen steht der militärische Teil unserer Politik immer im Fokus des medialen Interesses. Da entsteht leicht eine etwas verzerrte Wahrnehmung. (Vorsitz: Präsident Dr. Norbert Lammert) Vielleicht sollten wir das umfangreiche zivile En- gagement Deutschlands in den Krisenregionen gelegent- lich stärker in den Vordergrund stellen, um dieses Bild zu korrigieren. Viele Projekte, viele engagierte Helfer finden nie den Weg in die Zeitungen und leisten doch im Verborgenen Großartiges und riskieren ihr Leben. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Dass die Bundesregierung den Bundestag für den Einsatz der Flugzeuge vom Aufklärungsgeschwader 51 aus Schleswig ausdrücklich um ein neues Mandat bittet, ist sehr zu begrüßen. Zu Beginn der Diskussion haben ja einige argumentiert, dass der Einsatz vom bisherigen Bundestagsbeschluss voll gedeckt sei. Das sehe ich nicht so. Wir nehmen heute quantitativ und qualitativ eine Er- weiterung des Mandats vor. Unser heutiges Votum ist auch ein Signal an die neue afghanische Demokratie, dass wir zu unserem Wort stehen und die Stabilisierung des Landes so unterstützen, wie dies notwendig ist. Schönen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Bernd Schmidbauer für die CDU/CSU-Fraktion. Bernd Schmidbauer (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ein Wechselbad der Gefühle haben wir in dieser Debatte erlebt: von rhetorischer Abrüstung bis hin zu kindergartengemäßen Protestaktionen derer, die nicht zu verbessern sind (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD) und von denen wohl auch im Ausschuss keine wesentlichen Beiträge zu erwarten sein werden. Ich hatte mit dem Kollegen Meckel heute Morgen ein Gespräch. Er hat angeregt, dass wir das Material, das mit den Entschließungsanträgen vorliegt, in den Ausschüssen debattieren. Ich würde das befürworten. Wir sollten uns das, was im Hinblick auf die Entwicklung Afghanistans aufgezeigt wird, zunutze machen und diese Debatte nicht mit der Auseinandersetzung über die Entsendung von sechs Tornados beenden. Wir sollten über den Stra- tegiewechsel sehr detailliert diskutieren. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP) Es ist nicht wahr, dass wir hier schwarz-weiß malen würden. Die Konferenzen – von Bonn über Tokio bis London, wo der Afghanistan-Compact veröffentlicht wurde – dienten doch dazu, aufzuzeigen, was wir in der Zukunft anders machen sollten, um dem abzuhelfen, was wir alle beklagen. (Unruhe) Ich fürchte, lieber Herr Fraktionsvorsitzender, dass wir die Haushälter in diese Debatte einbeziehen müssen. Egal ob die Entwicklungspolitiker oder die Außenpolitiker reden oder andere, es wird immer vergessen, dass in der Zukunft einer der Schwerpunkte sein muss, dass wir die Haushaltsmittel aufstocken – nur das bringt den ent- scheidenden Strategiewechsel, den wir hier brauchen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN) So gesehen sind die sechs Tornados ein guter Anlass, zu sagen: Wir verstärken die Sicherheit, wir klären auf, wir schützen diejenigen, die dort helfen, und wir denken da- rüber nach, wie wir in der Zukunft die zivile Komponente nicht nur verbal, mit Lippenbekenntnissen hier im Plenum, verstärken können, sondern wie wir dazu kommen, dass aus Planungen Realität wird. Frau Ministerin, Sie waren auf meiner Seite, als wir im Ausschuss darüber gesprochen haben. Es nützt uns wenig, wenn wir nur Planungen vor- legen. Denn wir wissen: Nur wer für Stabilität sorgt, kann Planungen auch umsetzen, kann den Menschen in Afghanistan deutlich machen, worauf es uns ankommt. Es genügt nicht, in jeder Debatte verbal zu beteuern, dass man sich engagieren will – man muss es auch umsetzen. (Anhaltende Unruhe) Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, noch einen Augenblick Platz zu nehmen, bevor wir dann nach Schluss der Aussprache in die Abstimmungen eintreten. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Großen Koalition mangelt es an Disziplin!) Ich hatte mir das so gedacht, dass sich die Kollegen erst hinsetzen und dann weitergeredet wird. Dafür halte ich die Uhr natürlich an. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Das gilt auch für den Vizekanzler!) Verehrte Kollegen, es gibt noch einzelne Sitzplätze, die bis zum Erreichen des vereinbarten Endes der Debatte zur Verfügung stehen. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. März 2007 8709 (A) (C) (B) (D) Präsident Dr. Norbert Lammert Dass der Kollege Fuchtel sich auf die Regierungs- bank flüchten wollte und der Kollege Müntefering in die Reihen der CDU/CSU-Fraktion, gibt dieser Debatte noch einen besonderen Akzent. (Heiterkeit) Nun, Herr Kollege Schmidbauer, haben Sie wieder das Wort. Bernd Schmidbauer (CDU/CSU): Meine sehr verehrten Damen und Herren, so kann der Einsatz unserer Aufklärungstornados unsere gemeinsame Verantwortung, aber auch unsere Bündnistreue zum Ausdruck bringen. Es geht nicht um die sechs Tornados, es geht letztlich darum, dass dem Bündnis das gegeben wird, was wir brauchen, um Verlässlichkeit und Zuver- lässigkeit auch nach außen darzustellen. Die Forderung und Realisierung einer besseren inter- nationalen Koordination und die Umsetzung im nationalen Bereich sind, wie ich bereits sagte, wesentlich und dürfen nicht Lippenbekenntnisse sein. All denen, die heute das Drogenproblem strapaziert haben, möchte ich sagen: Nur darauf hinzuweisen, dass in Afghanistan ein Negativrekord zu verzeichnen ist, dass die Drogenproduktion zugenommen hat, führt nicht zu einer Lösung dieses Problems. Vielmehr sollten wir über alle Fraktionsgrenzen hinweg nach möglichen Lösungswegen suchen und gemeinsam mit der Regierung neue Schwerpunkte setzen. Zur Polizeiausbildung in Afghanistan wurde bereits genug gesagt; dieses Thema ist eigentlich das geringste Problem. Allerdings müssen wir das, was wir uns alle vorgenommen haben, wirklich tun. Die Anstrengungen, die die Bundesrepublik Deutschland im Hinblick auf die Polizeiausbildung unternimmt, müssen auf europäischer Ebene sinnvoll verstärkt werden. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Auch das ist an sich nur eine Frage der Umsetzung. Zum Schluss. Wer Frieden schaffen, Terror bekämpfen, Stabilität herstellen und Menschen helfen will, der darf nicht auf kurzfristige Erfolge hoffen, sondern muss eine Langzeitstrategie verfolgen. Er muss – das wünsche ich uns – einen langen Atem haben. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP) Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich schließe die Aussprache. Wir kommen nun zur Abstimmung über die Beschluss- empfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf der Druck- sache 16/4571 zu dem Antrag der Bundesregierung auf Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz einer Internationalen Sicherheitsunterstützungs- truppe in Afghanistan unter Führung der NATO. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung, dem Antrag auf Drucksache 16/4298 zuzustimmen. Die Fraktionen von CDU/CSU und SPD verlangen dazu namentliche Abstimmung. Ich weise vor Eintritt in die namentliche Abstimmung auf zwei Punkte hin: Erstens. Mir liegt eine ganze Reihe persönlicher Er- klärungen zur Abstimmung vor, die, wie es immer getan wird, dem Protokoll dieser Sitzung beigefügt werden.1) Zweitens. Nach dieser namentlichen Abstimmung folgen noch einige strittige Abstimmungen. Ich bitte Sie, im Saal zu bleiben, damit Sie auch an den folgenden Ab- stimmungen teilnehmen können. Sind bereits alle Abstimmungsurnen besetzt? – Das scheint der Fall zu sein. Dann eröffne ich die Abstimmung. Gibt es Kolleginnen und Kollegen, die ihre Stimmkarte noch nicht abgegeben haben? – Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schrift- führerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung wird – wie immer – während der Debatte über den nächsten Tagesordnungspunkt bekannt gegeben. 2) Ich möchte gerne die Abstimmungen fortsetzen und bitte daher, wieder Platz zu nehmen. – Darf ich sowohl die Damen- als auch die Herrenrunden bitten, Platz zu nehmen? (Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Herrenkränz- chen und Damenrunden heißt das!) – Herr Kollege Westerwelle, ich lasse das als Anregung in das Protokoll aufnehmen. Herr Kollege Meyer, wenn Sie den Kollegen Riesenhuber davon überzeugen könnten, dass Sie beide auf einem der zahlreichen Plätze – – (Zuruf: Auf verschiedenen Plätzen!) – Auch diese Anregung ist ganz gewiss im Protokoll ver- merkt. Wir kommen nun zur Abstimmung über die Entschlie- ßungsanträge. Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen auf Druck- sache 16/4622? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Entschließungsantrag mehrheitlich abgelehnt. Wir kommen zur Abstimmung über die Entschlie- ßungsanträge der Fraktionen von CDU/CSU und SPD sowie der Fraktion der FDP auf den Drucksachen 16/4620 und 16/4621. Die Fraktion des Bündnisses 90/ Die Grünen wünscht Abstimmung in der Sache. Die Koali- tionsfraktionen sowie die Fraktion der FDP wünschen Überweisung ihrer Entschließungsanträge zur federführen- den Beratung an den Auswärtigen Ausschuss und zur Mit- beratung an den Innenausschuss, den Rechtsausschuss, den Verteidigungsausschuss, den Ausschuss für Menschen- rechte und Humanitäre Hilfe, den Ausschuss für wirt- schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung sowie an den Haushaltsausschuss. Nach unserer ständigen Übung 1) Anlagen 5 bis 14 2) Ergebnis Seite 8712 A 8710 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. März 2007 (A) (C) (B) (D) Präsident Dr. Norbert Lammert geht die Abstimmung über den Antrag auf Ausschuss- überweisung vor. Das heißt, ich lasse zunächst darüber abstimmen, ob Sie mit den beantragten Überweisungen einverstanden sind. Wer dem zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist die Überweisung mit großer Mehrheit beschlossen. Wir stimmen also heute über die Entschlie- ßungsanträge auf den beiden genannten Drucksachen in der Sache nicht ab. Tagesordnungspunkt 21 b. Wir kommen zur Abstim- mung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Drucksache 16/4576 zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Keine Tornado- Aufklärungsflugzeuge in Afghanistan einsetzen“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 16/4047 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschluss- empfehlung ist mit großer Mehrheit angenommen. Zum Tagesordnungspunkt 21 c gibt es die Beschluss- empfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Druck- sache 16/4614 zu dem Antrag der Fraktion des Bündnis- ses 90/Die Grünen mit dem Titel „Keine Zusage deutscher Tornados ohne Bundestagsmandat“. (Dr. Ralf Brauksiepe [CDU/CSU]: Das ist doch erledigt!) Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Druck- sache 16/4048 für erledigt zu erklären, was der Kollege Brauksiepe gleich messerscharf erkannt hat, wozu ich ihm ausdrücklich im Namen des Hauses gratulieren möchte. (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der FDP und des BÜND- NISSES 90/DIE GRÜNEN) Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich der Stimme? – Damit ist diese Beschlussempfehlung mit denkbar breiter Mehrheit angenommen. Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 21 d: Beschluss- empfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Druck- sache 16/4613 zum Antrag der Fraktion der FDP mit dem Titel „Neues Mandat für Tornado-Einsatz unerlässlich“. Auch hier empfiehlt der Ausschuss, den Antrag für erledigt zu erklären. Wer stimmt dem zu? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich der Stimme? – Dann ist auch das so be- schlossen. Da das Ergebnis der namentlichen Abstimmung nahe- liegenderweise noch nicht vorliegt, rufe ich nun die Tagesordnungspunkte 22 a und 22 b auf: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Arbeitnehmer- Entsendegesetzes – Drucksache 16/3064 – Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- ses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) – Drucksache 16/4554 – Berichterstattung: Abgeordneter Dr. Heinrich L. Kolb b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- richts des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Heinrich L. Kolb, Dirk Niebel, Christian Ahrendt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Gesetzliche Mindestlöhne ablehnen – zu dem Antrag der Abgeordneten Brigitte Pothmer, Kerstin Andreae, Matthias Berninger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Arbeit in Armut verhindern – Drucksachen 16/1653, 16/2978, 16/4554 – Berichterstattung: Abgeordneter Dr. Heinrich L. Kolb Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke vor. Ich weise darauf hin, dass zur Annahme des Gesetz- entwurfs, über den wir später namentlich abstimmen wer- den, nach Art. 87 Abs. 3 des Grundgesetzes die absolute Mehrheit – das sind 308 Stimmen – erforderlich ist. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst dem Parlamentarischen Staatssekretär Gerd Andres. Gerd Andres, Parl. Staatssekretär beim Bundesmi- nister für Arbeit und Soziales: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Deutschland will die EU-Ratspräsidentschaft nutzen, um die sozialen Traditionen Europas zu stärken und weiterzuentwickeln. Dazu gehört auch, dass wir uns mit dem Thema „Gute Arbeit“ befassen müssen. Zu guter Arbeit gehören faire Löhne. Wer gute Arbeit will, muss Lohndumping verhindern. Im Gegensatz zu anderen Mitgliedstaaten ist Deutschland hierbei noch nicht ausreichend aufgestellt. Dies sollte uns ein Ansporn sein. Das Arbeitnehmer-Entsendegesetz schafft den rechtli- chen Rahmen, um tarifliche Mindestlöhne branchenspezi- fisch für alle in Deutschland beschäftigten Arbeitnehmer verbindlich zu machen und dadurch Lohndumping zu verhindern. (Beifall bei der SPD) Hierfür muss die betroffene Branche ins Gesetz aufge- nommen sein, ein entsprechender Mindestlohntarifvertrag abgeschlossen und dieser anschließend staatlich erstreckt werden. Arbeitnehmer und Arbeitgeber aus der Gebäude- reinigerbranche haben sich auf einen tariflichen Mindest- lohn von 7,87 Euro im Westen bzw. 6,36 Euro im Osten Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. März 2007 8711 (A) (C) (B) (D) Parl. Staatssekretär Gerd Andres geeinigt. Um Verwerfungen durch entsandte Arbeitnehmer zu verhindern, wünschen sie die Aufnahme ihrer Branche in das Gesetz. Dem kommen wir jetzt nach. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Ich grüße an dieser Stelle ausdrücklich den Vorstands- vorsitzenden des Bundesinnungsverbandes des Gebäude- reiniger-Handwerks Kuhnert, das Vorstandsmitglied Schwarz – Präsident der Berliner Handwerkskammer – und den Geschäftsführer Johannes Bungart, die sich in vielen Gesprächen darum bemüht haben, dass ihre Bran- che in das Gesetz aufgenommen wird. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN) Ich betone das deshalb, weil ich meine, dass es ver- antwortliche Arbeitgeber sind, die dafür sorgen wollen, dass in ihren Branchen nicht durch Lohndumping die Preise kaputtgemacht werden und damit die Lebens- bedingungen für die Beschäftigten massiv verschlechtert werden. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Jörg Tauss [SPD]: Anständige Arbeitgeber!) Union und SPD haben sich im Koalitionsvertrag darauf verständigt, die Gebäudereiniger unverzüglich in das Entsendegesetz einzubeziehen. Mit dieser Änderung des Gesetzes wird sichergestellt, dass aus dem Ausland ent- sandte Gebäudereiniger hier nicht zu Niedrigstlöhnen beschäftigt werden dürfen. Wir nehmen also die Ängste der Arbeitnehmer ernst, die wegen ausländischer Billig- konkurrenz um ihren Job fürchten, und wir sorgen dafür, dass in- und ausländische Arbeitnehmer bei uns zu fairen Bedingungen beschäftigt werden. Das Thema „Sicherung von fairen Löhnen und Be- kämpfung von Lohndumping“ ist aber mit dem heutigen Tag keineswegs erledigt. Es steht weiter ganz oben auf der Agenda. Erst am vergangenen Montag hat der Koali- tionsausschuss hierzu weiter beraten. Ich glaube, dass wir hierbei auf einem guten Weg sind. Es ist kein Geheimnis, dass aus Sicht des Bundes- ministeriums für Arbeit und Soziales und der SPD der beste Weg wäre, das Arbeitnehmer-Entsendegesetz für alle Branchen zu öffnen, (Beifall bei der SPD) eine Art der Umsetzung der Entsenderichtlinie, die uns andere Mitgliedstaaten längst und in großer Zahl vorge- macht haben. (Jörg Tauss [SPD]: Erfolgreich!) – Und erfolgreich, das kann man auch sagen. – Zwar wird gegen Mindestlöhne immer wieder eingewandt, Unternehmen könnten sich aufgrund des Konkurrenz- drucks keine höheren Löhne leisten, da es immer Kon- kurrenten gebe, die ihre Angestellten noch etwas mehr ausquetschten. Eine solche Argumentation verkennt jedoch die Vorteile von Mindestlöhnen. Der Kostenfaktor Löhne wird bewusst aus dem Wettbewerb herausgenommen. Die Folge ist: Bei gleichen Lohnbedingungen muss der Wett- bewerb ein Wettbewerb um Qualität und Service sein. Den Rechtsrahmen hierfür schaffen wir mit dem Arbeit- nehmer-Entsendegesetz. Damit es nicht zu einem Dumpingwettlauf um die niedrigsten Löhne kommt, sollten Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften in möglichst vielen Branchen Min- destlöhne vereinbaren. (Beifall bei der SPD) Diese erklärt die Regierung dann auf Antrag hin über das Arbeitnehmer-Entsendegesetz für allgemeinverbindlich, sodass sie für in- und ausländische Anbieter gleichermaßen gelten. Mit der Einbeziehung der Gebäudereiniger in das Gesetz leisten wir einen wichtigen Beitrag zum Schutz in- und ausländischer Arbeitnehmer vor Lohndumping. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Man muss wissen: Das sind sehr oft Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die morgens ab drei oder vier Uhr Büros oder Kaufhäuser reinigen, (Klaus Brandner [SPD]: Für klare Sicht sorgen!) die in Betrieben unterwegs sind und deren Arbeitsbedin- gungen es in sich haben. (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: In Ministerien!) – Auch in Ministerien und im Deutschen Bundestag. Selbstverständlich, Herr Kolb. Sie reinigen überall, wo sie engagiert werden. – Deswegen finde ich, dass man dafür sorgen muss, dass das zu vernünftigen Bedingungen und zu vernünftigen Löhnen stattfindet. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Uwe Schummer [CDU/CSU]) Das Erste Gesetz zur Änderung des Arbeitnehmer- Entsendegesetzes schafft die Voraussetzung dafür, dass in- und ausländische Gebäudereiniger in Deutschland „Gute Arbeit“ leisten und zu fairen Löhnen beschäftigt werden können. Das Gesetz verdient daher die Zustim- mung des Deutschen Bundestags. Schönen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Bevor wir die Aussprache fortsetzen, komme ich zum Tagesordnungspunkt 21 a zurück und gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über die Beschluss- empfehlung des Auswärtigen Ausschusses zum Antrag der Bundesregierung auf Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz einer Internationalen Sicher- heitsunterstützungstruppe in Afghanistan unter Führung der NATO bekannt. Es handelt sich um die Drucksa- chen 16/4298 und 16/4571. Abgegebene Stimmen 573. Mit Ja haben gestimmt 405, mit Nein haben gestimmt 157, enthalten haben sich elf Kolleginnen und Kollegen. Damit ist die Beschlussempfehlung angenommen. 8712 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. März 2007 (A) (C) (B) (D) Präsident Dr. Norbert Lammert Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 573; davon ja: 405 nein: 157 enthalten: 11 Ja CDU/CSU Ulrich Adam Ilse Aigner Peter Altmaier Dorothee Bär Thomas Bareiß Norbert Barthle Dr. Wolf Bauer Günter Baumann Ernst-Reinhard Beck (Reutlingen) Veronika Bellmann Dr. Christoph Bergner Otto Bernhardt Clemens Binninger Peter Bleser Dr. Maria Böhmer Jochen Borchert Wolfgang Bosbach Klaus Brähmig Michael Brand Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Monika Brüning Georg Brunnhuber Gitta Connemann Leo Dautzenberg Hubert Deittert Alexander Dobrindt Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Anke Eymer (Lübeck) Georg Fahrenschon Ilse Falk Dr. Hans Georg Faust Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Hartwig Fischer (Göttingen) Dirk Fischer (Hamburg) Axel E. Fischer (Karlsruhe- Land) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) Erich G. Fritz Jochen-Konrad Fromme Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Dr. Jürgen Gehb Norbert Geis Eberhard Gienger Michael Glos Ralf Göbel Dr. Reinhard Göhner Josef Göppel Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Ute Granold Reinhard Grindel Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Markus Grübel Manfred Grund Monika Grütters Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg Olav Gutting Holger Haibach Gerda Hasselfeldt Ursula Heinen Michael Hennrich Jürgen Herrmann Bernd Heynemann Peter Hintze Robert Hochbaum Klaus Hofbauer Franz-Josef Holzenkamp Joachim Hörster Anette Hübinger Hubert Hüppe Susanne Jaffke Dr. Hans-Heinrich Jordan Andreas Jung (Konstanz) Dr. Franz Josef Jung Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Alois Karl Bernhard Kaster Siegfried Kauder (Villingen- Schwenningen) Volker Kauder Eckart von Klaeden Jürgen Klimke Julia Klöckner Jens Koeppen Kristina Köhler (Wiesbaden) Norbert Königshofen Hartmut Koschyk Thomas Kossendey Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Dr. Martina Krogmann Johann-Henrich Krummacher Dr. Hermann Kues Dr. Karl Lamers (Heidelberg) Andreas G. Lämmel Dr. Norbert Lammert Katharina Landgraf Dr. Max Lehmer Paul Lehrieder Ingbert Liebing Eduard Lintner Dr. Klaus W. Lippold Patricia Lips Dr. Michael Luther Stephan Mayer (Altötting) Wolfgang Meckelburg Dr. Michael Meister Friedrich Merz Laurenz Meyer (Hamm) Maria Michalk Dr. h. c. Hans Michelbach Philipp Mißfelder Dr. Eva Möllring Marlene Mortler Carsten Müller (Braunschweig) Stefan Müller (Erlangen) Bernward Müller (Gera) Dr. Gerd Müller Hildegard Müller Bernd Neumann (Bremen) Michaela Noll Dr. Georg Nüßlein Franz Obermeier Eduard Oswald Henning Otte Rita Pawelski Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Beatrix Philipp Ronald Pofalla Ruprecht Polenz Daniela Raab Thomas Rachel Hans Raidel Dr. Peter Ramsauer Peter Rauen Eckhardt Rehberg Katherina Reiche (Potsdam) Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Franz Romer Johannes Röring Kurt J. Rossmanith Dr. Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Albert Rupprecht (Weiden) Peter Rzepka Anita Schäfer (Saalstadt) Hermann-Josef Scharf Dr. Wolfgang Schäuble Hartmut Schauerte Dr. Annette Schavan Dr. Andreas Scheuer Karl Schiewerling Georg Schirmbeck Bernd Schmidbauer Christian Schmidt (Fürth) Andreas Schmidt (Mülheim) Ingo Schmitt (Berlin) Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Schummer Wilhelm Josef Sebastian Horst Seehofer Kurt Segner Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Jens Spahn Christian Freiherr von Stetten Gero Storjohann Andreas Storm Max Straubinger Thomas Strobl (Heilbronn) Lena Strothmann Michael Stübgen Hans Peter Thul Dr. Hans-Peter Uhl Arnold Vaatz Volkmar Uwe Vogel Andrea Astrid Voßhoff Gerhard Wächter Marco Wanderwitz Kai Wegner Marcus Weinberg Peter Weiß (Emmendingen) Gerald Weiß (Groß-Gerau) Karl-Georg Wellmann Anette Widmann-Mauz Klaus-Peter Willsch Elisabeth Winkelmeier- Becker Dagmar Wöhrl Wolfgang Zöller SPD Gerd Andres Niels Annen Rainer Arnold Ernst Bahr (Neuruppin) Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Sören Bartol Sabine Bätzing Dirk Becker Uwe Beckmeyer Klaus Uwe Benneter Ute Berg Petra Bierwirth Kurt Bodewig Gerd Bollmann Dr. Gerhard Botz Klaus Brandner Bernhard Brinkmann (Hildesheim) Dr. Michael Bürsch Marion Caspers-Merk Dr. Herta Däubler-Gmelin Karl Diller Martin Dörmann Dr. Carl-Christian Dressel Garrelt Duin Detlef Dzembritzki Sebastian Edathy Siegmund Ehrmann Gernot Erler Petra Ernstberger Karin Evers-Meyer Annette Faße Gabriele Fograscher Rainer Fornahl Gabriele Frechen Peter Friedrich Sigmar Gabriel Iris Gleicke Dieter Grasedieck Monika Griefahn Kerstin Griese Gabriele Groneberg Achim Großmann Hans-Joachim Hacker Bettina Hagedorn Alfred Hartenbach Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. März 2007 8713 (A) (C) (B) (D) Präsident Dr. Norbert Lammert Michael Hartmann (Wackernheim) Nina Hauer Hubertus Heil Rolf Hempelmann Dr. Barbara Hendricks Petra Heß Gerd Höfer Eike Hovermann Klaas Hübner Lothar Ibrügger Brunhilde Irber Johannes Jung (Karlsruhe) Josip Juratovic Johannes Kahrs Dr. h. c. Susanne Kastner Ulrich Kelber Hans-Ulrich Klose Walter Kolbow Fritz Rudolf Körper Karin Kortmann Rolf Kramer Anette Kramme Nicolette Kressl Volker Kröning Dr. Hans-Ulrich Krüger Dr. Uwe Küster Christian Lange (Backnang) Dr. Karl Lauterbach Gabriele Lösekrug-Möller Katja Mast Markus Meckel Ursula Mogg Gesine Multhaupt Franz Müntefering Dr. Rolf Mützenich Andrea Nahles Thomas Oppermann Holger Ortel Heinz Paula Johannes Pflug Joachim Poß Christoph Pries Dr. Sascha Raabe Steffen Reiche (Cottbus) Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Walter Riester Karin Roth (Esslingen) Michael Roth (Heringen) Anton Schaaf Axel Schäfer (Bochum) Bernd Scheelen Marianne Schieder Ulla Schmidt (Aachen) Silvia Schmidt (Eisleben) Carsten Schneider (Erfurt) Olaf Scholz Reinhard Schultz (Everswinkel) Dr. Angelica Schwall-Düren Dr. Martin Schwanholz Rolf Schwanitz Rita Schwarzelühr-Sutter Jörg-Otto Spiller Dr. Ditmar Staffelt Andreas Steppuhn Ludwig Stiegler Rolf Stöckel Dr. Peter Struck Joachim Stünker Jörg Tauss Jörn Thießen Franz Thönnes Hans-Jürgen Uhl Simone Violka Jörg Vogelsänger Hedi Wegener Petra Weis Gunter Weißgerber Gert Weisskirchen (Wiesloch) Dr. Rainer Wend Dr. Margrit Wetzel Heidemarie Wieczorek-Zeul Dr. Dieter Wiefelspütz Engelbert Wistuba Heidi Wright Uta Zapf Manfred Zöllmer FDP Dr. Karl Addicks Christian Ahrendt Daniel Bahr (Münster) Angelika Brunkhorst Ernst Burgbacher Patrick Döring Mechthild Dyckmans Jörg van Essen Otto Fricke Horst Friedrich (Bayreuth) Dr. Wolfgang Gerhardt Hans-Michael Goldmann Dr. Christel Happach-Kasan Heinz-Peter Haustein Elke Hoff Birgit Homburger Dr. Werner Hoyer Hellmut Königshaus Heinz Lanfermann Sibylle Laurischk Sabine Leutheusser- Schnarrenberger Michael Link (Heilbronn) Markus Löning Horst Meierhofer Patrick Meinhardt Jan Mücke Burkhardt Müller-Sönksen Dirk Niebel Detlef Parr Jörg Rohde Frank Schäffler Dr. Konrad Schily Marina Schuster Dr. Max Stadler Dr. Rainer Stinner Carl-Ludwig Thiele Florian Toncar Christoph Waitz Dr. Guido Westerwelle Dr. Claudia Winterstein Dr. Volker Wissing Hartfrid Wolff (Rems-Murr) Martin Zeil BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Marieluise Beck (Bremen) Birgitt Bender Ekin Deligöz Dr. Thea Dückert Dr. Uschi Eid Kai Gehring Katrin Göring-Eckardt Anja Hajduk Priska Hinz (Herborn) Fritz Kuhn Renate Künast Undine Kurth (Quedlinburg) Anna Lührmann Nicole Maisch Jerzy Montag Kerstin Müller (Köln) Omid Nouripour Brigitte Pothmer Krista Sager Elisabeth Scharfenberg Christine Scheel Rainder Steenblock Silke Stokar von Neuforn Josef Philip Winkler Margareta Wolf (Frankfurt) Nein CDU/CSU Renate Blank Wolfgang Börnsen (Bönstrup) Dr. Peter Gauweiler Norbert Schindler Willy Wimmer (Neuss) SPD Gregor Amann Ingrid Arndt-Brauer Klaus Barthel Dr. Axel Berg Lothar Binding (Heidelberg) Clemens Bollen Willi Brase Marco Bülow Ulla Burchardt Martin Burkert Christian Carstensen Dr. Peter Danckert Elvira Drobinski-Weiß Dagmar Freitag Martin Gerster Renate Gradistanac Angelika Graf (Rosenheim) Wolfgang Grotthaus Wolfgang Gunkel Klaus Hagemann Reinhold Hemker Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz (Essen) Iris Hoffmann (Wismar) Frank Hofmann (Volkach) Christel Humme Christian Kleiminger Dr. Bärbel Kofler Ernst Kranz Angelika Krüger-Leißner Jürgen Kucharczyk Ute Kumpf Christine Lambrecht Waltraud Lehn Dirk Manzewski Lothar Mark Caren Marks Hilde Mattheis Petra Merkel (Berlin) Dr. Matthias Miersch Marko Mühlstein Detlef Müller (Chemnitz) Florian Pronold Mechthild Rawert Maik Reichel Christel Riemann- Hanewinckel Sönke Rix René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Ortwin Runde Marlene Rupprecht (Tuchenbach) Renate Schmidt (Nürnberg) Heinz Schmitt (Landau) Ottmar Schreiner Swen Schulz (Spandau) Ewald Schurer Frank Schwabe Wolfgang Spanier Dr. Margrit Spielmann Christoph Strässer Dr. Rainer Tabillion Rüdiger Veit Dr. Marlies Volkmer Andreas Weigel Lydia Westrich Andrea Wicklein Dr. Wolfgang Wodarg Waltraud Wolff (Wolmirstedt) FDP Jens Ackermann Uwe Barth Miriam Gruß Joachim Günther (Plauen) Michael Kauch Dr. Heinrich L. Kolb Gudrun Kopp Jürgen Koppelin Cornelia Pieper DIE LINKE Hüseyin-Kenan Aydin Dr. Dietmar Bartsch Karin Binder Dr. Lothar Bisky Heidrun Bluhm Eva Bulling-Schröter Dr. Martina Bunge Roland Claus Sevim Dağdelen 8714 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. März 2007 (A) (C) (B) (D) Präsident Dr. Norbert Lammert Mindestlöhnen durch die Hintertür. nicht umsetzt, das wissen wir. Es ist ja auch unfair, daran zu erinnern. Dass die Union ihr Wahlprogramm bisher Das ist von der Bundesregier demokratischen Teil, ausdrüc (Jörg Tauss [SPD]: K freundliche Der Bundesminister für Arb diese Woche zu seinem Ziel Branchen Mindestlöhne einzu (Beifall bei Abgeordn Tauss [SPD]: R Mit dem vorgelegten Gesetz Allgemeinverbindlichkeitse nungswege ebenfalls in das heißt also, auch bei anderen erklärungen brauchen die mehr angehört zu werden. Veränderung – eine fundam der Tarifautonomie in Deutsc erst einmal nur um eine einzi (Beifall bei der FDP – ung, zumindest dem sozial- klich so gewollt. önnen Sie das etwas r sagen?) eit und Soziales hat noch erklärt, in möglichst vielen führen. eten der SPD – Jörg echt hat er!) entwurf wird allerdings die rklärung auf dem Verord- Gesetz geschrieben. Das Allgemeinverbindlichkeits- Tarifvertragsparteien nicht Das ist eine fundamentale entale Verschlechterung – hland, selbst wenn es jetzt ge neue Branche geht. Zurufe von der SPD Gleichbehandlungsgesetz er wirklich um das letzte biss CDU/CSU. (Zuruf des Abg. Jö Es wird sich zeigen, ob sie d deckenden Mindestlöhnen hi (Beifall bei der FDP – Tauss [S Wir müssen dagegen sein herumblökt –: Mindestlöhne legale Arbeit. Mindestlöhne fest, und wenn die Leistung dann wird sie zumindest in d im Inland nicht mehr nachgef (Beifall bei der FDP – A Also lassen wir die B Das heißt, gerade bei den diese Menschen müssen wi wird die Arbeitslosigkeit deu fahren. Hier geht es jetzt chen Glaubwürdigkeit der rg Tauss [SPD]) er Einführung von flächen- er Tür und Tor öffnen will. Zuruf des Abg. Jörg PD]) – egal wie sehr Herr Tauss vernichten in Deutschland legen einen Mindestpreis den Preis nicht wert ist, er legalen Wirtschaft oder ragt. nette Kramme [SPD]: üros doch dreckig!) Geringqualifizierten – für r Arbeitsplätze schaffen – tlich höher werden. (Beifall der Abg. Anette Kramme [SPD]) nicht umgesetzt hat, haben wir beim Allgemeinen Dr. Diether Dehm Werner Dreibus Dr. Dagmar Enkelmann Klaus Ernst Wolfgang Gehrcke Diana Golze Dr. Gregor Gysi Heike Hänsel Lutz Heilmann Hans-Kurt Hill Cornelia Hirsch Inge Höger Dr. Barbara Höll Ulla Jelpke Dr. Hakki Keskin Katja Kipping Monika Knoche Jan Korte Katrin Kunert Oskar Lafontaine Michael Leutert Ulla Lötzer Dr. Gesine Lötzsch Ulrich Maurer Dorothée Menzner Kornelia Möller Kersten Naumann Wolfgang Nešković Dr. Norman Paech Petra Pau Bodo Ramelow Elke Reinke Paul Schäfer (Köln) Volker Schneider (Saarbrücken) Dr. Herbert Schui Dr. Ilja Seifert Dr. Petra Sitte Frank Spieth Dr. Kirsten Tackmann Dr. Axel Troost Alexander Ulrich Sabine Zimmermann BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Volker Beck (Köln) Cornelia Behm Wir setzen nun die Aussprache zum Tages- ordnungspunkt 22 fort. Nächster Redner ist der Kollege Dirk Niebel für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP) Dirk Niebel (FDP): Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Ausweitung des Arbeitnehmer- Entsendegesetzes ist der erste Schritt zur Einführung von Grietje Bettin Alexander Bonde Winfried Hermann Peter Hettlich Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Thilo Hoppe Ute Koczy Sylvia Kotting-Uhl Markus Kurth Monika Lazar Dr. Reinhard Loske Winfried Nachtwei Claudia Roth (Augsburg) Irmingard Schewe-Gerigk Dr. Gerhard Schick Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Jürgen Trittin fraktionslos Henry Nitzsche Gert Winkelmeier Enthalten CDU/CSU Peter Albach Dr. Peter Jahr Manfred Kolbe SPD Elke Ferner Dr. Wilhelm Priesmeier FDP Dr. Edmund Peter Geisen Gisela Piltz BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Hans Josef Fell Britta Haßelmann Ulrike Höfken Wolfgang Wieland CDU und CSU haben in ihrem „Regierungspro- gramm 2005 – 2009“ geschrieben – ich zitiere –: Die Ausweitung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes auf alle Branchen und gesetzliche Mindestlöhne über die Hintertür können einen Missbrauch der europäi- schen Dienstleistungsfreiheit nicht verhindern. Recht hat sie gehabt, die CDU. Deswegen sollte sie im Regierungshandeln dafür sorgen, dass diese Hintertür nicht genutzt wird. Dass die SPD ihre Wahlprogramme Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. März 2007 8715 (A) (C) (B) (D) Dirk Niebel (Zuruf des Abg. Jörg Tauss [SPD]) – Herr Tauss, regen Sie sich doch einmal ab! Wir können ja mal einen Kaffee trinken gehen. (Jörg Tauss [SPD]: Ich rege mich ja gar nicht auf! Sie regen mich auf!) Ich erlaube mir, aus dem Protokoll der 97. Sitzung des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit vom 29. Juni 2005 zu zitieren. Herr Göhner – er ist hier anwe- send – hat ausweislich dieses Protokolls gesagt – ich zi- tiere –: Abgeordneter Dr. Göhner (CDU/CSU) begrüßt, dass durch die überraschende Wendung an diesem Morgen das Arbeitnehmer-Entsendegesetz nicht mehr verabschiedet werde. Weiter heißt es in diesem Protokoll: Es habe sich herausgestellt, dass die Koalitionsfrak- tionen – das war zu Zeiten von Rot-Grün – die Ausdehnung des Entsendegesetzes auf alle Branchen mit der Problematik von Entsendearbeitern begründeten, wo es gar keine gebe. Dies betreffe z. B. das Hotel- und Gaststättengewerbe. Dieser Fall zeige, dass die Koalition mit ihrem Gesetzentwurf etwas ganz anderes beabsichtigt habe, als sie vor- gebe: Es werde vorgegeben, tarifliche Mindest- löhne für Entsendearbeiter zu schaffen. Letztlich solle aber mit der Ausdehnung auf alle Branchen der gesetzliche Mindestlohn für inländische Arbeit- nehmer geschaffen werden. Recht hat er gehabt, der Kollege Göhner. (Beifall bei der FDP – Abg. Dr. Reinhard Göhner [CDU/CSU] meldet sich zu einer Zwi- schenfrage) – Ich kann mir gut vorstellen, dass er mit mir darüber gern sprechen möchte. Präsident Dr. Norbert Lammert: Nun möchte der Kollege Göhner Ihnen eine Zwi- schenfrage stellen. – Ich sehe, Sie sind damit einverstan- den. Bitte schön, Herr Göhner. Dr. Reinhard Göhner (CDU/CSU): Herr Kollege Niebel, nachdem Sie mich dankenswer- terweise so ausführlich zitiert haben, darf ich Sie fragen, ob Ihnen bekannt ist, dass ich auch erklärt habe, dass eine Ausdehnung des Entsendegesetzes auf das Gebäude- reinigerhandwerk von uns begrüßt wird. (Gitta Connemann [CDU/CSU]: Genau lesen, Herr Kollege Niebel!) Ich habe mich schon vor der letzten Bundestagswahl, und zwar in der letzten Sitzungswoche der vergangenen Legislaturperiode, hier im Plenum dementsprechend ge- äußert. Damals haben wir einen Gesetzentwurf diskutiert, der allerdings nicht lediglich eine Ausdehnung auf das Gebäudereinigerhandwerk vorsah; vielmehr war eine Ermächtigung zur Aufnahme weiterer Branchen geplant. Das, was wir heute diskutieren – Stichwort „Gebäudereini- gerhandwerk“ –, fand schon damals unsere Zustimmung, und zwar deshalb, weil es einen allgemeinverbindlichen Tarifvertrag für diese Branche gibt. Dirk Niebel (FDP): Herr Kollege Göhner, es ist völlig richtig, dass Sie immer für die Aufnahme des Gebäudereinigerhandwerks ins Arbeitnehmer-Entsendegesetz gewesen sind. (Beifall des Abg. Jörg Tauss [SPD]) Genauso richtig ist allerdings das, was ich gesagt habe: dass der Vorbehalt der Tarifvertragsparteien bei der Allgemeinverbindlichkeitserklärung durch das Heraus- nehmen der Seeschifffahrtsassistenz aus dem vorliegenden Gesetzentwurf schlicht wegfällt und dass das Arbeits- und Sozialministerium jetzt auf dem Verordnungswege und ohne Anhörung der Tarifvertragsparteien – also auch ohne Anhörung des Verbandes, für den Sie neben- beruflich tätig sind – die Möglichkeit hat, die Allgemein- verbindlichkeit dieser Tarifverträge durchzusetzen. Das sollte Ihnen zu denken geben. Da Sie jemand sind, der sich mit Tarifvertragsrecht durchaus intensiv beschäftigt, sollten Sie hier eine entsprechende Einschränkung auf dem Verordnungswege mit Sicherheit nicht durch Ihre Stimme legitimieren. (Beifall bei der FDP) Präsident Dr. Norbert Lammert: Ausnahmsweise gibt es noch die Gelegenheit für eine zweite Zwischenfrage. Wie ich sehe, sind Sie, Herr Niebel, damit einverstanden. Ich weise aber darauf hin, dass wir uns im Augenblick nicht in der Fragestunde befinden. Dirk Niebel (FDP): Es ist neu, dass die Opposition hier befragt wird. Wir könnten das gern generell einführen. Wir wissen viele Antworten. (Beifall bei der FDP – Lachen bei Abgeordne- ten der CDU/CSU und der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Göhner, bitte. Dr. Reinhard Göhner (CDU/CSU): Herr Kollege, da Sie die Streichung der Seeschiff- fahrtsassistenz aus dem Entsendegesetz hier kritisch beleuchten, darf ich Sie fragen, ob Sie ernsthaft wollen, dass diese Branche weiterhin unter dieses Gesetz fällt, obwohl es dort nicht einmal Tarifverträge gibt? (Dr. Ralf Brauksiepe [CDU/CSU]: Sehr gute Frage!) Dirk Niebel (FDP): Ich weise deswegen darauf hin, dass diese Branche gestrichen wird, weil sie die letzte Bastion ist und daher die Notwendigkeit gegeben ist, zum Beispiel die Arbeit- 8716 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. März 2007 (A) (C) (B) (D) Dirk Niebel geberverbände vor einer Allgemeinverbindlichkeits- erklärung zu befragen. (Dr. Ralf Brauksiepe [CDU/CSU]: Davon steht gar nichts im Gesetz! Das stimmt doch gar nicht!) Da sie die letzte Bastion ist, müsste diese Branche weiter- hin in diesem Gesetz genannt werden, wenn man seinen Geltungsbereich ausweiten will. Der entscheidende Feh- ler dieses Gesetzentwurfs ist die Ausweitung auf weitere Branchen, in dem Fall auf das Gebäudereinigerhand- werk, als Einstieg in einen flächendeckenden Mindest- lohn, der dann im Endeffekt vom Bundesarbeitsminister alleine implementiert werden kann. Das ist der Kardinal- fehler. (Beifall bei der FDP) Wenn über Mindestlöhne diskutiert wird, dann fällt dem Bundesarbeitsminister in erster Linie ein, dass er auch die Zeitarbeitsbranche mit einer Ausweitung be- glücken möchte. Ich weise darauf hin, dass gerade die Zeitarbeitsbranche der Bereich ist, wo jetzt vehement so- zialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse entstehen, eben wegen der flexiblen Möglichkeiten, die es in diesem Bereich gibt. (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Fragen Sie mal den Bundesverband der Zeitarbeitsfirmen! – Zuruf des Abg. Jörg Tauss [SPD]) Dieser Aufwuchs sozialversicherungspflichtiger Be- schäftigungsverhältnisse würde natürlich durch eine ent- sprechende Ausweitung des Entsendegesetzes einge- schränkt. Herr Tauss hat in seinem Leben eines mit Sicherheit noch nicht verstanden. Er hat nicht verstanden, dass Mindestlöhne völlig unbedeutend sind. Es geht um das Mindesteinkommen von Menschen und nicht um einen Mindestlohn. Beleuchten wir dazu doch einmal die Poli- tik dieser vermeintlich Großen Koalition! Obwohl die Steuereinnahmen wegen der guten Kon- junktur sprudeln, haben Sie von Rot-Schwarz in Ihrer gesamten Regierungszeit bisher nichts anderes getan, als den Bürgerinnen und Bürgern dreist in die Tasche zu greifen, ihnen zu Beginn dieses Jahres durch eine zusätz- liche Belastung in Höhe von 27 Milliarden Euro liquides Kapital zu entziehen, das ihnen fehlt, egal ob sie hohe oder niedrige Löhne haben. Sie haben die Beitragssätze zur Krankenversicherung Anfang des Jahres erhöht. Sie haben die Beitragssätze zur Rentenversicherung erhöht. Sie haben über die Erhöhung der Mehrwertsteuer eine Beitragssatzsenkung bei der Arbeitslosenversicherung durchgeführt, die Sie auch dann hätten durchführen kön- nen, wenn Sie sich nur auf die in Ihrem Evaluationsbe- richt festgeschriebenen arbeitsmarktpolitischen Maßnah- men konzentriert hätten. Sie kassieren bei den Menschen ab, statt ihnen ein Mindesteinkommen zu ermöglichen. „Mindesteinkom- men“ bedeutet in erster Linie, dass man sein Einkommen nicht über Schwarzarbeit erzielt, wie wir das heute in den Zeitungen lesen können, sondern in der legalen Wirtschaft. Wenn 2,5 Millionen Vollzeitarbeitsplätze bei einem geschätzten Volumen in der Schattenwirtschaft von 349 Milliarden Euro in diesem Jahr nicht in der le- galen Wirtschaft sind, dann muss einem das doch zu denken geben. Deswegen ist der richtige Ansatz nicht der, über Min- destlöhne Arbeitsplätze im geringqualifizierten Bereich zu vernichten, sondern der, mit einem vernünftigen und intelligenten Steuer- und Transfersystem aus einem Guss dafür zu sorgen, dass die Menschen in diesem Land ein anständiges Mindesteinkommen haben, von dem sie le- ben können. Dazu haben wir mit dem Bürgergeld einen Vorschlag gemacht, mit dem wir steuerfinanzierte Trans- ferleistungen und das Steuersystem zusammenführen. Der, der gut verdient, zahlt Steuern, und der, bei dem es nicht reicht, bekommt aus dem Transfersystem einen Zu- schuss, (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Kombilohn für alle!) ohne dass sein Arbeitgeber subventioniert wird, wie es die Union will, und ohne dass sein Arbeitsplatz subven- tioniert wird. Das ist ein vernünftiger Weg. (Beifall bei der FDP) Auf dem müssen wir uns bewegen. Wenn wir das tun, dann brauchen wir keine Mindestlöhne in diesem Land. Vielen herzlichen Dank. (Beifall bei der FDP) Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich erteile nun das Wort der Kollegin Gitta Connemann für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Gitta Connemann (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Die fet- ten Jahre sind vorbei“, (Dirk Niebel [FDP]: Für mich gilt das nicht!) so hieß ein Film, der im Jahr 2004 für Furore sorgte. Der Titel gab eine allgemeine Stimmung in Deutschland wie- der. Es schien, als hätten wir uns mit der Rolle der Ver- lierer angefreundet – die rote Laterne in der Hand. Heute erkennen wir unser Land nicht wieder. Die Ar- beitslosigkeit ist so stark zurückgegangen wie noch nie zuvor, auch und gerade bei den Langzeitarbeitslosen. (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Was hat das mit der Regierung zu tun?) Die Wachstumsprognosen werden ständig nach oben korrigiert. Alle Zahlen zeigen: Der Aufschwung ist da. Aber leider hat nicht jeder an ihm teil. Die Arbeitslosigkeit ist nach wie vor zu hoch. Für äl- tere Arbeitsuchende und Geringqualifizierte ist der Zu- gang zum Arbeitsmarkt schwer. 170 000 Menschen ar- beiten in einem Vollzeitjob für weniger als 4,50 Euro in der Stunde, 600 000 für weniger als 6 Euro in der Stunde; dabei handelt es sich zum Teil um Tariflöhne. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. März 2007 8717 (A) (C) (B) (D) Gitta Connemann Diese Arbeitnehmer sind im sogenannten Niedrig- lohnsektor beschäftigt. „Niedriglohnsektor“ – ein nüch- terner Begriff. Die dort Tätigen zeichnet aus, dass sie ar- beiten, obwohl mancher von ihnen ohne Arbeit mit einer staatlichen Transferleistung besser oder gleich gut daste- hen würde. Viele von ihnen leben am Rande des Exis- tenzminimums. Wie lässt sich ihre Existenz sichern? Um die Antwort auf diese Frage wird zum Teil mit sehr schrillen Tönen gestritten. Auch in dieser Debatte war das zu merken. Diese Debatte schreit nach ideologi- scher Abrüstung. Ich rate uns allen zu mehr Sachlichkeit. (Beifall bei der CDU/CSU) Wer arbeitet, muss mehr in der Tasche haben als der- jenige, der nicht arbeitet. In diesem Ziel sind wir alle uns sicherlich einig. Aber wie lässt es sich erreichen? Dazu werden unterschiedliche Modelle diskutiert. Die Diskus- sion wird aber zunehmend auf ein Wort reduziert: Lohn- wucher. Um es ganz klar zu sagen: Sittenwidrige Löhne sind mit der Union nicht zu machen. Sie sind schlicht unan- ständig. (Beifall bei der CDU/CSU – Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber sie sind doch da!) Sicherlich müssen die Beschäftigten besser vor Lohnwu- cher geschützt werden. Zwar gibt es bereits entspre- chende Vorschriften, sie sind aber wenig praktikabel. Bislang legen die Gerichte fest, wann ein Lohn sitten- widrig ist. Hier muss etwas getan werden. Ich frage uns: Wieso definieren wir in Anlehnung an die höchstrichter- liche Rechtsprechung die Sittenwidrigkeit bei Löhnen nicht gesetzlich und legen anknüpfend an Tarif- oder ortsübliche Löhne eine Untergrenze fest? Zu niedrige Lohnvereinbarungen wären dann nichtig und zugunsten des Arbeitnehmers nachzubessern. Starre Geldbeträge helfen da nicht. Wie unser früherer Kollege Karl-Josef Laumann immer sagt: Was in Düsseldorf gerade reicht, ist im Osten ein Spitzenlohn. Das ist übrigens eines von vielen Argumenten gegen einen flächendeckenden staatlichen Mindestlohn. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Weitere ließen sich anführen: Ein staatlicher Mindest- lohn ist ein schwerwiegender Eingriff in die Tarifauto- nomie, eine Verletzung der positiven wie negativen Ko- alitionsfreiheit, birgt die Gefahr eines Wettbewerbs von Wahlkampfversprechen, wie wir es gerade in Frankreich erleben. Andere müssen diese Versprechen einlösen: die Betriebe. Damit würden Einfacharbeiten weiter verteuert und gerade im Bereich der Geringqualifizierten dringend benötigte Arbeitsplätze nicht entstehen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Lohnpolitik ist keine Sozialpolitik. Da hilft auch der stete Hinweis auf die USA nicht; denn der dortige Min- destlohn ist in einen außerordentlich flexiblen Arbeits- markt eingebettet. Es kann nicht Ihr Ernst sein, dass Sie das Hire-and-fire-Prinzip, das dort gilt, bei uns in Deutschland haben wollen. Das machen wir nicht mit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD) Zur Wahrheit gehört aber auch, dass Lohnwucher nicht die Regel ist, insbesondere nicht in kleinen und mittelständischen Betrieben; denn diese Betriebe leben nicht von, sondern durch und mit ihren Arbeitnehmern. Dazu zählt auch das Gebäudereinigerhandwerk. Ge- werkschaften und Arbeitgeberverbände haben für dieses Handwerk einen Lohntarif vereinbart, der allgemein ver- bindlich ist. Hier ansässige Betriebe müssen sich an diese Lohnvorgaben halten, anders als ihre europäische Konkurrenz. Bei einem Lohnkostenanteil von 80 Pro- zent kann so kein fairer Wettbewerb stattfinden. Oder ist ein Rennen fair, bei dem der eine mit Spikes und der andere mit einem Gipsbein startet? Wohl kaum. Deshalb fordert das Gebäudereinigerhandwerk ja auch den Schutz durch das Arbeitnehmer-Entsendegesetz, wie wir ihn für das Bauhauptgewerbe haben. Die Vergleichbarkeit mit dem Bau ist offensichtlich: ständig wechselnde Einsatzorte, Wettbewerb mit Anbie- tern aus Ländern mit einem drastisch geringeren Lohnni- veau, Lohnkostenintensität und ein allgemein verbindli- cher Tarifvertrag. Vor diesem Hintergrund hat die Große Koalition ver- einbart, das Arbeitnehmer-Entsendegesetz auch auf die allgemeinverbindlichen Tarifverträge der Gebäudereini- ger zu erstrecken. Diese Hilfe gäbe es mit Ihnen, meine Damen und Herren von der FDP, nicht. (Dirk Niebel [FDP]: Das ist wahr!) Der Kollege Niebel hat auf unsere Glaubwürdigkeit an- gespielt. Wir haben uns immer nur dagegen gewehrt, das Gesetz auf alle Branchen auszuweiten. (Dirk Niebel [FDP]: Aber so ein bisschen darf es sein?) Wir haben aber immer auch gesagt, dass es bei den ein- zelnen Branchen zu prüfen ist. Wenn es um Glaubwürdigkeit geht, schaue ich den Kollegen Kolb an. (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Der ist die Glaubwürdigkeit in Person!) Der Kollege Kolb hat im Namen der FDP einen Antrag ins Plenum eingebracht, (Dirk Niebel [FDP]: Jetzt kurz und schmerz- los, bitte!) in dem er die Ausdehnung des Arbeitnehmer-Entsende- gesetzes auf andere Branchen in Ihrem Namen katego- risch ablehnt, (Dirk Niebel [FDP]: Völlig zu Recht!) und das, lieber Herr Kollege Dr. Kolb, obwohl Sie selbst Staatssekretär in der Kohl-Regierung waren, die dieses Gesetz 1995 mit Ihrer Stimme eingeführt hat. 8718 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. März 2007 (A) (C) (B) (D) Gitta Connemann (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Bei aller Wertschätzung: Ihr Verhalten erinnert an den Satz unseres ersten Bundeskanzlers Konrad Adenauer: „Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern?“ (Dirk Niebel [FDP]: Sie sind jetzt ja auch nicht mehr für die umlagefinanzierte Pflegeversi- cherung, oder?) Leider wird der darauf folgende Satz meist unterschla- gen: „Nichts hindert mich, weiser zu werden.“ Ich gebe die Hoffnung daher nicht auf. Ich habe übrigens auch bei der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen noch Hoffnung. Das ist das andere Extrem. Während die FDP gar nichts will, for- dern Sie die Ausweitung auf alle Branchen. (Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Genau wie die SPD! Ganz an der Seite unserer sozialdemokratischen Freunde!) Protektionismus pur! Festung Deutschland! Man merkt, dass Ihnen der Außenminister mit europäischen Ambi- tionen abhandengekommen ist. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir wollen Freizügigkeit und fairen Wettbewerb. Deshalb müssen wir im Einzelfall mit Augenmaß ent- scheiden, ob dieses Gesetz auf weitere Branchen ausge- weitet werden muss. Die heutige Entscheidung entfaltet insoweit kein Präjudiz. (Dirk Niebel [FDP]: Fragen Sie mal den Tauss!) Die erforderliche Prüfung wird zurzeit vom Bundes- ministerium für Arbeit und Soziales vorbereitet. Die Entscheidung aber treffen wir, die Mitglieder des Deut- schen Bundestages. Wir haben im Koalitionsvertrag vereinbart, die Auf- nahme weiterer Branchen von Voraussetzungen ab- hängig zu machen: Erstens. Es muss ein Tarifvertrag vorliegen, der nach den Regeln des geltenden Tarifver- tragsgesetzes für allgemeinverbindlich erklärt worden ist. Die Neuaufnahme im vereinfachten Verordnungsver- fahren ist dabei kein Automatismus, lieber Herr Niebel; der Kollege Dr. Göhner hat das bereits dargestellt. (Dirk Niebel [FDP]: Das ist nicht wahr! – Klaus Brandner [SPD]: Das können wir aber ändern!) Zweitens. Es müssen soziale Verwerfungen in diesem Wirtschaftszweig durch Entsendearbeitnehmer nachge- wiesen sein. Die Entscheidung muss von Fall zu Fall getroffen werden. Momentan sind diese Voraussetzungen aus mei- ner Sicht bei keiner der in der Diskussion stehenden Branchen gegeben. (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Aber das Verfah- ren haben Sie nicht mehr in der Hand!) Bei der einen fehlt es an allgemein verbindlichen Tarif- verträgen, und bei der Zeitarbeit sehe ich persönlich keine Verwerfungen durch ausländische Konkurrenz. Ich warne vor einem: Dieses Gesetz darf nicht instru- mentalisiert werden, den Wettbewerb in einer Branche auszuschließen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Deshalb sollten wir mit vorschnellen Ankündigungen über eine Ausweitung zurückhaltend sein. (Dirk Niebel [FDP]: Das ist jetzt im Fluss, wenn Sie mitmachen!) Eines nämlich hat die Vergangenheit gezeigt: Das Ar- beitnehmer-Entsendegesetz ist kein Allheilmittel. Der Arbeitsplatzabbau in der Baubranche konnte so allen- falls verlangsamt werden. Es gibt eben selten Patent- lösungen. Das ist übrigens auch die Essenz des Filmes „Die fet- ten Jahre sind vorbei“. Der Stein des Weisen existiert nicht. Es braucht maßgeschneiderte Lösungen. Das heu- tige Gesetz ist ein Teil davon. Stimmen Sie also zu! (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Für die Fraktion Die Linke ist der nächste Redner der Kollege Werner Dreibus. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos] – Dirk Niebel [FDP]: Wenn es um den Stein der Weisen geht, ist das jetzt Lord Voldemort!) Werner Dreibus (DIE LINKE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Die Fraktion Die Linke wird dem Gesetzentwurf zustim- men. Die Regelung ist notwendig und überfällig. Zum Thema „fällig“ will ich nur sagen: Allein von der Koali- tionsvereinbarung bis zum heutigen Tag sind eineinvier- tel Jahre vergangen. Die Regelung ist also überfällig. Dieser Schritt ist notwendig und richtig. Es ist aber im besten Fall ein Trippelschritt angesichts der Dimension, die die Entwicklung des Niedriglohnsektors in Deutsch- land angenommen hat. Davon sind viele Branchen und 6 bis 7 Millionen Menschen betroffen. In den letzten 15 Monaten, seit dem Herbst 2005, also während Ihrer Regierungszeit, wurden es immer mehr. Die Koalition erwägt seit vielen Monaten verschie- dene Maßnahmen im Bereich des Arbeitsmarkts: Sub- ventionen, gesetzlicher Mindestlohn von 4 Euro, Verein- fachung der AVE, jetzt die Verfolgung sittenwidriger Löhne. Das ist alles nur Gerede. Es fehlen Taten zuguns- ten derer, die seit Monaten und Jahren auf Regelungen hinsichtlich der Niedriglöhne warten. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos]) Insofern ist das, was die Koalition neben dem heutigen Schritt macht, noch nicht einmal ein Trippelschritt, sondern Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. März 2007 8719 (A) (C) (B) (D) Werner Dreibus entspricht vielmehr einem Fahren im Kreisverkehr. Wir sollten uns daran erinnern, dass Bewegung nicht alles ist; denn wer sich nur im Kreis bewegt, kommt nicht voran. Immerhin unterscheidet sich das, was der Staatssekre- tär heute zur Einführung dieses Gesetzentwurfs gesagt hat, deutlich von dem, was die Koalitionsfraktionen im Juni des vergangenen Jahres zu unserem Antrag zur Ein- führung des Mindestlohnes gesagt haben. Insofern kann man zumindest erkennen – wenn auch mit großer zeitlicher Verzögerung und damit zum Nachteil der Be- troffenen –, dass die Koalition lernfähig ist. Das Lernen geht aber viel zu langsam. Wir sollten uns in diesem Be- reich keine Koalition erlauben, die sozusagen auf PISA- Niveau angekommen ist. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos]) Was ist das eigentliche Problem? 6 Millionen Men- schen arbeiten in Vollzeit zu Niedriglöhnen. 70 Prozent davon sind Frauen. Hinzu kommen mehrere Millionen Menschen in geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen und in Teilzeit. Ein sozialer Rechtsstaat wie unserer kann eine solche Situation nicht länger hinnehmen. Jeder Mensch muss von seiner Arbeit zumindest leben kön- nen. Unsere feste Überzeugung ist: Stundenlöhne unter 8 Euro sind nicht existenzsichernd und insofern nicht länger hinnehmbar. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos]) Deshalb muss der Grundsatz lauten, so schnell es geht einen gesetzlich verbrieften Anspruch für alle Men- schen, die Arbeit haben, von mindestens 8 Euro einzu- führen. Wie kommen wir dahin? Ich möchte noch einmal die drei verschiedenen Problembereiche bei Niedriglöhnen skizzieren. Erstens. Es gibt Branchen mit untersten tarif- lichen Entgelten über 8 Euro. Der Gesetzgeber kann und sollte auf dem Weg des Entsendegesetzes in der jetzt vorliegenden Form schleunigst dafür sorgen, weitere sol- cher Branchen mit Tariflöhnen über 8 Euro in das Ent- sendegesetz aufzunehmen und diese Tarifverträge da- mit für allgemeinverbindlich zu erklären. Dazu ist eine Vereinfachung des Verfahrens notwendig: beispielsweise auch auf Antrag einer Tarifvertragspartei. Zweitens. Es gibt Branchen mit untersten tariflichen Entgelten unter 8 Euro, teilweise weit unter 8 Euro. Hier hilft keine AVE. Im Gegenteil: Hungerlöhne würden so per Gesetz verordnet. Eine Mindestlohnfestlegung über AVE würde bedeuten, Löhne in Höhe von 4,38 Euro oder 4,25 Euro – wie für Friseure, Köche, Hotelkauf- frauen, Verkäuferinnen etc. – per Gesetz einzuführen. Das ist ein untauglicher Weg. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos]) Warum gibt es überhaupt Tarifverträge, die Nied- riglöhne vorschreiben? (Birgit Homburger [FDP]: Weil sie abge- schlossen worden sind! – Dirk Niebel [FDP]: Weil die Gewerkschaftssekretäre sie mit unter- schrieben haben!) – Ich sage gleich etwas dazu. – Ich will daran erinnern, dass das Bundesarbeitsgericht bereits in den 50er-Jahren in einem Urteil zu einer solchen Tarifsituation – Herr Niebel, an der Sie möglicherweise auch in bestimmten Bereichen beteiligt sind – (Dirk Niebel [FDP]: Wo bin ich beteiligt?) Tarifverhandlungen ohne die Möglichkeit des Drucks durch Arbeitskämpfe als kollektive Bettelei bezeichnet hat. In diesen Branchen finden Tarifverhandlungen als kollektive Bettelei statt, so die Sprache des Bundesar- beitsgerichtes in den 50er-Jahren. Das ist das Problem. Die Maßnahmen, die seit den 90er-Jahren ergriffen wurden, und zwar von Ihnen allen, die Sie hier sitzen – ich nenne nur: Kürzung des Arbeitslosengeldes, Armut per Gesetz, Hartz IV, Massenarbeitslosigkeit, Auswei- tung prekärer Beschäftigungsverhältnisse –, haben letzt- lich dazu beigetragen, die kollektive Interessenvertre- tung und damit auch die Möglichkeit, bessere Tarifverträge abzuschließen, deutlich zu verschlechtern. (Dirk Niebel [FDP]: Aber Sie sind doch Ge- werkschaftssekretär! Warum unterschreiben Sie so etwas!) Dritte und letzte Bemerkung in diesem Zusammen- hang: Es gibt Branchen – das ist ein zunehmend größer werdender Teil –, in denen überhaupt keine Tarifverträge gelten. Da kann man nun beim besten Willen keine Re- gelungen treffen, auch nicht per Arbeitnehmer-Entsen- degesetz. Es bleibt in diesem Bereich überhaupt nichts anderes übrig, als gesetzliche Mindestlöhne einzufüh- ren. Eine Bemerkung noch zu Frau Connemann und dem Vergleich, dass in Düsseldorf – – Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege, das geht jetzt eigentlich nicht mehr. Sie haben vermutlich gar nicht gesehen, wie großzügig ich Ihre Redezeit schon bemessen habe. Werner Dreibus (DIE LINKE): Sie haben wie immer recht, Herr Präsident! Lassen Sie mich nur diese eine Bemerkung machen: Wenn man die Debatte so führt, dass es in Düsseldorf auf Dauer hö- here Löhne geben muss als in Dresden oder Bautzen, (Dr. Ralf Brauksiepe [CDU/CSU]: Das gibt es! Das ist Tatsache!) kann ich nur sagen: Das ist zynisch gegenüber den Be- troffenen. Eine solche Politik machen wir nicht mit. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos] – Zuruf von der CDU/CSU: Das haben doch die Tarifpartner ausgemacht!) 8720 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. März 2007 (A) (C) (B) (D) Präsident Dr. Norbert Lammert: Die Kollegin Brigitte Pothmer ist die nächste Redne- rin für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen. Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Müntefering, seit Montag hat für mich das Wort „Scheinbeschäftigung“ eine neue Bedeutung. Am Montag haben sich ja die Koalitionsspitzen mit dem Thema Mindestlohn beschäftigt, und Sie sind später he- rausgekommen und haben gesagt – zum Schein –: Alles ist auf dem besten Weg. Sie werden zitiert: Sittenwidrige Löhne müssen weg, am besten in al- len Branchen. (Klaus Brandner [SPD]: Das stimmt ja auch!) Wir stimmen Ihnen zu, Herr Müntefering. Ich kann nur sagen: Gut gebrüllt, Löwe. – Dann erklären Sie weiter, dass Mindestlöhne in mindestens zehn Branchen in Vor- bereitung sind. Ich habe da eine Frage: Was heißt eigent- lich „in Vorbereitung“? Es ist zu lesen, dass Müntefering weitere Branchen ins Auge gefasst habe. Ich übersetze das so: Schauen wir mal; kommt es heut nicht, kommt es morgen. (Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Ja, genau!) Ich kann nur sagen: Wenn wir in diesem Tempo weiter- machen, dann wird es noch Jahrzehnte dauern, bis wir für diese zehn Branchen Mindestlöhne haben. Es ist gut, dass wir das in der Bauindustrie geschafft haben. Es ist auch gut, dass wir das jetzt im Gebäuderei- nigerhandwerk einführen. Aber Sie haben leider auch heute wieder die Chance vertan, das zu tun, was Sie vor- geben tun zu wollen, nämlich das Gesetz zu nutzen, um die Regelung auch auf andere Branchen auszuweiten. Sie nennen hier die fleischverarbeitende Industrie, die Land- und Forstwirtschaft, die Gastronomie und andere Bereiche; ich will sie gar nicht alle aufzählen. Sie haben auch gesagt, dass Sie die Zeitarbeitsbran- che einbeziehen wollen. Da frage ich, Frau Connemann: Warum ist das eigentlich nicht passiert? In der Zeitar- beitsbranche bestehen alle Voraussetzungen, von denen Sie immer behaupten, dass Sie sie brauchen, um zu han- deln. (Gitta Connemann [CDU/CSU]: Dazu habe ich etwas ausgeführt, Frau Pothmer!) Frau Connemann, Sie widersprechen sich doch selbst. Ich kann Ihnen sagen, warum Sie es nicht getan haben. Sie haben es nicht getan, weil es Ihnen nicht um die Sa- che geht, sondern um politische Geländegewinne. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Gitta Connemann [CDU/CSU]: Ihr Schreien macht es nicht besser!) Dazwischen werden die Interessen der Betroffenen zer- rieben. Sie dürfen sich nicht wundern, dass Sie Über- schriften kassieren, die lauten: „Mit vereinten Kräften nichts“. Das ist das Einzige, was die Große Koalition in dieser Sache zustande bringt. Das ist leider zu wenig. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN) In einer Agenturmeldung habe ich gelesen: Im Koalitionsausschuss hatten die Spitzen von Union und SPD Müntefering dafür am Montag grü- nes Licht gegeben, – Achtung, jetzt kommt’s! – (Klaus Brandner [SPD]: Sie müssen es auch noch ankündigen!) wollten dies aber nicht als vorweggenommene Zu- stimmung gewertet wissen. Was heißt das eigentlich? (Gitta Connemann [CDU/CSU]: Wir halten et- was von parlamentarischer Demokratie!) Das heißt, Sie haben am Montag eine mögliche Zustim- mung zu einer möglichen Ablehnung erreicht. Das ha- ben Sie ausgehandelt, Herr Müntefering. Tut mir leid, uns ist das zu wenig. Ich gebe ja zu, dass Sie da wacker kämpfen. Aber es kommt einfach zu wenig dabei herum. Ich glaube, wenn Sie einmal darüber nachdenken, dann kommen Sie selbst zu diesem Ergebnis. Deshalb flüchten Sie sich – das ist jedenfalls mein Eindruck – in den Versuch, so zu tun, als sei schon die bloße Debatte über Politik Politik. Das werden Ihnen die Leute nicht durchgehen lassen. Da bin ich mir ganz sicher. Sie haben einmal in einem Interview gesagt, dass es in Sachen Arbeitsmarkt so etwas wie ein Simsalabim nicht gibt. Ich glaube, damit haben Sie recht. Ein Simsa- labim erwarten wir auch gar nicht von Ihnen, aber einen Hokuspokus eben auch nicht. Ich danke Ihnen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun die Kollegin Anette Kramme für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Anette Kramme (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Niebel, (Dirk Niebel [FDP]: Hallo!) ich hätte nicht gedacht, dass ich Ihnen einmal recht gebe. Sie haben tatsächlich recht damit, dass wir hier und heute ein großes Ding drehen. Sie haben auch recht damit, dass es unsere wahre Intention ist, das Arbeitnehmer-Entsen- degesetz auf ganz viele Branchen auszudehnen. (Beifall bei der SPD – Dirk Niebel [FDP]: Das habe ich ja gesagt! Aber jetzt sagen Sie einmal Frau Connemann, dass ich recht habe! Ich weiß es ja!) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. März 2007 8721 (A) (C) (B) (D) Anette Kramme Nun zu Herrn Dreibus. Bezüglich des Kreisverkehrs haben Sie natürlich recht. Aber aus dem Kreisverkehr wird ein Autobahnverkehr, wenn wir viele andere Bran- chen in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz einbeziehen. (Werner Dreibus [DIE LINKE]: Wann?) Frank Dupré, der Bauunternehmer und Vizepräsident des Zentralverbandes des Deutschen Baugewerbes, sagte vergangene Woche gegenüber der „Süddeutschen Zei- tung“: Gäbe es am Bau keine Mindestlöhne, ... dann wäre in den vergangenen Jahren noch mehr Personal ab- gebaut worden. Er ging noch weiter, als er den vereinbarten Mindestlohn für notwendig erachtete, um überhaupt ein Instrument zur Kontrolle auf dem Arbeitsmarkt zu haben. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir alle wissen, dass Herr Dupré recht hat. Die Zustände am Bau waren verheerend. Das Arbeitnehmer-Entsendegesetz war und ist ein essenzielles Ordnungselement. Es ist ein essenzi- elles Ordnungselement für die Arbeitgeber gegen die Schmutzkonkurrenz und für die Arbeitnehmer gegen das nationale und internationale Lohndumping. Das Arbeitnehmer-Entsendegesetz hat sich in der Baubranche bewährt. Normalerweise fordern Wirt- schaftsverbände und Arbeitgeberverbände den Abbau von Arbeitsrecht, aber sogar der Hauptgeschäftsführer Knipper des Hauptverbandes der Deutschen Bauindus- trie steht zum Arbeitnehmer-Entsendegesetz. Er sagt: „Die Mindestlöhne sind ohne Alternative.“ Die Baubranche ist seit 1996 im Arbeitnehmer-Ent- sendegesetz. Bei dieser Gelegenheit: Herr Niebel, die FDP von damals hat diesem Entsendegesetz zugestimmt. (Dr. Ralf Brauksiepe [CDU/CSU]: Das ist wahr! – Dirk Niebel [FDP]: Gut, dass ich erst 1998 gewählt worden bin!) Sehr vernünftig! Heute redet man von maximalem Un- sinn. Normalerweise wächst die Weisheit mit zunehmen- dem Alter; bei Ihnen scheint aber Alterstorheit eingetre- ten zu sein. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dirk Niebel [FDP]: Ich habe die Gnade der späten Wahl!) Meine Damen und Herren der FDP, lassen Sie sich sa- gen: Maximalen Unsinn verzapfen höchstens Sie mit Ih- ren bodenlosen Anträgen, sicherlich aber nicht die Bun- desregierung. Das Gebäudereinigerhandwerk und das Bauge- werbe sind in einer sehr ähnlichen Situation. Das Gebäu- dereinigerhandwerk ist wie das Baugewerbe von schmutzigen und skandalösen Arbeitsbedingungen be- droht. Wir müssen sicherlich damit rechnen, dass sich die Bedingungen mit Ablauf der 2-3-2-Regelung gefähr- lich verschärfen werden. Worauf gründet sich die prekäre Situation beider Branchen? Sowohl im Gebäudereinigerhandwerk als auch im Baugewerbe sind die Arbeitnehmer an unter- schiedlichen Einsatzorten tätig. Daraus resultiert ein ver- stärktes Schutzbedürfnis. Sowohl das Gebäudereiniger- handwerk als auch das Baugewerbe sind in hohem Maße lohnkostenintensiv. Beide stehen deshalb im besonderen Wettbewerb mit Anbietern aus Ländern mit Niedrigst- löhnen. Das Gebäudereinigerhandwerk mit seinen rund 850 000 Arbeitnehmern hat durch einen bundesweiten Mindestlohntarifvertrag die Voraussetzungen für die Aufnahme in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz geschaf- fen. Es ist nun konsequent, die Branche in das Arbeit- nehmer-Entsendegesetz aufzunehmen. Die Tarifver- tragsparteien befürworten diesen Schritt. Ich darf an dieser Stelle nochmals zitieren. Arnulf Piepenbrock sagt: Dadurch können wir die Branche vor Billiglohn- konkurrenten aus den neuen osteuropäischen EU- Mitgliedstaaten schützen, wenn ab dem Jahr 2009 die volle Freizügigkeit in der EU gilt. Ich bin mir sicher, dass die Erweiterung des Arbeit- nehmer-Entsendegesetzes zur Stärkung des Gebäuderei- nigerhandwerks im innereuropäischen Wettbewerb bei- tragen wird. – Der BDA darf an dieser Stelle gesagt werden: Hier haben sich erwachsene Menschen geeinigt. Stecken Sie Ihre Nase nicht ständig in Angelegenheiten, die Sie nichts angehen! Beim Arbeitnehmer-Entsendegesetz entscheiden al- lein die Tarifvertragsparteien, ob und in welcher Höhe sie einen Mindestlohntarifvertrag schließen und ob sie einen Antrag für eine Allgemeinverbindlichkeitserklä- rung stellen wollen. Die Tarifvertragsparteien haben es selbst in der Hand, ob das Arbeitnehmer-Entsendegesetz in ihrem Bereich angewandt wird. Ich befürworte ganz ausdrücklich, dass auch für die Gebäudereiniger die Möglichkeit geschaffen wurde, Mindestlohntarifverträge per Rechtsverordnung – und nicht über das Tarifver- tragsgesetz – für allgemeinverbindlich zu erklären. (Dirk Niebel [FDP]: Sehen Sie, da habe ich schon wieder recht gehabt! Das muss ja eine gute Rede gewesen sein!) Es ist fast unmöglich geworden, Tarifverträge außer- halb des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes über den Tarif- ausschuss – also über das Tarifvertragsgesetz – für allgemeinverbindlich erklärt zu bekommen. Die Arbeit- geberseite geriert sich in unerträglicher Weise. Walter Riester, ich glaube, du bist hier im Plenum: Dir gebührt Dank dafür, dass du die Möglichkeit geschaffen hast, Mindestlohntarifverträge am Bau mithilfe einer Rechts- verordnung für allgemeinverbindlich zu erklären. Das hast du gut gemacht. Wir dehnen das jetzt aus. (Beifall bei der SPD – Dirk Niebel [FDP]: Mein Gott, Walter!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, unser Ziel muss es sein, zu verhindern, dass Arbeitnehmer zu krass unsozia- len und unfairen Arbeitsbedingungen beschäftigt wer- den. Wir müssen etwas dagegen tun, dass durch legale oder illegale Entsendung von Arbeitskräften aus dem Ausland inländische Arbeitsplätze in erheblichem Um- fang gefährdet werden. Die derzeitigen Schutzregelun- 8722 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. März 2007 (A) (C) (B) (D) Anette Kramme gen des deutschen Arbeitsrechts reichen nicht aus. § 138 Abs. 2 BGB – der Wuchertatbestand – greift erst dann, wenn weniger als zwei Drittel des üblichen Lohns bezahlt wird. Außerdem muss das Arbeitsverhältnis un- ter Ausnutzung einer Zwangslage, der Unerfahrenheit oder des Mangels an Urteilsvermögen geschlossen wor- den sein. Meine sehr geehrten Damen und Herren, es ist unab- dingbar, zahlreiche weitere Branchen in das Entsendege- setz aufzunehmen und einen ergänzenden gesetzlichen Mindestlohn zu schaffen. Drei Viertel unserer europäi- schen Nachbarn zeigen uns, wie man gleichzeitig faire Löhne garantiert und trotzdem Beschäftigung schafft und sichert. Dass dies eben kein Widerspruch ist, sollten sich die Westerwelles dieser Welt einmal vergegenwärti- gen. (Dirk Niebel [FDP]: Es kann nur einen geben!) Wir wollen nicht, dass Deutschland immer mehr zu ei- nem Billiglohnparadies für ausländische Großkonzerne wird. Lassen Sie mich mit den Worten von Bundespräsident Horst Köhler schließen: Wenn ein Unternehmer heute nicht sieht, dass er langfristig ein Eigeninteresse an sozialer und politi- scher Stabilität hat, dann … hat er seinen Unterneh- mensauftrag nicht richtig verstanden. In dem Sinne! (Dirk Niebel [FDP]: Das ist völlig richtig, aber dafür brauchen wir kein Entsendegesetz!) Ich bedanke mich ganz herzlich. (Beifall bei der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Paul Lehrieder für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Paul Lehrieder (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Damen und Herren! Nehmen wir zunächst ohne Scheuklappen zur Kenntnis, wie sehr sich der deutsche und auch der europäische Arbeitsmarkt in den letzten Jahren verändert haben. Viele Unternehmer und Beschäftigte mussten in dieser Zeit lernen, was es heißt, um die eigene Existenz zu fürchten. Sie suchen verlässliche Orientierung, sie verlangen Reformen, und zwar von uns, den Politikern. Wir alle miteinander, liebe Kolleginnen und Kolle- gen, haben erfahren, dass die Umsetzung von Reformen in diesem Bereich keine Sache von Wochen oder Mona- ten, sondern eine längerfristige Angelegenheit ist. Bei ei- nem handfesten und tiefgreifenden Strukturwandel – da- mit haben wir es auf dem Arbeitsmarkt zu tun – liegen schmerz- und nebenwirkungsfreie Wundermittel leider Gottes nicht auf der Straße. Es ist ganz natürlich, dass sich Lösungskonzepte je nach politischem Lager auch widersprechen. Eine offene Diskussion ist notwendig, um miteinander auf den richti- gen Weg zu kommen. Dieser Diskussion können auch die beiden vorliegenden Anträge – der der FDP gegen gesetzliche Mindestlöhne und der der Grünen, durch den das Entsendegesetz auf alle Branchen ausgeweitet wer- den soll – dienen. Da aber beide Anträge in dieser Frage überreizt sind, werden wir sie beide ablehnen. (Beifall bei der CDU/CSU) Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Her- ren, die Grünen haben richtig erkannt – ich zitiere den letzten Absatz Ihrer Antragsbegründung –: Regionale und branchenspezifische Unterschiede bei Lohnniveau und Produktivität müssen berück- sichtigt werden, um Arbeitsplätze nicht zu gefähr- den. Frau Pothmer, Sie können, wenn Sie wollen, aber Sie ziehen nicht die richtigen Konsequenzen: Ein einheitlicher, gesetzlicher Mindestlohn ist für die Sicherstellung von Mindestarbeitsbedingungen ungeeignet. (Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Das machen wir doch gar nicht!) – Das ist Diktion der Grünen, letzter Absatz der Antrags- begründung. Lesen Sie! – Er beschränkt die Autonomie der Tarifparteien und führt aufgrund seiner Inflexibilität dort zu Arbeits- platzverlusten …, wo eine branchen- und regional- spezifische Ausgestaltung des Mindestlohns die Beschäftigten vor Ausbeutung schützen und zu- gleich Arbeitsplätze sichern kann. (Unruhe) Präsident Dr. Norbert Lammert: Einen kleinen Augenblick bitte, Herr Kollege Lehrieder. Wir machen die gleiche Prozedur wie vorhin: – Paul Lehrieder (CDU/CSU): Ich danke Ihnen, Herr Präsident. Präsident Dr. Norbert Lammert: – Die Abstimmung findet erst nach Schluss der Aus- sprache statt. Bis dahin bitte ich die anwesenden Kolle- gen, die Plätze einzunehmen. (Anhaltende Unruhe – Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär: Macht doch einmal zu!) Paul Lehrieder (CDU/CSU): Darf ich mich als Redner dem Appell des Präsidenten anschließen, meine Damen und Herren? Dann geht es schneller. Der eine oder andere, Herr Niebel, wartet auf seinen Flieger. (Dirk Niebel [FDP]: Der Flieger wartet auf mich! Das ist viel schlimmer, das kostet viel mehr Geld!) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. März 2007 8723 (A) (C) (B) (D) Präsident Dr. Norbert Lammert: So, bitte schön. Paul Lehrieder (CDU/CSU): Liebe Kollegen von der FDP, wie Sie sehen, haben die Oppositionskollegen die eigentliche Absicht des Ar- beitnehmer-Entsendegesetzes erkannt. Es handelt sich hier um ein Schutzgesetz unter Einbeziehung der Tarif- parteien, eine vernünftige Regelung, die sich bewährt hat. Es handelt sich nicht, Herr Niebel, um die Einfüh- rung der Mindestlöhne durch die Hintertür, wie Sie vor- hin ausgeführt haben. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dirk Niebel [FDP]: Das werden wir noch ein- mal zitieren!) Es wird hier, entgegen Ihren Befürchtungen, kein krum- mes Ding gedreht, auch wenn die Wünsche in der Gro- ßen Koalition etwas differenzierter sind; das will ich ein- räumen. Wir von der Union lehnen flächendeckende gesetzli- che Mindestlöhne nach wie vor ab. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Aber wir sind auch fest entschlossen, gemeinsam mit un- serem Koalitionspartner gegen sittenwidrige Löhne vor- zugehen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Indem wir heute das Arbeitnehmer-Entsendegesetz auf das Gebäudereinigerhandwerk ausdehnen, wollen wir vermeiden, dass die entsandten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer benachteiligt werden. Wir wollen verhin- dern, dass unfairer Wettbewerb insbesondere die hier an- sässigen kleinen und mittleren Unternehmen und damit eine große Zahl von Arbeitsplätzen gefährdet. Branchenübergreifende Entsenderegelungen, wie sie die Grünen heute fordern, werden – Herr Dreibus, da müssten Sie als Gewerkschaftssekretär eigentlich auf- schreien – weder der Tarifautonomie noch der komple- xen Struktur des Arbeitsmarktes gerecht. Noch einmal zu den Linken. Herr Dreibus, ich bin et- was erschrocken, als Sie vorhin Zustimmung zu dem Gesetz signalisiert haben. Ich habe den Entwurf noch einmal nachgelesen, weil mich das etwas irritiert hat. Aber ich glaube, ein gutes Gesetz kann man auch mit Zustimmung der Linken auf den Weg bringen. Herzli- chen Dank für Ihre Zustimmung! Die einzelnen Sparten, meine Damen und Herren, von Handwerk und Dienstleistung unterscheiden sich in den Anforderungen, Steuerungsbedürfnissen und Wettbe- werbsbedingungen zum Teil massiv voneinander. Was der einen Branche hilft, muss nicht unbedingt gut für die andere sein. In der Baubranche haben wir gesehen, dass Entsendegesetz und tarifliche Mindestlöhne keine All- heilmittel gegen Arbeitsplatzabbau und rechtswidrige Dumpingangebote sein können. Im Gebäudereinigerhandwerk gibt es immerhin 300 000 Beschäftigte, die schutzbedürftig sind. Das Ge- bäudereinigerhandwerk ist ebenso kostenintensiv wie das Baugewerbe und muss sich in besonderem Maße ge- gen Anbieter aus Billiglohnländern behaupten. Außer- dem gilt wie im Baugewerbe ein bundesweiter Lohnta- rifvertrag mit einheitlichen Strukturen. In der Gebäudereinigerbranche liegt der Mindestlohn bei 7,87 Euro im Westen und bei 6,36 Euro im Osten. Allein daran sehen Sie, Herr Dreibus, dass wir in Ost und West nach wie vor unterschiedliche Gehalts- und Lebensbe- dingungen haben. Die werden sich angleichen. Aber das kann man nicht durch einen einheitlichen gesetzlichen flächendeckenden Mindestlohn machen. Ich hätte noch einiges zu sagen. Im Hinblick auf die fortgeschrittene Zeit komme ich jedoch zum Ende. Ich plädiere natürlich für Zustimmung zu diesem Gesetz. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Ände- rung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes auf der Druck- sache 16/3064. Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/4554, den Gesetzentwurf in der Aus- schussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Das Erste war die Mehrheit. Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Nach Art. 87 Abs. 3 des Grundgesetzes ist zur Annahme dieses Gesetzentwurfs die absolute Mehrheit – das sind 308 Stimmen – erfor- derlich. Die Fraktionen der CDU/CSU und der SPD so- wie der FDP und der Fraktion der Linken verlangen na- mentliche Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die Plätze an den Abstimmungsurnen einzunehmen und mir zu signalisieren, wenn die Plätze besetzt sind. – Das scheint jetzt der Fall zu sein. Dann eröffne ich die Abstimmung. (Vorsitz: Vizepräsidentin Katrin Göring- Eckardt) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? – Das scheint nicht der Fall zu sein. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung der Stimmen zu beginnen. Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.1) Wir setzen die Abstimmungen fort. 1) Ergebnis Seite 8725 D 8724 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. März 2007 (A) (C) (B) (D) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie- ßungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/ 4623. Wer stimmt für den Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Damit ist der Antrag bei Zustimmung der Fraktion Die Linke gegen die Stim- men des übrigen Hauses abgelehnt. Wir setzen die Abstimmungen zur Beschlussempfeh- lung des Ausschusses für Arbeit und Soziales auf Drucksache 16/4554 fort. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrages der FDP auf Drucksache 16/1653 mit dem Ti- tel „Gesetzliche Mindestlöhne ablehnen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Damit ist die Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition, der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke gegen die Stimmen der FDP-Fraktion angenommen. Unter Nr. 3 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrages der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/2978 mit dem Titel „Arbeit in Armut verhindern“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Damit ist diese Beschlussempfehlung bei Zustimmung durch die Koalition, die Fraktion der FDP und die Fraktion Die Linke gegen die Stimmen der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen angenommen. Wir kommen nun zu den Tagesordnungspunkten 29 a und 29 b. Es handelt sich um Beschlussempfehlungen zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist. Tagesordnungspunkt 29 a: Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu den Protokollen vom 16. Mai 2006 über die Änderung des Abkommens vom 6. Juni 1955 über die Errichtung eines Inter- nationalen Ausschusses für den Internationa- len Suchdienst und der Vereinbarung vom 6. Juni 1955 über die Beziehungen zwischen dem Internationalen Ausschuss für den Inter- nationalen Suchdienst und dem Internationa- len Komitee vom Roten Kreuz – Drucksache 16/4380 – Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärti- gen Ausschusses (3. Ausschuss) – Drucksache 16/4573 – Berichterstattung: Abgeordnete Anke Eymer (Lübeck) Gert Weisskirchen (Wiesloch) Harald Leibrecht Wolfgang Gehrcke Kerstin Müller (Köln) Der Auswärtige Ausschuss empfiehlt auf Druck- sache 16/4573, dem Gesetzentwurf zuzustimmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wol- len, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Enthal- tungen? – Damit ist der Gesetzentwurf mit den Stimmen des gesamten Hauses angenommen. Tagesordnungspunkt 29 b: Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Zusatzprotokoll vom 12. September 2002 zum Übereinkommen vom 16. November 1989 gegen Doping – Drucksache 16/4012 – Beschlussempfehlung und Bericht des Sportaus- schusses (5. Ausschuss) – Drucksache 16/4561 – Berichterstattung: Abgeordnete Klaus Riegert Dagmar Freitag Detlef Parr Katrin Kunert Winfried Hermann Der Sportausschuss empfiehlt auf Drucksache 16/4561, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erhe- ben. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Dann ist der Gesetzentwurf einstimmig angenommen. Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 23 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Herbert Schui, Dr. Barbara Höll, Werner Dreibus, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN Arbeitsplatzabbau bei Airbus verhindern – Staatliche Sperrminorität bei EADS herstellen – Drucksache 16/4308 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f) Finanzausschuss Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Haushaltsausschuss Als Erstem erteile ich das Wort dem Kollegen Herbert Schui für die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Herbert Schui (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung hat dem Umstrukturierungsplan von Airbus ausdrücklich zugestimmt. Ebenso tut das die französische Regierung. Der Widerstand der Airbus- Belegschaften provoziert allerdings mittlerweile ein et- was farbigeres Bild. Präsidentschaftskandidat Sarkozy – er ist ja gegenwärtig noch der Innenminister der Villepin-Regierung – schließt nach einigem Hin und Her eine höhere Beteiligung des Staates Frankreich nicht aus. Ebenso bunt waren die Reden aus den Koalitionsfrak- tionen in der gestrigen Aktuellen Stunde. Die Kollegen von der SPD haben gestern die Manager von Airbus ge- scholten. Sie haben beklagt, dass das Management die Mitarbeiter einer unerträglichen Unsicherheit aussetze. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. März 2007 8725 (A) (C) (B) (D) Dr. Herbert Schui Was sie nicht gesagt haben, ist: Wie halten sie es denn mit „Power 8“? Sind sie dafür, oder sind sie dagegen? grenzt, man solle alles dem Markt überlassen. Nun müs- sen Sie Farbe bekennen. Soll denn nun staatlicherseits (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos]) ner der wesentlichen Abnehmer der Produkte von EADS der Verkauf dieser Werke verhindert werden oder nicht? Wie stehen Sie zu der Forderung der Präsident- schaftskandidatin Ihrer Schwesterpartei, der französi- schen Sozialisten, Madame Royal? Auch sie will „Power 8“ nicht. Sie will dieses Programm aussetzen, stattdessen eine öffentliche Beteiligung anstreben und das Management gegebenenfalls zur Disposition stellen. Da geht es offenbar ohne ordnungspolitisches, ortho- doxes Denken. Der Staat hat in der Tat vom Grundsatz her die Auf- gabe, Arbeitslosigkeit zu verhindern und die industrielle, die technische Entwicklung voranzubringen. Das geht nur, wenn die Geschäftspolitik von EADS/Airbus we- sentlich vonseiten des Staates mitbestimmt wird. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos]) Gegenwärtig verzichtet der Staat im Rahmen des Aktio- närspaktes auf sein Stimmrecht. Das ist ein Unding, auch wenn Wirtschaftsminister Glos das ordnungspolitisch und industriepolitisch für vernünftig hält. Was ist denn nun der eigentliche Zweck von „Power 8“? Daimler will aussteigen; Lagardère will aus- steigen. Infolgedessen braucht EADS neue Finanz- investoren. Dafür muss man den Konzern attraktiv ma- chen. Man macht einen solchen Konzern aus der Sicht der Finanzinvestoren attraktiv, indem man zumindest so brutal vorgeht, wie Boeing das vor rund zehn Jahren ge- tan hat. Das ist der ganze Zweck der Übung. Wenn der Staat allerdings mit einer Sperrminorität einsteigen würde – das heißt, nicht Deutschland, Frank- reich oder Spanien in Konkurrenz zueinander, sondern solidarisch –, dann wäre es nicht erforderlich, den EADS-Konzern für die neue Verheiratung zurechtzuput- zen. Dann muss nicht auf den Belegschaften herumge- prügelt werden, damit die Investitionsneigung der Fi- nanzinvestoren steigt. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 551; davon ja: 501 nein: 50 Ja CDU/CSU Ulrich Adam Ilse Aigner Peter Albach Die Beschäftigung muss im Konzern gehalten wer- den. Wird alles ausgelagert, wird wie bei Boeing alles von Zulieferern hergestellt und im Konzern nur noch montiert, dann werden wir weniger Impulse für den technischen Fortschritt haben, dann installieren wir die Basarökonomie, die Herr Sinn ständig kritisiert, dann ist dem technischen Fortschritt und Ihrem Lissabonprozess wirklich nicht geholfen. (Beifall bei der LINKEN) Angesichts dessen, dass Airbus volle Auftragsbücher hat, gibt es die reelle Chance, „Power 8“ zu streichen. Die vollen Auftragsbücher sind für die Belegschaften in Frankreich und Deutschland keine schlechte Verhand- lungsposition. Das weiß auch EADS-Chef Enders, wie sich daran zeigt, dass er zu den Streikdrohungen sagt: Wir sind hier verwundbar. Wir wünschen den Gewerk- schaften viel Erfolg bei ihrem Europäischen Aktionstag und bei, wie ich mir wünsche, weiteren Aktionen gegen „Power 8“. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos]) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Ich komme zurück zum Tagesordnungspunkt 22 a und gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftfüh- rern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Ände- rung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes, Drucksa- chen 16/3064 und 16/4554, bekannt: Abgegebene Stim- men 551. Mit Ja haben gestimmt 501. Mit Nein haben gestimmt 50. Es gab keine Enthaltungen. Der Gesetzent- wurf ist damit mit der erforderlichen Mehrheit angenom- men. Peter Altmaier Dorothee Bär Thomas Bareiß Norbert Barthle Dr. Wolf Bauer Günter Baumann Ernst-Reinhard Beck (Reutlingen) Veronika Bellmann Dr. Christoph Bergner Otto Bernhardt Clemens Binninger im Bereich der Rüstung. Sind sie dafür, dass Stellen g sie dafür, dass Werke verka nicht der Fall? Herr Kollege Wend, Sie eine höhere Staatsbeteiligung Gleichzeitig haben Sie sich estrichen werden, oder sind uft werden? Oder ist das haben sich gestern gegen an Airbus ausgesprochen. von der Vorstellung abge- Wagen Sie also den entsche Sie sich ein, bejahen Sie eine talerhöhung bei Airbus, dam Bezug auf den A350 produz solchen Sperrminorität sin che Mittel möglich. Schließli idenden Schritt und setzen staatlich finanzierte Kapi- it die neue Technologie in iert werden kann. Bei einer d außergesellschaftsrechtli- ch ist der deutsche Staat ei- 8726 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. März 2007 (A) (C) (B) (D) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt Renate Blank Peter Bleser Dr. Maria Böhmer Jochen Borchert Wolfgang Börnsen (Bönstrup) Wolfgang Bosbach Klaus Brähmig Michael Brand Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Monika Brüning Georg Brunnhuber Gitta Connemann Leo Dautzenberg Hubert Deittert Alexander Dobrindt Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Anke Eymer (Lübeck) Georg Fahrenschon Ilse Falk Dr. Hans Georg Faust Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Hartwig Fischer (Göttingen) Dirk Fischer (Hamburg) Axel E. Fischer (Karlsruhe- Land) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) Erich G. Fritz Jochen-Konrad Fromme Hans-Joachim Fuchtel Dr. Peter Gauweiler Dr. Jürgen Gehb Norbert Geis Eberhard Gienger Ralf Göbel Dr. Reinhard Göhner Josef Göppel Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Ute Granold Reinhard Grindel Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Markus Grübel Manfred Grund Monika Grütters Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg Olav Gutting Holger Haibach Gerda Hasselfeldt Ursula Heinen Michael Hennrich Jürgen Herrmann Bernd Heynemann Ernst Hinsken Peter Hintze Robert Hochbaum Klaus Hofbauer Franz-Josef Holzenkamp Joachim Hörster Anette Hübinger Hubert Hüppe Susanne Jaffke Dr. Peter Jahr Dr. Hans-Heinrich Jordan Andreas Jung (Konstanz) Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Alois Karl Bernhard Kaster Siegfried Kauder (Villingen- Schwenningen) Volker Kauder Eckart von Klaeden Jürgen Klimke Julia Klöckner Jens Koeppen Kristina Köhler (Wiesbaden) Manfred Kolbe Norbert Königshofen Hartmut Koschyk Thomas Kossendey Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Dr. Martina Krogmann Johann-Henrich Krummacher Dr. Hermann Kues Dr. Karl Lamers (Heidelberg) Andreas G. Lämmel Dr. Norbert Lammert Katharina Landgraf Dr. Max Lehmer Paul Lehrieder Ingbert Liebing Eduard Lintner Dr. Klaus W. Lippold Patricia Lips Dr. Michael Luther Stephan Mayer (Altötting) Wolfgang Meckelburg Dr. Michael Meister Laurenz Meyer (Hamm) Maria Michalk Dr. h. c. Hans Michelbach Philipp Mißfelder Dr. Eva Möllring Marlene Mortler Carsten Müller (Braunschweig) Stefan Müller (Erlangen) Bernward Müller (Gera) Dr. Gerd Müller Hildegard Müller Michaela Noll Dr. Georg Nüßlein Franz Obermeier Eduard Oswald Henning Otte Rita Pawelski Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Beatrix Philipp Ronald Pofalla Ruprecht Polenz Daniela Raab Thomas Rachel Hans Raidel Dr. Peter Ramsauer Peter Rauen Eckhardt Rehberg Katherina Reiche (Potsdam) Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Franz Romer Johannes Röring Kurt J. Rossmanith Dr. Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Albert Rupprecht (Weiden) Peter Rzepka Anita Schäfer (Saalstadt) Hermann-Josef Scharf Dr. Wolfgang Schäuble Hartmut Schauerte Dr. Andreas Scheuer Karl Schiewerling Norbert Schindler Georg Schirmbeck Bernd Schmidbauer Christian Schmidt (Fürth) Andreas Schmidt (Mülheim) Ingo Schmitt (Berlin) Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Schummer Wilhelm Josef Sebastian Horst Seehofer Kurt Segner Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Jens Spahn Christian Freiherr von Stetten Gero Storjohann Andreas Storm Max Straubinger Thomas Strobl (Heilbronn) Lena Strothmann Michael Stübgen Hans Peter Thul Antje Tillmann Dr. Hans-Peter Uhl Arnold Vaatz Volkmar Uwe Vogel Andrea Astrid Voßhoff Gerhard Wächter Marco Wanderwitz Kai Wegner Marcus Weinberg Peter Weiß (Emmendingen) Gerald Weiß (Groß-Gerau) Karl-Georg Wellmann Anette Widmann-Mauz Willy Wimmer (Neuss) Elisabeth Winkelmeier- Becker Dagmar Wöhrl Wolfgang Zöller SPD Gregor Amann Gerd Andres Niels Annen Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Ernst Bahr (Neuruppin) Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Klaus Barthel Sören Bartol Sabine Bätzing Dirk Becker Uwe Beckmeyer Klaus Uwe Benneter Dr. Axel Berg Ute Berg Petra Bierwirth Lothar Binding (Heidelberg) Kurt Bodewig Clemens Bollen Gerd Bollmann Dr. Gerhard Botz Klaus Brandner Willi Brase Bernhard Brinkmann (Hildesheim) Marco Bülow Ulla Burchardt Martin Burkert Dr. Michael Bürsch Christian Carstensen Marion Caspers-Merk Dr. Peter Danckert Dr. Herta Däubler-Gmelin Karl Diller Martin Dörmann Dr. Carl-Christian Dressel Elvira Drobinski-Weiß Garrelt Duin Detlef Dzembritzki Sebastian Edathy Petra Ernstberger Karin Evers-Meyer Annette Faße Elke Ferner Gabriele Fograscher Rainer Fornahl Gabriele Frechen Dagmar Freitag Peter Friedrich Sigmar Gabriel Martin Gerster Iris Gleicke Renate Gradistanac Angelika Graf (Rosenheim) Dieter Grasedieck Monika Griefahn Kerstin Griese Gabriele Groneberg Achim Großmann Wolfgang Grotthaus Wolfgang Gunkel Hans-Joachim Hacker Bettina Hagedorn Klaus Hagemann Alfred Hartenbach Michael Hartmann (Wackernheim) Nina Hauer Hubertus Heil Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. März 2007 8727 (A) (C) (B) (D) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt Reinhold Hemker Rolf Hempelmann Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Petra Heß Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz (Essen) Gerd Höfer Iris Hoffmann (Wismar) Frank Hofmann (Volkach) Eike Hovermann Klaas Hübner Christel Humme Lothar Ibrügger Brunhilde Irber Johannes Jung (Karlsruhe) Josip Juratovic Johannes Kahrs Dr. h. c. Susanne Kastner Ulrich Kelber Christian Kleiminger Hans-Ulrich Klose Astrid Klug Dr. Bärbel Kofler Walter Kolbow Fritz Rudolf Körper Karin Kortmann Rolf Kramer Anette Kramme Ernst Kranz Nicolette Kressl Volker Kröning Angelika Krüger-Leißner Dr. Hans-Ulrich Krüger Jürgen Kucharczyk Ute Kumpf Dr. Uwe Küster Christine Lambrecht Christian Lange (Backnang) Dr. Karl Lauterbach Waltraud Lehn Gabriele Lösekrug-Möller Dirk Manzewski Lothar Mark Caren Marks Katja Mast Hilde Mattheis Petra Merkel (Berlin) Dr. Matthias Miersch Ursula Mogg Marko Mühlstein Detlef Müller (Chemnitz) Gesine Multhaupt Franz Müntefering Dr. Rolf Mützenich Andrea Nahles Thomas Oppermann Holger Ortel Heinz Paula Johannes Pflug Christoph Pries Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Mechthild Rawert Steffen Reiche (Cottbus) Maik Reichel Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Christel Riemann- Hanewinckel Walter Riester Sönke Rix René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Karin Roth (Esslingen) Michael Roth (Heringen) Ortwin Runde Marlene Rupprecht (Tuchenbach) Anton Schaaf Axel Schäfer (Bochum) Marianne Schieder Ulla Schmidt (Aachen) Silvia Schmidt (Eisleben) Heinz Schmitt (Landau) Carsten Schneider (Erfurt) Olaf Scholz Ottmar Schreiner Reinhard Schultz (Everswinkel) Swen Schulz (Spandau) Ewald Schurer Dr. Angelica Schwall-Düren Dr. Martin Schwanholz Rolf Schwanitz Rita Schwarzelühr-Sutter Wolfgang Spanier Dr. Margrit Spielmann Jörg-Otto Spiller Dr. Ditmar Staffelt Andreas Steppuhn Ludwig Stiegler Rolf Stöckel Christoph Strässer Dr. Peter Struck Joachim Stünker Dr. Rainer Tabillion Jörg Tauss Jörn Thießen Franz Thönnes Hans-Jürgen Uhl Rüdiger Veit Simone Violka Jörg Vogelsänger Dr. Marlies Volkmer Andreas Weigel Petra Weis Gunter Weißgerber Gert Weisskirchen (Wiesloch) Dr. Rainer Wend Lydia Westrich Dr. Margrit Wetzel Andrea Wicklein Heidemarie Wieczorek-Zeul Dr. Dieter Wiefelspütz Engelbert Wistuba Dr. Wolfgang Wodarg Waltraud Wolff (Wolmirstedt) Heidi Wright Manfred Zöllmer DIE LINKE Hüseyin-Kenan Aydin Dr. Dietmar Bartsch Karin Binder Heidrun Bluhm Eva Bulling-Schröter Dr. Martina Bunge Roland Claus Sevim Dağdelen Werner Dreibus Dr. Dagmar Enkelmann Klaus Ernst Diana Golze Dr. Gregor Gysi Heike Hänsel Lutz Heilmann Hans-Kurt Hill Cornelia Hirsch Inge Höger Dr. Barbara Höll Ulla Jelpke Dr. Hakki Keskin Katja Kipping Monika Knoche Jan Korte Katrin Kunert Michael Leutert Ulla Lötzer Dr. Gesine Lötzsch Ulrich Maurer Dorothée Menzner Kornelia Möller Kersten Naumann Wolfgang Nešković Dr. Norman Paech Petra Pau Bodo Ramelow Elke Reinke Paul Schäfer (Köln) Volker Schneider (Saarbrücken) Dr. Herbert Schui Dr. Ilja Seifert Dr. Petra Sitte Frank Spieth Dr. Kirsten Tackmann Dr. Axel Troost Alexander Ulrich Sabine Zimmermann BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Marieluise Beck (Bremen) Volker Beck (Köln) Cornelia Behm Birgitt Bender Grietje Bettin Alexander Bonde Ekin Deligöz Dr. Thea Dückert Dr. Uschi Eid Hans Josef Fell Kai Gehring Anja Hajduk Britta Haßelmann Winfried Hermann Peter Hettlich Priska Hinz (Herborn) Ulrike Höfken Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Thilo Hoppe Ute Koczy Sylvia Kotting-Uhl Fritz Kuhn Undine Kurth (Quedlinburg) Markus Kurth Monika Lazar Dr. Reinhard Loske Anna Lührmann Nicole Maisch Jerzy Montag Kerstin Müller (Köln) Winfried Nachtwei Omid Nouripour Brigitte Pothmer Claudia Roth (Augsburg) Krista Sager Elisabeth Scharfenberg Christine Scheel Irmingard Schewe-Gerigk Dr. Gerhard Schick Rainder Steenblock Silke Stokar von Neuforn Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Jürgen Trittin Wolfgang Wieland Josef Philip Winkler Margareta Wolf (Frankfurt) fraktionslos Henry Nitzsche Gert Winkelmeier Nein FDP Jens Ackermann Dr. Karl Addicks Christian Ahrendt Daniel Bahr (Münster) Uwe Barth Angelika Brunkhorst Ernst Burgbacher Patrick Döring Mechthild Dyckmans Jörg van Essen Otto Fricke Horst Friedrich (Bayreuth) Dr. Wolfgang Gerhardt Miriam Gruß Joachim Günther (Plauen) Dr. Christel Happach-Kasan Heinz-Peter Haustein Elke Hoff Birgit Homburger Dr. Werner Hoyer Michael Kauch Dr. Heinrich L. Kolb Hellmut Königshaus 8728 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. März 2007 (A) (C) (B) (D) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt Ziel und Zweck der ganzen Bemühungen. (Dr. Martina Krogmann [CDU/CSU]: Mit Ak- Der Antrag der Fraktion D ckenreichen Sümpfe der Staa chen Irrweg kann ich nur nac (Beifall bei der CDU/CS neten der SPD Die Privatisierung der deutsc industrie im Jahr 1989 war ie Linke führt in die mü- tswirtschaft. Vor einem sol- hdrücklich warnen. U sowie bei Abgeord- und der FDP) hen Luft- und Raumfahrt- darauf ausgerichtet, einen gut aus! – Dr. Uwe Küst lesen kann, ist im Vortei Das sage ich nur als Hintergr wichtig, dass wir, wenn wir ü ren, die rechtlichen Grundlag (Dr. Martina Krogman richti er [SPD]: Genau! Wer l!) undinformation. Denn es ist ber diesen Antrag diskutie- en vor Augen haben. n [CDU/CSU]: Sehr g!) tien kennen sich die Linken nun mal nicht so Gudrun Kopp Jürgen Koppelin Heinz Lanfermann Sibylle Laurischk Sabine Leutheusser- Schnarrenberger Markus Löning Horst Meierhofer Patrick Meinhardt Jan Mücke Burkhardt Müller-Sönksen Dirk Niebel Detlef Parr Gisela Piltz Jörg Rohde Frank Schäffler Jetzt kommen wir zu unserer Rednerliste zurück. Ich erteile das Wort dem Kollegen Parlamentarischen Staats- sekretär Peter Hintze für die Bundesregierung. (Beifall bei der CDU/CSU) Peter Hintze, Parl. Staatssekretär beim Bundesmi- nister für Wirtschaft und Technologie: Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Bundesregierung unternimmt alles in ihrer Macht Stehende, damit die Erfolgsgeschichte Airbus fortgeschrieben werden kann. Unter voller Anerkennung der Verantwortung der Unternehmensführung hat sich die Bundesregierung für einen fairen Chancen- und Las- tenausgleich zwischen Deutschland und Frankreich ein- gesetzt. Dieses Ziel ist durch die im Board getroffenen Vereinbarungen erreicht worden. Dabei geht es um die Sicherung von Arbeitsplätzen und Technologiekompe- tenzen und letztlich um die Zukunftsfähigkeit der euro- päischen Luftfahrtindustrie. Es ist ein Erfolg von Minis- ter Glos und Bundeskanzlerin Merkel, dass dieser Ausgleich zwischen Deutschland und Frankreich so gut gelungen ist. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Ditmar Staffelt [SPD]: Von Merkel, ja – aber von Glos?) Airbus ist dadurch erfolgreich, dass sich der Staat um die Rahmenbedingungen und das Unternehmen um sei- nen Zweck, nämlich das Planen, Bauen und Verkaufen von Flugzeugen, kümmert. Gerade wenn ein Unterneh- men Probleme im Wettbewerb hat, sind unternehmeri- sche Entscheidungen und unternehmerische Verantwor- tung gefragt. Das eben zitierte Reformprogramm „Power 8“ liegt einzig und allein in der Verantwortung des Unternehmens. Wir müssen hier die Zuständigkeiten und die Verantwortlichkeiten von Politik und Wirtschaft klar unterscheiden. (Beifall bei der CDU/CSU) Arbeitsplätze werden dann sicher, wenn das Unterneh- men die Wettbewerbsfähigkeit sichern kann. Das ist Dr. Konrad Schily Marina Schuster Dr. Max Stadler Dr. Rainer Stinner Carl-Ludwig Thiele Christoph Waitz Dr. Guido Westerwelle Dr. Claudia Winterstein Dr. Volker Wissing Hartfrid Wolff (Rems-Murr) Martin Zeil BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Katrin Göring-Eckardt leistungsfähigen deutschen Partner für die spätere euro- päische Integration zu schaffen. Der Geist der deutsch-französischen Partnerschaft ist die Seele des Unternehmens Airbus. Auch die Gründung von EADS N.V. im Jahre 2000 erfolgte auf dem Funda- ment der deutsch-französischen Kooperation. Selbst in den Tagen, in denen in Frankreich Wahlkampf ist, wo- durch es vielleicht zu dem einen oder anderen Missver- ständnis zwischen Deutschland und Frankreich kommt, müssen wir sagen: Die Idee, von der Airbus getragen ist – die europäische Idee, dass Deutschland und Frankreich eine Gemeinschaft bilden –, ist eine gute und vitale Idee. Wir wollen dafür sorgen, dass diese Idee auch in Zukunft stark und vital bleibt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD) Seit der Gründung des Unternehmens liegt die indus- trielle Führung beim jeweiligen industriellen Partner. Es sollte auch weiterhin der Grundsatz gelten: Die Wirt- schaft macht die Wirtschaft. – Das Interesse Deutsch- lands ist es, dass in jedem Fall der bestehende Aktio- närspakt aufrechterhalten wird. Der Aktionärspakt ist die Grundlage für einen fairen Chancen- und Lastenaus- gleich zwischen Deutschland und Frankreich. Die indus- trielle Führerschaft von EADS liegt bei Daimler-Chrys- ler und bei Lagardère. Diese Konstruktion hat sich bewährt. Im vorliegenden Antrag wird vorgeschlagen, die Bun- desrepublik Deutschland möge eine Sperrminorität bei EADS erwerben. Ich möchte Sie informieren, dass EADS, wie Sie sicherlich wissen, eine Aktiengesell- schaft nach niederländischem Recht und mit Sitz in den Niederlanden ist. Das niederländische Aktienrecht kennt im Unterschied zum deutschen Aktienrecht keine Sperr- minorität. Die Hoheit über die Gestaltung der Gesell- schaft hat man, wenn man auf der Hauptversammlung über 50 Prozent der Anteile plus eine Aktie verfügt. Minderheitenrechte, die im deutschen Aktienrecht exis- tieren, gibt es im niederländischen Aktienrecht nicht. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. März 2007 8729 (A) (C) (B) (D) Parl. Staatssekretär Peter Hintze Den Kern des Antrags bildet der Wunsch, die Arbeits- plätze bei uns im Lande zu sichern und die Arbeitsplatz- chancen zu steigern. In diesem Punkt besteht allerdings ein großer Unterschied zwischen der Meinung des An- tragstellers und der Position der von der Großen Koali- tion getragenen Bundesregierung. Die Regierung ist ein- deutig der Auffassung, dass die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens die Grundlage für die Sicherheit der Arbeitsplätze im Unternehmen ist. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Parlamentarischer Staatssekretär, möchten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schui zulassen? Peter Hintze, Parl. Staatssekretär beim Bundes- minister für Wirtschaft und Technologie: Ja. Ich lasse eine Zwischenfrage des Kollegen Schui zu. (Dr. Rainer Wend [SPD]: Und alles auf unsere Kosten!) Dr. Herbert Schui (DIE LINKE): Ich habe zwei Fragen: (Jürgen Koppelin [FDP]: Nichts da! Nur eine!) Erstens. Ist Ihnen bekannt, dass man Gesellschafts- verträge ändern kann? Zweitens; diese Frage ist mir noch wichtiger. Würden Sie auch dann am Aktionärspakt festhalten, wenn Lagar- dère und vor allen Dingen Daimler-Chrysler aussteigen, und würden Sie in diesem Fall befürworten, dass das Stimmrecht automatisch einer unbekannten Gruppe von Finanzinvestoren übereignet wird? Peter Hintze, Parl. Staatssekretär beim Bundesmi- nister für Wirtschaft und Technologie: Ich beantworte Ihre beiden Fragen gerne. Zu Ihrer ersten Frage. Ich habe Sie davon unterrichtet, dass das niederländische Aktienrecht eine Sperrminorität nicht kennt. Natürlich ist das niederländische Parlament frei, das Aktienrecht der Niederlande zu ändern. Ich glaube aber nicht, dass das in Kürze ansteht. Auch glaube ich nicht, dass wir darauf Einfluss nehmen soll- ten. (Zuruf von der CDU/CSU: Schicken wir da doch den Schui hin!) Ihre zweite Frage war eine „Was wäre, wenn …“- Frage. Der von mir geschätzte Wolfgang Schäuble sagt immer: „Wenn meine Oma Klavier spielen würde, …“ – Ich will damit zum Ausdruck bringen: Ihre Frage be- ruhte auf so vielen Spekulationen, dass ich sie nicht in einer für Sie befriedigenden Weise beantworten kann. Ich gehe davon aus, dass die am Aktionärspakt Beteilig- ten ihre Verantwortung wahrnehmen. Das jedenfalls ist der Wunsch der Bundesregierung. Ich möchte jetzt nicht spekulieren, was unter völlig anderen Umständen zu tun wäre. (Beifall bei der CDU/CSU) Airbus hat natürlich auch Probleme; das ist ganz klar. Ein Unternehmen, das seine Probleme ignoriert, kann sehr rasch in Schwierigkeiten geraten. Airbus hat auf dem Weltmarkt ein grundsätzliches Problem, das aller- dings in einer erfreulichen Tatsache begründet liegt: in der Stärke des Euro. Airbus produziert in Euro und verkauft in Dollar. Der Euro ist stark, der Dollar schwach. Das ist ein Problem. Kursabsicherungsgeschäfte hat das Unternehmen zwar getätigt. Aber der Euro hat sich im Vergleich zu anderen Währungen so stark entwickelt, dass das heute ein echter Kostenfaktor für das Unternehmen ist. Mit jeder weite- ren Stärkung des Euro muss eine zusätzliche Last ge- schultert werden. – Das ist das eine. Das andere ist: Airbus steht auf dem Weltmarkt im Wettbewerb mit einem anderen großen Hersteller, der seinen Sitz in Nordamerika hat. Dieser Hersteller hat seine Fertigungstiefe drastisch reduziert. Nun muss das Unternehmen Airbus entscheiden, was sinnvoll ist und was nicht. Aber es kann nicht sehenden Auges akzeptie- ren, dass auf der einen Seite ein Unternehmen die Risi- kolast verteilt und dafür Partner gewinnt, während es selber mit der Risikolast alleine dasteht. Auch Airbus braucht Partner bei der Tätigung von Investitionen und beim Tragen der Risiken. Über die anderen Probleme ha- ben wir bereits gestern ausführlich gesprochen. Ich verstehe die aus der Ungewissheit resultierenden Sorgen der Arbeitnehmer um ihre Arbeitsplätze. Das Konzept, das die Airbus-Führung vorgelegt hat, dient letztlich der Stärkung aller Standorte, wenn auch in Zu- kunft möglicherweise unter einer anderen industriellen Verantwortung. Es kann sein, dass ein Standort letztend- lich besser dasteht als heute, wenn das Konzept realisiert wird. Die Bundesregierung ist für die politischen Rahmen- bedingungen zuständig. Sie hat sich im Zusammenhang mit Airbus permanent um die Arbeitsplatzproblematik gekümmert. Ich erinnere an den A380-Darlehensver- trag, mit dem wir ausdrücklich einen Schwerpunkt auf die Arbeitsplatzsicherheit sowie die Ansiedlung und den dauerhaften Erhalt von Arbeitsplätzen insbesondere in den neuen Bundesländern gelegt haben. Airbus Deutsch- land wurde im A380-Darlehensvertrag verpflichtet, min- destens 500 Vollarbeitsplätze in den neuen Bundeslän- dern bis 2006 zu schaffen und diese mindestens bis 2010 zu erhalten. Eine Nichterfüllung dieser Verpflichtung ist pönalisiert. Airbus Deutschland hat diese Verpflichtung vollständig eingehalten bzw. übererfüllt und noch mehr Arbeitsplätze geschaffen. Wie Sie sehen, setzen wir uns dafür ein, dass Arbeitsplätze in Deutschland gesichert und erhalten werden. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD) Wir werden auch zukünftig im Rahmen unserer Luft- fahrtforschungsprogramme die Mittel für die For- schungsförderung gezielt an deutsche Standorte verge- ben, um technisches Know-how in Deutschland zu erhalten, auszubauen und weiterzuentwickeln. Dadurch 8730 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. März 2007 (A) (C) (B) (D) Parl. Staatssekretär Peter Hintze tragen wir dazu bei, Zukunftstechnologien in Deutsch- land zu einer Erfolgsgeschichte zu machen. Airbus hat alle Chancen – davon bin ich überzeugt –, seine Probleme zu meistern und seine Erfolgsgeschichte fortzuschreiben. Das ist gut für Deutschland, das ist gut für Frankreich, das ist gut für Europa, und das ist gut für die Arbeitnehmer. Das ist letztlich gut für alle. Ich bedanke mich. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Jetzt hat Jürgen Koppelin das Wort für die FDP-Frak- tion. (Beifall bei der FDP) Jürgen Koppelin (FDP): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren von der Linken, selbst in Ih- ren bisherigen Anträgen war selten so viel Widerspruch zu lesen wie in Ihrem jetzigen. Auch Ihre Begründung, Herr Kollege Schui, enthielt viel Widersprüchliches. Darauf komme ich gleich zurück. Die Überschrift Ihres Antrages lautet: „Arbeitsplatz- abbau bei Airbus verhindern“. Sie haben aber keinen einzigen Vorschlag gemacht, aus dem hervorgeht, wie Sie das verhindern wollen. Vielmehr fordern Sie nur eine staatliche Beteiligung. (Paul Schäfer [Köln] [DIE LINKE]: Antrag le- sen!) Das lehnen wir allerdings ab. Des Weiteren erklären Sie, der Konzern müsse attraktiv gemacht werden. Ich be- haupte angesichts der guten Auftragslage: Der Konzern ist attraktiv. Es hat überwiegend am Missmanagement gelegen, dass der Konzern in Schwierigkeiten geraten ist. (Beifall bei der FDP) Zu dem von Ihnen angesprochenen Arbeitsplatzab- bau: Folgten wir Ihrer Politik, müsste EADS noch ein- mal 11 000 Arbeitsplätze abbauen. Sie von der Linken haben nämlich nicht einmal zugestimmt, als es um die Vergabe von Rüstungsaufträgen an die Bundeswehr ging. Ich kann Ihnen den genauen Betrag nennen: Die Aufträge, die die Bundesrepublik Deutschland in den letzten Jahren an EADS vergeben hat, hatten ein Volu- men von 10,5 Milliarden Euro. Aber nicht einmal gab es Ihrerseits Zustimmung. Nun reden Sie davon, es dürfe kein Stellenabbau stattfinden, und das, obwohl wir 11 000 Menschen hätten entlassen müssen, wenn wir Ih- rer Politik gefolgt wären. (Beifall bei der FDP – Hans-Joachim Hacker [SPD]: Hört! Hört!) Aber nicht nur das: Der Bund hat in den letzten Jah- ren viel getan. Als Haushälter habe ich nachgerechnet, dass der Bund Aufträge in Höhe von insgesamt 13,45 Milliarden Euro an EADS vergeben hat. Das ist eine gewaltige Leistung des Bundes, auch um die Auf- tragsbücher zu sichern. Man muss außerdem wissen, dass der Bund zusätzlich Bürgschaften in Höhe von 11,1 Milliarden Euro übernommen hat. Wir überneh- men nämlich auch Bürgschaften für die Airbusse. Inso- fern kann man feststellen, dass der Bund alles getan hat, um das Unternehmen abzusichern. Daran liegt es nicht. Wir sollten uns vielmehr mit der Frage befassen, ob es wirklich gut ist, dass der Staat an einem solchen Un- ternehmen beteiligt ist. Wenn Sie zum Beispiel mit Herrn Enders sprechen – tun Sie das ruhig, auch als Linke! –, dann werden Sie feststellen, dass beispiels- weise 20 Prozent der Aufträge von EADS aus Amerika kommen. Es wäre noch viel mehr möglich, aber das Pro- blem ist, dass amerikanische Kunden EADS als franzö- sisches Staatsunternehmen betrachten, aber nicht bei ei- nem Staatsunternehmen kaufen wollen. Insofern kann man sich vorstellen, wie die deutsche Beteiligung wahr- genommen würde. Deswegen meinen wir – ich denke, zu Recht –, dass sich der Staat, sei es die Bundesrepublik oder Frankreich, eigentlich aus diesem Konzern zurück- ziehen müsste. Das ist das Entscheidende; dann wird dieser Konzern noch attraktiver. (Beifall bei der FDP) Ich komme noch einmal auf die Aufträge zurück, die wir im Verteidigungsbereich vergeben haben. Sie wid- men diesem Thema nur einen Satz. Sie deuten nicht ein- mal an, was Sie machen würden, wenn diese Aufträge ausblieben, die schließlich einen Anteil von 49 Prozent am Auftragsvolumen von EADS ausmachen. Wie haben Sie von den Linken sich das vorgestellt? Sollen die 11 000 Mitarbeiter Kochtöpfe und Pfannen herstellen, wenn keine Aufträge im Verteidigungsbereich mehr er- folgen? (Dr. Herbert Schui [DIE LINKE]: Nicht nur! Es kann auch Hochtechnologie im zivilen Be- reich sein!) Meines Wissens gibt es in diesem Bereich schon ein Überangebot. Was Ihre Forderung angeht, den politischen Einfluss zu stärken, ahne ich schon, wie das aussehen würde. Dann kommen die Politiker wieder in die Aufsichtsgre- mien. Ich habe noch kein Unternehmen erlebt, in dem es richtig funktioniert hat, wenn Politiker die Mehrheit in den Aufsichtsgremien hatten. (Jörg Tauss [SPD]: Bei Rexrodt haben wir das gesehen!) Nein, die Politik muss aus den Unternehmen herausge- halten werden. Das ist das Entscheidende. Wir wünschen uns vielmehr, dass sich auch die Franzosen Stück für Stück aus dem Konzern zurückziehen. Ich glaube, dann hätten wir eine große Chance. (Jörg Tauss [SPD]: Liberale raus aus den Auf- sichtsräten!) In einem Punkt unterstütze ich den Herrn Staatssekre- tär: EADS ist ein attraktives Unternehmen. Wir sollten es nicht schlechtreden, sondern alles tun, damit dieses Unternehmen auch weiterhin gute Chancen hat. Die Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. März 2007 8731 (A) (C) (B) (D) Jürgen Koppelin Auftragsbücher sind voll. Alle Chancen sind gegeben. Entscheidend ist, dass auch das Management begreift, dass sich die Verantwortung nicht auf die Auftragsbü- cher beschränkt, sondern auch auf die Arbeitnehmer er- streckt. Bei dieser Gelegenheit will ich feststellen – das sage ich als Abgeordneter der FDP –, dass sich meines Erach- tens die Gewerkschaften im Zusammenhang mit EADS sehr vernünftig verhalten haben. Herzlichen Dank für Ihre Geduld. (Beifall bei der FDP) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Dann gebe ich jetzt das Wort dem Kollegen Ditmar Staffelt für die SPD-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Dr. Ditmar Staffelt (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben das Thema im Grunde schon gestern durchdekliniert. Dass wir es heute noch einmal tun, ist womöglich nicht zwingend erforderlich, aber wir wollen das gerne tun. (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Un- ser Antrag lag eher vor als eurer! Ist euer An- trag jetzt durch?) Denn ich glaube, dass wir im Zusammenhang mit Air- bus/EADS eine ausgesprochen gute Bilanz vorzuweisen haben. Zunächst ist im Zusammenhang mit der deutschen Luftfahrtindustrie das sehr gute kontinuierliche Arbeiten mit Airbus/EADS, aber auch mit der Zulieferindustrie zu nennen. Das Thema kommt im Übrigen vor dem Hinter- grund der besonderen derzeitigen Situation bei Airbus häufig genug viel zu kurz. Ich komme gleich noch ein- mal darauf zu sprechen. Zweifelsfrei hat es Fehleinschätzungen des Manage- ments gegeben, insbesondere was die Wünsche der Kunden – der Besteller – betrifft und was in diesem Zu- sammenhang die neuen technologischen Voraussetzun- gen an den Flugzeugen selbst betrifft. Es nützt uns aber nichts, jetzt auf die Fehler der letz- ten Jahre zu verweisen. Was die damalige Zeit angeht, kann ich im Bundestag nur eines berichten: Nach unse- rem Besuch bei Boeing in Seattle und in Chicago haben wir gegenüber der Airbusführung die Herausforderung im Zusammenhang mit der Boeing 787 zwar angespro- chen; sie ist aber leider nicht auf Resonanz gestoßen, vielleicht auch deshalb, weil man sich auf die große He- rausforderung des A380 konzentriert hat und glaubte, mit der A350, einer – um es so auszudrücken – wenig in- novativen neuen Maschine einfacher technologischer Art, die Wettbewerbssituation gegenüber der Boeing 787 ausgleichen und meistern zu können. Diese Rechnung des Managements ist nicht aufgegangen. Die Folge die- ser Tatsache haben wir heute gemeinsam zu beklagen. Aber es ist noch eines richtig: Wir haben uns – da knüpfe ich an die Kollegen Hintze und Koppelin aus- drücklich an – immer, und zwar gleich, welche Bundes- regierung, in den letzten Jahren und Jahrzehnten darum bemüht, die Workshares für die deutsche Luft- und Raumfahrtindustrie zu sichern. Wir haben immer darauf geschaut, dass sich unser staatliches finanzielles En- gagement selbstverständlich auch in Arbeitsplätzen, ins- besondere in technologisch hochwertigen Arbeitsplätzen niederschlägt. Das ist uns im Grunde bisher auch außer- ordentlich gut gelungen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich halte es für eine sehr verkürzte Analyse der Pro- bleme, wenn es von der linken Seite heißt, im Moment wollten Daimler und Lagardère aus dem Unternehmen aussteigen, deshalb müsse man die Braut hübsch machen und wir setzten darauf, durch Entlassungen oder durch eine strukturelle Veränderung des Unternehmens indus- trielle Investoren zu finden. Wenn Sie das so sehen, dann haben Sie sich mit der Materie bisher nicht ausreichend beschäftigt. Das muss ich Ihnen sagen. (Beifall bei der SPD) Das Unternehmen ist in einer sehr schwierigen Lage, weil es große Herausforderungen zu meistern hat. Vielleicht sollten Sie sich einmal daran erinnern, dass es nicht nur um den A380 geht, sondern auch um den A400M, den Militärflieger, ein Transporter wohlge- merkt. Es geht um einen neuen A350 und eine neue A320er-Familie. Das muss erst einmal in einem solchen Unternehmen sowohl von der finanziellen Seite her als auch von der Manpower her bewältigt werden. Dieses hat nun ganz und gar einen anderen Zuschnitt als Ihre Behauptung, es gehe hier nur darum, in ganz simpler Art und Weise so ein Unternehmen lean zu organisieren, da- mit sich neue industrielle Investoren – in Ihr Konzept würden Heuschrecken noch viel besser passen – das Ding unter den Nagel reißen. So einfach kann man es sich nicht machen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Wir haben sehr viel staatliche Unterstützung gege- ben. Wir haben sie nicht nur gegeben, weil wir die Auf- tragsbücher der EADS sichern wollten, Herr Koppelin, sondern auch, weil die EADS qualitativ hervorragende Produkte hergestellt hat (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Jürgen Koppelin [FDP]) und weil wir die Bundeswehr nach den Zeiten des Kalten Krieges für neue Aufgaben umgerüstet haben, was na- türlich insbesondere der Luftfahrtindustrie zugute gekommen ist, wenn Sie beispielsweise an die Hub- schrauber denken. Wir haben mit dem Luftfahrtfor- schungsprogramm immer dafür Sorge getragen, die Gro- ßen und die Kleinen in der Luftfahrtindustrie in die Lage zu versetzen, mit staatlicher Hilfe neue Technologien zu entwickeln, um damit deren Wettbewerbsfähigkeit auf- rechtzuerhalten. Auch das ist eine Sache, die – im Übri- 8732 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. März 2007 (A) (C) (B) (D) Dr. Ditmar Staffelt gen unumstritten in der Luftfahrtindustrie – den Bundes- regierungen der vergangenen Jahre zu danken ist. Ich füge noch eines hinzu. Das betrifft die sogenannte Launch-Aid, also die Unterstützung bei der Neuentwick- lung von Flugzeugen. Wir sind gehalten, rückzahlbare und verzinsliche Darlehen zu geben, um ein sogenanntes Level-Playing-Field gegenüber Boeing, also eine ver- gleichbare Wettbewerbsgrundlage, aufrechtzuerhalten. An Boeing fließen Mittel von der NASA und vom Pen- tagon, und Boeing profitiert von Steuerreduktionen. Es ist nicht umsonst eine Auseinandersetzung in Form eines WTO-Streitverfahrens in Genf anhängig, weil die Ame- rikaner der Auffassung sind, wir würden hier zu viel tun. Wir haben eine andere Rechtsposition. Wir sagen: Wir tun nur das, was wir tun müssen, damit Airbus keine Nachteile entstehen. – Dieses muss geklärt werden. Das ist ein Hinweis darauf, wie stark sich der Staat bei EADS/Airbus engagiert hat. Ich bin sehr skeptisch, ob der Staat gut beraten ist, sich über diesen Ansatz hinaus etwa als Shareholder stärker zu produzieren. Meiner Ansicht nach ist es folgendermaßen: Wenn es zu einer Kapitalerhöhung kommen sollte, dann ist die EADS gut beraten, industrielle strategische Partner zu finden, die auch einen Beitrag zur Fortentwicklung der Qualität des Unternehmens leisten können. Das wäre au- ßerordentlich wichtig. Es geht also darum, Partner zu finden, die den nächsten Schritt der technologischen Er- tüchtigung des Unternehmens unterstützen können. Es geht doch gar nicht darum, dass wir glauben: Wenn der Staat sich beteiligt, dann wird das Unternehmen zu dau- erhaftem Erfolg geführt. Das ist doch eine Schimäre von gestern. (Hans-Joachim Hacker [SPD]: Richtig!) Einfluss können wir im Übrigen auch ausüben, ohne Shareholder zu sein. Es gibt sogar Situationen, in denen man sagen muss: Bisweilen ist derjenige, der andere Hil- fen anbietet, sehr viel besser dran, in der Beeinflussung eines Unternehmens einen bestimmten Weg zu gehen, als derjenige, der im Aufsichtsrat sitzt. Überlegen Sie sich das also gut. Ich glaube, Sie sprechen nicht den richtigen Weg an. Ich darf noch einmal sagen: Unsere französischen Freunde sollten auch im Wahlkampf ein bisschen zu- rückhaltender mit ihren Forderungen sein. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der FDP) Wir haben aus Paris gehört: Wir wollen, dass ein Einzi- ger an der Spitze steht; wir wollen darüber hinaus ein Verhältnis von 60 : 40. Ich weiß nicht, welche Forderun- gen dort noch gestellt worden sind. Es glaubt doch wohl keiner, dass wir auf solche Rufe von jenseits des Rheins sofort, eilfertig entsprechende Angebote unterbreiten. Ganz im Gegenteil: Was die Spitze von Airbus und EADS betrifft, geht es vor allem um Vertrauen innerhalb des Unternehmens. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Was man dort braucht, ist weder ein Franzose noch ein Deutscher, sondern einen EADS-Chef bzw. einen Airbus-Chef, der für das Unternehmen und in der Haupt- sache nicht für ein Land oder eine Nation steht. Wenn dieses Unternehmen ein europäisches Unternehmen wer- den soll, dann muss man an der Spitze über die nationa- len Grenzen des Denkens hinaus eine neue Unterneh- mensphilosophie schaffen. Dabei sollten wir das Unternehmen unterstützen; denn nur so wird es dauer- haft global Erfolg haben. Schönen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Die Kollegin Kerstin Andreae hat ihre Rede bereits zu Protokoll gegeben.1) Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/4308 an die in der Tagesordnung aufge- führten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Vorlage soll zu- sätzlich an den Ausschuss für Arbeit und Soziales über- wiesen werden. – Sie sind damit einverstanden. Dann ist das so beschlossen. Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 24 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie des Europäi- schen Parlaments und des Rates über die Um- welthaftung zur Vermeidung und Sanierung von Umweltschäden – Drucksache 16/3806 – Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- ses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher- heit (16. Ausschuss) – Drucksache 16/4587 – Berichterstattung: Abgeordnete Andreas Jung (Konstanz) Dr. Matthias Miersch Horst Meierhofer Lutz Heilmann Sylvia Kotting-Uhl Es ist verabredet, hierzu eine halbe Stunde zu debat- tieren. – Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann eröffne ich hiermit die Aussprache und erteile das Wort für die Bundesregierung dem Bundesminister Sigmar Gabriel. Sigmar Gabriel, Bundesminister für Umwelt, Natur- schutz und Reaktorsicherheit: Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Staat hat die Aufgabe, die natürlichen Lebensgrundlagen zu schützen. Das ist nicht nur sein verfassungsrechtli- cher Auftrag, sondern auch Grundlage jeder nachhalti- gen Entwicklung. 1) Anlage 15 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. März 2007 8733 (A) (C) (B) (D) Bundesminister Sigmar Gabriel (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das Verursacherprinzip ist eines der tragenden Prin- zipien, um unsere umweltpolitischen Ziele, also die Ziele der Nachhaltigkeit, zu verwirklichen. Der Gesetz- entwurf für ein Umweltschadensgesetz orientiert sich strikt an dieser Idee: Wer Umweltschäden verursacht oder zu verursachen droht, ist dafür verantwortlich. Der Verursacher hat die Gefahr von Umweltschäden zu ver- meiden und trotzdem eingetretene Umweltschäden zu sanieren. Das gilt für alle erheblichen Schäden am Bo- den, an den Gewässern und auch an der Biodiversität. Damit wird zugleich die EU-Umwelthaftungsrichtlinie in deutsches Recht umgesetzt, und das – wie so oft von fast allen Beteiligten in diesem Haus gefordert – im Maßstab eins zu eins. Das Umweltschadensgesetz ergänzt die bestehenden Regelungen zur Vorsorge gegen Umweltbeeinträchti- gungen und richtet den Fokus auf die Sanierung entstan- dener Schäden an Umweltgütern. Mit dem Gesetz wird das Schutzniveau, das die Umwelt als Gut der Allge- meinheit genießt, dem Schutzniveau von individual- rechtlichen Schutzgütern angeglichen. Schäden der Bö- den, der Gewässer und des Naturhaushalts sind zu vermeiden; für eingetretene Schäden hat der Schadens- verursacher Ersatz zu leisten. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie der Abg. Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]) Der weltweite Verlust an biologischer Vielfalt ist neben der Klimaveränderung die größte globale umwelt- politische Herausforderung. Das Umweltschadensge- setz leistet seinen Beitrag dazu, das Ziel einer Trend- wende bis zum Jahr 2010 zu erreichen, wie es die internationale Verabredung vorsieht. Es bietet Arten und Lebensräumen im Sinne der europäischen Habitatrichtli- nien einen erweiterten Schutz. Schädigungen dieser Ar- ten und Lebensräume sind bei jeder beruflichen Tätig- keit zu vermeiden. Das Gesetz setzt hier auf einen weiten Anwendungsbereich und beschränkt sich bei den Biodiversitätsschäden nicht darauf, nur Betreiber von Anlagen oder Tätigkeiten, die als potenziell gefährlich eingeschätzt werden, in die Pflicht zu nehmen. Mit der Kostenanlastung an die Schädiger folgt die Richtlinie dem umweltrechtlichen Verursacherprinzip. Sie internalisiert externe Kosten der Umweltnutzung. Sie schafft so wirtschaftliche Anreize, berufliche Aktivi- täten von vornherein in einer Weise durchzuführen, dass es erst gar nicht zu Schädigungen der Umwelt kommt. Auch das ist ein weiterer Baustein einer intelligenten, ökologisch orientierten Wirtschaftspolitik (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Die Pflichten der Schadensverursacher dürfen aber nicht nur auf dem Papier stehen, sondern müssen natür- lich auch durchgesetzt werden können. Das Gesetz folgt dabei einem doppelten Ansatz. Es gibt auf der einen Seite der zuständigen Behörde Mittel des Verwaltungs- zwangs bis hin zur Ersatzvornahme auf Kosten des Schadensverursachers an die Hand. Es entspricht zum anderen dem Geist der Århus-Konvention: So können nicht nur diejenigen, die von einem Umweltschaden be- troffen sind, sondern auch Umweltverbände die Ver- pflichtung zur Sanierung von Schäden einklagen. Ich glaube, dass wir mit dem vorliegenden Gesetzent- wurf erreicht haben, sowohl die euoparechtssichere Um- setzung zu gewährleisten als auch allen Interessen – de- nen der Natur und der Wirtschaft – angemessen Rechnung zu tragen. Im Sinne einer ökologischen Indus- triepolitik wünsche ich mir allerdings, dass das Umwelt- schadensgesetz nach Möglichkeit überhaupt nur in sehr wenigen Fällen Anwendung finden muss. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie der Abg. Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN] – Josef Göppel [CDU/CSU]: Sehr guter Schluss, Herr Minister!) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Jetzt hat der Kollege Horst Meierhofer das Wort für die FDP-Fraktion (Beifall bei der FDP) Horst Meierhofer (FDP): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dass das Umweltschadensgesetz darauf abzielt, Indus- triebetriebe für die Vermeidung und Sanierung von Um- weltschäden mit in die Verantwortung zu nehmen, hat der Herr Minister Gabriel schon angesprochen. Es ist na- türlich richtig, wenn diese Unternehmen eine Verantwor- tung dafür tragen. Dass das nicht ausschließlich den Bür- gerinnen und Bürgern als Last aufgebürdet werden sollte, ist auch eine Selbstverständlichkeit. Es ist aus meiner Sicht ebenfalls richtig, dass man ge- rade bei der Biodiversität den Grundsatz verfolgt: Nicht nur dann, wenn ein Mensch oder ein Unternehmen ge- schädigt wird, soll dafür Ersatz geleistet werden; auch der Wert als solcher muss natürlich Berücksichtigung finden. – Deshalb halte ich es für richtig, dass das so ge- regelt werden soll. Das ist ganz neu in Deutschland. Da- rüber freuen wir uns als FDP. (Beifall bei der FDP – Josef Göppel [CDU/CSU]: Wir auch, Herr Kollege Meierhofer!) – Dann freuen wir uns alle. Es gibt ein paar Punkte, in denen wir vielleicht unter- schiedlicher Meinung sind. Aber Grundlage ist ja eine europäische Richtlinie, die umzusetzen ist – darüber kann man nicht hinweggehen –; dazu sind wir verpflich- tet. Bei aller Kritik, die wir bereits in der letzten oder vor- letzten Legislaturperiode an der damaligen Verhand- lungsführung geübt haben, gibt es einige Punkte, die zu begrüßen sind. Dass man das eigenverantwortliche Han- deln stärkt und dass man versucht, für umweltpolitische Ziele ein bisschen mehr Sensibilität bei den Unterneh- men zu schaffen – darin stimmen wir alle, glaube ich, überein. Das hat sich schon in den 80er-Jahren gezeigt, 8734 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. März 2007 (A) (C) (B) (D) Horst Meierhofer als im Zusammenhang mit den Sandoz-Unfällen die Idee entstand, dass man auch dann etwas tun sollte, wenn kein Individuum geschädigt ist. Ganz allgemein können wir mit der Umsetzung in diesem Gesetz relativ gut leben. Das gilt etwa für die Reichweite des Begriffs der geschützten Arten und der natürlichen Lebensräume. Dazu gab es Kritik vonsei- ten der Industrie, das gehe zu weit, das solle sich auf ir- gendwelche geschützten Räume beschränken. Das sehen wir ausnahmsweise anders. Wenn wir uns schon darauf verständigen, Arten zu schützen, und wenn wir uns darauf verständigen, dass die Biodiversität als eigener Wert zu schützen ist, dann macht es natürlich keinen Sinn, eine Art, die vom Aus- sterben bedroht ist, beispielsweise der Uhu oder ein an- deres Tier, nur in den Bereichen zu schützen, die man ihr vorher sozusagen zugebilligt hat. Entweder macht man es ganz oder gar nicht. Deswegen ist es so, wie es umge- setzt worden ist, glaube ich, richtig. (Beifall bei der FDP) Dass es uns im Ausschuss auch noch gelungen ist, die vorsorgliche Ermächtigungsgrundlage für eine Pflicht zur Deckungsvorsorge aus dem Gesetz zu streichen, hat uns natürlich sehr gefreut. Dass die CDU/CSU und die SPD einen Antrag, den wir eingebracht haben, ebenfalls eingebracht haben und wir dementsprechend alle an ei- nem Strang gezogen haben, fand ich sehr positiv. Das ist ein Punkt, der uns sehr gefreut hat. (Lachen der Abg. Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE]) – Ich glaube, sogar die Linke hat mit uns an einem Strang gezogen. (Ulrich Kelber [SPD]: Die Reihenfolge, wer wann was eingebracht hat, war falsch!) – Zumindest hatten wir von euch noch nichts gehabt. Das kam dann am nächsten Tag. Aber das ist auch egal. (Ulrich Kelber [SPD]: Das ist falsch gezählt worden!) – Ja, vermutlich ist dieses Mal falsch gezählt worden. – Aus unserer Sicht war das Vorgehen auf jeden Fall ganz vernünftig. Der Versicherungsmarkt sollte erst einmal ohne Vorfestlegungen die Möglichkeit haben, sich zu entwickeln. Das ist nun möglich. Das ist keine Frage, die man im parteipolitischen Gezänk lösen sollte. Ein weiterer Punkt, der heftig diskutiert wurde, ist die Möglichkeit einer Kostenfreistellung. Die Richtlinie gibt den Mitgliedstaaten in zwei Fällen die Möglichkeit, Unternehmen von den Kosten für die Sanierung eines Umweltschadens freizustellen, zum einen, wenn dieser Umweltschaden durch eine genehmigte Tätigkeit ent- standen ist, und zum anderen, wenn nach damaligem Stand von Wissenschaft und Technik nicht davon ausge- gangen werden konnte, dass ein Schaden für die Umwelt entstehen könnte. An dieser Stelle liegt das Problem, das der Grund da- für ist, dass wir uns enthalten werden. Der alten Bundes- regierung ist es nicht gelungen, die Kostenfreistellung europaweit einheitlich zu regeln. Aus unserer Sicht braucht man auf diesem Gebiet keinen Wettbewerb zwi- schen den Ländern in Europa. Aus unserer Sicht wäre eine Einigung auf europäischer Ebene, das heißt, dass alle Staaten gleich verfahren, das Vernünftigste gewesen, weil Deutschland sonst Wettbewerbsnachteile haben könnte. Das wollen wir nicht. Deswegen darf ich an dieser Stelle die einzelnen Län- der bitten, sich selbst einzubringen und die Kosten von den Unternehmen zu nehmen. Vor dem Hintergrund des Konnexitätsprinzips haben die Länder, die zahlen, auch das Recht auf eine freie Entscheidung. Da es sich aber um ein vernünftiges Anliegen handelt, hoffen wir, dass sie sich einheitlich entscheiden werden und die Kosten dann übernehmen, wenn den Unternehmen keine Verant- wortung zugeschrieben werden kann, weil alles ord- nungsgemäß getan wurde. Ich glaube, dann könnten die deutschen Unternehmen im internationalen Wettbewerb vielleicht sogar einen Vorteil haben. (Beifall bei der FDP) Noch eine kleine Anmerkung: Vielleicht hätte man die Anhänge der Richtlinie komplett übernehmen kön- nen. Das ist leider nicht geschehen. Es wird wieder auf Anhänge verwiesen. Man sagt, an dieser Stelle könne man einfach verweisen. Natürlich ist das rechtlich mög- lich. Man kann das Gesetz so machen. Wenn man aber beim Umweltgesetzbuch alles vereinheitlichen will, al- les in ein Gesetz packen will, damit es einfacher umzu- setzen ist, dann hätte man das hier auch so machen kön- nen. Packen Sie den ganzen Anhang ins Gesetz. Das wäre eine Eins-zu-eins-Umsetzung. Dann hätten wir die Vereinfachung, die wir uns für die Zukunft wünschen, schon mit diesem Gesetz erreicht. Ich darf zum Schluss noch einmal an die Länder ap- pellieren, auf diesem Gebiet einheitlich vorzugehen, da- mit keine Nachteile für unsere Wirtschaft entstehen. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Jetzt spricht Andreas Jung für die CDU/CSU-Frak- tion. (Beifall bei der CDU/CSU) Andreas Jung (Konstanz) (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Rahmen der Diskussion über den europäischen Ver- fassungsvertrag führen wir derzeit sehr engagiert eine Debatte über die Fragen: Wofür sollte Europa zuständig sein? Welche Kompetenzen müssen nach Europa? Für welche Fragen sollten die Regelungen besser auf natio- naler Ebene getroffen werden? Oftmals gibt es kritische Stimmen. Es wird gesagt: Muss sich Europa hier einmi- schen? Ist es nötig, dass auch dieses Detail von der Euro- päischen Union geregelt wird? Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. März 2007 8735 (A) (C) (B) (D) Andreas Jung (Konstanz) Ich möchte die Umsetzung der Umweltschadensricht- linie in deutsches Recht zum Anlass nehmen, sehr deut- lich zu sagen: Es ist gut, dass es Europa gibt, und es ist gut, dass sich Europa den Fragen des Schutzes von Um- welt und Natur mit großem Nachdruck annimmt. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Wir wissen, dass Umweltfragen, wie die Frage des Schutzes von Böden, von Gewässern oder der Artenviel- falt, nicht an nationalen Grenzen haltmachen. Ich will die Flüsse als Beispiel nennen: Ein Fluss schert sich nicht um Ländergrenzen, er schert sich nicht um Natio- nalstaaten. (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Deswegen haben wir die Föderalismus- reform beschlossen, ne?) Deshalb ist es gut, dass die Initiative der Europäischen Union gekommen ist. Deshalb ist es gut, dass wir dieses Gesetz ebenso ambitioniert in deutsches Recht umsetzen. Wir erreichen damit Fortschritte in all den genannten Bereichen. Minister Gabriel hat die entscheidenden Punkte hervorgehoben. Ich möchte noch einmal ein Prinzip ansprechen, das mir besonders wichtig erscheint: Mit diesem Gesetz normieren wir das Verursacherprin- zip. Damit ist derjenige, der einen Schaden verursacht, grundsätzlich auch dafür verantwortlich, diesen Schaden zu beheben und die Kosten dafür zu tragen. Das veran- kern wir im Umweltschadensgesetz, und das halte ich für richtig. (Jörg Tauss [SPD]: Ein nicht ganz ungewöhn- liches Prinzip!) Besonders wichtig ist mir, dass wir mit diesem Gesetz tun, was auch Minister Gabriel gefordert hat, nämlich die europäische Richtlinie eins zu eins in deutsches Recht umzusetzen. Diese Tendenz war im Gesetzent- wurf schon enthalten. Es gab wenige Punkte, an denen wir im Ausschuss nachgebessert haben. Mit der Eins- zu-eins-Umsetzung steht die Große Koalition zu dem, was sie in ihrem Koalitionsvertrag festgehalten hat und was uns von Rot-Grün unterscheidet, woran man also die Handschrift der Union erkennt: Rot-Grün hat bei der Umsetzung immer noch etwas draufgesattelt und damit häufig die eigenen Ziele konterkariert. (Jörg Tauss [SPD]: Na ja!) Dadurch wurde auch die Wettbewerbsfähigkeit des Standortes Deutschland beeinträchtigt. Deshalb ist es gut, dass wir bei diesem Gesetz zu einer Eins-zu-eins- Umsetzung kommen. (Beifall bei der CDU/CSU – Ulrich Kelber [SPD]: Von eins zu eins steht aber nichts im Koalitionsvertrag!) Ich will noch einige Punkte konkret ansprechen, auch wenn der eine oder andere schon von dem Kollegen Meierhofer thematisiert worden ist. Erstens. Welche Schutzgebiete sind überhaupt betroffen? Die Richtlinie der Europäischen Union bietet Auslegungsspielräume. Man kann die Auffassung vertreten, dass ausschließlich die Natura-2000-Gebiete betroffen sein sollen. Man kann aber auch die Auffassung vertreten, dass eine sol- che Begrenzung aus der Richtlinie nicht hervorgeht. Ich sage offen, dass in unserer Fraktion die Auffas- sung, dass eine Begrenzung auf die Natura-2000-Ge- biete aus der Richtlinie herauszulesen ist, Anhänger hat und Sympathie findet. Wir müssen aber zur Kenntnis nehmen, dass die Kommission eine völlig andere Auf- fassung vertritt und sagt: Nur mit dem, was im Gesetz- entwurf der Bundesregierung normiert ist, werden wir unserer Pflicht einer europarechtsgetreuen Umsetzung gerecht. Wir haben uns dafür entschieden, nicht den Konflikt mit der Kommission zu suchen, auch wenn der Europäi- sche Gerichtshof die letzte Entscheidung trifft. Aber in der Koalition haben wir auch verabredet, dass wir keinen nationalen Alleingang wollen. Wir haben deshalb die Bundesregierung aufgefordert, in einem Jahr zu berich- ten, wie die anderen Mitgliedstaaten die Richtlinie in diesem Punkt umgesetzt haben. Wenn sich herausstellen sollte, dass die Mehrheit der anderen Mitgliedstaaten ei- nen anderen Weg als Deutschland gewählt hat, nämlich den, dass doch nur Natura-2000-Gebiete betroffen sind, wollen wir diesen Punkt noch einmal aufrufen und eine Neuregelung besprechen. (Beifall bei der CDU/CSU) Zweitens. Machen wir Gebrauch von der Haftungs- privilegierung, die Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie ermög- licht? Auch hierüber haben wir diskutiert. Auch hier las- sen sich Argumente finden, dies zu tun, wenn auch andere Mitgliedstaaten das machen. Wir müssen aber zur Kenntnis nehmen, dass eine solche Regelung die Zu- stimmungspflicht des Bundesrats auslösen würde. Der Bundesrat jedoch sagt deutlich, dass er das nicht mittra- gen würde; denn wenn es eine Privilegierung für diejeni- gen gibt, deren Verhalten ohne Verschulden zu Schäden geführt hat, wenn also Handlungen zu Schäden führen, ohne dass das vorhersehbar gewesen wäre, müsste ir- gendjemand die Kosten tragen, und das wären dann die Länderhaushalte. Die Länder jedoch sagen: In einem solchen Fall soll der Betreiber bzw. der Unternehmer oder die Allgemeinheit den Schaden tragen; auf jeden Fall sollen nicht die Länderhaushalte belastet werden. Ich denke, für eine solche Einstellung sollte man Ver- ständnis haben. Deshalb haben wir diesen Punkt nicht weiterverfolgt. Zwei weitere Punkte sind mir besonders wichtig, und zwar die beiden Punkte, wo es, ausgehend von dem Ge- setzentwurf der Bundesregierung, gelungen ist, noch Veränderungen durchzusetzen, so beispielsweise in ei- nem Punkt eine Eins-zu-eins-Umsetzung. Ein Punkt, der bereits angesprochen wurde, betrifft die Deckungsvor- sorge. Der Gesetzentwurf sah schon jetzt eine Ermächti- gung der Bundesregierung vor, eine Regelung zur Deckungsvorsorge zu normieren, ohne dass die Europäi- sche Union jetzt schon angekündigt hätte, in dem Be- reich tätig zu werden, ohne dass jetzt schon solche Ab- sichten vorliegen. Erst im Jahr 2010 will man überhaupt 8736 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. März 2007 (A) (C) (B) (D) Andreas Jung (Konstanz) prüfen und darüber nachdenken, ob man in dieser Rich- tung initiativ wird. Wir haben einerseits festgestellt, dass schon die Nor- mierung im Gesetzentwurf, die vorgesehene Normie- rung, zu Unsicherheit, zu Sorge, nicht nur im Bereich der Versicherungsbranche, sondern auch im Bereich von Wirtschaft und Landwirtschaft, geführt hat, dass gefragt worden ist: Was ist denn da Sache? Wenn man so etwas ins Gesetz schreibt, schon jetzt die Bundesregierung er- mächtigt, dann muss doch etwas im Busch sein! Wir haben andererseits gesagt, dass überhaupt kein Anlass besteht, dass wir als Parlament unseren Gestal- tungsspielraum schon jetzt aus der Hand geben und quasi in vorauseilendem Gehorsam die Regierung hierzu ermächtigen. Deshalb haben wir gesagt: Dieser Punkt muss raus. Das haben wir in den Ausschussberatungen gemeinsam durchgesetzt, und das wurde auch – das ist angesprochen worden – von der FDP-Fraktion unterstützt. Ich finde, das ist ein wichtiger Punkt, der die Zustimmung noch leichter macht. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der FDP) Ich komme zu dem letzten Punkt. Auch der ist schon angesprochen worden. Die Richtlinie eröffnet die Mög- lichkeit, dass für unerhebliche Abweichungen von dem normalen, dem Ausgangszustand – ich nenne sie Baga- tellabweichungen; also dort, wo Populationen nur in geringfügigem Umfang beeinträchtigt sind, sodass es die natürlichen Schwankungen nicht übersteigt, sodass die Abweichungen durch natürliche Entwicklungen wieder beseitigt werden – eine Privilegierung insoweit vorgese- hen wird, dass sie nicht als erhebliche Schädigungen gel- ten. Ich halte es für wichtig, dass wir das tun. Denn bei all dem, was ich vorhin dazu gesagt habe, was ich für rich- tig halte, hohe Umweltstandards, müssen wir immer die Verhältnismäßigkeit wahren und nicht schon bei ganz kleinen Abweichungen möglicherweise große Kosten- folgen verursachen. Deshalb haben wir die Auffassung vertreten: Die Möglichkeit, die die Richtlinie eröffnet, muss auch in den Gesetzestext aufgenommen werden. Das haben wir durch unseren ebenfalls in den Ausschussberatungen durchgesetzten Änderungsantrag getan und wollen das nachher so abstimmen. Ich halte das für wichtig, weil es dem Geist der Richtlinie entspricht, weil es hohe Um- weltstandards setzt, sie in Europa auf Augenhöhe durch- setzt, die Verhältnismäßigkeit wahrt, damit der Umwelt dient und die Wirtschaft nicht über Gebühr beeinträch- tigt. Wir begrüßen deshalb ausdrücklich diese Umsetzung der Richtlinie in deutsches Recht. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Der Kollege Lutz Heilmann hat das Wort für die Lin- ken. (Beifall bei der LINKEN) Lutz Heilmann (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Meierhofer von der FDP, ich glaube, es ist nicht ausreichend, wenn sich die Wirtschaft „ein bisserl mehr“ um die Umwelt kümmert. Gestern hat der EU- Gipfel stattgefunden, und ein Topthema war der Klima- wandel. Ich denke, „ein bisserl mehr“ ist zu wenig, es muss erheblich mehr getan werden. Wer haftet für Umweltschäden? – Für Umweltschä- den haften momentan nach dem Umwelthaftungsgesetz Betreiber von Anlagen. Umweltschäden, die durch be- rufliche Tätigkeiten verursacht werden, etwa von Land- wirten, werden bisher keiner Haftungsregelung unter- worfen. Die Kosten dafür trägt die Allgemeinheit, das heißt der Steuerzahler. Mit dem vorliegenden Gesetzent- wurf soll diese Gesetzeslücke nun geschlossen werden. Wir begrüßen es ausdrücklich – der Herr Minister hat es angesprochen; man kann fast schon sagen, es ist ein einmaliger Fall –, dass hier eine EU-Richtlinie von der Bundesrepublik auch einmal pünktlich umgesetzt wer- den wird. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Doch wie so häufig liegt natürlich auch hier der Teu- fel im Detail. Schauen wir uns ganz einfach einmal den Gesetzentwurf genauer an. Bezeichnend dafür ist näm- lich zum Beispiel der Verweis auf das Umweltrechtsbe- helfsgesetz. Nach diesem können Verbände wie Green- peace in Umweltangelegenheiten nur dann klagen, wenn das Drittschutzerfordernis erfüllt ist. Das Umweltrechts- behelfsgesetz schränkt damit die Mitwirkungsmöglich- keiten sowohl der Bürgerinnen und Bürger als auch der Umweltverbände unzulässig ein. Durch den Verweis des Umweltschadengesetzes auf das Umweltrechtsbehelfs- gesetz wird auch die Klagemöglichkeit von Umweltver- bänden in Fällen, für die das Umweltschadensgesetz gilt, erheblich eingeschränkt. Wir erachten das als eine nicht hinnehmbare Ein- schränkung. Wir sagen, das Umweltrechtsbehelfsgesetz verstößt gegen die Århus-Konvention und damit auch gegen die Öffentlichkeitsbeteiligungsrichtlinie der EU. Bei der EU-Kommission ist diesbezüglich – wer sich auskennt, weiß es – bereits eine Beschwerde anhängig. Letztlich wird natürlich wieder der EuGH darüber ent- scheiden. Weiterhin unklar ist, was unter „Berücksichtigung“ nach § 9 Abs. 1 Satz 3 zu verstehen ist. Wir befürchten, dass dies eine vollständige Freistellung beim Einsatz von Pflanzenschutzmitteln durch die Landwirtschaft zur Folge hat. Das kann weder im Sinne des Gesetzes noch richtlinienkonform sein. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. März 2007 8737 (A) (C) (B) (D) Lutz Heilmann Durch die Änderungsanträge, die wir am Mittwoch im Umweltausschuss beraten haben, wird das Gesetz lei- der nicht besser, sondern erheblich schlechter. Sie schrän- ken mit dem neuen Verweis auf § 21 a Abs. 2 und 3 des Bundesnaturschutzgesetzes den Anwendungsbereich des Gesetzes im Naturschutz erheblich ein. Das Gesetz gilt somit nur noch bei Schädigungen an EU-rechtlich ge- schützten Arten und Lebensräumen. Zudem schaffen Sie mit der Neufassung des § 21 a Abs. 5 großzügige Aus- nahmen und erhebliche Interpretationsspielräume für die Beurteilung von Schäden an Arten und Lebensräumen. Der Natur tun Sie damit keinen Gefallen. Aus beruflichen Tätigkeiten in § 14 Abs. 1 machen Sie bestimmte Tätigkeiten. Dies bedeutet eine weitere Einschränkung des Anwendungsbereiches. Im Übrigen spricht die EU-Richtlinie ausdrücklich von beruflichen Tätigkeiten. Wenn Sie davon reden, dass Sie Rechtsein- heit und einheitliche Rechtsbegriffe auf europäischer Ebene und auf nationaler Ebene haben wollen – Kollege Jung, im Umweltausschuss haben Sie das gesagt –, wa- rum weichen Sie jetzt hier davon ab? Das ist für mich vollkommen unverständlich und nicht einsehbar. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Noch ein paar Gedanken zur Deckungsvorsorge. Sehr viele oder fast alle von uns haben ein Auto. Wenn man sich beim Händler ein Auto gekauft hat, sucht man sich als nächstes eine Versicherung. Von der Versiche- rung holt man sich eine Doppelkarte und geht damit zur Zulassungsstelle. Erst dann wird das Auto zugelassen. Das heißt, jedes Auto braucht eine Haftpflichtversiche- rung. Die sogenannte Deckungsvorsorge ist damit ver- gleichbar. Im Übrigen gibt es auch für Rechtsanwälte – Kollege Jung, Sie sind, soweit ich weiß, Rechtsanwalt – Berufshaftpflichtversicherungen. Warum nehmen Sie diese Verpflichtung heraus? Hier hätte man Vorreiter sein und eine bessere Lösung anbieten können. Das sind Beispiele für Regelungen im Gesetzentwurf, die wir für kritikwürdig erachten. Ich fasse zusammen: Das Gesetz wird zwar fristge- mäß erlassen, es bleibt aber hinter seinem Anspruch zu- rück. Eine gerechte Schadenshaftung für Umweltschä- den durch Handlungen wird damit nicht erreicht. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Kommen Sie bitte zum Ende, Herr Kollege. Lutz Heilmann (DIE LINKE): Der Anwendungsbereich wird marginal sein. Zwei Sätze habe ich noch, Frau Präsidentin. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Das ist zuviel. Lutz Heilmann (DIE LINKE): Das Gesetz enthält Bestimmungen, die europarecht- lich problematisch sind. Deshalb können wir dem vorlie- genden Gesetzentwurf nicht zustimmen und werden uns enthalten. Ich danke für die Aufmerksamkeit und wünsche Ih- nen ein schönes Wochenende. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: So weit ist es noch nicht, weil jetzt erst einmal die Kollegin Sylvia Kotting-Uhl für Bündnis 90/Die Grünen spricht. Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrter Herr Minister, ich möchte Ihnen ein be- sonderes Lob zollen, (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der SPD) weil Sie an einem Freitagnachmittag bei einem Thema von so offensichtlich nicht überschäumender Attraktivi- tät den Gesetzentwurf selbst vorgestellt haben. Sie be- kommen noch ein Lob, weil Sie inzwischen auch der Debatte folgen. Ich bin also voll des Lobes für den Mi- nister. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Damit es jetzt aber nicht so aussieht, als würden wir die Koalition nur loben, kommt jetzt gleich ein Tadel an den Kollegen Jung hinterher. (Ulrich Kelber [SPD]: Erst einmal freundlich und dann doch fies!) Rot-Grün hätte immer noch eins draufgesattelt. (Ulrich Kelber [SPD]: Das war auch gut so!) Das war eine der Kernaussagen in Ihrem Beitrag. Sie, die neue Große Koalition, sind doch stolz darauf, dass Deutschland heute innerhalb Europas beim Umwelt- schutz und beim Klimaschutz als Vorreiter gilt. Wie hätte das entstehen können, wenn wir nicht immer ein bisschen mehr gemacht hätten, als nur das, was aus Eu- ropa kommt, eins zu eins umzusetzen? Dann wären wir kein Vorreiter. Man muss sich als Land schon entschei- den, was man möchte. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Ulrich Kelber [SPD]: Dabei bleibt es auch!) – Dabei bleibt es hoffentlich auch. Sie haben die Verant- wortung. In der Politik lernt man – vor allen Dingen in Regie- rungszeiten –, auch mit halbvollen Gläsern positiv und konstruktiv umzugehen. Ich gestehe, dass ich – auch in der Politik – ein etwas mehr als halbvolles Glas immer ganz gern habe. Deshalb finde ich, dass wir dem Gesetz- entwurf, der heute vorliegt, zustimmen können. Denn er erfüllt das Kriterium des etwas mehr als halbvollen Gla- ses. (Beifall des Abg. Jörg Tauss [SPD]) Wir werden uns – anders als die Oppositionskollegen – also nicht enthalten, sondern zustimmen. 8738 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. März 2007 (A) (C) (B) (D) Sylvia Kotting-Uhl (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Ich will aber jetzt nicht mehr darüber reden, was in diesem Glas ist – der Minister und Kollege Jung haben das schon deutlich dargelegt –, sondern darüber, was in diesem Glas nicht ist: die Haftung der Landwirtschaft. Diese Ausnahmeregelung ist weder nachvollziehbar noch vernünftig noch dem Ziel dieses Gesetzes wirklich zuträglich. Ich will Ihnen ein Beispiel dafür nennen, und zwar hinsichtlich der Pestizide. Mir liegt hier eine Zahl vor, die relativ ungeheuerlich ist. Für den Fall, dass Sie sie mir nicht glauben wollen, schicke ich gleich voraus, dass sie von der zuständigen Berichterstatterin des EU-Parlaments stammt. Sie wissen wahrscheinlich, was ein Kilo Pestizide kostet, wenn man es kauft. Es ist die bescheidene Summe von 10 Euro. Wissen Sie auch, was es kostet, ein Kilo Pestizide wieder aus dem Wasser herauszuholen? Das ist die unbescheidene Summe von 100 000 Euro. Ich finde, das zeigt, dass eine Landwirtschaft, die so, wie jetzt, als dieses Gesetz vorgelegt wurde, durch ihre Lobby- arbeit darauf beharrt, mit einem übermäßigen Chemie- einsatz arbeiten zu dürfen, nicht nur einen unökologischen, sondern auch einen unökonomischen Weg beschreitet. Mit der Ausnahme in diesem Gesetz schreiben Sie fest, dass genau diese immensen Kosten, die durch unsachgemäßen Landbau von der Landwirtschaft verursacht werden, weiterhin von der öffentlichen Hand und nicht, wie es in dem Gesetz ansonsten vorgesehen ist, von dem Verursacher selbst getragen werden müssen. Das ist ein deutliches Defizit innerhalb dieses Gesetzes. Ich bin froh, dass der Biolandbau, bei dem auf diese Dinge verzichtet wird, vor allem in den Jahren unter der grünen Ministerin einen deutlichen Aufschwung ge- nommen hat. Wir haben hier noch Verbesserungsbedarf. Nur 4,7 Prozent des Gesamtvolumens sind Ökofläche. Österreich ist mit einer Ökofläche von 14,1 Prozent zum Beispiel deutlich besser als wir. Hier sind wir also noch nicht Vorreiter; hier gibt es noch einen Nachholbedarf. Ich hoffe, dass auch aufgrund des Hinweises auf die Zahl, was es uns kostet, diese Pestizide wieder aus dem Wasser zu holen, vielleicht auch von der Großen Koali- tion ein bisschen in diese Richtung gearbeitet wird, und wünsche Ihnen – ähnlich wie der Kollege Heilmann – ein schönes Wochenende, auch wenn es für manche von uns noch ein bisschen dauert. Danke schön. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Uwe Küster [SPD]) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Jetzt hat der Kollege Dr. Matthias Miersch für die SPD das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Matthias Miersch (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am Freitagnachmittag ein solches Thema zu behandeln, ist nicht ganz einfach, aber ich bin mir sicher, dass dieses Gesetz, das wir heute beschließen werden, in Zukunft in der Praxis eine noch viel größere Aufmerksamkeit erfahren wird. In der Tat betreten wir hier heute nämlich Neuland, und es ist gutes Neuland. Frau Kotting-Uhl, ich gehöre der Fraktion an, die mit Ihnen die Grundlagen geschaffen hat und jedenfalls in diesen Bereichen mit der CDU/ CSU jetzt noch ordentlich eins drauflegt. Insofern sind wir stolz, dass wir das heute beschließen können. (Beifall bei der SPD – Ulrich Kelber [SPD]: Wir sind die Kontinuität!) Wir sind einer der ersten EU-Staaten, die die EU- Vorgaben in nationales Recht umsetzen. Dieses Gesetz ist aus meiner Sicht eine logische Konsequenz der Gesetze, die wir hier vor einigen Monaten beschlossen haben, nämlich des Öffentlichkeitsbeteiligungsgesetzes, das dazu dient, mehr Transparenz und mehr Öffentlichkeit in Umweltrechtsbelangen zu erreichen, und des Umwelt- rechtsbehelfsgesetzes, das dazu dient, einen weiten Zugang zu den Gerichten und zur Überprüfung zu er- möglichen. (Lutz Heilmann [DIE LINKE]: Aha!) – Herr Kollege Heilmann, Sie wissen, dass wir uns hier für eine größere und erweiterte Klagemöglichkeit ausge- sprochen haben. Wir werden sehen, was wir da erreichen können. Mit diesem Gesetz betreten wir heute in der Tat juris- tisches Neuland. Bislang war es nicht möglich, Schädi- gungen der Umwelt, die nicht Privateigentum betrafen, tatsächlich geltend zu machen. Dies ist eine Neuerung. Der Bundesminister hat zu Recht darauf hingewiesen, dass dieses Gesetz in den Kontext der allgemeinen Diskussion passt, in der es darum geht, wie wir Güter der Allgemeinheit eigentlich schützen. In diesem Gesetz ist ferner vorgesehen, nicht erst bei der Schädigung, sondern weit früher anzusetzen, nämlich bei der Infor- mation und auch bei dem Vorsorgeansatz. Auch dies ist ein wichtiger Aspekt. (Beifall bei der SPD) Mit diesem Gesetz bleiben wir nicht im Unbestimmten; denn es wird erst einmal nicht ins Zivilrecht verwiesen. Es muss also keine dritte Person vorhanden sein, die ei- nen Schaden an ihrer Gesundheit oder an ihrem Eigentum geltend macht. Nein, wir befinden uns hier nicht im Zivilrecht, sondern im Ordnungsrecht. Erstmals werden Behörden in die Lage versetzt, sowohl auf Vorsorgemaß- nahmen als auch auf Informations- oder Sanierungs- pflichten hinzuwirken und diese gegebenenfalls auch durchzusetzen. (Beifall bei der SPD) Ein Aspekt, der aus meiner Sicht in den nächsten Mo- naten und Jahren durchaus noch erhebliche Beachtung finden wird, ist die Stellung der Verbände, die sich in ihren Satzungen dem Schutz der Umwelt verpflichtet haben. Es ist im deutschen Recht bislang nicht üblich gewesen, dass Verbände die Funktion von Anwälten Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. März 2007 8739 (A) (C) (B) (D) Dr. Matthias Miersch wahrnehmen und den Schutz der Güter der Allgemeinheit tatsächlich, im Zweifel auch gerichtlich, durchsetzen. Das ist schon ein erheblicher Schritt hin zu mehr Umweltschutz, weil zu mehr Durchsetzbarkeit von Umweltschutz. Das ist uns ganz wichtig. Wir sind sicher, dass die Verbände diese Aufgabe, die ihnen nun übertragen wird, auch verantwortungsvoll wahrnehmen werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich ab- schließend sagen, dass mit diesem Gesetz die Diskussion über das Umweltrecht nicht zu Ende sein darf und nicht zu Ende sein kann. Wir als Große Koalition haben uns mit der Schaffung eines Umweltgesetzbuches eine große Aufgabe gestellt. Auch in den Beratungen zu diesem Ge- setz haben wir gesehen, wie wichtig es ist, europäisches Recht mit dem deutschen Recht in Übereinstimmung zu bringen und deutsches Umweltrecht in einem Gesetz- buch zusammenzufassen. Die entsprechenden Debatten sind in vollem Gange. Das Ministerium ist dabei, dieses UGB, also das Umweltgesetzbuch, zu konzipieren. Die Politik ist in den nächsten Monaten aufgerufen, ordent- lich daran mitzuarbeiten. Wir werden das tun. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Um- setzung der Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Umwelthaftung zur Vermeidung und Sanierung von Umweltschäden, Drucksache 16/3806. Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktor- sicherheit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/4587, den Gesetzentwurf in der Aus- schussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen bei Enthaltung der FDP und der Fraktion Die Linke angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Damit ist der Gesetz- entwurf in dritter Beratung mit dem gleichen Stimm- ergebnis wie vorher angenommen. Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 25 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Einmalzahlungen für die Jahre 2005, 2006 und 2007 (Einmalzahlungsgesetz 2005, 2006 und 2007 – EzG 2007) – Drucksache 16/4379 – Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus- schusses (4. Ausschuss) – Drucksache 16/4572 – Berichterstattung: Abgeordnete Clemens Binninger Siegmund Ehrmann Dr. Max Stadler Petra Pau Silke Stokar von Neuforn Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung – Drucksache 16/4582 – Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Michael Luther Bettina Hagedorn Jürgen Koppelin Roland Claus Anja Hajduk Es liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der FDP vor. Es war verabredet, eine halbe Stunde zu debattieren, doch die Kolleginnen und Kollegen Siegmund Ehrmann, Dr. Max Stadler, Petra Pau und Silke Stokar von Neuforn und der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Christoph Bergner haben ihre Reden zu Protokoll gegeben.1) Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf auf Drucksache 16/4379. Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/4572, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/4624 vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Damit ist der Änderungsantrag bei Zustimmung der Fraktionen von FDP, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen und Ablehnung durch die Koali- tionsfraktionen abgelehnt. Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Hand- zeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung einstimmig ange- nommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, aufzustehen. – Gegen- stimmen? – Enthaltungen? – Damit ist der Gesetzentwurf in dritter Beratung mit den Stimmen des gesamten Hauses angenommen. Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 26 auf: Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 4. Juli 2006 zur Verlängerung des Abkommens vom 9. April 1995 zwischen der Bundesrepublik 1) Anlage 16 8740 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. März 2007 (A) (C) (B) (D) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt Deutschland und den Vereinigten Arabischen Emiraten zur Vermeidung der Doppelbesteue- rung auf dem Gebiet der Steuern vom Ein- kommen und vom Vermögen und zur Bele- bung der wirtschaftlichen Beziehungen – Drucksache 16/4378 – Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzaus- schusses (7. Ausschuss) – Drucksache 16/4579 – Berichterstattung: Abgeordnete Manfred Kolbe Lothar Binding (Heidelberg) Hierzu ist verabredet, eine halbe Stunde zu debattie- ren. Zu Protokoll gegeben haben ihre Reden die Kolleginnen und Kollegen Dr. Barbara Hendricks, Carl-Ludwig Thiele, Axel Troost und Lothar Binding.1) Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Kollegen Manfred Kolbe für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Manfred Kolbe (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir debattieren heute auf Antrag der Fraktion des Bünd- nisses 90/Die Grünen den Gesetzentwurf der Bundes- regierung zur Verlängerung des Doppelbesteuerungs- abkommens mit den Vereinigten Arabischen Emiraten vom 9. April 1995. Dazu von mir keinen neunminütigen Beitrag, aber drei Minuten zum Standpunkt der CDU/ CSU-Bundestagsfraktion. Die Verlängerung dieses Abkommens ist notwendig, da das Doppelbesteuerungsabkommen von 1995 ausge- laufen wäre und bis zum Zeitpunkt des Auslaufens keine Einigung über ein neues Abkommen erzielt werden konnte. Um es hier nicht zu einem vertragslosen Zustand kommen zu lassen, wurde das bisherige Abkommen um zwei Jahre verlängert. Wir als Unionsfraktion begrüßen diese Verlängerung; denn wir brauchen ein Doppelbesteuerungsabkommen mit den Vereinigten Arabischen Emiraten. Lassen Sie mich dazu kurz drei Gesichtspunkte nennen: Die Vereinigten Arabischen Emirate sind ein Handels- und auch politischer Partner von außerordentlicher Bedeutung in dieser krisengeschüttelten Region. Wir haben dort 2004 eine strategische Partnerschaft begründet. Die Handels- und Wirtschaftsbeziehungen haben sich, auch auf der Grundlage des Doppelbesteuerungsabkommens von 1995, auf hohem Niveau entwickelt. Rund 500 deut- sche Unternehmen sind dort tätig. Sie bedienen weite Teile des arabischen und asiatischen Marktes. Der Export in die Vereinigten Arabischen Emirate ist allein im Jahr 2005 um 22 Prozent auf über 4 Milliarden Euro ange- stiegen. Beim Import liegen wir dort an vierter Stelle. Beachtlich ist auch das Investitionskapital an den Verei- nigten Arabischen Emiraten. 1) Anlage 17 Unsere politischen Beziehungen sind ein Spiegelbild dieser wirtschaftlichen Entwicklung. Wir haben, wie gesagt, eine strategische Partnerschaft begründet. Angela Merkel hat ihre erste Reise im Rahmen der EU-Präsident- schaft in die Vereinigten Arabischen Emirate unternom- men. Der zweite Grund, warum wir ein Doppelbesteuerungs- abkommen wollen, ist, dass die Vereinigten Arabischen Emirate keine Steueroase – mit solchen Ländern schließen wir sonst keine Doppelbesteuerungsabkommen ab – im eigentlichen Sinn sind. Solches zu behaupten, ist eine klassische Halbwahrheit: Die Vereinigten Arabischen Emirate haben sicherlich die eine oder andere Oase; aber eine Steueroase sind sie deshalb noch nicht. Von den vier OECD-Kriterien für Steueroasen – nämlich erstens keine oder geringfügige Steuererhebung, zweitens Ge- setzes- und Verwaltungspraxis, welche einen effektiven Informationsaustausch der Behörden verhindert und da- mit Steuerflucht begünstigt, drittens Privilegierung nicht ansässiger Personen, viertens Fehlen substanzieller wirt- schaftlicher Aktivitäten, also Briefkasten- und Buchhal- tungszentren – trifft höchstens das Kriterium Nummer eins zu. Die Vereinigten Arabischen Emirate sind in der Tat in der glücklichen Lage, nur die Ölförderung besteuern zu müssen. Wir wären froh, wenn das bei uns der Fall wäre; aber wir können uns das nicht leisten. Ansonsten liegen aber keine Kriterien für eine Steueroase vor. Wir sollten deshalb im Interesse unserer wirtschaftlichen und politischen Beziehungen ein Doppelbesteuerungsab- kommen anstreben und keine unselige und auch falsche Oasendiskussion führen. Der dritte Grund ist, dass wir Teil der Europäischen Union sind und dass fast alle unsere europäischen Partner Doppelbesteuerungsabkommen mit den Vereinigten Arabischen Emiraten haben – Großbritannien, Frank- reich, zuletzt Spanien, seit 2006, Luxemburg seit 2005 und Österreich seit 2004 –, die sich auch alle an das OECD-Muster anlehnen. Ein deutscher Alleingang wäre hier weder politisch noch wirtschaftlich zu verantworten. In diesem Sinne bejaht die CDU/CSU-Fraktion die heute zur Beschlussfassung anstehende Verlängerung des Doppelbesteuerungsabkommens um zwei Jahre und bittet das Bundesfinanzministerium – ich weiß jetzt nicht, wen ich da ansprechen soll; ich bitte also die Bundes- regierung –, im Rahmen der anstehenden Verhandlungen ein Doppelbesteuerungsabkommen auszuhandeln, das fair und von gegenseitigem Respekt getragen ist. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Ich erteile nun das Wort dem Kollegen Dr. Gerhard Schick, Bündnis 90/Die Grünen. Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Doppel- besteuerungsabkommen sind ja eigentlich Abkommen zur Vermeidung von Doppelbesteuerung. Doppelbesteu- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. März 2007 8741 (A) (C) (B) (D) Dr. Gerhard Schick erung liegt aber nur vor, wenn sowohl das eine als auch das andere Land Steuern erhebt. Da in den Vereinigten Arabischen Emiraten auf fast alle ökonomischen Sach- verhalte ein Einkommensteuersatz von Null gilt, kann es per Definition gar keine Doppelbesteuerung geben. Bei der Diskussion geht es also um den anderen Teil, der durch Doppelbesteuerungsabkommen geregelt wird, nämlich um die Vermeidung von so genannten weißen Einkünften. Damit wird die Tatsache bezeichnet, dass einige deswegen keine Steuern zahlen, weil sie grenz- überschreitend wirtschaftlich tätig sind. Auf diesen As- pekt, Herr Kolbe, sind Sie überhaupt nicht eingegangen, obwohl er in den Verhandlungen immer einen sehr gro- ßen Raum einnimmt. Man muss schon feststellen – deshalb wollen wir da- rüber debattieren und haben diesen Punkt nicht ohne De- batte einfach durchgewunken –, dass das Abkommen mit den Vereinigten Arabischen Emiraten eine Sonder- stellung unter den deutschen Doppelbesteuerungsab- kommen einnimmt; denn es generiert in einzigartiger Weise die Nullbesteuerung, also weiße Einkünfte. Obwohl man nun einen Vergleich mit anderen EU- Staaten anstellen kann, möchte ich eine andere Frage stellen, nämlich die, wie Sie einem deutschen mittel- ständischen Unternehmen erklären wollen, dass es auf seine Gewinne in Deutschland insgesamt 47,5 Prozent Einkommensteuer zahlen muss, dass man aber gleichzei- tig in Dubai 0 Prozent Steuern zahlt, wenn man einen Anteil an einem Immobilienfonds besitzt. Diese Frage ist nicht populistisch, sondern sie stellt sich im Fall einer Unternehmensnachfolge ganz konkret. Es wäre interessant, einmal die konkrete Position des Wirtschaftsministeriums zu erfahren, das sich dafür ein- gesetzt hat, dass wir diesen Zustand um weitere zwei Jahre verlängern. Wir sind dagegen, weil wir der Mei- nung sind, dass es keine faire Verteilung der Lasten ist. Es entspricht nicht der Besteuerung nach der Leistungs- fähigkeit. Was noch schlimmer ist: Es ermöglicht – Dop- pelbesteuerungsabkommen wirken ja immer in einem Netz zusammen –, dass auch Erträge aus anderen Staaten über die Vereinigten Arabischen Emirate steuer- frei nach Deutschland gebracht werden. Ich kann für meine Fraktion nur sagen: Das ist keine sinnvolle Steu- erpolitik. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Man braucht gar nicht den Begriff von einer strategi- schen Partnerschaft heranzuziehen. Man kann auch mit strategischen Partnern sinnvolle Abkommen schließen. In den Ausschussberatungen ist deutlich geworden, dass es jetzt darum geht, mit welcher Position Deutsch- land in die Verhandlungen geht. Sie von der CDU/CSU- Fraktion und, wie ich höre, auch das Wirtschaftsministe- rium vertreten die Position, dass es durchaus so weiter- gehen soll. Wir als Grüne sind der Meinung, dass es nicht so weitergehen kann. Wir müssen vielmehr ein Mindestniveau bei der Besteuerung erreichen. Deswe- gen wird unser Abstimmungsverhalten im Parlament nicht nur von der Frage bestimmt, ob wir das konkrete Protokoll verabschieden wollen, sondern auch von der Frage, mit welcher Position wir in die Verhandlungen zu diesem Abkommen hineingehen. Ich finde einen Punkt ziemlich enttäuschend. Die Linksfraktion will diesem Gesetzentwurf zustimmen. Sie halten hier immer großen Reden über Steuergerech- tigkeit und über die sich zunehmend öffnende Schere von Arm und Reich. Sie fordern, dass es eine faire Las- tenverteilung in diesem Land gibt. Wenn es aber einmal konkret darum geht, ein Steuerschlupfloch zu schließen und hierfür ein klares Signal zu geben, dann: Fehlan- zeige. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich finde das sehr enttäuschend und möchte Sie auffor- dern, dass Sie in Zukunft Ihren großen Ansprüchen auch einmal ein wenig Substanz folgen lassen. (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Ma- chen wir!) Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zu dem Protokoll zur Verlängerung des Abkommens mit den Vereinigten Arabischen Emiraten zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen und zur Belebung der wirtschaftlichen Beziehungen auf Drucksache 16/4378. Der Finanzausschuss empfiehlt auf Drucksache 16/4579, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Damit ist der Gesetz- entwurf mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion Die Linke gegen die Stimmen der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen und bei Enthaltung der FDP- Fraktion angenommen. Ich rufe jetzt den Zusatzpunkt 10 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der LINKEN Beschäftigungspolitische Verantwortung der Bundesregierung im Zusammenhang mit dem Personalabbau bei deutschen Großunterneh- men Ich eröffne die Aussprache und erteile zunächst das Wort dem Kollegen Werner Dreibus, Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Werner Dreibus (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle- gen! Ich weiß, es ist spät. Ich weiß auch, dass wir Ihnen mit dieser Aktuellen Stunde keine große Freude berei- ten. Aber hier kommt es auf die Sache an. (Beifall bei der LINKEN) 8742 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. März 2007 (A) (C) (B) (D) Werner Dreibus Beim Beispiel der Telekom geht es um die Arbeits- plätze, das Einkommen, die Arbeitszeit und die Arbeits- verträge von immerhin 50 000 direkt betroffenen Men- schen. Das betrifft natürlich auch die Familien dieser 50 000 Menschen. Damit geht es um sehr viel. Es geht bei diesem Konflikt der Telekom – das ist eher eine kleine Arabeske – unter anderem um eine Arbeitszeit- verlängerung für weniger Geld. Wenn wir heute Nach- mittag eine Stunde Arbeitszeitverlängerung haben, dann ist das sozusagen eine Parallele, aber wenn überhaupt, dann höchstens einmalig und nur betreffend die Zeit und nicht das Geld. (Beifall bei der LINKEN – Stefan Müller [Er- langen] [CDU/CSU]: Sie sorgen schon dafür, dass das öfter vorkommt!) Nun zur Sache selbst. Der Anlass für unsere Aktuelle Stunde ist die in der vergangenen Woche getroffene Ent- scheidung des Aufsichtsrates der Telekom. Wir sind der Auffassung, dass in der darauffolgenden Sitzungswoche des Bundestages darüber unter dem Gesichtspunkt der beschäftigungspolitischen Verantwortung der Bundesre- gierung zu diskutieren ist. Der Aufsichtsrat hat entschie- den, 45 000 bis 50 000 Mitarbeiter in einen sogenannten T-Service auszugliedern. Das ist eine interne Ausgliede- rungsstrategie, der – so der Aufsichtsrat – als Teil der Ausgliederung dann eine externe Auslagerung folgen soll. Der Vorgang selbst erinnert, zumindest was das stra- tegische Vorgehen betrifft, diejenigen, die sich in dieser Sache ein wenig auskennen, an das, was vor einigen Jah- ren bei Siemens passiert ist und was dann zu BenQ ge- führt hat. Was wir dann bei BenQ erlebt haben, werden wir hoffentlich nicht auch bei der Telekom erleben. Wie sieht es nun mit der beschäftigungspolitischen Verantwortung der Bundesregierung aus? Wir wissen, noch ist der Bund direkt und indirekt über die KfW an der Telekom mit zusammen 32 Prozent der Aktien betei- ligt. Wir wissen auch, dass als Vertreterin der KfW Frau Matthäus-Maier und als Vertreter der Bundesregierung Herr Staatssekretär Mirow im Aufsichtsrat der Telekom Sitz und Stimme haben. Seit vergangenen Donnerstag wissen wir aus öffentlichen Erklärungen der Vertreter der Beschäftigten im Aufsichtsrat, dass alle Vertreter der Beschäftigten im Aufsichtsrat – er ist, wie wir wissen, paritätisch zusammengesetzt – gegen die Vorlage des Unternehmensvorstandes gestimmt haben. Die erste Frage, die wir heute stellen – wir hoffen sehr, dass wir darauf eine vernünftige Antwort bekommen –, ist, wie sich die Bundesregierung unter Vorhalt dieser Beteili- gungsstruktur in dieser konkreten Situation zu den be- schäftigungspolitischen Maßnahmen des Vorstandes der Telekom verhält. Ich will ein paar wenige Sätze dazu sagen, was das für die Betroffenen heißt. Die Arbeitszeit der Betroffenen wurde 2004 auf 34 Stunden gesenkt. Bezahlt werden derzeit 35,5 Stunden. Es gab einen sogenannten Teillohnausgleich. Brutto hat jeder Beschäftigte 6,7 Pro- zent weniger als vor dieser Maßnahme. Der erste Schritt, an der Arbeitszeitschraube auf Kosten der Beschäftigten zu drehen, ist schon erfolgt. Jetzt soll für die Betroffenen ein zweiter Schritt fol- gen. Deren Arbeitszeit soll wieder auf 38 Stunden he- raufgesetzt werden – und dies ohne Lohnausgleich –, um die Lohnkosten erneut zu senken. Beide Maßnahmen zu- sammen bedeuten, dass, je nachdem, wie man das rech- net, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Telekom um die 13 Prozent ihres Lohnes für die Fehlplanungen und Fehlmaßnahmen bezahlen sollen, die das Manage- ment gemacht hat. Das halten wir für völlig unvorstellbar. Wir halten es für völlig falsch, dass die Bundesregierung als Anteils- eigner diesem Konzept offensichtlich zustimmt und im Aufsichtsrat nicht die Möglichkeit genutzt hat, wenigs- tens die Alternativvorschläge, die vonseiten der Arbeit- nehmervertreter, der Betriebsräte und der zuständigen Gewerkschaft Verdi vorgetragen worden sind, zum An- lass zu nehmen, die Entscheidung vom vergangenen Donnerstag nicht zu fällen, sondern sich konstruktiv mit diesen Alternativvorschlägen zu beschäftigen und die Beschäftigten nicht dem Druck von Maßnahmen auszu- setzen, die bei diesen – deshalb habe ich am Anfang meiner Rede das Beispiel Siemens/BenQ erwähnt – nur Angst auslösen können. Die Telekom ist sicher kein kri- sengeschütteltes Unternehmen. Aber auch ein Unterneh- men, das in Schwierigkeiten ist, ist schlecht beraten, wenn die Beschäftigten Angst haben. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Es spricht jetzt der Kollege Alexander Dobrindt für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Alexander Dobrindt (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, dass es in dieser Aktuellen Stunde nicht um ein einzelnes Unternehmen geht. Wir müssen uns grund- sätzlich die Frage stellen, wie sich die Großkonzerne in der Bundesrepublik Deutschland in Bezug auf das Gene- rieren von Arbeitsplätzen verhalten. Gleichzeitig müssen wir uns die Frage stellen, wie sich der Mittelstand in Be- zug auf das Generieren von Arbeitsplätzen verhält. Sie von der Linken haben das aktuelle Beispiel Deut- sche Telekom aufgenommen. Ich kann Ihnen sagen: Wir haben in dieser Woche bereits Gespräche mit der Deut- schen Telekom geführt, auch hier. Ich weiß nicht, ob Ihre Fraktion dazu bereit ist, aber wir sind selbstverständlich bereit, den Prozess, den dieses Unternehmen im gegebe- nen Rahmen zu durchlaufen hat, zu begleiten. Wir haben der Telekom auch bei den Gesprächen hier im Deutschen Bundestag ins Stammbuch geschrieben, dass uns drei Sachen besonders wichtig sind: Wir haben natürlich die Forderung an dieses Unternehmen, dass Standortsicherung betrieben wird. Wir wollen nicht, dass die Deutsche Telekom sich aus der Fläche zurückzieht, sich auf Ballungsräume beschränkt. Wir wollen, dass dieses Unternehmen auch in den ländlichen Räumen ver- treten bleibt. Deswegen ist eine Frage wie die, wie die Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. März 2007 8743 (A) (C) (B) (D) Alexander Dobrindt Callcenterstruktur in Zukunft ausschaut, für uns beson- ders wichtig. Wir haben weiter gesagt: Die Beschäftigungssiche- rung hat für uns absoluten Vorrang. Auch unter diesem Gesichtspunkt muss man solche Unternehmensentschei- dungen betrachten. Die Telekom ist ein Unternehmen, das heute, anders als noch zu Monopolzeiten, im Wettbe- werb steht. Die Telekom hat erkannt – da werden alle zu- stimmen können –, dass das, was sie an Produkten anbie- tet, oftmals zu teuer ist, nicht mehr wettbewerbsfähig ist. Deswegen versucht sich die Telekom so aufzustellen – auch in der Verantwortung gegenüber ihren Mitarbei- tern –, dass sie zukünftig wieder wettbewerbsfähig ist. Genau dadurch werden die Arbeitsplätze im Unterneh- men gesichert. Auch das haben wir von der Deutschen Telekom gefordert. Einen solchen Prozess kann man aber nur zusammen mit den Menschen im Unternehmen gehen. Eine Qualitätsoffensive kann man nur starten, den Service des Unternehmens kann man nur dann deut- lich ausbauen, wenn man die Mitarbeiter, die diesen Ser- vice bringen sollen, bei der Stange hält, sie motiviert. Auch das haben wir von der Deutschen Telekom ver- langt. Die Mitarbeiter müssen diesen Prozess mitma- chen. Ansonsten ist eine Qualitätsoffensive nicht mög- lich. (Beifall bei der CDU/CSU) Jetzt will ich zum Mittelstand, den ich eingangs ange- sprochen habe, zurückkommen. Denn so einfach machen wir es Ihnen nicht, dass wir hier nur kritisierten, die positiven Meldungen aus der Wirtschaft aber nicht an- sprächen. Der Mittelstand hat im letzten Jahr Tag für Tag 1 250 neue Arbeitsplätze in Deutschland geschaffen. Deswegen ist der Mittelstand das Netz und der doppelte Boden für Arbeitsplätze in Deutschland. Es ist wichtig, dass wir das in dieser Debatte ganz deutlich machen: Jobmotor in Deutschland ist und bleibt der deutsche Mit- telstand. Deswegen müssen wir ihn ins Zentrum unseres Interesses stellen, wir müssen ihn deutlich stärken und daran arbeiten, dass es dem Mittelstand in Deutschland weiterhin gut geht. (Beifall bei der CDU/CSU) Der Mittelstand bleibt in Deutschland. Die globalisierten Unternehmen haben in anderen Ländern neue Märkte entdeckt. Sie versuchen – das ist nicht zu kritisieren –, ihre Produkte dort zu produzieren, wo sie sie verkaufen. Sie stehen heute in einem globalen Wettbewerb, in dem der Preis eine große Rolle spielt und in dem für die Preiskalkulationen auch von Bedeutung ist, dass man sich, was die Arbeitsplätze angeht, weltweit breit auf- stellt. (Vorsitz: Präsident Dr. Norbert Lammert) Der Mittelstand kann das nicht tun. Deswegen müs- sen wir die Verantwortung übernehmen, den Mittelstand zu stärken. Das hat die Bundesregierung getan. Das CO2-Sanierungsprogramm ist ein Riesenerfolg. In der letzten Woche wurde im Deutschen Bundestag das zweite Mittelstandsentlastungsgesetz beschlossen. Die Reform der Unternehmensnachfolge steht an. Wir wer- den uns dafür einsetzen, dass diese Reform mittelstands- gerecht ausgestaltet wird. Ein Mittelständler muss die in seinem Unternehmen bestehenden Arbeitsplätze im Fall der Unternehmensnachfolge zukünftig erhalten können, ohne dass zusätzliche Kosten anfallen. Ich glaube, das ist die richtige Antwort auf den Stellenabbau in der Großin- dustrie. Das Jobwunder Mittelstand muss von uns for- ciert und gestärkt werden. So müssen wir in die Zukunft gehen. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie des Abg. Dr. Heinrich L. Kolb [FDP] – Jürgen Koppelin [FDP]: Dazu müsste erst einmal die Bundesregierung zurücktreten!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Der Kollege Haustein ist der nächste Redner für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP) Heinz-Peter Haustein (FDP): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir sprechen heute über die beschäftigungspoli- tische Verantwortung der Bundesregierung im Zusam- menhang mit dem Personalabbau bei deutschen Großun- ternehmen. Erst einmal muss man feststellen, dass kein Unternehmer seine Arbeitskräfte gerne entlässt. Er ist froh, wenn er genug Aufträge hat, Gewinn macht und über die Runden kommt. (Beifall bei der FDP) Ein Unternehmer möchte, dass seine Angestellten ihren Arbeitsplatz behalten und ihren Lohn bekommen und dass es mit dem Unternehmen vorwärts geht. Das ist doch der Sinn eines Unternehmens. Man muss aber auch zur Kenntnis nehmen, wie stark die Unternehmen belastet werden. (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Ja! Und durch wen? Durch diese Bundesregierung!) – Ja. Seit diesem Jahr auch durch die Bundesregierung. Aber das ist ja bekannt. (Ulrich Kelber [SPD]: Einen besseren Redner hat die FDP nicht? Schade!) Die Belastungen durch die Bürokratie gehen ins Uner- messliche. (Beifall bei der FDP) Es wird zwar von Bürokratieabbau gesprochen. (Ulrich Kelber [SPD]: Das hat doch alles die FDP gemacht!) Aber durch das Vorziehen des Termins für die Zahlung der Sozialbeiträge wird mehr Bürokratie aufgebaut. Au- ßerdem wird dadurch die Liquidität der Unternehmen belastet. (Ulrich Kelber [SPD]: „Just in time“ nennt man das!) – Nein, das tut man nicht. 8744 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. März 2007 (A) (C) (B) (D) Heinz-Peter Haustein Abgesehen von der Bürokratie, deren Umfang viel zu groß ist (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: 30 Milliarden Euro! – Ulrich Kelber [SPD]: Wir haben ihn gegenüber Ihrer Regierungszeit verringert!) – nein –, ist auch die Steuer- und Abgabenlast in Deutschland viel zu hoch; auch das muss man klar und deutlich sagen. Wir brauchen eine Flexibilisierung auf dem Arbeitsmarkt und mehr Freiheiten für Unterneh- men. Dann kann es aufwärtsgehen. (Beifall bei der FDP) Was soll denn die Telekom als Global Player machen? Sollte sie warten, bis sie pleite ist, oder sollte sie jetzt auf die neuen Anforderungen in der Welt und im Lande re- agieren? Die Telekom muss etwas unternehmen. Sie darf nicht einfach abwarten, bis es nicht mehr weitergeht. Das, was die Manager der Telekom jetzt tun müssen, tun sie sicherlich nicht gerne. Aber sie müssen es tun, damit das Unternehmen überlebt. (Beifall bei der FDP – Zuruf von der LIN- KEN: Wo leben Sie denn?) Zu diesem Zweck muss rationalisiert werden. Ansonsten geht es nicht voran. Wir müssen eine Flexibilisierung beim Kündigungs- schutz und beim Tarifrecht durchführen, (Beifall bei der FDP – Zuruf von der CDU/ CSU: Nicht schon wieder! Das ist doch nun wirklich ein liberaler Ladenhüter! – Zuruf von der LINKEN: Das ist der größte Quatsch!) ohne allerdings die Rechte der Arbeitnehmer zu be- schneiden. (Ulrich Kelber [SPD]: Ja, eben!) Die Arbeitnehmer sind das Kapital eines Unternehmens. Niemand will ihre Rechte einschränken. Aber ein Unter- nehmen kann nur dann überleben, wenn es kostende- ckend und rational arbeitet. (Beifall bei der FDP) Nun komme ich zu den kleinen und mittelständischen Betrieben. In diesen Unternehmen werden in Deutsch- land Arbeitsplätze geschaffen. Aber die Inhaber dieser Unternehmen haben häufig das Haus, den Hof und die eigene Großmutter bei der Bank verpfändet. (Jürgen Koppelin [FDP]: Ja! Wer noch eine hat, der macht das! Die Linken würden ihre verkaufen; das steht fest!) In diesen Betrieben ist der Urlaubsanspruch geringer, und es muss 60 Stunden pro Woche gearbeitet werden. Diese Betriebe sind dafür verantwortlich, dass es in un- serem Land aufwärtsgeht. Das wird immer wieder ver- kannt. (Zuruf von der LINKEN: Sind Sie eigentlich im- mer noch beim Thema der aktuellen Debatte?) Die hohen Kosten führen einerseits zu Entlassungen und andererseits dazu, dass viele Unternehmen davor zu- rückschrecken, Leute einzustellen. Stattdessen wird auf Subunternehmer oder Leiharbeitnehmer ausgewichen. (Katrin Kunert [DIE LINKE]: Ich würde jetzt ins Erzgebirge zurückfahren! Das muss ich Ih- nen sagen!) Ich kann Ihnen versichern: Wenn wir nicht endlich die Reformen durchführen, die wir in diesem Land brauchen – ich meine richtige Reformen und nicht solche Reförm- chen, die ständig gemacht werden –, (Beifall bei der FDP) dann wird der gegenwärtige Aufschwung nicht lange Bestand haben. Aber trotz des Aufschwungs – der ein Weltmarktaufschwung ist und nicht Erfolg der Bundes- regierung – nimmt die Bundesregierung die notwendi- gen Reformen nicht in Angriff. (Zuruf von der CDU/CSU: Wenn Sie in der Regie- rung wären, würden Sie das anders sehen!) Das ist das Problem, das wir haben. Wir müssen uns ent- scheiden: Reformen und Aufschwung oder so weiter- wursteln. In diesem Sinne ein herzliches Glückauf aus dem Erz- gebirge. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Lachen bei der PDS) Präsident Dr. Norbert Lammert: Auf unserer touristischen Tour durch Deutschland er- hält nun das Wort der Kollege Martin Dörmann für die SPD-Fraktion. (Ulrich Kelber [SPD]: Aus Köln!) – Das wird er sicherlich freiwillig vortragen. Martin Dörmann (SPD): Glück auf, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Obwohl die Arbeitslosenzahl im Vergleich zum Vorjahr um mehr als 800 000 zurückgegangen ist, werden wir immer wieder von Meldungen aufge- schreckt, nach denen gerade deutsche Großunternehmen in erheblichem Umfang Personal abbauen. Aktuelle Bei- spiele sind Allianz, Schering, die Deutsche Bank oder Airbus. Die Hintergründe sind jeweils sehr unterschied- lich. Gemeinsam haben sie, dass die Ursachen für den Abbau von Arbeitsplätzen im Unternehmen selbst bzw. im Marktumfeld liegen. Sie sind also weder von den Be- schäftigten noch von der Politik zu verantworten. Bei ei- nigen Unternehmen spielen gravierende Management- fehler eine entscheidende Rolle. In einigen Fällen wird Personal abgebaut, obwohl die Ertragslage des Unter- nehmens sehr gut ist. Die SPD fordert deshalb gerade die Großunterneh- men auf, ihrer Verantwortung für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gerecht zu werden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. März 2007 8745 (A) (C) (B) (D) Martin Dörmann Oft wird – aus unserer Sicht: zu früh und zu einseitig – vor allem im Personalabbau das Allheilmittel für größere Produktivität gesehen. Stattdessen sollten mehr und rechtzeitig gezielte Innovationen, intelligente Produkt- entwicklungen, stetige Weiterbildung der Beschäftigten und andere Maßnahmen der Beschäftigungssicherung durchgeführt werden. Insofern brauchen wir einen deut- lichen Mentalitätswechsel zumindest in einem Teil der Wirtschaft; denn nicht der Abbau, sondern der Erhalt von Arbeitsplätzen sollte oberste Priorität haben. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) In der aktuellen Debatte in den letzten Tagen spielt der geplante Personalumbau bei der Deutschen Telekom AG eine besondere Rolle. Deshalb möchte ich hierauf etwas näher eingehen. Erinnern wir uns: Die Privatisierung der Telekom und die Öffnung des Telekommunikationsmark- tes haben zu einem scharfen Wettbewerb und zu deutlich günstigeren Preisen für die Verbraucherinnen und Ver- braucher geführt. Es geht um Absenkungen von bis zu 96 Prozent. Heute zahlen wir beispielsweise für ein In- landsgespräch nicht mehr 30 Cent wie 1997, sondern ge- rade einmal 1 Cent. Parallel dazu sank die Zahl der Be- schäftigten bei der Telekom innerhalb Deutschlands von 255 000 im Jahr 1990 auf 166 000 im Jahr 2006, während bei den Wettbewerbern etwa in gleichem Umfang Be- schäftigung aufgebaut wurde. Der Personalabbau bei der Telekom erfolgte stets – das ist ganz besonders wichtig – sozialverträglich, das heißt ohne betriebsbedingte Kündi- gungen, durch natürliche Fluktuation oder durch freiwil- lige Instrumente. Ich denke, dies ist ein positives Beispiel dafür, dass man auch einen schwierigen Strukturwandel sozial gestalten kann. Der Bund ist noch zu knapp 32 Prozent Anteilseigner; das wurde gerade erwähnt. Auch wenn der Bund schon aus aktienrechtlichen Gründen nicht direkt in unterneh- merische Entscheidungen eingreifen kann, hat seine Be- teiligung doch indirekt dazu beigetragen, dass der Stel- lenabbau – im Gegensatz zu manch anderen Unternehmen – sozialverträglich erfolgte. Auch unter diesem Gesichtspunkt sollte der Bund nach Ansicht der SPD-Fraktion auf absehbare Zeit mindestens 25,1 Pro- zent der Aktienanteile an der Telekom behalten, um eine Sperrminorität sicherzustellen. (Beifall bei der SPD) Von dem geschilderten Personalabbau zu unterschei- den sind die aktuellen Umbaupläne bei der Telekom. Sie zielen auf eine bessere Servicequalität, Beschäftigungs- sicherung und Kostensenkungen ab. Ein zentraler Punkt dieses Konzepts ist die Gründung von drei neuen Gesell- schaften unter der Bezeichnung T-Service. Geplant ist insbesondere die Überführung von bis zu 50 000 Be- schäftigten zu T-Service, die allerdings weiterhin – das ist wichtig – unter dem Dach des Konzerns bleiben sol- len. Es geht also nicht um einen weiteren Personalabbau, sondern um einen Umbau innerhalb des Konzerns. Die Unternehmensleitung erhofft sich hierdurch eine bessere Wettbewerbsfähigkeit angesichts von 2 Millionen Kun- den, die die Telekom alleine 2006 im Festnetzbereich verloren hat. Es ist allerdings mehr als verständlich, dass die Be- schäftigten die bei T-Service geplanten Einsparungen bei den Personalkosten durch längere Arbeitszeiten und eine Absenkung des Entgeltes kritisch sehen. Es ist nun Sa- che der Tarifvertragsparteien, die konkreten Arbeitskon- ditionen bei T-Service zu vereinbaren. In politischer Hinsicht ist aber zu wünschen, dass bei den anstehenden Tarifverhandlungen gemeinsame Lö- sungen gefunden werden, die sowohl den Interessen der Beschäftigten als auch der Wettbewerbssituation der Deutschen Telekom gerecht werden müssen. Meiner An- sicht nach darf es aber nicht zu radikalen Einschnitten bei den Beschäftigten kommen. Denn es kann nicht das Ziel sein, einen Lohnwettkampf nach unten zu führen. Außerdem braucht die Telekom auch weiterhin moti- vierte Beschäftigte. Es ist aber angesichts der schwierigen Marktsituation, in der sich die Telekom befindet, unrealistisch, davon auszugehen, dass keinerlei Veränderungen notwendig sind. Man wird abwarten müssen, was die anstehenden Tarifverhandlungen ergeben. Ich hoffe auf gemeinsam getragene Lösungen. Immerhin gibt es ein positives Signal bei den Auszu- bildenden. Die Deutsche Telekom und Verdi haben sich darauf verständigt, dass auch 2007 wieder 4 000 junge Menschen neu eingestellt und mindestens 1 000 Nach- wuchskräfte vor allem in den Serviceeinheiten übernom- men werden. Damit ist die Telekom nach wie vor das Unternehmen mit den meisten Auszubildenden in Deutschland. Ich denke, diese Einigung gibt Hoffnung. Sie sollte auch Vorbild für andere sein. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Nächster Redner ist der Kollege Kai Wegner für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Kai Wegner (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man re- gelmäßig die Ausführungen der Linkspartei.PDS in die- sem Haus verfolgt, dann könnte man den Eindruck ge- winnen, die deutsche Wirtschaft bestehe nur aus seelenlosen Großunternehmern, die feuern und heuern wie zu Zeiten des Manchesterkapitalismus. (Zuruf von der LINKEN) – Es freut mich, dass Sie das bestätigen. – Diese ständi- gen Behauptungen Ihrerseits sind aber nicht nur unwahr und populistisch, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linkspartei.PDS, sondern obendrein auch unverant- wortlich. (Kornelia Möller [DIE LINKE]: Wie wäre es denn mit Sachorientierung?) 8746 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. März 2007 (A) (C) (B) (D) Kai Wegner Die anhaltend gute Konjunktur – das ärgert Sie offen- sichtlich – hat den Arbeitsmarkt in Deutschland längst erreicht und bestätigt den von der Bundesregierung ein- geschlagenen Kurs. Binnen Jahresfrist erhöhte sich die Zahl der Erwerbstätigen in Deutschland um fast eine halbe Million. Die Tendenz ist steigend. Der überaus positive Saldo der Arbeitsmarktzahlen soll aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es auch Stellenabbau gegeben hat. Die medienwirksamsten Fälle wurden bereits angesprochen; sie sind allgemein be- kannt. In der Regel handelt es sich hierbei in der Tat um Managementfehler, die man wahrlich nicht der Bundes- regierung zuschreiben kann. In meinem Wahlkreis Berlin-Spandau befinden sich zahlreiche Industrieunternehmen. Auch dort gab es in den letzten Jahren Werksschließungen und Stellenabbau. In meinen Gesprächen mit den Betroffenen konnte ich die Verzweiflung spüren. Entlassungen sollten für ein Unternehmen niemals eine leichte Entscheidung sein. Besonders bei größeren Unternehmen muss sich das Management auch und ge- rade seiner sozialen Verantwortung bewusst sein und be- denken, was es für einen Arbeitnehmer oder eine Arbeit- nehmerin und deren Familien bedeutet, wenn er oder sie entlassen wird. Deshalb ist es für mich völlig unverständlich, wenn große Konzerne medienwirksam Rekordgewinne ver- künden und im nächsten Augenblick einen drastischen Stellenabbau ankündigen. (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Ge- nau das ist unser Problem!) – Ich hoffe, Sie bestätigen gleich meinen nächsten Punkt. – Unverständlich ist für mich aber auch die Wirt- schaftspolitik der Linkspartei.PDS. Sie ist nicht nur un- verständlich, sondern auch erfolglos, wie die Zahlen in Berlin zeigen, wo Sie den Wirtschaftssenator stellen. (Beifall bei der CDU/CSU) Statt sich um Investoren in dieser Stadt zu kümmern – ich denke dabei zum Beispiel an den Flughafen Tem- pelhof –, ruft Ihr Senator indirekt zum Boykott von Pro- dukten von Bayer Schering Pharma auf. (Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Das ist ja unglaublich!) Diese Reaktion auf den angekündigten Stellenabbau ist wohl kaum dazu geeignet, irgendeinen Arbeitsplatz bei Bayer Schering Pharma zu retten. Vielmehr macht dieses Beispiel Ihr gestörtes Verhältnis zur Wirtschaft deutlich. (Beifall bei der CDU/CSU) Anstatt um Investoren zu werben, werden diese in der Bundeshauptstadt beschimpft und vergrault. Berlin ver- liert nach und nach seine industrielle Grundlage, und den PDS-Wirtschaftssenator Wolf kümmert das nicht einmal. (Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Unglaub- lich!) Bevor Sie andere verantwortlich machen, sollten Sie ganz genau dahin schauen, wo Sie regieren und wo Sie Verantwortung tragen. Ich schlage Ihnen vor: Korrigie- ren Sie Ihre verfehlte Wirtschaftspolitik. Die können Sie korrigieren; denn dafür tragen Sie Verantwortung. (Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch bei der LINKEN) – Das zeigen Ihre Zwischenrufe nur zu deutlich. Ich freue mich darüber. Ich verstehe bis heute nicht – ich hoffe, dass Sie es mir irgendwann einmal erklären werden –, warum Sie immer noch der Planwirtschaft nachtrauern. Begreifen Sie endlich: Staatswirtschaft und Planwirtschaft haben ausgedient. Es ist vorbei. Warum hat die Planwirtschaft ausgedient? Weil sie im Staatsbankrott endete. Das müs- sen Sie viel besser wissen als ich. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Ralf Brauksiepe [CDU/CSU]: Das muss man ihnen immer wieder sagen!) Meine Damen und Herren von der Linkspartei, PDS, statt Unternehmer zu schelten und mit Unterstellungen zu arbeiten, sollten wir darüber diskutieren, wie wir Be- schäftigung in Deutschland erhalten und ausbauen kön- nen. Die großen Unternehmen kennt jeder. Sie werden viel zu oft mit der deutschen Wirtschaft gleichgesetzt. Die Realität in diesem Land sieht aber anders aus. 99,7 Prozent von 3,4 Millionen Unternehmen in Deutschland gehören zum Mittelstand. Er ist der Jobmo- tor unserer Wirtschaft und sichert den weitaus größten Teil der Arbeitsplätze in Deutschland. Damit das auch zukünftig so bleibt, muss der Mittelstand weiterhin im Fokus der Bundesregierung stehen. Ich bin ganz optimistisch – die Zahlen zeigen, dass der Mittelstand wieder einstellt –, dass es im Mittelstand vorangeht. Der Mittelstand ist wieder optimistisch. Es gibt mehr Optimisten in unserem Land und damit Poten- zial für neue Arbeitsplätze. Einzig und allein Sie von der Linkspartei, PDS haben das noch nicht verstanden und verwalten Depressionen in unserem Land, die wir nicht gebrauchen können. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich möchte meine Rede mit einem Dank an die klei- nen und mittelständischen Unternehmer beenden. Sie leisten einen Beitrag für die Zukunft ihrer Unternehmen und auch für die Zukunft unseres Landes. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun der Kollege Dr. Herbert Schui für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. März 2007 8747 (A) (C) (B) (D) Dr. Herbert Schui (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Dobrindt hat mir das Stichwort geliefert. Es geht eigent- lich gar nicht um ein einzelnes Unternehmen, sondern ums Ganze. Das Ganze findet – das gilt auch für die Te- lekom – seinen Anfang bei der Gründung des Gemeinsa- men Marktes als Vorläufer der EU. Die Idee beim Gemeinsamen Markt war Deregulierung auf den Güter- märkten einschließlich der Dienstleistungen als ökono- mische Güter und darin eingeschlossen die Telekommu- nikation. Wenn es doch nur bei der Deregulierung der Gütermärkte geblieben wäre! Dass sich das Telefonieren verbilligt hat, wie Herr Dörmann von der SPD sagte, liegt nicht an der Deregu- lierung oder an der Öffnung des Marktes, sondern vor al- len Dingen daran, dass sich eine völlig neue Technik in diesem Bereich durchgesetzt hat. (Martin Dörmann [SPD]: Das ist eine Kombi- nation!) Das ist die logische Konsequenz gerade bei den Tele- kommunikationsmärkten. Das ist der entscheidende Punkt. Durch ein wenig Deregulierung können Sie die Preise nicht senken. Das können Sie nur, wenn die pro- duktionstechnische Voraussetzung gegeben ist. Lassen wir es dabei. Die Grundlage ist, dass über die Deregulierung auf den Gütermärkten gleichzeitig Wettbewerb auf den Ar- beitsmärkten geschaffen worden ist. Nun ist es so, dass die Neueinsteiger im Geschäft der Telekommunikation, die nicht an Tarifverträge gebunden sind, die Löhne sehr weit drücken können. Herr Haustein von der FDP hat ausdrücklich nochmals Flexibilität auf den Arbeitsmärk- ten gefordert. (Heinz-Peter Haustein [FDP]: Richtig!) Das wird den Lohn so lange drücken, bis fast niemand mehr von der Masse der Bevölkerung telefonieren kann. Dann haben Sie Ihr Ziel erreicht. (Beifall bei der LINKEN) Dann wird Ihnen wahrscheinlich immer noch nicht deut- lich werden, dass die Entwicklungsmöglichkeiten der Unternehmen auch davon abhängen, wie hoch die Mas- seneinkommen und damit die Löhne sind. Das ist ein ganz entscheidender Punkt. (Beifall bei der LINKEN) Sie haben der EU also zu einem schlechten Start ver- holfen. Die Deregulierung auf sämtlichen Märkten, da- mit verbundene Lohnsenkungen, das Infragestellen und der Abbau der Sozialsysteme, all das führt dazu, dass die EU keine Staatsidee mehr formulieren kann. Wenn Sie über Deregulierung und dergleichen sprechen, dann kön- nen Sie doch nicht in Analogie zur Begründung der Französischen Republik über Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit reden und auch nicht über das, was in der Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten steht. Das Einzige, worüber Sie dann noch reden können, sind freie Märkte. Das ist keine Staatsidee. So wird aus der EU niemals ein souveräner Staat. Das ist das Problem. Wenn Sie so weitermachen, dann wird es selbstver- ständlich niemals zu einer EU-Verfassung kommen. Die Erklärungen dafür werden Sie damit zurückweisen, dass sie populistisch – so hat es Herr Wegner von der CDU/ CSU ausgedrückt – seien. Was ist Ihrer Auffassung nach populistisch? Immer dann, wenn ein unmittelbar einsich- tiges und richtiges Argument vorgetragen wird, wenn die Mehrheit des Volkes dieses Argument bereits verstanden hat und zu Aktionen neigt, wenn die Politiker allerdings überhaupt noch nicht begriffen haben, worum es geht, erklären ebendiese Politiker dieses Argument für popu- listisch und versuchen, sich aus der Argumentation he- rauszuwinden. (Beifall bei der LINKEN) Das ist ein lausiger Trick. (Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Wir wollen keinen europäischen Staat!) – Wenn Sie keinen europäischen Staat wollen, dann brin- gen Sie doch eine Demarche vor, die den Austritt aus der EU zum Inhalt hat. Warum sind Sie für den Verfassungs- vertrag, wenn Sie keinen europäischen Staat wollen? (Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun!) Dann können Sie diese ganze Angelegenheit doch ableh- nen. Mein letzter Punkt bezieht sich auf den Mittelstand. In einem Antrag, den die FDP vor einem Jahr einge- bracht hat, habe ich gelesen, dass Mittelstand eine Gei- steshaltung ist. (Heiterkeit bei der LINKEN) Daraufhin habe ich bei einigen philosophischen Fakultä- ten nachgefragt, ob Mittelstand eine Geisteshaltung sein könne. Die Reaktion war bedenkliches Kopfschütteln; eine richtige Auskunft habe ich nicht bekommen. Man konnte sie mir nicht geben. Es hieß, so etwas gibt es nicht. Dem Mittelstand geht es gut, wenn die gesamtwirt- schaftliche Nachfrage groß ist. (Beifall bei der LINKEN) Dann können mittelständische Unternehmer mehr Leute einstellen und ihre Produktionstechnik verbessern. Ihr Bild von der Wirtschaft ist romantisierend, wenn Sie glauben, dass nur der mittelständische Unternehmer auf- grund der ihm eigenen mittelständischen Gesinnung dann in der Lage ist, mehr zu produzieren, mehr Arbeits- plätze zu schaffen – und zwar unabhängig von der ge- samtwirtschaftlichen Nachfrage, unabhängig vom Mas- seneinkommen –, wenn er hofiert wird und wenn die Arbeitsverhältnisse flexibilisiert werden. Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege Schui! Dr. Herbert Schui (DIE LINKE): Sofort. – Sie können die Wirtschaftstheorie mit Ihrem Mythos vom Mittelstand nicht ersetzen. 8748 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. März 2007 (A) (C) (B) (D) Dr. Herbert Schui Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN – Heinz-Peter Haustein [FDP]: Sie haben nichts verstanden! Das ist das Problem! Sie müssen zuhören! – Dr. Rainer Wend [SPD]: Das war populis- tisch!) – Das war populär. (Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Das war ganz schlimmer Unfug!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort hat nun die Kollegin Katja Mast für die SPD-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Katja Mast (SPD): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren in dieser Aktuellen Stunde über die Personalpolitik großer Unternehmen in Deutschland. Die Politik, also wir, kann in unserer Marktwirtschaft in die Führung von Unternehmen nur begrenzt eingreifen. Ich spreche hier als Arbeitsmarkt- politikerin und zeige in meiner Rede daher auf, wo un- sere Arbeitsmarktpolitik steuernd eingreifen und gestal- ten kann. Ich beginne mit einem Beispiel aus der Telekommu- nikationsbranche. Ein in Vollzeit beschäftigter Mitarbei- ter in einem Callcenter wird tariflich mit ungefähr 1 600 Euro netto im Monat entlohnt. Ein vergleichbarer Callcenterangestellter eines Billiganbieters verdient nur ungefähr 800 Euro netto im Monat, also nur die Hälfte. Diese Entgeltstruktur hat natürlich Auswirkungen auf das Preisniveau der angebotenen Dienstleistungen. Nun seien wir mal ehrlich! Bei welcher Telefonaus- kunft rufen wir an? Wählen wir, wenn wir zu Hause tele- fonieren, einen preiswerten Anbieter, der auch preiswert beschäftigt? Natürlich schauen Verbraucher auf den Preis, aber auch auf Qualität. Doch wer glaubt, dass wir diesen Unterschied im Lohngefüge nur durch Qualität ausgleichen können, der irrt. Das Beispiel zeigt den Wettbewerbsdruck, unter dem beispielsweise die Telekom steht. Dynamik in der Perso- nalstruktur ist ein normaler Vorgang. Der Staat – und da- mit das Arbeitsrecht – kann in engen Grenzen Einfluss nehmen, wenn unternehmerische Entscheidungen darauf abzielen, Unternehmensstrukturen zu ändern, betriebli- che Organisationen umzugestalten, einen Standortwech- sel vorzunehmen oder Einsparungen von Arbeitskräften zu veranlassen. Gerade das Beispiel der Telekom zeigt aber, dass es jetzt an den Betriebsparteien liegt, einerseits die notwen- dige Verbesserung der Servicequalität und andererseits den Erhalt von Arbeitsplätzen miteinander in Einklang zu bringen. Beschäftigungssicherung muss dabei natür- lich ein Ziel sein. Aber auch dann, wenn ich hier auf die Verantwortung der Betriebsparteien verweise, gilt: Politik kann handeln. Ich bin stolz darauf, dass wir bei den Koalitionsverhand- lungen eine Verständigung darüber erreicht haben, die Mitbestimmung in Deutschland so zu erhalten, wie sie war – auch heute noch ist –, (Beifall bei der SPD) und zwar bevor wir uns mit den Kolleginnen und Kolle- gen von der Union an einen Tisch gesetzt haben. (Ulrich Kelber [SPD], zur CDU/CSU ge- wandt: Das steht im Koalitionsvertrag! Da müsst ihr klatschen!) Bezogen auf die Telekom heißt das: Die Telekom plant derzeit, ihren Servicebereich umzustrukturieren und in Servicegesellschaften zu überführen. Die neuen Servicegesellschaften werden unter dem Dach der Deut- schen Telekom AG bleiben. Für circa 50 000 Mitarbeiter bedeutet dies eine Überführung und nicht eine Auslage- rung. Aufgrund des von mir skizzierten deutschen Mit- bestimmungsrechts ist es aber nicht möglich, den Tele- kommitarbeitern von heute auf morgen zu kündigen, ihr Gehalt zu kürzen oder ihre Arbeitszeit einfach mal so zu verlängern. Hier hat die Politik den Betriebspartnern durch die Mitbestimmung große Gestaltungsspielräume ermöglicht. Darauf bin ich als Sozialdemokratin stolz – da bin ich ganz ehrlich –; denn Mitbestimmung ist für uns ein hohes Gut in Deutschland. Um die Möglichkeiten des politischen Handelns aber noch an einem anderen Beispiel konkret zu machen, gehe ich auf die aktuelle Debatte bei den Postdienstleis- tern ein. Minijobs und Armutslöhne bei den neuen Post- dienstleistern verdrängen bei der Deutschen Post AG so- zialversicherungspflichtige Arbeitsplätze mit tariflicher Bezahlung. Bei den neuen Postdienstleistern gibt es fast nur prekäre Beschäftigungsverhältnisse. Diese taugen nur als Hinzuverdienstmöglichkeit mit Zweitjob oder zum Bezug von aufstockendem Arbeitslosengeld II – trotz Vollzeitarbeit. Aber auch hier kann Politik handeln und ist nicht machtlos. (Werner Dreibus [DIE LINKE]: Was?) Das zeigen uns 20 europäische Nachbarstaaten, (Katrin Kunert [DIE LINKE]: Genau!) die einen Mindestlohn eingeführt haben. (Beifall bei der SPD und der LINKEN) Diese Länder sorgen mit ihren Mindestlöhnen für Min- deststandards. In Deutschland haben wir soziale Min- deststandards bereits im Arbeitsschutz, Jugendschutz, Kündigungsschutz und Arbeitszeitgesetz. Nun ist es meiner Meinung nach an der Zeit, (Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Aufzuhö- ren!) mit gesetzlichen Regelungen zum Thema Mindestlohn aktiv zu werden. Für das Baugewerbe haben wir mit dem Entsendege- setz schon eine tragfähige Lösung gefunden. Heute Mit- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. März 2007 8749 (A) (C) (B) (D) Katja Mast tag haben wir bereits entschieden, das Entsendegesetz auf die Gebäudereinigerbranche auszuweiten, (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Das reicht aber nicht! – Ulrich Kelber [SPD]: Wei- tere werden folgen!) und werden somit für 850 000 Beschäftigte in dieser Branche ordentliche Löhne garantieren können. (Beifall bei der SPD) Wir alle wissen, zu welchen Bedingungen Putzfrauen und Putzmänner derzeit in Deutschland arbeiten, gerade auch Putzkräfte aus anderen Ländern, speziell hier in Berlin. Aber wir haben es in der Großen Koalition ge- schafft, dass 850 000 Menschen in Deutschland von die- sem Mindestlohn profitieren. Auch darauf sind wir Sozi- aldemokraten stolz. (Beifall bei der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Der Kollege Peter Weiß hat nun das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. (Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Es wäre schon mal interessant, zu erfahren, was die Grünen zu der Debatte sagen!) Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Können die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in dieser von der Linkspartei beantragten Aktuellen Stunde, die am Freitagnachmittag unter massivem öffentlichen Interesse stattfindet, wirklich etwas Positives erfahren? (Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Die Rede von Herrn Schui hat niemand verstan- den!) Wenn man die Reden der beiden Vertreter der Links- partei zusammenfasst, stellt man erstens fest, dass sie suggerieren, der Staat, die Bundesregierung könne regu- lierend in den deutschen Arbeitsmarkt eingreifen. (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Sie ist dazu verpflichtet!) So soll es Ihrer Meinung nach sein. Das Bild des Staatsdirigismus, der Planwirtschaft, das die DDR seli- gen Angedenkens in den Staatsbankrott getrieben hat, (Zurufe von der LINKEN: Oh!) soll nun auf die ganze Bundesrepublik ausgedehnt wer- den. Das ist das Modell. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Ich finde, das ist ein Schreckensszenario für die Arbeit- nehmerinnen und Arbeitnehmer in unserem Land. (Lachen bei der LINKEN) Zweitens. Die Botschaft der Rede des Kollegen Schui lautet: Monopole haben etwas Gutes. Er ist gegen Dere- gulierung und gegen die Öffnung der Märkte. Er hat für Monopolwirtschaft gesprochen. Es ist doch ein Segen, dass wir heute auswählen können, dass Angebot und Nachfrage den Preis bestimmen, dass nicht Monopolun- ternehmen in verschiedenen Sektoren den Bürgerinnen und Bürgern die Preise diktieren, gleich ob sie angemes- sen sind oder nicht. Das ist mit Blick auf den Arbeits- markt, auf die Möglichkeiten der Verbraucherinnen und Verbraucher in unserem Land und auf die Chancen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ein Schreckens- bild. Arbeitsplätze und wirtschaftlicher Fortschritt wach- sen unter Wettbewerbsbedingungen und nicht bei Mono- polstrukturen. (Heinz-Peter Haustein [FDP]: Sehr gut!) Die Linkspartei malt hier ein Schreckensbild an die Wand. Die Politik muss Rahmenbedingungen schaffen. Die Verantwortung für das konkrete wirtschaftliche Handeln der einzelnen Unternehmen liegt zuallererst beim Ma- nagement. In der Tat erwarten wir auch und gerade von den Unternehmen, an denen der Bund noch beteiligt ist, dass das Management zielgerichtete, zukunftsweisende Entscheidungen trifft. Natürlich wünschen wir auch der Telekom wirtschaftlichen Erfolg. Wir wünschen, dass sie sich so aufstellt, dass sie im Wettbewerb mit anderen be- stehen kann, dass sie sich auf die Zukunft ausrichtet. Mitverantwortung für die Entscheidungen des Ma- nagements tragen auch diejenigen, die die Aufsicht füh- ren. In einem mitbestimmten Unternehmen wie der Deutschen Telekom tragen übrigens beide Seiten, Ar- beitnehmerseite und Arbeitgeberseite, in gleichem Maße – der Aufsichtsrat ist paritätisch besetzt – die Verantwor- tung. Es ist natürlich bedauerlich, dass diese beiden Sei- ten in der letzten Aufsichtsratssitzung unterschiedlich abgestimmt haben und die Entscheidung durch die Stimme des Aufsichtsratsvorsitzenden gefällt wurde. (Frank Spieth [DIE LINKE]: Das ist Wirt- schaftsdemokratie!) An diesem Beispiel lässt sich sehr gut zeigen, dass zu einem erfolgreichen Management auch gehört, die Zu- sammenarbeit, den Konsens mit den Arbeitnehmerver- treterinnen und den Arbeitnehmervertretern zu suchen und solche Kampfabstimmungen, wie sie bei der Tele- kom stattgefunden haben, möglichst zu vermeiden. In einer solchen Aktuellen Stunde sollte man keine Nebelkerzen werfen. Die Verantwortung für die Ent- scheidungen in den Großunternehmen unseres Landes – das gilt auch für die Telekom – liegt nicht bei der Bun- desregierung. Sie liegt auch nicht in den Händen von uns Abgeordneten des Deutschen Bundestages. Sie liegt zu- allererst bei den Unternehmen, bei der Unternehmens- führung und bei denjenigen, die als Mitglieder des Auf- sichtsrates die Aufsichtspflicht über diese Unternehmen wahrnehmen. Deswegen können die Arbeitnehmerinnen und Ar- beitnehmer aus dieser Aktuellen Stunde nur eines mit- nehmen: Das, was wir Politiker machen können – das liegt in unserer Verantwortung –, ist, die richtigen Rah- menbedingungen zu setzen. (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Rich- tig! Genau!) 8750 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. März 2007 (A) (C) (B) (D) Peter Weiß (Emmendingen) Dass wir nach Jahren des Arbeitsplatzabbaus in Deutschland unter dieser Großen Koalition endlich die Trendwende geschafft haben, ist für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Großbetrieben ebenso wie für Ar- beitnehmerinnen und Arbeitnehmer in kleinen und mit- telständischen Betrieben, die der eigentliche Jobmotor bei uns in Deutschland sind, die erfreuliche Nachricht. Es geht wieder aufwärts. Es entstehen wieder Arbeits- plätze in Deutschland. Die Arbeitslosigkeit geht deutlich zurück. Diese Bundesregierung ist auf dem richtigen Weg. Sie setzt die richtigen Rahmenbedingungen für eine erfolgreiche Wirtschaft und damit für neue Arbeits- plätze in Deutschland. Auf diesem Weg wollen wir sie tatkräftig weiter unterstützen. Vielen Dank und ein schönes Wochenende. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Ich fände es gut, wenn die Grünen auch einmal dran- kämen!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Nächster Redner ist der Kollege Ulrich Kelber für die SPD-Fraktion. (Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Herr Kelber, reden Sie für die Grünen mit?) Ulrich Kelber (SPD): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- ren! Der Titel dieser Aktuellen Stunde ist recht allge- mein gehalten. Aber natürlich geht es um die Zukunft der Arbeitsplätze bei der Deutschen Telekom. Wir wis- sen, es soll bei der Deutschen Telekom keine Entlassun- gen geben. Aber für die Beschäftigten geht es um die Qualität ihrer Arbeitsbedingungen, um die Höhe ihrer Löhne. Viele haben Angst, dass der Ausgründung in eine neue Gesellschaft irgendwann der Verkauf dieser Gesell- schaft folgen könnte, auch wenn das Management hier beruhigt. (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: So ist es!) Politik muss diese Ängste und diese reale Bedrohung von Arbeitsverhältnissen ernst nehmen. Das heißt aber nicht, dass wir jetzt aufgefordert sind, wohlfeile Forde- rungen an das Unternehmen zu stellen. Die neue Leitung der Deutschen Telekom steht vor großen Herausforde- rungen, um die knapp 200 000 Arbeitsplätze auf Dauer gegen einen aggressiven Wettbewerb zu sichern. Die Probleme der Deutschen Telekom sind sicher auch hausgemacht, sind Folgen früherer Fehlentschei- dungen des Managements, aber auch Folgen der beson- deren Belastungen im Vergleich zu den Wettbewerbern durch die Privatisierung vor zehn Jahren. Sie sind aber auch Folgen des Wettbewerbs auf dem Telekommunika- tionsmarkt. Dieser ist von der Politik gewollt. Durch seine Preissenkungen hat er den Internetboom der letzten Jahre überhaupt erst möglich gemacht. Stellen Sie sich einmal vor, auf die alten Telefonrechnungen wären Handy- und Internetkosten noch draufgekommen. Das hätte ein normaler Arbeitnehmer oder eine normale Ar- beitnehmerin nicht mehr bezahlen können. Von daher waren der technische Fortschritt und damit verbundene Preissenkungen natürlich gewollt. Aber dieser Wettbe- werb hinterlässt seine Spuren, tiefe Spuren. Nicht zuletzt sind aktuelle technische Neuerungen, vor allem die Umstellung auf internetprotokollbasierte Netze, eine entsprechende Herausforderung. Diese Netze benötigen nur noch 10 bis 20 Prozent des Perso- nals, das bei den alten Techniken notwendig war. Das ist die schwierige Aufgabe von Unternehmensleitungen, Beschäftigten und Gewerkschaften. Aber auch Politik hat eine Aufgabe. Aufgabe der Po- litik ist es, zu analysieren, welche Rahmenbedingungen auf dem Telekommunikationsmarkt in Deutschland und der Europäischen Union herrschen müssen, um niedrige Preise, modernste Technologie und gute Arbeitsbedin- gungen gleichwertig zu gewährleisten. Ein guter Anlass dafür ist die Überarbeitung der Regulierung des Telekommunikationsmarktes auf euro- päischer Ebene. Spätestens mit der Umrüstung auf inter- netprotokollbasierte Netze sinken die Markteintrittsbar- rieren für Wettbewerber noch einmal entscheidend. Das ist der Punkt, an dem man überlegen muss, ob man die bisherigen Formen der Regulierung eins zu eins fort- schreibt oder ob man auf ein klares Kartellrecht umstellt, um eine Regulierung, die Druck in Bezug auf Arbeits- verhältnisse macht und an bestimmten Stellen auch ein Hindernis für Investitionen in neue Arbeitsplätze ist, in ein normales Kartellrecht zu überführen. Wir müssen eine Antwort darauf finden, warum Deutschland und die Europäische Union bei den Investi- tionen in Telekommunikationsnetze hinter die USA, Asien und auch hinter das Europa, das nicht zur Europäi- schen Union gehört, zum Beispiel die Schweiz, zurück- fällt. Diese Investitionen sind die eigentliche Methode, um neue Nachfrage, neue Märkte und damit auch neue Arbeitsplätze zu schaffen. (Beifall des Abg. Arnold Vaatz [CDU/CSU]) In den USA entstehen neue Telekommunikationsgi- ganten, in Asien auch. In Zukunft werden sich aber nicht nur Telekommuni- kationsfirmen gegenseitig Konkurrenz machen, wie wir das heute noch – siehe Zeitungsbeilagen und Plakate – gewöhnt sind. Es werden ganz andere Firmen auftreten, denn die Ware Netz, also der Transport von digitalen Da- ten, wird immer preisgünstiger. Die Konkurrenten der Telekommunikationsfirmen wie der Deutschen Telekom heißen in Zukunft Google, Microsoft, Time Warner und Ebay. Diese unterliegen keiner marktspezifischen Regu- lierung, sondern werden im Gegenteil von der heutigen marktspezifischen Regulierung noch mit einem günsti- gen Zugang in die Netze versehen, während sie in ihrem eigenen Bereich zum Teil über natürliche Monopole ver- fügen, nämlich bei den Inhalten. (Heinz-Peter Haustein [FDP]: So ist es!) Telekommunikationsmarkt, Fernsehmärkte und Märkte anderer digitaler Medien wachsen zusammen. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. März 2007 8751 (A) (C) (B) (D) Ulrich Kelber Deutschland und Europa können auf Dauer nicht drei, sich zum Teil noch widersprechende, marktspezifische Regulierungen behalten. Wir brauchen eine einheitliche Regulierung entlang der Maßstäbe eines durchsetzungs- fähigen Kartellrechts. Es muss durchsetzungsfähig, aber auf Dauer nicht mehr marktspezifisch sein. Das schafft neue Luft für Unternehmen wie die Deutsche Telekom für Investitionen. Würden wir nur das Niveau der USA und der Schweiz bei Investitionen pro Kopf in die Tele- kommunikation erreichen, wäre das in der Europäischen Union eine Verdrei- oder Vervierfachung. Das wären al- lein für Deutschland zusätzliche 100 000 Arbeitsplätze. Der Markt für diese Dienstleistungen ist da. Darüber müssen wir sprechen und dann auch entsprechend han- deln. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort hat jetzt der Kollege Stefan Müller, CDU/ CSU-Fraktion. Stefan Müller (Erlangen) (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich finde, wir bestreiten am Freitagnachmittag eine sehr be- merkenswerte Debatte. Bemerkenswert sind insbeson- dere die Wortmeldungen der Kollegen von der Links- fraktion. (Beifall bei der LINKEN) Ich frage mich da in der Tat: Was hat es eigentlich den betroffenen Mitarbeitern der Telekom gebracht, was Sie hier heute zum Besten gegeben haben? Vor allem bei Ih- ren Einlassungen, Herr Dr. Schui, die doch sehr philoso- phisch waren, habe ich erhebliche Zweifel, ob das in der Sache irgendetwas bewirkt hat. Insofern habe ich schon die Frage zu stellen, inwieweit es notwendig war, diese Aktuelle Stunde durchzuführen, wenngleich ich Ihnen zugestehen will, dass wir uns politisch auch einmal ganz allgemein über dieses Thema unterhalten und uns genau ansehen müssen, was in den deutschen Großkonzernen so abläuft. Es wäre schön gewesen, wenn wir auch die Meinung der Grünen hätten erfahren dürfen. (Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Das wäre gut gewesen!) Leider war das heute am Freitagnachmittag nicht mög- lich. Wir verstehen das sicherlich alle. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will aber sagen, dass ich trotzdem dankbar für diese Debatte bin, gibt sie doch die Möglichkeit, darauf hinzuweisen, dass allen schlechten Nachrichten zum Trotz, die wir leider zur Kenntnis nehmen müssen, die Entwicklung auf dem Ar- beitsmarkt wirklich positiv ist. Ich darf Ihnen noch ein- mal vortragen, wie die Zahlen, die wir in der letzten Wo- che zur Kenntnis nehmen durften, aussehen. Wir haben im Vergleich zum Vorjahr einen Abbau der Arbeitslosig- keit um über 800 000 Personen. (Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Sehr gut!) Wir haben 150 000 jugendliche Arbeitslose unter 25 Jah- ren weniger als im Vorjahr. Wir haben im Vergleich zum Vorjahr 77 000 ältere Arbeitslose weniger. Wir haben vor allem 452 000 mehr sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse. 452 000 Menschen waren letztes Jahr noch arbeitslos und haben jetzt wieder eine Beschäftigung. Ich finde, auch diese Aktuelle Stunde ist durchaus dazu geeignet, sich noch einmal mit diesen Menschen zu freuen, die vor einem Jahr noch arbeitslos waren und jetzt wieder eine Beschäftigung haben. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP) Gleichwohl gebe ich durchaus zu, es gab und gibt ei- nen bedenklichen Abbau beim Personal, insbesondere bei großen deutschen Konzernen. Da ist die Telekom kein Einzelfall. Wir haben in den letzten Jahren dort lei- der einiges zur Kenntnis nehmen müssen. Ich möchte das nicht im Einzelnen vortragen; die Namen sind Ihnen allen bekannt, ob es nun BenQ, Schering, Alcatel, Allianz oder Marktkauf ist. Überall dort hat es einen Personalab- bau in erheblichem Maße gegeben. Ich schließe mich all denen an, die auch heute noch einmal die Gelegenheit genutzt haben, um deutlich zu machen, dass man kein Verständnis dafür haben kann, dass man auf Bilanzpres- sekonferenzen auf der einen Seite große Gewinne ver- kündet, auf der anderen Seite aber auf derselben Presse- konferenz sagt, wir müssen uns leider von einigen Tausend Mitarbeitern trennen. Dafür habe ich genauso wenig Verständnis. Deswegen ist es gut, dass wir da- rüber reden. Wenn man sich einmal die Bedeutung der DAX-Un- ternehmen ansieht, stellen wir fest, die 30 DAX-Firmen haben im letzten Jahr gut 27 Milliarden Euro an Gewin- nen ausgeschüttet. Sie haben 3,6 Millionen Menschen beschäftigt. Sie haben trotzdem in den letzten Jahren 44 000 Arbeitsplätze gestrichen. Herr Schui, wenn Sie sagen, Mittelstand sei eine Geis- teshaltung, (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Hat er nicht gesagt!) weise ich zumindest darauf hin, dass im Mittelstand seit 1995 2,4 Millionen neue Arbeitsplätze entstanden sind. Ich finde, wir sollten die Debatte heute dazu nutzen, uns bei den kleinen und mittleren Betrieben in unserem Lande dafür zu bedanken, dass sie den Mut aufgebracht haben, in einer schwierigen wirtschaftlichen Situation noch neue Arbeitsplätze zu schaffen, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der CDU/CSU – Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Mittelstand ist gut!) Trotzdem muss darauf hingewiesen werden, dass man Arbeitgeber braucht, wenn man Arbeitsplätze haben will. Wer möchte, dass Arbeitgeber Arbeitsplätze anbie- ten, muss insbesondere in der Politik dafür sorgen, dass die Rahmenbedingungen, in denen sich die Wirtschaft bewegt, wettbewerbsfähig ausgestaltet sind. 8752 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. März 2007 (A) (C) (B) (D) Stefan Müller (Erlangen) Ich finde, dass die Große Koalition seit ihrem Amts- antritt einiges vorzuweisen hat. Wir haben zum Beispiel den Beitragssatz zur Arbeitslosenversicherung zum 1. Januar dieses Jahres um 2,3 Prozent gesenkt. Auch da gilt die klare Ansage: Jeder finanzielle Spielraum, der noch in diesem Jahr aufgrund besserer wirtschaftlicher Entwicklung und verbesserter Entwicklung auf dem Ar- beitsmarkt entsteht, muss weitergegeben und genutzt werden, und zwar nicht für neue Arbeitsmarktpro- gramme, vielmehr muss er an die Beitragszahler zurück- gegeben werden. Jeder finanzielle Spielraum muss durch Senkung der Beiträge sichtbar werden. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir werden die Politik der Großen Koalition fortfüh- ren. Wir setzen den Bürokratieabbau fort. Auch darüber ist schon gesprochen worden. Wir werden noch in die- sem Jahr ein wettbewerbsfähiges Steuerrecht auf den Weg bringen. Das alles sind Dinge, die in letzter Konse- quenz – Sie werden es erleben – dafür sorgen, dass es aufgrund der Politik dieser Großen Koalition bis zur Bundestagswahl 2009 deutlich mehr sozialversiche- rungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse geben wird. Wir lassen uns auf diesem Weg nicht beirren. Wir wer- den so weitermachen. Eine konstruktive Mitarbeit der Opposition wäre erwünscht. Aber im Zweifel schaffen wir das auch allein. Herzlichen Dank und schönes Wochenende! (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Letzter Redner in dieser Aktuellen Stunde ist der Kol- lege Klaus Barthel für die SPD-Fraktion. Klaus Barthel (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir führen diese Diskussion bis zum Ende, weil wir deutlich machen wollen, dass wir bei dieser Thematik nichts zu verbergen haben und dieser Diskussion nicht auswei- chen müssen. Wir hätten diese Debatte nicht gebraucht, um uns klarzumachen, dass es zum Beispiel bei der Tele- kom um 50 000 Beschäftigte geht. Das sind mehr als zehnmal soviel wie bei Airbus, über die wir so viel dis- kutiert haben. Um die Dimensionen sichtbar zu machen: Es geht um ein Viertel aller Beschäftigten im gesamten Telekommunikationssektor. Es geht um ein Drittel der Inlandsbeschäftigten der Deutschen Telekom AG. Das sind ungefähr genauso viel, wie bei allen Wettbewerbern zusammen arbeiten. Um so viele Menschen geht es. Das ist ein neues Ausmaß des Beschäftigungsabbaus in der Branche. Es gibt bisher – wir haben es erlebt – jährlich etwa zehntausend Arbeitsplätze weniger bei der Telekom. Aber man muss dazu sagen: Die Gewerkschaften und die SPD haben gemeinsam dafür gesorgt, dass der Perso- nalabbauprozess bei der Telekom bisher ohne betriebs- bedingte Kündigungen ausgekommen ist und immer auf der Basis von betrieblichen und tarifvertraglichen Rege- lungen abgelaufen ist. Wir sind sehr froh darüber, dass wir das trotz aller Schwierigkeiten gemeinsam geschafft haben. (Beifall bei der SPD) Welche Verantwortung gibt es heute noch? Wir kön- nen natürlich viel über die Liberalisierung auf dem Tele- kommunikationsmarkt philosophieren. Das ist aber lei- der Geschichte. Wir müssen feststellen, dass sich der Markt aus einem Bündel von Gründen, die heute schon genannt worden sind und die ich nicht wiederholen will, in einer bestimmten Weise entwickelt. Die Telekom lei- det unter Sachzwängen, unter Wettbewerbsdruck, unter Regulierungsdruck und unter Managementfehlern. Die Frage lautet: Was können der Staat, was kann die Regierung in dieser Situation tun? Ich denke, eines kann sie nicht tun. Man muss sich nur einmal überlegen, was passieren würde, wenn sie das tun würde, was Sie von der Linkspartei sich offensichtlich vorstellen. Wenn heute ein Vertreter der Bundesregierung erklären würde, jetzt einmal so richtig in den Aufsichtsrat und in den Vorstand hauen zu wollen, weil das alles so nicht geht, dann möchte ich einmal wissen, was auf den Aktien- märkten passieren würde. Ich möchte wissen, ob ein ein- ziger Arbeitsplatz gesichert würde, wenn wir das so machten, wie Sie es gern hätten. (Beifall bei der SPD) Aber was kann man tun? Ich denke, wir müssen dem neuen Vorstand von Herrn Obermann eine Chance ge- ben. Denn er hat zwei richtige Ansätze. Er hat erstens gesagt, dass der Säulenegoismus im Konzern überwun- den werden muss. Zweitens hat er gesagt: Wir brauchen Service, Service, Service. Das heißt, Betriebsabläufe müssen reorganisiert werden, Arbeitsprozesse müssen verbessert werden, und die EDV muss in Ordnung gebracht werden. Das ist genau das, worauf die Mitar- beiterinnen und Mitarbeiter des Konzerns sehnsüchtig warten. Der Konzernbetriebsrat hat öffentlich deutlich gemacht, dass er hinter diesen Zielen steht. (Zuruf von der Linken) Wir rufen dem Herrn Obermann aber gleichzeitig zu, dass dieser Prozess eben nicht ohne qualifizierte und motivierte Mitarbeiter und nicht im Niedriglohnbereich funktioniert. Man kann den Beschäftigten nicht einfach erklären, dass sie eigentlich zu wenig arbeiten und zu viel verdienen. Der Prozess funktioniert nur mit den Be- schäftigten, den Betriebsräten, den Gewerkschaften, der Präsenz in der Fläche und stabilen Zukunftsperspektiven für die Beschäftigten. Das muss jetzt aber auf betriebli- cher Ebene und nicht hier im Deutschen Bundestag und nicht in der Bundesregierung ausgehandelt werden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Herr Kelber hat gesagt, dass wir eine Neujustierung der Regulierungspolitik brauchen. Das möchte ich unter- streichen. Wir brauchen Rahmenbedingungen auf dem Arbeitsmarkt – Stichwort: Mindestlohn –, und wir brau- chen eine Stabilität des jetzigen Minderheitsanteils des Staates, um eine Zerschlagung des Konzerns zu verhin- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. März 2007 8753 (A) (C) (B) (D) Klaus Barthel dern, wie uns die Beispiele in anderen Ländern gelehrt haben. Eines brauchen wir aber wirklich nicht: Populismus. Herr Schui, ich will hier nicht über einen europäischen Staat philosophieren, sondern nur sagen, was wir von Ih- nen in der Telekommunikationspolitik im letzten Jahr hier erlebt haben. Sie haben es abgelehnt, Vorruhe- standsregelungen bei der Telekom, bei der Post und bei der Bahn zu ermöglichen, obwohl die Konzerne sie selbst bezahlen wollten, indem Sie die Gesetze, mit de- nen wir das erlaubten, hier im Deutschen Bundestag ab- gelehnt haben. Sagen Sie das einmal den Beschäftigten und den Beamtinnen und Beamten der Telekom. (Beifall bei der SPD – Ulrich Kelber [SPD]: Gott sei Dank wissen sie das!) Sagen Sie den Beschäftigten der Telekom außerdem, dass wir bei der Regulierung nachjustiert haben, dass wir nämlich zum Beispiel die Voraussetzungen dafür ge- schaffen haben, dass die Inv bei der Regulierung begüns Herr Schui hier damals eine gedacht hat, er wolle das a wieder aufleben lassen. Da nicht zusammen. Sie können hier keine in treten. Je nachdem, wie es s sie zum Beispiel auf dem Rücken von Beamtinnen und Beamten aus oder Sie sprechen bei der Regulierungspo- litik von scheinbaren Preissenkungen oder wie auch im- mer. Solange Sie so argumentieren – auch innerhalb ei- nes Politikfeldes –, dürfen Sie sich doch nicht wundern, dass Ihre Kritik, die Sie an der Regierung und dieser Ko- alition üben, nicht wirklich ernst genommen werden kann. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Dr. Herbert Schui [DIE LINKE]: Sie wird aber von den Belegschaftsvertretern gebilligt!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Die Aktuelle Stunde ist damit beendet. Wir sind damit auch am Schluss unserer heutigen Ta- gesordnung. Ich wünsche Ihnen allen ein schönes, ge- ruhsames und friedliches Wochenende, das vielleicht auch Gelegenheit bietet, die heute Nachmittag mehrfach beschworenen Geisteshaltungen zu prüfen und weiterzu- n und neuen Einsichten zur en Bundestages zu erschei- twoch, den 21. März 2007, n. 6.38 Uhr) 85. Sitzung, Seite 8625 (B Satz ist wie folgt zu lesen: „I Leiter des Nationalen Zentr schenrechte Professor Saido die das usbekische Regime v ein Menschenrechtsdialog a leicht zu zwei Monologen w haupt nichts bewegt.“ ) zweiter Absatz, der zweite ch befürchte, so wie ich den ums Usbekistans für Men- w und andere kluge Leute, erteidigen, erlebt habe, dass uf solchen Veranstaltungen erden kann und sich über- estitionen ins Breitbandnetz tigt werden. Stattdessen hat Rede gehalten, bei der man ntimonopolistische Bündnis s ist Populismus und passt sich schlüssige Politik ver- ich gerade ergibt, tragen Sie entwickeln, um dann mit alte nächsten Sitzung des Deutsch nen. Diese berufe ich auf Mit 13 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlosse (Schluss: 1 Berichtigung Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. März 2007 8755 (A) (C) (B) (D) ren Anstieg der Langzeitarbeitslosigkeit führen und das Risiko der Altersarmut erheblich verschärfen. Um die Steinbach, Erika CDU/CSU 09.03.2007 Aufgrund der völlig unzureichenden beschäftigungs- und arbeitsmarktpolitischen Rahmenbedingungen wird die Anhebung des Renteneintrittsalters zu einem weite- Dr. Solms, Hermann Otto FDP 09.03.2007 Anlage 1 Liste der entschuldi Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Akgün, Lale SPD 09.03.2007 Bismarck, Carl- Eduard von CDU/CSU 09.03.2007 Blumenthal, Antje CDU/CSU 09.03.2007 Blumentritt, Volker SPD 09.03.2007 Flach, Ulrike FDP 09.03.2007 Frankenhauser, Herbert CDU/CSU 09.03.2007 Friedhoff, Paul K. FDP 09.03.2007 Gloser, Günter SPD 09.03.2007 Heller, Uda Carmen Freia CDU/CSU 09.03.2007 Hilsberg, Stephan SPD 09.03.2007 Dr. Jochimsen, Lukrezia DIE LINKE 09.03.2007 Kasparick, Ulrich SPD 09.03.2007 Dr. Koschorrek, Rolf CDU/CSU 09.03.2007 Kühn-Mengel, Helga SPD 09.03.2007 Leibrecht, Harald FDP 09.03.2007 Lenke, Ina FDP 09.03.2007 Lopez, Helga SPD 09.03.2007 Merten, Ulrike SPD 09.03.2007 Otto (Frankfurt), Hans- Joachim FDP 09.03.2007 Dr. Paziorek, Peter CDU/CSU 09.03.2007 Reiche (Potsdam), Katherina CDU/CSU 09.03.2007 Schily, Otto SPD 09.03.2007 Dr. Schmidt, Frank SPD 09.03.2007 Anlagen zum Stenografischen Bericht gten Abgeordneten Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Ottmar Schreiner, Andreas Steppuhn, Lothar Mark, Klaus Barthel, Rüdiger Veit, Gabriele Hiller-Ohm, Martin Burkert, René Röspel und Willi Brase (alle SPD) zur namentlichen Abstimmung über den Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung der Regelaltersgrenze an die demografische Entwicklung und zur Stärkung der Finanzie- rungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversi- cherung (RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz) (Tagesordnungspunkt 20 c) Die Anhebung der Altersgrenzen in der gesetzlichen Rentenversicherung ist aus arbeitsmarkt- und sozialpoli- tischen Gründen nicht vertretbar. Gegenwärtig sind nur circa 30 Prozent der 55- bis 64-Jährigen sozialversiche- rungspflichtig beschäftigt; über 1,2 Millionen Personen in dieser Altersgruppe sind arbeitslos. Die zuletzt anstei- gende Zahl der Erwerbstätigenquote der Älteren ist nicht auf vollwertige Beschäftigungsformen, sondern vor al- lem auf den Anstieg von Teilzeitarbeit, geringfügiger und anderer prekärer Beschäftigungsformen – zum Bei- spiel Ein-Euro-Jobs – zurückzuführen. Nur circa ein Fünftel der heutigen Rentenzugänge erfolgt unmittelbar aus einer vollwertigen Erwerbstäigkeit in den Ruhe- stand. Der weitaus größte Teil kommt aus der Arbeitslo- sigkeit, der Altersteilzeit oder aus einer geringfügigen Beschäftigung. Die derzeitige und absehbare Beschäfti- gungssituation der älteren Arbeitnehmerinnen und Ar- beitnehmer erfüllt somit keineswegs die Voraussetzun- gen, die für eine Anhebung der Altersgrenzen notwendig wären. Deshalb wird die Anhebung der Altersgrenzen nicht zu einer Verlängerung der Lebensarbeitszeit füh- ren, sondern die Lücke zwischen Berufsaustritt und Ren- teneintritt vergrößern. Strothmann, Lena CDU/CSU 09.03.2007 Teuchner, Jella SPD 09.03.2007 Wellenreuther, Ingo CDU/CSU 09.03.2007 Wunderlich, Jörn DIE LINKE 09.03.2007 Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich 8756 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. März 2007 (A) (C) (B) (D) Langzeitarbeitslosigkeit und die damit verbundene höchst unzureichende materielle Absicherung – Hartz IV-Bezug – abzukürzen, werden dann viele Betroffene in die ihnen verbleibende Frühverrentungsmöglichkeit ge- drängt und müssen lebenslange Rentenabschläge von bis zu 14 Prozent in Kauf nehmen. Die Anhebung der Al- tersgrenzen ist für diesen Personenkreis eine zusätzliche Rentenkürzung und in wachsendem Maß eine Verschär- fung der Altersarmut. Es ist sozialpolitisch nicht vertret- bar, wenn trotz jahrzehntelanger Beitragszahlung im Al- ter nur eine Armutsrente erreicht wird. Aufgrund der Rentenanpassungen der vergangenen Jahre hat die gesetzliche Rentenversicherung schon seit geraumer Zeit erhebliche Vertrauensverluste erfahren. Die Anhebung der Regelaltersgrenze wird die Akzep- tanzschäden vor allem bei den Jüngeren noch verstärken. Die Beitragssatzentlastung von langfristig maximal 0,5 Prozentpunkten steht nämlich in keinem Verhältnis zu den Schäden, die die Rentenversicherung durch die Anhebung der Regelaltersgrenze erleidet. Eine Anhebung der Regelaltersgrenze ist unter ar- beitsmarktpolitischen Gesichtspunkten nur dann vertret- bar, wenn der Anteil der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten auf dem ersten Arbeitsmarkt im Jahr 2010 in der Altersgruppe der 55- bis 65-Jährigen im Jahres- durchschnitt 50 von Hundert übersteigt. Die im vorlie- genden Gesetzesentwurf enthaltene Bestandsprüfungs- klausel, wonach in Begleitung der geplanten Anhebung der Altersgrenzen im Jahr 2010 über die Entwicklung der Beschäftigung älterer Arbeitnehmerinnen und Ar- beitnehmer berichtet werden soll, ist unverbindlich und sieht keinerlei Konsequenzen bei einer negativen Ar- beitsmarktentwicklung vor. Zudem mangelt es jetzt schon an einer überzeugenden Regelung des flexiblen Übergangs von der Erwerbsarbeit in den Altersruhe- stand, der vor allem für die Beschäftigten mit schweren körperlichen oder psychischen Belastungen einen geord- neten und auch materiell gesicherten Wechsel von der Erwerbsarbeit in die Rente sicherstellt. Ohne entspre- chende Gleitregelungen werden die vorhandenen Pro- bleme bei einer Anhebung der Regelaltersgrenze noch verschärft. Bestandteile einer neu zuschaffenden Alters- gleitzeit sind: Die Förderung der Altersteilzeit durch die Bundes- agentur für Arbeit – BA – bleibt ohne Befristung erhal- ten, sofern auf die frei werdende Stelle ein besonders schwer vermittelbarer Arbeitsloser eingestellt oder ein Auszubildender oder eine Auszubildende in ein Arbeits- verhältnis übernommen wird. In das Altersteilzeitgesetz werden zusätzliche Mög- lichkeiten aufgenommen, einen gleitenden Übergang in den Ruhestand zu fördern. Dazu wird die Möglichkeit geschaffen, innerhalb eines sechsjährigen Förderplans die Arbeitszeit zu reduzieren. Eine Absenkung auf 50 Prozent, wie bei der Altersteilzeit, ist nicht erforder- lich. Die BA fördert die Aufstockungsbeträge des Ar- beitgebers. Eine komplette Freistellung ist höchstens für ein Jahr möglich. Zudem müssten die Hinzuverdienst- grenzen bei der Inanspruchnahme einer Teilrente groß- zügiger ausgestaltet werden. Ziel ist die Beibehaltung des vorherigen Nettoeinkommens bei Inanspruchnahme einer Teilrente; mit dieser ergänzenden Regelung für den gleitenden Übergang in den Ruhestand sollen insbeson- dere Beschäftigte in den klein- und mittelständischen Betrieben gefördert werden. Es bedarf einer Neuordnung der Erwerbsminderungs- renten. Vor allem Beschäftigten in besonders belasten- den Berufen ist der Zugang in eine Erwerbsminderungs- rente zu erleichtern. Dabei ist sicherzustellen, dass der durch eine Erwerbsminderung bedingte Austritt aus dem Erwerbsleben Altersarmut vermeidet. Ohne die Perspektive eines nachvollziehbaren und materiell auskömmlichen Übergangs von der Erwerbsar- beit in die Rente werden die vorhandenen Ängste und Unsicherheiten bei vielen Arbeitnehmerinnen und Ar- beitnehmern nur noch verstärkt. Eine Neuordnung des Rentenzugangs aus einem Guss, in der die flexiblen Gleitmöglichkeiten gleichrangig neben anderen Rege- lungen treten, ist auch zeitlich möglich, da ein akuter Zeitdruck nicht ersichtlich ist. Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Andrea Wicklein, Iris Gleicke, Andrea Nahles, Peter Friedrich, Dr. Margrit Spielmann, Petra Bierwirth, Lothar Binding (Heidelberg), Rolf Kramer, Katja Mast, Annette Fasse, Renate Gradistanac, Dirk Manzewski, Christian Lange (Backnang) Heinz Schmitt (Landau), Petra Heß, Johannes Pflug, Petra Weis, Uta Zapf, Manfred Zöllmer, Marko Mühlstein und Christel Riemann- Hanewinckel (alle SPD) zur namentlichen Ab- stimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung der Regelaltersgrenze an die demografische Entwicklung und zur Stärkung der Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung (RV-Altersgrenzenanpas- sungsgesetz) (Tagesordnungspunkt 20 c) Wir stimmen dem oben genannten Gesetzentwurf zu. Wir tun dies, um die gesetzliche Rentenversicherung langfristig zu stabilisieren und auf eine solide Finanz- grundlage zu stellen. Angesichts der steigenden Lebens- erwartung und der gesunkenen Geburtenrate ist dieser Schritt notwendig, damit die gesetzliche Rentenversi- cherung auch künftig als wichtigste Säule der Alters- versorgung durch die Beitragszahler finanzierbar bleibt. Wir stimmen diesem Gesetzentwurf zu, um mit dieser langfristig angelegten strukturellen Reform einen Bei- trag zur gerechten Verteilung der Lasten zwischen den Generationen zu leisten. Wir tun dies aber auch, weil die Potenziale älterer Menschen im Arbeitsleben besser als bisher genutzt wer- den müssen. Der Alterungsprozess in unserem Land ist langfristig unumkehrbar. Deshalb brauchen wir in Poli- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. März 2007 8757 (A) (C) (B) (D) tik, Gesellschaft und Wirtschaft ein Umdenken zuguns- ten älterer Menschen. Denn die Anpassung der Alters- grenzen ist nur dann sinnvoll, wenn es gleichzeitig zu einer echten Verbesserung der Arbeitsmarktsituation für ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer kommt. Viel zu oft sind Ältere gegen ihren Willen von der Ar- beitswelt ausgeschlossen und bleiben ihre Fähigkeiten und Erfahrungen ungenutzt. Wir verbinden unsere Zustimmung mit der Erwar- tung, dass noch in diesem Jahr flankierende Regelungs- vorschläge in den Deutschen Bundestag eingebracht werden. Dazu zählt für uns insbesondere, dass auch künftig ab dem 55. Lebensjahr gleitende Übergänge in den Ruhe- stand möglich sein müssen. Gerade die Altersteilzeit hat sich als erfolgreiches und attraktives arbeitsmarktpoliti- sches Instrument erwiesen, um Älteren eine flexible Ar- beitszeitreduzierung zu ermöglichen. Hier müssen In- strumente entwickelt werden, damit die flexiblen Möglichkeiten der Altersteilzeit sowie der gleitende Ein- stieg Jüngerer stärker als bisher genutzt werden. Die Al- tersteilzeit muss zu einer Altersgleitzeit werden. Die Teilrente aus der gesetzlichen Rentenversiche- rung bei gleitenden Altersübergangsmodellen muss at- traktiver gestaltet werden. Dazu zählen außerdem ver- besserte Zuverdienstmöglichkeiten, ein Teilrentenbezug bereits ab dem 60. Lebensjahr sowie erweiterte Möglich- keiten zur Aufstockung des Rentenversicherungsbeitra- ges. Gerade in Branchen mit körperlich oder psychisch stark belastenden Tätigkeiten sollte die Möglichkeit von Zusatzbeiträgen zur Rentenversicherung geschaffen werden. Diese können dann von den Tarifpartnern aus- gestaltet werden. Dazu gehört aber auch, dass ältere Ar- beitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit gesundheitli- chen Einschränkungen die Möglichkeit erhalten, den Umfang ihrer Erwerbstätigkeit ihrem gesundheitlichen Leistungsvermögen anzupassen. Nicht zuletzt gehören zu einer altersgerechten Ar- beitswelt und zur Sicherung der Beschäftigungsfähigkeit älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer neue For- men der Qualifizierung und Weiterbildung, der Arbeits- gestaltung und des Arbeits- und Gesundheitsschutzes – die Humanisierung der Arbeitswelt. Wir sind der festen Überzeugung, dass der oben ge- nannte Gesetzentwurf nur in Verbindung mit diesen un- terstützenden Maßnahmen eine angemessene Antwort auf die Herausforderungen des demografischen Wandels darstellt. Anlage 4 Erklärungen nach § 31 GO zur namentlichen Abstimmung über den Ent- wurf eines Gesetzes zur Anpassung der Regelal- tersgrenze an die demografische Entwicklung und zur Stärkung der Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung (RV-Al- tersgrenzenanpassungsgesetz) (Tagesordnungs- punkt 20 c) Elvira Drobinski-Weiß (SPD): Ich stimme dem Ge- setzentwurf zu, weil ich die Rente mit 67 als Finanzie- rungsmechanismus für die Rente der Zukunft betrachte. Die wachsende Lebenserwartung verlängert die Renten- bezugszeit. Die demografische Entwicklung bringt es mit sich, dass zum einen die Lebenserwartung und damit die Bezugsdauer der Rente wächst und zum anderen im- mer weniger junge Menschen die Renten für immer mehr ältere erwirtschaften. Mir ist wichtig, dass junge Menschen in Zukunft nicht mit unvertretbar hohen Bei- tragssätzen zur Rentenversicherung belastet werden und im Alter eine Rente beziehen können, die dem heutigen Niveau entspricht. Ich betrachte aber die Rente mit 67 als Herausforde- rung und als Chance, die Arbeitsbedingungen für ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer grundlegend zu verbessern, damit die Menschen auch tatsächlich bis zum Alter von 67 Jahren in Würde arbeiten und gesund in die Rente eintreten können. Gesetzliche Regelungen sollten die Verbesserung fol- gender Bedingungen zum Ziel haben: erstens Schaffung altersgerechter Arbeitsplätze gerade im Niedriglohnsek- tor, die zurzeit durch Leistungsverdichtung so gut wie nicht mehr existent sind, zweitens Ermöglichen eines gleitenden Übergangs in den Ruhestand ab dem 55. Le- bensjahr, drittens Förderung des präventiven Gesund- heitsschutzes durch Kuren und Erholungsmaßnahmen, viertens Gestaltung flexibler altersgerechter Arbeitszei- ten und Schutz von Arbeitszeitkonten vor Insolvenz, fünftens Sicherung des Zugangs zur Erwerbsminde- rungsrente, sechstens Sicherung von Qualifizierungs- maßnahmen auch für ältere Beschäftigte und siebtens Einführung eines Mindestlohns für alle Branchen, um die Rentenbeiträge zu sichern. Auch wenn alle diese Punkte bereits Gegenstand der Tarifpolitik sind, muss die Politik in Zusammenarbeit mit den Tarifparteien die Aufgabe übernehmen, gesetz- lich für alle Beschäftigten möglichst gleiche Bedingun- gen zu schaffen. Unser Ziel muss sein, bis zum Jahr 2010 die oben ge- nannten Punkte neben der wirtschaftlichen Entwicklung und der Entwicklung am Arbeitsmarkt gleichwertig in Betracht zu ziehen. Ich begrüße es, dass es uns gelungen ist, die Vorbe- haltsklausel nicht in der Präambel, sondern im Gesetzes- text zu verankern. Meine Zustimmung sehe ich als Verpflichtung, an der Umsetzung der oben genannten Punkte zu arbeiten und mich an der Gestaltung einer humaneren zukünftigen Arbeitswelt zu beteiligen. Dr. Reinhard Göhner (CDU/CSU): Ich stimme dem Gesetz zur Anpassung der Regelaltersgrenze an die demografische Entwicklung und zur Stärkung der Finan- zierungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversiche- 8758 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. März 2007 (A) (C) (B) (D) rung zu. Die schrittweise Anhebung des Renteneintritts- alters auf 67 Jahre ist ein notwendiger, wenn auch noch nicht hinreichender Beitrag, um die Zukunft der gesetzli- chen Rentenversicherung zu sichern. Es ist ein großes Verdienst der Großen Koalition, dieses Vorhaben umzu- setzen. Ich habe allerdings schwerwiegende Bedenken gegen § 38 SGB VI. Die vorgesehene Einführung einer Alters- rente für besonders langjährig Versicherte, die nach einer Wartezeit von 45 Jahren einen vorzeitigen abschlags- freien Rentenzugang mit 65 Jahren ermöglichen soll, ist gut gemeint, aber sozial ungerecht und verfassungswid- rig. Wer die neue Altersrente für besonders langjährig Versicherte beanspruchen kann und dennoch bis zum he- raufgesetzten gesetzlichen Eintrittsalter weiterarbeitet, muss nach § 38 trotz zusätzlich geleisteter Rentenversi- cherungsbeiträge mit einer geringeren Rentengesamt- leistung rechnen als beim Renteneintritt mit 65 Jahren. Diese soziale Ungerechtigkeit ist einzigartig im deut- schen Sozialversicherungsrecht: Wer mehr einzahlt, be- kommt weniger heraus. Es ist unsozial, dass Versicherte mit besonders vielen Beitragsjahren und damit überdurchschnittlichen Ren- tenansprüchen durch vorzeitigen abschlagsfreien Ren- tenbezug privilegiert werden, weil dies von allen Versi- cherten, die nicht die Wartezeit von 45 Jahren erfüllen, bezahlt werden muss. Im Klartext: Wer eine niedrigere Rente hat, bezahlt die längere Laufzeit der Renten mit höheren Ansprüchen. Es ist unsozial, dass Rentner, die zeitweise nicht ren- tenversicherungspflichtige Tätigkeiten ausgeübt haben, diskriminiert werden. Denn nach § 38 führen gleich hohe Beiträge dieser Versicherten zu einer geringeren Renten- gesamtleistung, weil die Rentenlaufzeit geringer ist. Diese unsoziale Wirkung gilt zum Beispiel für Personen, die zeitweise als nichtversicherungspflichtige Selbstän- dige erwerbstätig waren, oder für Frauen, die aus fami- liären Gründen über mehrere Jahre nicht rentenversiche- rungspflichtig tätig waren. Die Altersrente für besonders langjährig Versicherte ist zudem gemäß Art. 3 Grundgesetz verfassungsrechtlich zweifelhaft. Das Bundessozialgericht hat schon die bishe- rige Ausnahmeregelung für Versicherte, die 45 Jahre mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (§ 236 Abs. 2 SGB VI), für verfassungs- widrig befunden und daher mit Beschluss vom 16. Mai 2006 dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt (Bundes- sozialgericht, 4. Senat, Vorlagebeschluss vom 16. Mai 2006, B 4 RA 5/05 R). Verfassungsrechtliche Zweifel bestehen vor allem, weil die Altersrente für besonders langjährig Versicherte dazu führt, dass Versicherte mit gleicher Beitragsleis- tung, aber unterschiedlich langer Dauer der Beitragszah- lung ohne sachlichen Grund verschieden behandelt wer- den. Dies legt einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz nahe. Diejenigen Versicherten, die diese Altersrente in Anspruch nehmen können, profitieren von einer grundsätzlich längeren Rentenlaufzeit und damit einer höheren Rentensumme. Nach dem zukünftigen Recht werden also allein aufgrund der Dauer der Bei- tragszahlung unterschiedlich hohe Renten geleistet. Da- mit wird vom Prinzip der Teilhabeäquivalenz abgewi- chen. Eine sachliche Rechtfertigung für die mit der Altersrente für besonders langjährig Versicherte verbun- dene Ungleichbehandlung fehlt. Insbesondere kann nicht aus der Erfüllung der Wartezeit von 45 Jahren auf eine besonders belastende Berufstätigkeit geschlossen wer- den. Dies gilt schon deshalb, weil bei der Berechnung der Wartezeit auch Zeiten berücksichtigt werden, in de- nen eine Berufstätigkeit nicht ausgeübt wird zum Bei- spiel Zeiten des Vorruhestands, der Erziehung, der Krankheit. Außerdem führt § 38 SGB VI zu einer mittelbaren in- direkten Diskriminierung von Frauen und damit mögli- cherweise zu einem Verstoß gegen Art. 3 Abs. 3 Satz 1 Grundgesetz. Denn nach einer Stichprobenauswertung der Deutschen Rentenversicherung Bund für den Ren- tenzugang 2004 hätten 27 Prozent aller Männer, aber nur 4 Prozent aller Frauen von der Privilegierung durch die Altersrente für besonders langjährig Versicherte profitie- ren können, das heißt rund 85 Prozent der Begünstigten wären Männer gewesen. Auch langfristig wird davon ausgegangen, dass sehr viel mehr Männer als Frauen die Altersrente für besonders langjährig Versicherte in An- spruch nehmen können. Josip Juratovic (SPD): Ich stimme dem Gesetzent- wurf zur Anpassung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre zu, weil ich die so genannte Rente mit 67 als Fi- nanzierungsmechanismus für die Rente in der Zukunft betrachte. Die wachsende Lebenserwartung verlängert die Rentenbezugszeit. Die demografische Entwicklung bringt es mit sich, dass immer weniger junge Menschen die Renten für immer mehr ältere erwirtschaften. Das sind Fakten. Es ist mir deshalb wichtig, dass junge Men- schen in Zukunft nicht mit unvertretbar hohen Beitrags- sätzen zur Rentenversicherung belastet werden und im Alter eine Rente beziehen können, die dem heutigen Ni- veau entspricht. Allerdings sind die Menschen verunsichert. Sie haben Angst ob und unter welchen Bedingungen sie bis zum Renteneintritt arbeiten werden. Aus meiner eigenen langjährigen Erfahrung im Betrieb und am Fließband weiß ich, dass es in der heutigen Situation einige nicht einmal schaffen, bis zum Alter von 60 Jahren zu arbeiten und schon gar nicht bis 65, geschweige denn bis 67 Jahre. Ich betrachte aber die Rente mit 67 als Herausforde- rung und Chance, die Arbeitsbedingungen für ältere Ar- beitnehmerinnen und Arbeitnehmer grundlegend zu ver- bessern, damit die Menschen auch bis zum Alter von 67 Jahren in Würde arbeiten und gesund in die Rente eintreten können. Es gilt durch gesetzliche Regelungen folgende Bedin- gungen zu verbessern: Erstens. Schaffung altersgerechter Arbeitsplätze ge- rade im Niedriglohnsektor, die zurzeit durch Leistungs- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. März 2007 8759 (A) (C) (B) (D) verdichtung so gut wie nicht mehr existent sind; zwei- tens: Ermöglichen eines gleitenden Übergangs in den Ruhestand ab dem 55. Lebensjahr; drittens: Förderung des präventiven Gesundheitsschutzes durch Kuren und Erholungsmaßnahmen; viertens: Gestaltung flexibler al- tersgerechter Arbeitszeiten und Schutz der Arbeitszeit- konten vor Insolvenz; fünftens: Sicherung des Zugangs zur Erwerbsminderungsrente; sechstens: Sicherung von Qualifizierungsmaßnahmen auch für ältere Menschen; siebentens: Einführung eines Mindestlohns für alle Branchen, damit die Rentenbeiträge gesichert sind. Sicherlich sind alle diese Punkte bereits Gegenstand der Tarifpolitik. Doch angesichts der Tatsache, dass ge- rade einmal 40 Prozent der Betriebe tarifgebunden sind, muss die Politik in Zusammenarbeit mit den Tarifpar- teien die Aufgabe übernehmen, gesetzlich für alle Be- schäftigten möglichst gleiche Bedingungen zu schaffen. Ich begrüße es, dass es uns gelungen ist, die Vorbe- haltsklausel nicht in der Präambel, sondern im Gesetzes- text zu verankern. Unser Ziel muss sein, bis zum Jahr 2010 die oben genannten Punkte neben der wirtschaftli- chen Entwicklung und der Entwicklung am Arbeits- markt gleichwertig in Betracht zu ziehen. Meine Zustimmung sehe ich als Verpflichtung an der Umsetzung der oben genannten Punkte zu arbeiten und mich an der Gestaltung einer humaneren zukünftigen Arbeitswelt zu beteiligen. Christian Kleiminger (SPD): Dem Gesetzentwurf stimme ich zu, um die gesetzliche Rentenversicherung langfristig zu stabilisieren und auf eine solide Finanz- grundlage zu stellen. Vor dem Hintergrund steigender Lebenserwartung und der gesunkenen Geburtenrate in Deutschland ist dieser Schritt notwendig, damit die ge- setzliche Rentenversicherung auch künftig als wichtigste Säule der Altersversorgung durch die Beitragszahler fi- nanzierbar bleibt. Allerdings ist die Anpassung der Altersgrenzen nur dann sinnvoll, wenn es gleichzeitig zu einer nachhalti- gen Verbesserung der Arbeitsmarktsituation für ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer kommt. Nicht zu- letzt gehören zu einer altersgerechten Arbeitswelt und zur Sicherung der Beschäftigungsfähigkeit älterer Ar- beitnehmerinnen und Arbeitnehmer neue Formen der Arbeitsgestaltung, des Arbeits- und Gesundheitsschutzes sowie der Qualifizierung und Weiterbildung. Meine Zustimmung knüpfe ich an die Erwartung, dass bis Ende dieses Jahres flankierende Regelungsvor- schläge in den Deutschen Bundestag eingebracht wer- den. Dazu zählt, dass auch künftig gleitende Übergänge in den Ruhestand möglich sein müssen. Die Teilrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung bei gleitenden Altersübergangsmodellen muss attraktiver gestaltet werden. Dazu zählen außerdem verbesserte Zuver- dienstmöglichkeiten, ein flexiblerer Teilrentenbezug sowie erweiterte Möglichkeiten zur Aufstockung des Rentenversicherungsbeitrages. Älteren Arbeitnehme- rinnen und Arbeitnehmern mit gesundheitlichen Ein- schränkungen muss weiterhin ermöglicht werden, den Umfang der Erwerbstätigkeit ihrem gesundheitlichen Leistungsvermögen anzupassen. Insoweit muss mehr Flexibilität beim Zugang zu Erwerbsminderungsrenten erreicht werden. Ich bin der Überzeugung, dass der Gesetzentwurf nur in Verbindung mit diesen unterstützenden Maßnahmen eine angemessene Antwort auf die Herausforderungen des demografischen Wandels darstellt. Dr. Bärbel Kofler (SPD): Zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung der Regelalters- grenze an die demografische Entwicklung und zur Stärkung der Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung – kurz: RV-Altersgrenzenanpas- sungsgesetz – in der 2. und 3. Lesung der 86. Sitzung des 16. Deutschen Bundestags erkläre ich: Nach langer und reiflicher Überlegung habe ich mich dazu entschlossen, mich bei der Abstimmung zu dem Gesetzentwurf des RV-Altersgrenzenanpassungsgesetzes der Fraktionen CDU/CSU und SPD zu enthalten. Für die weitere Diskussion des Themas erachte ich es als wichtig, dass die im Gesetzentwurf enthaltene Be- standsprüfungsklausel – §154 Abs. 4 Satz 1 und 2 –, nach der im Jahr 2010 über die Entwicklung der Beschäftigung älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer berichtet werden soll, verbindlichen Charakter erhält. Wichtig wäre es, die Anhebung des Renteneintrittsalters nur dann zu vollziehen, wenn der Anteil der sozialversicherungs- pflichtigen Beschäftigten in der Altersgruppe der 55- bis 65-Jährigen auf dem ersten Arbeitsmarkt die 50-Pozent- Marke im Jahresdurchschnitt übersteigt. Nur so kann mei- ner Ansicht nach eine Verbindlichkeit der Bestandsprü- fungsklausel hergestellt werden und auf negative Arbeits- marktentwicklungen für die von mir angeführte Altersgruppe reagiert werden. Ich spreche mich auch entschieden dafür aus, dass der Übergang von Erwerbsarbeit in das Rentenalter besser geregelt werden muss. Geeignete Maßnahmen insbeson- dere bei der Altersteilzeit sind zu ergreifen. Die arbeitsmarktbedingte Erwerbsminderungsrente soll ausgebaut werden. Dabei ist meines Erachtens die Recht- sprechung des Bundessozialgerichtes zu berücksichtigen. Dr. Karl Lauterbach (SPD): Die Anhebung der Mindestaltersgrenze für den Renteneintritt von 65 auf 67 Jahre bedeutet faktisch eine Rentenkürzung, die zwar erst ab dem Jahre 2012 zu wirken beginnt, aber schon heute beschlossen wird, damit sich zumindest ein Teil der Bevölkerung noch auf diese Maßnahme einstellen kann. Das Ziel ist die Stabilisierung der Beitragssätze im Rahmen der Alterung der Gesellschaft. Dabei werden die Lasten insbesondere von den älteren Menschen be- zahlt, die trotz der Bemühungen der Politik im Alter ar- beitslos sein werden. Weil aber insgesamt mehr Men- schen in Zukunft zwischen 60 und 67 Jahre alt sein werden, könnte die Arbeitslosigkeit im Alter sogar stei- gen. Sie betrifft insbesondere Arbeitnehmer mit geringer Qualifikation und ohne Ausbildung. Für diese Menschen 8760 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. März 2007 (A) (C) (B) (D) ist die Arbeitslosigkeit im Alter siebenmal so hoch wie für Akademiker. Es gibt zwei gravierende Gerechtigkeitsprobleme in diesem Zusammenhang, die besonders bedeutsam sind. Erstens werden viele ältere Menschen aus gesundheitli- chen Gründen nicht bis 67 Jahren arbeiten können und daher arbeitslos sein. Formal wird man sie nicht als ar- beitsunfähig zählen, faktisch sind sie es aber. Durch die Rente mit 67 wird ihr Rentenanspruch weiter gekürzt. Sie werden es als ungerecht empfinden, dass sie erst krank, dann arbeitslos und schließlich altersarm sein werden, insbesondere im Licht ihrer ohnedies reduzier- ten Lebenserwartung infolge chronischer Krankheit. Zweitens benachteiligt die Rente mit 67 systematisch diejenigen, die eine kurze Lebenserwartung haben. Das gilt im Durchschnitt für alle arbeitenden Geringverdie- ner in Deutschland, da die Lebenserwartung im Durch- schnitt mit dem Einkommen korreliert. Die Einkom- mensschwachen haben eine Lebenserwartung, die im Durchschnitt sieben bis zehn Jahre kürzer ist als die Ein- kommensstarken. Somit wirkt sich die mit der Rente mit 67 einhergehende Kürzung der durchschnittlichen Be- zugsdauer der Rente für diese Menschen besonders stark aus. Relativ wird die Rendite der Rente für Geringver- diener stärker gekürzt als für Gutverdiener. Beide Ungerechtigkeiten sind aus der Sicht einer ge- rechten Rentenpolitik schwer nachvollziehbar und be- dürfen der Korrektur. Der beste Weg dafür wäre ein Aus- bau der Erwerbsminderungsrente, die in Deutschland stärker reduziert wurde als in den skandinavischen Län- dern, England oder den Niederlanden. Sie beseitigt am besten die Rentenungerechtigkeiten die dadurch entste- hen, dass sich Krankheit und Arbeitslosigkeit und Armut im Sinne eines Teufelskreises gegenseitig bedingen. Dazu sollen in Zukunft Konzepte diskutiert und geprüft werden. Nur aufgrund entsprechender Zusagen des Mi- nisters stimme ich dem Entwurf eines „RV-Altersgren- zenanpassungsgesetz“ der Fraktionen von SPD und CDU/CSU zu. Christoph Strässer (SPD): Nach langen, gründli- chen Überlegungen werde ich trotz grundlegender Be- denken heute bei der namentlichen Abstimmung dem Entwurf des RV-Altersgrenzenanpassungsgesetzes zu- stimmen, nachdem ich mit anderen Kolleginnen und Kollegen bei einer entsprechenden Abstimmung in der SPD-Bundestagsfraktion deutlich unterlegen bin. Ich unterwerfe mich damit den Grundregeln über die Zusammenarbeit in der Fraktion, denen ich freiwillig zu- gestimmt habe, da das geplante Gesetzesvorhaben trotz weiter bestehender Bedenken für mich nicht den Rang einer „Gewissensentscheidung“ annimmt. Die Gründe hierfür sind wir folgt: Erstens. Es ist unbestreitbar, dass der aktuelle Zustand und die vorhersehbare Entwicklung im Bereich der Ren- tenversicherung ein „Weiter so“ ohne Veränderung nicht zulassen. Angesichts der sich dramatisch verändernden tatsächlichen Relationen zwischen Beitragszahlern und Leistungsempfängern, der – erfreulicherweise – steigen- den Lebenserwartung und der damit verbundenen deutli- chen Verlängerung der Rentenbezugsdauer bei gleichzei- tigem – unterschiedlich begründeten – Rückgang der Beitragseinnahen kann und darf auch die Anhebung des gesetzlichen Renteneintrittsalters kein Tabu sein. Dies gebietet allein schon die Anwendung der allgemein ak- zeptierten Regeln der Grundrechenarten, wenn man nicht aktuell an Leistungskürzungen und/oder drastische Beitragssatzanhebungen heranwill. Die stufenweise An- hebung der Altersgrenze ab 2012 kann deshalb auch ein Betrag zur Verwirklichung von Generationengerechtig- keit sein. Zweitens. Dies ist die aktuelle und vorhersehbare sta- tistische Wirklichkeit. Daneben existiert aber auch eine aktuelle Lebenswirklichkeit, die jenseits aller statisti- schen Berechnungen aktuell eine sofortige Anhebung der Altersgrenze aus arbeitsmarkt- wie sozialpolitischen Gründen verbietet. Dazu zählen die Arbeitsmarktbedin- gungen für ältere Menschen sowie die in vielen Berei- chen insbesondere harter körperlicher Tätigkeiten gege- bene tatsächliche Unmöglichkeit, beispielsweise 45 Jahre oder bis zum 67. Lebensjahre sozialversiche- rungspflichtig zu arbeiten. Für all diese Menschen würde in der Tat eine ausnahmslose und nicht durch flankie- rende Maßnahmen begleitete unmittelbare Anhebung zu verstärkter Altersarmut fuhren und wäre insoweit nicht zu rechtfertigen. Drittens. Um trotz der unter „Zweitens“ geäußerten Bedenken eine Zustimmung zu rechtfertigen, bedarf es deshalb zusätzlicher Überlegungen und Maßnahmen, die durch den Beschluss der SPD-Bundestagsfraktion vom 06. März 2007 gewährleistet sind. Im Einzelnen handelt es sich hierbei um folgende Grundgedanken: Ohne eine klar erkennbare und nicht nur theoretische Verbesserung der Arbeitsmöglichkeiten Älterer muss im Jahr 2009 von der „Revisionsklausel“ Gebrauch gemacht und die An- hebung der Altersgrenze gestoppt werden. Die Arbeits- bedingungen und die gesundheitsschonende Gestaltung der Arbeitsplätze sind gezielt voranzutreiben. Die Über- gänge in den Ruhestand ab dem 55. Lebensjahr sind wei- terhin flexibel zu gestalten, ein gleitender Übergang muss möglich bleiben. Ein zumindest anteiliger Renten- bezug ab dem 60. Lebensjahr muss möglich sein, für Versicherte mit 35 Beschäftigungsjahren muss es wie zur Zeit möglich bleiben, mit 63 in Altersrente zu gehen. Die Teilrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung bei gleitenden Altersübergangsmodellen muss attraktiver gestaltet werden. Dazu zählen auch verbesserte Zuver- dienstmöglichkeilen sowie weitere Möglichkeiten zur Aufstockung des Rentenversicherungsbeitrages. Insbe- sondere in Bereichen mit körperlich und/oder psychisch stark belastenden Tätigkeiten sollte die Möglichkeit von Zusatzbeiträgen zur Rentenversicherung geschaffen werden. Es gehört auch dazu, dass ältere Arbeitnehme- rinnen und Arbeitnehmer mit gesundheitlichen Ein- schränkungen die Möglichkeit erhalten, den Umfang ihrer Erwerbstätigkeit ihrem Leistungsvermögen anzu- passen. Das Gesetz wird nur dann eine angemessene Antwort auf die zukünftigen Anforderungen an ein gerechtes Rentensystem darstellen, wenn die unter „Drittens“ ge- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. März 2007 8761 (A) (C) (B) (D) nannten flankierenden Maßnahmen durchgeführt werden und sich bei einer ständigen Überprüfung der Arbeits- marktsituation ergibt, dass tatsächlich die Beschäfti- gungschancen älterer Menschen in den nächsten Jahr- zehnten, anders als gegenwärtig, sich so entwickeln, dass überhaupt die angegebenen Zielsetzungen erreicht werden. Das bedeutet, dass im Jahr 2010 – erster Zeit- punkt der Überprüfung – der Anteil der sozialversiche- rungspflichtig Beschäftigten in der Altersgruppe der 55- bis 65-Jährigen im Jahresdurchschnitt bei über 50 Prozent liegen muss, dass die Förderung der Alters- teilzeit durch die BA ohne Befristung erhalten bleibt, so- fern auf die zu besetzende Stelle ein besonders schwer zu vermittelnder Arbeitsloser eingestellt oder ein Auszu- bildender in ein Arbeitsvcrhältnis übernommen wird, und dass bei einer Neuordnung der Erwerbsminderungs- rente Beschäftigten in besonders belastenden Berufen der Zugang in eine Erwerbsminderungsrente zu erleich- tern ist. Ziel ist, bei einem durch Erwerbsminderung be- dingten Austritt aus dem Erwerbsleben Altersarmut zu vermeiden. Werden die vorstehenden Bedingungen nicht erreicht, muss bei einer Überprüfung im Sinne der im Gesetz ent- haltenen Revisionsklausel die Anhebung der Alters- grenze rückgängig gemacht werden. Anlage 5 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Ortwin Runde, Renate Schmidt (Nürnberg), Elke Ferner, Dr. Ernst Dieter Rossmann, Lothar Mark, Petra Merkel (Berlin), Marlene Rupprecht (Tuchenbach), Ulla Burchardt, Dirk Manzewski, Christian Kleiminger, Marko Mühlstein, Dr. Margrit Spielmann, Sönke Rix, Dr. Rainer Tabillion, Reinhold Hemker, Angelika Krüger-Leißner, Frank Hofmann (Volkach), Mechthild Rawert, Renate Gradistanac, Hilde Mattheis, Wolfgang Spanier, Martin Burkert, Ute Kumpf, Gabriele Hiller-Ohm, Jürgen Kucharczyk und Christel Humme (alle SPD) zur namentlichen Abstim- mung über die Beschlussempfehlung zu dem Antrag der Bundesregierung: Beteiligung be- waffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz einer Internationalen Sicherheitsunterstüt- zungstruppe in Afghanistan unter Führung der NATO auf Grundlage der Resolutionen 1386 (2001), 1413 (2002), 1444 (2002), 1510 (2003), 1563 (2004), 1623 (2005) und 1707 (2006) des Si- cherheitsrates der Vereinten Nationen (Tages- ordnungspunkt 21 a) Seit über fünf Jahren ist die Bundesrepublik Deutsch- land aktiv am Aufbau von staatlichen und gesellschaftli- chen Strukturen sowie in verschiedenen Bereichen der wirtschaftlichen Zusammenarbeit in Afghanistan enga- giert. Seit Ende 2001 war Deutschland führend am Pro- zess zum Aufbau rechtsstaatlicher und demokratischer Ordnung beteiligt und hat dazu drei internationale Af- ghanistankonferenzen organisiert. Die Bundeswehr leis- tet seit Beginn des internationalen Engagements im Rah- men eines UN-Mandat – ISAF – einen mit unserer zivilen Unterstützung vernetzten, wichtigen Beitrag zur militärischen Absicherung des Stabilisierungs- und Wie- deraufbauprozesses in Afghanistan. Das bisherige, auf die beschriebene Weise vernetzte Engagement Deutschlands im Norden Afghanistans hat wesentlich zur Stabilisierung in Kabul und im Norden Afghanistans beigetragen und genießt hohe internatio- nale Reputation. Dauerhafter Frieden und zuverlässige humanitäre Hilfe waren und sind für die deutsche Au- ßenpolitik zwei Seiten derselben Medaille. Diese Ver- bindung unterstütze ich auch weiterhin. Die deutsche Außenpolitik hat sich dabei auf sehr wohltuende Weise von der Politik anderer Nationen un- terschieden. Anders als in der Außenpolitik anderer Län- der wurde der Kampf gegen den Terrorismus nicht als Krieg betrachtet. Dass die „Kriegsstrategie“ bislang nicht aufgegangen ist, belegt nicht nur der Umstand, dass die Friedenssicherung im Osten und Süden Afgha- nistans nach dem Willen der dort verantwortlichen Na- tionen nun ebenfalls um eine zivile Begleitung mit höhe- rem Gewicht ergänzt werden soll, die Deutschland im Norden Afghanistans bereits erfolgreich betreibt. Dabei sollten wir nicht vergessen, dass selbst diese Korrektur der „Kriegsstrategie“ noch zu wenig sein könnte: Denn eigentlich war die internationale Schutz- truppe ISAF vor fünf Jahren mit 20 000 Soldatinnen und Soldaten angetreten, um den zügigen Aufbau eines phy- sisch und moralisch zerstörten Landes zu garantieren. Die Reste der Taliban und von al-Qaida sollten von hochgerüsteten Truppen in wenigen Monaten besiegt sein. Die Realität, auf deren Grundlage der Antrag der Bundesregierung jetzt gestellt wird, sieht leider anders aus. Die Zahl der Anschläge auf militärische Ziele in Afghanistan ist von 2005 auf 2006 dramatisch gestiegen: von 1 632 auf 5 338. Insgesamt waren 4 000 Tote zu be- klagen. Das sind zehnmal so viele wie drei Jahre zuvor. Angesichts dieser Entwicklung stellen wir uns die Frage, ob man diese Entwicklung beenden kann, indem deutsche Tornados mit Aufklärungsflügen den Boden- truppen den Weg weisen. Angesichts dieser Entwicklung – insbesondere der Fehlentscheidungen in Ost- und Süd- afghanistan, den Frieden dort vornehmlich mit militäri- schen Mitteln erreichen zu wollen – sind wir mehr denn je aufgerufen, alles zu tun, damit die Afghanen die Mit- glieder fremder Nationen als ihre Unterstützer wahrneh- men und anerkennen. Jeder zusätzliche militärische Bei- trag mit nahezu unvermeidlichen zusätzlichen Opfern aufseiten der Zivilbevölkerung birgt den Verdacht in sich, die Afghanen nicht als gleichberechtigte Partner anzuerkennen, sondern die Besatzungssituation perpetu- ieren zu wollen. Mit der nun von der Bundesregierung beantragten Be- teiligung an dem Einsatz einer internationalen Sicher- heitsunterstützungstruppe verbinden wir daher die Be- fürchtung, dass die bisherige, fruchtbringende deutsche Außenpolitik anders als bisher wahrgenommen würde. 8762 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. März 2007 (A) (C) (B) (D) Gegenwärtig drohen die Kommandeure der Taliban damit, das Land zu irakisieren, mit funkgesteuerten Kleinstbomben zu agieren, die Selbstmordattentate zu erhöhen. Das Ganze könnte nicht trotz, sondern sogar wegen der Tornados geschehen. Dass dann der Ruf nach deutschen Bodentruppen im Osten und Süden Afghanis- tans noch stärker als bislang ertönen dürfte, ist für uns die militärisch logische und wahrscheinliche Konse- quenz. Deutschland könnte mit zunehmendem Zeitab- lauf nicht mehr vermitteln können, warum es nicht mit gleichem Risiko wie die anderen Nationen beteiligt ist. Dies gilt umso mehr, als die Tornado-Einsätze nun in die gerade anlaufende Frühjahrsoffensive der NATO und in die Operation Enduring Freedom, OEF, einbezogen werden sollen. Es besteht daher die Gefahr, dass deut- sche Soldaten für Kriegsoperationen verantwortlich ge- macht werden, auf deren Planung und Durchführung sie kaum Einfluss haben. Dies hätte letztlich Auswirkungen auf das gesamte deutsche ISAF-Kontingent. Deutsche Stellungen der ISAF-Truppe könnten zunehmend Ziel von Angriffen und Anschlägen werden, und auch die er- reichte Stabilisierung der Lage im Norden Afghanistans wäre gefährdet. Der Einsatz deutscher Tornados wäre damit kein Bei- trag zur Stabilisierung der Lage in Afghanistan. Das Ge- genteil wäre der Fall. Wir sehen daher in der Entsendung von „Recce-Tornados“ nach Afghanistan ein nicht ver- tretbares Risiko für unsere deutschen Soldatinnen und Soldaten und für das Gelingen des ISAF-Einsatzes ins- gesamt und werden daher dem erweiterten Mandat nicht zustimmen. Anlage 6 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Heinz Schmitt (Landau), Angelika Graf (Rosenheim), Dr. Marlies Volkmer, Detlef Müller (Chemnitz), Waltraud Lehn, Christel Riemann-Hanewinckel, Dr. Bärbel Kofler, Dr. Wolfgang Wodarg, Christine Lambrecht und Elvira Drobinski-Weiß (alle SPD) zur namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung zu dem Antrag der Bun- desregierung: Beteiligung bewaffneter deut- scher Streitkräfte an dem Einsatz einer Interna- tionalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan unter Führung der NATO auf Grundlage der Resolutionen 1386 (2001), 1413 (2002), 1444 (2002), 1510 (2003), 1563 (2004), 1623 (2005) und 1707 (2006) des Sicherheits- rates der Vereinten Nationen (Tagesordnungs- punkt 21 a) Die Internationale Sicherheitsunterstützungstruppe, ISAF, soll einen Beitrag für Sicherheit, Recht und Ord- nung und damit für eine friedliche politische Entwick- lung in Afghanistan leisten. ISAF hat beim Wiederauf- bau Afghanistans Erfolge vorzuweisen. Insbesondere die deutsche Bundeswehr hat in ihrem Verantwortungsbe- reich zu einer Stabilisierung im afghanischen Norden beigetragen. Das ISAF-Mandat beinhaltet das Recht der Soldaten auf Selbstverteidigung. Militärische Gewalt ist auch zulässig, wenn es darum geht, die Regierung und die Menschen in Afghanistan zu schützen. ISAF ist klar abzugrenzen von der Operation Endu- ring Freedom, OEF, welche die Bekämpfung des inter- nationalen Terrorismus zum Ziel hat. Die bisherige rela- tive Sicherheit deutscher Soldaten beruht nicht zuletzt auf der erkennbaren Trennung beider Operationen. Unter dieser Prämisse haben die Unterzeichnenden bisher Einsätzen deutscher Soldaten in Afghanistan zu- gestimmt. Der jetzt geplante Einsatz von Tornados der Bundeswehr über ganz Afghanistan führt zu erheblichen Unschärfen bei der Aufgabenteilung von ISAF und OEF. Die Luftaufklärung der Bundeswehrtornados dient nach Aussage des Bundesverteidigungsministers Dr. Franz Josef Jung dem „Schutz der ISAF-Truppen“ und der „Zielaufklärung vermuteter Stellungen militan- ter Widerstandgruppen“ (OEF). Wir bezweifeln, dass es gelingen wird, die Einsatzbe- dingungen – insbesondere hinsichtlich der Zusammenar- beit zwischen ISAF und OEF – detailliert zu regeln. Es steht also zu befürchten, dass Widerstandsgruppen in Af- ghanistan eine solche Differenzierung nicht nachvollzie- hen werden und die deutschen Tornados als Flugzeuge im Kampfeinsatz bewerten. Deutsche Soldaten könnten damit für Kriegsoperationen verantwortlich gemacht werden, auf deren Planung und Durchführung sie keiner- lei Einfluss haben. Als Folge von Einsätzen der Ameri- kaner sind fast jeden Tag Opfer unter der afghanischen Zivilbevölkerung zu beklagen, zuletzt zum Beispiel am Sonntag, 4. März 2007. Mit dem Einsatz der deutschen Tornados wären wir – zumindest in der Wahrnehmung der Afghaninnen und Afghanen – in diese verhängnis- volle Kette von Gewalt hineingezogen. Dies hätte letztlich Auswirkungen auf das gesamte deutsche ISAF-Kontingent. Deutsche Stellungen der ISAF-Truppe könnten zunehmend Ziel von Angriffen und Anschlägen werden. Der Einsatz deutscher Torna- dos wäre damit kein Beitrag zur Stabilisierung der Lage in Afghanistan. Das Gegenteil wäre der Fall. In dieser Einschätzung fühlen wir uns bestärkt durch Warnungen von in Afghanistan tätigen NGOs wie Me- dica Mondiale. Diese zivile deutsche Organisation, die in Kabul, Herat, Mazar-i-Sharif und Kandahar hervorra- gende Arbeit zum Thema „Gewalt gegen Frauen“ leistet, befürchtet, dass sich die Gefahr für Mitarbeiter und Mit- arbeiterinnen vor Ort durch einen Einsatz von Bundes- wehrtornados stark erhöhen würde. Bei einer weiteren Militarisierung der Lage würden sich immer weniger zi- vile Fachkräfte imstande sehen, sich dem erhöhten Si- cherheitsrisiko auszusetzen. Wir teilen die Ansicht, dass nur eine weitere Stärkung der Zivilgesellschaft und eine Fortsetzung der sinnvollen Wiederaufbauhilfe, die Deutschland in der Vergangen- heit geleistet hat, ein Gegengewicht zu einer weiteren Eskalierung militärischer Gewalt bilden kann. Die Unterzeichnenden sehen daher in der Entsendung von Recce-Tornados nach Afghanistan ein nicht vertret- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. März 2007 8763 (A) (C) (B) (D) bares Risiko für unsere deutschen Soldaten, für das Ge- lingen des ISAF-Einsatzes insgesamt und für die Arbeit von NGOs in Afghanistan. Daher lehnen wir die Entsendung von acht Recce- Tornados nach Afghanistan und deren Einsatz ab. Anlage 7 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Andrea Nahles, Niels Annen, Gerold Reichenbach, Monika Griefahn, Ursula Mogg, Garrelt Duin, Anette Kramme, Nicolette Kressl und Kerstin Griese (alle SPD) zur namentlichen Abstimmung über die Beschluss- empfehlung zu dem Antrag der Bundesregie- rung: Beteiligung bewaffneter deutscher Streit- kräfte an dem Einsatz einer Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan unter Führung der NATO auf Grundlage der Resolutionen 1386 (2001), 1413 (2002), 1444 (2002), 1510 (2003), 1563 (2004), 1623 (2005) und 1707 (2006) des Sicherheitsrates der Ver- einten Nationen (Tagesordnungspunkt 21 a) 2001 haben die Mitglieder des Deutschen Bundesta- ges und mit ihnen die Abgeordneten der SPD eine Grundsatzentscheidung getroffen. Deutschland ist der Bitte der afghanischen Regierung nachgekommen, sich an einer Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe, ISAF, zu beteiligen. Durch diesen Einsatz auf Grundlage von Kapitel VII der UN-Charta wollten wir Afghanistan auf seinem Weg des Wiederaufbaus begleiten und stabili- sieren. Den vorläufigen Staatsorganen Afghanistans sollte die Vorbereitung und Durchführung von demokra- tischen Wahlen in sicherem Umfeld ermöglicht werden. Der Bevölkerung Afghanistans sollte mit Unterstützung der Vereinten Nationen und zahlreicher internationaler Hilfskräfte eine Chance auf einen Neuanfang in Sicher- heit und politischer Selbstbestimmung gegeben werden. Wir haben Afghanistan und seiner Bevölkerung damit Unterstützung zugesagt, sich vor der erneuten Kontrolle durch extremistische und terroristische Kräfte und vor der Ausbeutung von Land und Leuten zu schützen. An diesen grundsätzlichen Zielen hat sich nichts ge- ändert. Der Deutsche Bundestag hat das ISAF-Mandat daher nicht nur verlängert, sondern auch auf Regionen jenseits von Kabul ausgeweitet. Die Bundesregierung hat die deutsche Verantwortung für die Zukunft Afgha- nistans nicht zuletzt im Afghanistan-Compact Anfang 2006 bestätigt. Ressortübergreifend leistet Deutschland daher unermüdlich und mit umfangreichen finanziellen Mitteln einen wichtigen Beitrag zur Stabilisierung des Landes. Besonders hervorzuheben sind dabei die Ausbil- dung der afghanischen Polizei und insbesondere die be- achtenswerten Programme und Projekte in der Entwick- lungszusammenarbeit. Deutsche Bundeswehrsoldaten kommen dabei weiter ihrem Mandat nach und sichern die Bemühungen der afghanischen Zivilbevölkerung und der internationalen Hilfskräfte ab. Nicht zuletzt durch die Einbeziehung der afghanischen Zivilgesellschaft und ziviler Hilfskräfte konnten deutsche Soldaten Vertrauen schaffen und dadurch nachhaltige Verbesserungen errei- chen. Das bisherige Auftreten der deutschen Bundes- wehrsoldaten und der deutsche Ansatz der zivil-militäri- schen Zusammenarbeit haben sich bewährt. Die Lage in Afghanistan hat sich in den letzten Mona- ten dramatisch verschlechtert, denn die Regierung Karzai ist nach wie vor schwach und weit davon ent- fernt, ihre Kontrolle auf das gesamte Land auszuweiten. Die Rückkehr der Taliban in das Sicherheitsvakuum im Süden Afghanistans bedroht daher den weiteren Ent- wicklungsprozess und die politische Stabilität des gan- zen Landes. Wir sehen in der Entsendung von Tornados keine qua- litative Änderung des bisher von Deutschland verfolgten Kurses. Auch der Einsatz von Tornados zielt darauf ab, Afghanistan bei der Gewinnung und Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit zu unterstützen. Die Aufklärungs- flüge dienen der Sicherheit der Menschen und internatio- nalen Hilfskräfte und damit der Stabilität weit über den Süden Afghanistans hinaus. Wir betrachten mit wachsender Sorge, dass Deutsch- land mit einer verfehlten Antiterrorpolitik identifiziert wird. Denn Deutschland hat stets betont, dass ein rein militärischer Ansatz, der nur auf die Verfolgung von Terroristen setzt, aber den zivilen Wiederaufbau ver- nachlässigt, zu kurz greift. Militärische Maßnahmen ohne flankierendes ziviles Engagement können nicht von nachhaltigem Erfolg gekrönt sein. Die dank der Bundesregierung auf dem NATO-Gipfel in Riga verab- schiedeten Auflagen, auch die zivile Komponente des Engagements in Afghanistan zu verstärken, entsprechen dieser Einschätzung. Sie reichen aber nicht aus. Wir begrüßen daher die intensive Debatte um den ISAF-Einsatz und die Tornado-Entsendung in den letz- ten Wochen, in denen sich viele von uns umfangreich über die Situation in Afghanistan informiert haben. Eine grundlegende Überprüfung der Afghanistan- strategie sehen wir als Voraussetzung für die anstehende Verlängerung der Mandate von ISAF und Operation Enduring Freedom an. Wir erwarten von der Bundesre- gierung, dass sie die verbleibende Zeit nutzt, um die be- gonnene Debatte im Bündnis weiterzuführen und inten- siv mit dem Deutschen Bundestag abzustimmen. Wir haben dadurch die Basis für die Diskussion ge- schaffen, die wir im Hinblick auf die für den Herbst an- stehende Entscheidung über die Verlängerung des ISAF- Mandats führen werden. Die Entscheidung über die Entsendung von deutschen Tornados muss der Beginn einer ehrlichen Analyse der bisherigen NATO-Strategie in Afghanistan sein. All die- jenigen, die unsere Kritik teilen, dass der Einsatz von Mitteln für militärische Zwecke im Vergleich zu den In- vestitionen in zivile Maßnahmen unverhältnismäßig hoch ist, bitten wir, gemeinsam mit uns dafür zu sorgen, dass in Zukunft in angemessenem Umfang Gelder für den zivilen Wiederaufbau von Afghanistan bereitgestellt werden. 8764 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. März 2007 (A) (C) (B) (D) Die SPD ist die Friedenspartei. Eine umfassende Si- cherheitspolitik ist aktive Friedenspolitik. Doch diese muss langfristig und vorausschauend geplant sein. Mili- tärisches Engagement, für das wir uns in Afghanistan entschieden haben, kann nur dann ermöglicht werden, wenn man zu dauerhaften Verpflichtungen auch im flan- kierenden zivilen und entwicklungspolitischen Bereich bereit ist. Die zivil-militärische Zusammenarbeit steht dabei im Vordergrund. Im Oktober läuft das Mandat für den Einsatz deutscher Truppen in Afghanistan aus. Spä- testens bis dann gehört eine nachhaltige Strategie für ei- nen stabilen Frieden auf die Tagesordnung. Anlage 8 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Alexander Bonde, Winfried Nachtwei, Jürgen Trittin, Ute Koczy, Volker Beck (Köln), Dr. Gerhard Schick, Thilo Hoppe und Bärbel Höhn (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN) zur namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung zu dem Antrag der Bun- desregierung: Beteiligung bewaffneter deut- scher Streitkräfte an dem Einsatz einer Interna- tionalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan unter Führung der NATO auf Grundlage der Resolutionen 1386 (2001), 1413 (2002), 1444 (2002), 1510 (2003), 1563 (2004), 1623 (2005) und 1707 (2006) des Sicherheitsra- tes der Vereinten Nationen (Tagesordnungs- punkt 21 a) Wir lehnen den Antrag der Bundesregierung zur Ent- sendung deutscher Tornados ab. Der Stabilisierungs- und Aufbauprozess in Afghanis- tan durchläuft in diesem Jahr eine besonders kritische Phase. Nach der Verschärfung der Lage im Vorjahr muss die internationale Gemeinschaft in den nächsten Mona- ten die Wende zum Besseren schaffen. Für uns bleibt die nach Kap. VIl der VN-Charta mandatierte ISAF-Schutz- truppe weiterhin sinnvoll und notwendig. Ohne die mili- tärische Friedenssicherung durch ISAF hätte es die bis- herigen Teilerfolge in Afghanistan nicht gegeben. Wer jetzt zu einem Abzug der Bundeswehr und der ISAF- Truppen insgesamt aufruft, nimmt die Rückkehr der Ta- liban an die Macht und den Zusammenbruch des Frie- densprozesses in Kauf. Für die Stabilisierung und den Wiederaufbau Afghanistans ist das militärische Engage- ment der Staatengemeinschaft eine unverzichtbare Vo- raussetzung. Unsere Ablehnung des Tornado-Einsatzes erfolgt nach sorgfältiger Abwägung. Die Aufklärungstornados können nicht nur Aufklärungsmaterial zur Absicherung der Stabilisierungsoperationen von ISAF liefern. Sie tra- gen vor allem auch zur Kampfunterstützung in den um- kämpften Provinzen im Süden bei. Seriösen Quellen ist zu entnehmen, dass im Süden und Osten vielfach militä- risch undifferenziert und unverhältnismäßig gegen Auf- ständische vorgegangen und zugleich der Aufbau ver- nachlässigt wurde. Eine auf Felderzerstörung fixierte Art der Drogenbekämpfung tat das Ihre zur Konfliktver- schärfung. Dass dadurch mehr Feinde produziert und Freunde verloren wurden, ignoriert die Bundesregierung bisher. Es besteht also die akute Gefahr, dass Aufklä- rungstornados zu einer kontraproduktiven und opferrei- chen Militärstrategie und Operationsführung beitragen. Seit Monaten wird auf allen Ebenen der Staatenge- meinschaft betont, dass die Konflikte in Afghanistan nicht militärisch zu lösen seien und dass es eines Strate- giewandels sowie forcierter und effizienterer Aufbauan- strengungen bedürfe. Bisher bleiben die Taten weit hin- ter den richtigen Worten zurück. Das gilt für die Staatengemeinschaft insgesamt, wo eine deutliche Dis- krepanz zwischen der proklamierten Revision der Stabi- lisierungsstrategie und dem tatsächlichen Forcieren einer primär militärischen Bekämpfung aufständischer Grup- pen besteht. Das gilt insbesondere auch für die Bundes- republik, die wohl seit fünf Jahren einen konzeptionell vorbildlichen Ansatz ziviler, polizeilicher und militäri- scher Maßnahmen vertritt, aber mit dem Tornado-Ein- satz ihre militärischen Anstrengungen verstärkt und viel zu wenig für die weitaus dringlicheren zivilen Bemühun- gen tut. Wenn nun für die Tornados ungefähr so viele Millionen Euro in einem Jahr ausgegeben werden sollen wie für die deutsche Hilfe zum Polizeiaufbau in fünf Jahren – circa 70 Millionen – und wenn die deutsche Po- lizeihilfe trotz des drängenden Bedarfs weitgehend un- verändert bleibt, dann ist das kurzsichtig und halbherzig. Das bisherige Missverhältnis zwischen militärischem und zivilem Engagement wird somit vertieft statt über- wunden. Ohne mehr und besseren Aufbau bleibt jede militärische Anstrengung aussichtslos. Deshalb fordern wir eine „zivile Frühjahrsoffensive“. Das Nein zum Tornado-Einsatz ist ausdrücklich kein Aufruf zum Ausstieg aus dem multilateralen Projekt von Gewalteindämmung, State-Bildung und Friedensförde- rung, sondern ein Aufruf für eine Erfolgsstrategie in Af- ghanistan und ein dringender Warnruf, das schmale Zeit- fenster für die Veränderung der Militärstrategie und der zivilen Anstrengungen jetzt zu nutzen. Seit Juli 2006 ha- ben wir immer wieder gegenüber der Bundesregierung darauf gedrängt. Eine praktische Wirkung blieb weitge- hend aus. Wir unterstützen die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr, die in Afghanistan eingesetzt werden, ge- nauso wie die Polizistinnen und Polizisten, Zivilexper- tinnen und Zivilexperten sowie Helferinnen und Helfer. Wir werden deren Einsatz kritisch-konstruktiv begleiten und uns weiterhin dafür einsetzen, dass das in Afghanis- tan gutangesehene Deutschland dort seiner besonderen Verantwortung auch bestmöglich gerecht wird: im Ein- satz für eine glaubwürdige, ausgewogene und wirklich hilfreiche Politik der internationalen Gemeinschaft. Anlage 9 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Katrin Göring-Eckardt, Kerstin Andreae, Christine Scheel, Elisabeth Scharfenberg, Dr. Thea Dückert, Margareta Wolf (Frankfurt) und Brigitte Pothmer (alle Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. März 2007 8765 (A) (C) (B) (D) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung zu dem Antrag der Bundesregierung: Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Ein- satz einer Internationalen Sicherheitsunterstüt- zungstruppe in Afghanistan unter Führung der NATO auf Grundlage der Resolutionen 1386 (2001), 1413 (2002), 1444 (2002), 1510 (2003), 1563 (2004), 1623 (2005) und 1707 (2006) des Si- cherheitsrates der Vereinten Nationen (Tages- ordnungspunkt 21 a) Afghanistan bedarf weit mehr als bisher der Unter- stützung, gerade durch zivile Mittel. Ohne Strategie- wechsel und deutlich mehr ziviles Engagement sind die Köpfe und Herzen der Menschen in Afghanistan dauer- haft nicht für die Demokratie zu gewinnen. Afghanistan braucht eine politische und zivile Frühjahrsoffensive. Zugleich können wir nicht übersehen, dass sich Af- ghanistan in einer Situation befindet, in der zivile Maß- nahmen allein nicht zum Erfolg führen können. Beson- ders im Süden und Osten des Landes muss Stabilität auch mit militärischen Mitteln herbeigeführt werden, um zivilen Helfern ihren Einsatz überhaupt erst zu ermögli- chen. Im ganzen Land ist militärischer Schutz und Absi- cherung des zivilen Aufbaus unverzichtbar. Hierin be- steht der Auftrag der Tornado-Aufklärungsflugzeuge. Ich stimme der Entsendung der Aufklärungsflug- zeuge zu, weil ich die Notwendigkeit militärischer Flan- kierung der zivilen Maßnahmen anerkenne. Meine Zu- stimmung ist jedoch untrennbar verbunden mit der Aufforderung an die Bundesregierung, innerhalb der NATO auf einen Kurswechsel zu dringen. Nur als Teil einer tatsächlich gewalteindämmenden Militärstrategie ist der Einsatz der Tornados für den Aufbau Afghanis- tans aussichtsreich. Für eine ausgewogenen Afghanistanpolitik ist eine Vervielfachung der zivilen Mittel notwendig, die ange- kündigte Erhöhung um 20 Millionen Euro reicht nicht aus. Deutschland hat die Koordinierungsverantwortung für den Aufbau der Polizei in Afghanistan übernommen. Um dies zum Erfolg zu führen, ist eine deutliche Aufsto- ckung von Personal und Mitteln notwendig. Gemeinsam mit der internationalen Gemeinschaft müssen schlüssige Konzepte zur Drogenbekämpfung entwickelt und politi- scher Druck auf Pakistan ausgeübt werden, das die Reor- ganisation der Talibankräfte auf seinem Territorium dul- det. Dazu fordere ich die Bundesregierung auf. Anlage 10 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Winfried Hermann, Peter Hettlich, Dr. Anton Hofreiter, Dr. Harald Terpe, Sylvia Kotting-Uhl und Monika Lazar (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung zu dem Antrag der Bundesregierung: Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Ein- satz einer Internationalen Sicherheitsunterstüt- zungstruppe in Afghanistan unter Führung der NATO auf Grundlage der Resolutionen 1386 (2001), 1413 (2002), 1444 (2002), 1510 (2003), 1563 (2004), 1623 (2005) und 1707 (2006) des Si- cherheitsrates der Vereinten Nationen (Tages- ordnungspunkt 21 a) Heute entscheidet der Deutsche Bundestag über die Entsendung von Tornado-Aufklärungsflugzeugen nach Afghanistan. Diese Flugzeuge können im gesamten ISAF-Bereich eingesetzt werden, also auch in den um- kämpften Regionen im Süden und Osten. Sie sollen zu mehr Sicherheit beitragen. Doch zum Aufspüren von Selbstmordattentätern, deren Anschläge die Sicherheit zunehmend bedrohen, sind Tornados weder gedacht noch geeignet. Die hochmodernen Aufklärungsflug- zeuge ersetzen britische Aufklärungs- und Kampflieger, die sich ohne Aufklärungsarbeit ganz auf den Kampf aus der Luft konzentrieren werden. Deutsche Tornados ha- ben vor allem die Aufgabe, genaue Bilder von „aufstän- dischen (Taliban-)Kämpfern“ für anschließende Bom- bardements zu liefern. Die NATO-Partner erwarten, dass Deutschland sich endlich am schwierigen und schmutzigen Kampf gegen den Widerstand im Süden Afghanistans beteiligt. Torna- dos sind dazu die elegante Lösung. Deutsche Soldaten müssen – noch – nicht im direkten Kampf ihr Leben ris- kieren, dafür liefern deutsche Flugzeuge die Infobilder zur blutigen Bekämpfung und Zerstörung. Faktisch wird mit dem Tornadoeinsatz die bisherige Linie des deut- schen ISAF-Einsatzes verlassen, der sehr darauf bedacht war, im Norden Afghanistans möglichst zivilpolizeilich die Aufbauprojekte zu sichern. Ganz anders als die NATO im Süden, die sich immer wieder als martialische Besatzungsarmee aufspielt. Das relativ gute Ansehen der Bundeswehr vor Ort, das wesentlich mit dieser eher zivilen Strategie zusam- menhängt, wird bald blutbeschädigt sein. Und auch in Afghanistan wird sich herumsprechen, dass deutsche Flugzeuge die Bombardements der NATO vorbereitet haben. Der scheinbar harmlose Bundeswehreinsatz mit sechs Aufklärungstornados könnte die Rolle der Bundes- wehr in Afghanistan entscheidend verändern: von der Aufbauschutztruppe zur gewaltsamen Besatzungsarmee. Aber mit noch so viel militärischer Gewalt wird man ein Volk nicht „überzeugen“ und auch keine „Herzen ge- winnen“. Und mit noch so viel Waffengewalt und Krieg kann auch Demokratie nicht durchgesetzt werden. Die Tornados werden den Friedensprozess sicher nicht beschleunigen, wohl aber eine neue militärische Eskalationsstrategie einleiten. Wir befürchten eine Aus- weitung und Brutalisierung des Krieges wie die Mehr- zahl der Menschen in Deutschland. Afghanistan braucht keine militärische, wohl aber eine zivile Frühjahrsoffen- sive. Der Einfluss der Taliban kann allenfalls mit zivilen Mitteln zurückgedrängt werden. Sinnvoller wäre es, die 35 Millionen Euro für den Tornadoeinsatz in den zivilen Wiederaufbau einzusetzen. Deshalb und aufgrund weite- rer grundsätzlicher Bedenken sagen wir Nein zu deut- schen Tornados in Afghanistan. 8766 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. März 2007 (A) (C) (B) (D) Anlage 11 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Hans-Josef Fell und Wolfgang Wieland (beide BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur namentlichen Abstimmung über die Be- schlussempfehlung zu dem Antrag der Bundes- regierung: Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz einer Internationa- len Sicherheitsunterstützungstruppe in Afgha- nistan unter Führung der NATO auf Grundlage der Resolutionen 1386 (2001), 1413 (2002), 1444 (2002), 1510 (2003), 1563 (2004), 1623 (2005) und 1707 (2006) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen (Tagesordnungspunkt 21 a) Der Antrag der Bundesregierung auf Beteiligung an der NATO-geführten Internationalen Sicherheitsunter- stützungstruppe in Afghanistan – ISAF – mit sechs bis acht Tornados zur Aufklärung und Überwachung aus der Luft ist zum Teil plausibel. Die Sicherungsunterstützungstruppe – ISAF – ist Teil der auch von den Grünen in der Vergangenheit massiv eingeklagten und unterstützten Verbindung von zivilem Aufbau auf der einen und militärischer Absicherung auf der anderen Seite. Dieser Einsatz ist vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen mehrfach legitimiert und in dem sogenannten Petersberger Prozess mit der Verpflichtung der Staatengemeinschaft konkretisiert worden. Die Grü- nen, insbesondere das grün geführte Auswärtige Amt, waren in diesem Prozess immer eine treibende Kraft. Es war und ist unser erklärtes Ziel, das geschundene Afgha- nistan nach 25 Jahren Bürgerkrieg in einer langfristig an- gelegten Entwicklung des zivilen Wiederaufbaus und des Nation Building wieder zur Ruhe kommen zu lassen. Es war und ist unsere Überzeugung, dass dieser Prozess noch auf absehbare Zeit der militärischen Absicherung bedarf. Gerade weil die Grünen im November 2006 zum ers- ten Mal einer Verlängerung des Antiterrormandats Ope- ration Enduring Freedom – OEF – nicht zugestimmt ha- ben, stehen wir bei der realistischen Ausgestaltung des ISAF-Mandats in einer besonderen Verantwortung. Auch in der Öffentlichkeit und in der politischen Diskus- sion der NATO wird zunehmend ein Strategiewechsel angestrebt, der eine Stärkung und Beschleunigung des zivilen Aufbaus unter dem Schutz von ISAF zum Inhalt hat. Angesichts der schwierigen Lage in Afghanistan, die sich im Laufe des Jahres 2006 weiter verschlechtert hat, muss die Sicherungsunterstützungstruppe aller- dings auch mit den nötigen militärischen Kapazitäten ausgestattet werden. Insofern ist der Antrag der Bun- desregierung plausibel. Mit den Aufklärungsflugzeu- gen vom Typ Tornado Recce wird die Fähigkeit von ISAF deutlich verbessert, sich ein Lagebild vom ge- samten Verantwortungsbereich zu machen. Diese Fä- higkeit kommt unmittelbar der Sicherheit der Soldaten und der zivilen Helfer zugute. Die Aufklärung kann die Führungsfähigkeit der Operation ISAF verbessern und die Effizienz der ISAF Stabilisierungs- und Sicher- heitsoperationen steigern. Verbesserte Aufklärungsfä- higkeit von ISAF kann zu verbesserter, angemessener und verhältnismäßiger Reaktion von ISAF führen. Deutschland steht hier auch in einer Gesamtverant- wortung und Bündnisverpflichtung für alle Teilnehmer- länder der Schutztruppe. Diese Verpflichtungen erlauben es nur in extremen Ausnahmefällen, Bündnisanfragen abzulehnen, obwohl die Kapazitäten vorhanden sind. Deshalb können wir den Antrag der Bundesregierung nicht ablehnen. Allerdings: Die Aufklärungsergebnisse der Tornados können auch zu Zwecken missbraucht werden, die mit den Zielen des zivilen Wiederaufbaus nicht im Einklang stehen. Unsere Kritik an Teilen der OEF-Operationen, die im Ergebnis eher den Taliban die Anhänger in die Arme getrieben haben, verweist auf Zweifel an der Füh- rung der künftigen Gesamtoperation und auf die Tatsa- che, dass der angekündigte Strategiewechsel noch nicht umgesetzt ist. Hierzu gehört insbesondere die Kritik an Bombardierungen, die hauptsächlich Zivilpersonen in Mitleidenschaft nehmen. Die Versicherung des Bundes- ministers der Verteidigung, der Tornado-Einsatz vermin- dere die Zahl der Kolateralschäden, ist solange nicht glaubhaft, wie die Ergebnisse der Luftaufklärung – wenn auch restriktiv – für die OEF zu Verfügung gestellt wer- den. Auch hat für uns die Unterstützung des zivilen Auf- baus höchste Priorität. Wir müssen leider beobachten, wie die schwarz-rote Bundesregierung die Finanzierung der zivilen Komponente gegenüber der militärischen Si- cherung nicht mit dem gleichen Einsatz verfolgt. Militär darf nicht zum Ersatz von zivilen politischen Maßnah- men werden. Deshalb können wir dem Antrag der Bun- desregierung nicht zustimmen. Da der geplante Tornado-Einsatz deshalb zum einen sinnvoll für eine Absicherung von ISAF ist, zum ande- ren aber Grundlage für eine falsche Strategie im Rahmen von OEF sein kann – beide Funktionen sind untrennbar miteinander verwoben –, werden wir uns der Stimme enthalten. Anlage 12 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Britta Haßelmann und Ulrike Höfken (beide BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN) zur namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung zu dem Antrag der Bun- desregierung: Beteiligung bewaffneter deut- scher Streitkräfte an dem Einsatz einer Interna- tionalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan unter Führung der NATO auf Grundlage der Resolutionen 1386 (2001), 1413 (2002), 1444 (2002), 1510 (2003), 1563 (2004), 1623 (2005) und 1707 (2006) des Sicherheits- rates der Vereinten Nationen (Tagesordnungs- punkt 21 a) Die Bundesregierung hat einen Antrag auf Entsen- dung von sechs bis acht deutschen Tornados zur Ergän- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. März 2007 8767 (A) (C) (B) (D) zung der UN-mandatierten ISAF-Mission in Afghanis- tan in den Deutschen Bundestag eingebracht, über den das Parlament heute entscheidet. Diese Tornados sollen zur luftgestützten Aufklärung in ganz Afghanistan die- nen. Hier geht es für jede und jeden von uns darum, den Nutzen eines solchen Einsatzes gegen die Risiken abzu- wägen. Ich unterstütze weiterhin die Stabilisierung Afghanistans, weil ein Scheitern der internationalen Ge- meinschaft für die Menschen in Afghanistan und die in- ternationale Gemeinschaft fatal wäre. Die ISAF (International Security Assistance Force) als Verbindung von militärischer Sicherheit auf der einen Seite und zivilem Aufbau und Nation-Building auf der anderen Seite sollte die Umsetzung der Ziele Sicherheit und Stabilisierung gewährleisten. Dieser Einsatz ist vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen mehrfach legiti- miert und in dem sogenannten Petersberger Prozess mit der Verpflichtung der Staatengemeinschaft konkretisiert worden. Der Kampf gegen Gewalt und terrorbereite Kräfte macht den Einsatz von Polizei- und Streitkräften erforderlich, denn ohne eine Mindestmaß an Sicherheit ist der Aufbau staatlicher und zivilgesellschaftlicher Strukturen nicht möglich. Aus meiner Sicht muss es um eine Gesamtstrategie gehen, die eine Stabilisierung stützt und nicht gefährdet. Bei der Ablehnung von OEF (Operation Enduring Freedom) im November 2006 ha- ben wir Grüne gleichzeitig gefordert, dass ISAF als in- ternationale Sicherheitsunterstützungstruppe in Afgha- nistan unter Führung der NATO gestärkt werden muss. Heute sind die Risiken und Chancen der Bereitstel- lung von Tornado-Aufklärungsflugzeugen zu bewerten. ISAF braucht sicher zur Erfüllung des Stabilisierungs- auftrags eine robuste Komponente und, da die Partner wechselseitig aufeinander angewiesen sind, ergeben sich aus einem gemeinsamen Vorgehen der internationalen Gemeinschaft auch bündnispolitische Verpflichtungen. Die Aufklärungsergebnisse allerdings sind in mehrfa- cher Hinsicht nutzbar. Sie können zum Schutz und zur Stabilisierung eingesetzt werden, könnten aber auch zu Zwecken missbraucht werden, die mit den Zielen des zi- vilen Wiederaufbaus nicht im Einklang stehen. Die im Laufe des Jahres 2006 verschlechterte Lage in Afghanistan erfordert aus meiner Sicht einen grundle- genden Strategiewechsel, der die klare Priorität auf ei- nen zivilen Aufbau legt und zu einer nachhaltigen Stabi- lisierung des Landes führt. Wir brauchen eine zivile und politische Offensive und eine Verstärkung der zivilen Anstrengung. Ich bin der Auffassung, dass die Bundesregierung ei- nen größeren Beitrag für einen Strategiewechsel der NATO leisten muss. Zu diesem Zeitpunkt ist für mich nicht erkennbar, in welcher Weise die Bundesregierung durch ihr nationales Engagement und durch internatio- nale Bemühungen auf der Ebene der EU und der NATO diesen Strategiewechsel wirklich im Sinne einer Ge- samtstrategie voranbringen will. Deshalb kann ich dem Antrag der Bundesregierung nicht zustimmen und werde ich mich bei dieser Entscheidung enthalten. Anlage 13 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Ernst Kranz und Frank Schwabe (beide SPD) zur namentlichen Abstim- mung über die Beschlussempfehlung zu dem Antrag der Bundesregierung: Beteiligung be- waffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz einer Internationalen Sicherheitsunterstüt- zungstruppe in Afghanistan unter Führung der NATO auf Grundlage der Resolutionen 1386 (2001), 1413 (2002), 1444 (2002), 1510 (2003), 1563 (2004), 1623 (2005) und 1707 (2006) des Si- cherheitsrates der Vereinten Nationen (Tages- ordnungspunkt 21 a) Die Internationale Sicherheitsunterstützungstruppe, ISAF, soll einen Beitrag für Sicherheit, Recht und Ord- nung und damit für eine friedliche politische Entwick- lung in Afghanistan leisten. ISAF hat beim Wiederauf- bau Afghanistans Erfolge vorzuweisen. Insbesondere die deutsche Bundeswehr hat in ihrem Verantwortungsbe- reich zu einer Stabilisierung im afghanischen Norden beigetragen. Das ISAF-Mandat beinhaltet das Recht der Soldaten auf Selbstverteidigung. Militärische Gewalt ist auch zulässig, wenn es darum geht, die Regierung und die Menschen in Afghanistan zu schützen. ISAF ist klar abzugrenzen von der Operation Endu- ring Freedom, OEF, welche die Bekämpfung des inter- nationalen Terrorismus zum Ziel hat. Die bisherige rela- tive Sicherheit deutscher Soldaten beruht nicht zuletzt auf der erkennbaren Trennung beider Operationen. Der jetzt geplante Einsatz von Tornados der Bundeswehr über ganz Afghanistan führt zu erheblichen Unschärfen bei der Aufgabenteilung von ISAF und OEF. Die Luftaufklärung der Bundeswehr-Tornados dient nach Aussage des Bundesverteidigungsministers Dr. Franz Josef Jung dem Schutz der ISAF-Truppen und der „Zielaufklärung vermuteter Stellungen militanter Wider- standgruppen“, OEF. Ich bezweifle, dass es gelingen wird, die Einsatzbe- dingungen – insbesondere hinsichtlich der Zusammen- arbeit zwischen ISAF und OEF – detailliert zu regeln. Es steht also zu befürchten, dass Widerstandsgruppen in Afghanistan eine solche Differenzierung nicht nachvoll- ziehen werden und die deutschen Tornados als Flug- zeuge im Kampfeinsatz bewerten. Deutsche Soldaten könnten damit für Kriegsoperationen verantwortlich ge- macht werden, auf deren Planung und Durchführung sie keinerlei Einfluss haben. Als Folge von Einsätzen der Amerikaner sind jeden Tag Opfer unter der afghanischen Zivilbevölkerung zu beklagen, zuletzt zum Beispiel am Sonntag, 4. März 2007. Mit dem Einsatz der deutschen Tornados wären wir – zumindest in der Wahrnehmung der Afghaninnen und Afghanen – in diese verhängnis- volle Kette von Gewalt hineingezogen. Dies hätte letzt- lich Auswirkungen auf das gesamte deutsche ISAF-Kon- tingent. Deutsche Stellungen der ISAF-Truppe könnten zunehmend Ziel von Angriffen und Anschlägen werden. Der Einsatz deutscher Tornados wäre damit kein Beitrag zur Stabilisierung der Lage in Afghanistan. Das Gegen- teil wäre der Fall. 8768 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. März 2007 (A) (C) (B) (D) In dieser Einschätzung fühle ich mich bestärkt durch Warnungen von in Afghanistan tätigen NGOs wie Medica Mondiale. Diese zivile deutsche Organisation, die in Kabul, Herat, Masar-i-Scharif und Kandahar her- vorragende Arbeit zum Thema „Gewalt gegen Frauen“ leistet, befürchtet, dass sich die Gefahr für Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen vor Ort durch einen Einsatz von Bundeswehr-Tornados stark erhöhen würde. Bei einer weiteren Militarisierung der Lage würden sich immer weniger zivile Fachkräfte imstande sehen, sich dem er- höhten Sicherheitsrisiko auszusetzen. Ich bin der Ansicht, dass nur eine weitere Stärkung der Zivilgesellschaft und eine Fortsetzung der sinnvollen Wiederaufbauhilfe, die Deutschland in der Vergangen- heit geleistet hat, ein Gegengewicht zu einer weiteren Eskalierung militärischer Gewalt bilden kann. Ich sehe daher in der Entsendung von Recce-Tornados nach Af- ghanistan ein nicht vertretbares Risiko für unsere deut- schen Soldaten, für das Gelingen des ISAF-Einsatzes insgesamt und für die Arbeit von NGOs in Afghanistan. Daher lehne ich die Entsendung von acht Recce-Torna- dos und deren Einsatz in Afghanistan ab. Anlage 14 Erklärungen nach § 31 GO zur namentlichen Abstimmung über die Be- schlussempfehlung zu dem Antrag der Bundes- regierung: Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz einer Internationa- len Sicherheitsunterstützungstruppe in Afgha- nistan unter Führung der NATO auf Grundlage der Resolutionen 1386 (2001), 1413 (2002), 1444 (2002), 1510 (2003), 1563 (2004), 1623 (2005) und 1707 (2006) des Sicherheitsrates der Ver- einten Nationen (Tagesordnungspunkt 21 a) Veronika Bellmann (CDU/CSU): Zunächst ist fest- zustellen, dass ich dem Antrag auf Einsatz von Recce- Tornados zur Verstärkung des Bundeswehreinsatzes in Afghanistan im Rahmen von ISAF nur unter größten Vorbehalten zustimme. Das Grundmandat wurde 2001 von der damaligen rot- grünen Bundesregierung befürwortet und mit entspre- chenden Mehrheiten beschlossen. Ich war damals noch nicht Mitglied des Deutschen Bundestages und würde un- ter heutigen Bedingungen für einen verstärkt auf militäri- sche Präsenz ausgerichteten Auftrag keine Zustimmung geben. Der jetzt geplante Einsatz der Tornado-Aufklä- rungsflugzeuge ist keine solche Grundsatzentscheidung, sondern eine Ergänzung, die wegen unserer Bündnisver- pflichtungen und aus Sicherheitsgründen – für den Schutz unserer Soldaten, der zivilen Entwicklungshelfer sowie gefährdeter Wiederaufbauprojekte – notwendig erscheint. Mit den Aufklärungsflügen soll es besser als jetzt mög- lich sein, Gefahren rechtzeitig zu erkennen, insbesondere hinsichtlich der fragilen Sicherheitslage im Südosten Afghanistans. Insgesamt aber sollte Deutschland innerhalb der NATO und der EU darauf drängen, eine grundlegende Überprüfung der Strategie hinsichtlich der Aufwertung der UN-Mission im Sinne einer Verstärkung der wirt- schaftlichen und politischen Hilfe zu erreichen. Diese umfassende politische Stabilisierung Afghanistans wurde bereits auf dem NATO-Gipfel im November 2006 angemahnt. Mit der derzeitigere Befristung des Einsat- zes der Tornado-Aufklärer bis Oktober dieses Jahres ist eine Möglichkeit der Überprüfung dieses Strategiewech- sels gegeben. Nur unter der Bedingung dieser Befristung, des beab- sichtigten Strategiewechsels und der großen Befürch- tung um die afghanische Bevölkerung, insbesondere um Frauen und Mädchen, stimme ich zu. Ein Erstarken der Taliban ist unter allen Umständen zu verhindern, da an- sonsten der Wiederaufbau des Landes und die Rechte und Freiheiten der Bevölkerung gefährdet würden. Dr. Axel Berg (SPD): Die Internationale Sicherheits- beistandtruppe unterstützt die Regierung Afghanistans bei ihrer Aufgabe, für Sicherheit, Recht und Ordnung im ganzen Land zu sorgen. ISAF soll eine friedliche politi- sche Entwicklung Afghanistans gewährleisten. ISAF hat beim Wiederaufbau Afghanistans Erfolge vorzuweisen. Insbesondere die deutsche Bundeswehr hat in ihrem Ver- antwortungsbereich zu einer Stabilisierung des Nordens Afghanistans beigetragen. Das ISAF-Mandat beinhaltet das Recht der ISAF-Sol- daten auf Selbstverteidigung. Militärische Gewalt ist auch dann zulässig, wenn es darum geht, die Regierung und die Menschen in Afghanistan zu schützen. ISAF ist dabei klar abzugrenzen von der Operation Enduring Freedom, die die Bekämpfung des internatio- nalen Terrorismus zum Ziel hat. Die Sicherheit deut- scher Soldaten bisher beruht nicht zuletzt auf der relativ klaren Trennung beider Operationen. Unter dieser Prä- misse habe ich bisher allen Einsätzen deutscher Soldaten in Afghanistan zugestimmt. Der jetzt geplante Einsatz von Tornados der Bundes- wehr über ganz Afghanistan führt zu erheblichen Un- schärfen bei der Aufgabenteilung von ISAF und OEF. Die Luftaufklärung der Bundeswehrtornados dient nach Aussage des Bundesverteidigungsministers Dr. Franz Josef Jung dem Schutz der ISAF-Truppen und der Zielaufklärung vermuteter Stellungen militanter Wider- standgruppen. Ich bezweifle, dass es gelingen wird, die Einsatzbe- dingungen – insbesondere hinsichtlich der Zusammenar- beit zwischen ISAF und OEF – detailliert zu regeln. Es steht also zu befürchten, dass Widerstandsgruppen in Af- ghanistan eine solche Differenzierung nicht nachvollzie- hen werden und die deutschen Tornados als Flugzeuge im Kampfeinsatz bewerten. Die Recce-Tornados könnten sowohl die ISAF – als auch die OEF-Operationen in ihrer ganzen Breite unter- stützen und haben insofern einen doppelten Verwen- dungszweck die Stabilisierungsoperationen vor allem in Nord-, West- und Zentralafghanistan und die zum Teil Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. März 2007 8769 (A) (C) (B) (D) hochintensiven Kampfoperationen bei der Aufstandsbe- kämpfung im Süden und Osten. Es geht also weder nur um Schutz, noch nur um Kampf, sondern sowohl um Stabilisierungs- als auch um Kampfunterstützung. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Ma- schinen zur Überwachung der bergigen afghanisch- pakistanischen Grenze sowie zur Erkundung von Schlaf- mohnfeldern eingesetzt werden. Die bisherige Drogen- bekämpfung war, trotz positiver Einzelfälle, insgesamt erfolglos. Feldzerstörungen trafen in einem Umfeld feh- lender Alternativen oder nicht eingehaltener Zusagen vor allem die ärmsten Bauern. Auch dies fördert Ent- fremdung – und den Zulauf zu den Taliban. Für dieses Jahr ist eine massive Ausweitung der Eradication ange- kündigt. Die afghanische Regierung konnte bisher noch dem massiven US-Druck für einen Herbizideinsatz wi- derstehen. Auch die präzisere Aufklärung durch Tornados kann das hohe Risiko ziviler Opfer nicht entscheidend redu- zieren, da Kombattanten und Zivilbevölkerung ange- sichts landesüblicher Kleidung und Bewaffnung kaum zu unterscheiden sind. Zur Praxis und Operationsfüh- rung im Süden liegen kaum verlässliche Angaben vor. Da dort vorrangig die Strategie verfolgt wird, die Auf- ständischen zu bekämpfen, werden nicht nur eigene Sol- daten einem erhöhten Risiko ausgesetzt, sondern auch die Zivilbevölkerung massiv in Mitleidenschaft gezogen und Nothilfe und Aufbau vernachlässigt. Deutsche Soldaten könnten damit für Kriegsoperatio- nen verantwortlich gemacht werden, auf deren Planung und Durchführung sie keinerlei Einfluss haben. Jeden Tag sind als Folge von Einsätzen der Amerikaner Opfer unter der afghanischen Zivilbevölkerung zu beklagen, zuletzt am Sonntag, dem 4. März 2007. Mit dem Einsatz der deutschen Tornados wären wir zumindest in der Wahrnehmung der Afghaninnen und Afghanen in diese verhängnisvolle Kette von Gewalt hineingezogen. Dies hätte letztlich Auswirkungen auf das gesamte deutsche ISAF-Kontingent. Deutsche Stellungen der ISAF- Truppe könnten zunehmend Ziel von Angriffen und An- schlägen werden. Der Einsatz deutscher Tornados wäre damit kein Beitrag zur Stabilisierung der Lage in Afgha- nistan. Das Gegenteil wäre der Fall. In dieser Einschätzung fühle ich mich bestärkt durch Warnungen von in Afghanistan tätigen NGOs wie Medica Mondiale. Diese zivile deutsche Organisation, die in Kabul, Herat, Mazar-i-Sharif und Kandahar her- vorragende Arbeit zum Thema Gewalt gegen Frauen leistet, befürchtet, dass sich die Gefahr für Mitarbeiterin- nen und Mitarbeiter vor Ort durch einen Einsatz von Bundeswehrtornados stark erhöhen würde. Bei einer weiteren Militarisierung der Lage würden sich immer weniger zivile Fachkräfte imstande sehen, sich dem er- höhten Sicherheitsrisiko auszusetzen. Ich teile die Meinung von Medica Mondiale, dass nur eine weitere Stärkung der Zivilgesellschaft und eine Fortsetzung der sinnvollen Wiederaufbauhilfe, die Deutschland in der Vergangenheit geleistet hat, ein Ge- gengewicht zu einer weiteren Eskalierung militärischer Gewalt bilden kann. Der Einsatz von sechs Tornados wird für die nächsten sechs Monate auf 35 Millionen Euro taxiert. Das deutsche Jahresbudget für bilaterale Aufbauhilfe in Afghanistan betrug bisher lediglich 80 Millionen Euro. Wenn der Aufbau im bisherigen Tempo fortgesetzt wird, wären in fünf Jahren vielleicht 10 Prozent der Zer- störungen von 26 Jahren Krieg wieder aufgebaut. Afgha- nische Polizisten und Soldaten erhalten 50 bis 60 US- Dollar im Monat, Taliban-Söldner 200 bis 600 Dollar. Die Forderungen nach einer Forcierung des zivilen Auf- baus fanden bisher nur ein unzureichendes Echo. Es ist zu hoffen, dass die beschlossene Polizeimission der Eu- ropäischen Union mit einer deutlichen Verstärkung der Kapazitäten einhergeht. Der Einsatz von Recce-Tornados kann neben dem po- sitiven Teilnutzen für die Stabilisierungsoperationen auf die Unterstützung einer falschen Strategie hinauslaufen, in jedem Fall würde sie die militärisch-zivile Unausge- wogenheit des deutschen Engagements verstärken. Ich sehe daher in der Entsendung von Recce-Torna- dos nach Afghanistan ein nicht vertretbares Risiko für unsere deutschen Soldaten, für das Gelingen des ISAF- Einsatzes insgesamt und für die Arbeit von NGOs in Af- ghanistan und lehne den Einsatz ab. Lothar Binding (SPD): Nachfolgend deute ich den Abwägungsprozess für meine unten angefügte Entschei- dung an. Dabei greife ich in einigen Fällen wortgleich auf Informationen der Bundesregierung bzw. einiger Kollegen aus der SPD-Fraktion zurück. Seit über fünf Jahren ist die Bundesrepublik Deutsch- land aktiv am Aufbau von staatlichen und gesellschaftli- chen Strukturen sowie in verschiedenen Bereichen der wirtschaftlichen Zusammenarbeit in Afghanistan enga- giert. Seit Ende 2001 war Deutschland führend am Pro- zess zum Aufbau rechtsstaatlicher und demokratischer Ordnung beteiligt und hat dazu drei internationale Af- ghanistankonferenzen organisiert. Die Bundeswehr leis- tet seit Beginn des internationalen Engagements im Rah- men eines UN-Mandates – ISAF – einen mit unserer zivilen Unterstützung vernetzten wichtigen Beitrag zur militärischen Absicherung des Stabilisierungs- und Wie- deraufbauprozesses in Afghanistan. Bisher habe ich allen Afghanistaneinsätzen in enger Abstimmung mit meinen afghanischen Freunden zuge- stimmt. Unser Konzept ist darauf orientiert, in Afghanis- tan zivile Aufbauprozesse zu ermöglichen und einen Rahmen zu schaffen, der Terrorismus stetig weiter ein- engt. Durch bessere Bildungschancen, durch Stärkung der Frauenrechte, durch Ausweitung der zivilgesell- schaftlichen Entfaltungsmöglichkeiten, den Aufbau wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Infrastruktur usw. soll jeglichem Terrorismus der Boden entzogen werden. Soweit eine – meine – Idealvorstellung. In der Praxis stellt sich diese Aufgabe aber als sehr risikoreich dar und erfordert schon aus Gründen einer eventuell not- wendigen Selbstverteidigung über rein zivile Vorerfah- rungen hinausgehende Erfahrungen – militärische Prä- senz war und ist heute noch erforderlich und auch von 8770 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. März 2007 (A) (C) (B) (D) Afghanistan erwünscht. An dieser Aufgabe – Aufbau des Landes und Schutz vor terroristischen Übergriffen – möchte ich solange festhalten, bis Afghanistan selbst diese Aufgabe übernehmen kann. Diese Aufgabe hat die Bundeswehr bisher im Norden sehr gut erfüllt. Natürlich gab es Rückschläge, aber in noch immer tribalen Strukturen und einem Land, das maßgeblich vom Drogenanbau dominiert wird, müssen die Maßstäbe für die oben genannten Ziele entsprechend transformiert werden. Insgesamt sind die Entwicklungen im Norden Afghanistans, also dem Einsatzgebiet der Bundeswehr, ein Erfolg deutscher Außenpolitik. Eine der Voraussetzungen für diesen Erfolg war sicherlich ei- nerseits die räumliche Begrenzung, andererseits die Ar- beitsteilung zwischen den verschiedenen Nationen. So konnten unterschiedliche Konzepte zur Anwendung kommen und die Aufträge für die Bundeswehr – einer „Parlamentsarmee“ – entsprechend definiert werden. Soldaten der Bundeswehr waren in der Vergangenheit an verschiedenen Auslandseinsätzen im Rahmen der kollektiven Bündnisse der Vereinten Nationen und der NATO beteiligt. In einer Entscheidung vom 12. Juli 1994 hat das Bundesverfassungsgericht bekräftigt, dass Art. 24 Abs. 2 Grundgesetz im Zusammenwirken mit Art. 87 a Abs. 2 Grundgesetz die verfassungsrechtliche Grundlage für die Einordnung der Bundesrepublik Deutschland in ein System gegenseitiger kollektiver Si- cherheit zur Wahrung des Friedens darstellt. Als Abge- ordneter muss ich bei meiner Entscheidung berücksichti- gen, dass die Bundesrepublik als Mitglied in der NATO Verantwortung für deutsche Soldatinnen und Soldaten und auch für alle Soldaten der NATO-Vertragsstaaten übernimmt und Verpflichtungen eingeht. Die Verpflichtungen, die sich aus der NATO-Mit- gliedschaft ergeben, erfordern außenpolitische Verläss- lichkeit als Bündnispartner. Diese setzt innenpolitische Unterstützung der Bundesregierung durch die sie tragen- den Koalitionsfraktionen voraus. Denn jede letztgültige Entscheidung muss von innen bestimmt und nach außen vertreten werden. Die angeforderte und auch erforderliche Bündnistreue steht in Konflikt mit der Entscheidungs- und Gewissens- freiheit als Abgeordneter. Die NATO-Mitgliedschaft be- gründet keinen Automatismus; denn die Letztentschei- dung über einen Einsatz unserer Soldatinnen und Soldaten obliegt dem Bundestag. Dieser Parlamentsvor- behalt ist eng mit dem freien Mandat und der Gewissens- freiheit des Abgeordneten verbunden. Er genießt Vor- rang gegenüber den außenpolitischen Erfordernissen und ist zusätzlich begründet durch die besondere historische Verantwortung Deutschlands. Dies gilt umso mehr, als der Abgeordnete eines natio- nalen Parlaments am Entscheidungsprozess der NATO, der zu bestimmten Anforderungen führt, nicht immer hinreichend beteiligt ist. Dies gilt gleichermaßen für die Abgeordneten anderer nationaler Parlamente. Im Falle einer Koalitionsmehrheit muss die Gewis- sensfreiheit abgewogen werden gegen die Handlungsfä- higkeit der gesamten Regierung in allen Politikfeldern – eine schwierige Entscheidungssituation für jeden einzel- nen Abgeordneten, auch für mich. Mit dem Beitritt Deutschlands zu den Vereinten Na- tionen und zur NATO wurden auch Einsätze der Bundes- wehr im Rahmen und nach den Regeln von VN und NATO möglich; mit Blick auf die wechselseitigen Ver- pflichtungen, die man in Bündnissen eingeht, sind solche Einsätze vielleicht sogar nötig. Allerdings ist für mich Bündnistreue allein kein hinreichender Grund, für Ein- sätze der Bundeswehr zu stimmen. Art und Ziel des Ein- satzes dominieren meine Entscheidung. Auslöser der aktuellen Entscheidung über eine Ent- sendung von Tornados nach Afghanistan war eine An- frage der NATO. Die Bundesregierung hat nach Prüfung dieser Anfrage über die Ergänzung des vom Bundestag am 26. September vergangenen Jahres verlängerten ISAF-Mandates einen Beschluss gefasst, wonach zeit- lich befristet Aufklärungsflugzeuge des Typs Recce-Tor- nado nach Afghanistan verlegt werden sollen. Die Bundesregierung hat wichtige Beschränkungen für den Einsatz der Tornados vorgesehen. Sie dürfen nur zum Zwecke der Aufklärung und Überwachung aus der Luft eingesetzt werden. Wie die Bundesregierung in ih- rer Mandatsbegründung ausführt, sieht der ISAF-Opera- tionsplan eine restriktive Übermittlung von Aufklä- rungsergebnissen an die internationale Operation Enduring Freedom vor. Die Übermittlung von Aufklä- rungsdaten darf nur erfolgen, wenn dies zur erfolgrei- chen Durchführung der ISAF-Operation oder für die Sicherheit von ISAF-Kräften erforderlich ist. Die Aufklä- rungsflugzeuge sollen nicht zur Luftnahunterstützung ein- gesetzt werden. Die Erkenntnisse werden von ISAF für Schutzmaßnahmen genutzt, aber auch zur Bekämpfung der Taliban und anderer oppositioneller militanter Kräfte. Neben der Bitte um eine Ausweitung des militäri- schen Engagements und die aktive Beteiligung deutscher Soldaten an Kampfeinsätzen steht das Bemühen seitens der NATO, die Europäische Union und weitere interna- tionale Organisationen wie Weltbank und Vereinte Na- tionen zu einem verstärkten Engagement in Afghanistan aufzurufen. Der NATO-Generalsekretär de Hoop Scheffer kritisierte in diesem Zusammenhang bereits die Einsatzbeschränkungen für mehrere Kontingente der aus verschiedenen Ländern stammenden internationalen Af- ghanistanschutztruppe ISAF. Auch der Bundestag hat im Rahmen des Stabilisie- rungsmandates der Vereinten Nationen in Afghanistan, – kurz ISAF – solche Beschränkungen hinsichtlich des geografischen Einsatzgebietes in Afghanistan und der Beteiligung deutscher Soldaten an Kampfhandlungen definiert, die meine volle Unterstützung hatten und ha- ben. Das Parlament hat einer Verlängerung dieses Enga- gements der Bundeswehr am 28. September 2006 zuge- stimmt. Dieses Mandat erlaubt den Einsatz von maximal 3 000 Soldaten in Afghanistan. Gegenwärtig sind etwa 2 850 dort stationiert. Das Mandat sieht einen Einsatz nicht im Süden des Landes, sondern nur im Norden vor. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. März 2007 8771 (A) (C) (B) (D) Im Rahmen des Selbstverteidigungs- und Nothilferechts darf die Truppe alle zum Schutz der Regierung und der Zivilbevölkerung erforderlichen Maßnahmen ergreifen. Darüber hinaus dürfen die deutschen Streitkräfte aber nicht zu Kampfhandlungen eingesetzt werden. In ande- ren Regionen des Landes, in denen Militäreinheiten un- serer Bündnispartner seit Sommer verstärkte Offensiven gegen die bewaffnete Opposition in Afghanistan durch- führen, wird ein Einsatz wie bisher nur für zeitlich und im Umfang begrenzte Unterstützungsleistungen ermög- licht. Forderungen unserer NATO-Partner nach einem direkten Einsatz der Bundeswehr, insbesondere von Ein- heiten des Kommandos Spezialkräfte – KSK –, bei der aktiven Bekämpfung des Drogenanbaus und -handels waren von der Bundesregierung zurückgewiesen wor- den. In einer Protokollnotiz hatte die Bundesregierung im Oktober 2003 klargestellt, dass „die Drogenbekämp- fung nicht im Mandat des Bundeswehreinsatzes enthalten ist“. Gegenwärtig drohen die Kommandeure der Taliban damit, das Land zu irakisieren, mit funkgesteuerten Kleinstbomben zu agieren, die Selbstmordattentate zu erhöhen. Das Ganze könnte nicht trotz, sondern sogar wegen der Tornados geschehen. Dass dann der Ruf nach deutschen Bodentruppen im Osten und Süden Afghanis- tans noch stärker als bislang ertönen dürfte, ist für uns die militärisch logische und wahrscheinliche Konse- quenz. Deutschland könnte mit zunehmendem Zeitab- lauf nicht mehr vermitteln können, warum es nicht mit gleichem Risiko wie die anderen Nationen beteiligt ist. Diese Weigerung, sich an Kampfeinsätzen zu beteili- gen, halte ich für die richtige Entscheidung, die ich auch zur Grundlage meiner gegenwärtigen Einschätzung der politischen Situation mache. Denn die Erfahrungen mit bisherigen Militärmissionen, die unter dem Mandat der VN oder der NATO standen, zeigt, dass Truppen oftmals zahlreiche eigene Todesopfer zu beklagen hatten und eine Beteiligung in engster Kooperation schnell an Selbstbestimmung verliert. Das ist ein in der Praxis nicht kalkulierbares Risiko. Das Wissen um diese möglichen Konsequenzen meiner Entscheidung für die betroffenen Bundeswehrsoldaten und ihre Angehörigen stellt eine schwere moralische Bürde dar. Meine Entscheidung bespreche ich auch mit afghani- schen Freunden, die mir ein genaues und lebensnahes Bild von der Lage im Land zeichnen und deren Friedens- orientierung für mich zweifelsfrei feststeht. Gegenwärtig werde die Aufbauarbeit durch die afghanische Regie- rung in der Öffentlichkeit nicht genug sichtbar; die Re- gierung gilt als schwach. Militärische Präsenz dagegen werde viel deutlicher sichtbar. Statt ziviler Projekte, de- ren Lebensdauer oft auf wenige Monate begrenzt ist, sei der Schwerpunkt des Engagements umzulenken von mi- litärischen Aktivitäten in zivilen Aufbau. Meine Auf- gabe ist es, die verschiedenen Aspekte der Auslandsein- sätze und der Terrorismusbekämpfung sensibel zu betrachten und Handlungsalternativen besonnen gegen- einander abzuwägen. Entscheidungen wie die, Soldatin- nen und Soldaten in ein militärisches Krisengebiet zu schicken, sind schwierige Gewissensfragen für mich. Dies gilt genauso für Kolleginnen und Kollegen, die anders abstimmen. Für sie gibt es mit Blick auf die Hilfe und Unterstützung anderer Einsatztruppen auch Gründe, für den Einsatz zu stimmen. Hier gilt es, wechselseitig die Ernsthaftigkeit der Abwägungsprozesse mit unter- schiedlichen Ergebnissen zu respektieren. Die Unbere- chenbarkeit in terroristischem Umfeld führt bei allen Handlungsoptionen zu Restzweifeln über „die richtige“ Entscheidung. Zudem befürchte ich, dass sich unsere Weigerung, Bodentruppen für einen möglichen Kampfeinsatz zu ent- senden, angesichts drohender Verluste anderer Truppen- teile nicht aufrechterhalten lassen wird, wenn wir der Entsendung von Tornado-Flugzeugen zugestimmt und damit unsere Bereitschaft zu Kampfeinsätzen signalisiert haben. Der Tornado-Einsatz liegt zwischen den bisher getroffenen Entscheidungen und weiteren Erwartungen bestimmter Bündnispartner, deren Schwelle zu militäri- schen Kampfeinsätzen sehr viel niedriger ist. Ich möchte auch die Leistungsfähigkeit unserer Sol- daten und Soldatinnen nicht aus den Augen verlieren. Die Belastungsgrenze ist angesichts deutscher Beteili- gung an vielen Missionen in der Welt erreicht. Die Pläne der Regierung hatten zunächst vorgesehen, die lange geplante Rückverlegung von Soldaten aus Mazar-i-Sharif in Nordafghanistan und das damit ver- bundene Freiwerden eines Truppenkontingentes von 400 Mann dazu zu nutzen, um 250 Soldaten der Luft- waffe mit den Tornados nach Afghanistan zu schicken. Damit hätte man sich im Rahmen des laufenden Bundes- tagsmandates bewegt, das eine Obergrenze von 3 000 Soldaten für den Einsatz vorsieht; aus formalrechtlicher Sicht wäre damit eine Debatte um das Mandat und eine Entscheidung des Bundestages vermieden worden. Da meines Erachtens mit der aktiven Beteiligung der Bun- deswehr an Kampfeinsätzen in Süd- und Ostafghanistan allerdings eine inhaltliche Neuausrichtung des Mandates einhergeht, halte ich eine Entscheidung im Bundestag für erforderlich. Den Vorschlag aus den Reihen unseres Koalitions- partners, der Bundestag solle die Bundesregierung zu Beginn einer Legislaturperiode ermächtigen, internatio- nalen Organisationen Truppen anzubieten, den konkre- ten Marschbefehl vom Bundeskabinett erteilen zu lassen und dem Parlament lediglich ein Rückholrecht innerhalb von 90 Tagen zuzugestehen, halte ich unter dem Aspekt der zivilen Kontrolle der Streitkräfte für nicht sinnvoll und praktikabel. Gerade bei solch schwierigen Entschei- dungen darf ein Parlament vor der Verantwortung nicht zurückschrecken. Außerdem gilt für die Entscheidung über den Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte der wehrverfassungs- rechtliche Vorbehalt des Parlaments. Dieser verpflichtet die Bundesregierung, grundsätzlich im Voraus die Zu- stimmung des Bundestages zu Einsätzen einzuholen. Mit Inkrafttreten des neuen Gesetzes über die parlamentari- sche Beteiligung bei der Entscheidung über den Einsatz bewaffneter Streitkräfte im Ausland – dem Parlamentsbe- teiligungsgesetz vom 24. März 2005 – werden diese Mit- 8772 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. März 2007 (A) (C) (B) (D) wirkungsrechte des Deutschen Bundestages konkreti- siert. Zu den Befugnissen gehören insbesondere das Rückholrecht der Soldaten im Kampfeinsatz und die Verpflichtung der Regierung zur Unterrichtung des Par- laments. Neben diesen gesetzlichen Schranken gegen einen Missbrauch militärischen Engagements hat auch der ein- zelne Abgeordnete einen wichtigen Anteil an der Kon- trolle über die Streitkräfte. Denn es handelt sich bei der Bundeswehr um eine Parlamentsarmee, und die Angehö- rigen unserer Streitkräfte müssen darauf vertrauen kön- nen, dass die Abgeordneten das Für und Wider eines Einsatzes genau abwägen. Die jüngere Vergangenheit hat deutlich gemacht, dass die Abgeordneten des Deutschen Bundestages sich ihrer Verantwortung, die mit einem Einsatz deutscher Truppen im Ausland verbunden ist, bewusst sind und ihre Ent- scheidungen erst nach reiflicher Überlegung und sorgfäl- tiger Gewissensprüfung getroffen haben. In diesem Zusammenhang erinnere ich daran, dass ich dem Liba- noneinsatz der Bundeswehr im Rahmen der UNIFIL- Mission nicht zugestimmt habe. Deshalb plädiere ich dafür, bei der Analyse unserer Vorgehensweise und der Suche nach Wegen zu Befrie- dung und Wiederaufbau in Afghanistan behutsam zu ar- gumentieren, auch wenn man damit Gefahr läuft, keine einfachen Auswege aus dem Dilemma anbieten zu kön- nen. Momentan sehe ich keine vernünftige Alternative zur Wiederherstellung und Aufrechterhaltung von Si- cherheit und Ordnung durch militärische Präsenz in Nord- afghanistan und bin mir dabei durchaus des Dilemmas der Erzwingung von Ruhe und Frieden bewusst. Aller- dings habe ich auch keine befriedigende Antwort auf die Frage gefunden, in welchem Zustand sich Afghanistan ohne den militärischen Schutz der internationalen Trup- pen, die im Rahmen der Mandate Operation Enduring Freedom – ORF – und International Security Assistance Force – ISAF – operieren, befände. Aufgabe der OEF ist der Kampf gegen den internatio- nalen Terrorismus und seine Unterstützer auf der Grund- lage von Art. 51 der VN-Satzung, der das Recht auf Selbstverteidigung festschreibt, und den Resolutionen 1368 (2001) und 1373 (2001) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen sowie Art. 5 des Nordatlantikvertra- ges. Die OEF besteht derzeit aus zwei weitgehend unab- hängigen Teiloperationen: Eine wird in Afghanistan, die andere im Seegebiet am Horn von Afrika durchgeführt. Die Bundeswehr war an den Kampfeinsätzen zur Terro- rismusbekämpfung im Rahmen der OEF nur mit kleinen Einheiten des Kommandos Spezialkräfte – KSK – betei- ligt. Nach Angaben von Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) hat es seit dem Regierungswechsel keine KSK-Einsätze in Afghanistan mehr gegeben. Der letzte Beitrag wurde im Mai 2005 beendet, und im Okto- ber 2005 wurde die Rückverlegung aller deutschen KSK-Kräfte nach Deutschland abgeschlossen. Hier ist gut zu erkennen, wie sensibel Regierung und Parlament mit diesen Fragen umgehen, und dass eine digital redu- zierte Beurteilung – ja/nein, gut/böse, richtig/falsch – an friedensorientierten Lösungen vorbeiführt. Innerhalb der NATO-geführten internationalen Si- cherheitsunterstützungstruppe – ISAF – sollen unsere Bundeswehrsoldaten in Afghanistan den Frieden sichern und den Wiederaufbau unterstützen. Nach den terroristi- schen Anschlägen vom 11. September 2001 in den USA und dem Sturz des Talibanregimes hatten sich Vertreter unterschiedlicher politischer Kräfte Afghanistans Ende 2001 anlässlich der Petersberger Konferenz in Bonn auf eine „Vereinbarung über provisorische Regelungen in Afghanistan“ bis zum Wiederaufbau dauerhafter Regierungsinstitutionen geeinigt. Mit dieser sogenann- ten Bonner Vereinbarung war die politische Grundlage für die NATO-geführte International Security Assistance Force – ISAF – geschaffen, deren Aufstellung der UN- Sicherheitsrat am 20. Dezember 2001 mit der Resolution 1386 beschlossen hat. Mit der am 5. Oktober 2006 er- folgten Ausdehnung des Einsatzgebiets der NATO-ge- führten Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe – ISAF – auf ganz Afghanistan besteht die Hoffnung, dass es mit dem auch stärker an zivilen Erfordernissen orientierten Ansatz von ISAF gelingen kann, die Regie- rungsgewalt der Zentralregierung und damit auch die Aufbaubemühungen auf diese bislang vernachlässigten Regionen auszuweiten. Meine Auffassung ist, dass die Bekämpfung des Ter- rorismus in erster Linie keine militärische, sondern eine politische Aufgabe ist. OEF und ISAF sind daher als ein Element einer Gesamtstrategie zu sehen, die Maßnah- men auch und gerade in zahlreichen anderen nichtmilitä- rischen Bereichen umfasst. Sie kann dabei auf militäri- schen Schutz nicht verzichten. Afghanistan ist trotz eines insgesamt erfolgreich verlaufenden Stabilisie- rungsprozesses weiterhin auf die Unterstützung der in- ternationalen Gemeinschaft angewiesen, sodass eine Fortsetzung der Anwesenheit internationaler Sicher- heitskräfte unbedingt erforderlich bleibt. Militärische Mittel sind bei der Bekämpfung des Terrorismus nur ein – allerdings unerlässliches – Element, das von polizeili- chen, politischen, wirtschaftlichen, entwicklungspoliti- schen und zivilgesellschaftlichen Maßnahmen begleitet werden muss. Daher begrüße ich die Aufstockung der fi- nanziellen Mittel um 20 Millionen auf 100 Millionen Euro, die das Bundesministerium für wirtschaftliche Zu- sammenarbeit und Entwicklung am vergangenen Mitt- woch bekanntgegeben hat. Die deutsche Aufbauhilfe konzentriert sich auf die Bereiche Energie- und Wasser- versorgung sowie die Bildungsförderung in Groß- und Kleinprojekten und soll auch auf den Süden des Landes ausgeweitet werden, um diese Krisenregion weiter zu stabilisieren. Seit fast fünf Jahren ist die Bundesrepublik Deutsch- land aktiv am Aufbau von staatlichen Strukturen und in verschiedenen Bereichen der wirtschaftlichen Zusam- menarbeit engagiert. Dazu wurden im November 2003 und im September 2004 je ein „Provincial Reconstruc- tion Team“, das heißt ein regionales Wiederaufbauteam, Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. März 2007 8773 (A) (C) (B) (D) in Kunduz und Faisabad aufgestellt, die mit ihrer zivilen Ausrichtung die Autorität der Zentralregierung in den Provinzen stärken und die Wiederaufbaubemühungen unterstützen sollen. Zentrale Aufgabe der deutschen Wiederaufbauteams war „die Schaffung eines Klimas der Sicherheit, in dem afghanische Kräfte zur Drogenbe- kämpfung ausgebildet werden“. Deutsche Soldaten sollen deshalb, wie bisher, nur logistische Unterstützung leis- ten. Deutschland hat bis 2010 weitere 400 Millionen Euro für den Wiederaufbau zugesagt. Das BMZ hat im No- vember 2006 ein Pilotprojekt für die Provinzen Paklia und Khost im Südosten begonnen. Weitere Aktivitäten im Süden sind nötig, um den Menschen zu zeigen, dass die internationale Präsenz ihren Interessen dient. Die EU hat zu diesem Zweck Ende Januar weitere 600 Millionen Euro für zivile Entwicklung bereitgestellt. Darüber hin- aus wurde im Februar eine ESVP-Mission beschlossen, die 160 Kräfte für den Polizeiaufbau und 70 Berater für die Reform der Justiz umfassen soll. Da der Nachschub aus den paschtunischen Stammesgebieten Pakistans eine zentrale Rolle für die Stärke der afghanischen Taliban spielt, setzt sich Deutschland zusammen mit seinen Ver- bündeten für eine bessere Kooperation der pakistani- schen Regierung mit den afghanischen Nachbarn ein. Bei einem Treffen der EU-Troika mit Pakistan konnten Anfang Februar 2007 gemeinsame Anstrengungen zur Sicherung der Grenze vereinbart werden. Dafür stellt die EU wiederum 200 Millionen Euro bereit. Deutschland ist in Afghanistan weiterhin ein aner- kannter und angesehener Partner und leistet einen un- verzichtbaren Beitrag zur notwendigen militärischen Absicherung des Stabilisierungsprozesses in Afghanis- tan. Allerdings sind 23 Jahre Bürgerkrieg und Taliban- herrschaft nicht kurzfristig zu überwinden. Die fortbe- stehende Gefährdungslage erfordert von der Allianz weiterhin die Bereitstellung ausgewählter militärischer Fähigkeiten für die Bekämpfung des Terrorismus. Die militante Opposition, sowie die lokalen und regionalen Machthaber und die organisierte Kriminalität sind im- mer noch bestimmende Faktoren für die Sicherheits- lage Afghanistans. Besonders im Süden und Osten stel- len diese Faktoren eine wesentliche Bedrohung afghanischer und internationaler Sicherheitskräfte, aber auch der gesellschaftlichen, sozialen und ökonomi- schen Entwicklung dar. Es bedarf hier weiterhin der ak- tiven Terrorismusbekämpfung durch OEF, bis die af- ghanischen Sicherheitskräfte eigenständig in der Lage sind, die Sicherheit im eigenen Lande zu gewährleis- ten. Die Bundesrepublik leistet hierzu ihren Beitrag mit der Ausbildung von Sicherheitskräften, der Bereitstel- lung logistischer Unterstützung und der Bewahrung ei- nes Raums relativer Sicherheit und Ruhe im Norden. In Abwägung all dieser Aspekte trete ich für die Bei- behaltung der bisherigen Präsenz deutscher Soldaten in Afghanistan ein, lehne aber eine Erweiterung der bishe- rigen Aufgabe und die Entsendung von Aufklärungs- flugzeugen des Typs Recce-Tornado nach Afghanistan ab. Klaus Brandner (SPD): 2001 haben die Mitglieder des Deutschen Bundestages und mit ihnen die Abgeord- neten der SPD eine Grundsatzentscheidung getroffen. Deutschland ist der Bitte der afghanischen Regierung nachgekommen, sich an einer Internationalen Sicher- heitsunterstützungstruppe – ISAF – zu beteiligen. Durch diesen Einsatz auf Grundlage von Kapitel VII der UN- Charta wollten wir Afghanistan auf seinem Weg des Wiederaufbaus begleiten und stabilisieren. Den vorläufi- gen Staatsorganen Afghanistans sollte die Vorbereitung und Durchführung von demokratischen Wahlen in siche- rem Umfeld ermöglicht werden. Der Bevölkerung Afghanistans sollte mit Unterstützung der Vereinten Na- tionen und zahlreicher internationaler Hilfskräfte eine Chance auf einen Neuanfang in Sicherheit und politi- scher Selbstbestimmung gegeben werden. Wir haben Af- ghanistan und seiner Bevölkerung damit Unterstützung zugesagt, sich vor der erneuten Kontrolle durch extre- mistische und terroristische Kräfte und vor der Ausbeu- tung von Land und Leuten zu schützen. An diesen grundsätzlichen Zielen hat sich nichts ge- ändert. Der Deutsche Bundestag hat das ISAF-Mandat daher nicht nur verlängert, sondern auch auf Regionen jenseits von Kabul ausgeweitet. Die Bundesregierung hat die deutsche Verantwortung für die Zukunft Afgha- nistans nicht zuletzt im „Afghanistan Compact“ Anfang 2006 bestätigt. Ressortübergreifend leistet Deutschland daher uner- müdlich und mit umfangreichen finanziellen Mitteln ei- nen wichtigen Beitrag zur Stabilisierung des Landes. Besonders hervorzuheben sind dabei die Ausbildung der afghanischen Polizei und insbesondere die beachtens- werten Programme und Projekte in der Entwicklungszu- sammenarbeit. Deutsche Bundeswehrsoldaten kommen dabei weiter ihrem Mandat nach und sichern die Bemü- hungen der afghanischen Zivilbevölkerung und der in- ternationalen Hilfskräfte ab. Nicht zuletzt durch die Ein- beziehung der afghanischen Zivilgesellschaft und ziviler Hilfskräfte konnten deutsche Soldaten Vertrauen schaf- fen und dadurch nachhaltige Verbesserungen erreichen. Das bisherige Auftreten der deutschen Bundeswehrsol- daten und der deutsche Ansatz der zivil-militärischen Zusammenarbeit haben sich bewährt. Die Lage in Afghanistan hat sich in den letzten Mona- ten dramatisch verschlechtert; denn die Regierung Karzai ist nach wie vor schwach und weit davon ent- fernt, ihre Kontrolle auf das gesamte Land auszuweiten. Die Rückkehr der Taliban in das Sicherheitsvakuum im Süden Afghanistans bedroht daher den weiteren Ent- wicklungsprozess und die politische Stabilität des gan- zen Landes. Wir sehen in der Entsendung von Tornados keine qua- litative Änderung des bisher von Deutschland verfolgten Kurses. Auch der Einsatz von Tornados zielt darauf ab, Afghanistan bei der Gewinnung und Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit zu unterstützen. Die Aufklärungs- flüge dienen der Sicherheit der Menschen und internatio- nalen Hilfskräfte und damit der Stabilität weit über den Süden Afghanistans hinaus. 8774 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. März 2007 (A) (C) (B) (D) Wir betrachten mit wachsender Sorge, dass Deutsch- land mit einer verfehlten Antiterrorpolitik identifiziert wird. Denn Deutschland hat stets betont, dass ein rein militärischer Ansatz, der nur auf die Verfolgung von Ter- roristen setzt, aber den zivilen Wiederaufbau vernach- lässigt, zu kurz greift. Militärische Maßnahmen ohne flankierendes ziviles Engagement können nicht von nachhaltigem Erfolg gekrönt sein. Die dank der Bundes- regierung auf dem NATO-Gipfel in Riga verabschie- deten Auflagen, auch die zivile Komponente des En- gagements in Afghanistan zu verstärken, entsprechen dieser Einschätzung. Sie reichen aber nicht aus. Wir begrüßen daher die intensive Debatte um den ISAF-Einsatz und die Tornado-Entsendung in den letz- ten Wochen, in der sich viele von uns umfangreich über die Situation in Afghanistan informiert haben. Eine grundlegende Überprüfung der Afghanistanstrategie se- hen wir als Voraussetzung für die anstehende Verlänge- rung der Mandate von ISAF und Operation Enduring Freedom an. Wir erwarten von der Bundesregierung, dass sie die verbleibende Zeit nutzt, um die begonnene Debatte im Bündnis weiterzuführen und intensiv mit dem Deutschen Bundestag abzustimmen. Wir haben da- durch die Basis für die Diskussion geschaffen, die wir im Hinblick auf die für den Herbst anstehende Entschei- dung über die Verlängerung des ISAF-Mandats führen werden. Die Entscheidung über die Entsendung von deutschen Tornados muss der Beginn einer ehrlichen Analyse der bisherigen NATO-Strategie in Afghanistan sein. Alle diejenigen, die unsere Kritik teilen, dass der Einsatz von Mitteln für militärische Zwecke im Vergleich zu den In- vestitionen in zivile Maßnahmen unverhältnismäßig hoch ist, bitten wir, gemeinsam mit uns dafür zu sorgen, dass in Zukunft in angemessenem Umfang Gelder für den zivilen Wiederaufbau von Afghanistan bereitgestellt werden. Die SPD ist die Friedenspartei. Und eine umfassende Sicherheitspolitik ist aktive Friedenspolitik. Doch diese muss langfristig und vorausschauend geplant sein. Mili- tärisches Engagement, für das wir uns in Afghanistan entschieden haben, kann nur dann ermöglicht werden, wenn man zu dauerhaften Verpflichtungen auch im flan- kierenden zivilen und entwicklungspolitischen Bereich bereit ist. Die zivil-militärische Zusammenarbeit steht dabei im Vordergrund. Im Oktober läuft das Mandat für den Einsatz deutscher Truppen in Afghanistan aus. Spä- testens bis dann gehört eine nachhaltige Strategie für ei- nen stabilen Frieden auf die Tagesordnung. Martin Gerster (SPD): Seit über fünf Jahren ist die Bundesrepublik Deutschland aktiv am Aufbau von staat- lichen und gesellschaftlichen Strukturen sowie in ver- schiedenen Bereichen der wirtschaftlichen Zusammenar- beit in Afghanistan engagiert. Seit Ende 2001 war Deutschland führend am Prozess zum Aufbau rechts- staatlicher und demokratischer Ordnung beteiligt und hat dazu drei internationale Afghanistankonferenzen organi- siert. Die Bundeswehr leistet seit Beginn des internatio- nalen Engagements im Rahmen eines UN-Mandates, – ISAF – einen mit unserer zivilen Unterstützung ver- netzten, wichtigen Beitrag zur militärischen Absiche- rung des ISAF-Stabilisierungs- und Wiederaufbaupro- zesses in Afghanistan. Das bisherige, auf die beschriebene Weise vernetzte Engagement Deutschlands im Norden Afghanistans hat wesentlich zur Stabilisierung in Kabul und im Norden Afghanistans beigetragen und genießt hohe internatio- nale Reputation. Dauerhafter Frieden und zuverlässige humanitäre Hilfe waren und sind für die deutsche Au- ßenpolitik zwei Seiten derselben Medaille. Diese Ver- bindung unterstütze ich auch weiterhin. Die deutsche Außenpolitik hat sich dabei auf sehr wohltuende Weise von der Politik anderer Nationen un- terschieden. Anders als in der Außenpolitik anderer Län- der wurde der Kampf gegen den Terrorismus nicht als Krieg betrachtet. Dass die „Kriegsstrategie“ bislang nicht aufgegangen ist, belegt nicht nur der Umstand, dass die Friedenssicherung im Osten und Süden Afgha- nistans nach dem Willen der dort verantwortlichen Na- tionen nun ebenfalls um eine zivile Begleitung mit höhe- rem Gewicht ergänzt werden soll, die Deutschland im Norden Afghanistans bereits erfolgreich betreibt. Dabei sollten wir nicht vergessen, dass selbst diese Korrektur der „Kriegsstrategie“ noch zu wenig sein könnte; denn eigentlich war die internationale Schutz- truppe ISAF vor fünf Jahren mit 20 000 Soldatinnen und Soldaten angetreten, um den zügigen Aufbau eines phy- sisch und moralisch zerstörten Landes zu garantieren. Die Reste der Taliban und von al-Qaida sollten von hochgerüsteten Truppen in wenigen Monaten besiegt sein. Die Realität, auf deren Grundlage der Antrag der Bundesregierung jetzt gestellt wird, sieht leider anders aus. Die Zahl der Anschläge auf militärische Ziele in Af- ghanistan ist von 2005 auf 2006 dramatisch gestiegen: von 1 632 auf 5 338. Insgesamt waren 4 000 Tote zu be- klagen. Das sind zehnmal so viele wie drei Jahre zuvor. Angesichts dieser Entwicklung stelle ich mir die Frage, ob man diese Entwicklung beenden kann, indem deutsche Tornados mit Aufklärungsflügen den Boden- truppen den Weg weisen. Angesichts dieser Entwicklung – insbesondere der Fehlentscheidungen in Ost- und Süd- afghanistan, den Frieden dort vornehmlich mit militäri- schen Mitteln erreichen zu wollen – sind wir mehr denn je aufgerufen, alles zu tun, damit die Afghanen die Mit- glieder fremder Nationen als ihre Unterstützer wahrneh- men und anerkennen. Jeder zusätzliche militärische Bei- trag mit nahezu unvermeidlichen zusätzlichen Opfern aufseiten der Zivilbevölkerung birgt den Verdacht in sich, die Afghanen nicht als gleichberechtigte Partner anzuerkennen, sondern die Besatzungssituation perpetu- ieren zu wollen. Mit der nun von der Bundesregierung beantragten Be- teiligung an dem Einsatz einer internationalen Sicher- heitsunterstützungstruppe verbinde ich daher die Be- fürchtung, dass die bisherige fruchtbringende deutsche Außenpolitik anders als bisher wahrgenommen würde. Gegenwärtig drohen die Kommandeure der Taliban damit, das Land zu irakisieren, mit funkgesteuerten Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. März 2007 8775 (A) (C) (B) (D) Kleinstbomben zu agieren, die Selbstmordattentate zu erhöhen. Das Ganze könnte nicht trotz, sondern sogar wegen der Tornados geschehen. Dass dann der Ruf nach deutschen Bodentruppen im Osten und Süden Afghanis- tans noch stärker als bislang ertönen dürfte, ist für mich die militärisch logische und wahrscheinliche Konse- quenz. Deutschland könnte mit zunehmendem Zeitab- lauf nicht mehr vermitteln können, warum es nicht mit gleichem Risiko wie die anderen Nationen beteiligt ist. Dies gilt umso mehr, als die Tornado-Einsätze nun in die gerade anlaufende Frühjahrsoffensive der NATO und in die Operation Enduring Freedom – OEF – einbezogen werden sollen. Es besteht daher die Gefahr, dass deut- sche Soldaten für Kriegsoperationen verantwortlich ge- macht werden, auf deren Planung und Durchführung sie kaum Einfluss haben. Dies hätte letztlich Auswirkungen auf das gesamte deutsche ISAF-Kontingent. Deutsche Stellungen der ISAF-Truppe könnten zunehmend Ziel von Angriffen und Anschlägen werden und auch die er- reichte Stabilisierung der Lage im Norden Afghanistans wäre gefährdet. Der Einsatz deutscher Tornados wäre damit kein Bei- trag zur Stabilisierung der Lage in Afghanistan. Das Ge- genteil wäre der Fall. Ich sehe daher in der Entsendung von Recce-Tornados nach Afghanistan ein nicht vertret- bares Risiko für unsere deutschen Soldatinnen und Sol- daten und für das Gelingen des ISAF-Einsatzes insge- samt und werde dem erweiterten Mandat daher nicht zustimmen. Petra Hinz (Essen) (SPD): Wie alle anderen Mitglie- der des Deutschen Bundestages bin auch ich der Auffas- sung, dass die Situation in Afghanistan zutiefst beun- ruhigend ist und ein erneutes Erstarken der Taliban verhindert werden muss. Wir entscheiden heute über den Einsatz von zusätz- lich 500 deutschen Soldaten in Afghanistan für Aufklä- rungs- und Überwachungsmissionen aus der Luft. Wird dieser Einsatz heute vom Bundestag beschlossen, so be- finden sich dann rund 8 000 deutsche Soldatinnen und Soldaten in Auslandseinsätzen. Der Antrag erhöht nicht nur die Zahl der eingesetzten Soldaten, sondern erweitert auch den Auftrag und das Einsatzgebiet der Bundes- wehr. Zum ersten Mal seit Beginn des deutschen En- gagements in Afghanistan im Jahr 2002 werden bewaff- nete deutsche Streitkräfte im gesamten afghanischen Hoheitsgebiet eingesetzt und greifen aktiv in das Kampf- geschehen ein. Deshalb geht es heute nicht um einen Friedenseinsatz, sondern wir entscheiden über einen Kampfeinsatz. Eine gleichlautende Aussage traf auch der ehemalige Verteidigungsminister im Bonner „Gene- ral-Anzeiger“. Der Generalinspekteur der Bundeswehr, Wolfgang Schneiderhan, bestätigte, dass die eingesetzten Tornados nahezu alles und zu jeder Zeit fotografieren werden. Durch die Fotos können detaillierte Lagebilder über zi- vile Einrichtungen, Truppenbewegungen der ISAF und auch über mögliche Stellungen der Taliban erstellt wer- den. Die Aufklärungsarbeit der deutschen Tornados ist demnach geeignet, um die Angriffspläne und die Taktik einer militärischen Offensive zu unterstützen. In der Begründung des Antrages wird von einer „rest- riktiven Übermittlung von Aufklärungsergebnissen“ an die Streitkräfte der Operation Enduring Freedom, OEF, gesprochen. Diese dürfen dann auch nur zur Sicherung der ISAF-Kräfte verwendet werden. Eine andere Nut- zung der Erkenntnisse durch OEF kann aber nicht ausge- schlossen werden. Eine alleinige Verwendung der Fotos zum Schutz von Zivilisten, Aufbauhelfern und Soldaten der ISAF vor versehentlichen Angriffen ist zu begrüßen, kann aber nicht sichergestellt werden. Deutschland un- terstützt damit direkt die Kampfhandlungen der OEF in Afghanistan. Darüber müssen sich alle Mitglieder des Deutschen Bundestages im Klaren sein. Kurz: Die gewonnenen Lagebilder dienen nicht dem Wiederaufbau, sondern dienen dem Kampfeinsatz, auch wenn einige Kolleginnen und Kollegen das nicht gerne hören. Nach den Lagebildern werden die Bomben fallen. Es ist absehbar, dass unsere Soldatinnen und Soldaten in die Kämpfe einbezogen werden. Und schon jetzt ist klar, dass im Herbst weitere Einsatzbefehle für weitere Bo- dentruppen folgen werden. Dann steht die nächste Ent- scheidung an die heute noch bestritten wird. Ich begrüße das zivile deutsche Engagement beim Wiederaufbau des Landes und seiner Sicherheitsstruktu- ren. Zuletzt hat Deutschland für die Ausbildung afghani- scher Polizeieinheiten die Federführung übernommen. 42 deutsche Polizistinnen und Polizisten sind derzeit in Afghanistan tätig. Dem stehen derzeit 2 953 Bundes- wehrsoldaten gegenüber. Anstatt zusätzlich in militäri- sche Operationen zu investieren und den Einsatz von Soldatinnen und Soldaten auszudehnen, sollten wir die Ausbildung der Polizisten intensivieren. Damit unter- stützen wir Afghanistan aktiv, in absehbarer Zeit die Si- cherheit allein herstellen zu können. Der Deutsche Bundestag hat noch immer keine De- batte über die zukünftige Ausrichtung der Deutschen Bundeswehr und die Schaffung entsprechender verfas- sungsrechtlicher Grundlagen geführt. Im Rahmen der Legitimierung von Auslandseinsätzen der Bundeswehr wird sich derzeit auf Art. 24 Abs. 2 GG bezogen. Dort wird lediglich die Beteiligung an multinationalen Sicher- heitsinstitutionen ermöglicht. Nach meiner Auslegung beinhaltet dies nicht die Beteiligung an internationalen Militäroperationen. Für mich ist deshalb Art. 87 a Abs. 2 bindend. Danach definiert das Grundgesetz die Aufgabe der Bundeswehr in der Landesverteidigung. Ich zitiere Art. 87 a Abs. 2 GG: „Außer zur Verteidigung dürfen die Streitkräfte nur eingesetzt werden, soweit dieses Grund- gesetz es ausdrücklich zulässt.“ Eine solche Legitima- tion beinhaltet das Grundgesetz nicht, im Besonderen nicht für Kampfeinsätze. Aufgrund der internationalen Verantwortung Deutsch- lands und der Einbindung in die Strukturen der Vereinten Nationen ist es an der Zeit, die Einsatzmöglichkeiten und -ziele der Bundeswehr im Ausland klar zu definie- ren. Eine Änderung des Grundgesetzes ist dabei un- vermeidbar. Gleichzeitig muss auch über den Parla- mentsvorbehalt diskutiert werden. Die Bundesregierung 8776 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. März 2007 (A) (C) (B) (D) machte in der Vergangenheit immer wieder Zusagen zur Beteiligung an militärischen Auslandseinsätzen, ohne zuvor eine Entscheidung des Parlamentes abzuwarten. Wir müssen uns in diesem Zusammenhang fragen, wel- chen Zweck der Parlamentsvorbehalt hat, wenn wir uns jeweils mit vollendeten Tatsachen beschäftigen. Solange das Parlament sich dieser Debatte nicht stellt und schlüssige Regelungen beschließt, ist es mir nicht möglich, Auslandseinsätzen deutscher Soldatinnen und Soldaten zuzustimmen. Vor allem kann ich den heute zur Abstimmung stehenden Kampfeinsatz der Bundeswehr in Afghanistan nicht mit meinem Gewissen vereinbaren. Ich stimme dem Antrag der Bundesregierung deshalb nicht zu. Iris Hoffmann (Wismar) (SPD): Ich unterstütze und befürworte ausdrücklich das bisherige zivile und militä- rische Engagement Deutschlands für den Wiederaufbau und die Stabilisierung Afghanistans. Die Bundeswehr leistet dabei einen wichtigen und hervorragenden Bei- trag zur Absicherung dieses Prozesses im Norden Afghanistans. Insbesondere unterstütze ich den deut- schen Ansatz der Verschränkung von zivilen und militä- rischen Maßnahmen. Eine Beteiligung deutscher Soldaten an Kampfeinsät- zen in Afghanistan lehne ich jedoch entschieden ab. Und ich habe die Befürchtung, dass mit der nun anstehenden Entscheidung über die Entsendung deutscher Tornado- Aufklärungsflugzeuge genau dieser Weg beschriften wird. Es kann zumindest nicht ausgeschlossen werden, dass die Erkenntnisse aus den Aufklärungsflügen schon jetzt zur Vorbereitung und Durchführung von Kampfein- sätzen genutzt werden. Zudem wird eine Entsendung der Tornados den Druck auf Deutschland zur Entsendung von Bodentruppen für Kampfeinsätze im Süden und Os- ten Afghanistans verstärken. Dies erscheint als logischer nächster Schritt. Die Strategie, Frieden und Stabilität in Afghanistan vornehmlich mit militärischen Mitteln erzwingen zu wollen, halte ich jedoch für grundlegend falsch. Sie for- dert zu viele, vor allem zivile Opfer und ist insgesamt nicht zielführend, wie die Entwicklung im Süden des Landes eindrucksvoll zeigt. Auch deshalb kann ich nicht erkennen, inwieweit die nun geplante Entsendung der Aufklärungsflugzeuge zur bisher verfolgten deutschen Strategie beitragen kann. Ich befürchte vielmehr, dass sie sich kontraproduktiv aus- wirken und die zumindest in Teilen Afghanistans er- reichte Stabilisierung gefährden könnte. Damit verbun- den wäre ein unvertretbares Risiko für die Sicherheit und Unversehrtheit unserer Soldaten. Ich werde deshalb der Entsendung deutscher Tor- nado-Aufklärungsflugzeuge und der Erweiterung des ISAF-Mandates heute nicht zustimmen. Manfred Kolbe (CDU/CSU): Seit Beginn meiner Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag 1990 habe ich aus innerer Überzeugung immer allen internationalen Einsätzen der Bundeswehr zugestimmt. Dem heute zur Beschlussfassung im Deutschen Bundestag anstehenden Tornado-Einsatz in Afghanistan kann ich jedoch aus den folgenden Gründen nicht zustimmen: Erstens. Ähnlich wie im Irak gelingt es dem Westen offenbar nicht, ein demokratisches Staatswesen aufzu- bauen und die Menschen innerlich dafür zu gewinnen. Vielmehr hat sich die Sicherheitslage dramatisch ver- schlechtert, und Kriminalität, Korruption und Drogenan- bau nehmen wieder zu; letzterer erreichte 2006 eine All- zeitrekordernte. Zweitens. Die zunehmende Militarisierung führt zu einer wachsenden Anzahl von unschuldigen Opfern un- ter der Zivilbevölkerung, hauptsächlich durch Luftan- griffe. Mittlerweile dürfte bei solchen sogenannten Kol- lateralschäden eine vielfache Anzahl an unschuldigen Menschen getötet worden sein, wie bei den schreckli- chen Terrorangriffen vom 11. September 2001 auf New York, die Ausgangspunkt unseres Engagements waren. Mit jedem unschuldig getöteten Zivilisten bekämpfen wir nicht den Terror, sondern schaffen diesem neuen Zu- lauf. Drittens. Mit dem Tornado-Aufklärungseinsatz und sich der daran anschließenden militärischen Verwendung dieser Aufklärungsergebnisse findet ein Kurswechsel von der zivilen Aufbauhilfe hin zu einem stärkeren Mili- täreinsatz statt. Die Tornados sind genau das falsche Symbol für den demokratischen Wiederaufbau Afgha- nistans. Diesen Kurswechsel kann ich im Interesse Af- ghanistans, der Bundesrepublik Deutschlands sowie des gesamten Westens nicht mittragen. Wir brauchen viel- mehr eine Grundsatzdebatte darüber, wie die Bundesre- publik Deutschland und der Westen insgesamt den Ter- ror bekämpfen und Demokratie und Rechsstaatlichkeit in Afghanistan aufbauen können. Jürgen Koppelin (FDP): Der geplanten Mandats- ausweitung des Einsatzes der Bundeswehr in Afghanis- tan werde ich nicht zustimmen. Der Bundesregierung fehlt in Afghanistan ein schlüs- siges Konzept. Einerseits möchte die Bundesregierung ihrer Bündnisverpflichtung in der NATO Genüge tun – dann wäre die Entsendung lediglich von Aufklärungs- tornados der falsche, weil unzureichende Beitrag. Ande- rerseits spricht sich die Bundesregierung auf dem NATO-Gipfel in Riga für eine Strategieänderung im Sinne einer politischen Stabilisierung aus. Auch in die- sem Fall wäre die Entsendung der Tornados der falsche Beitrag. Diesen von der Bundesregierung selbst geschaf- fenen Widerspruch will sie mit der Entsendung von Tor- nados lösen. Dabei hat selbst die Bundeskanzlerin noch im No- vember 2006 im Deutschen Bundestag erklärt, dass ein Einsatz der Bundeswehr im Süden von Afghanistan nicht infrage komme. Gleichzeitig werden die Zustände in Afghanistan immer besorgniserregender. Trotz des ISAF-Einsatzes befinden sich Teile des Landes im Kriegszustand. Ebenso haben die Anschläge im gesam- ten Land sehr stark zugenommen. Auch bei der Reduzie- rung des Drogenanbaus konnten bisher keine Erfolge er- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. März 2007 8777 (A) (C) (B) (D) zielt werden, im Gegenteil, der Anbau hat sich noch ausgeweitet. Die internationale Gemeinschaft hat daher bisher keines ihrer Ziele erreicht und muss sich nun fra- gen lassen, ob die Mittel, die sie einsetzt, geeignet sind, die Stabilisierung und Demokratisierung in der Zukunft zu erreichen. Der ehemalige Bundeskanzler Helmut Schmidt be- zeichnet die Entwicklung in Afghanistan als „vorherseh- bar chaotisch“ und sagt, „dass man sich nicht auf militä- rische Abenteuer einlässt, deren Ausgang vorhersehbar chaotisch – Interview im „Tagesspiegel“ vom 10. De- zember 2006 – seien. Bei Gesprächen mit den Piloten der Tornados und weiteren Soldaten ist klar geworden, dass diese Maschi- nen technisch nicht optimal für einen Einsatz in solchen Klimaten ausgelegt sind. Die Bundeswehr hat für ein solches Engagement keine Erfahrungen gesammelt. Auch die Ausbildung der Piloten für derartige Einsätze ist nicht ausreichend. Ebenso ist die Versorgung mit Er- satzteilen aus verschrotteten Tornados nicht verantwort- bar, da auch dieses Material bereits „Materialermüdun- gen“ zeigt. Das ist für die deutschen Soldaten ein nicht zumutbarer Zustand. Abschließend ist nicht einmal die Chance eines Endes des Bundeswehreinsatzes und eine Verbesserung des Zu- stands der Verhältnisse in Afghanistan unter den gegen- wärtigen Bedingungen in Sicht. Katharina Landgraf (CDU/CSU): Der Einsatz von deutschen Tornado-Aufklärungsflugzeugen in Afghanis- tan dient entsprechend des Antrages der Bundesregie- rung ausschließlich dem rechtzeitigen Erkennen mögli- cher Gefahren. Dadurch soll vor allem der Schutz der afghanischen Bevölkerung sowie der eingesetzten deut- schen Soldaten und der Soldaten der Verbündeten ver- größert werden. Die nunmehr mögliche verbesserte Auf- klärung dient nicht zuletzt dem Schutz von zivilen Entwicklungshelfern sowie gefährdeter Wiederaufbau- projekte. Der Antrag der Bundesregierung ist durch das bestehende Mandat der Vereinten Nationen begründet. Er sieht eine Einbeziehung in aktive kriegerische Hand- lungen nicht vor. Dem Auftrag der Bundeswehr liegt die politische Grundüberzeugung „ohne Sicherheit keine Entwicklung“ zugrunde. Deshalb stimme ich dem An- trag zu. Ich verweise darauf, dass bei grundsätzlich ver- änderten Bedingungen die Beteiligung deutscher Solda- ten an der internationalen Sicherheitstruppe ISAF mit entsprechenden Beschlussfassungen durch den Deut- schen Bundestag eingeschränkt bzw. gestoppt werden sollte. Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Afghanistan bedarf weit mehr als bisher der Unterstüt- zung, gerade durch zivile Mittel. Ohne Strategiewechsel und deutlich mehr ziviles Engagement sind die Men- schen in Afghanistan dauerhaft nicht für die Demokratie zu gewinnen. Afghanistan braucht eine politische und zivile Frühjahrsoffensive. Zugleich können wir nicht übersehen, dass sich Af- ghanistan in einer Situation befindet, in der zivile Maß- nahmen allein nicht zum Erfolg führen können. Beson- ders im Süden und Osten des Landes muss Stabilität auch mit militärischen Mitteln herbeigeführt werden, um zivilen Helfern ihren Einsatz überhaupt erst zu ermögli- chen. Im ganzen Land ist militärischer Schutz und Ab- sicherung des zivilen Aufbaus unverzichtbar. Hierin be- steht der Auftrag der Tornado-Aufklärungsflugzeuge. Ich stimme der Entsendung der Aufklärungsflug- zeuge zu, weil ich die Notwendigkeit militärischer Flan- kierung der zivilen Maßnahmen anerkenne. Meine Zu- stimmung erkläre ich gleichzeitig mit der Aufforderung an die Bundesregierung, innerhalb der NATO auf einen Kurswechsel zu dringen. Nur als Teil einer effektiven Gesamtstrategie, die Gewalt eindämmt und Frieden schafft, ist der Einsatz der Tornados für den Aufbau Afghanistans aussichtsreich. Für eine ausgewogene Afghanistanpolitik ist eine Vervielfachung der zivilen Mittel notwendig, die ange- kündigte Erhöhung um 20 Millionen Euro reicht nicht aus. Deutschland hat die Koordinierungsverantwortung für den Aufbau der Polizei in Afghanistan übernommen. Um dies zum Erfolg zu führen, ist eine deutliche Auf- stockung von Personal und Mitteln notwendig. Gemein- sam mit der internationalen Gemeinschaft müssen schlüssige Konzepte zur Drogenbekämpfung entwickelt und politischer Druck auf Pakistan ausgeübt werden, das die Reorganisation der Talibankräfte auf seinem Territo- rium duldet. Dazu fordere ich die Bundesregierung auf. Gisela Piltz (FDP): Der Einsatz deutscher Tornado- Aufklärungsflugzeuge in Afghanistan stellt aus meiner Sicht eine besondere Herausforderung für die deutsche Bundeswehr dar. Ich bin der Überzeugung, dass sich Deutschland an einer internationalen Sicherheitsunter- stützungstruppe in Afghanistan unter Führung der NATO beteiligt. Es ist dabei aber sicherzustellen, dass die Tornado-Aufklärungsflugzeuge auf dem technisch bestmöglichen Stand sind, um so die Besatzung der Auf- klärungsflugzeuge mit den zurzeit besten Sicherheitsvor- kehrungen auszustatten. Beispielsweise sind die Recce- Tornados nicht mit einem Notfunkgerät ausgestattet, das in einem Notfall über eine Databurst-Funktion gesichert deren Position und einen Code an einen Satelliten über- mittelt. Dies stellt ein Beispiel der unzureichender Si- cherheitstechnik der Tornados dar. Außerdem kann es im äußersten Nordosten von Af- ghanistan aufgrund der Leistungsparameter der Recce- Tornados und der extremen geografischen Verhältnisse dazu kommen, dass eine Höhe von 3 800 Meter über Grund auch aus nichttaktischen Gründen unterschritten werden muss. Dabei kann es zu Situationen kommen, in der die Tornado-Aufklärungsflugzeuge in den Wirkungs- bereich von Manpads gelangen, wodurch für die Besat- zung der Tornado-Aufklärungsflugzeuge Gefahr für Leib und Leben besteht. Weiterhin verfügen die Tornado-Aufklärungsflug- zeuge nicht über eine Link-Fähigkeit und somit auch nicht über die Möglichkeit, grafische Lageinformationen während des Fluges zu empfangen. Dies ist technisch möglich. Die Tornado-Aufklärungsflugzeuge der deut- 8778 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. März 2007 (A) (C) (B) (D) schen Bundeswehr verfügen jedoch nicht über diese Link-Fähigkeit und entsprechen somit nicht den besten Sicherheitsstandards. Zusammenfassend komme ich zu dem Schluss, dass Deutschland sich an einem Einsatz der internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan unter Leitung der NATO beteiligen muss. Nichtsdestoweniger bin ich der Auffassung, dass der Einsatz deutscher Tor- nado-Aufklärungsflugzeuge nur dann erfolgen kann, wenn sie mit den besten Sicherheitsvorkehrungen ausge- stattet sind. Dies ist in den letzen Jahren versäumt wor- den. Aus den oben genannten Gründen enthalte ich mich meiner Stimme bei der namentlichen Abstimmung zu Tagesordnungspunkt 21 am 9. März 2007. Maik Reichel (SPD): Die Bundesrepublik Deutsch- land ist seit Ende 2001 aktiv am Aufbau staatlicher und gesellschaftlicher Strukturen beteiligt. Neben einer Be- friedung der Verhältnisse in diesem Land hat sich Deutschland maßgeblich am Aufbau einer demokrati- schen und rechtsstaatlichen Ordnung beteiligt. Die dabei von Deutschland organisierten Afghanistankonferenzen sind markantes Zeichen dafür. Unsere Bundeswehr leistet seitdem im Rahmen eines VN-Mandates einen wichtigen Beitrag zur militärischen Absicherung des Wiederaufbauprozesses, der durch Deutschland auch finanziell unterstützt wird. Dieses zweifache Engagement unseres Landes hat sicher dazu beigetragen, die Situation im Norden Afghanistans und auch in Kabul zu stabilisieren. Dauerhafter Frieden im Land und eine notwendige stetige humanitäre Unterstüt- zung sind sehr wichtige Aspekte bei dieser Mission. Zu Beginn des ISAF-Mandates war das richtige An- sinnen, ein am Boden liegendes Land rasch wieder auf- zubauen. Dazu sollten Tausende Soldaten die Grundvo- raussetzung für einen solchen Aufbau schaffen, nämlich die Friedenssicherung leisten. Doch leider haben wir es nicht erreicht, die Taliban und al-Quaida zu besiegen. Zunehmend mehr Anschläge – auch im Norden – sind zu verzeichnen. Die Befürch- tung vieler, unsere direkte Hilfe bei militärischen Aktio- nen könnte unsere gute Arbeit im Norden diskreditieren, teile ich. Darüber hinaus fürchte ich, dass unsere gute und für Afghanistan nützliche friedenssichernde Außen- politik Schaden nehmen könnte. Vielleicht provoziert der Einsatz von Tornados sogar mehr Anschläge im Nor- den. Zum anderen werden die durch die Aufklärungs- flugzeuge gewonnenen Daten nicht nur für ISAF, son- dern eben auch für die Operation Enduring Freedom verwandt. Damit wird sicher eine Unterstützung der be- ginnenden Frühjahrsoffensive gegeben sein. Es besteht die Gefahr, dass deutsche Soldaten und damit unser Land für Kriegsoperationen und deren unabsehbare Fol- gen verantwortlich gemacht werden. Zudem befürchte ich, dass die Operationen vor allem im Südosten Afghanistans, an der Grenze zu Pakistan, zu weiteren Komplikationen zwischen beiden Ländern füh- ren werden, wo wir doch gerade im Rahmen der G-8- Präsidentschaft auf eine Stabilisierung der Beziehungen zwischen Pakistan und Afghanistan hinwirken wollen. Ich sehe im Einsatz deutscher Tornados folglich kei- nen Beitrag zur Stabilisierung der noch immer prekären Lage in Afghanistan. Ein Gelingen des ISAF-Einsatzes ist damit gefährdet. Deshalb stimme ich der Entsendung der Recce-Tornados nicht zu. Dr. Rainer Stinner (FDP): Ich stimme dem Antrag der Bundesregierung zur Entsendung von Aufklärungs- tornados nach Afghanistan zu. ISAF ist ein Gesamteinsatz der NATO. Wir können und dürfen uns nicht auf die Position zurückziehen, die Lage im Süden ginge uns nichts an. Schon heute gilt: Im Norden ist es auch deswegen relativ ruhig, weil unsere NATO-Partner im Süden ein Vordringen von Taliban- kräften in den Norden aktiv verhindern. Als Teil der ISAF ist Deutschland mitverantwortlich für die Situation in Gesamtafghanistan. Deutschland ist das einzige Land der NATO, das derzeit mit seinen Recce-Tornados eine dringend notwendige Aufklärungsfähigkeit für den ge- meinsam geplanten und durchgeführten ISAF-Einsatz in dieser Qualität zur Verfügung stellen kann. In dieser Si- tuation können wir unseren Partnern die Solidarität nicht verweigern. Die Aufklärungsergebnisse der Recce-Tornados wer- den selbstverständlich Folgen für die anschließende Operationsplanung – auch im Rahmen von OEF – ha- ben. Sie können Kampfeinsätze hervorrufen. Sie können aber auch bereits geplante Einsätze verändern, oder sie können Einsätze verhindern. Ich bin davon überzeugt, dass eine bessere Aufklärung insgesamt dazu beiträgt, zielgenauer zu operieren und damit eventuell Kollate- ralschäden zu verhindern. Ich erwarte von der Bundesregierung eine ehrliche Darstellung des Mandats: Aufklärung ist integraler Be- standteil von Kampfeinsätzen. Jede Beschönigung dieser Tatsache wäre unehrlich der Öffentlichkeit und den Sol- daten gegenüber. Gegner des Tornado-Einsatzes befürchten, dass durch die Zustimmung ein Automatismus für den Einsatz von Bodentruppen im Süden entsteht. Selbstverständlich kann niemand – weder der Bundestag noch die Bundes- regierung – ausschließen, dass es zu weiteren Forderun- gen von NATO-Partnern an die Bundesrepublik Deutschland kommen wird. Dabei spielt die jetzt anste- hende Entscheidung über den Einsatz der Tornados aber keine Rolle. Es gibt keinerlei Automatismus für weitere Entscheidungen, weder militärisch noch politisch. Ich habe, ebenso wie meine gesamte Fraktion, der Verlängerung des ISAF-Mandates im September 2006 unter der Erwartung zugestimmt, dass es in Afghanistan zu einem grundsätzlichen Strategiewechsel kommt. Erste Ansätze für einen solchen Strategiewechsel sind erkennbar. Ob diese dauerhaft und ausreichend sein wer- den, ist noch offen. Deshalb ist es gerade jetzt entschei- dend, dass die Bundesregierung mehr Einfluss auf die Gesamtstrategie und die Operationsplanung von ISAF einfordert und ausübt. In dieser Situation eine Unterstüt- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. März 2007 8779 (A) (C) (B) (D) zungsanfrage abzulehnen, wäre für das Ziel des grund- sätzlichen Strategiewechsels und der deutschen Einfluss- nahme kontraproduktiv. Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Ich lehne den Antrag der Bundesregierung, Tor- nado-Flugzeuge der Bundeswehr auch im Süden Afgha- nistans einzusetzen, ab und stimme deshalb mit Nein. Mit dem geplanten Einsatz unterstützen die deutschen Tornado-Flugzeuge den schmutzigen Krieg der US- Streitkräfte im Süden Afghanistans; sie werden zumin- dest auch Ziele feststellen und zeitnah an das militäri- sche Hauptquartier im Süden melden, die anschließend mit Raketen und Bomben aus der Luft angegriffen und zerstört werden. Bei zukünftigen Meldungen über zer- störte Häuser, Gehöfte und ganze Ortschaften steht dann zu befürchten, dass diese Ziele mit all den menschlichen Opfern mit deutscher Unterstützung vernichtet wurden. Diese Art der Kriegsführung der USA im Süden Af- ghanistans hat in den letzten Jahren nicht dazu geführt, dass islamistischer Terrorismus wirksam bekämpft wird. Sie hat auch nicht dazu geführt, dass nur die Verantwort- lichen für die Anschläge in New York und Washington vom 11. September 2001 zur Verantwortung gezogen und der Gerechtigkeit zugeführt wurden, „bring to jus- tice“, wie es in der UN-Resolution als Grundlage des Militäreinsatzes festgelegt wurde. Diese Art der Kriegs- führung war eher geeignet, Hass und Terrorismus welt- weit zu schüren und hat in Afghanistan den Widerstand so gestärkt, dass er inzwischen den aus den Jahren seit 2001 bei weitem übertrifft. Es gibt Alternativen: Die Strategie für Afghanistan muss grundlegend geändert werden. Eine neue Strategie muss daran ausgerichtet sein, statt immer mehr Krieg an- zufachen, die Kriegshandlungen zu beenden, statt immer mehr Militär einzusetzen, die Truppenstärke zügig zu re- duzieren und die Soldaten in einem absehbaren und ver- antwortbaren Zeitraum abzuziehen. Die verhängnisvolle Kriegsführung insbesondere der US-Streitkräfte muss sofort gestoppt werden. Es müssen Verhandlungen auf- genommen werden mit dem Ziel, einen Waffenstillstand auch im Süden Afghanistans zu erreichen – für das ganze Land oder auch nur für einzelne Teile, für Provin- zen oder Teilprovinzen. Verhandlungspartner müssen da- bei alle sein können, die bereit sind, über einen Waffen- stillstand zu reden, das sind Stammesführer genauso wie Teile der Taliban oder bewaffnete Widerstandsgruppen. Zaghafte Versuche, etwa der britischen Militärs in der jüngsten Vergangenheit, für einzelne Regionen Waffen- stillstände zu vereinbaren, waren so lange erfolgreich, bis sie durch neue Kampfhandlungen der US-Streitkräfte zunichte gemacht wurden. Der Widerstand im Süden Af- ghanistans wird schon lange nicht mehr nur von Taliban organisiert, sondern auch von sehr unterschiedlichen an- deren Gruppen, die sich zusammenfinden in der Ableh- nung der fremden Truppen im Lande, häufig motiviert durch Verluste von Familienangehörigen infolge der Kriegsführung der US-Streitkräfte. Darüber hinaus ist eine Waffenstillstandskonferenz mit allen Nachbarstaaten, nicht nur mit Pakistan sondern auch mit dem Iran, notwendig. Nur wenn die militäri- sche Strategie in Richtung Schweigen der Waffen nach- haltig verändert wird, können auch zivile Wiederaufbau- arbeiten durchgeführt und der Bevölkerung eine lebbare Alternative aufgezeigt werden. Die Waffenstillstands- strategie muss ergänzt werden durch entschieden ver- stärkte zivile Aufbaumaßnahmen, vor allen Dingen der Infrastruktur, der Verwaltung und Justiz und jeglicher Förderung von Bildung und Ökonomie. Die Mittel für den zivilen Wiederaufbau müssen und können mindes- tens in der Höhe zur Verfügung gestellt werden wie der- zeit für die Militäreinsätze. Auch zur Lösung des Drogenproblems müssen radi- kal neue Wege geprüft und gegangen werden. So gibt es den Vorschlag, die gesamte Opiumernte vor Ort aufzu- kaufen und weltweit dem Roten Kreuz und anderen in- ternationalen Organisationen zur wirksamen Schmerzbe- kämpfung auf der Grundlage ärztlicher Verordnung zur Verfügung zu stellen. Die Vernichtung verbleibender Reste der aufgekauften Ernte käme allemal billiger als der Kampf gegen den kriminellen Opium- bzw. Heroin- handel in Afghanistan und überall auf der Welt. Dem il- legalen Opiumanbau und kriminellen Drogenhandel in Afghanistan, mit dem auch Milizen, Privatarmeen und Warlords bis hinein in die Regierung finanziert werden, würde damit von einem Tag auf den anderen die Grund- lage entzogen. Insbesondere den Bauern und der Land- wirtschaft könnte damit auch der Weg geöffnet werden für die Entwicklung einer Landwirtschaft, die der Ernäh- rung der Bevölkerung dient und für die allmähliche Be- endigung des Drogenanbaus sorgt. Der bisherige Weg zum Ziel einer modernen, humani- tären Zivilgesellschaft in Afghanistan hat sich als falsch erwiesen; Afghanistan steckt tiefer im Krieg als in den Jahren davor. Deshalb ist die Öffnung neuer Wege un- verzichtbar. Ein „Weiter so“ mit immer mehr Militär darf es nicht geben. Anlage 15 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung des Antrags: Arbeitsplatzabbau bei Airbus verhindern – Staatliche Sperrminori- tät bei EADS herstellen (Tagesordnungspung 23) Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): EADS ist aufgrund der Verzögerungen bei der Ausliefe- rung des Airbus A380, aufgrund des hohen Dollarkurses und politisch beeinflusster, ineffizienter Strukturen in Turbulenzen geraten. Eine Rolle hat auch die mangelnde Berücksichtigung der innovativen Kohlefasertechnik gespielt. Jetzt geht es darum, Airbus wieder auf einen langfristig produktiven und wettbewerbsfähigen Weg zu bringen. Niemandem wäre geholfen, wenn die 55 000 Arbeitsplätze insgesamt riskiert werden und es nicht gelingt, das Unternehmen wettbewerbsfähig gegen Boeing zu halten. Bei der Umsetzung des Sanierungsprogramms „Power8“ sollen die Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh- 8780 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. März 2007 (A) (C) (B) (D) mer nun die Konsequenzen von Managementfehlern tra- gen. Es ist geplant, 10 000 der 55 000 Arbeitsplätze ab- zubauen, in Deutschland sollen 3 700 Arbeitsplätze wegfallen. Es fällt schwer, diese Entscheidungen zu ak- zeptieren. Wir verstehen die Empörung der betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die nun die Leid- tragenden sein sollen. Wir erwarten, dass die Betriebsvereinbarung für die deutschen Werke, nach der bis 2012 betriebsbedingte Kündigungen ausgeschlossen sind, eingehalten wird und der Abbau von Beschäftigten sozialverträglich gestaltet wird. Darüber hinaus soll eine Reihe von Werken ausge- gliedert werden. Fraglich ist auch, ob Abstimmungspro- zesse durch die Ausgliederung nicht erschwert werden. Die deutschen Werke Varel, Nordenham und Laupheim gelten als hochproduktiv. Es muss darauf geachtet wer- den, dass nicht wertvolles technologisches Know-how verloren geht. Wesentlicher Grund für die Schieflage des Konzerns ist die bisherige politische Einflussnahme auf den Kon- zern. Die ineffizienten Management- und Produktions- strukturen sind nicht zuletzt durch staatliche Einfluss- nahme entstanden. Wir sehen heute, wie das Sanierungskonzept „Power8“ im französischen Wahlkampf und im Wettbe- werb deutscher Ministerpräsidenten zerrieben zu werden droht. Wie brauchen daher nicht mehr, sondern weniger staatlichen Einfluss bei Airbus. Staatliche Unterstützung des Airbusprojekts war zu Beginn des Projektes notwendig, zwischenzeitlich hat sich Airbus jedoch eine gefestigte Position auf dem Weltmarkt erarbeitet. Die staatliche Einflussnahme ist dort zu einem Problem geworden, wo politische Ziele über betriebswirtschaftliche Logik gestellt werden. Die Linke dagegen fordert den Ausbau staatlichen Einflusses. Da es nicht vorstellbar ist, dass der deutsche Staat mehr Anteile als der französische hält, bedeutet eine Sperrminorität für Deutschland – also 25 Prozent plus eine Aktie – nichts anderes als die Verstaatlichung des Konzerns. Das ist der falsche Weg. In der aktuellen Krise war und ist es dennoch richtig von der Bundesregierung, ihren Einfluss gelten zu ma- chen. Ein einseitiger Rückzug nur der Bundesrepublik wäre falsch. Nötig ist, dass sich alle beteiligten Staaten perspektivisch aus dem Unternehmen zurückziehen. Wir betrachten die aktuelle Diskussion über die Schließung von Standorten sehr kritisch. Die Standorte, über deren Verkauf diskutiert wird, sind innovative Standorte für die Luftfahrtindustrie. Die Standorte Varel, Nordenham und Laupheim sind hochproduktiv. Durch Innovationsförderung, Unterstützung regionaler For- schungskapazitäten, Förderung von Weiterbildung müs- sen Bund und Länder ihre Wettbewerbsfähigkeit unter- stützen. Das Beispiel CFK-Valley in Stade hat gezeigt, wie Innovationspartnerschaften wirken können. Regio- nale Innovationscluster müssen durch stärkere Einbin- dung der Schulen und Hochschulen gestärkt werden. Dann werden die Standorte auch außerhalb des Airbus- konzerns wettbewerbsfähig bleiben. Wie ist es also bestellt um die Zukunftsfähigkeit von Airbus? Wir sehen die Perspektiven von Airbus nach wie vor positiv. Voraussetzung ist, dass Airbus auf Inno- vation, Material- und Energieeffizienz setzt und bei dem Thema Lärmreduzierung einen großen Schritt nach vorn macht. Anlage 16 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über Einmalzahlungen für die Jahre 2005, 2006 und 2007 (Einmalzahlungsgesetz 2005, 2006 und 2007 – EzG 2007) (Tagesordnungspunkt 25) Siegmund Ehrmann (SPD): Wir beraten heute über einen Gesetzentwurf, der schon im Sommer 2005 auf der Tagesordnung stand. Damals sollte der Tarifabschluss für den öffentlichen Dienst des Bundes, mit dem Ein- malzahlungen für die Jahre 2005 bis 2007 vereinbart worden waren, auf die Besoldung des Bundes übertragen werden. Einen ersten Teilbetrag von 100 Euro hatte die Bundesregierung bereits unter Vorbehalt ausgezahlt. Das Artikelgesetz, in dem der Entwurf damals enthalten war, fiel aber dem Grundsatz der sachlichen Diskontinuität zum Opfer, als der 16. Deutsche Bundestag nach der vorgezogenen Bundestagswahl 2005 zusammentrat. Ähnlich wie im Tarifrecht war dann beabsichtigt, die Einmalzahlungen zusammen mit der strukturellen Besol- dungsreform zu regeln. Dazwischen kam die Föderalis- musreform, mit der unter anderem die Bestrebungen der Länder erfolgreich abgeschlossen wurden, ihre früheren Befugnisse auf dem Gebiet des Besoldungsrechts wie- derzuerlangen. Dieses Ergebnis hat mich nicht über- zeugt, ist aber jetzt Wirklichkeit. Nebenfolge der Föde- ralismusreform war, dass die Strukturreform der Besoldung länger auf sich warten lässt als ursprünglich gedacht. Deshalb sind die Koalitionsfraktionen im vergange- nen Herbst zu der Auffassung gelangt, dass mit der Übertragung der tariflichen Einmalzahlungen auf die Besoldung nicht länger zugewartet werden kann. Ich danke der Bundesregierung dafür, dass sie unseren An- stoß aufgegriffen und den Gesetzentwurf vorgelegt hat, über den wir heute beschließen werden. Mit der Vorlage des Gesetzentwurfs konnte dann schon der Restbetrag für das Jahr 2005 und die Einmalzahlung für das Jahr 2006 unter Vorbehalt gezahlt werden. Von den Gewerkschaften ist kritisiert worden, dass sich die Einmalzahlungen nur auf die Besoldung erstre- cken und die Versorgungsempfänger deshalb leer ausge- hen. Auch in diesem Punkt entspricht der jetzt vorlie- gende Entwurf demjenigen, der im Jahr 2005 eingebracht worden war. Damals ist man davon ausge- gangen, dass auch die Rentner keine Rentensteigerung erfahren würden, was sich zwischenzeitlich bestätigt hat. Zugeben muss ich allerdings in diesem Zusammenhang, Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. März 2007 8781 (A) (C) (B) (D) dass den Versorgungsempfängern für die Jahre 2006 bis 2010 die jährliche Sonderzahlung, also das sogenannte Weihnachtsgeld, gekürzt wird. Dies ist allerdings keine Kürzung der monatlichen Bezüge, sondern eben die Kürzung einer Sonderzahlung, und sie resultiert zwangs- läufig daraus, dass sich die Verminderung der Sonder- zahlung nicht auf die aktiven Beamten beschränken kann. Im wirtschaftlichen Ergebnis trifft die Halbierung der Sonderzahlung die Aktiven sogar stärker als die Pen- sionäre. Dabei ist noch nicht berücksichtigt, dass die Ar- beitszeit der aktiven Bundesbeamten ohne finanziellen Ausgleich in den vergangenen Jahren um circa 6,5 Pro- zent erhöht wurde. Um die Versorgungsempfänger nicht besser, aber auch nicht schlechter zu behandeln als die Rentner, stre- ben wir an, im Versorgungsrecht eine Evaluationsklausel einzuführen, mit der die jeweilige Entwicklung in der Rentenversicherung besser nachgezeichnet werden kann. Damit werden wir den Ansatz weiter verfolgen, die Veränderungen in der Rentenversicherung wirklich wirkungsgleich zu übertragen, denn es muss ausge- schlossen werden, dass Regelungsmechanismen, die strukturbedingt unterschiedlich sind, zu einem Aus- einanderlaufen der Entwicklung in beiden Altersvorsor- gesystemen führen. Nicht unerwähnt kann an dieser Stelle bleiben, dass die Gewährung der Sonderzahlung für Versorgungsemp- fänger nach dem jeweiligen Versorgungssatz insgesamt Kosten von über 400 Millionen Euro auslösen würde. Damit wäre der Beitrag, den der öffentliche Dienst des Bundes zur Konsolidierung des Bundeshaushaltes leis- ten musste, wesentlich beeinträchtigt. Ich möchte an die- ser Stelle aber auch sagen, dass es sich bei der Halbie- rung der Sonderzahlung um eine vorübergehende Maßnahme handelt, die auf die Zeit bis zum Jahr 2010 beschränkt ist. Niemand sollte auf den Gedanken kom- men, dass es sich hier nur um den ersten Streich handele, dem der zweite sogleich folge. Das sage ich mit Blick auf den Haushaltsausschuss, sollte dieser erwägen, eine gesetzliche Befristung einfach mal so eben zu kassieren. Ganz generell gilt, dass die Zeit der notwendigen Be- scheidenheit nicht nur in der Privatwirtschaft, sondern auch im öffentlichen Dienst kein Dauerzustand sein kann. Im Tarifbereich haben die Länder bereits für das nächste Jahr einen Abschluss von 2,9 Prozent vorgelegt, und man braucht kein Prophet zu sein, um vorauszuah- nen, was das und was die Tarifabschlüsse des Jahres 2007 für die Tarifentwicklung im Jahr 2008 auch im öf- fentlichen Dienst bedeuten. Die wirkungsgleiche Über- tragung auf die Besoldung wird dann eine Selbstver- ständlichkeit sein. Es stimmt zwar, dass nicht in den öffentlichen Dienst gehen sollte, wer einen Haufen Geld verdienen möchte, wie man bei anderer Gelegenheit aus dem Mund des Innenministers hören konnte. Nebenbei bemerkt: Ich finde es freilich ebenso abwegig, wenn Einzelne in der Privatwirtschaft in einem einzigen Jahr so viel verdienen wollen wie andere im ganzen Berufsleben. Der Eintritt in den öffentlichen Dienst ist aber keinesfalls mit einem lebenslangen Armutsgelübde verbunden. Die Diensther- ren müssen sich dem Wettbewerb auf dem Arbeitsmarkt stellen, was für beide Seiten Vor- und Nachteile nach sich ziehen kann. Dazu gehört, dass bei der Konkurrenz um die Besten auch die Bezahlung ein wichtiges Krite- rium ist. Dieses moderne Verständnis des Berufsbeam- tentums muss aber auch den Wechsel vom Staatsdienst in die Privatwirtschaft und umgekehrt ermöglichen. Dienstzeiten im Beamtenverhältnis von der Volljährig- keit bis zur Altersgrenze entsprechen nicht mehr der Le- benswirklichkeit des 21. Jahrhunderts. Die Mitnahme- fähigkeit der Versorgung erleichtert die anzustrebende Mobilität zwischen den Sektoren. Natürlich sind die finanzwirtschaftlichen Wirkungen solcher, die Mobilität fördernder Komponenten sorgfältig zu bedenken. Ich halte es jedoch im Grundsatz für dringend angeraten, das Instrument der Mitnahmefähigkeit offensiv anzugehen. Zu einer zeitgemäßen Besoldung gehört die angemes- sene Berücksichtigung individueller Leistung. Um die dafür erforderlichen Mittel zu gewinnen, können struk- turelle Änderungen der Besoldung nicht ausgeschlossen werden. Ich darf daran erinnern, dass bereits die Ent- würfe eines Besoldungsstrukturgesetzes und eines Struk- turreformgesetzes den Verzicht auf den Verheiratetenan- teil des Familienzuschlags vorsahen. Im Tarifbereich des öffentlichen Dienstes gibt es, ebenso wie in der Privat- wirtschaft, überhaupt keine familienstandsabhängigen Leistungen mehr. Hier hat sich die Auffassung durchge- setzt, dass der Staat die notwendigen Maßnahmen der Familienförderung für alle Bürger zur Verfügung stellt. Diese Entwicklung lässt sich, angesichts der verfas- sungsrechtlichen Vorgaben, nicht schematisch auf die Beamtenbesoldung übertragen, sollte aber bei der Dienstrechtsreform bedacht werden. Ich gebe zu, dass ich mich jetzt ein wenig entfernt habe von der Vorlage, die heute hier zur Abstimmung steht, aber gerade nach der zwangsläufig nicht immer er- freulichen Entwicklung in den vergangenen Jahren halte ich es für angebracht, in die Zukunft zu blicken und eine Perspektive für den öffentlichen Dienst des Bundes zu entwickeln. Im Rahmen des Entwurfs eines Dienst- rechtsneuordnungsgesetzes, den der Innenminister zur- zeit vorbereitet, werden wir Gelegenheit haben, uns da- mit auseinanderzusetzen. Max Stadler (FDP): Es ist ein alter, leider nicht im- mer durchgängig eingehaltener Grundsatz, dass die Er- gebnisse der Tarifverhandlungen auf die Besoldung der Beamtinnen und Beamten übertragen werden. Im Tarif- vertrag vom 9. Februar 2005 ist für die Tarifbeschäftig- ten des Bundes jeweils eine Einmalzahlung in Höhe von 300 Euro für die Jahre 2005, 2006 und 2007 vereinbart worden. Es hat viel zu lange gedauert, bis diese Einmal- zahlungen auf den Beamtenbereich des Bundes übertra- gen worden sind. Mit dem heute zu beratenden Gesetz- entwurf kommt die Bundesregierung diesem Anliegen nun endlich, allerdings mit großer Verspätung, nach. Die FDP stimmt dem Gesetzentwurf daher zu. Für uns ist allerdings unverständlich, warum sich CDU/CSU und SPD weigern, diese Einmalzahlung auf die Versorgungsempfänger des Bundes zu erstrecken. Dazu muss man wissen, dass das Versorgungsniveau 8782 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. März 2007 (A) (C) (B) (D) derzeit dem des Jahres 2002 entspricht. Da zu Recht bei solchen Fragen der Vergleich mit dem Rentenbereich he- rangezogen wird, ist festzustellen, dass es im Jahre 2003 eine Rentenerhöhung gegeben hat. Bundesländer wie beispielsweise Baden-Württem- berg und Nordrhein-Westfalen haben daher für ihre Ver- sorgungsempfänger Regelungen für eine Einmalzahlung getroffen. Dies entspricht dem Prinzip, die Versorgungs- empfänger in angemessener Weise an der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung und den Besoldungserhö- hungen für die aktiven Bediensteten teilhaben zu lassen. Die Bundesregierung hat in den vergangenen Jahren das Gegenteil gemacht und den Versorgungsempfängern im- mer wieder Sparmaßnahmen zugemutet. Im Innenausschuss hat die FDP daher einen Ände- rungsantrag zugunsten einer Einmalzahlung für Versor- gungsempfänger gestellt. Dieser wurde jedoch mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD abgelehnt. Als Ge- genargument wurde ausschließlich auf den finanziellen Aufwand einer Einmalzahlung hingewiesen. Die FDP möchte daher der Koalition eine Brücke bauen. Wir haben in unserem Änderungsantrag, der in zweiter Lesung im Plenum wieder zur Abstimmung ge- stellt worden ist, mit Rücksicht auf die Haushaltslage des Bundes nur vorgesehen, dass die Einmalzahlung ausschließlich das Jahr 2007 betreffen soll und nicht in voller Höhe, sondern anteilig je nach dem Prozentsatz gezahlt wird, der dem Pensionsanspruch des jeweiligen Versorgungsempfängers entspricht. Wenn die Bundesregierung und die Große Koalition sich einem solch maßvollen Antrag verschließen, zeigt dies leider mit Deutlichkeit, dass ihnen die Interessen derjenigen Staatsdiener, die in ihrer aktiven Zeit einen maßgeblichen Beitrag für das Funktionieren des Staats- wesens geleistet haben, gleichgültig sind. Für eine lediglich auf das Jahr 2007 bezogene Ein- malzahlung spricht nämlich ein entscheidendes Argu- ment: Erfreulicherweise wird es im Sommer 2007 aller Voraussicht nach eine – wenn auch relativ geringfügige – Rentenerhöhung geben. Im Hinblick darauf ist nicht ein- zusehen, warum sich CDU/CSU und SPD dem Antrag der FDP nicht anschließen wollen. Denn wenn die Ren- ten erhöht werden, muss im Gleichklang dazu auch die Beamtenversorgung angepasst werden. Unabhängig davon will die FDP-Fraktion mit ihrer Zustimmung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung den Weg dafür freimachen, dass die Einmalzahlungen für die aktiven Beamten des Bundes endlich auf den Weg gebracht werden. Petra Pau (DIE LINKE): Erstens. Die Linke wird der Einmalzahlung für Beamtinnen und Beamte zustimmen. Und das, obwohl wir sie bestimmt nicht für der Weisheit letzten Schluss halten. Aber: Diese Einmalzahlung wurde von den Tarifpartnern ausgehandelt, sie ist seit zwei Jahren überfällig, und sie ist nötig, um den Anstieg der Lebenshaltungskosten abzufedern. Zweitens. Diese Einmalzahlung ersetzt natürlich nicht die fehlende Anpassung der allgemeinen Besoldung. Da- bei spreche ich nicht über die höheren oder hohen Besol- dungsgruppen. Ich plädiere vor allem für die Beamtin- nen und Beamten, ob bei der Feuerwehr oder auf Kiezstreife, die ihre Euros zweimal umdrehen müssen, bevor sie sie ausgeben können. Drittens. Gleichwohl hat die Einmalzahlung, über die wir gleich abstimmen, einen gravierenden Webfehler. Sie gilt für Besoldungsempfänger, nicht aber für Versor- gungsempfänger. Das heißt übersetzt: Beamtinnen und Beamte im Ruhestand müssen daher de facto weitere Kürzungen ihrer Pensionen in Kauf nehmen. Das wurde noch 1995, 2003 und 2004 gerechter geregelt. Viertens. Nun schlägt die FDP vor, die Einmahlzah- lung 2007 auch auf Versorgungsempfänger anzuwenden. Das klingt nobel. Aber es schließt bei weitem nicht die Lücke, die in den vergangenen Jahren gerissen wurde und die selbst das Bundesverfassungsgericht kritisch be- urteilt. Deshalb will die Linke die Einmalzahlung auch rückwirkend bis 2005. Fünftens. Schließlich werde ich noch mal grundsätz- lich. Sie wissen, die Linke kann dem Beamtentum nicht allzu viel abgewinnen. Es ist ein Deal, bei dem den Be- schäftigten im unmittelbaren Staatsdienst Vergünstigun- gen zugesagt werden, wenn sie im Gegenzug auf demo- kratische Bürgerrechte verzichten, etwa das Streikrecht. Schon das ist fragwürdig. Sechstens. Aber dieses Geschäft wird natürlich umso fragwürdiger, je geringer die Gegenleistungen des Staa- tes dafür werden. Deshalb werde ich mich weiterhin da- für einsetzen, dass die Rechte von Beamtinnen und Be- amten ausgebaut und nicht weiter eingeschränkt werden. Das ist heute hier nicht unser konkretes Thema. Aber es muss immer wieder gesagt werden. Silke Stokar von Neuforn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Jetzt sollen also auch die Beamtinnen und Beam- ten die Einmalzahlungen bekommen, die im Tarifab- schluss für den öffentlichen Dienst des Bundes vom Februar 2005 vereinbart wurden. Empfänger von Dienst- und Amtsbezügen des Bundes erhalten für die Jahre 2005, 2006 und 2007 eine Einmalzahlung in Höhe von jeweils 300 Euro, Empfänger von Anwärterbezügen er- halten jeweils 100 Euro. Die Große Koalition setzt damit jetzt endlich um, was Rot-Grün bereits 2005 im Entwurf für ein Versorgungs- nachhaltigkeitsgesetz regeln wollte, was aber im Bun- desrat scheiterte. Warum sie dafür so lange brauchte, wird ihr Rätsel bleiben. Da der Entwurf dem entspricht, was wir 2005 einge- bracht haben, wird es Sie nicht verwundern, dass wir dem Entwurf zustimmen werden. Allerdings bedauern wir sehr, dass die Versorgungsempfängerinnen und Ver- sorgungsempfänger keine Einmalzahlungen bekommen. Hierunter leiden wieder einmal vor allem die Empfänge- rinnen und Empfänger kleiner und mittlerer Versor- gungsbezüge. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. März 2007 8783 (A) (C) (B) (D) Während unserer Regierungszeit waren wir immer bemüht, einen größtmöglichen Gleichklang zwischen der Einkommensentwicklung von Beamten und Tarifbe- schäftigten, Versorgungsempfängern und Rentnern her- zustellen. Die im Rentenversicherungsbereich vorge- nommenen Kürzungen haben wir unter Rot-Grün stets wirkungsgleich auf die Versorgungsempfängerinnen und -empfänger übertragen. Was im Negativen für die Be- troffenen gilt, muss umgekehrt auch im Positiven gelten: Wenn die Besoldung der aktiven Beamtinnen und Beam- ten erhöht wird, müssen hiervon auch die Versorgungs- empfänger profitieren; denn die Versorgung orientiert sich nun einmal an der Besoldungsentwicklung. Genau das haben wir 2003 und 2004 gemacht. Genau das macht uns jetzt auch Baden-Württemberg vor. Was dort mög- lich ist, sollte doch auch im Bund möglich sein. Wir bedauern noch mehr, dass Schwarz-Rot noch nicht einmal den Kompromissvorschlag der FDP im In- nenausschuss, der zumindest eine Einmalzahlung für das Jahr 2007 vorsieht, mit uns unterstützt hat. Dies wird sie wohl auch heute nicht tun. Dr. Christoph Bergner, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Der Gesetzentwurf über Einmalzahlungen für die Jahre 2005, 2006 und 2007 überträgt die tarifvertraglich vereinbarten Einmalzahlun- gen auf den Beamtenbereich des Bundes. In Anlehnung an das Tarifergebnis sieht der Gesetz- entwurf vor, Empfängerinnen und Empfängern von Dienst- und Amtsbezügen des Bundes für die Jahre 2005, 2006 und 2007 jeweils 300 Euro zu zahlen. An- wärterinnen und Anwärter erhalten für die genannten Jahre Einmalzahlungen in Höhe von jeweils 100 Euro pro Jahr. Die Regelungen entsprechen dem bereits in der ver- gangenen Legislaturperiode eingebrachten Entwurf ei- nes Einmalzahlungsgesetzes 2005 bis 2007. Dieser Gesetzentwurf war Bestandteil des Entwurfs eines Ver- sorgungsnachhaltigkeitsgesetzes, das nach der vorzeiti- gen Auflösung des 15. Deutschen Bundestages nicht mehr abschließend parlamentarisch beraten werden konnte und nach dem Grundsatz der Diskontinuität ver- fallen ist. Deshalb hat die Bundesregierung den vorliegenden, heute zu beschließenden Gesetzentwurf erneut auf den Weg gebracht. Inhaltlich entspricht er – ich sagte es be- reits – weitgehend dem Gesetzentwurf aus der vergange- nen Legislaturperiode. Mit einer Ausnahme: Entfallen ist die damals aufgenommene Öffnungsklausel für die Länder. Sie sollte es den Ländern ermöglichen, über ent- sprechende Einmalzahlungen für ihre Beamtinnen und Beamte selbst zu entscheiden. Mit der Kompetenzverla- gerung im Besoldungs- und Versorgungsrecht durch die Föderalismusreform können die Länder auch ohne Öff- nungsklausel für ihre Landesbeamtinnen und Landesbe- amten eigenständig entscheiden. Die neue, klarere Aufgabenverteilung zwischen Bund und Ländern hat sich im Bundesratsverfahren bereits ausgewirkt. Der Bundesrat hat am 16. Februar 2007 keine Einwendungen gegen den vorliegenden Gesetzent- wurf erhoben. In der vergangenen Legislaturperiode war dies noch anders. Der Bundesrat hatte damals den Ge- setzentwurf zu den Einmalzahlungen 2005 bis 2007 we- gen der Präjudizwirkung der Öffnungsklausel mit Blick auf die seinerzeit noch laufenden Tarifverhandlungen in den Ländern abgelehnt. Trotz Föderalismusreform interessiert natürlich auch die Entwicklung in den Ländern. Hierzu nur soviel: Die Regelungen in den Ländern sind sehr unterschiedlich und können hier nicht Maßstab sein. Das Tarifergebnis in den Ländern vom Juni 2006 unterscheidet sich deut- lich von dem hier nachzuzeichnenden Tarifergebnis im Bund vom 9. Februar 2005. Es umfasst nicht nur andere Leistungen, sondern vor allem auch andere Zeiträume. Die Länder zahlen für 2005 überhaupt keine Einmalzah- lungen und haben aber andererseits bereits für das Jahr 2008 eine allgemeine lineare Erhöhung vereinbart. Für den Bundesbereich liegt für das kommende Jahr noch kein Tarifergebnis vor; hier müssen zunächst die Tarifge- spräche und -verhandlungen abgewartet werden. Das ist gute Übung und daran wollen wir festhalten. Insoweit bezieht der jetzt eingebrachte Gesetzentwurf – wie bereits der in der vergangenen Legislaturperiode eingebrachte Regelungsentwurf – die Versorgungsemp- fängerinnen und Versorgungsempfänger im Bereich des Bundes nicht in die Leistungen ein. Ich möchte diesen Punkt ganz offen ansprechen. Der Bundesregierung ist diese Entscheidung nicht leicht ge- fallen, nicht zuletzt auch deshalb, weil die Pensionäre und die Hinterbliebenen zusammen mit den aktiven Empfängerinnen und Empfängern von Dienst- und Amtsbezügen des Bundes durch die Kürzung des Weih- nachtsgelds im Jahr 2006 gerade erst einen deutlichen Beitrag zur weiterhin zwingend notwendigen Haushalts- sanierung geleistet haben. Diese Maßnahmen waren un- abwendbar, weil die verschiedenen Alterssicherungssys- teme unseres Landes bekanntlich gleichermaßen vor besonderen Herausforderungen stehen – es sei nur an die erfreulicherweise gestiegene und weiter steigende Le- benserwartung erinnert. Immer weniger Beitrags- und Steuerzahler müssen die Mittel für immer mehr Renten und Pensionen aufbringen, die zudem infolge steigender Lebenserwartung und eines früheren Ausscheidens der Menschen aus dem Erwerbsleben immer längere Lauf- zeiten aufweisen. Das ist – für Bund, Länder und Kom- munen – auf Dauer nicht finanzierbar und auch nicht zu verantworten. Deshalb haben wir gehandelt und die Rah- menbedingungen angepasst. Vor diesem Hintergrund ist es gegenwärtig nicht mög- lich, auch die Versorgungsempfängerinnen und Versor- gungsempfänger in die Einmalzahlungen einzubezie- hen. Die Bundesregierung hat in den vergangenen Jah- ren zahlreiche Maßnahmen zur Gewährleistung einer stabilen und nachhaltigen wirtschaftlichen Entwicklung eingeleitet. Dazu gehören auch die Reformen im Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung. Wegen der allge- meinen Lohnentwicklung und der demografischen Ent- wicklung haben Rentnerinnen und Rentner in den ver- gangenen Jahren keine Rentenerhöhungen erhalten. 8784 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. März 2007 (A) (C) (B) (D) Um diese Entwicklung bei gesetzlichen Rentenversi- cherungen nachzuzeichnen, können daher die Versor- gungsempfängerinnen und Versorgungsempfänger im Bereich des Bundes bei den Einmalzahlungen nicht be- rücksichtigt werden. Derzeit wird von verschiedener Seite prognostiziert, dass im Jahr 2007 wegen der Lohnentwicklung im ver- gangenen Jahr erstmals wieder eine geringfügige Ren- tenanpassung zur Mitte des Jahres, das heißt zum Juli, möglich sein könnte. Ich möchte mich an diesen Spekulationen nicht betei- ligen. Wenn es – was mich freuen würde – in diesem Jahr noch zu einer linearen Anpassung für die Rentnerin- nen und Rentner kommt, sollte einer solchen Entwick- lung jetzt nicht vorab und auch nicht vorschnell für die Pensionäre und Hinterbliebenen durch eine anteilige Einmalzahlung vorgegriffen werden, zumal dies allen- falls zu einem geringfügigen Betrag führen würde. Vielmehr sollte die weitere Entwicklung im Renten- bereich bei den künftigen Entscheidungen zur allgemei- nen Anpassung der Versorgungsbezüge angemessen be- rücksichtigt werden. Dies dürfte nach meiner Auffassung auch weitaus mehr den Interessen der Ver- sorgungsempfängerinnen und Versorgungsempfängern entsprechen. Die Entwicklung der Versorgungsbezüge soll nämlich nicht von der allgemeinen Entwicklung abgekoppelt werden. Entsprechend dem Auftrag des Koalitionsver- trages halten wir auch weiterhin an dem Leitziel fest, Beamtenversorgung und Rentenversicherung künftig wirkungsgleich zu entwickeln und dabei die Systemun- terschiede zu berücksichtigen. Das soll dadurch sicher- gestellt werden, dass wir im Rahmen der Dienstrechtsre- form eine Evaluationsklausel einführen wollen. Damit wird der Gesetzgeber verpflichtet werden, eine wir- kungsgleiche und systemgerechte Entwicklung der bei- den großen Alterssicherungssysteme zu gewährleisten. Mit der Nichtberücksichtigung im Rahmen dieses Ge- setzes leisten die Pensionäre und Hinterbliebenen – das steht außer Frage – einen weiteren Beitrag zur Konsoli- dierung der Staatsfinanzen. Ich möchte dies an dieser Stelle ausdrücklich hervorheben und anerkennen. Ange- sichts der erheblichen finanziellen Belastungen der öf- fentlichen Haushalte ist ein Festhalten an den bisherigen Sparanstrengungen aber auch unverzichtbar. Ich bin überzeugt davon, dass die eingeleiteten Sanie- rungsmaßnahmen auch im Interesse der Ruhestandsbe- amtinnen und Ruhestandsbeamten liegen. Denn nur auf der Grundlage eines auch in Zukunft handlungsfähigen Bundeshaushalts wird es gelingen, die Altersversorgung der Beamtinnen und Beamten langfristig auf eine sichere Grundlage zu stellen. Mit den Regelungen zur Einmalzahlung soll zugleich – entsprechend einem Änderungsantrags der Koalitions- fraktionen – auch die bisherige Recht für Stellenober- grenzen für den Bundesbereich um zwei Jahre bis zum 1. Juli 2009 verlängert werden. Die Bundesregierung un- terstützt diesen Antrag. Im Stellenobergrenzenrecht werden durch besol- dungsgesetzliche Höchstgrenzen die Anzahl der Beför- derungsämter in Laufbahnen und Verwaltungsbereichen festlegt. Durch das Besoldungsstrukturgesetz ist im Jahre 2002 die Regelung der Obergrenzen für Beförderungsämter neu gefasst worden. Die Bundesregierung und die Lan- desregierungen wurden ermächtigt, jeweils für ihren Be- reich für die Zahl der Beförderungsämter abweichende Obergrenzen durch Rechtsverordnung festzulegen. Bis zum Inkrafttreten dieser Verordnungen sind die früheren Obergrenzenregelungen und die Rechtsverordnungen der Bundesregierung und der Landesregierungen weiter anzuwenden. Diese Weiteranwendung würde am 1. Juli 2007 auslaufen. Danach würden für bestimmte Laufbah- nen – etwa für die Polizeibeamten des Bundes – erheb- lich ungünstigere Stellenschlüssel gelten. Dies gilt es zu vermeiden. Die Neuregelung der Stellenobergrenzen musste bis- her aufgrund der föderalen Neuordnung der dienstrecht- lichen Regelungskompetenzen und mit Blick auf die geplante Dienstrechtsreform im Bund zurückgestellt werden. Zudem ist eine Neubestimmung von Obergren- zen auch von organisatorischen und strukturellen Verän- derungen abhängig. Nach der föderalen Neuordnung der dienstrechtlichen Regelungskompetenzen ist im Bund der Reformprozess zur Modernisierung des öffentlichen Dienstrechts mit der Abstimmung des Entwurfs eines Gesetzes zur Neu- ordnung und Modernisierung des Bundesdienstrechts eingeleitet worden. Erst auf der Grundlage eines neu ausgerichteten Besoldungsrechts können in einem weite- ren Schritt auch Stellenobergrenzen entsprechend den Anforderungen an die jeweiligen Laufbahnen und Funk- tionen neu bestimmt werden. Daher soll die bisherige Obergrenzenregelung um zwei Jahre verlängert werden. Anlage 17 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 4. Juli 2006 zur Verlänge- rung des Abkommens vom 9. April 1995 zwi- schen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Arabischen Emiraten zur Vermei- dung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermö- gen und zur Belebung der wirtschaftlichen Be- ziehungen (Tagesordnungspunkt 26) Lothar Binding (SPD): Versuchen Sie kurz, sich ei- nen leeren Anwendungsbereich vorzustellen. Keine Vor- stellung? Dann liegen Sie richtig. Und nun versuchen Sie sich noch vorzustellen, Sie sollten darüber Verhan- deln und einen Vertrag entwerfen. Das ungefähr ist die Ausgangslage – eine recht unbequeme Lage für unsere Regierung. Das ursprünglich zum August 2006 nach zehn Jahren auslaufende Doppelbesteuerungsabkommen mit den Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. März 2007 8785 (A) (C) (B) (D) Vereinigten Arabischen Emiraten – VAE – wurde mit Rücksichtnahme auf das besondere Verhältnis zwischen den Vereinigten Arabischen Emiraten und Deutschland und im Hinblick auf die Unternehmensteuerreform 2008 für eine kurze Übergangsfrist bis zum August 2008 ver- längert. Doppelbesteuerungsabkommen dienen im Allgemei- nen der Vermeidung einer doppelten Besteuerung von grenzüberschreitenden wirtschaftlichen Tätigkeiten, die in den Bereich der Steuerhoheit mehrerer Staaten fallen. Das ist beim Doppelbesteuerungsabkommen mit den Vereinigten Arabischen Emiraten nicht der Fall, denn es werden dort im Wesentlichen keine direkten Steuern er- hoben. Wir verhandeln also mit einer Steueroase. Hauptziel des DBA vom 9. April 1995 mit den Verei- nigten Arabischen Emiraten war vielmehr die Schaffung von Anreizen für Investitionen in Deutschland durch den Verzicht auf deutsche Quellensteuerrechte – eine seltene, aber gut motivierte Zielstellung für ein DBA. Nach An- gaben des Bundesministeriums für Wirtschaft und Tech- nologie wurde dieses Hauptziel des DBA jedoch nicht erreicht. Das Investitionsvolumen der Vereinigten Arabi- schen Emirate in Deutschland ist deutlich geringer als erwartet. Der Wert der in Deutschland getätigten Investi- tionen beläuft sich gegenwärtig auf etwa 2 Milliarden Euro. Dazu gehören Beteiligungen an DAX-Unterneh- men oder deren Töchtern sowie Immobilieninvestitio- nen. Dagegen gibt es große Investitionen aus Deutsch- land in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Darüber lohnt es sich aus insbesondere auch steuerpolitischer Sicht nachzudenken. Den Vereinigten Arabischen Emiraten wurde seitens des Bundesfinanzministeriums unmissverständlich deut- lich gemacht, dass das Abkommen unter den gegenwär- tigen Bedingungen über das Jahr 2008 hinaus nicht ver- längert werden wird. Innerhalb dieses Zeitraumes sollen im Herbst 2007 erneut Verhandlungen über den Ab- schluss eines neuen Doppelbesteuerungsabkommens aufgenommen werden; denn wir messen den Vereinigten Arabischen Emiraten in strategischer Perspektive große außenpolitische und wirtschaftliche Bedeutung im bila- teralen Verhältnis bei. Dieser Bedeutung möchten wir mit einem substanziell neuen Abkommen Ausdruck ver- leihen. Damit sind wir bzw. ist die Verhandlungsführung unserer Regierung auf dem richtigen Weg. Die Vereinigten Arabischen Emirate haben sich zum wichtigsten deutschen Exportmarkt in der arabischen Welt entwickelt. Das Land ist einer der dynamischsten Wirtschaftsstandorte der Welt und eine äußerst dynami- sche Handelsdrehscheibe und Vertriebsknotenpunkt für deutsche Unternehmen geworden. Das Doppelbesteue- rungsabkommen hat zu guten kompetitiven Rahmenbe- dingungen für exportorientierte deutsche Unternehmen wesentlich beigetragen, etwa durch Produktionskosten zu ortsüblichen Preisen. Derzeit sind etwa 500 deutsche Unternehmen, in ers- ter Linie Vertriebs- und Projektgesellschaften, in den Emiraten vertreten. Die Bundesrepublik ist zum viert- größten Importeur in den VAE aufgestiegen und hat im Jahr 2005 Waren im Wert von mehr als 4,3 Milliarden Euro eingeführt. Das Handelsvolumen beläuft sich auf etwa 4,5 Milliarden Euro und hat sich seit dem Jahr 2000 fast verdoppelt. Auch die VAE sind an einer Stärkung der wirtschaftlichen Beziehungen interessiert und wollen nach eigenen Angaben ihr Investitionskapital in Deutsch- land in den nächsten Jahren auf etwa 10 Milliarden US- Dollar erhöhen. Die vereinbarte Übergangszeit sollte meiner Ansicht nach dazu genutzt werden, ein substanziell neues Ab- kommen zu erarbeiten, welches der Tatsache Rechnung trägt, dass wir eine strategische Partnerschaft mit den dynamisch wachsenden VAE wünschen. Zum anderen muss es aber auch unser Bestreben sein, grenzüber- schreitende Steuervermeidungsstrategien zu unterbin- den; es muss den Zielen der Unternehmensteuerreform, Verbreiterung und Schutz der steuerlichen Bemessungs- grundlage, dienlich sein. Wir wollen mit dem Gesetz die Steuereinnahmen unseres Staates sichern, die grenzüber- schreitende Unternehmenstätigkeit weiter stärken und somit den Weg für Investitionen zur Sicherung bestehen- der und zur Schaffung neuer Arbeitsplätze ebnen. Bei den Verhandlungen über ein substanziell neues Doppelbesteuerungsabkommen mit den Vereinigten Arabischen Emiraten müssen wir dem Umstand Rech- nung tragen, dass es sich dabei um ein Land handelt, das keine direkten Steuern erhebt. Gewinne eines in Deutschland ansässigen Unternehmens unterliegen le- diglich dann der Besteuerung der VAE, sofern das deut- sche Unternehmen seine Tätigkeit in den VAE durch eine dort gelegene Betriebsstätte ausübt. Liegt keine Be- triebsstätte des deutschen Unternehmens in den VAE vor, unterliegen die in den VAE erzielten Gewinne des deutschen Unternehmens weiterhin der deutschen Be- steuerung. Das Vorliegen einer Betriebsstätte eines deut- schen Unternehmens in den VAE ist von entscheidender Bedeutung für die Frage, ob die Gewinne des deutschen Unternehmens, die durch eine Geschäftstätigkeit in den VAE erzielt werden, der deutschen Besteuerung oder der Besteuerung der VAE unterliegen. Deutsche Unternehmen, die ihre Geschäftstätigkeiten in Dubai entsprechend den Vorgaben des Doppelbesteu- erungsabkommens ausrichten, können die in den Verei- nigten Arabischen Emiraten erzielten Einkünfte steuer- frei nach Deutschland transferieren. Diese Einkünfte unterliegen in Deutschland nicht mehr der deutschen Steuer, da diese, wenn auch mit 0 Prozent, bereits in den Vereinigten Arabischen Emiraten besteuert worden sind. Die in den Vereinigten Arabischen Emiraten erzielten Einkünfte unterliegen nur dem sogenannten Progres- sionsvorbehalt, das heißt die Einkünfte werden in die Bemessung des Steuersatzes einbezogen, der auf das zu versteuernde Einkommen des Unternehmens in Deutsch- land anzuwenden ist. Gestaltungsmöglichkeiten ergeben sich aus dem Dop- pelbesteuerungsabkommen auch für Gewinne, die als Einkünfte aus Dividenden aus der gesellschaftsrechtli- chen Beteiligung einer deutschen Gesellschaft an einer Gesellschaft in Dubai entstehen. Sofern es sich bei der Muttergesellschaft um eine deutsche Kapitalgesellschaft handelt, die mit mindestens 10 Prozent direkt an einer in 8786 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. März 2007 (A) (C) (B) (D) Dubai gelegenen Kapitalgesellschaft beteiligt ist, kön- nen Gewinnausschüttungen der in Dubai gelegenen Ge- sellschaft an die deutsche Muttergesellschaft grundsätz- lich von der deutschen Steuer freigestellt werden. Bei einem ersatzlosen Auslaufen des Doppelbesteue- rungsabkommens im Jahre 2008 können Unternehmen und Privatpersonen aus den Vereinigten Arabischen Emiraten mit ihrem Welteinkommen zur Besteuerung herangezogen werden. Dies ist eine Folge der unbe- schränkten Steuerpflicht, die einem Immobilienbesitz unter gewissen Folgen anhaften kann. Um vor diesem Hintergrund einen Abzug emiratischen Kapitals und eine Minderung der Steuereinnahmen aus dieser Quelle zu verhindern, ist ein neues Doppelbesteuerungsabkommen notwendig. Das geltende Doppelbesteuerungsabkommen regelt auch das sogenannte Arbeitsortprinzip, das in den Verei- nigten Arabischen Emiraten tätige Arbeitnehmer dem dortigen Steuerrecht unterwirft. Dieses verzichtet be- kanntlich auf eine Einkommensbesteuerung. Unterhält ein Arbeitnehmer in Deutschland noch einen wie auch immer gearteten Wohnsitz, ist er ohne DBA auch bei ge- wöhnlichem Aufenthalt in den VAE in Deutschland un- beschränkt steuerpflichtig, das heißt er müsste die in den VAE erzielten Einkünfte hier voll versteuern. Ähnliches gilt für Investoren eines Immobilienfonds. Daraus er- zielte Ausschüttungen werden im deutschen Steuerrecht als Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung qualifi- ziert. Mit dem DBA fiele auch das darin normierte „Be- legenheitsprinzip“ weg, wonach die Einkünfte am Ort der Immobilie – hier: in den VAE – zu besteuern sind. In Deutschland ansässige bzw. wohnhafte Investoren müs- sen diese Einkünfte dann als Teil ihres Welteinkommens in Deutschland versteuern. Aus all dem folgt, wie wichtig es ist, entweder zu ei- ner vernünftigen neuen Regelung im Rahmen eines neuen DBA mit den VAE zu kommen oder aber künftig darauf gänzlich zu verzichten. Um in diesem Span- nungsfeld zu optimalen Lösungen zu kommen, unter- stützen wir das Vorhaben unserer Regierung bzw. des Finanzministers, im Zeitraum des noch einmal verlän- gerten Abkommens die Verhandlungen mit den VAE zu führen. Carl-Ludwig Thiele (FDP): Mit der heutigen De- batte soll der Bundestag das derzeit geltende Doppelbe- steuerungsabkommen der Bundesrepublik Deutschland mit den Vereinigten Arabischen Emiraten bis August 2008 verlängern. Hierzu ist zu bemerken, dass das Dop- pelbesteuerungsabkommen 1995 beschlossen wurde und zeitlich auf zehn Jahre begrenzt war. In der Verhand- lungsrunde mit den Vereinigten Arabischen Emiraten im Juli 2006 konnte keine Einigung über ein neues Abkom- men erzielt werden. Deshalb würde das Abkommen am 10. August 2006 auslaufen, wenn es nicht durch die heutige Entscheidung verlängert wird. Die Vereinigten Arabischen Emirate erheben keine bzw. nur geringe direkte Steuern. Deshalb stellt sich bei der Frage nach dem Nutzen des Doppelbesteuerungsab- kommens weniger die Vermeidung von Doppelbesteue- rung. Es geht vielmehr darum, die abschließende Zuweisung von Besteuerungsrechten und die Wettbe- werbsfähigkeit deutscher Investoren in den Vereinigten Arabischen Emiraten auf der einen Seite und auch des Investitionsstandortes Deutschland für Gelder aus den Vereinigten Arabischen Emiraten auf der anderen Seite in den Vordergrund zu stellen. Hierzu ist aus meiner Sicht zu bemerken, dass weder auf die Vereinigten Arabischen Emirate noch auf Dubai der Begriff „Steueroase“ zutrifft. Es sind viele deutsche Unternehmen dort angesiedelt, auch mit Niederlassun- gen. Gerade diese Firmen stellen keine Briefkastenunter- nehmen dar, sondern bei ihnen handelt es sich um „echte“ Unternehmen. Der Text soll an vielen Stellen an moderne Abkommenstexte angepasst werden, die unter anderem auch Umgehungsmöglichkeiten erschweren sollen. Ferner ist zu berücksichtigen, dass auch andere europäische Staaten entsprechende Doppelbesteuerungs- abkommen mit den Vereinigten Emiraten unterhalten. Bei einer zukünftigen Verhandlung ist aus Sicht der FDP zu berücksichtigen, dass die Wettbewerbsfähigkeit deutscher, in den Vereinigten Emiraten tätigen Unterneh- men nicht beeinträchtigt werden darf. Dieses gilt sowohl für Unternehmen wie auch für die Mitarbeiter der Unter- nehmen. Die vom Bundesfinanzministerium befürchtete steuerliche Verlagerung von Unternehmensaktivitäten in die Vereinigten Arabischen Emirate ist wegen der dorti- gen Lebensbedingungen und des hohen Kostenniveaus nicht sehr wahrscheinlich. Auch die vom Bundesfinanzministerium befürchtete Steuervermeidung bei Immobilienanlagen spielt bisher nur eine geringe Rolle. Sie dürfte wegen bereits geschei- terter Projekte künftig kaum relevant sein. Bei den anstehenden Verhandlungen ist darauf zu achten, dass für den Fall eines Auslaufens des Doppelbe- steuerungsabkommens Umgehungsmöglichkeiten dadurch bestehen, dass betroffene deutsche Unternehmen Aktivi- täten über Tochterunternehmen unter anderem in Öster- reich, Luxemburg oder Belgien lenken können, die Doppelbesteuerungsabkommen mit den Vereinigten Arabischen Emiraten unterhalten. Insbesondere ist auch mit diesen Ländern die Freistellung abgeschlossen wor- den. Wenn die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen die Ver- längerung ablehnt, dann schadet sie den Interessen der in den Vereinigten Arabischen Emiraten tätigen deutschen Unternehmen. Ich halte dieses nicht für verantwortlich. Zusammenfassend möchte ich für die FDP bemerken, dass es unglücklich ist, dass Ministerien dieser Bundes- regierung sehr unterschiedlich agieren. Es wäre zu be- grüßen, wenn diese Frage zunächst innerhalb der Bun- desregierung gelöst wird, damit dann mit einer Stimme im Interesse deutscher Firmen, ihrer Arbeitnehmer und Investitionen, wie auch von Investitionen der Vereinig- ten Arabischen Emirate in Deutschland, über ein sachge- rechtes Doppelbesteuerungsabkommen verhandelt wird. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. März 2007 8787 (A) (C) (B) (D) Für die anstehenden Verhandlungen wünscht die FDP viel Erfolg. Dr. Axel Troost (DIE LINKE): Wir entscheiden heute hier über den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Verlängerung des Doppelbesteuerungsabkommens mit den Vereinigten Arabischen Emiraten, VAE. Das klingt zunächst eher undramatisch, und deswegen wird in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen werden, wo- rüber wir hier heute entscheiden werden. Das ist ein Feh- ler. Ich nenne den Gesetzentwurf lieber einen „Gesetz- entwurf zur Verlängerung der Existenz Steueroase Vereinigte Arabische Emirate“. Das bringt den Konflikt, der hinter der Debatte heute steht, besser auf den Punkt. Was ist denn die Situation? Das existierende Doppel- besteuerungsabkommen sagt unter anderem: Wirtschaft- liche Aktivitäten deutscher Steuerpflichtiger in den VAE sind von der Besteuerung in Deutschland freigestellt. Das ist nichts Ungewöhnliches, denn Doppelbesteue- rungsabkommen sind ja an sich sinnvolle Abkommen zur Verhinderung einer Doppelbesteuerung: Sie schaffen Ausnahmen vom eigentlich in Deutschland allgemein gültigen Welteinkommensprinzip. Danach wären eigent- lich alle Einkommen eines deutschen Steuerpflichtigen hier zu versteuern, egal wo die Einkommen entstehen. Um zu verhindern, dass nun dasselbe Einkommen zwei- mal besteuert wird – nämlich hier und an dem Ort der Entstehung –, gibt es Doppelbesteuerungsabkommen. Im Fall der VAE treten nun aber zwei Probleme auf. Das erste Problem ist: Dort gibt es schlicht und einfach keine direkten Steuern, also keine Einkommensteuer oder Körperschaftsteuer. Zweites Problem: In dem Dop- pelbesteuerungsabkommen wird – wie in fast allen sol- chen Abkommen – nicht das Anrechnungsverfahren ge- wählt, sondern das Freistellungsverfahren: Die in den VAE erzielten Einkommen stellt die Bundesrepublik also von der Steuerzahlung in Deutschland frei – statt, wie beim Anrechnungsverfahren, lediglich im Ausland gezahlte Steuern anzurechnen. Ergebnis dieser Konstel- lation: Faktisch sind Einkommen, die in den VAE erzielt werden, für deutsche Steuerpflichtige steuerfrei. Fak- tisch werden die VAE damit zu einer Steueroase. Nicht umsonst stehen die VAE auf der Liste der Steueroasen, die kürzlich in der „Financial Times“ veröffentlicht wurde. Dazu sagt Die Linke ganz deutlich: Mittelfristig müssen solche Möglichkeiten zur Steuerumgehung ab- geschafft werden. Mittelfristig muss dieses Doppelbe- steuerungsabkommen grundsätzlich geändert werden! Aber – und das hat die Sitzung des Finanzausschusses ja deutlich gemacht – da stehen wir ja nicht alleine. Es gab einen breiten Konsens, dass dieser Zustand grund- sätzlich beendet werden muss, dass mit Nachdruck ein neues Doppelbesteuerungsabkommen verhandelt wer- den muss und dass die hier vorgeschlagene Verlängerung des Doppelbesteuerungsabkommens mit einer Gelben Karte in Richtung VAE verbunden sein muss, die sagt: Nochmals verlängern wir diesen Zustand nicht. Bis Ende 2008 müssen sich die VAE zu einer Änderung bereiter- klären, dann läuft das Doppelbesteuerungsabkommen definitiv aus – auch wenn kein neues an seine Stelle tritt. Das Problem sieht ja auch das BMF. Es hat sich aber mit seiner Auffassung wohl gegenüber anderen Ministe- rien nicht durchsetzen können. Deswegen liegt zum Zeitpunkt des Auslaufens des Doppelbesteuerungsab- kommens kein neuer Entwurf vor, und deswegen müssen wir hier heute über die Verlängerung des alten, unbefrie- digenden Doppelbesteuerungsabkommens entscheiden. Die Motivation der anderen Ministerien scheint dabei auf der Hand zu liegen. Ich denke da nur an Artikel in der Finanzpresse, in denen über eine engere Zusammen- arbeit unter anderem im Bereich EADS spekuliert wurde. Das alles deutet darauf hin, dass hier möglicher- weise auch von deutscher Seite nicht mit dem vollen Nachdruck an einem neuen Doppelbesteuerungsabkom- men gearbeitet wurde. Das könnte auch erklären, warum wir heute noch nicht einen Schritt weiter sind und ein neues Doppelbesteuerungsabkommen zur Abstimmung vorliegt. Das ist die Ursache dafür, dass wir heute nur die – unbefriedigende – Wahl haben zwischen einer Ver- längerung des bestehenden Abkommens oder gar kei- nem Abkommen. Deswegen sagt die Fraktion Die Linke: Hier muss wirklich die Gelbe Karte gezeigt werden – in Richtung VAE, aber auch in Richtung der Bundesregierung, die nicht zeitgerecht einen Alternativentwurf vorlegen konnte. Dabei sind die Alternativen klar und relativ ein- fach umzusetzen. Das haben wir in den vergangenen De- batten um Doppelbesteuerungsabkommen auch schon immer gesagt: Wir müssten einfach vom Freistellungs- prinzip zum Anrechnungsprinzip übergehen. Dann gäbe es eine Menge der Probleme, die wir jetzt haben, gar nicht. In diese Richtung muss die Entwicklung gehen, grundsätzlich und im konkreten Fall VAE. Daher können wir dem Gesetzentwurf nur mit allergrößten Bauch- schmerzen zustimmen. Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister der Finanzen: Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf soll das Doppelbesteuerungsabkommen mit den Vereinigten Arabischen Emiraten einmalig um zwei Jahre verlängert werden. Die Notwendigkeit zur Verlängerung hat sich aus folgenden Gründen ergeben: Das alte, aus dem Jahr 1995 stammende Abkommen war abweichend von der üblichen Abkommenspolitik auf zehn Jahre befristet worden. Im Hinblick auf die beson- dere steuerliche Situation in den Vereinigten Arabischen Emiraten behielt sich Deutschland vor, nach Ablauf von einigen Jahren das Abkommen noch einmal zu überprü- fen. Bei einer Prüfung ist zunächst besonderes Augen- merk auf den Hauptzweck von Doppelbesteuerungsab- kommen zu lenken, nämlich Doppelbesteuerungen von grenzüberschreitenden Einkünften zu vermeiden. Dies setzt voraus, dass beide Staaten vergleichbare Steuern erheben. Dies ist hier nicht der Fall. Im Verhältnis zu den Vereinigten Arabischen Staaten trat ein wirtschaftspoliti- scher Zweck in den Vordergrund, nämlich Investitionen aus diesem Erdöl produzierenden Staat in Deutschland durch den Verzicht auf deutsche Quellensteuerrechte zu fördern. Solche Investitionen sind jedoch nicht im er- hofften Umfang erfolgt. Gleichwohl wird dieser Aspekt (A) (C) (B) (D) bei künftigen Verhandlungen auch zu berücksichtigen sein. Beim Abschluss von Doppelbesteuerungsabkommen ist noch ein dritter Aspekt zu berücksichtigen: Doppel- besteuerungsabkommen sollen auch der Pflege der au- ßenpolitischen Beziehungen der Vertragsstaaten dienen. Deutschland und die Vereinigten Arabischen Emirate ha- ben im April 2004 eine strategische Partnerschaft verein- men ohne besondere steuerliche Schutzmechanismen, wie sie von deutscher Seite gefordert werden, wird es je- doch nicht geben. Anlage 18 Amtliche Mitteilung bart. Darin haben beide Regierungen ihren Willen be- kundet, ihre Beziehungen über den umfangreichen Handel hinaus auch im politischen Bereich zu intensivie- ren. Ein schlichtes Auslaufenlassen des Doppelbesteue- rungsabkommens kam somit vor allem aus Gründen der außenpolitischen Rücksichtnahme auf dieses besondere bilaterale Verhältnis nicht in Betracht. Beide Staaten sollten versuchen, ein neues, substan- ziell besseres Abkommen zu vereinbaren. Die Bundesre- gierung hat deswegen Neuverhandlungen angeboten. In einer ersten Verhandlungsrunde im Sommer 2006 konnte jedoch keine Einigung über ein neues Abkommen erzielt werden. Im Hinblick auf die Befristung im alten Abkom- men wurde das vorliegende Protokoll vereinbart, dass für eine kurze Übergangsfrist das alte Abkommen bis zum 9. August 2008 verlängert. Gleichzeitig wurde ge- genüber den Vereinigten Arabischen Emiraten unmiss- verständlich deutlich gemacht, dass das bisherige Ab- kommen über die zwei Jahre hinaus nicht verlängert werden wird. Dies bedeutet, dass wichtige Inhalte des al- ten Abkommens auf jeden Fall wegfallen bzw. grundle- gend neu formuliert werden. Die Übergangszeit soll nach dem Willen beider Seiten dazu genutzt werden, ein neues Abkommen zu erarbeiten. Für die Bundesregierung ist entscheidend, dass ein neues Abkommen der Verbreiterung und dem Schutz der Bemessungsgrundlage, Zielen der Unternehmensteuer- reform 2008, besser dient. Der Tatsache, dass in den Ver- einigten Arabischen Emiraten im Wesentlichen keine di- rekten Steuern erhoben werden, ist dabei besonders Rechnung zu tragen. Sollte eine Einigung auf dieser Ba- sis nicht zustande kommen, könnte durchaus die Situa- tion eintreten, dass es im Verhältnis zu den Vereinigten Arabischen Emiraten kein Doppelbesteuerungsabkom- men geben wird. Die Bundesregierung hat den Vereinigten Arabischen Emiraten vorgeschlagen, im August oder November 2007 mit den Verhandlungen zu beginnen. Eine Antwort der Vereinigten Arabischen Emirate zu diesem Vor- schlag steht noch aus. Ich versichere Ihnen, dass der Bundesregierung daran gelegen ist, ein substanziell neues Doppelbesteuerungsabkommen mit den Vereinig- ten Arabischen Emiraten zu vereinbaren. Ein Abkom- sellschaft mbH, Amsterdamer Str. 19 Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass der Ausschuss gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absieht: Auswärtiger Ausschuss – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung zum Stand der Bemühun- gen um Rüstungskontrolle, Abrüstung und Nichtver- breitung sowie über die Entwicklung der Streitkräfte- potenziale (Jahresabrüstungsbericht 2005) – Drucksache 16/1483 – – Unterrichtung durch die deutsche Delegation in der Parla- mentarischen Versammlung der NATO Frühjahrstagung der Parlamentarischen Versammlung der NATO vom 26. bis 30. Mai 2006 in Paris, Frank- reich – Drucksachen 16/3556, 16/4101 Nr. 2 – Haushaltsausschuss – Unterrichtung durch die Bundesregierung Haushalts- und Wirtschaftsführung 2007 Außerplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 60 02 Titel 882 05 – Beteiligung des Bundes an den Kosten des Landes Mecklenburg-Vorpommern für zusätzliche Sicherheits- maßnahmen für den G-8-Gipfel 2007 in Heiligendamm – – Drucksachen 16/4223, 16/4248 Nr. 1.3 – Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden EU- Vorlagen bzw. Unterrichtungen durch das Europäische Parlament zur Kenntnis genommen oder von einer Bera- tung abgesehen hat. Rechtsausschuss Drucksache 16/2555 Nr. 2.83 Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Drucksache 16/150 Nr. 2.193 Drucksache 16/1942 Nr. 1.14 Drucksache 16/3382 Nr. 2.17 Drucksache 16/3573 Nr. 1.6 Drucksache 16/4105 Nr. 2.18 Drucksache 16/4105 Nr. 2.60 8788 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. März 2007 nd 91, 1 2, 0, T 22 86. Sitzung Berlin, Freitag, den 9. März 2007 Inhalt: Redetext Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Anlage 2 Anlage 3 Anlage 4 Anlage 5 Anlage 6 Anlage 7 Anlage 8 Anlage 9 Anlage 10 Anlage 11 Anlage 12 Anlage 13 Anlage 14 Anlage 15 Anlage 16 Anlage 17 Anlage 18