Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, die Fraktion DIE GRÜNEN hat fristgerecht beantragt, Punkt 2 von der heutigen Tagesordnung abzusetzen. Ferner hat der Abgeordnete Ströbele beantragt, die Tagesordnung so umzustellen, daß Punkt 6 a bis h vor Punkt 2 aufgerufen wird. Die Beratung über diese Anträge erfolgt unmittelbar nach Beendigung der Aktuellen Stunde.
Auf Ihren Pulten befinden sich eine Stimmliste sowie Wahlunterlagen, die wir nachher noch benötigen. Ich bitte Sie deshalb, diese Unterlagen auf Ihren Pulten zu belassen.
Ich rufe Zusatzpunkt 1 der Tagesordnung auf: Aktuelle Stunde
Meine Damen und Herren, die Fraktion DIE GRÜNEN hat gemäß Nr. 1 c der Anlage 5 unserer Geschäftsordnung eine Aktuelle Stunde zu dem Thema
Haltung der Bundesregierung zu den US-Manövern in der Großen Syrte und zu Maßnahmen im Rahmen der NATO gegenüber Libyen — Wartime Host Nation Support-Abkommen zwischen den USA und der Bundesrepublik Deutschland —
verlangt.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Frau Abgeordnete Borgmann. Bitte sehr.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bis morgen sollen alle in Libyen lebenden amerikanischen Staatsbürger laut Befehl ihres Präsidenten das Land verlassen haben; bis morgen sollen auch die US-Manöver vor Libyens Küste beendet sein. Ich frage mich: Müssen wir ab morgen mit den vom Präsidenten angedrohten militärischen Maßnahmen gegen Libyen rechnen?Die US-Politiker Reagan, Shultz und Burt haben in den letzten Wochen mehrfach von der Notwendigkeit einer gemeinsamen Politik der „zivilisierten" Länder gegen Libyen gesprochen. Wir müssen allerdings feststellen, daß gerade die Politik der USRegierung im Mittelmeerraum alles andere als „zivilisiert" ist. Sie ist aggressiv und provokativ, sie spielt mit dem Feuer einer Großmachtkonfrontation und schlägt jedem soliden Verständnis des internationalen Rechts ins Gesicht,
unabhängig davon, welchen Charakter das libysche Regime hat.Die US-Regierung betreibt eine Politik, die aus Drohung und Anwendung militärischer Gewalt besteht. Sie maßt sich an, über die Regierungsform anderer Staaten zu entscheiden, und sie nutzt die Frage des internationalen Terrorismus, um die Palästina-Frage in ihrem Sinne zu lösen, indem Libyen als schwächstes Glied in der Kette der arabischen Länder angegriffen wird.Zugleich ist der Vorwand für diese Politik sehr unglaubwürdig. Eine Verantwortung der libyschen Regierung für die verabscheuungswürdigen Terroranschläge in Rom und Wien besteht sogar nach Aussage des israelischen Verteidigungsministers Rabin nicht. Auch der Bundesregierung sind dafür bisher keine Beweise bekannt. Die Gruppe Abu Nidal agiert eher von Syrien als von Libyen aus.Die GRÜNEN im Bundestag haben in der Vergangenheit die libysche Regierung scharf kritisiert, wo dies angebracht und notwendig war. Ich erinnere an unsere Kleine Anfrage vom Dezember 1985, in der wir uns mit der Verletzung der Menschenrechte seitens der libyschen Regierung auf dem Boden der Bundesrepublik auseinandersetzten. Die Tatsache, daß seit 1980 in Westeuropa 23 oppositionelle libysche Staatsbürger unter Beteiligung der libyschen Regierung ermordet wurden, erfüllt uns mit Abscheu.In diesem Zusammenhang ist die Kumpanei der Bundesregierung, die nicht nur einer der größten Handelspartner Libyens ist, sondern auch z. B. zehn libysche Polizisten durch das hiesige Bundeskriminalamt ausbilden ließ,
ebenso bezeichnend wie beschämend. Erneut wurdedadurch demonstriert, daß die amtliche Menschen-
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Frau Borgmannrechtsrhetorik dieser Regierung dort endet, wo wirtschaftliche Interessen beginnen.
Unabhängig davon haben wir keinen Grund, in eine massiv geführte anti-libyische Hysterie zu verfallen. Es gilt, gerade heute einen kühlen Kopf zu bewahren und Propaganda von Tatsachen zu unterscheiden.Unser Hauptproblem in der gegenwärtigen Krise besteht in der Gefahr weiterer militärischer Eskalation. Es geht um die Friedensfrage, um militärische Aggression, um das, was häufig horizontale Eskalation genannt wird. Eine militärische Krise wegen Libyen wird nicht auf die Region beschränkt bleiben. US-amerikanische und sowjetische Flottenverbände stehen sich im Mittelmeer gegenüber. Das militärisch provokative Verhalten der US-Regierung kann zu einer direkten Konfrontation zwischen den Weltmächten führen, und die US-Regierung handelt in höchstem Maße unverantwortlich, wenn sie um einer Politik des demonstrativen Säbelrasselns willen Risiken eingeht, die bis zu einer Gefährdung des Weltfriedens führen.Die USA bedienen sich bei ihrer militärischen Drohung gegen Libyen ganzer NATO-Einheiten, NATO-Militärstützpunkte und NATO-Infrastruktur in anderen Ländern. Im NATO-Land Italien, auf Sizilien, sind Cruise Missiles gegen Nordafrika gerichtet. Italien wird zum Aufmarschgebiet dieser Drohpolitik. Die US-Militärmanöver tragen offen provokatorischen Charakter, da sie bewußt innerhalb der proklamierten Hoheitsgewässer Libyens abgehalten werden. Man will dieses Land zu militärischen Vergeltungsschlägen verleiten, um so einen weiteren Vorwand für militärische Eskalation zu haben.
Diese Politik schafft Unsicherheit und Unstabilität — für Europa mehr als für die USA.An die Bundesregierung müssen wir die folgenden Fragen richten:Welche Aktivitäten des US-Militärs auf dem Boden der Bundesrepublik stehen direkt und indirekt in Beziehung mit den US-Aktivitäten gegenüber Libyen? Wie bewertet die Bundesregierung diese Aktivitäten? Wie bewertet es die Bundesregierung, daß die NATO-Führungsmacht erneut wie in den Fällen Grenada und Nicaragua offen völkerrechtswidrige militärische Aggression gegen dritte Länder betreibt? Wie bewertet die Bundesregierung die Gefahr, bei einem amerikanischen Angriff auf Libyen oder einer sonstigen militärischen Eskalation in den Konflikt mit hineingezogen zu werden?Mit dem Wartime Host Nation Support-Abkommen hat die Bundesrepublik den USA bilateral Unterstützung für den Fall einer Krise oder eines Krieges zugesichert. Betrachtet die Bundesregierung die Entwicklung um Libyen als krisenhaft im Sinne dieses Abkommens? Es sollte unser wichtigstes Anliegen sein, durch Einwirkung auf die USRegierung zur Entschärfung des Konflikts beizutragen
und zu drängen, daß sich die US-Regierung militärischer Drohungen und weiterer Eskalation enthält.
Und wenn die Bundesregierung tatsächlich ernsthafte Schritte unternehmen möchte, die dem Kampf gegen den internationalen Terrorismus dienen, dann sollte sie sich verstärkt für die Schaffung einer friedlichen und politischen Perspektive für die Palästinenser einsetzen, dafür, daß die Palästinenser in einem eigenen Staat leben können, der friedlich an der Seite Israels existiert. Aber wenn man Arafat ständig mit leeren Händen dastehen läßt, wenn man nicht zu Kompromissen und Verhandlungen bereit ist, dann darf man sich nicht wundern, wenn in palästinensischen Organisationen diejenigen Auftrieb erhalten, die das Problem mit Terroraktionen lösen wollen.
Die einzige erfolgversprechende Politik gegen die Terroraktionen ist die Bereitschaft, alle Völker in dieser Region ihren Weg zur Selbstbestimmung und Demokratie gehen zu lassen.Danke schön.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Francke .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In seinem Fernsehinterview vom 16. Januar 1986 hat der libysche Staatschef die Fraktion der GRÜNEN als seine Freunde bezeichnet. Freundschaften muß man natürlich pflegen, sie müssen gepflegt werden.
Die freundschaftliche Zusammenarbeit dieser beiden Gruppen, die stets ein ambivalentes Verhältnis zum Terrorismus in jeglicher Form gehabt haben und haben, hat uns zu dieser Debatte geführt.
Ich weise zunächst die völkerrechtswidrige Zuordnung der Großen Syrte zu Libyen, wie sie durch die Fraktion der GRÜNEN erfolgt, mit Nachdruck zurück. Die Bundesregierung hat bereits im Jahre 1973 unmittelbar nach der entsprechenden Proklamierung der libyschen Regierung die völkerrechtswidrige Einverleibung der Großen Syrte in die libyschen Hoheitsgewässer zurückgewiesen. Diese Haltung teilt meine Fraktion auch heute in vollem Umfang.Die Demonstration von Macht auch durch direkte Terrorakte oder die Unterstützung derartiger Terrorakte durch Dritte rechtfertigt nach meiner Auf-
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Francke
fassung auch die Demonstration der Macht durch demokratische freiheitliche Länder.
Es muß dem Verbrecher und seinen Handlangern klargemacht werden, wo die Grenzen ihrer Handlungsmöglichkeiten sind. In diesem Sinne und aus Gründen j ahrzehntelanger Praxis und der Notwendigkeit, die Verteidigungsfähigkeit des Bündnisses durch Übungen in freien Gewässern aufrechterhalten zu können, sind nach meiner Auffassung die US-Manöver gerechtfertigt.Anläßlich des Kommandowechsels der Unterstützungstruppen des Wartime Host Nation Support in Köln hat Minister Dr. Wörner gesagt — ich zitiere ihn —:Die schnelle Herstellung der Einsatzbereitschaft der NATO-Truppen in Deutschland ist wesentliches Element eines hohen Abschrekkungswertes des Bündnisses. Für die Vorneverteidigung und die Durchhaltefähigkeit ist darüber hinaus die rasche Verstärkung vorn eingesetzter Kräfte unbedingt erforderlich. Die konventionelle Verteidigungsfähigkeit des Bündnisses kann kurzfristig deutlich verbessert werden. Die Abhängigkeit von einer frühzeitigen nuklearen Option wird verringert.Dies ist der Grund für den Abschluß des WartimeHost-Nation-Support-Vertrages gewesen. Das bleibt so; wir werden den Vertrag erfüllen.Hinzuzufügen ist, daß auf Grund dieses Vertrages keine Leistungen im Zusammenhang mit den US-Manövern im Mittelmeer erfolgt sind.Insofern sollten Sie das, was Sie anderen empfohlen haben, nämlich keine Hysterie ausbrechen zu lassen, Frau Borgmann, selbst beherzigen.Die Fraktion der GRÜNEN sollte, statt hier überflüssige Debatten über ihre Freundschaften zu veranstalten,
die Gelegenheit besser dazu nutzen, dem libyschen Staatschef zu der Einsicht zu verhelfen, daß nicht die Unterstützung von Mördern Frieden schafft, sondern geduldiges demokratisches Verhandeln, das Sprechen aller Beteiligten miteinander. Meine Damen und Herren, nur dies dient dem Frieden, den wir nötig haben und den wir und unsere Verbündeten täglich zu erhalten bemüht sind.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Gansel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach Art. 1 des deutsch-amerikanischen Abkommens vom April 1982 beabsichtigen die USA, Verstärkungstruppen — ich zitiere — „im Falle einer Krise oder eines Krieges im Einvernehmen mit der Regierung der Bundesrepublik Deutschland ... in der Bundesrepublik Deutschland ... für eine erfolgreiche Vorneverteidigung bereitzustellen".Nach Art. 2 des Abkommens sind verschiedene Leistungen der Bundesrepublik, u. a. „militärische Unterstützung durch Einheiten der Bundeswehr", vorgesehen — ich zitiere wieder — „zur Erleichterung der Unterstützung der verstärkten US-Streitkräfte und ihres zivilen Gefolges in der Bundesrepublik". Ich habe seinerzeit bei den Beratungen des Abkommens im Auswärtigen Ausschuß kritisiert, daß hier von „Krise" und „Krieg" und nicht von Spannungsfall und Verteidigungsfall die Rede ist; denn der Einsatz der Bundeswehr wird durch das Grundgesetz abschließend geregelt.
Nach den Raketenstationierungen der letzten Jahre in Ost- und in Westeuropa und nach der Ankündigung des SDI-Programms sind Zweifel erlaubt, ob dieses Abkommen schließlich zur Stärkung oder zur Schwächung der amerikanischen Verantwortung für unsere Sicherheit führen wird. Aber es darf nicht erlaubt werden, dieses Abkommen zu benutzen, um der Bundeswehr eine Hilfsfunktion für militärische Aktionen der USA außerhalb des Vertrages zu unterstellen. Das wäre eine üble Dämonisierung.
Dieses Abkommen enthält Rechte und Pflichten der USA und der Bundesrepublik nur zur Verteidigung des Territoriums der Bundesrepublik.
Es ist eng und unmißverständlich gefaßt. Aus dem Abkommen ergeben sich noch nicht einmal Rechte oder Pflichten für die USA oder die Bundesrepublik, wenn ein drittes NATO-Land angegriffen wird. Das Abkommen ist insofern enger gefaßt als der NATO-Vertrag selbst. Es begründet keine neuen militärischen Beistandspflichten, sondern es konkretisiert die bestehenden zur Verteidigung der Bundesrepublik auf dem Territorium der Bundesrepublik. Es liegt in unserem Sicherheitsinteresse, daß an diesen völkerrechtlichen Regelungen nicht gedeutelt wird. Jedes andere Verhalten wäre unverantwortlich. Das gilt für die Aktion der GRÜNEN heute;
das würde für etwaige Versuche der amerikanischen Administration gelten, und das würde auch für jede Bundesregierung gelten, wenn sie etwa aus falscher Gefälligkeit gefährliche Gewohnheitsrechte entstehen ließe. Wer an europäischer Sicherheit interessiert ist,
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Ganseldarf den ausschließlichen Verteidigungsauftrag der NATO nicht in Zweifel ziehen und auch nicht in Zweifel ziehen lassen.Seit 1951 gilt nach dem „Protokoll zum NATOVertrag über den Beitritt Griechenlands und der Türkei" als Angriff im Sinne des NATO-Vertrages auch „jeder bewaffnete Angriff ... auf Schiffe oder Flugzeuge einer der Parteien, wenn sie sich ... im Mittelmeer befinden".Nach dem NATO-Vertrag führt ein bewaffneter Angriff nicht automatisch zu Beistandspflichten, sondern zunächst zu Konsultationen. Solche Konsultationen sind von fundamentaler Bedeutung für das Bündnis und auch für unsere Sicherheit. Wer solche Proben der Funktionsfähigkeit der NATO unter Bedingungen versucht, unter denen sie scheitern können, gefährdet das Bündnis.Es darf deshalb für alle Vertragsparteien kein Zweifel daran bestehen, daß der NATO-Vertrag bei terroristischen Anschlägen im Vertragsgebiet, bei provozierten militärischen Zwischenfällen, etwa vor der libyschen Küste, bei militärischen Ereignissen, z. B. bei der Beschießung von Zielen im Libanon durch Kriegsschiffe der Vereinigten Staaten — wie gehabt — keine Anwendung finden würde. Es darf kein Zweifel daran bestehen, daß sich die militärische Funktion der NATO ausschließlich auf die Verteidigung des Vertragsgebiets beschränkt.Die Bundesrepublik hat ein elementares Interesse daran, daß Logistik, Bewaffnung und Personal der in der Bundesrepublik befindlichen NATO-Einheiten nur zur Verteidigung des Vertragsgebiets eingesetzt werden können.
Die Bekämpfung der schändlichen Anschläge des Terrorismus ist Aufgabe von Polizei und Justiz in internationaler Zusammenarbeit; sie muß verbessert werden.
Vielleicht können Sie ihrem Staatssekretär Spranger sagen, daß er sich dieser Aufgabe und nicht der Bespitzelung von Kollegen widmen sollte.
Sie ist keine militärische NATO-Aufgabe. Die Bekämpfung der Ursachen des Terrorismus ist eine politische, wirtschaftliche und auch soziale Aufgabe. Das gilt besonders für den Nahen Osten.Noch immer wird das Existenzrecht des Staates Israel bestritten, und noch immer werden dem palästinensischen Volk seine legitimen Rechte vorenthalten. Terror und völkerrechtswidrige Vergeltung, Boykott und militärisches Muskelspiel, Kriegsreden und Gewaltaktionen müssen endlich politischen Lösungen weichen. Dazu gehört auch, daß führende Staatsmänner sich nicht gegenseitig für verrückt oder wahnsinnig erklären, die miteinander reden müssen, wenn es keine militärische Eskalation geben soll.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schäfer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst gratuliere ich Frau Borgmann zu der Volte, die sie geschlagen hat, indem sie es fertiggebracht hat, hier sowohl die Absichten der Amerikaner in Zweifel zu ziehen als auch gleichzeitig die Libyer zu verurteilen und sogar noch die Bundesregierung dafür verantwortlich zu machen, daß hier angeblich libysche Polizisten ausgebildet werden.Meine Gratulation gilt auch Herrn Gansel, der es fertiggebracht hat, einen eleganten Bogen von der Großen Syrte zum Staatssekretär Spranger zu schlagen. Auch das ist in fünf Minuten eine beachtliche Leistung, meine Damen und Herren.
Ich frage mich nur: Was hat das mit der eigentlichen Frage zu tun? Und, lieber Herr Gansel: Hier wieder den Zeigefinger zu heben und wichtig zu tun — —
— Sie können mich gar nicht stören. Solche Zwischenrufe, Herr Horn, sind sogar unter Ihrem Niveau;
ich will das hier nicht weiter ausführen.Ich kann nur eines sagen, meine Damen und Herren: Heute morgen wird angesichts von Manövern der Vereinigten Staaten von Amerika im Mittelmeer, die keine NATO-Manöver sind, Herr Gansel — insofern war Ihr Exkurs überflüssig —, sondern die auch mit einer innenpolitischen Reaktion des Präsidenten auf die Besorgnisse der amerikanischen Bevölkerung, was Terroranschläge betrifft, zu tun haben, wieder einmal der durchsichtige Versuch unternommen, die Vereinigten Staaten in eine bestimmte Ecke zu stellen. Übrigens: Terroranschläge gibt es auch bei uns. Wenn wir uns Abend für Abend einer aufgeregten Bevölkerung gegenübersehen, stellen wir fest, daß sie keineswegs so ganz begeistert davon ist, daß wir dem amerikanischen Beispiel bisher nicht gefolgt sind; das muß ich hier auch einmal sagen. Aber wir haben kein Interesse daran, einen Wirtschaftsboykott zu machen, wir haben ihn in allen Fällen abgelehnt, weil wir nicht glauben, daß er erfolgreich ist.
— Ich bin bei Libyen, nicht bei Staatssekretär Spranger, um das sehr deutlich zu sagen. — Das Thema ist auch nicht Ihr berühmter Wartime Host Nation Support, der mit dieser Angelegenheit überhaupt nichts zu tun hat. Das stellen Sie fest, wenn Sie den Vertrag lesen. Das muß doch einmal klargestellt werden. Im übrigen operieren amerikanische Schiffe auch nicht in libyschen Gewässern; das hat Herr Kollege Francke ausgeführt. Die Beanspruchung der 300 Meilen durch Herrn Gaddafi gehört
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Schäfer
zu der Art dieses Präsidenten, nämlich seine Expansionsvorstellungen nicht nur in die Nachbarländer hineinzutragen, sondern auch auf die hohe See.Es kann also überhaupt keine Rede davon sein, daß es NATO-Manöver gibt, daß die Bundesrepublik in irgendeiner Form damit zu tun hat. Es kann auch nicht die Rede davon sein, daß Hoheitsgewässer Libyens verletzt worden sind.Was für mich aber entscheidend ist, ist, daß wir nach wie vor, trotz dieser amerikanischen Gebärden, die wahrscheinlich innenpolitische Gründe haben, bei unserer kühlen Haltung bleiben, einer Haltung, die auch auf die Bekämpfung des Terrorismus abzielt, so wie es die EG-Außenminister in dieser Woche mit einer Reihe von Maßnahmen beschlossen haben. Ich muß auch sagen: Ich bin sehr froh, daß andere europäische Staaten unserem Beispiel jetzt folgen, wie das ja in der Entschließung der Außenminister zum Ausdruck gekommen ist, nämlich in Zukunft keine Waffen mehr nach Libyen zu liefern. Wir haben das nie getan. Es gab wohl Nachbarländer, die mit Herrn Gaddafi etwas großzügiger verfahren sind. Das wird nicht mehr der Fall sein. Das ist ein Fortschritt.Es gibt noch eine Fülle von Maßnahmen, die wir treffen müssen. Aber mir erscheint in einer solchen Situation ganz wesentlich — unabhängig von amerikanischen Manövern im Mittelmeer —, daß es jetzt zu einer Konferenz zwischen den Anrainern am Mittelmeer, und zwar den europäischen und den arabischen kommt, um ernsthaft zu prüfen, was wir gemeinsam gegen den sich ausweitenden Terrorismus tun können. Ich glaube, hier liegen die Lösungsmöglichkeiten, nicht in irgendwelchen Drohgebärden, sei es Wirtschaftsboykott oder seien es andere Formen.Ich jedenfalls bin froh, daß die Europäer sehr kühl reagiert haben, auch wenn sie sich vielleicht den Vorwurf gefallen lassen müssen, das sei nicht genügend, um den Terrorismus einzudämmen.Ich bin auch sehr froh, daß der ägyptische Präsident, der in dieser Woche auch noch in die Bundesrepublik kommen wird, ebenfalls einen solchen Vorschlag einer gemeinsamen Konferenz — einer euroarabischen Konferenz — gemacht hat. Auf einer solchen Konferenz könnten wir auch einmal unterscheiden zwischen den Staaten, denen es schwerfallen wird, eine Konvention gegen den Terrorismus zu unterzeichnen, und den Staaten, die dazu bereit sind.Ich jedenfalls möchte bei aller Bewertung des Herrn Gaddafi zum Schluß auf eines hinweisen: Wenn man nach Terroranschlägen die Kritik ausschließlich auf eine Person oder einen Staat richtet, hat man als Effekt leider eine Solidarisierung und nicht den gewünschten Erfolg zu verzeichnen. Ich erinnere an das Kommuniqué von Fes und auch an die Äußerungen arabischer Politiker der letzten Tage. Herr Gaddafi ist aus diesem Konflikt bislang gestärkt hervorgegangen. Das kann j a nicht im Sinne der Erfinder der Boykottmaßnahmen sein.Vielen Dank.
Das Wort hat Herr Staatsminister Möllemann.
Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Der Titel der heutigen Aktuellen Stunde, noch mehr aber die Ausführungen der Kollegin Borgmann haben gezeigt, was wir in den vergangenen Wochen und Monaten immer dann erfahren haben, wenn hier irgendwelche Fragen besprochen worden sind, die auch unseren nordamerikanischen Bündnispartner betrafen, nämlich eine plump antiamerikanische Tendenz der GRÜNEN, die sich jedes Themas bedienen wollen, um Stimmung zu machen,
und die dabei in einer Mischung aus Inkompetenz und Unterstellungen aber auch keinen Versuch auslassen, diesem Ziel näherzukommen. Wenn das weiterhin so geschieht wie in der letzten Woche und wie heute in der Begründung, wird dem kein Erfolg beschieden sein.Zweitens. Zum Thema selbst ist festzustellen, daß Flottenmanöver, und zwar sowohl deutsche wie amerikanische, italienische oder andere, zum ganz normalen Ausbildungsprogramm jeder Marine gehören. So übt die Bundesmarine auf Nord- und Ostsee und andere Marinen auf anderen Meeren. Die amerikanische Flottenpräsenz im Mittelmeer ist Bestandteil unserer sicherheitspolitischen Konzeption, ist für die Durchführung unserer Sicherheitspolitik unverzichtbar und ist Normalität.
Drittens. Flottenmanöver haben sich in dem Bereich zu bewegen, den man nach internationalem Recht als hohe See bezeichnet. Darüber gibt es einen internationalen Konsensus. Er besagt, daß Hoheitsgewässer 12 Seemeilen umfassen. Die EG hat das im September letzten Jahres noch einmal einmütig festgestellt. Alles außerhalb ist hohe See, kann daher natürlich zu Luft- und Flottenmanövern genutzt werden. So praktizieren wir es. So ist es im Mittelmeer immer praktiziert worden. Etwas dort hineinzuinterpretieren ist schlichter Unsinn.
— Zu jeder denkbaren Jahreszeit ist das möglich. Das ist immer so gemacht worden. Wenn Sie sich gelegentlich die Mühe machten, es nachzulesen, können Sie das feststellen.Das Wartime-Host-Nation-Support-Abkommen hat mit dem Thema, das Sie hier angeschnitten haben, nichts, aber auch gar nichts, zu tun. Herr Kollege Gansel hat das zutreffend festgestellt.
Da diese Feststellung völlig korrekt ist, sollte mansie aber auch nicht in diesem Zusammenhang brin-
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Staatsminister Möllemanngen, um den Eindruck zu erwecken, als gäbe es einen Zusammenhang.
Schon hier wird wieder die Absicht deutlich, von der Sie ausgehen.
— Dafür müssen Sie wirklich ein bißchen früher aufstehen, wenn Sie das werden wollen, und ein bißchen mehr nachdenken, als Sie das bisher getan haben.Vierter Punkt: Es ist zum Teil wirklich abenteuerlich, wie der komplizierte Sachverhalt der Nahostpolitik und einer denkbaren Lösung für die Nahostfragen hier in einer Art Mischmasch zwischen Flottenmanövern, Wartime-Host-Nation-Support und irgendwelchen, zum Teil wirklich von keinerlei Kenntnis getrübten Vorurteilen zusammengewürfelt wird.Die Bundesregierung hat ihre Vorstellungen, wie die Europäer zur Überwindung des Nahostkonflikts beitragen können, gerade am Anfang dieser Woche noch einmal deutlich gemacht. Sie hat die bestehenden Initiativen für eine Friedensregelung im Nahen Osten, insbesondere den Vorschlag des jordanischen Königs Hussein, unterstützt. Sie hat mit dem israelischen Ministerpräsidenten ebenso über die Möglichkeiten, dies umzusetzen, gesprochen, wie dies heute und morgen mit Präsident Mubarak geschehen wird. Dies in sachbezogener, verantwortungsbewußter Weise zu tun ist ein vernünftigerer Beitrag zur Überwindung der Spannungen im Nahen Osten als Veranstaltungen oder Diskussionen der Art, wie sie hier mit klar antiamerikanischer Zielrichtung initiiert worden sind.Wir sind der Überzeugung, daß der europäischarabische Dialog in der Tat einen Beitrag leisten kann, gemeinsame Ansatzpunkte zur Lösung des Nahostkonflikts zu finden. Der Bundesaußenminister hat diese Überlegungen in die Konferenz der Zwölf eingebracht. Wir glauben auch, daß der europäisch-arabische Dialog einen Beitrag dazu leisten kann, gemeinsame Methoden und Wege zu finden, den Terrorismus zu bekämpfen, der ein Phänomen ist, das alle Staaten bedroht und deswegen von allen angegangen werden sollte.Noch einmal zum Schluß: Herr Präsident, meine Damen und Herren, die GRÜNEN, die offen und immer wieder erklären, sie wollten, daß die Bundesrepublik Deutschland aus der NATO austritt, die offen und immer wieder für jedes Problem auf dieser Welt nur eine Ursache finden, nämlich die Vereinigten Staaten von Amerika, setzen dieses Spiel hier fort. Ich denke, alle seriösen Fraktionen dieses Hauses sollten sich zu schade sein, dieses Theater weiter mitzuspielen.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wischnewski.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Manchmal hat man den Eindruck, daß es Mitglieder des Hauses gibt, die die Rechtsunterlagen erst durchlesen, nachdem sie die Aktuelle Stunde beantragt haben.
Dies scheint mir heute in besonderem Maße deutlich geworden zu sein.
Lassen Sie mich mit zwei Bemerkungen beginnen.Erstens. Die Vereinigten Staaten haben das Recht, im Mittelmeer Manöver abzuhalten. Ich glaube, im Deutschen Bundestag sollte das niemand bezweifeln wollen.
Zweitens. Seemanöver und militärische Maßnahmen überhaupt sind mit das Ungeeignetste zur Bekämpfung des Terrorismus, was man sich überhaupt vorstellen kann, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Das ist, glaube ich, eine klare Ausgangsbasis, mit der wir leben sollten. Wenn man allerdings sagt: Wir sind gegen den Wirtschaftsboykott — darin waren wir uns weitgehend einig —, und wir halten auch militärische Manöver nicht für geeignete Maßnahmen, dann muß man natürlich in der Tat sagen, welche Mittel zur Bekämpfung des Terrorismus man selbst für die richtigen hält.Lassen Sie mich dazu bitte einige knappe Bemerkungen machen.Erstens. Von entscheidender Bedeutung ist immer die Ursachenbekämpfung. Daran führt kein Weg vorbei. Dabei müssen die Bundesrepublik und die Europäische Gemeinschaft eine entscheidende Rolle spielen, d. h. auf der Basis der gesicherten Existenz des Staates Israel und des Selbstbestimmungsrechts der Palästinenser einen Weg zum Frieden in dieser Region finden. Das ist die wichtigste Aufgabe. Hier haben wir eine aktive Rolle zu übernehmen.
Zweitens. Die internationale Zusammenarbeit in der Bekämpfung des Terrorismus ist verbesserungswürdig. Das, was sich auf Malta abgespielt hat, ist ein Beweis dafür, daß es vielfach eben noch nicht funktioniert. Ich mache überhaupt keinen Hehl daraus, daß ich die Errichtung einer internationalen Polizeitruppe für unverzichtbar halte.
Das Glück, das wir einmal mit der GSG 9 in Mogadischu gehabt haben, daß ein anderer Staat bereit war, unsere Polizei dort wirksam werden zu lassen, ist zur Zeit mit Sicherheit die Ausnahme. Deshalb
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Wischnewskihaben wir über solche Überlegungen nachzudenken.Drittens. Wir brauchen — hier stimme ich mit dem Staatsminister voll überein — den europäischarabischen Dialog, um auch über die gemeinsame Bekämpfung des Terrorismus im Zusammenhang mit den vielen Krisen zu reden, die wir im Nahen Osten haben; denn es ist j a nicht nur eine. Es ist nicht nur der israelisch-arabische Konflikt. Es ist der Krieg zwischen dem Iran und dem Irak. Es ist der Krieg im Libanon. Die Auswirkungen der Revolution von Teheran auf einen Teil der Bevölkerung sind viel komplizierter, als sich das viele hier vorstellen.Man muß natürlich auch etwas für die eigene Sicherheit tun. Weil hier moniert worden ist, daß Herr Spranger von meinem Kollegen Gansel genannt wurde, muß ich Ihnen leider sagen, verehrte Kollegen von der CDU/CSU: Leute der Antiterroristengruppe GSG 9 gegen harmlose Demonstranten einzusetzen war eines der schlechtesten Zeichen im Kampf gegen Terrorismus, die es in unserem Lande in der letzten Zeit gegeben hat.Vielen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Klein .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Kollegin Borgmann,
im Grunde genommen wäre es, hätte die Geschäftsordnung das hergegeben, richtig gewesen zu sagen: Auf diese an den Haaren herbeigezogene und zusammengezwungene Thematik, mit der Sie die Aktuelle Stunde bestreiten wollen, gehen wir diesmal nicht ein; sie findet nicht statt. Aber das war geschäftsordnungsmäßig nicht möglich.
Frau Kollegin Borgmann, was immer Sie für politische Meinungen vertreten: Wir sind hier der Deutsche Bundestag, und wir diskutieren hier deutsche Interessen.
Gegen das deutsche Interesse ist es gerichtet, wenn jede Gelegenheit genutzt wird, unseren wichtigsten Verbündeten hier anzugreifen.
Diese lächerliche Kausalität zwischen den legitimen Manövern, die die Amerikaner auch in der Großen Syrte ausführen, und dem Programm herzustellen, über das wir uns geeinigt haben, das aber noch nicht einmal völlig abgeschlossen ist, bedeutet, eine Gelegenheit zu suchen, den Amerikanern amZeug zu flicken. Aber, Frau Kollegin Borgmann, selbst eine Politik, die sehr kritisch mit den Amerikanern umgeht, könnte noch im deutschen Interesse liegen.
Aber wenn wir so abstruse, abwegige Gelegenheiten bei den Haaren herbeiziehen, und zwar jede Woche, dann erwecken wir doch den Eindruck dessen, was viele Teile der amerikanischen Medienlandschaft ja seit geraumer Zeit hochziehen, nämlich den Eindruck des Antiamerikanismus in diesem Land, vor allem dann, wenn einmal berechtigte Meinungs- oder Interessenunterschiede von uns wahrgenommen werden müssen.
Hier liegt im Grunde genommen das gegen unsere Interessen Gerichtete in Ihrem Verhalten: Wir erwecken nämlich dann, wenn es wirklich notwendig ist, wenn wir nicht anders können, wenn uns ganz bestimmte Umstände dazu zwingen, einen Weg zu gehen, der mit den amerikanischen Vorstellungen nicht identisch ist, und wir den Amerikanern diesen Weg erklären wollen, den Eindruck des Antiamerikanismus. Das liegt genau auf der Linie, die pausenlos in der Art und Weise artikuliert wird, wie es die GRÜNEN in diesem Bundestag tun, wie es die Linke in der SPD tut und wie es auch Gansel heute morgen getan hat. Verzeihen Sie, Herr Gansel; dieses Geschäft sollten Sie wirklich Wischnewski überlassen; der kann das besser.
Wenn wir auf die Tonlage des libyschen Staatschefs eingehen — und Sie haben ungefähr die gleiche Tonlage drauf —,
dann machen wir uns auch vor der deutschen Bevölkerung lächerlich.
Andere Dinge bewegen die Menschen. Es ist sehr richtig, was der Kollege Schäfer gesagt hat: Große Teile der deutschen Bevölkerung tun sich schwer, nachzuvollziehen, daß sich die Bundesregierung und die EG in der Frage eines gemeinsamen Verhaltens gegenüber Libyen so sehr zurückhaltend und ausgewogen — wie immer die Formeln heißen mögen — verhalten. Ihnen klarzumachen, warum das im Augenblick so sein muß und welches die Umstände sind,
daß wir die arabische Welt nicht in eine Solidarisierung mit Herrn Gaddafi hineintreiben dürfen, wirderschwert, wenn wir solchen wirklich billigen Ma-
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Klein
növern, wie sie der Oberst Gaddafi jetzt laut der „Neuen Zürcher Zeitung" angekündigt hat, auch noch verbale Resonanz geben.Ich bedanke mich.
Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Die Aktuelle Stunde ist zu Ende.
Die Plenarsitzung wird, wie vorgesehen, um 9 Uhr fortgesetzt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Plenarsitzung wird fortgesetzt.
Am 25. Januar 1986 feierte der Abgeordnete Stutzer seinen 60. Geburtstag. Herzlichen Glückwunsch!
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die verbundene Tagesordnung erweitert werden, und zwar um folgende Punkte, die in der Ihnen vorliegenden Liste „Zusatzpunkte zur verbundenen Tagesordnung" aufgeführt sind:
2. Beratung des Antrags der Fraktion der SPD
Gremium zur Genehmigung der Wirtschaftspläne der Nachrichtendienste
— Drucksache 10/4742 —
3. Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und FDP
Änderung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages
— Drucksache 10/4740 —Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung
Rechtsausschuß
4. Beratung des Antrags der Abgeordneten Huonker, Jung , Kirschner, Rapp (Göppingen), Rappe (Hildesheim), Urbaniak, Weinhofer, Dr. Wieczorek, Dr. Apel, Duve, Frau Fuchs (Köln), Roth, Dr. Spöri, Meininghaus, Reimann, Sieler, Stahl (Kempen), Frau Traupe, Westphal, Wolfram (Recklinghausen), Würtz, Reuschenbach, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD
Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivvermögen — Drucksache 10/4747 —Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Sind Sie damit einverstanden? — Ich sehe und höre keine anderen Meinungen; damit ist es so beschlossen.
Meine Damen und Herren, die Fraktion DIE GRÜNEN hat beantragt, daß Punkt 2 der Tagesordnung abgesetzt wird, damit darüber zu einem anderen Zeitpunkt eine ganztägige Debatte geführt werden kann.
Wird zur Geschäftsordnung das Wort gewünscht? — Bitte sehr, Herr Abgeordneter Senfft.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich wünsche Ihnen allen erst einmal einen schönen guten Morgen.Ich möchte hier den Antrag auf Absetzung des Tagesordnungspunktes 2, den sowohl ich als auch die Fraktion DIE GRÜNEN gestellt haben, begründen. Wir haben bereits im Vorfeld dieser Beratung versucht, eine Vereinbarung darüber zustande zu bekommen, daß wir uns gemeinsan darauf verständigen, in der nächsten Sitzungswoche diesen Punkt in einer ganztägigen Beratung so zu behandeln, die einen ordentlichen Verlauf sichert, bei dem für die Öffentlichkeit transparent wird, wie die Auffassungen der Fraktionen zu den verschiedenen Straßenbauprojekten aussehen. Wir wollten also die Vereinbarung erreichen, daß wir gemeinsam beschließen, daß dieser Punkt um eine Sitzungswoche vertagt wird.
Es ist nämlich so, daß der Zeitraum zwischen der Beratung im Verkehrsausschuß bzw. der Verteilung der entsprechenden Beschlußempfehlung und der heutigen Beratung so kurz ist, daß wohl kaum ein Abgeordneter dieses Hauses die Möglichkeit hat, zu prüfen, welche Straßen überhaupt noch im Bedarf s-plan sind und welche Änderungen vorgenommen werden. Erst recht kann niemand die von uns vorgelegten Änderungsanträge sorgfältig prüfen, die in unermüdlicher Arbeit von den Natur- und Umweltschutzverbänden und von den Bürgerinitiativen erstellt worden sind.
Meine Damen und Herren, bereits vor fünf Jahren hat der Abgeordnete Hennig das damalige Verfahren unter dem Beifall aller seinerzeit im Bundestag vertretenen Fraktionen scharf kritisiert. Wörtlich sagte er in einer persönlichen Erklärung:Ich kann den Gesetzentwurf daher aus diesem für mich zwingenden Grund leider nur ablehnen und meine, daß wir dieses ganze Verfahren heute letztmalig anwenden und das nächste Mal einer grundsätzlichen Überprüfung unterziehen sollten.
Genau diese Auffassung teilen wir. Auch wir sind der Meinung, wir hätten dieses Verfahren überprüfen sollen, damit hier eine ordentliche Beratung gewährleistet ist, die für die Öffentlichkeit Transparenz schafft. Notwendig ist zumindest eine eintägige Debatte mit verschiedenen Kurzbeiträgen — je vier mal fünf Minuten — über die wichtigsten Straßenbauprojekte.
Hier, wie es heute vorgesehen ist, in einer Redezeit von eineinhalb Stunden über einen Umfang von 80 bis 100 Milliarden DM zu debattieren, über solche Mengen von Beton und Asphalt, die wieder in Natur und Landschaft geschüttet werden, ist diesem Parlament nicht angemessen. Diese 90 Minuten Rede-
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Senfftzeit sind dem Umfang des Bundesfernstraßenplans, der hier vorliegt, wirklich nicht angemessen.
Wenn wir das mit den Haushaltsberatungen vergleichen, können wir einfach nicht zulassen, daß ein solch umfangreiches Volumen, eine solche komplexe Vorlage — zu der der Abgeordnete Hennig damals zu Recht festgestellt hat, daß kaum ein Abgeordneter in der Kürze überhaupt die Möglichkeit hat, sich eingehend zu informieren — hier in einem Ad-hoc-Verfahren innerhalb von anderthalb Stunden durchgezogen wird. Meine Damen und Herren, wir haben eine Redezeit von zehn Minuten
zur Begründung von unseren Änderungsanträgen, die wir eingebracht haben, von 180 Änderungsanträgen und zur Stellungnahme zu dem gesamten Gesetzentwurf bekommen.
Auch das ist eine Farce, weil wir in diesen zehn Minuten überhaupt nicht auch nur ansatzweise deutlich machen können, worum es uns, worum es den Umweltverbänden und worum es den Bürgerinitiativen überhaupt geht.
Deshalb möchte ich hier sagen, daß wir abweichend von der Position im Ältestenrat — insbesondere wegen der Vorfälle, die sich im Verkehrsausschuß ereignet haben, die Sie alle aus der Presse kennen, die erst nachträglich unserem Parlamentarischen Geschäftsführer Eberhard Bueb bekanntgeworden sind —, abweichend von dieser Meinung, die wir im Ältestenrat vertreten haben, die Absetzung von der Tagesordnung beantragen. Weil ich mir nicht sicher bin, ob die Beschlußfähigkeit gegeben ist, beantragt die Fraktion der GRÜNEN in Verbindung mit der Abstimmung über unseren Geschäftsordnungsantrag die Feststellung der Beschlußfähigkeit.
Zur Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Seiters das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für meine Fraktion möchte ich dem Antrag auf Absetzung widersprechen. Ich will mich gar nicht darauf beziehen, daß wir in der vorigen Woche auch mit den GRÜNEN eine Vereinbarung getroffen haben, auch bezogen auf die Debattenzeit, sondern ich möchte etwas zum Ablauf der Beratungen sagen und dadurch deutlich machen, daß die Vorbesprechungen und Vorberatungen in allen Fraktionen sorgfältig und intensiv geführt werden konnten. Der Entwurf dieses Gesetzes zum Ausbau der Bundesfernstraßen liegt seit sehr vielen Monaten vor. Der erste Entwurf ist Ihnen am 6. März 1985 vorab zugeleitet worden. Das Bundeskabinett hat ihn am 18. September verabschiedet. Vorangegangen ist eine intensive, eineinhalbjährige Abstimmung zwischen den Ländern, den Kommunen, den Städten, den Wirtschaftsverbänden und auch dem Bund für Umweltschutz. Ein verkehrswissenschaftliches Institut in Aachen hat alle Einzelmaßnahmen ausgewertet, und zwar auch und gerade unter Berücksichtigung ökologischer Gesichtspunkte.
Wir haben dann die erste Lesung im Bundestag am 6. Dezember durchgeführt. Wir haben die Sitzung des Verkehrsausschusses, vorgesehen für den 11. Dezember, auf Antrag der GRÜNEN vertagt, und zwar auf den späteren Beratungszeitraum 22. und 23. Januar, um ganz bewußt dem Wunsch der GRÜNEN zu entsprechen, sich sorgfältig und intensiv vorbereiten zu können. Der Verkehrsausschuß hat dann zwei volle Tage — über 18 Stunden lang — über diesen Punkt beraten. Wenn Sie sagen, daß Sie hier im Plenum des Bundestages nur zehn Minuten Redezeit haben, dann darf ich Ihnen aber auch sagen, daß Sie im Ausschuß mehr als die Hälfte der Redezeit in Anspruch genommen haben, nämlich über neun Stunden, und zwar für die Begründung exakt der 180 Anträge, die Sie auch hier wieder im Plenum des Deutschen Bundestages präsentieren. Vor diesem Hintergrund sage ich Ihnen mit aller Deutlichkeit und Ruhe: Wir können und werden parlamentarische Arbeit auch in Zukunft nicht so gestalten, daß wir im Plenum des Bundestages alle Einzelberatungen von Ausschüssen in der gleichen Intensität wiederholen. Das ist nicht der Sinn parlamentarischer Arbeit.
Schon dieser zeitliche Ablauf macht im übrigen deutlich, daß man die früheren Beratungen, auf die der Kollege Hennig damals Bezug genommen hat, mit den jetzigen nicht vergleichen kann.
Alles in allem, wir haben in allen Fraktionen sorgfältig und intensiv beraten können. Was dem Deutschen Bundestag heute vorgelegt wird, ist ein abgestimmtes Konzept, das verabschiedungsreif ist und auf das die Länder, die Kommunen, die Straßenbaubehörden und auch die Straßenbauwirtschaft warten. Wir haben, wie der Zeitplan zeigt, die Wünsche der GRÜNEN umfassend berücksichtigt. Aber irgendwann kommt auch der Zeitpunkt, zu dem abgestimmt werden muß. Dann entscheidet allerdings die Mehrheit. Deswegen sage ich: Wir wollen heute hier im Plenum des Bundestages beraten. Wir lehnen Ihren Antrag ab und werden natürlich auch die Beschlußfähigkeit des Hauses sicherstellen.
Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Herr Abgeordnete Porzner.
Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren! Es stimmt nicht, was der Abgeordnete von der Fraktion DIE GRÜNEN gesagt hat, nämlich daß zwischen den Fraktionen einvernehmlich besprochen worden sei, diesen Tagesordnungs-
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Porznerpunkt in der nächsten Sitzungswoche zu behandeln.
Es war umgekehrt: Wir haben im Ältestenrat einvernehmlich vereinbart, den Tagesordnungspunkt heute zu behandeln. Ich möchte das Plenum darüber informieren, damit es da keine Mißverständnisse gibt. Ich habe in einer Vorbesprechung auf die Kompliziertheit der Materie aufmerksam gemacht und gesagt: Ich stimme einer Aufsetzung nur zu, wenn gewährleistet ist, daß die komplizierten technischen Vorbereitungen auch korrekt getroffen werden können.
— Alle, natürlich auch die inhaltlichen; das ist eine politische Frage. Darauf komme ich noch zu sprechen.Nach meiner Frage, ob alles auch sorgfältig vorbereitet werden könne, haben wir und schließlich auch der Ältestenrat einmütig die heutige Tagesordnung festgesetzt, und zwar — ich wiederhole das ausdrücklich — mit der Zustimmung der Fraktion DIE GRÜNEN.
Es ist richtig, daß die Debattenzeit für ein Gesetzgebungsvorhaben dieses Umfangs zu kurz bemessen ist. Angesichts der Zahl von 2 000 Einzelprojekten ist sie auch zu kurz, wenn wir sehr viel mehr Stunden darüber reden würden. Warum das Plenum im Prinzip gar nicht anders verfahren kann, liegt daran, daß man Ausschußberatungen und Fachberatungen, die sich über viele Monate hingezogen haben
— „und Fachberatungen" habe ich hinzugefügt —, nicht im Plenum des Bundestages wiederholen kann.
Die Berichterstatter und die Mitglieder des Verkehrsausschusses meiner Fraktion haben sich seit vielen Monaten landauf, landab in allen Landesgruppen, in allen Bundesländern und, wo es nötig war, in den zuständigen Gemeinden und Landkreisen erkundigt und dort die Meinung der Bürger, der Stadträte, der Bürgermeister und der Kreistage eingeholt. Wenn die Fraktion der GRÜNEN das nicht gemacht hat, so ist es nicht meine Sache, das zu bewerten.
Bei uns — ich rede von uns — ist diese Debatte — ich mache niemandem wegen seines früheren Verhaltens einen Vorwurf — so sorgfältig und intensiv vorbereitet worden wie niemals zuvor.
Deswegen ist dieser Vorwurf, die Debatte sei nicht richtig vorbereitet, falsch.Ich bitte deswegen, den Antrag auf Absetzung von der Tagesordnung abzulehnen und die Aussprache — wie im Ältestenrat vereinbart — heute zu führen und die Entscheidungen zu treffen.
Ebenfalls zur Geschäftsordnung hat der Herr Abgeordnete Wolfgramm das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Dieser Fernstraßenplan befindet sich seit einem Jahr in der Beratung. Wir haben gehört, daß im Ausschuß über 18 Stunden sorgfältig darüber beraten wurde. Sie von den GRÜNEN haben mehr als die Hälfte der Zeit davon beansprucht. Der Gesetzentwurf ist mit Zustimmung der GRÜNEN heute auf die Tagesordnung gesetzt worden. Man wird sich daher fragen müssen, was die GRÜNEN denn nun bewogen hat, ihre Zustimmung heute wieder rückgängig zu machen.
Da drängt sich doch die Vorstellung auf, daß ihnen eingefallen ist, daß sie ein großes Showgeschäft daraus machen können.
Sie haben 180 Einzelabstimmungen angekündigt. Sie haben 30 namentliche Abstimmungen beantragt. Sie haben das nicht etwa verbunden, damit Sie die ganze Sache noch in die Länge ziehen können. Ich kann Ihnen dazu noch sagen, daß uns von Ihnen gesagt worden ist: „Sie brauchen den Punkt heute nur abzusetzen; dann werden diese Einzelabstimmungen nicht stattfinden."
Das ist ein sehr interessantes Indiz dabei.
Ich sage Ihnen: Sie wollen hier aus der Plenarsitzung eine Farce machen — —
Herr Abgeordneter Wolfgramm, wenn die Glocke des Präsidenten klingelt, dann hat er die Absicht, etwas zu sagen. —
Ich bitte insbesondere die verehrten Kolleginnen und Kollegen der Fraktion DIE GRÜNEN, sich mit Zwischenrufen so weit zurückzuhalten, daß der Redner seine Ausführungen — für alle verständlich — machen kann. — Bitte sehr.
Ich habe den Eindruck, daß Sie hier etwas kompensieren wollen, was Sie in diesem Hause sonst sehr oft vorführen, nämlich daß Sie sich bei Abstimmungen normaler-
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Wolfgramm
weise enthalten. Das wollen Sie heute in einer komplizierten, das Haus und die Abstimmungsverfahren bedrängenden Art und Weise einmal anders halten.Wir werden ihren Antrag ablehnen — mit Churchill, der gesagt hat: Demokratie ist die Notwendigkeit, sich den Ansichten der Mehrheit gelegentlich auch zu beugen.
Meine Damen und Herren, wir kommen nun zur Abstimmung über den Absetzungsantrag. Mit diesem Geschäftsordnungsantrag ist gleichzeitig auch die Beschlußfähigkeit des Hauses festzustellen.
Ich komme zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Absetzung des Tagesordnungspunktes 2. Ich bitte alle Damen und Herren Abgeordneten des Hauses, dazu Platz zu nehmen. — Darf ich bitten, Platz zu nehmen. — Ich komme jetzt zur Abstimmung. Wer für diesen Absetzungsantrag stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Dies ist eindeutig die große Mehrheit des Hauses. Ist der Sitzungsvorstand der Meinung, daß die Beschlußfähigkeit gegeben ist? — Damit ist die Beschlußfähigkeit gegeben. Der Antrag ist abgelehnt.
Der Herr Abgeordnete Ströbele hat beantragt, die Tagesordnung so umzustellen, daß Punkt 6a bis 6 h vor Punkt 2 aufgerufen wird. Wird hierzu das Wort gewünscht? — Bitte, Herr Abgeordneter Ströbele.
Herr Präsident, ich danke Ihnen für die Gelegenheit, den Antrag hier begründen zu dürfen. —
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In den letzten zwei Wochen haben sich hier in diesem Hause, im Plenum und in den Ausschüssen, Vorfälle gehäuft, die darauf hindeuten, daß dieses Parlament seitens der Bundesregierung und der sie tragenden Koalitionsfraktionen mißachtet wird.
Ich bin der Auffassung, daß die heute vorgesehene Debatte über das Selbstverständnis des Parlaments stattfinden sollte, bevor über Sachanträge diskutiert und abgestimmt wird. Denn dieses Parlament sollte sich zunächst darüber klar werden, ob es sich selber noch ernst nimmt, ob es sich selber das gefallen läßt, ob es sich selber das zumuten will, was ihm von Regierung und Koalitionsfraktionen zugemutet wird.
Wir haben vom Kollegen Senfft gehört, wie in bezug auf den Tagesordnungspunkt Bundesfernstraßenbedarfsplan gearbeitet worden ist. Sie alle haben aus der Zeitung erfahren, daß im Verkehrsausschuß nicht nur eine 19stündige Debatte stattgefunden hat, sondern daß in dieser Debatte auch alles versucht worden ist, um die Kollegen von den GRÜNEN am Reden zu hindern.
Sie sind mit so unparlamentarischen Ausdrücken wie „Arschloch" — das muß man einmal offen sagen — tituliert worden.
Herr Abgeordneter Ströbele — —
Herr Präsident, ich berichte nur.
Herr Abgeordneter Ströbele, ich habe die Absicht, etwas zu sagen.
Sie sprechen zu dem Antrag, die Behandlung von Tagesordnungspunkten zu verschieben. Sie können nicht die Debatte zu einer Vorlage eröffnen, die wir eventuell anschließend behandeln. Bitte begründen Sie, warum die Behandlung des Tagesordnungspunktes 6 vorgezogen werden soll. Das zu begründen ist Ihre Aufgabe.
Herr Präsident! Ich habe bereits bemerkt, daß sich dieses Parlament zuerst Klarheit darüber verschaffen muß, ob sich der Bundestag weiterhin so behandeln läßt, wie das in den letzten zwei Wochen durch die Regierung und die Koalitionsfraktionen geschehen ist. Will sich der Bundestag zur Beurkundungsmaschinerie
einer Mehrheit im Hause degradieren lassen, oder will er über die 182 Anträge, die heute gestellt werden — —
Herr Abgeordneter Ströbele, ich mache Sie zum zweitenmal darauf aufmerksam, daß Sie Ihren Antrag begründen müssen und nicht zu einer Vorlage in der Sache Stellung nehmen dürfen, die wir anschließend behandeln wollen. Das ist die zweite Aufforderung. Ich entziehe Ihnen, wenn Sie sich daran nicht halten, anschließend das Wort.
Herr Präsident! Für dieses Parlament ist es von entscheidender Bedeutung, daß es sich vor dem Eintritt in jegliche Sachdebatte darüber klar wird, welche Bedeutung es sich selber noch gibt und wie ernst es sich noch selber nehmen will.
Um deutlich zu machen, wie es jetzt ist, will ich die Ereignisse jeweils nur mit einem Satz erwähnen, die mir Veranlassung geben, den Antrag zu stellen, zunächst die Debatte über das Selbstverständnis des Parlaments, die für heute nachmittag angesetzt ist, vorzuziehen, um Klarheit zu schaffen, und dann in die Sachberatung der heute und morgen anste-
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Ströbelehenden Tagesordnungspunkte einzutreten. Darum geht es.
Ich habe auf das hingewiesen, was der Kollege Senfft gesagt hat. Ich weise weiter darauf hin, daß wir gestern im Innenausschuß ebenfalls von derselben Koalitionsmehrheit, von derselben Regierung dazu gezwungen worden sind, eine Anhörung zu dem Paßgesetz und einem Anhang zum Personalausweisgesetz mitzumachen, die in 14 Tagen, am Aschermittwoch, stattfinden soll, ohne daß für uns und für die Sachverständigen die ausreichende Möglichkeit besteht, das vorzubereiten.
Ich weise drittens darauf hin, daß für morgen die erste Debatte über vier Sicherheitsgesetze angesetzt ist, die dem Vernehmen nach über 80 Seiten umfassen sollen.
Herr Abgeordneter Ströbele, ich entziehe Ihnen das Wort. Verlassen Sie bitte unverzüglich das Rednerpult.
Wir haben eine Geschäftsordnung. An die Geschäftsordnung hat sich jedes Mitglied des Hauses zu halten. Der amtierende Präsident hat dafür zu sorgen, daß die Geschäftsordnung eingehalten wird. Man kann nicht in der Form, wie Sie es getan haben, die Geschäftsordnung mißbrauchen, um andere Probleme zu erörtern, etwa im Zusammenhang mit der Begründung eines Antrages.
Das geht leider nicht.
Zu dem Antrag auf Veränderung der Reihenfolge der Tagesordnung jetzt Herr Abgeordneter Seiters.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Abgesehen von den Unverschämtheiten des Kollegen Ströbele, die ich zurückweise: Das ist die Verzögerungstaktik Nummer zwei. Wir lehnen ab.
Keine weiteren Wortmeldungen. — Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag des Herrn Abgeordneten Ströbele. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Mit großer Mehrheit abgelehnt.
Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den Ausbau der Bundesfernstraßen
— 3. FStrAbÄndG —— Drucksache 10/4389 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr
— Drucksache 10/4734 — Berichterstatter: Abgeordneter Milz
Hierzu liegen Änderungsanträge der Fraktion der SPD und über 180 Änderungsanträge der Fraktion DIE GRÜNEN vor.
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Aussprache 90 Minuten vorgesehen. Die Redezeit für die Fraktion DIE GRÜNEN soll in dieser Debatte zehn Minuten betragen, wie bekannt ist. Ist das Haus damit einverstanden? — Kein Widerspruch. Es ist so beschlossen.
— Ich muß doch erst einmal den Tagesordnungspunkt aufrufen, zu dem die GRÜNEN den Antrag stellen wollen, den Bundeskanzler herbeizurufen. Warum denn diese Aufgeregtheit? —
Meine Damen und Herren, zur Geschäftsordnung, zu einem Antrag auf Herbeirufung des Herrn Bundeskanzlers hat Frau Abgeordnete Hönes das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Namen der Fraktion DIE GRÜNEN beantrage ich nach § 42 der Geschäftsordnung, das zweite Frühstück von Herrn Kohl zu unterbrechen, um hier im Plenum zu erscheinen.
Hier geht es schließlich um das weitere Zubetonieren von Natur und Lebensumfeld und die unglaubliche Summe von 130 bis 150 Milliarden DM, die dafür ausgegeben werden soll. Alle Menschen, die von diesen Projekten unmittelbar betroffen sind, die gezwungen werden, ihr Land zu verkaufen, und die, wenn sie das nicht wollen, enteignet werden, alle Menschen, die an den fertigen Projekten unzumutbar belästigt und gesundheitlich geschädigt werden, und alle Naturschutzverbände und Bürgerinitiativen, die im Gegensatz zu Herrn Kohl begriffen haben, was zusätzlicher Straßenbau für Boden, Wasser, Luft, für unseren gesamten Lebensraum bedeutet, haben ein Anrecht darauf, daß Herr Kohl heute morgen durch die Anwesenheit seiner Person dokumentiert, daß er genau hinter diesem Programm steht.
Frau Abgeordnete Hönes, Sie können nicht Herrn Kohl herbeizitieren wollen. Sie können den Herrn Bundeskanzler herbeizitieren wollen.
Durch die Unterstützung des Widerstands vor Ort bei jedem einzelnen Straßenprojekt werden wir die Lüge, daß diese Regierung Ökologie ernst nimmt, dokumentieren. Wir werden es nicht zulassen, daß mal so eben eine Summe von rund 150 Milliarden DM ohne jede Diskussion, ohne jede sachliche Auseinandersetzung
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Frau Hönesmit ökologischen und ökonomischen Folgeproblemen über den Tisch geschoben wird,
wovon jeder einzelne Abgeordnete in diesem Bundestag weiß und wofür er in seiner eigenen Region verantwortlich ist.
Um deutlich zu machen, wer hier wo steht, wer wirklich begriffen hat, was dieses Programm für die Zukunft der Bundesrepublik bedeutet und welche Verantwortung der Bundeskanzler dafür hat, beantragen wir namentliche Abstimmung über die Anwesenheit von Bundeskanzler Kohl.
Wir haben Herrn Bundeskanzler Kohl vor zwei Tagen von unserer Absicht benachrichtigt. Er hat sich mit unaufschiebbaren Terminen entschuldigt, die er mit ausländischen Gästen habe. — Aus der Sicht der Fraktion DIE GRÜNEN und aus der Sicht aller Bürgerinitiativen, aller Initiativen, die seit Jahren gegen diese unsinnigen Straßenprojekte kämpfen,
aus der Sicht aller dieser Menschen ist die Teilnahme des Herrn Bundeskanzlers an dieser wichtigen Beratung ein unaufschiebbarer Termin.
Es gibt da keine Zwischenfragen. Ich bitte, doch mal ein bißchen die Geschäftsordnung nachzulesen.
Das Wort zur Geschäftsordnung hat Herr Abgeordneter Seiters.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich kann mich beinahe wiederholen. Dies ist Verzögerungstaktik Nr. 3.
Sie sind nicht daran interessiert, parlamentarisch zu beraten,
— Sie wollen verzögern, blockieren. Sie demaskieren sich selber.
Ich will Ihnen eines sagen: Die Fraktionen dieses Bundestages, die Abgeordneten des Bundestages, die nicht zu Ihrer Fraktion gehören, haben es nicht nötig, die unverschämten und frechen Belehrungen über die Arbeit des Parlamentes weiter hinzunehmen — um Ihnen das deutlich ins Stammbuch zu schreiben.
Ihnen ist gestern durch den Chef des Kanzleramtes mitgeteilt worden — ich habe es in der Besprechung der Parlamentarischen Geschäftsführer getan —, daß der Bundeskanzler heute durch wichtige Termine, durch Gespräche auch mit ausländischen Gästen, verhindert ist, an dieser Plenumsdebatte teilzunehmen.
Deswegen ist das mit dem zweiten Frühstück eine Frechheit. Das will ich Ihnen einmal sagen. Sie haben keine Ahnung, wovon Sie reden.
Auf der Regierungsbank sitzt der zuständige federführende Bundesverkehrsminister.
Die mitberatenden Ressorts sind vertreten. Wir möchten gern beraten. Sie haben Minderheitenrechte. Sie können einige Dinge beantragen. Das machen wir mit. Trotzdem werden wir heute vormittag oder im Laufe des Tages in der dritten Lesung diesen Tagesordnungspunkt mit der Mehrheit des Hauses beschließen.
Das Wort zu diesem Antrag hat Herr Abgeordneter Porzner.
Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren! Ich bitte diesen Antrag abzulehnen. Das Kabinett ist ausreichend vertreten, wie gestern im Altestenrat angekündigt. Der Bundeskanzler hat selbst zu verantworten, wann er welchen Aufgaben nachgeht. Da meine Fraktion wieder den Bundeskanzler stellen wird,
würden wir auch künftig jederzeit Anträge von Minderheiten, den Bundeskanzler herbeizurufen, dann ablehnen, wenn wir die Herbeirufung sachlich und politisch nicht für geboten halten.
Dazu liegen keine weiteren Wortmeldungen vor.Bevor ich zur Abstimmung komme, frage ich aus ökonomischen Gründen, ob noch weitere Kabinettsmitglieder außer dem Bundeskanzler herbeigerufen werden sollen.
— Diese Anmeldung erfolgt auf dem ganz kurzen Dienstweg. Aber wir wollen das schon annehmen.
Es sollen also noch herbeigerufen werden: der Herr Bundesminister des Innern
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Vizepräsident Stücklenund der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten.
Weitere nicht mehr? —
Dann würde ich die Herbeirufung des Bundeskanzlers und der beiden Minister in einer namentlichen Abstimmung zusammenfassen.
— Mit welchem Paragraphen der Geschäftsordnung widersprechen Sie dieser Sammelabstimmung?
Der Bundeskanzler und die beiden Bundesminister, die Sie hier im Saal haben wollen, haben dieselbe Aufgabe, wenn die Mehrheit das so bejaht: hier zu erscheinen, soweit sie im Bereich des körperlich Erfaßbaren sind.
— Wir machen nur eine Abstimmung.Das Wort zur Begründung, warum Bundesinnenminister Zimmermann und der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Kiechle herbeigerufen werden sollen, hat der Herr Abgeordnete Schulte.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! — Ich bitte das Mikrophon so laut zu lassen, wie es war, und nicht ständig, wenn die GRÜNEN reden, das Mikrophon leiser zu drehen. Das bekommt man ganz genau mit.
Ich bitte das Mikrophon so einzustellen, daß alle Mitglieder des Hauses beim ruhigen Zuhören alles verstehen
und auch der Präsident das noch mitbekommt. Denn eine überzogene Lautstärke
läßt es nicht mehr zu, daß ich das alles verstehe. Das geht hier oben nicht mehr! — Herr Schulte, mit aller Ruhe, bitte.
Herr Präsident, ich kann Ihnen versichern, daß ich ruhig und leise reden werde. Aber ich möchte auch, daß alle Abgeordneten des Hauses meine Worte verstehen.
Ich möchte hier begründen, weshalb wir es für dringend geboten halten, den Innenminister Zimmermann herzuzitieren.
Meine Damen und Herren, erstmalig hat sich bei der Beratung des Bundesfernstraßenbedarfsplans auch der Innenausschuß mit diesem Bedarfsplan befassen müssen. Es ist skandalös, daß bei allen früheren Beratungen dieses Plans der Innenausschuß überhaupt nicht beteiligt war, obwohl bekannt ist, welche großen ökologischen Auswirkungen der Bundesfernstraßenbau hat. Auf Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN wurde also erstmals der Innenausschuß eingeschaltet.
Daß der Herr Innenminister bei dieser Debatte anwesend sein sollte, ist schon an dem Bodenschutzkonzept dieser Bundesregierung zu sehen. Der Innenminister, der für den Bodenschutz zuständig ist, hat in diesem Konzept darauf hingewiesen,
welche großen Auswirkungen der Fernstraßenbau auf den Bestand der Böden hat.
Ich weise auch darauf hin, daß dieser Fernstraßenbedarfsplan mit seinem Riesenvolumen von 8 000 km Autobahn sehr große Auswirkungen auf rettenswerte Böden in der Bundesrepublik haben wird.
Deswegen ist es, glaube ich, dringend geboten, daß der Innenminister, der in seinem Ressort diesen Bereich zu betreuen hat, hier anwesend ist.
Ich schließe
mit dem Hinweis, daß die größte und umweltzerstörerischste Autobahn, die überhaupt gebaut werden soll, die B 15 in Bayern, durch den Wahlkreis des Innenministers Zimmermann führt. Ich bin gespannt, was er zu diesem Projekt zu sagen hat.
Danke schön.
Wer begründet die Herbeirufung des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten? — Bitte sehr.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fraktion DIE GRÜNEN fordert in dieser auch für die Landwirtschaft so wichtigen Debatte die Anwesenheit des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Es soll hier heute über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den Ausbau der Bundesfernstraßen beschlossen werden. Mehr als die Hälfte der bundesrepublikanischen Fläche wird landwirtschaftlich genutzt. Von jedem geplanten Kilometer Autobahn oder Bundesfernstraße wer-
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Werner
I den mehr als 500 Meter landwirtschaftlich genutzter Boden zubetoniert.
Allerdings können kluge Leute einwenden, das werde ein Teil des Bündels der Maßnahmen sein, die die Überschüsse beseitigen sollen. So katastrophal das weitere Zubetonieren großer Flächen für die Bauern und für den Naturschutz und auch für die ökologischen Belange ist, das Zerschneiden zusammenhängender Flächen ist noch verheerender. Hier wäre ein klärendes und beruhigendes Wort des Ministers besonders für die Allgäuer Bauern wichtig. Auch deshalb sollte er hier anwesend sein.
Der Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hat diesen Regierungsentwurf sehr kurz behandelt. Als Ergebnis dieser Beratung ist ein Schreiben des Vorsitzenden an den Ausschuß für Verkehr, an den Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau und an den Innenausschuß gegangen, das dem Protokoll als Anlage beigefügt ist. Darin heißt es:Bei der Realisierung des Bedarfsplans ist bei den weiteren Planungsstufen sicherzustellen, daß die Belange der Ökologie weitestgehend berücksichtigt werden, insbesondere durch geringstmöglichen Landschaftsverbrauch und weitgehende Vermeidung der Zerschneidung zusammenhängender Waldflächen und zusammenhängender landwirtschaftlicher Betriebsflächen.Wie eine Zerschneidung zusammenhängender landwirtschaftlicher Betriebsflächen beim Autobahnbau weitgehend vermieden werden soll, muß hier erst noch erläutert werden. Der Minister könnte uns vielleicht auch hier hilfreich sein und das erklären.Die heute zu fällende Entscheidung erscheint uns für viele einzelne Bauern, aber auch für die gesamte Landwirtschaft so wichtig, daß die Fraktion DIE GRÜNEN die Anwesenheit des Landwirtschaftsministers für unbedingt erforderlich hält.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Seiters.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir sind jetzt bei Verzögerungstaktik Nr. vier und Nr. fünf. Nur um die Unseriosität dieser Anträge auch vor der Öffentlichkeit deutlich zu machen,
sage ich, daß allen Fraktionen, auch der Fraktion DIE GRÜNEN, gestern mitgeteilt worden ist, daß der Bundesinnenminister heute und morgen Tarifverhandlungen in Stuttgart führt und daß der Bundeslandwirtschaftsminister bei der Grünen Woche ist und dort am Agrarforum teilnimmt. Beides sind wichtige Termine. Das ist von allen Fraktionen akzeptiert worden, nur nicht von Ihnen.
Deswegen weisen wir auch diese Anträge von Ihnen zurück.
Keine weiteren Wortmeldungen. Wir kommen zur Abstimmung. Es ist namentliche Abstimmung von einer Fraktion beantragt worden. Wer die Herbeirufung des Herrn Bundeskanzlers, des Herrn Innenministers und des Herrn Ministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten will, muß mit Ja stimmen; wer mit Nein stimmen will, benutzt die rote Stimmkarte, bei Enthaltung ist die weiße Stimmkarte zu benutzen. Ich eröffne die Abstimmung.Meine Damen und Herren, ich bitte die Parlamentarischen Geschäftsführer, darauf zu achten, daß die Mitglieder des Untersuchungsausschusses, der ja während der Plenarsitzung tagt, zur Abstimmung da sein können. Sind alle Mitglieder des Untersuchungsausschusses verständigt, daß eine namentliche Abstimmung stattfindet?Ich frage, ob noch ein Mitglied des Hauses die Absicht hat, sich an dieser namentlichen Abstimmung zu beteiligen. Ich bitte, die Abstimmung beschleunigt durchzuführen.Letzter Aufruf an die Mitglieder des Hauses, die sich an der Abstimmung beteiligen wollen, diese Abstimmung zu vollziehen.Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.Meine Damen und Herren, ich bitte Platz zu nehmen. Das von den Schriftführern ermittelte Abstimmungsergebnis der namentlichen Abstimmung über die Herbeirufung des Herrn Bundeskanzlers, des Herrn Bundesministers des Innern und des Herrn Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten gemäß Art. 43 Abs. 1 des Grundgesetzes liegt vor: Abgegebene Stimmen 419; davon ungültig keine, mit Ja haben gestimmt 26 Abgeordnete, mit Nein 393, Enthaltungen keine.Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen 418; davonja: 26nein: 392NeinCDU/CSUDr. AbeleinFrau Augustin AustermannDr. BarzelBayhaDr. Becker BergerFrau Berger Dr. BernersBiehleDr. BlankDr. BlümBohlBohlsen BorchertBoroffka BraunBreuerBrollBrunnerBühler
Dr. BuglCarstens
Carstensen ClemensDr. Czaja Dr. DanielsDawekeFrau DempwolfDeresDörflinger DolataDr. DollingerDoss
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14540 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 194. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Januar 1986
Vizepräsident StücklenDr. DreggerEchternachEhrbarEigenEngelsbergerErhard
Eylmann
Dr. FaltlhauserFeilckeFellnerFrau FischerFischer Francke (Hamburg)Dr. FriedmannFunkGanz
Frau GeigerDr. von GeldernGerlach GersteinGerster
Dr. Göhner GötzerGüntherDr. Häfelevon HammersteinHanz
HaungsHauser HedrichFrau Dr. Hellwig HelmrichDr. Hennig Herkenrath Hinrichs HinskenHöffkesHöpfingerDr. HoffackerFrau Hoffmann Dr. HornhuesHornungFrau HürlandDr. Hüsch Dr. Hupka Graf Huyn JagodaDr. Jahn
Dr. JenningerDr. JobstJung
KalischDr.-Ing. KansyFrau KarwatzkiKellerKlein
KolbKrausKreyFrau Krone-AppuhnDr. KronenbergDr. Kunz
Dr. LammertDr. Langner Lattmann Dr. Laufs Lemmrich LenzerLink
Link LinsmeierDr. Lippold LöherLohmann LouvenLowackMaaßFrau MännleMaginMetzDr. Meyer zu BentrupMichelsDr. MikatDr. Miltner MilzDr. MöllerMüller Müller (Wadern)Müller
NelleFrau Dr. Neumeister Dr.-Ing. OldenstädtDr. Olderog Pfeffermann PfeiferDr. Pfennig PöpplPohlmannDr. Pohlmeier Dr. ProbstRaweRegenspurger RepnikDr. Riedl
Dr. RiesenhuberRode Frau Rönsch Frau Roitzsch
Dr. Rose
Rossmanith Roth RüheRufSauer
Sauter Sauter (Ichenhausen)Dr. Schäuble Scharrenbroich Schartz SchemkenScheuSchlottmann Schmidbauer Schneider
Dr. Schneider Freiherr von Schorlemer SchreiberDr. Schroeder SchulhoffDr. Schulte
Schultz (Wörrstadt) Schulze (Berlin) Schwarz
Dr. Schwarz-Schilling Dr. Schwörer SeehoferSeesingSeitersSpilkerDr. SprungDr. Stark Dr. StavenhagenDr. Stercken Stockhausen StommelStraßmeirStrubeStücklenStutzerSussetTillmannUldallDr. UnlandFrau VerhülsdonkVogel
Vogt
Dr. Voigt
Dr. WaffenschmidtGraf von Waldburg-Zeil Dr. WarnkeDr. WarrikoffDr. von Wartenberg WeirichWeißWerner Frau Will-Feld Frau Dr. Wilms Wimmer (Neuss) WindelenFrau Dr. WisniewskiDr. Wittmann Wittmann WürzbachDr. WulffZiererZinkSPDAmlingAntretter Dr. Apel Bachmaier BahrBambergBecker BernrathBerschkeit BindigFrau BlunckBrandtBrückBuckpesch Büchler
Dr. von BülowBuschfort CatenhusenColletConradiDr. CorterierCurdtFrau Dr. Däubler-Gmelin DaubertshäuserDelorme EgertDr. Ehmke
Dr. Ehrenberg EickmeyerDr. EmmerlichEstersEwenFischer Fischer (Osthofen) Franke (Hannover)Frau Fuchs
Frau Fuchs
GanselGilgesGlombig GrunenbergDr. Haack Haase
Hansen
Frau Dr. HartensteinDr. HauchlerHauckHeimann HeistermannHerterich Hettling Heyenn Hiller
Dr. Holtz HornHuonkerImmer Jahn (Marburg)Dr. Jens Jungmann Kastning KiehmKirschner Kisslinger Klein
Dr. Klejdzinski KretkowskiDr. Kübler Kühbacher Kuhlwein Lambinus Lennartz Leonhart LiedtkeLöfflerLohmann
LutzFrau Dr. Martiny-Glotz Frau Matthäus-Maier MeininghausMenzelDr. Mertens Müller (Schweinfurt) Dr. Müller-Emmert MünteferingNagelNehmDr. NöbelFrau Odendahl OostergeteloPaterna PauliDr. Penner PfuhlPorzner PurpsRankerRapp Rappe (Hildesheim) ReimannFrau RengerReschke ReuterRohde
RothSanderSchäfer SchanzSchlaga SchluckebierFrau Schmedt
Dr. Schmidt Schmidt (Wattenscheid) Schmitt (Wiesbaden) Dr. SchmudeDr. Schöfberger Schröder Dr. Schwenk (Stade) SielaffSieler
Frau Dr. Skarpelis-Sperk Dr. SperlingDr. SpöriStahl
SteinerFrau Steinhauer StieglerStobbeFrau TerborgTietjenFrau Dr. Timm ToetemeyerUrbaniak Vahlberg Dr. Vogel Vogelsang Voigt
VosenWaltematheWaltherWartenberg WeinhoferDr. Wernitz
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 194. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Januar 1986 14541
Vizepräsident Stücklen WestphalFrau Weyel Wieczorek Wiefelvon der Wiesche Wimmer WischnewskiWitekDr. de With WürtzZanderZeitlerFrau ZuttFDPBeckmann BredehornCronenberg Eimer (Fürth) EngelhardDr. FeldmannGenscherFrau Dr. Hamm-Brücher Dr. HaussmannDr. Hirsch HoffieHoppeKleinert KohnDr.-Ing. Laermann Mischnick Möllemann Neuhausen PaintnerRonneburgerSchäfer
Frau Dr. SegallFrau Seiler-AlbringDr. SolmsDr. Weng Wolfgramm (Göttingen)JaDIE GRÜNENAuhagenFrau BorgmannBuebFrau DannFrau EidFrau HönesFrau KellyLange MannDr. Müller RuscheDr. SchierholzSchilySchmidt
Schulte SenfftStröbeleSuhrTatgeVogel VolmerFrau WagnerWerner Werner (Westerland) Frau Zeitlerfraktionslos BastianDieser Antrag ist abgelehnt.Meine Damen und Herren, wir kommen nun zur Behandlung des Punktes 2 der Tagesordnung, also zur Arbeit in diesem Hause:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den Ausbau der Bundesfernstraßen —3. FStrAbÄndG —— Drucksache 10/4389 —Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr
— Drucksache 10/4734 —Berichterstatter: Abgeordneter Milz
Wünscht der Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall. Dann gehe ich davon aus, daß der erste Redner bereits zur Aussprache spricht. Die Aussprache ist eröffnet. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Straßmeir.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, ich spreche in Ihrer aller Einverständnis, wenn ich sage, daß wir mit keinem Wort mehr auf die Mätzchen der GRÜNEN in diesem Hause eingehen wollen.
Wenn irgendwann das arabische Sprichwort „Mögen die Hunde bellen, die Karawane zieht weiter" stimmt, dann heute morgen.
Wir werden mit der notwendigen Ruhe und Gelassenheit unsere demokratische Pflicht erfüllen und am heutigen Morgen ein Gesetz beraten, das zu den wichtigsten Gesetzen dieser Legislaturperiode gehört.
Der Bundesbedarfsplan und das Fernstraßenausbaugesetz werden in diesem Hause eine breite Zustimmung erfahren; und das ist gut und wichtig für unser Land.
Der Bedarfsplan für die Bundesfernstraßen ist ein wichtiger, aber eben nur ein integraler Bestandteil des Bundesverkehrswegeplans, mit dem die Bundesregierung den Verkehr auf der Straße, der Schiene, den Wasserstraßen und in der Luft gestaltet. Aus wohlerwogenen Gründen, meine Damen und Herren, ist der Ausbau der Bundesfernstraßen eine Angelegenheit des Bundes und in die Zuständigkeit des Bundestages gestellt. Daher liegt bei uns eine besondere Verantwortung für das ganze Land.Straßenbau ist heute nicht mehr die pure Selbstverständlichkeit. Noch vor wenigen Jahrzehnten konnte die SPD und ihr Bundesverkehrsminister Leber Millionen von Menschen mit der Ankündigung mobilisieren, daß künftig kein Bürger in diesem Lande es mehr als 15 Kilometer bis zum nächsten Autobahnanschluß haben werde. Heute haben wir es mit einem geschärften Umweltbewußtsein der Bürger zu tun. Wir stoßen heute weitgehend auf Industriepessimismus.In den mehr als eineinhalbjährigen Abstimmungsgesprächen mit Bürgern, aber auch mit Gemeinden und Ländern hatte wir oft lokale und regionale Egoismen zu überwinden. Aber alle — die betroffenen Bürger und wir als Gesetzgeber — haben immer wieder die Frage zu beantworten gehabt: Ist Straßenbau heute noch notwendig und vertretbar? Nach dem von uns erarbeiteten Konzept kann man diese Frage mit einem klaren Ja beantworten.
Für eine moderne Gesellschaft ist die Leistungsfähigkeit ihrer Transportsysteme von lebenswichtiger Bedeutung. Wirtschaftskraft und Wohlstand der Bürger hängen in der Bundesrepublik Deutschland maßgeblich vom Funktionieren dieses Systems ab. Nach unseren ordnungspolitischen Vorstellungen hat sich der Staat weitgehend unmittelbarer wirtschaftlicher Tätigkeit zu enthalten, aber auf einem Felde kann er wirklich Gutes leisten, nämlich da-
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14542 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 194. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Januar 1986
Straßmeirdurch, daß er eine intakte Infrastruktur vorhält und gestaltet.
Dabei ist die Verkehrsmarktnachfrage für die Planung der Verkehrswege die entscheidende Bestimmungsgröße.Die Entwicklung des Verkehrs hat sich in den vergangenen Jahrzehnten außerordentlich dynamisch vollzogen. Im Personenverkehr stieg die Verkehrsleistung von 254 Milliarden Personenkilometern im Jahre 1960 auf 608 Milliarden im Jahre 1984. Der Individualverkehr hat inzwischen einen Anteil von fast 80 %. Eine ähnlich stürmische Expansion hat der Güterfernverkehr zu verzeichnen. Er erhöhte im gleichen Zeitraum seine Verkehrsleistung um das Dreifache.Bei allen Überlegungen über den Ausbau der Bundesfernstraßen und der Bundesverkehrswege mußte dieser besonderen Entwicklung Rechnung getragen werden. Dabei ist festzustellen, daß die Belastung des Bundesfernstraßennetzes überproportional hoch ist. Bundesautobahnen und Bundesfernstraßen haben mit etwa 50 000 km Gesamtlänge einen Anteil von 8 % am gesamten Straßennetz, aber auf diesen wenigen Prozenten werden 50 % der Verkehrsleistungen abgewickelt.
Die Zukunft wird das gleiche Bild bieten, denn die Prognosen rechnen für das Jahr 2000 mit einem Anstieg der Pkw-Fahrleistung um bis zu 21 %
und beim Güterverkehr mit einem Anstieg um bis zu 46 %. Der Kraftverkehr — Personen- wie auch Güterverkehr — wird in der Zukunft seine überragende Bedeutung behalten und festigen.Für uns ergeben sich daraus für den Straßenbau folgende Prioritäten: die ordnungsgemäße Unterhaltung, Instandsetzung und Erneuerung des bestehenden Straßennetzes; die zügige Fertigstellung der laufenden Maßnahmen und die Schließung von Netzlücken zur Erreichung des vollen Verkehrswertes der Strecken; die bessere Anbindung und regionale Erschließung strukturschwacher und peripherer Gebiete; die Verbesserung der Verkehrssicherheit; die Entlastung der Städte durch den Bau von Ortsumgehungen und schließlich der Bau von Netzergänzungen entsprechend der wachsenden Verkehrsnachfrage.
Deshalb wird wahrscheinlich eine Verstärkung der Haushaltsmittel für Investitionen im Verkehr unausweichlich sein. Bei der SPD-Regierung war diese Entwicklung gegenläufig: Ein Rückgang der Investitionsquote war zu verzeichnen; es gab eine nominale Stagnation der Verkehrsinvestitionen auf dem Niveau von 1978. Unsere Bundesregierung sorgte auch in diesem Punkt dafür, daß der Trend des Niedergangs gestoppt wurde:
1986 stehen für den Straßenbau 6,2 Milliarden DM zur Verfügung.Für die Zukunft ergeben sich im Verhältnis zwischen Neubau und Instandhaltung zunehmend Probleme. Unser Straßennetz ist in die Jahre gekommen. Der Unterhaltungsaufwand steigt stetig. Die derzeit zur Verfügung stehenden Mittel betragen 2,1 Milliarden DM jährlich, aber die Schere geht auf. Der Unterhaltungsaufwand wird steigen, und das bedeutet, daß bei gleichbleibenden Finanzmitteln der Neubau und Ausbau der Strecken eingeschränkt werden wird.Meine sehr verehrten Damen und Herren, im Spannungsfeld von notwendiger Infrastruktur auf der einen Seite und Umweltschutz auf der anderen Seite haben wir uns dafür entschieden, den Bedarfsplan für die Bundesfernstraßen auf ein Minimum zu konzentrieren,
— ihn auf ein Minimum zu konzentrieren!
Die Grenzlinie ist die Vertretbarkeit in bezug auf Verkehrssicherheit und Verkehrsaufkommen. In den kommenden Jahren wird sich das Autobahnnetz von 8 400 km auf 10 500 km verlängern. Die Bundesfernstraßen nehmen etwa 0,19 % der gesamten Fläche des Bundesgebietes ein. Wer da von Versiegelung und Zubetonierung spricht, ist jenseits aller Realitäten. Ich glaube, dies muß hier einmal gesagt werden!
Um dem Umweltschutz in besonderer Weise Rechnung zu tragen, haben wir zum erstenmal in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland eine wissenschaftliche Untersuchung eines anerkannten Instituts beigezogen und haben unsere Projekte einer eingehenden Bewertung unterworfen.
Wir haben dann bei den großen Straßenbauprojekten über 15 km Länge neben der üblichen Kosten-Nutzen-Analyse eine ökologische Risikoanalyse hinzugefügt. Überall dort, wo sich die Probleme gehäuft haben, wurde das Projekt zurückgestellt. Auch dort, wo die Bahn eine parallele Baumaßnahme vorgesehen hat, wurde Rücksicht genommen. Deswegen wurde auch eine ganze Reihe von Projekten aus Gründen des Landschaftsschutzes nicht berücksichtigt. Es wird nicht die Autobahn A 8 durch den Pfälzer Wald geben, auch nicht die A 86 über den Schwarzwald
und auch nicht die A 4 durch das Rothaargebirge, um nur einige wenige Beispiele zu nennen.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 194. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Januar 1986 14543
StraßmeirAber ebenso wichtig wie der Umweltschutz ist für uns natürlich auch die Verkehrssicherheit. Wir haben bei den zur Diskussion stehenden Straßenbaumaßnahmen angeordnet, daß beim Neubau von zweispurigen Bundesfernstraßen rund 80 % aller Bundesmittel auf Ortsumgehungen konzentriert werden. Nach den Untersuchungen der Bundesanstalt für Straßenwesen bewirkt der Bau von Ortsumgehungen, daß die Unfälle allgemein um 43% zurückgehen, die innerörtlichen Unfälle sich bis zu 80% vermindern und die Zahl der Todesopfer und Schwerverletzten um 47 % sinkt.Meine sehr verehrten Damen und Herren, auch im Lärmschutz haben wir Erfolge erzielt. Neben den EG-weiten herabgesetzten Geräuschwerten und den verbesserten Meßverfahren werden auch unsere Autos in den nächsten Jahren leiser werden. Das leise Auto ist auf dem Vormarsch. In wenigen Jahren werden die Geräusche des Pkw dem einer lauten Unterhaltung entsprechen. Wir werden natürlich auch zur Lärmbekämpfung an den gefährdeten Stellen Lärmschutzmaßnahmen außerorts ergreifen. Die Bundesregierung hat auch in diesem Jahr 1986 dafür 260 Millionen DM zur Verfügung gestellt.Unsere Straßenbaupolitik ist, wie es in diesem Gesetz sichtbar geworden ist,
bestimmt von der Notwendigkeit, daß das Land unter dem Gesichtspunkt gleicher Lebensbedingungen erschlossen werden muß. Auch die Bewohner in strukturschwachen Gebieten sollen in ihrer Heimat bleiben können. Straßenbau ist nicht Selbstzweck. Auch er dient dem Menschen. Straßenbau wird auch kritischer betrachtet als je zuvor, und er wird kostspieliger sein als je zuvor.Eineinhalb Jahre Meinungsaustausch haben wir hinter uns. Ich glaube, es ist heute schon hervorgehoben worden, daß nie zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland der Abstimmungsprozeß demokratisch breiter angelegt war als beim Bedarfsplan 1986.
Wir alle, die Bundesregierung, die Bundesländer, die Kommunen, die Bürger, die Organisationen, die Bürgerinitiativen haben begutachtet, argumentiert, in Für und Wider gekämpft.
Im Bundestag haben die Koalitionsfraktionen den Kompromiß gefunden. Mit der SPD-Fraktion hat es einen Meinungsaustausch gegeben. Am Ende einer anderthalbjährigen Zeit des Abstimmens stand eine nahezu 20stündige Beratung im Verkehrsausschuß. Meine Damen und Herren, wenn das nicht demokratischer Prozeß ist,
dann, glaube ich, gibt es keine bessere Argumentation.
— Herr Kollege Senfft, es gehört in diesem Lande zur Meinungsfreiheit, daß jeder seine Meinung ungestraft sagen darf, aber es gehört auch zur Meinungsfreiheit, daß ich nicht verpflichtet bin, mir jeden Stuß in diesem Hause anhören zu müssen.
Alles in allem, meine Freunde, war das Ergebnis überraschend. Im Vorfeld wurde landauf, landab gegen den Straßenbau gewettert. Aber als es um die Anforderungen der Bundesländer ging, haben alle Bundesländer, einschließlich der sozialdemokratisch geführten, Saarland und Hessen eingeschlossen, weit mehr angefordert, als die Finanzmasse hergab.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schulte?
Nein, danke; ich muß zum Ende kommen, Herr Präsident.
Meine Damen und Herren, im übrigen aber haben wir in den Beratungen des Verkehrsausschusses eine ganze Reihe von Anträgen der Kollegen der SPD ablehnen müssen — obwohl wir in der Sache mit ihnen übereinstimmten —, weil die Finanzmittel nicht ausreichten.
Dieses Gesetz wird am Ende auch von der sozialdemokratischen Partei bestätigt werden. Dieses Gesetz ist die eindrucksvolle Bestätigung für die Leistungsfähigkeit demokratischer Institutionen., Die Fraktion der GRÜNEN hat sich erwartungsgemäß der Kooperation entzogen.
Für Sie war die Ablehnung dieses Gesetzes von vornherein beschlossene Sache. Sie hatten keinen Verhandlungsspielraum. Aber Sie sollten wissen, meine Herren und Damen von den GRÜNEN: Wer in dieser Demokratie nicht kompromißbereit ist, bewegt überhaupt nichts. Deswegen sollten Ihre Wähler wissen, daß Sie in diesem Hause im Umweltschutz nichts bewegt haben.
Wir hingegen schaffen heute mit diesem Beschluß für Bürger, Wirtschaft und Straßenbau eine verläßliche Grundlage für ihre Arbeit in den kommenden Jahren. Die CDU/CSU-Fraktion wird diesem Gesetz ihre Zustimmung geben.
Das Wort hat der Abgeordnete Kretkowski.
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14544 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 194. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Januar 1986
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Menschen in der Bundesrepublik sind den Lärm und den Gestank leid.
Sie wollen auch nicht, daß die letzten Naturreservate und Erholungsgebiete endgültig durch Betonpisten zerstört werden.
Deshalb müssen Mensch und Natur im Mittelpunkt einer Straßenplanung stehen, die auf die Zukunft gerichtet ist.
Über 90% aller Maßnahmen brauchen wir hier nicht zu streiten, weil sie helfen, Entlastung für Mensch und Natur zu bringen.
Ihren nach wie vor umstrittenen Prestigeobjekten im Bundesautobahn-Neubauteil setzen wir unseren entschiedenen Widerstand entgegen, auch wenn wir am Ende des Gesetzgebungsverfahrens dem gesamten Gesetz unsere Zustimmung geben werden.
Meine Damen und Herren von der Koalition, ich versichere Ihnen, oder, was vielleicht wichtiger ist, ich versichere den Bürgern im Land: Wir werden zusammen mit unseren politischen Freunden in den Gemeinden und in den Ländern alles in unserer Kraft Stehende tun, um diesen gigantischen Unsinn zu verhindern.
Schon jetzt hat die Bundesrepublik ein so dichtes und leistungsfähiges Straßennetz wie kein anderes Land in der Welt. Schon jetzt kann man in der Bundesrepublik mit vertretbarem Zeitaufwand von jedem Ort zu jedem anderen Ort mit dem Auto fahren. Schon jetzt sind die Straßen in der Bundesrepublik bautechnisch und verkehrlich sicher.
Allerdings — das ist die Kehrseite — sind auch jetzt schon die Freiräume zwischen den Straßen so klein, daß zusammenhängende ökologische Räume kaum noch bestehen und jede zusätzliche Straße den Lebensraum von Pflanzen, Tieren und auch von Menschen bedrohlich einengt.
Mehr als die Hälfte der Bevölkerung fühlt sich durch Verkehrslärm und Abgase belästigt.
Daraus ergeben sich für uns folgende Grundregeln:
Erstens. Es dürfen nur solche Projekte in den Bedarfsplan aufgenommen werden, deren verkehrliche Notwendigkeit nachgewiesen und deren ökologisches Risiko vertretbar ist.
Zweitens. Vordringlich sind für uns solche Projekte, mit denen besonders stark die Menschen und die umweltbelastenden Straßen durch vorbildliche
Menschen und umweltgerechte Lösungen ersetzt werden.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schulte ?
Nein, danke, ich möchte meine Ausfiih rungen im Zusammenhang vortragen.Drittens. Der Ausbau unseres Straßensystems hat absoluten Vorrang vor dem Neubau.Viertens. Die Ausbaustandards unserer Straßen müssen zurückgeführt werden. Dies gilt insbesondere für die Zahl der Fahrstreifen und für verringerte Regelquerschnitte. Der Landschaftsverbrauch bei der Planung von Ortsumgehungen muß so klein wie möglich gehalten werden.Diesen Anforderungen, meine Damen und Herren, wird die Vorlage der Bundesregierung und der Koalition in vielen Punkten nicht gerecht.
Sie wollen nach wie vor im großen Umfang neue Autobahnen auf neuen Trassen durch intakte Landschaften bauen, und diese Autobahnen sind nach unserer Überzeugung völlig unnötig. Der Verkehrsbedarf kann gleichwertig durch den Ausbau bestehender Verkehrswege abgedeckt werden. Dies gilt für die A 26 im niedersächsischen Bereich, dies gilt für die A 33 in Nordrhein-Westfalen und beispielhaft für die A 94 in Bayern.Mit diesen Plänen, meine Damen und Herren, setzen sich die Bundesregierung und die Koalition in Widerspruch zu ihrer eigenen Bodenschutzkonzeption, mit der sie eine drastische Verringerung des Landschaftsverbrauchs angekündigt haben. Ich bedaure, meine Damen und Herren, daß sich in der Union die harten Betonbauer durchgesetzt haben
und auch die FDP — entgegen ihren Versicherungen gegenüber den Bürgern quer durch die Bundesrepublik — wieder einmal umgefallen ist.
Es ist ein Skandal, daß neue Verkehrsschneisen durch ohnehin schon belastete Wohngebiete geschlagen werden sollen.
Ich spreche vom Alleentunnel in Frankfurt, aber auch von der Wiederbelebung der DüBoDo im Ruhrgebiet. Sie brauchen sich nicht zu wundern, wenn Ihre Partei aus dem Schlamassel dort nicht herauskommt. Auch ich weiß: Die Menschen im Ruhrgebiet fahren gerne Auto. Aber sie sind nicht so dumm, wie die Damen und Herren von der Koalition sie gerne hätten. Die Menschen, die Sie belächeln, sind klug genug, sich nicht die letzten Naherholungsgebiete durch Ihre Autobahntrassen zerstören zu lassen.
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Kretkowski
Ein anderes Denkmal falsch verstandener Straßenbaupolitik ist der Ennert-Tunnel hier in der Bundeshauptstadt. Selbst der Herr Dregger soll gemerkt haben,
daß er bei seiner Einreise nach Bonn nur drei Minuten sparen würde. Was soll dieses Projekt eigentlich im vordringlichen Bedarf? Sein verkehrlicher Nutzen ist mehr als fragwürdig,
und der ökologische Schaden für Deutschlands ältestes Naturschutzgebiet ist nicht wiedergutzumachen. Warum, meine Damen und Herren von der Koalition, folgen Sie nicht unserem Vorschlag, den Ennert-Tunnel in die Kategorie Planung zurückzustufen und damit die Voraussetzung dafür zu schaffen, dieses Projekt in allen Varianten noch einmal sorgfältig zu überprüfen und im Ergebnis möglicherweise zu einer umweltverträglichen Lösung zu gelangen? Sie wollen diese Maßnahmen gegen den Willen der Bürger, gegen den Willen der Landesregierung Nordrhein-Westfalen durchpeitschen — koste es, was es wolle.Auch der von Ihnen durchgesetzte Ausbau der A 33 im nordrhein-westfälischen Bereich führt zu gravierenden Eingriffen in Natur und Landschaft, und die verkehrlichen Entlastungswirkungen stehen in überhaupt keinem Verhältnis zu den mit dem Bau der A 33 verbundenen negativen Auswirkungen.Alles dies, meine Damen und Herren, aber auch die Streichung der vom Land Nordrhein-Westfalen geforderten A 52 in Düsseldorf deutet darauf hin, daß die Bürger in Nordrhein-Westfalen dafür bestraft werden, daß sie am 12. Mai Johannes Rau gewählt haben. Ihre Politik zeigt den Wählern in Nordrhein-Westfalen, daß sie ihr Kreuz richtig gesetzt haben.
Weil wir diese und andere Projekte für falsch halten, meine Damen und Herren, bringen wir unsere konkreten Wünsche in der zweiten Lesung nochmals als Änderungsantrag in die Beratungen und die Abstimmung ein und geben Ihnen die Chance, Ihre falsche Politik zu korrigieren.Meine Damen und Herren, wenn die SPD-Bundestagsfraktion dem Bundesfernstraßengesetz in der Schlußabstimmung der zweiten und dritten Lesung als Ganzem zustimmt,
dann — ich wiederhole — u. a. deswegen, weil dergrößte Teil der Projekte, zu über 90 % Ortsumgehungen, eine wirksame Entlastung der lärm- und abgasgeplagten Bürger verspricht.
Denn eines darf bei der ganzen Diskussion um die Großprojekte nicht vergessen werden — das sage ich an die Adresse der GRÜNEN —, nämlich die Tatsache, daß sowohl in den Ballungszonen wie auch gerade im ländlichen Raum von den Bürgern nach wie vor Entlastungsstraßen gefordert werden, weil sie den Lärm und den Gestank endgültig leid sind.
Deshalb macht der Bau von Ortsumgehungen nach unserer Überzeugung auch nur dort einen Sinn, wo die alten Ortsdurchfahrten entsprechend zurückgebaut, d. h. verkehrsberuhigt werden. Dieser Teil der Projekte muß nach unserer Meinung möglichst schnell verwirklicht werden. Hier sind die Prioritäten im Bundesfernstraßenbedarfsplan zu setzen.Im übrigen konnten wir bei den Einzelberatungen im Verkehrsausschuß eine Reihe unserer Forderungen, gerade bezogen auf diese Projekte, durchsetzen.
Auch der Kompromiß bezüglich der Rheinquerung im Zuge des Ausbaus der A 44, der sicherstellt, daß die Untersuchungen und Planungen auch als Tunnellösung zielstrebig vorangetrieben werden, und der davon ausgeht, daß bis Abschluß der Planungen auch die Finanzierung gesichert ist, ist ein großer Schritt nach vorne in die richtige Richtung.Für die zukünftigen Beratungen haben wir durch die Veränderung des § 4 sichergestellt, daß neben den Belangen der Raumordnung und des Umweltschutzes auch die Belange des Städtebaus ihre Berücksichtigung finden. Damit ist in Zukunft sichergestellt, daß auch verkehrliche Altlasten saniert werden können, d. h. in Verdichtungsgebieten durch nachträgliche Eintunnelung von Schnellstraßen oder durch Tieflage die Menschen von Lärm und Abgas befreit werden können, ohne daß gewachsene Siedlungen weiterhin durch Straßen zerstört werden. Auch das ist ein konkreter Beitrag zum ökologischen Umbau unseres Verkehrssystems.Wenn wir eine neue Qualität, eine menschliche und naturgerechte Qualität im Straßenbau verwirklichen wollen, dann warne ich vor der Euphorie, in Zukunft könne man mit weniger finanziellen Mitteln auskommen. Eine solche Straßenbaupolitik ist aber finanzierbar, auch wenn man in Zukunft stärker zugunsten von Schiene und Bahn umschichtet.
Verzichten Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, zusammen mit uns auf die letzten unnötigen, überflüssigen, schädlichen Großprojekte, und lassen Sie uns gemeinsam das wenige, was noch zu bauen ist, auch langsamer bauen,
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Kretkowskiaber so, daß es auch den Ansprüchen unserer Kinder und Enkelkinder gerecht wird.
Am Ende des langen Abstimmungsverfahrens möchte ich mich bei allen, die uns zugearbeitet haben — bei den Beamten in den Ländern und auch in den Bundesministerien, ebenfalls bei unseren Mitarbeitern in den Fraktionen —, herzlich bedanken. Ohne ihre tatkräftige Hilfe wäre eine sachgerechte Beratung nicht möglich gewesen.
— Ich weiß nicht, warum Sie hier nicht mitklatschen.
Meine Damen und Herren, letzte Bemerkung: Das Bundesfernstraßennetz der Bundesrepublik Deutschland ist beispielhaft in Europa, ja in aller Welt. Wir brauchen nicht noch mehr Straßen. Wir brauchen nicht noch schnellere Straßen. Wir brauchen Straßen, die dem Menschen mehr Lebensqualität verschaffen, weniger Lärm und weniger Abgase,
und auch Straßen, die den Belangen des Naturschutzes Rechnung tragen, d. h. keine neuen Schneisen durch Natur und Wohngebiete, sondern behutsamer Umbau und Rückbau dort, wo Menschen und Natur durch Fernstraßen besonders belastet sind.Meine Damen und Herren, geben Sie sich einen letzten Ruck! Verzichten Sie auf die überflüssigen und schädlichen Prestigeprojekte! Das wäre kein Gesichtsverlust. Sie würden den Menschen und der Natur dienen.
Das Wort hat der Abgeordnete Hoffie.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit der Verabschiedung des Bundesverkehrswegeplans legt der Deutsche Bundestag heute, am 30. Januar 1986, fest, wie viele und welche Autobahnen und Bundesstraßen noch bis zum Ende dieses Jahrhunderts, also in den nächsten 15 Jahren, in unserem Land gebaut, neu gebaut oder ausgebaut, werden sollen und welche Mittel dafür zur Verfügung gestellt werden. Wir entscheiden damit über das Ergebnis eines sehr langwierigen Beratungs- und Abstimmungsprozesses, in dem zunächst die Bundesregierung die schwierige Aufgabe hatte, aus über 3 000 von den Bundesländern angemeldeten Projekten mit einem Aufwand von über 90 Milliarden DM die wichtigsten und die finanzierbaren auszuwählen und diese Auswahl mit den Länderforderungen in Einklang zu bringen. Auf kaum mehr als ein Drittel des Finanzbedarfs, auf 38 Milliarden DM nämlich, mußten die Anmeldungen der Länder gekürzt werden. Etwa 1 700 Projekte sind in dem sogenannten vordringlichen Bedarf übriggeblieben.
Wäre es nach den Wünschen der Länder, auch der sozialdemokratisch regierten Länder, auch des Landes Hessen, wo rot/grün regiert wird, Herr Minister Steger, gegangen, hätte etwa das Dreifache dessen gebaut werden müssen, was wir heute hier verabschieden können — so jedenfalls nach der Meinung der Fachbehörde. Daß Sie dann möglicherweise politisch noch etwas korrigiert haben, will ich hier nicht verschweigen.
Meine Damen und Herren, alle Fraktionen dieses Hauses hatten ausreichend Gelegenheit, zu dem ausgehandelten Bund- Länder-Kompromiß Stellung zu nehmen und Einfluß auszuüben.
Daß sich die CDU/CSU, die Fraktion, die den Bundesverkehrsminister stellt, mit Anträgen zurückgehalten, sich im wesentlichen auf acht Änderungswünsche konzentriert hat, ist verständlich. Die meisten Änderungsanträge haben bei den Beratungen im Verkehrsausschuß mit 140 Anträgen nicht die GRÜNEN eingebracht, sondern die meisten Änderungsanträge kommen von der SPD, 168 solcher Anträge, ein Antrag mehr als die 167 Änderungsanträge, über die wir, die FDP in tagelangen und nächtelangen Gesprächen mit dem Koalitionspartner CDU/CSU verhandelt haben.
Also, zunächst einmal muß der öffentliche Eindruck korrigiert werden, hier gebe es eine Fraktion in diesem Hause, DIE GRÜNEN, die komplett das, was die Länder und der Bund an Straßenbau miteinander vereinbart haben, mit einer Vielzahl von Änderungsanträgen für mehr Umweltschutz auf den Kopf stellten, und alle anderen Fraktionen würden sich an solchen Überlegungen nicht beteiligen. Das Gegenteil ist der Fall. Sie haben sich in bemerkenswerter Weise zurückgehalten; denn Sie haben in 1 560 Fällen, meine Damen und Herren von den GRÜNEN, keine Änderungsanträge eingebracht und damit dem, was Bund und Länder an Planung vorgelegt haben, insoweit ausdrücklich Ihre Zustimmung gegeben.
— Das ist der Tatbestand.
Und in 140 Fällen wollen Sie Änderungen. Nun sind Sie leider, im Gegensatz zu SPD, CDU/CSU und FDP, bei den Ausschußberatungen nicht verhandlungsfähig gewesen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Senfft?
Nein. Am Ende, Herr Präsident, wenn mir dazu Zeit eingeräumt wird. Ich möchte jetzt zunächst im Zusammenhang vortragen.
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Hof fie— Aber dann jede Frage, wie immer.
— Dazu will ich gerade etwas sagen.Sie kritisieren im übrigen den Stil, die Art der Auseinandersetzung im Ausschuß. Hier führen Sie der breiten Öffentlichkeit vor, wie es aussieht, wenn man bei seinen Ausführungen gestört wird.
Sie sind überempfindlich, wenn man mit Ihnen einmal Tacheles redet und zu Worten greift, die Joschka Fischer hier in diesem Bundestag zur Parlamentssprache erhoben hat — um auch dies mal zu sagen.
Meine Damen und Herren, Sie waren deshalb nicht verhandlungsfähig, weil Sie in 140 Fällen kompromißlos nichts anderes als Streichungen wollten. Alle anderen Fraktionen haben sich bei ganz konkreten Projekten darum bemüht, die Frage zu beantworten: Gibt es einen Bedarf und wenn j a, welches ist dann die umweltschonendste Lösung? Wir haben in vielen, vielen Fällen von vier auf zwei Spuren reduziert. Wir haben ganze Abschnitte herausgenommen, Autobahnprojekte zu Bundesstraßen abgestuft. Das ist in einer sachlichen und demokratischen Beratung gegangen.Bei den GRÜNEN geht es mit den 140 Streichungsanträgen um etwas anderes. Es geht in Wahrheit darum, daß Ihre Feindschaft gegenüber dem Individualverkehr, daß Ihre Gegnerschaft zum Auto und zur persönlichen Mobilität des einzelnen
nicht in Übereinklang mit auch nur einem einzigen Kilometer Straßenbau gebracht werden kann,
auch dort, wo seit Jahrzehnten in unserem Land Hunderttausende von Menschen durch Abgas und Lärm krank werden
und wo sie sich nicht, ohne daß sie verkehrsgefährdet sind, vor die Haustüre wagen können. Wer da von Asphalt-und-Beton-Koalition redet, meine Damen und Herren, der muß sich einmal mit den Menschen auseinandersetzen, die unter solchen Zuständen leiden. 80% der gesamten Vorhaben zum Ausbau der Bundesstraßen sind ortskernentlastendeUmgehungsstraßen. Das ist praktizierter Umweltschutz und nichts anderes.
Herr Abgeordneter Senfft, unterlassen Sie bitte Ihre dauernden Zwischenreden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Danke, Herr Präsident. — Das gilt nicht nur für die Maßnahmen des Bundesstraßenbaus, sondern auch für die großen Projekte.Von den 167 Anträgen, die die FDP mit dem Koalitionspartner verhandelt hat, hat sie die Hälfte durchgesetzt. Das betrifft auch große Autobahnprojekte. Das betrifft Maßnahmen wie die A 95 von München nach Garmisch-Partenkirchen, wo wir den besseren Kompromiß durchgesetzt haben — weil wir verhandlungsfähig waren —, nämlich die vorhandene Bundesstraße auszubauen.
Das betrifft die A 94 von München nach Simbach, wo es die FDP war, die in schwierigen Verhandlungen mit der CDU und der CSU, unterstützt von einer breiten Mehrheit in der Bevölkerung, durchsetzen konnte, daß man sich nicht von vornherein auf einen Autobahnausbau festlegte, der unveränderlich wäre, sondern sich zunächst einmal darauf einigte, das Isental zu schonen.
Es ist durchgesetzt worden, daß alle Alternativen, auch alle Möglichkeiten des Ausbaus der vorhandenen Bundesstraße so gründlich geprüft werden, daß die größtmögliche Umweltschonung gewahrt bleibt.In über 80 Fällen haben wir ganz konkret, Punkt für Punkt belegbar, mit dem Koalitionspartner verhandelt und unsere Position, die besseren Argumente durchgesetzt. Wenn Sie von der SPD, wie eben der Kollege Kretkowski, kommen und sagen, da sei die FDP an irgendeiner Stelle umgefallen, dann kann ich nur sagen: Wie oft ist denn die SPD umgefallen, wenn sie von ihren Anträgen ganze acht oder neun am Ende hat durchsetzen können, gegen die erklärten Behauptungen im Vorfeld der Auseinandersetzungen? Wenn jemand das gegeneinander aufrechnen will, kann ich nur sagen: Das ist mehr als jämmerlich.Meine Damen und Herren, Straßenbau, das bedeutet in den nächsten fünfzehn Jahren noch 1 600 km neue Autobahnen und weitere 3 000 Kilometer Bundesstraßen. Das heißt in Wirklichkeit, daß die noch notwendigen Netzschlüsse zu Ende gebaut werden, daß strukturschwache Räume angebunden werden. Das heißt auch, daß wir 300 Kilometer neue Umgehungsstraßen bauen werden. Das klingt viel. Aber in Wahrheit wird das Bundesfernstraßennetz um nicht einmal 1 % jährlich wachsen. Das allerdings, glaube ich, ist angemessen, wenn man weiß, daß der Bestand an Kraftfahrzeugen bei uns von heute 30 Millionen jedes Jahr um einige Prozente zunimmt.
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14548 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 194. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Januar 1986
HoffieIch glaube, es muß hier auch einmal gesagt werden, daß der Bundesverkehrswegeplan nicht nur den Straßenbau umfaßt. Vor allem gehört eben auch dazu, daß diese Koalition aus CDU/CSU und FDP zum erstenmal in der Geschichte dieses Parlaments 30 % mehr Mittel für den Neubau von Schienenwegen als für den Neubau von Straßen zur Verfügung stellt. Es geht um die reinen Neubaumaßnahmen, Herr Kollege Senfft. Wenn Sie diese vergleichen, erfordern es die Redlichkeit und die Ehrlichkeit, daß Sie endlich zugeben, daß unsere Politik darauf gerichtet ist, daß beim Neubau der Schienenausbau vor Straßenbau geht.
Das können Sie, kann jeder Bürger im Plan selbst nachlesen. Es ist so.Nur, die Schizophrenie der Verkehrspolitik, die Sie betreiben, ist doch, daß dort, wo wir solche neuen Schienenwege einrichten wollen, z. B. von Köln zum Frankfurter Flughafen, wo diese Schienenstrecke parallel zur Autobahn geführt werden soll, dort, wo sie von der Autobahn abweicht, Wiesbaden im Tunnel unterfahren wird, Hunderte von einzelnen und organisierten GRÜNEN, die sich bei uns mit Briefen melden, sich schon zum Protest sammeln und erklären: Um Gottes willen nicht auch hier noch eine neue Verkehrsbelastung durch Schiene! Der hessische Wirtschaftsminister hat ja, weil er glaubt, daß er das in den rot-grünen Teilen der hessischen Bevölkerung nicht durchsetzen kann,
gesagt, er will diese wichtige Rückgratstrecke des modernen, neuen Bundesbahnnetzes in unserem Land nicht.
Er hat vorgegeben, er wolle lieber die Schienenstrecke Kassel-Dortmund haben. Wir haben als Koalitionsfraktionen gesagt: Wir wirken beim Bundesverkehrsminister darauf hin,
daß diese Strecke in den Ausbauplan, in die Planung kommt. Sie bekommen diese Strecke für Hessen. Aber dann ist doch genauso richtig, daß die große andere Rückgratstrecke, die von Frankfurt nach Mannheim und weiter als Schnellverbindung nach Frankreich geführt wird, genauso dringlich und genauso wichtig die Unterstützung der hessischen Landesregierung erfahren müßte,
die sich ja ständig rühmt, für sie habe die Eisenbahn Priorität.Ich habe mit Interesse gelesen, Herr Dr. Steger, daßSie wichtige Straßenbauprojekte aufrechterhalten,die auch ich als Ihr Vorgänger im Bedarfsplan gehalten habe,
bis auf 30 ortskernentlastende Umgehungsstraßen, die Sie bei Beratungen im Bundesrat aus der Planung herausnehmen wollten und deren völlige Streichung Sie mit einem „N" im Plan — daß heißt: wird nicht mehr gebaut — gefordert haben. Da geht es nicht nur um das Großprojekt des Alleentunnels, den die Frankfurter Bürger in ihrer Mehrheit wollen. Dafür ist in Frankfurt Wahlkampf geführt worden, und dafür hat es eine Mehrheit bei denen gegeben, die dies vor allem vertreten haben.Wichtig ist in der Tat dieses Verhältnis künftiger Straßeninfrastruktur, die ja erst in zehn bis fünfzehn Jahren so gewachsen sein wird, wie wir es heute beschließen. Keine Straße hat heute noch eine Chance, in kürzeren Zeiträumen als zehn bis fünfzehn Jahren gebaut zu sein. Auf diesen Straßen wird dann j a nicht ein Auto verkehren, das gestern den 100. Geburtstag gefeiert hat, sondern es werden andere, neue Autos sein, die energiesparender, umweltfreundlicher und weniger lärmintensiv sind. Auch darauf sollte man bei dem, was wir heute an Ausbauplanung beschließen, Rücksicht nehmen.Wir als FDP-Fraktion stimmen dem Gesamtplan voll und ganz zu. Wir tun es in der Gewißheit, daß die eineinhalb Jahre Vorbereitungszeit gründlich genutzt wurden. Alle Orts- und Kreisverbände und alle Gliederungen meiner Partei, die Fachausschüsse der Verkehrspolitiker und auch der Umweltschützer, haben jedes einzelne Projekt in allen Ländern sorgfältig diskutiert, bessere Alternativlösungen jeweils in die Entscheidungen einbezogen und sich am Ende auf den Katalog von 167 Änderungen verständigt, die wir hier vertreten haben. Mehr als die Hälfte unserer Änderungswünsche konnten durchgesetzt werden, weil wir Gespräche und Verhandlungen über die jeweils bessere Lösung mit allen Fraktionen außer den GRÜNEN geführt haben, die mit ihrer Totalablehnung diese Verhandlungen in der Sache verweigert haben.Jetzt bin ich gern bereit, alle Zwischenfragen zu beantworten, Herr Präsident, wenn mir dazu Gelegenheit gegeben wird.
Herr Abgeordneter Hoffie, die Zeit ist zwar abgelaufen, aber ich räume Ihnen diese Möglichkeit ein. Zu einer Zwischenfrage hat der Abgeordnete Senfft das Wort.
Danke. — Herr Hoffie, Sie haben hier gesagt, wir hätten mehr als 1 000 Projekten zugestimmt. Können Sie bestätigen, daß wir den Bedarfsplan insgesamt und somit auch diese tausend Projekte abgelehnt haben, daß wir nur nicht zu allen Projekten Änderungsanträge gestellt haben?
Herr Kollege Senfft, ich bestätige zunächst, daß Sie zu 1 560 — nicht zu 1 000 — von 1 700 Projekten keine Änderungsanträge gestellt haben. Ich weiß nicht, ob es daran liegt, daß Sie dort
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Hoffiekeine Ortsgruppe des BUND oder zufällig keine Bürgerinitiative kontra Straßenbau gefunden haben, die Ihnen das zugeschrieben hätten, was Sie uns im Ausschuß stundenlang wie in eine tibetanischen Gebetsmühle vorgekaut haben, obwohl wir das alles kannten, was nicht leicht zu ertragen war, Herr Kollege.
Daß Sie den Plan insgesamt abgelehnt haben, nehmen wir zur Kenntnis, genauso wie zur Kenntnis genommen wird, daß die SPD hier heute zwar im Gegensatz zu den Einlassungen im Ausschuß erklärt: Wir sind gegen eine Reihe der großen Straßenbaumaßnahmen, daß sie aber doch am Ende in einem großen Akt der Vernunft sagt: Wir stimmen diesem Plan insgesamt zu, und daß sie damit bereit ist,
Verantwortung für die Verkehrsinfrastruktur in diesem Land auch in dieser Konstellation des Parlaments zu übernehmen.
Zu einer Zwischenfrage hat das Wort Frau Abgeordnete Matthäus-Maier.
Herr Kollege, Sie sagen, Sie haben sich in langen Diskussionen mit Ihren Kreisverbänden abgestimmt. Meine Frage: Wenn das so ist, warum sind Sie dann nicht der dringenden Bitte des Kreisverbandes Ihrer Partei im Rhein-Sieg-Kreis gefolgt, der Sie gebeten hat, der Aufnahme des Ennert-Tunnels in die vordringliche Planung nicht zuzustimmen, wie übrigens auch die SPD und die Bürgerinitiativen?
Ich bin Ihnen sehr dankbar für die Frage. Ich habe im Verkehrsausschuß des Bundestages die Diskussion zum Ennert-Tunnel selbst geführt und die Sache zur Sprache gebracht. Sie wissen, daß ich persönlich diesem Projekt mehr als kritisch gegenüberstehe, weil ich zunächst die Umweltverträglichkeit näher kennen und wissen will, welche Alternative oder bessere Lösung möglich ist. Deshalb habe ich mich im Ausschuß an dieser Stelle, was die Kollegen von der CDU/CSU auch wissen, der Stimme enthalten. Nur, Frau Kollegin Matthäus, Tatsache ist, daß die Kreistagsfraktion des Rhein-Sieg-Kreises mir zuletzt vorgestern noch einmal erklärt hat, nach eingehenden und weiteren Beratungen bleibe sie bei ihrer auch im Kreistag dokumentierten Feststellung, daß sie für diesen Ennert-Tunnel unter bestimmten Bedingungen eintrete, die sie dann in sieben Punkten erläutert hat,
die ich auch im Ausschuß vorgetragen habe. Das ist die Tatsache. Daß eine der betroffenen Gemeinden eine andere Haltung eingenommen hat, wird nicht verschwiegen.
Herr Abgeordneter Hoffie, kommen Sie bitte zum Schluß. — Meine Damen und Herren, ich kann keine weiteren Zwischenfragen zulassen. Die Redezeit des Abgeordneten Hoffie ist um drei Minuten überschritten worden. Ich bitte um Verständnis dafür.
Ich bedanke mich, meine Damen und Herren, für Ihre geduldige Aufmerksamkeit, und bedanke mich bei allen wie der Kollege Kretkowski, die uns hier bei der Bearbeitung dieses wichtigen Planes für die nächsten 15 Jahre geholfen haben. Herzlichen Dank!
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schulte . —(Zurufe)
Herr Abgeordneter Schulte , Sie werden gebeten, das Wort zu ergreifen.
Danke schön. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte für die Fraktion der GRÜNEN nur noch einmal ganz deutlich machen, daß es ein Trugschluß ist, zu meinen, daß wir, wenn wir hier „lediglich" 200 Änderungsanträge stellen, automatisch den anderen Projekten zustimmen. Herr Kollege Hoffie, Sie kennen unseren Straßenbaustoppantrag. Wenn man diesen konsequent auf den Bedarfsplan überträgt, heißt das, daß wir weit mehr als 95 % dieser unsinnigen, dieser schädlichen Straßenbauprojekte ablehnen.
Nachdem der Bedarfsplan für Bundesfernstraßen in einer bisher nie dagewesenen Eile letzte Woche durch den Verkehrsausschuß gepeitscht wurde,
werden auch hier im Parlament von seiten der Straßenbauparteien alle Register gezogen, um eine qualifizierte Beratung auch zu Einzelprojekten zu verhindern.
Rechtzeitig zu den hundertjährigen Automobiljubelfeiern möchte die Asphaltkoalition ein besonderes Präsent auf den Opferaltar für das Auto legen: über 2 000 Kilometer Autobahn und 6 000 Kilometer Bundesstraße für 80 bis 100 Milliarden DM. Mit diesem vorliegenden Fernstraßenbauprogramm stempeln sich die Altparteien — ja, auch die SPD gehört dazu — zum Büttel der bundesdeutschen Asphaltund-Beton-Lobby.
Angesichts der horrenden ökologischen Schäden ist es besonders skandalös, daß das ursprüngliche Straßenbauvolumen auf Grund der Verkehrsausschußbeschlüsse noch erweitert wird. Der Bedarfsplanentwurf des Herrn Verkehrsministers Dollinger — dem Vorreiter der bundesdeutschen Asphalt-Kolonne — war der CDU/CSU, FDP und SPD noch nicht umweltzerstörerisch genug: Längst totgeglaubte Projekte, wie z. B. die A 44 — die sogenannte DüboDo — oder die Elbquerung in Nieder-
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Schulte
sachsen, sollen nun zusätzlich aufgenommen werden.
Die Protestwelle gegen dieses Bedarfsplanmonstrum zeigt, daß sich die Regierung bei der Realisierung vieler Straßenplanungen am Widerstand vor Ort die Zähne ausbeißen wird.
So starrköpfig und betonköpfig die Regierung mit Zustimmung der SPD die verhängnisvolle Straßenvorrangpolitik fortsetzen mag: Letztlich wird der millionenfache Protest von Bürgern, Umweltschutzgruppen und Naturschutzverbänden die notwendige Kurskorrektur in der Verkehrsinvestitionspolitik erzwingen.Zahlreiche wissenschaftliche Studien belegen den äußerst geringen wirtschaftlichen Nutzen von Straßenneubauten genauso wie die Erkenntnis über die verheerenden ökologischen Auswirkungen neuer Asphaltschneisen. Bereits im April 1983 hat der Sachverständigenrat für Umweltfragen in seinem Aktionsprogramm „Ökologie" gefordert, es sollten grundsätzlich keine neuen Straßen mehr angelegt werden. Neutrassierungen seien auf unabweisbare Bedürfnisse zu begrenzen. Dazu sei die Änderung des Bundesverkehrswegeplanes und des Bedarfsplanes für Bundesfernstraßen erforderlich. Doch nichts ist geschehen. Dieses Aktionsprogramm ist so schnell wie möglich in den Schubladen verschwunden. Der Straßenbau wird wie bisher ohne jede Vernunft vorangetrieben.
Erst kürzlich hat die Landesanstalt für Ökologie Nordrhein-Westfalen nachgewiesen, daß sehr viele Tierarten durch die wachsende Zerschneidung der Landschaft extrem gefährdet sind. Mit jeder neuen Straße schreitet der Zerschneidungs- und Verinselungsprozeß unserer Landschaft fort. Großflächige, unzerschnittene Lebensräume werden immer seltener. Doch nur diese großflächigen Lebensräume können überhaupt ein langfristiges Überleben wertvoller Arten sichern. Zur gleichen Zeit, als dies bekannt wird, mahnt der Parlamentarische Staatssekretär Georg Gallus zu mehr Umweltschutz. Herr Gallus warnt vor einer rapiden Verschlechterung der Lebensbedingungen für viele Tier- und Pflanzenarten. Wie recht er doch ausnahmsweise hat. Doch wo bleibt der Aufschrei und Protest der staatlichen Natur- und Umweltschützer gegen diesen Fernstraßenbedarfsplan?Außer dem Gesichtspunkt des Natur- und Umweltschutzes spricht eine Riesenpalette weiterer Argumente gegen diesen Bedarfsplan. Strukturpolitische und raumordnerische, städtebauliche — ich hoffe, daß dazu Herr Minister Zöpel aus Nordrhein-Westfalen gleich etwas sagen wird — sowie denkmalpflegerische, aber auch arbeitsmarktpolitische Gründe sprechen eindeutig gegen diesen Bedarfsplan. Ich kann leider aus zeitlichen Gründen nicht auf die Einzelheiten eingehen. Ich will aber ganz besonders hervorheben, daß der Bau von neuen Fernstraßen einen wesentlich geringeren Arbeitsplatzeffekt hat, als wenn man dieselben Milliardenbeträge in den Ausbau der öffentlichen, umweltfreundlichen Verkehrssysteme und Verkehrsberuhigungsmaßnahmen steckt.
Insofern ist dieser Bedarfsplan auch schädlich für den Arbeitsmarkt.
Vor allen Dingen aber muß dieses Straßenbauprogramm aus verkehrspolitischer Vernunft abgelehnt werden.Es gibt überhaupt keine sachlichen Gründe dafür, weiterhin zig Milliarden DM an Steuergeldern für unsinnige Asphaltpisten auszugeben und damit den umweltfeindlichen Autoverkehr zu fördern, gleichzeitig der Bundesbahn aber eben diese Mittel vorzuenthalten, die sie für den Erhalt der Strecken und ihre Modernisierung so bitter nötig hat.
Wir brauchen keinen Bedarfsplan für noch mehr Fernstraßen und noch mehr Straßenverkehr. Was wir brauchen, ist ein Bedarfsplan für ein optimales öffentliches Verkehrskonzept sowie die flächendekkende Attraktivitätssteigerung der Deutschen Bundesbahn.
Meine Damen und Herren, ich möchte es mir selbstverständlich nicht nehmen lassen, auf die geradezu lächerliche und groteske Verhaltensweise der SPD zu diesem Naturzerstörungsprogramm durch Fernstraßenbau einzugehen. Herr Kretkowski, Sie haben heute morgen wieder gesagt, daß Sie 90 % der Vorhaben des Bedarfsplans zustimmen könnten, denn das seien j a Ortsumgehungsmaßnahmen. Am Ende Ihrer Rede sagen Sie dann: Laßt uns doch noch das Wenige bauen! — Wissen Sie, das ist typisch für die Verschleierungstaktik der SPD: einmal so reden, aber ganz anders stimmen.Was ist das für ein Eiertanz! Bei der Beratung des Fernstraßenausbaugesetzes im Innenausschuß wird ein absolut straßenbaukritischer Antrag vorgelegt. Sie haben daraus auch einige Passagen zitiert. Wir haben diesem Antrag zugestimmt, weil wesentliche Positionen aus unserem Straßenbaustoppantrag abgeschrieben wurden.
Nun kommt die Kehrtwende. Auf massiven Druck der Straßenbaulobby und der Kanalarbeiter in Ihrer Fraktion fällt die SPD um, fordert für insgesamt 941 Millionen DM zusätzliche Projekte im vordringlichen Bedarf und stimmt dem Bedarfsplan zu. Damit begibt sich also die SPD wieder in die große traditionelle Asphalt-Koalition. Da gehören Sie auch hin.
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Schulte
Mit diesem Salto asphalto verspielt sie ihr letztes Quantum an Glaubwürdigkeit in der Umweltpolitik.
Die Zustimmung der SPD zu weiteren 8 000 Kilometern naturvernichtenden Fernstraßen ist das Ibbenbüren Nummer zwei, allerdings mit noch wesentlich schlimmeren Folgen für die Umwelt.
Meine Damen und Herren, die Fraktion der GRÜNEN wird zu dem Bedarfsplan ca. 200 Änderungspläne einbringen. Es sind Änderungsanträge zu besonders schlimmen Projekten. Herr Hoffie, ich wünsche, daß unsere Fraktion im nächsten Bundestag so groß und so stark ist, daß sie zu allen Projekten Änderungsanträge stellen kann.
Die Anträge stellen wir auf besonderen Wunsch der betroffenen Bürger. Sie sind Ausdruck des millionenfachen Protestes gegen den unsinnigen Straßenbauwahn.
Wir bestehen bei allen großen und umstrittenen Projekten auf namentliche Abstimmung, weil alle Betroffenen im Lande das Recht haben, zu erfahren, wie sich ihr Abgeordneter in Bonn zu den einzelnen Projekten vor Ort verhält.
Es muß endlich Schluß damit sein, daß man vor Ort hü redet und hier hott stimmt.Danke schön.
Das Wort hat der Abgeordnete Milz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich finde es schon bemerkenswert, wenn die heutige Debatte über den Straßenbau in der Bundesrepublik Deutschland einen Tag nach den Feierlichkeiten aus Anlaß des Jubiläums des Autos in Baden-Württemberg stattfindet. Dies gibt uns Gelegenheit, auch den Zusammenhang zwischen der Erfindung damals und ihrer Anwendung heute erneut zu unterstreichen.
Lassen Sie mich aber zuvor auf einige Widersprüche aufmerksam machen, die sowohl im Bereich der Aussagen der GRÜNEN — dort ist es nicht anders zu erwarten — als auch im Bereich der Aussagen der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion zu finden sind. Gut für den Deutschen Bundestag ist, daß nicht nur die Mitglieder des Verkehrsausschusses das absurde Theater der GRÜNEN miterleben mußten, sondern sozusagen die gesamte deutsche Öffentlichkeit einmal erfährt, welche Politik die GRÜNEN machen. Und ich bin froh, daß diese Debatte stattfindet und sicher auch dazu dient, Herr Kollege Schulte, daß Ihr Wunsch im umgekehrten Sinn in Erfüllung geht: Demonstrieren
Sie so weiter vor der deutschen Öffentlichkeit — das Vertrauen in Ihre Politik wird sich entsprechend verändern!
Meine Damen und Herren, die GRÜNEN glaubten bei der Beratung im Verkehrsausschuß Qualität durch Quantität ersetzen zu müssen. Wenn man allein an der Tatsache, daß man mit drei Waschkörben in den Beratungssaal einzog, das Verhalten der GRÜNEN mißt,
— auch dies gab es niemals; ich nehme gern den Zwischenruf auf, daß das nur absurder Karneval sein kann —, dann zeigt dies, wie ernst es die GRÜNEN mit dieser Politik meinen. Das beweist auch die Tatsache, daß sie ausschließlich vorgelesen haben, was ihnen andere aufgeschrieben haben, als sie zu den einzelnen Projekten Stellung nahmen. Auch dies ist, wie ich meine, für die Bürger draußen von Wichtigkeit.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Im Zusammenhang mit der Beratung dieses Gesetzentwurfs scheinen mir ganz besonders drei Schwerpunkte, die sowohl die Bundesregierung wie auch die sie tragenden Fraktionen zum Maßstab ihres Handelns gemacht haben, erwähnenswert zu sein.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein danke! Die GRÜNEN haben so viel geredet; ich möchte ihnen nicht Gelegenheit geben, sich weiter zu blamieren.
Es ist wichtig, darauf hinzuweisen, daß durch die Entscheidungen, die die Mehrheit im Verkehrsausschuß getroffen hat, und durch die Entscheidung, die heute ansteht, z. B. mehr Umweltschutz und nicht weniger Umweltschutz gewährleistet wird.
Zum ersten Mal steht in einem Gesetzentwurf zum Bau von Bundesautobahnen und Bundesfernstraßen die zwingende Vorschrift, sich dem Umweltschutz in entsprechender Weise zu widmen und ihn „zu berücksichtigen".
Dies gab es vorher nie.
Zweitens. Durch den Straßenbau, so, wie er jetzt konzipiert ist, werden nicht nur Arbeitsplätze, um die wir heute ringen, im Straßenbau gesichert, sondern auch Arbeitsplätze in den revierfernen Gebieten. Gehen Sie doch bitte einmal dort hin, wo Hunderte, j a Tausende von Arbeitnehmern täglich über Autobahnen fahren müssen, um zu weit entfernten Arbeitsplätzen zu kommen, die sich sonst über enge
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14552 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 194. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Januar 1986
MilzLandstraßen quälten und dabei stundenlang in Anspruch genommen waren. Über diese Dinge reden Sie wohl deshalb nicht, weil Sie es bevorzugen — insbesondere die GRÜNEN —, mit Staatskarossen zu fahren, wenn Sie irgendwo parlamentarisch etwas zu tun haben und dort eine völlig andere Politik zu verkünden.
Der ländliche Raum und die Sicherung der Arbeitsplätze sind für uns nicht irgendwo eine Worthülse, sondern bindende Verpflichtung.Ich möchte auf einen weiteren Punkt zu sprechen kommen und noch einmal unterstreichen, daß die Bundesregierung in ihrem Gesetzentwurf Lückenschlüssen und Ortsumgehungen oberste Priorität einräumt. Die Ortsumgehungen sollen nicht nur gewährleisten, daß der Verkehr flüssiger wird, sondern auch sicherstellen, daß den arg geplagten Bürgern an engen Ortsdurchfahrten mehr Ruhe, Lebensqualität — und damit mehr Umweltschutz ermöglicht wird.
Meine Damen und Herren, nun kommt der Kollege Kretkowski und sagt, in Nordrhein-Westfalen sollten wohl die Bürger bestraft werden, weil sie Johannes Rau gewählt haben.
Meine Damen und Herren, Johannes Rau als solcher ist für Nordrhein-Westfalen schon Strafe genug.
Ich will aber auf eines hinweisen: Am 10. Juni 1984 erklärte Johannes Rau in der „Welt" — und damit gibt er den Beweis für die Richtigkeit unserer Politik —, es sei an der Zeit, kurvenreiche Landstraßen, unzumutbare Ortsdurchfahrten und lange Fahrtzeiten endlich zu beseitigen.
Genau das, meine Damen und Herren, tun wir mit unserem Gesetzentwurf! Ich kann Sie nur bitten, diese Politik mit zu unterstützen, und zwar nicht nur per Abstimmung, sondern auch aus Überzeugung, weil das auch der Meinung Ihres Kanzlers in Lauerstellung entspricht.
Meine Damen und Herren, ich freue mich darüber, daß der Kollege Kretkowski insofern Lernfähigkeit bewiesen hat. Er hat noch bei der Einbringung dieses Gesetzes erklärt, es sei eben nicht wahr, daß mehr Mittel für den Bau von Eisenbahnen zur Verfügung gestellt werden. Heute begrüßt er die Tatsache, daß dies geschieht. Ich bedanke mich bei Ihnen, Herr Kollege, außerordentlich dafür, daß Sie dies erkannt haben
und auch insofern unserer Politik zustimmen.Herr Präsident, ich will hier eine Bitte einfügen. Ich bitte darum, daß auf Seite 29 der Drucksache 10/4734 die Worte „im Rahmen der Landesquote" gestrichen werden. Das ist zur Verdeutlichung notwendig, und deshalb bedarf es — das sage ich für das Protokoll — einer entsprechenden Änderung.Meine Damen und Herren, ich darf noch einmal auf die Rede des Kollegen Kretkowski zu sprechen kommen. Sie macht so recht deutlich, wie absurd die verkehrspolitischen Vorstellungen der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion sind. Denn dem aufmerksamen Zuhörer dürfte nicht entgangen sein, daß der Redner hier erklärt hat, die A 44 sei für Nordrhein-Westfalen ein Unglück und deshalb abzulehnen. Das war der erste Teil der Aussage des Redners der SPD. Kurz danach erklärt der gleiche Redner dem staunenden Publikum, es sei notwendig, eine Untertunnelung des Rheins zu bauen — ausgerechnet im Zuge eben dieser von ihm abgelehnten A 44.
Daß man auf der einen Seite mehr als 1 Milliarde DM ausgeben will, auf der anderen Seite aber den notwendigen Anschluß der A 44 nicht herstellen möchte,
ist nicht zusammenzubringen; es ist, meine Damen und Herren, die letzte Auswirkung des auch finanzpolitisch unsinnigen Verhaltens Ihrer Fraktion. Herr Kollege, ich kann nicht umhin, Sie auf diesen Widerspruch in aller Deutlichkeit aufmerksam zu machen.
Ähnlich ist es mit dem vieldiskutierten EnnertTunnel. Es haben sich viele darüber Gedanken gemacht. Wir haben abgewogen, was denn sinnvoll sei und was nicht. Bürgerinitiativen, Städte und Gemeinden haben ihre Meinung sagen können. Am Ende haben wir uns für den Bau dieser Straße ausgesprochen. Ich beziehe mich ausdrücklich auch auf das Votum der FDP-Kreistagsfraktion im RheinSieg-Kreis.Meine Damen und Herren, zum Schluß möchte ich für meine Fraktion Dank sagen. Dank sagen möchte ich allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Bundesministers für Verkehr für die hervorragende Arbeit, die uns unsere schwere Arbeit erleichtert hat.
Dank möchte ich aber auch Ihnen, Herr MinisterDr. Dollinger, und mit der gleichen Deutlichkeit Ih-
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MHzrem Parlamentarischen Staatssekretär Dieter Schulte sagen. Sie beide haben in vielen Gesprächen nicht nur mit uns, sondern auch mit Ländern und Gemeinden, mit Fraktionen, mit Verbänden und mit Bürgerinitiativen den Versuch gemacht, auf einer parlamentarisch soliden Grundlage eine vernünftige Konzeption zu entwickeln. Dies ist der Beweis dafür, daß die Regierung Helmut Kohl, daß die Regierung der Mitte auf dem richtigen Wege ist.
Aus diesem Grund zögern wir nicht, diesem guten, diesem gut durchdachten und zukunftweisenden Gesetz unsere Zustimmung zu geben.Ich bedanke mich.
Das Wort hat der Abgeordnete Antretter.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir, daß ich mich zunächst mit einigen Äußerungen mehrerer Vorredner auseinandersetze. Ich darf mit Ihnen beginnen, Herr Hoffie. Sie haben die 27 Ortsumgehungen angesprochen, die das Land Hessen bei der Anmeldung gestrichen hat. Ich möchte Ihnen nur sagen, weil es zur ganzen Wahrheit gehört, daß diesen 27 Änderungsvorschlägen des Landes Hessen Beschlüsse der regionalen Planungsversammlungen mit ihren CDU-Mehrheiten zugrunde liegen,
denen auch die FDP angehört, wo sie mitgestimmt hat und wo in fast allen Fällen einstimmig beschlossen wurde. Ich muß sagen, dieser basisdemokratische Ansatz der Landesregierung Hessen gefällt mir sehr gut, und ich bin sicher, er gefällt den Bürgern draußen auch.
Nun, meine Damen und Herren, noch ein Satz zu den GRÜNEN. Meine lieben grünen Kollegen — —
— nein, dieses Mißverständnis war nicht beabsichtigt. Meine lieben Kollegen von den GRÜNEN, ich tue mich seit heute etwas schwerer, Ihnen abzunehmen, daß Seriosität für Sie eine Dimension der parlamentarischen Auseinandersetzung ist.
Das gilt sowohl für das, was Sie heute geschäftsordnungsmäßig hier vorgeführt haben, wie für Ihre gespaltene Zunge in Richtung SPD. Meine lieben Kollegen und Herr Kollege Schulte, Sie halten uns ein konditioniertes Ja, das wir zu diesem Bedarfsplan sagen werden, vor. Und hier tun Sie so, als ob alle GRÜNEN in der Republik gegen diesen Bedarfsplan wären. In Hessen haben Sie nur gegen ein Drittel der Maßnahmen Bedenken angemeldet oder mit Fragezeichen versehen. Dies gehört doch auch
zu einer glaubwürdigen Politik, meine lieben Kollegen. Und was den Bundesrat und was das Verhalten des Landes Hessen im Bundesrat betrifft, so tun Sie bitte ja nicht so, als ob Sie es dahin gehend beeinflußt hätten, daß dort weniger Mittel gebraucht würden.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja, wenn ich den Gedanken zu Ende gesprochen habe. Dann bitte gern. — Nein, der Grund ist doch der, daß Hessen sich damit ganz offenkundig im Einvernehmen mit den GRÜNEN gegen die Strafaktion wehren will, die diese Bundesregierung gegen dieses Bundesland macht. Bleiben Sie da bei der Wahrheit. Es tut Ihnen gut hier im Hause und draußen.
Bitte, Kollege Schulte.
Lieber Herr Kollege Robert Antretter, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen — und ich habe das im Ausschuß bereits gesagt —, daß die GRÜNEN in Hessen vom SPDMinister nicht in den Abstimmungsprozeß über den Bedarfsplan einbezogen worden sind, sondern die Stellungnahme allein von der SPD an das Verkehrsministerium abgegeben wurde,
so daß nicht wir mit gespaltener Zunge reden, sondern die SPD in sich gespalten ist?
Herr Kollege Schulte, es ist mir ein bißchen schwergefallen, Sie zu verstehen, weil der Kollege Lemmrich immer so laut dazwischen redet. Aber ich glaube, ich habe das Wesentliche verstanden. Herr Kollege Schulte, es ist nicht die Frage, welche Abstimmungsprozesse in Hessen vorausgegangen sind, sondern Tatsache und das, woran wir uns halten müssen, ist das Ergebnis des hessischen Kabinetts. Und dem gehören bekanntlich die GRÜNEN an.
„Wenn alle zugelassenen Kraftfahrzeuge gleichzeitig auf unseren Straßen fahren würden, hätte jedes Fahrzeug noch nicht einmal 18 m Straßenlänge für sich." Mit diesem Argument begründet der Verkehrsminister in einer offiziellen Schrift der Bundesregierung die Notwendigkeit des Neubaus zusätzlicher Straßen. Meine Damen und Herren, abgesehen davon, daß die Zahl falsch ist, weil viele Straßen mehrspurig sind: das Argument ist genauso unsinnig, als wollte man den Bau von Krankenhäusern so lange fordern, bis sich alle Bürger gleichzeitig ins Krankenhaus legen können.
Es ist eine Binsenweisheit, daß Straßenbau und Straßenverkehr zu erheblichen Eingriffen in Natur
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Antretterund Landschaft und zu starken Belastungen der Menschen und ihrer Umwelt führen. Diese Belastungen nehmen mit steigender Straßendichte überproportional zu; sie werden sehr bald unerträglich werden. Obwohl das jeder weiß und obwohl die Bundesrepublik mit rund 500 000 km schon eines der dichtesten Straßennetze der Welt hat, wie mein Kollege Kretkowski schon ausgeführt hat, tut die Regierung so, als seien wir in punkto Straßenbau ein unterentwickeltes Land.Der Verkehrsminister will noch 1 700 km neue Autobahnen dazubauen. Das entspricht in der Länge zwei weiteren Autobahnen quer durch Deutschland, von Norden nach Süden, von der dänischen bis zur österreichischen Grenze, parallel zu den schon vorhandenen Autobahnen.
Allein diese Zahl zeigt doch, daß der Bundesverkehrsminister die veränderten Randbedingungen und die wirklichen Probleme überhaupt nicht erkannt hat.
Wenn wir mit Ihrem Straßenbaurezept, nämlich möglichst viele neue Straßenkilometer für's Geld, weitermachen, dann kommen wir ganz schnell dahin, wo wir schon seit langem mit der Bundesbahn sind: Wir werden Strecken stillegen müssen, und zwar nicht nur, weil uns das Geld zur Unterhaltung der Straßen fehlen wird, sondern vor allem auch deshalb, weil wir feststellen werden, daß die Umwelt und insbesondere wir Menschen noch mehr Straßen nicht verkraften. Meine Damen und Herren, wir werden es bald erleben, wie die ersten Straßen stillgelegt und rekultiviert werden. Aber ich bin sicher, daß es dann wieder keiner von Ihnen gewesen sein will, der die vielen zusätzlichen breiten Autobahnen gefordert hat, obwohl Sie jetzt doch so vehement dafür sind.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Milz?
Ja, im Gegensatz zum Kollegen Milz gestatte ich natürlich eine Zwischenfrage.
Herr Kollege, könnten Sie uns einmal kurz erklären, welche Vorstellungen Ihr Parteifreund, der ehemalige Verkehrsminister Leber, im Zusammenhang mit dem Bau von Straßen verkündet hat?
Wenn uns etwas unterscheidet, dann in erster Linie offensichtlich dies: Sie haben seit der Zeit vor 20 Jahren, in der wir alle Fehler gemacht haben, nichts dazugelernt, während wir etwas dazugelernt haben.
Ganz offenbar hat der Bundesverkehrsminister angesichts so vieler zusätzlicher Autobahnkilometer wenigstens ein schlechtes Gewissen. Deshalb versteckt er ja einen Teil der neuen Autobahnen im Überhang, d. h. in dem Teil des Bedarfsplans, der nicht mehr einer erneuten Bewertung unterzogen wurde, weil es sich dabei um Bauabschnitte handeln sollte, die schon begonnen wurden.
In diesem Überhang versteckt der Bundesverkehrsminister nun die Vorhaben, mit denen überhaupt noch nicht begonnen wurde,
so z. B. die Hochrheinautobahn A 98, die A 96 Wangen-Memmingen und die A 7 von Oy bis zur österreichischen Grenze, um eine neue und erforderliche Diskussion über die Notwendigkeit dieser Autobahnen zu vermeiden. Meine Damen und Herren, das sind Tricks, die einer Bundesregierung unwürdig sein sollten, und zwar vor allem deshalb, weil sich die Bürger damit zu Recht betrogen fühlen.
Im Rahmen der Überprüfung des Bedarfsplans verlangen die Bürger doch zu Recht eine Diskussion aller noch nicht begonnenen Projekte. Wer hier trickst, der darf sich nicht wundern und ist erheblich mitschuldig, wenn die Bürger ihren Glauben in die Politiker verlieren.
Da Sie mich schon darauf ansprechen: Wie hätte ein Bedarfsplan vernünftigerweise verbessert werden können? Zunächst einmal hätte der stärkste Nachteil des Baues neuer Straßen, nämlich die Zerschneidungswirkung, ganz wesentlich ausgeschaltet werden können, wenn dem Ausbau bestehender Straßen konsequent absolute Priorität vor dem Neubau eingeräumt worden wäre: Ausbau der bestehenden B 12 statt Neubau der A 94 zwischen München-Ost und Simbach; Ausbau der bestehenden B 2 statt Neubau der A 95 zwischen Eschenlohe und Garmisch-Partenkirchen; Ausbau der bestehenden B 34 statt Neubau der A 98 zwischen Rheinfelden und der Schweizer Grenze. Auch in diesen Fällen hat Sie das schlechte Gewissen schon eingeholt. Darum tricksen Sie wieder.
Diesmal betreiben Sie Etikettenschwindel: Die A 94 wird umgetauft in B 12 und die A 26 in B 73 (neu). Damit ändern Sie doch nur das Schild, meine Damen und Herren, damit ändern Sie doch nicht die Entwurfsgeschwindigkeit; damit ändern Sie doch nicht die Gradienten. Dadurch wird doch die Zerschneidungswirkung nicht geringer. Notwendig sind der Ausbau der bestehenden Bundesstraßen unter möglichst weitgehender Verwendung der bestehenden Trassen und der Ausbau möglichst kleinräumiger Ortsumgehungen.
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Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Hoff ie?
Nein, jetzt nicht mehr, weil ich mit meiner Redezeit nur knapp hinkomme, Herr Präsident. Ich bitte um Verständnis.Als zweites hätten die Eingriffe in Natur und Landschaft dadurch erheblich gemildert werden müssen, daß die Ausbaustandards ernsthaft überprüft worden wären. Welchen Sinn hat es eigentlich, die A 7 als vierstreifige Autobahn mit dem allerbreitesten Querschnitt bei Füssen an die österreichische Grenze heranzuführen, wenn seit langem feststeht, daß auf der anderen Seite der Grenze eine höchstens zweistreifige Straße den Verkehr aufnehmen kann?
Da fragt der Bürger doch zu Recht, ob statt der vierstreifigen Autobahn nicht geringere Querschnitte für die einzelnen Fahrstreifen oder eine zwei- oder dreistreifige Bundesstraße gereicht hätten. Schließlich kosten die Straßen j a sein Geld. Ebenso hätte die A 96 zwischen Wangen und Memmingen überprüft werden müssen. Auch hier ist der Querschnitt angesichts der neuesten Verkehrsprognosen viel zu groß gewählt.Als drittes, meine Damen und Herren, hätte endlich das Problem des Rückbaus gelöst werden müssen. Was nützen denn die neu zu bauenden Ortsumgehungen, wenn die dadurch entlasteten Ortsdurchfahrten nicht zu verkehrsberuhigten Bereichen zurückgebaut werden?Als nächstes, meine Damen und Herren, hätte das Problem des Beseitigung alter Planungsfehler gelöst werden müssen, etwa dort, wo Autobahnen so durch Wohngebiete geführt werden, daß bei den inzwischen um ein Mehrfaches gestiegenen Verkehrsstärken die Belastung der Anwohner durch Lärm und Abgas unerträglich geworden ist. Auch Zerschneidungen müssen aus städtebaulichen Gründen rückgängig gemacht werden. Da muß es beispielsweise möglich sein, solche Straßen aus Bundesfernstraßenmitteln nachträglich einzutunneln.Außerdem, meine Damen und Herren: Wenn Sie die von Ihnen selbst aufgestellten Grundsätze ernst nehmen würden, dann würden Sie in Ihren allgemeinen Bekenntnissen nicht sagen, dort, wo eine S-Bahn gebaut wurde, dürfen wir nicht mit einer überdimensionierten Straße in Konkurrenz zu ihr treten, um dann aber gleichzeitig, beispielsweise im Rems-Murr-Kreis, eine vierspurige B 14 parallel zu einer vor vier Jahren in Betrieb genommenen S-Bahn zu bauen.
Wenn Sie Ihren Koalitionspartner ernst nehmen würden, dann hätten Sie seine wenigen, aber relativ vernünftigen Änderungsvorschläge aufgegriffen und den Kollegen Hoffie mit seinen Versprechungen, die er in ganz Deutschland abgegeben hat, nicht im Regen stehen lassen. Ich kann auch heutenur noch einmal die Aufforderung an die FDP richten, hier mit uns wenigstens für die wenigen Änderungsmaßnahmen zu stimmen, die auch Sie in Ihren Landesverbänden beschlossen haben.
Herr Kollege Hoffie, hier spielt doch die Musik! Seien Sie in Ihrem Handeln hier so mutig, wie Sie es in Ihren Worten auf dem Dreikönigstreffen in Stuttgart waren. Stimmen Sie hier doch so ab, wie Sie es in Baden-Württemberg beschlossen haben.
— Herr Kollege Jobst, Ihnen möchte ich den Tort nicht antun, Sie an Ihre Versprechungen zu erinnern. Sonst müßten wir gleich über Ravensburg reden.Meine Kollegen von der FDP noch einmal: Stimmen Sie hier doch so ab, wie Sie es in Baden-Württemberg beschlossen haben: daß die A 98 aus dem Bedarfsplan gestrichen und die B 34 dafür ausgebaut wird, und zwar mit einem Sonderquerschnitt 15, wie auch Sie es vorgeschlagen haben. Stimmen Sie mit dafür, meine Kollegen von der FDP, daß die Bürger von Wolfartsweier durch die Aufstufung der Ortsumgehung im Zuge der B 3 von ihrer unerträglichen Verkehrsbelastung entlastet werden, so wie Sie es ebenfalls vorgeschlagen haben. Stimmen Sie mit dafür, daß die B 27, Kirchentellinsfurt bis Tübingen, nur zweispurig geführt und mit der B 297 gebündelt wird, so wie Sie es ursprünglich doch ebenfalls vorgeschlagen haben
und wie es notwendig ist, wenn Sie die Landschaft nicht unnötig kaputtmachen wollen.Meine Damen und Herren, stimmen Sie für unseren Antrag auf Änderung des Gesetzes über den Ausbau der Bundesfernstraßen, der eine getrennte Beschlußfassung über Autobahnen und Bundesfernstraßen vorsieht,
damit klar wird, wo wir der Umwelt wegen auf Autobahnen verzichten und wo wir der Menschen wegen auf Ortsumgehungen bestehen.
Die Alternative dazu, meine Damen und Herren, ist, daß die Sozialdemokraten dem Bedarfsplan für die Bundesfernstraßen nur ein konditioniertes Ja geben können, weil er den umweltpolitischen Erfordernissen nicht ausreichend Rechnung trägt, obgleich er auch wirklich notwendige Ortsumgehungen und andere Straßen enthält, die den Bürgern Entlastung bringen.Ich rufe ins Gedächtnis: Der Bedarfsplan bestimmt nur, daß eine Straße notwendig ist. Er läßt aber die Qualität der Straße noch weitgehend offen. Das bedeutet, daß wir Sozialdemokraten bei Straßen, die wir zwar grundsätzlich für notwendig, aber als falsch geplant ansehen, in den weiteren Planungsstufen noch unsere Vorstellungen durchsetzen werden.
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AntretterDas bedeutet insbesondere, daß wir noch Forderungen zu mehr Umweltfreundlichkeit — Tieflagen, Tunnels, Lärmschutz — verwirklichen werden. Diese Möglichkeit, die Qualität einer Straße noch zu beeinflussen, ist für uns nicht nur eine Möglichkeit, von der wir Gebrauch machen können, sondern eine Verpflichtung, die wir erfüllen müssen und erfüllen werden.
Mit derselben Energie, mit der wir dafür kämpfen werden, daß bei jeder einzelnen notwendigen Straße unsere ökologischen Forderungen durchgesetzt werden, werden wir bei jeder nicht notwendigen Straße und Autobahn weiterhin dafür kämpfen, daß sie überhaupt nicht kommt; denn wir wollen unseren Kindern auch unter dem Aspekt des Straßenbaus ein Erbe übergeben, dessen wir uns nicht zu schämen brauchen.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Die Fraktion der GRÜNEN hat inzwischen einen schriftlichen Antrag auf Vertagung der Abstimmung gestellt. Der Antrag ist nach § 25 Abs. 2 unserer Geschäftsordnung zulässig. Wird zur Begründung des Antrags das Wort gewünscht? — Das Wort hat der Abgeordnete Senfft.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir beantragen die Vertagung der Abstimmung auf die nächste Sitzungswoche, auf den 20. Februar 1986. Ich möchte das kurz begründen.
Wir haben jetzt die allgemeine Aussprache abgeschlossen. Wir sollten nun normalerweise zu einer Einzelberatung mit vier Kurzdebatten mit jeweils fünf Minuten Redezeit für jede Fraktion über die wichtigsten und umstrittensten Projekte kommen. Die Zeit zwischen der Verkehrsausschußsitzung, der Verteilung der Beschlußempfehlung und unserer heutigen Entscheidung ist so kurz, daß es Ihnen kaum mehr möglich sein wird, die zum Teil erst soeben verteilten Drucksachen mit unseren Änderungsanträgén inklusive der Begründung zu prüfen. Deshalb möchte ich Sie fragen — Sie sind nach Art. 38 des Grundgesetzes nur Ihrem Gewissen verantwortlich —: Wie können Sie zu diesem Zeitpunkt eine Entscheidung über 1 900 Projekte treffen, ohne Zeit zu haben, sie zu prüfen, und ohne die Gelegenheit zu haben, unsere Anträge zu prüfen und sich zu erkundigen, ob Sie dem zustimmen können oder nicht zustimmen können?
Ich möchte noch einmal sagen: Für uns ist es nicht, wie Herr Milz gesagt hat, etwa ein Karneval, wenn eine Fraktion einen Antrag stellt und diesen Antrag unserer Meinung nach sachgerecht begründet. Es ist erstens unser Recht und zweitens unsere Aufgabe und Pflicht, das zu tun. Es wäre auch Ihre Pflicht, das zu tun.
Es gibt im übrigen überhaupt keinen Grund, gegen diese Vertagung zu sein, weil es überhaupt keinen Zeitdruck gibt, was die Vorlage angeht. Für den Bedarfsplan und für den Straßenbau ist es völlig unerheblich, ob wir heute abschließend beraten und beschließen oder in drei Wochen. Der Bedarfsplan träte sowieso rückwirkend in Kraft. Es gibt also überhaupt keinen Zeitdruck.
Wir stehen vor der Situation, daß auf Grund des ungeheuren Zeitdrucks noch Änderungsanträge gestellt worden sind, die vorher nicht mehr gedruckt werden konnten. Das ist nicht Schuld der Verwaltung, die auf Grund des Zeitdruckes gezwungen war — das muß man einmal sagen —, diese Anträge in unermüdlicher Nachtarbeit zu drucken und in wirklich menschenunwürdiger Weise zu arbeiten; das muß man einmal sagen. Wir sind also in der Situation, daß es jetzt zum Teil Änderungsanträge gibt, die verlesen werden müssen, und Sie sind in der Situation, daß Sie ad hoc eine Entscheidung treffen müssen. Sie haben nicht die Möglichkeit, das zu prüfen.
Wir schlagen deshalb die Vertagung in der Form vor, am 20. Kurzdebatten zu machen, dann die Einzelabstimmung nach einer eintägigen Beratung — abzüglich der Zeit, die wir jetzt diskutiert haben — vorzunehmen. Es ist doch wohl so, daß Sie der Öffentlichkeit dann deutlich machen könnten, daß das verantwortungsbewußt sei. Ich möchte hier behaupten: Wenn jetzt eine Entscheidung getroffen werden muß, ist jeder Abgeordnete überfordert.
Zum Schluß möchte ich noch einmal zitieren, was der Kollege Hennig vor fünf Jahren hier unter dem Beifall der Abgeordneten ausführte. Er sagte damals — ich zitiere —:
Den Bundestag braucht man nur noch als Alibi, damit alle Straßenbauer fünf Jahre lang behaupten können, sie führten nur das aus, was der Bundestag selber festgelegt habe.
Das Protokoll verzeichnet dann Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und FDP.
Zitat:
Die Rolle, die wir Parlamentarier jetzt übernehmen sollen, ist ganz unangemessen. Wir sollen lediglich einen Unbedenklichkeitsstempel erteilen, einen Persilschein ausstellen. Aus Gründen der Selbstachtung kann ich mich
— so Hennig damals —
an einer solchen demokratischen Garnierung nicht beteiligen.
Ich glaube, dieses Zitat spricht für uns.
Ich möchte Sie bitten, unserem Antrag auf Vertagung zuzustimmen, damit wir diese Beratung und die Schlußabstimmung auch der Würde des Parlaments entsprechend am 20. Februar zu Ende bzw. durchführen können.
Meine Damen und Herren, der Antrag ist begründet. Weitere Wortmeldungen dazu liegen nicht vor.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 194. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Januar 1986 14557
Präsident Dr. JenningerIch lasse über den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Vertagung der Sitzung abstimmen. Wer für den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN ist, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Der Antrag ist abgelehnt.Wir kommen nun zur Einzelberatung und Abstimmung über den gesamten Punkt 2 der Tagesordnung.Ich rufe zunächst den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/4757 auf. Mit diesem Antrag soll der Gesetzentwurf in zwei Gesetzentwürfe aufgeteilt werden. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Änderungsantrag ist abgelehnt.Ich rufe nun Art. 1 und 2 in der Ausschußfassung auf. Hierzu liegen Änderungsanträge der FraktiOn der SPD und der Fraktion DIE GRÜNEN vor. Zu diesen Änderungsanträgen ist gemäß § 52 unserer Geschäftsordnung namentliche Abstimmung verlangt worden, teils von der Fraktion DIE GRÜNEN, teils von anderen Fraktionen.Wir kommen zuerst zur namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/4739. Das Verfahren ist Ihnen bekannt. Ich eröffne die namentliche Abstimmung. —Meine Damen und Herren, ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? — Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung.Ich bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. —Ich darf das Ergebnis der namentlichen Abstimmung bekanntgeben. Von den vollstimmberechtigten Mitgliedern des Hauses haben 436 ihre Stimme abgegeben. Davon ungültige Stimmen: keine. Mit Ja haben 163 gestimmt. Mit Nein haben 271 gestimmt. Enthalten haben sich 2. Von den Berliner Abgeordneten haben 19 ihre Stimme abgegeben. Davon ungültige Stimmen: keine. Mit Ja haben 8, mit Nein haben 11 gestimmt.Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen 434 und 20 Berliner Abgeordnete; davonja: 163 und 8 Berliner Abgeordnetenein: 269 und 12 Berliner Abgeordneteenthalten: 2JaSPDAmlingAntretter Dr. Apel Bachmaier BahrBambergBecker
Bernrath Berschkeit BindigFrau Blunck BrandtBrück Buckpesch Büchler Dr. von Bülow Buschfort CatenhusenConradiDr. CorterierCurdtFrau Dr. Däubler-Gmelin DaubertshäuserDelormeDuveDr. Ehmke
Dr. Ehrenberg EickmeyerDr. EmmerlichDr. EndersEsters Ewen FiebigFischer Fischer (Osthofen) Franke (Hannover)Frau Fuchs
Frau Fuchs GanselGilges GlombigGrunenbergDr. HaackHaarHaase
HaehserHansen Frau Dr. Hartenstein Dr. HauchlerHauck HeistermannHerterichHettlingHeyennHiller
Dr. HoltzHorn HuonkerImmer Jahn (Marburg)Jansen Dr. JensJung JungmannKastningKiehm KirschnerKisslingerKlein
Dr. Klejdzinski KretkowskiDr. KüblerKuhlweinLambinusLennartzLeonhartFrau Dr. Lepsius LiedtkeLohmann
LutzFrau Dr. Martiny-Glotz Frau Matthäus-Maier MatthöferMeininghausMenzelDr. Mertens Müller (Schweinfurt) Dr. Müller-Emmert MünteferingNagel Nehm Dr. NöbelFrau Odendahl OostergeteloPaternaPauliDr. PennerPfuhl Purps RankerRapp
Rappe
ReimannFrau Renger ReschkeReuterRohde
RothSanderSchäfer
SchanzDr. Scheer SchlagaSchlatterSchluckebier Frau Schmedt
Dr. Schmidt
Frau Schmidt Schmidt (Wattenscheid) Schmitt (Wiesbaden)Dr. Schmude Dr. SchöfbergerSchreinerSchröder
Schulte
Dr. Schwenk
SielaffFrau Dr. Skarpelis-SperkDr. Sperling Dr. SpöriStahl
SteinerFrau SteinhauerStieglerStockleben Dr. Struck Frau Terborg TietjenFrau Dr. TimmToetemeyer Frau Traupe UrbaniakVahlbergVogelsangVoigt
VosenWaltherWeinhoferWeisskirchen
Dr. Wernitz WestphalFrau Weyel Wieczorek
Wiefelvon der WiescheWimmer WischnewskiWitekDr. de With Wolfram
WürtzZeitlerFrau ZuttBerliner AbgeordneteDr. Diederich
EgertHeimann LöfflerFrau LuukStobbeDr. Vogel Wartenberg
NeinCDU/CSUDr. Abelein Frau Augustin
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14558 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 194. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Januar 1986
Präsident Dr. Jenninger AustermannDr. Barzel BayhaDr. Becker BergerDr. Berners BiehleDr. Blank Dr. Blens Dr. Blüm Böhm
BohlBohlsen Borchert BraunBrollBrunnerBühler
Dr. BuglCarstens Carstensen (Nordstrand) ClemensDr. Czaja Dr. DanielsDawekeFrau DempwolfDeresDörflinger Dr. DollingerDossDr. DreggerEchternachEhrbarEigenEngelsbergerErhard
Eylmann
Dr. FaltlhauserFellnerFrau FischerFischer Francke (Hamburg)Dr. FriedmannFunkGanz
Frau GeigerDr. von GeldernGerlach GersteinGerster
Dr. GöhnerDr. Götz GötzerGünther Dr. Häfelevon HammersteinHanz
HaungsHauser HedrichFrau Dr. Hellwig HelmrichDr. HennigHerkenrathHinrichs Hinsken Höffkes Höpfinger Dr. HoffackerFrau Hoffmann Dr. HornhuesFrau HürlandDr. Hüsch Dr. Hupka Graf HuynJäger
JagodaDr. Jahn
Dr. JenningerDr. JobstJung
Dr.-Ing. KansyFrau KarwatzkiKellerKlein
Dr. Köhler KolbKrausKreyFrau Krone-AppuhnDr. KronenbergDr. Kunz
Dr. LammertLandréDr. Langner Lattmann Dr. Laufs Lemmrich LenzerLink
Link LinsmeierDr. Lippold LöherLohmann LouvenLowackMaaßMaginMarschewskiMetzDr. Meyer zu Bentrup MichelsDr. Mikat Dr. Miltner MilzDr. MöllerMüller Müller (Wadern)Müller
NelleFrau Dr. Neumeister NiegelDr.-Ing. OldenstädtDr. Olderog PeschPfeffermannPfeiferDr. Pinger PöpplPohlmannDr. PohlmeierDr. Probst RaweReddemann RepnikDr. Riedl
Dr. RiesenhuberRode
Frau RönschFrau Roitzsch
Dr. Rose Rossmanith Roth
RüheRufSauer
Sauer
SaurinSauter Sauter (Ichenhausen) Dr. Schäuble ScharrenbroichSchartz Schemken ScheuSchlottmann SchmidbauerSchmitz von SchmudeSchneider
Freiherr von Schorlemer SchreiberDr. Schroeder SchulhoffDr. Schulte
Schultz (Wörrstadt) Schwarz
Dr. Schwarz-Schilling Dr. SchwörerSeehofer SeesingSeitersSpilkerSpranger Dr. SprungDr. Stark Dr. StavenhagenDr. SterckenStockhausenDr. Stoltenberg Stommel StrubeStücklen StutzerSussetTillmann UldallDr. UnlandFrau VerhülsdonkVogt
Dr. Voigt
Dr. VossDr. WaffenschmidtDr. WaigelGraf von Waldburg-Zeil Dr. WarnkeDr. WarrikoffDr. von Wartenberg WeirichWeißWerner
Frau Will-FeldFrau Dr. WilmsWilzWimmer WindelenFrau Dr. Wisniewski WissmannDr. WittmannWittmann Dr. WörnerWürzbach Dr. Wulff ZiererZinkBerliner AbgeordneteFrau Berger BoroffkaDolataFeilckeKalischKittelmannDr. h. c. LorenzDr. Pfennig Schulze StraßmeirFDPBaum BeckmannBredehornCronenberg Eimer (Fürth) EngelhardDr. Feldmann Gattermann Genscher Grünbeck GrünerDr. HaussmannDr. Hirsch HoffieKleinert KohnDr.-Ing. Laermann Mischnick Möllemann Neuhausen PaintnerRonneburgerSchäfer
Frau Dr. SegallDr. SolmsDr. Weng Wolfgramm (Göttingen)Berliner Abgeordneter HoppeDIE GRÜNENAuhagenFrau BorgmannBuebFrau DannFrau Eid Frau HönesFrau KellyLangeMannDr. Müller RuscheDr. SchierholzSchilySchulte SenfftSuhrTatgeTischerVogel VolmerFrau WagnerWerner Werner (Westerland) Frau ZeitlerBerliner Abgeordneter StröbeleEnthaltenDIE GRÜNENFischer
fraktionslos BastianDamit ist der Antrag abgelehnt.Meine Damen und Herren, wegen technischer Probleme haben die Geschäftsführer vereinbart, daß wir die weitere Beratung über die Änderungs-
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 194. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Januar 1986 14559
Präsident Dr. Jenningerantrage kurzfristig unterbrechen und dazwischen den Tagesordnungspunkt 3 a sowie den Zusatztagesordnungspunkt 2 aufrufen. Sind Sie damit einverstanden, daß wir so verfahren? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch; dann ist so beschlossen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 a auf:Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und FDPGremium zur Genehmigung der Wirtschaftspläne der Nachrichtendienste— Drucksache 10/4726 —sowie den Zusatzpunkt 2:Beratung des Antrags der Fraktion der SPDGremium zur Genehmigung der Wirtschaftspläne der Nachrichtendienste— Drucksache 10/4742 —Meine Damen und Herren, im Ältestenrat sind eine verbundene Aussprache und ein Beitrag bis zu fünf Minuten für jede Fraktion vereinbart. — Ich sehe keinen Widerspruch; dann ist so beschlossen.Wird das Wort zur Begründung gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Bohl.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Seit 1984 sehen die Haushaltsgesetze vor, daß die Wirtschaftspläne der Nachrichtendienste durch ein besonderes Gremium geprüft und genehmigt werden, dessen bis zu fünf Mitglieder vom Parlament aus der Mitte des Haushaltsausschusses des Bundestages gewählt werden. Zur Wahl ist die Mehrheit der Stimmen der Mitglieder des Bundestages erforderlich. Der Einsetzung dieses Gremiums dienen unser Antrag auf Drucksache 10/4726 und unser Wahlvorschlag auf Drucksache 10/4727.
Meine Damen und Herren, das Bundesverfassungsgericht hat diese praktizierte Regelung Mitte Januar in einer vielbeachteten Entscheidung ausdrücklich gebilligt.
Das Bundesverfassungsgericht hat festgestellt, daß der von uns im Haushaltsgesetz mit der Einsetzung des Gremiums vorgesehene Weg sowohl dem Budgetrecht des Parlaments und den Mitwirkungsrechten der Minderheit einerseits als auch den legitimen Sicherheitsbedenken und -interessen der Bundesregierung auf der anderen Seite in verfassungsrechtlich einwandfreier Weise gebührend Rechnung trägt.
Die Zahl der Mitglieder des Gremiums ist so gewählt, daß keine Oppositionsfraktion von vornherein ohne Chance ist, einen Vertreter in dieses Gremium zu entsenden. Aber auch dann — —
Meine Damen und Herren, ich bitte um Aufmerksamkeit für den Redner. Die Kolleginnen und Kollegen, die nicht zuhören wollen, können den Plenarsaal verlassen, die anderen bitte ich, Platz zu nehmen.
Aber auch wenn nicht beide Oppositionsfraktionen bei der Wahl der Mitglieder zum Zuge kommen, so bleibt die Regelung dennoch verfassungskonform. Der Schutz der Minderheit bedeutet nur das Verbot des Ausschlusses der Opposition schlechthin und allgemein, er bedeutet aber kein Gebot, jede parlamentarische Gruppierung — sei sie auch noch so klein — an jedem Gremium zu beteiligen.
Das Bundesverfassungsgericht hat dazu festgestellt, daß der Schutz der parlamentarischen Minderheit nicht dahin geht, die Minderheit vor Sachentscheidungen der Mehrheit zu bewahren. Unsere Fraktion ist dem höchsten deutschen Gericht für diese eindeutige Klarstellung besonders dankbar. Dieses Grundelement der parlamentarischen Demokratie droht in letzter Zeit zunehmend mehr in Frage gestellt zu werden. Mit der eben zitierten klaren Aussage wird die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts deshalb auch über den konkreten Anlaß hinaus grundsätzliche Bedeutung haben.
Es ist keine mißbräuchliche Verfahrensweise, wenn in diesem sensiblen Bereich nur Abgeordnete gewählt werden können, die persönlich das Vertrauen der Mehrheit des Bundestages genießen. Dadurch wird sichergestellt, daß sowohl die fachliche Kompetenz wie die Verschwiegenheit der Gewählten zur Überzeugung der Mehrheit feststehen. Am Vorliegen dieser persönlichen Voraussetzungen haben wir bei den bisherigen Kandidaten der GRÜNEN für dieses Gremium immer gezweifelt.
Herr Abgeordneter Bohl, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Mann?
Eine Sekunde, Herr Präsident, dann gerne.
Die Erklärungen des Abgeordneten Kleinert von den GRÜNEN nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zu dieser Entscheidung haben nach Wortwahl, Inhalt und seiner dabei offen zutage getretenen Einstellung zum obersten deutschen Gericht diese Zweifel nicht zerstreut.
Bitte schön.
Bitte sehr, Herr Abgeordneter Mann.
Herr Kollege Bohl, können Sie bestätigen, daß zwei Richter des Bundesverfassungsgerichtes die von Ihnen im wesentlichen Inhalt vorgetragene Entscheidung nicht tragen, daß der Verfassungsrichter Böckenförde in seinem Minderheitenvotum ausgeführt hat, jeder Abgeordnete müsse dasselbe Recht haben, bei den Verhandlungen und Entscheidungen des Bundestages mitzuwirken, wovon nur aus zwingenden Gründen abge-
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14560 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 194. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Januar 1986
Mannwichen werden könne. Nach Auffassung dieses Verfassungsrichters sei das in dem für uns heute bedeutenden Fall nicht gegeben. Können Sie das bestätigen, Herr Kollege Bohl?
Ich kann Ihnen dies bestätigen und kann Ihnen gleichzeitig bestätigen, daß das Urteil mit 6 :2 Stimmen ergangen ist. Sie als Jurist sollten wissen, daß der Spruch des Bundesverfassungsgerichtes zählt und trägt. Deshalb sollten Sie diese kleinlichen Nachhakereien und Unverschämtheiten, die Sie sich ansonsten gegenüber dem höchsten deutschen Gericht erlauben, in Zukunft wirklich sein lassen.
Dem Antrag der SPD, die Mitgliederzahl des Gremiums auf sieben zu erweitern und die Vertreter der Fraktionen im Verhältnis 3 :2 : 1 : 1 zu entsenden, können wir aus den genannten Gründen nicht folgen. Wir wollen an dem kleineren Fünfergremium aus Geheimhaltungsgründen unverändert festhalten.
Das Bundesverfassungsgericht hat dazu festgestellt, daß es in sachlich begründeten Fällen durchaus zulässig ist, für Gremien eine Mitgliederzahl vorzuschreiben, nach der bei Anwendung der üblichen Regeln für die Sitzverteilung eine Berücksichtigung aller parlamentarischen Gruppierungen nicht möglich ist. Wenn Gremien nur so gebildet werden dürften, daß alle Gruppen vertreten sind, wären bei einem Vielparteienparlament kleine Gremien ganz unmöglich.
Aus diesen Gründen bitten wir, den Antrag der SPD abzulehnen, unserem Antrag zuzustimmen und auch unserem Wahlvorschlag zu folgen.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kühbacher.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich bestätige noch einmal ausdrücklich die Auffassung der Sozialdemokratischen Partei, die auch schon von meinem Kollegen Emmerlich anläßlich der Diskussion über die Zusammensetzung der PKK vorgetragen worden ist, daß keine der im Bundestag vertretenen Fraktionen von der Kontrolle der Regierung — in diesem Fall der Dienste — ausgeschlossen sein dürfe.
Deshalb liegt ein entsprechender Antrag von uns vor. Ich sage es einmal ein wenig scherzhaft: Wenn der Deutsche Bundestag mit einer Siebenergruppe ins Ausland fährt, dann ist es selbstverständliche Übung, daß bei dieser Auslandsreise die Aufteilung nach dem Schlüssel 3:2:1:1 erfolgt. Die Mehrheit hier im Hause nimmt die GRÜNEN also durchaus mit ins Ausland, aber wenn es darum geht, daß die GRÜNEN die Regierung kontrollieren sollen, dann
sollen sie offensichtlich außen vor bleiben. Das entnehme ich jedenfalls Ihrer Formulierung des Antrags, daß das Gremium zur Kontrolle der Geheimdienste nur bis zu fünf Personen enthalten soll.
Da ich nun davon ausgehe, daß die GRÜNEN anschließend auf ihr Anerbieten zurückkommen, daß die Sozialdemokraten bei der Kontrolle eines bis zu fünf Personen starken Gemiums auf einen ihrer Bewerber zu Ihren Gunsten, Herr Kollege Müller, verzichten sollen, möchte ich Ihnen folgendes entgegenhalten: Die Formulierung der Mehrheit hier im Hause — das ist ja abzusehen — ist trickreich. Dort heißt es: bis zu fünf. Das heißt, Herr Kollege Müller, sie unterstreichen zwar Ihren Anspruch, wissen aber sehr genau, daß die Entscheidung nachher wahrscheinlich so aussehen wird, daß die Stimmenzahl, die auf den Abgeordneten Müller von den GRÜNEN entfallen wird, sehr gering ist. Beim besten Willen, Sie können der Sozialdemokratischen Partei vieles zumuten; aber daß wir auf unsere Kontrollrechte verzichten, um dann beispielsweise zu sehen, daß nur vier Personen die Regierung oder die Dienste kontrollieren, kann man uns nicht zumuten.
Deshalb lautet unser Personalvorschlag, bei fünf Personen zwei Sozialdemokraten in dieses Gremium zu entsenden.
Insgesamt meinen wir, mit sieben kann man besser kontrollieren. Deshalb unterstütze ich unseren Antrag.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Müller.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Natürlich, Herr Kühbacher, wollen wir nicht, daß Sie verzichten. Wir wollen auch, daß dieses Gremium so groß wird, wie es sein muß, damit auch die GRÜNEN darin vertreten sein können. Nur, die CDU/CSU praktiziert diesen Verzicht im Blick auf die FDP. Das ist eindeutig der Fall. Man muß dann das Minderheitenrecht, für das man streitet, und das eigene Interesse abwägen. Das ist natürlich Ihre Sache und nicht die unsere.Den Antrag der sozialdemokratischen Fraktion, das Gremium zur Genehmigung der Wirtschaftspläne der Nachrichtendienste zu erweitern und damit auch die GRÜNEN an der Haushaltskontrolle der Geheimdienste zu beteiligen, findet sonst unsere volle Zustimmung.Es geht hier wirklich um die Frage der Minderheitenrechte. Zu einer Demokratie — natürlich insbesondere hier im Bundestag — gehört es auch, daß das Prinzip Öffentlichkeit und das Prinzip des Minderheitenschutzes genauso wie das Recht der Opposition und des Parlamentes, die Haushalte der Regierung zu kontrollieren, gewahrt bleiben. Es geht um die Frage der Öffentlichkeit — dies ist die eine entscheidende Frage —, auch wenn sie nur so begrenzt ist, daß eine Minderheit in dem PKK-Gre-
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 194. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Januar 1986 14561
Dr. Müller
mium vertreten ist, und es geht um die Frage der Kontrolle der Regierung.Diktaturen zeichnen sich doch gerade dadurch aus, daß das Prinzip der Öffentlichkeit verletzt wird und insbesondere auch das Prinzip des Minderheitenschutzes verletzt wird. Dies ist bedauerlicherweise auch durch die Entscheidung des Karlsruher Gerichtes in Gang gesetzt worden. Was hier im Bundestag mit der Karlsruher Entscheidung einreißt, ist, daß die Regierungsparteien und damit die Mehrheitsparteien die Entscheidung darüber fällen können, welcher Teil der Opposition ihnen für die Kontrolle der Regierung genehm ist und welcher nicht. Das halten wir wahrlich für einen Skandal.
Das bedeutet doch, daß eine Möglichkeit der wirklichen parlamentarischen Kontrolle in diesem Hause völlig von der Art und Weise abhängig geworden ist, wie die Regierungsparteien die Opposition jeweils einschätzen. Daß das nicht immer eine optimistische Einschätzung sein wird und sein soll, ist doch klar. Insofern ist hier eindeutig der Willkür Tür und Tor geöffnet worden.Dies wiegt insbesondere dort schwer, wo es um die Kontrolle der Geheimdienste geht. Denn eines ist doch klar: Wer diese Kontrolle der Opposition entzieht, der hat eindeutig etwas zu verbergen.Meine Damen und Herren von den Regierungsparteien, wer die demokratischen Rechte von Minderheiten in dieser Republik und woanders weiterhin glaubhaft vertreten will, der kann hier nicht dagegen sein, daß auch die kleinste Oppositionspartei in dem Gremium vertreten ist.Sie haben auch etwas zu verbergen. Erst kürzlich ist doch versucht worden — und es ist auch so gehandelt worden —, sich mit Hilfe der Geheimdienste gegen die Opposition argumentativ zu munitionieren. Da war Ihnen das recht; auch unser Datenschutz war Ihnen völlig gleichgültig. Da haben Sie mit Hilfe des Geheimdienstes nach Daten gefragt; da war von Rechtsstaatlichkeit überhaupt nicht mehr die Rede.Ich habe auch den Eindruck, daß Sie in Wirklichkeit auch noch einen Rest von absolutistischer Konspiration schützen wollen.
Angesichts von Spionagesatelliten und Trunkenbolden in den Geheimdiensten ist doch gar nichts mehr übriggeblieben, was noch Geheimnis sein könnte.
Es ist doch noch gar nicht so lange her, meine Damen und Herren von der Regierungspartei und der Regierung, daß Sie sich größte Sorge gemacht haben, ob Sie am nächsten Morgen noch Ihre Sekretärin vorfinden würden. Hier kann es doch gar nicht mehr darum gehen, Geheimdienste in einer Art und Weise, wie es damals vielleicht im Sinne der Außenpolitik üblich war, zu benutzen.Insofern scheint sich unser Verdacht zu bestätigen, daß das, was Sie hier ausschließen wollen, nichts anderes ist als unser Recht auf die Haushaltskontrolle, auf die Einsicht in das, was mit unseren Steuergeldern geschieht. Damit verletzen Sie mit Ihrem Petitum unter Berufung auf das Karlsruher Urteil vehement Minderheitenrechte in diesem Bundestag.
Das halte ich für so skandalös, daß Sie ab sofort es seinlassen sollten, ausgerechnet uns als Minderheit auf Rechtsstaatlichkeit hinzuweisen.Danke schön.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Weng.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Koalitionsfraktionen stellen auf Drucksache 10/4726 den Antrag, erneut das Gremium zur Genehmigung der Wirtschaftspläne der Nachrichtendienste derart einzusetzen, wie es in den letzten zwei Jahren der Fall war. Da sich diese Regelung bewährt hat, sieht meine Fraktion im Augenblick keinen Grund zu einer Änderung. Deshalb werden wir den Antrag der SPD-Fraktion auf Vergrößerung dieses Gremiums ablehnen.Die rechtliche Frage hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 14. Januar des Jahres eindeutig geklärt. Ich zitiere Punkt 9 dieses Urteils:Jedenfalls aus zwingenden Gründen des Geheimschutzes kann es verfassungsmäßig hinzunehmen sein, daß einzelne Fraktionen bei der Besetzung des Ausschusses unberücksichtigt bleiben.Meine Damen und Herren, wir hatten mit diesem Urteilsspruch des Verfassungsgerichts gerechnet, aber ihn dennoch mit Spannung erwartet. Was uns dennoch überrascht hat, ist die Reaktion der Opposition in diesem Haus. Man beschimpft das Verfassungsgericht und zieht die abweichenden Richtermeinungen als Kronzeugen der eigenen Auffassung heran. Ich frage die Opposition: Was wäre denn gewesen, wenn das Verfassungsgericht mit gleichem Stimmenverhältnis Ihrer Klage stattgegeben hätte? Ich bin sicher, die abweichenden Richterstimmen hätten dann nicht den Hauch der Erwähnung von Ihrer Seite gefunden.
Dies kennzeichnet Ihr Verhalten: eine Mischung aus reiner Polemik und fehlendem Rechtsstaatsverständnis.
Meine Damen und Herren, in einem Gremium von fünf Mitgliedern sind die kleinen Fraktionen nach dem gängigen Auszählungsverfahren nicht vertreten. Deswegen ist meine Fraktion der Fraktion der CDU/CSU dankbar, daß sie nur zwei Kandi-
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14562 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 194. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Januar 1986
Dr. Weng
daten vorschlägt, obwohl ihr rechnerisch drei Plätze in den Gremium zustehen würden, und damit ihrem kleineren Koalitionspartner die Chance einräumt, mit eigenem Kandidaten erfolgreich zu sein.Zu einem vergleichbaren Entgegenkommen für ihre GRÜNEN-Freunde ist die Fraktion der SPD nicht bereit. Dies ist kennzeichnend für ihre zwiespältige Haltung: Trotz Koalition in Hessen und trotz Koalition in der Opposition hier im Deutschen Bundestag will man auf eigene Ansprüche natürlich nicht verzichten.
Herr Abgeordneter Weng, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schily?
Nein, Herr Präsident, die Damen und Herren von den GRÜNEN nutzen hier die Möglichkeiten, die ihnen die Geschäftsordnung zur Selbstdarstellung läßt, in einem solchen Maße, daß ich dazu nicht noch einen Beitrag leisten will.
Herr Abgeordneter, gilt dies auch für eine Zwischenfrage des Abgeordneten Mann?
Herr Präsident, ich werde keine Zwischenfragen von Abgeordneten der GRÜNEN zulassen.
Meine Damen und Herren, trotz Koalition in Hessen und trotz Koalition in der Opposition hier im Deutschen Bundestag will die Fraktion der Sozialdemokraten also nicht auf eigene Ansprüche verzichten. Ich bin sicher, daß sich in den kommenden Jahren zahlreiche Gelegenheiten ergeben werden, bei denen die SPD — wie übrigens auch in der Vergangenheit — Minderheitenrechte dort fordert, wo es wohlfeil ist, und sich über solche Rechte dort brutal hinwegsetzt, wo es in ihrem Machtinteresse liegt.
Meine Damen und Herren, nach den vorliegenden Wahlvorschlägen hat der Deutsche Bundestag von sechs vorgeschlagenen Mitgliedern des Haushaltsausschusses fünf zu wählen. Ich bin sicher, daß die erfahrensten und die fachlich qualifiziertesten Kollegen gewählt werden, was dann auch die Gewähr dafür bieten wird — und dies ist unabhängig von der Zugehörigkeit zu bestimmten Fraktionen —, daß den Belangen des Geheimschutzes im erforderlichen Maß Rechnung getragen wird.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Antrag der Fraktionen von CDU/CSU und FDP auf Drucksache 10/4726 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Der Antrag ist bei 1 Enthaltung mit Mehrheit angenommen.Meine Damen und Herren, kann ich davon ausgehen, daß sich nach Annahme des Antrages auf Drucksache 10/4726 eine Abstimmung über den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/4742 erübrigt?
— Ich sehe und höre keinen Widerspruch; dann ist so beschlossen.Meine Damen und Herren, es ist angeregt worden, auch noch Punkt 3 b der Tagesordnung, der die Wahl der Mitglieder des Gremiums zur Genehmigung der Wirtschaftspläne der Nachrichtendienste betrifft, abzuhandeln. Erheben sich dagegen Einwände? — Das ist nicht der Fall.Dann rufe ich Punkt 3 b der Tagesordnung auf:Wahl der Mitglieder des Gremiums zur Genehmigung der Wirtschaftspläne der Nachrichtendienste— Drucksachen 10/4727, 10/4743, 10/4759 —Die Fraktionen von CDU/CSU und FDP schlagen auf Drucksache 10/4727 die Abgeordneten Carstens , Dr. Riedl (München) und Hoppe vor. Die Fraktion der SPD benennt auf Drucksache 10/4743 die Abgeordneten Walther und Kühbacher. Von der Fraktion DIE GRÜNEN wird auf Drucksache 10/ 4759 der Abgeordnete Dr. Müller (Bremen) vorgeschlagen.Ich bitte Sie nun kurz um Aufmerksamkeit für einige Hinweise zum Wahlverfahren. Nach dem soeben zu Tagesordnungspunkt 3 a gefaßten Beschluß ist ein Gremium einzusetzen, das aus bis zu fünf Mitgliedern besteht. Die Mitglieder müssen dem Haushaltsausschuß des Deutschen Bundestages angehören. Ich stelle fest, daß die vorgeschlagenen Abgeordneten dem Haushaltsausschuß angehören.Nach § 4 Abs. 9 des Haushaltsgesetzes 1986 in Verbindung mit § 4 Abs. 3 des Gesetzes über die parlamentarische Kontrolle nachrichtendienstlicher Tätigkeit des Bundes ist gewählt, wer die Stimmen der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages auf sich vereint, d. h. mindestens 261 Stimmen erhält.Auf Ihren Pulten befinden sich ein Wahlausweis und ein Stimmzettel mit den Namen der vorgeschlagenen Abgeordneten. Sie können auf dem Stimmzettel höchstens fünf Namensvorschläge ankreuzen. Ungültig sind Stimmzettel, die mehr als fünf Kreuze, andere Namen oder Zusätze enthalten. Wer sich der Stimme enthalten will, macht keine Eintragung auf dem Stimmzettel.Da eine geheime Wahl nicht vorgeschrieben ist, können Sie die Stimmzettel an Ihren Pulten ankreuzen. Bevor Sie die Stimmzettel in eine der aufgestellten Wahlurnen geben, müssen Sie den Wahlausweis dem Schriftführer an der Wahlurne übergeben.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 194. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Januar 1986 14563
Präsident Dr. JenningerIch bitte jetzt die Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. — Haben alle Schriftführer ihre Plätze eingenommen? — Das ist der Fall.Ich eröffne die Wahl und bitte, die Stimmzettel anzukreuzen und sie anschließend nach Übergabe des Wahlausweises an den Schriftführer in eine der aufgestellten Wahlurnen zu geben. —Meine Damen und Herren, ist noch jemand im Saal, der seine Stimme nicht abgegeben hat? — Ich bitte die Damen und Herren Schriftführer, sich für die nächste Abstimmung bereitzuhalten. — Sind jetzt alle Stimmkarten abgegeben? — Ich schließe die Abstimmung und bitte, mit der Auszählung zu beginnen.Die Auszählung wird etwa 45 Minuten in Anspruch nehmen. Sind Sie damit einverstanden, daß wir in der Tagesordnung fortfahren, bis das Wahlergebnis vorliegt? — Ich sehe, das ist der Fall.Meine Damen und Herren, es ist leider so, daß die technischen Vorkehrungen für die Abstimmung über den Tagesordnungspunkt 2 immer noch nicht so sind, daß wir die Abstimmung durchführen können. Sie wird gegen 13 Uhr stattfinden können. Das heißt, bis dahin haben wir alle Änderungsanträge, die inzwischen eingegangen sind, verteilt. Deswegen schlagen die Parlamentarischen Geschäftsführer Ihnen vor, noch den Tagesordnungspunkt 4 aufzurufen. Sind Sie damit einverstanden? — Ich sehe keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.Ich rufe dann den Tagesordnungspunkt 4 auf:Beratung der Großen Anfrage der Fraktion DIE GRÜNEN Berufsverbote in der Bundesrepublik Deutschland— Drucksachen 10/2207, 10/3656 —Hierzu liegen Entschließungsanträge der Abgeordneten Ströbele, Mann, Frau Dann und der Fraktion DIE GRÜNEN sowie der Fraktion der SPD auf den Drucksachen 10/4753 und 10/4758 vor.Meine Damen und Herren, im Ältestenrat ist für die Aussprache ein Beitrag bis zu zehn Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. — Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Herr Abgeordneter Ströbele.
— Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, entweder Platz zu nehmen oder den Plenarsaal zu verlassen. Dies gilt für alle Abgeordneten. — Herr Abgeordneter Ströbele, die Zeit, die Sie jetzt durch Warten verlieren, wird Ihnen nicht auf Ihre Redezeit angerechnet. — Ich bitte, Platz zu nehmen.
— Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, Platz zu nehmen. Ich werde mit der Beratung so lange nicht fortfahren, bis meinen Anweisungen Folge geleistet ist.
Das gilt auch für Parlamentarische Geschäftsführer. —
Ich bitte die Damen und Herren, Platz zu nehmen. Herr Abgeordneter Schwörer, Herr Abgeordneter Kansy, bitte, nehmen Sie Platz.Das Wort hat der Abgeordnete Ströbele.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe vom Berufsverbot Betroffene auf der Zuschauertribüne, aber auch hier unten im Saal!
14 Jahre ist es her, seit der Radikalenerlaß beschlossen wurde, seit Regelanfrage und Berufsverbote in der Bundesrepublik Deutschland praktiziert werden.
Wir haben hier bei der Bundesregierung eine Große Anfrage eingebracht, um von ihr die Umstände und das Ausmaß sowie die unterschiedlichen Auffassungen zu Berufsverboten zu erfragen.Die Antwort der Bundesregierung auf unsere Große Anfrage war zunächst: Berufsverbote — das gibt es gar nicht. Was nicht sein kann, soll auch nicht sein dürfen. Dabei wissen die vielen Tausende, die von Regelanfragen und Berufsverbot betroffen sind,
daß es das sehr wohl gibt.
Dabei wissen diese Tausende, Zehntausende, die in den letzten 14 Jahren davon betroffen sind, daß sie in dem erwählten Beruf in der Bundesrepublik Deutschland gar nicht arbeiten konnten, sei es, daß sie für den Referendardienst oder für eine sonstige Ausbildung gar nicht zugelassen wurden, sei es, daß sie ihren Beruf nicht ausüben durften, z. B. den Beruf eines Briefträgers, eines Lokomotivführers oder eines Lehrers. Das Wort „Berufsverbot" ist zu einem der wenigen Wörter der deutschen Sprache geworden, die man auch im Ausland benutzt, die aus der deutschen Sprache in den ausländischen Sprachgebrauch übergegangen sind, neben „Bunker" oder „Volkswagen". Zuletzt hat die ILO, die International Labour Organization, am 25. Februar 1985 festgestellt und ausdrücklich kritisiert, daß es in der Bundesrepublik Deutschland Berufsverbote gibt. Inzwischen haben aber selbst Vorreiter des Radikalenerlasses wie der SPD-Vorsitzende Willy Brandt eingesehen, daß dieser Radikalenerlaß ein schwerer politischer Fehler gewesen ist.Bundesländer wenden sich von dieser Praxis ab; einige ganz audrücklich, einige inzidenter, ohne es ausdrücklich zu sagen. Das Saarland hat erst kürzlich, ganz explizit, den Radikalenerlaß aufgehoben.
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14564 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 194. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Januar 1986
StröbeleWir wollten von der Bundesregierung wissen, wie es zu dieser unterschiedlichen Praxis kommt und was sie zu tun gedenkt. Wir wollten von der Bundesregierung wissen, wie sie sich erklärt, daß selbst Obergerichte in der Bundesrepublik unterschiedliche Auffassungen zu Umfang, Art und Gründen des Berufsverbots vertreten. So wollten wir insbesondere wissen, warum das Bundesdisziplinargericht und das Bundesarbeitsgericht auf der einen Seite gegen die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auf der anderen Seite Stellung nehmen und sich davon absetzen. Eine Antwort dazu ist die Bundesregierung schuldig geblieben.Wir verkennen nicht, daß das Berufsverbot, also der Radikalenerlaß und die Regelanfrage, in der Bundesrepublik Deutschland in den letzten Jahren immer weniger angewandt worden ist. Wir meinen, im Zeichen der Arbeitslosigkeit in allen Bereichen können die Informationen des Verfassungsschutzes über einzelne Bürger auch anders umgesetzt werden — mit demselben Ergebnis, daß nämlich Bewerber von den Berufen, die nur im öffentlichen Dienst ausgeübt werden können, ferngehalten werden können. Wir verkennen auch nicht, daß Regelanfrage und Berufsverbot derzeit eigentlich nur noch ausschließlich Mitglieder und Funktionäre, Funktionsträger der DKP oder Organisationen treffen, die der Verfassungsschutz zu diesem Spektrum der DKP rechnet.Wir, die GRÜNEN und die Alternative Liste, haben Probleme mit der Politik der DKP und haben mit ihr heftige politische Differenzen. Aber wir haben nicht nur mit der DKP diese Differenzen. Sie wissen wahrscheinlich, daß meine Freunde von der Alternativen Liste in Berlin nicht in die DDR hereingelassen werden, d. h. wir haben auch Differenzen mit den Freunden der DKP in der DDR. Aber das alles kann uns nicht davon abhalten zu fordern, die Berufsverbote auch auf diesen Personenkreis nicht anzuwenden. Vielmehr müssen Regelanfrage, Radikalenerlaß und Berufsverbot ersatzlos gestrichen werden.
Wieso soll es nicht möglich sein — übrigens nur in der Bundesrepublik; in Frankreich ist es völlig anders —, daß ein Mitglied der DKP, einer, der sich als Kommunist bezeichnet und als Kommunist versteht, Briefträger oder Lokomotivführer oder sonstiger Beamter im öffentlichen Dienst ist?
Warum soll das nicht möglich sein?Wir halten Berufsverbote insgesamt für undemokratisch. Ein demokratischer Staat sollte es ertragen können, daß auch Andersdenkende, auch radikal Andersdenkende beim Staat beschäftigt sind und dort ihrem Beruf nachgehen.
Wir weisen darauf hin, daß unser Grundgesetz davon ausgeht, daß eine Partei nur durch das Bundesverfassungsgericht und nur unter ganz besonders strengen Voraussetzungen verboten werden kann und daß Nachteile für eine Partei, die mit einem solchen Verbot verbunden sind, erst dann entstehen dürfen. Es gibt kein Verbot durch das Bundesverfassungsgericht. Die Anwendung des Berufsverbots, die Anwendung des Radikalenerlasses ist nicht zu rechtfertigen.Selbst wenn das Bundesverfassungsgericht ein solches Verbot ausspräche, wären wir der Auffassung, daß Mitglieder dieser Organisation weiterhin im Postdienst, bei der Eisenbahn oder in anderen Bundesbehörden tätig sein dürfen; denn auch Andersdenkende, auch radikal Andersdenkende, auch Leute, die vielleicht vorhaben, die Gesellschaftsordnung grundsätzlich in Frage zu stellen, müssen ihren Platz in unserer Gesellschaft haben. Nur dann wird Demokratie richtig verstanden. Dazu gehört, daß sie den erwählten Beruf ausüben können.
Die Entwicklung des Berufsbeamtentums hat dazu geführt, daß es in der Bundesrepublik Deutschland Berufe gibt, die nur im öffentlichen Dienst ausgeübt werden können, wie beispielsweise der des Postbeamten, der des Bahnbeamten, aber auch im großen und ganzen der des Lehrers und andere. Die Konsequenz daraus darf nur sein, daß jeder, der einen solchen Beruf ergreifen will, die Möglichkeit haben muß, sich in dem Beruf auszubilden und den Beruf auch später ausüben zu dürfen, solange er sich selbst keiner Vergehen schuldig macht.
Wir sind der Auffassung, daß Regelanfrage, Radikalenerlaß und Berufsverbot aufgehoben werden müssen. Wir haben dazu heute einen Antrag vorgelegt, und wir beantragen hier in diesem Hause, dem zu folgen, was einzelne Bundesländer bereits beschlossen haben, was einzelne Bundesländer bereits praktizieren, nämlich die Beseitigung, die ersatzlose Streichung des Berufsverbots und die Rehabilitierung der bisher vom Berufsverbot Betroffenen, weil das Berufsverbot rechtlich und politisch von Anfang an ein schwerer Fehler gewesen ist.Danke sehr.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Olderog.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Worum geht es, wenn Staat und Verwaltung bei uns in der Bundesrepublik das Gebot der Verfassungstreue durchsetzen wollen? Es geht nicht darum, aus jungen Leuten Duckmäuser zu machen, nicht darum, kritische Bürger aus dem öffentlichen Dienst fernzuhalten und unbequeme Beamte zu disziplinieren.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 194. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Januar 1986 14565
Dr. OlderogIm Gegenteil, die Demokratie lebt — das wissen wir alle — vom Wettbewerb der Meinungen. Auch Beamte haben nach unserer Verfassung Grundrechte.Was die Verfassung von uns verlangt, ist dies: Jenen, die nach Gesinnung und Tat nichts weniger wollen, als diesen freiheitlichen Rechtsstaat zu zerschlagen, zu beseitigen, soll der Anspruch verwehrt werden, dies noch als Staatsbeamte, von innen heraus, und dann noch mit Pensions- und Versorgungsanspruch zu tun.
Wir wollen eine wehrhafte Demokratie. Dazu verpflichtet uns das Grundgesetz, dazu verpflichtet uns der bekannte Beschluß des Bundesverfassungsgerichts von 1975, und dazu verpflichtet uns, moralisch vor allem, die Geschichte, die bitteren Erfahrungen mit dem Ende der Weimarer Republik und der Nazi-Diktatur.Wer sind denn Verfassungsfeinde? Es sind die Faschisten von Rechts und Links, unbelehrbare Neonazis ebenso wie die fanatisch verblendeten Kommunisten. Es sind jene, die blind sind für die Wirklichkeit dieser freiheitlichen Demokratie. Es sind Menschen, die sich oft mit erschreckendem Fanatismus in die Idee verrannt haben, eine Neuauflage der Nazi-Diktatur oder die Errichtung einer kommunistischen Gewaltherrschaft seien erstrebenswerter als der Ausbau, die Bewahrung unserer freiheitlichen Demokratie. Meine Damen und Herren, wie blind für geschichtliche Fakten, wie verständnislos für die Werte unserer Verfassung müssen jene Rechtsextremisten sein, die trotz aller unbestrittenen geschichtlichen Wahrheiten die HitlerVerbrechen bagatellisieren und eine Neuauflage der NSDAP und des Dritten Reiches fordern?
Wollen Sie wirklich, daß diese Neonazis als Lehrer unsere Kinder unterrichten?
Sollen Leute dieses Schlages Staatsanwälte und Richter an unseren Gerichten sein? Das kann doch kein Vernünftiger wollen.
Und ist sich die Öffentlichkeit, meine Damen und Herren, eigentlich über die Ziele, über die Leitbilder der Deutschen Kommunistischen Partei im klaren? Weiß sie, daß deren Mitglieder die menschenverachtenden Systeme der DDR und der Sowjetunion als ihre Leitbilder ansehen? Der DKP-Vorsitzende Mies hat gesagt, daß die DKP und alle Mitglieder am unverbrüchlichen Kampfbündnis zwischen sowjetischen und deutschen Kommunisten festhalten. Es ist nicht zu fassen, meine Damen und Herren: Jene DDR soll Vorbild sein, in der Tausende von verfolgten Landsleuten wegen kritischer Meinungen in den Gefängnissen sitzen.
— Das haben nicht Sie gesagt, sondern das sind die Ziele der DKP, verehrter Herr Ströbele. Das sollten Sie sich einmal klarmachen, wenn Sie zu diesem Thema reden.
Dieser SED-Staat, der die Menschenrechte mit Füßen tritt, der Gerechtigkeit und faire Justiz nicht kennt, ist das Ziel der Kommunisten, oder die Sowjetunion, wo kritische Geister, Bürgerrechtler wie Sacharow, Schtscharanskij und Orlow in Irrenhäusern, dem Archipel Gulag oder in der Verbannung verschwinden. Welch ein Maß an geistiger Verwirrung, zu glauben, daß diese Regime mit einer wirklichen Geheimpolizei, geprägt von Inhumanität menschlicher sind als die westlichen Demokratien!Das Schlimmste, meine Damen und Herren: Kommunisten sind bereit, diese ihre Ziele auch mit revolutionärer Gewalt, d. h. mit Terror und nackter Gewalt, zu erreichen.Wollen wir es wirklich verantworten, daß diese irregeleiteten und fanatisch verblendeten Anhänger der DKP Richter in unserem Staat und Lehrer für unsere Kinder sein sollen? Ich kann das nicht glauben.
Meine Damen und Herren, ob Verfassungsfeinden der Zugang zum öffentlichen Dienst versperrt wird, ist keineswegs in das Belieben der Behörden gestellt, sondern das ist eine Verpflichtung des Grundgesetzes. Keine Bundesregierung, keine Landesregierung, weder im Saarland oder in Nordrhein-Westfalen noch in Hessen, kann sich ohne Bruch der Verfassung von dieser Verpflichtung befreien.
Mit Berufsverboten, meine Damen und Herren, hat das — wie Kommunisten und Neonazis so gerne behaupten — überhaupt nichts zu tun. Es gibt keine Berufsverbote. Jeder, der will, kann die Voraussetzungen dafür erfüllen.Manche argumentieren dagegen, es ließe sich nicht eindeutig definieren, was Verfassungsfeinde sind. Das Bundesverfassungsgericht, meine Damen und Herren, hat in seinen Urteilen zum Verbot von SRP und KPD ganz klare, präzise Kriterien herausgearbeitet, z. B. jene Kernpunkte unserer freiheitlichen Verfassung: das Mehrparteienprinzip, das Recht auf eine demokratische Opposition, die Achtung des Grundrechts auf freie Entfaltung der Persönlichkeit, die Gewaltenteilung und die Existenz unabhängiger Gerichte.Da es nun einmal so ist, daß zu den Waffen der Verfassungsfeinde auch Verschleierung, Täuschung und Irreführung der Öffentlichkeit gehören, insbesondere auch bei dem Versuch, in den öffentlichen Dienst hineinzukommen, ist die Mitwirkung der Verfassungsschutzbehörden, die dafür einen gesetzlichen Auftrag haben, unvermeidbar.Es gibt aber keine „Gesinnungsschnüffelei", sondern es werden bereits vorhandene Erkenntnisse
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14566 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 194. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Januar 1986
Dr. Olderogdes Verfassungsschutzes abgerufen. Unter dieser Bundesregierung ist es so, daß dies nicht bei allen geschieht, sondern nur dort, wo der Einstellungsbehörde Anhaltspunkte für eine verfassungsfeindliche Einstellung oder Betätigung ohnehin schon bekannt sind.Meine Damen und Herren, das ist in meinen Augen eine ungewöhnlich liberale Regelung des Bundesinnenministers Zimmermann, die er von der alten Regierung übernommen hat. Wer verlangt, daß der Staat die Erkenntnisse des Verfassungsschutzes gänzlich ausblenden soll, der verlangt, daß sich der Staat künstlich dumm stellen oder dumm machen soll.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein, wegen der Zeit nicht.
Oft wird behauptet, die Rechtspraxis der Bundesrepublik Deutschland versperre Bürgern, die als junge, idealistisch gesonnene Leute von totalitären Ideologen verführt worden seien, den späteren Berufsweg. Auch das ist falsch, meine Damen und Herren. Jugendsünden werden entweder gar nicht registriert oder schon nach wenigen Jahren beim Verfassungsschutz wieder gelöscht. Alle diese jungen Menschen haben die Chance, sich zu korrigieren.
Die Zahlen zeigen im übrigen, daß unsere Einstellungsbehörden eher liberal großzügig als rechtsstaatlich streng sind. Beim Bund gibt es bei zigtausenden Bewerbereinstellungen seit 1980 nicht eine einzige Ablehnung wegen mangelnder Verfassungstreue. Auch in den Länder gibt es nur niedrige Zahlen. Seit 1980 hat es beim Bund aus diesem Grund auch nur ganze fünf Entlassungen gegeben — bei über 1,1 Millionen Beschäftigten. Wer will angesichts dieser Zahlen im Ernst behaupten, junge Menschen in der Bundesrepublik Deutschland müßten deshalb ängstlich sein? Angst müssen angesichts der vorhandenen Verwaltungspraxis eher einige Eltern und einige Prozeßbeteiligte vor den Gerichten haben.
Auch das sei gesagt: International gibt es für uns keine Probleme. Abgesehen von dem Fall, daß die Europäische Menschenrechtskommission eine Beweiswürdigung anders vorgenommen hat als deutsche Gerichte, hat es nicht eine einzige europäische Institution gegeben, die unser Verfassungsrecht kritisiert hat.
Verfassungsfeinde im öffentlichen Dienst — das mag im Augenblick kein großes Problem sein. Aber wir wissen aus unserer Geschichte etwas über die Anfälligkeit der Menschen für totalitäre Ideologien. Hätte es in der Weimarer Republik das Gebot der Verfassungstreue für alle staatlichen Institutionen und für den öffentlichen Dienst gegeben und wäre Weimar eine wehrhafte Republik gewesen, dann wären dem deutschen Volk und Europa unendliches Leid und Unglück erspart geblieben.
Manchmal mag es für staatliche Stellen bequemer sein, die Augen vor Verfassungsfeinden zu verschließen
und sich blind zu stellen.
Aber Weimar und die NS-Zeit mahnen uns: Nie darf es dazu kommen, daß wir aus Opportunismus und Schwäche vor Extremisten kapitulieren.
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Paterna.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es gibt wohl kaum ein Problemfeld, bei dem es weniger des Anstoßes von außen bedurfte, um die Fähigkeit der SPD zu Selbstkritik und Korrektur eines Irrwegs so deutlich unter Beweis zu stellen, wie den Komplex, den man mit vielen Stichworten, etwa „Ministerpräsidentenbeschluß", „Radikalenerlaß", „Extremistenbeschluß", „Berufsverbote" und ähnlichem bezeichnet.
Statt vieler Parteitagsbeschlüsse seit 1973 zitiere ich eine Äußerung von Willy Brandt aus dem Jahre 1976, der das für einen Politiker dieses Hauses sicher seltene Bekenntnis abgelegt hat — ich zitiere wörtlich —: „Ich habe mich damals geirrt."
Der Versuch, der mit diesem Beschluß gemacht worden sei, sei — wieder ein wörtliches Zitat von Willy Brandt — „eindeutig als gescheitert zu betrachten".An die Adresse der CDU/CSU gerichtet, die ja in den letzten Monaten Oskar Lafontaine einmal mehr zur bevorzugten Zielscheibe in dieser Sache gemacht hat, zitiere ich aus der „Süddeutschen Zeitung" von Mitte 1985:Der Beschluß der Regierung Lafontaine macht aus dem Extremistenbeschluß formell das, was er seit einiger Zeit de facto schon war: Makulatur, papierenes Zeugnis eines Irrwegs.Das reicht dazu.Nun zur Bundesregierung. Wer die Antworten auf die Große Anfrage liest, muß in höchstem Maß erstaunt sein. Hat doch die gleiche CDU/CSU in der Opposition unaufhörlich Gespenster beschworen, die es nun, wenn man die Antworten liest, gar nicht mehr gibt oder die allenfalls an einer Hand abzuzählen sind. Es ist erstaunlich, wie die Bundesregierung sich mit der niedrigen Zahl abgeschlossener oder noch schwebender Fälle auf Bundesebene brüstet und die früher heftig angegriffenen Verfahrensgrundsätze der sozial-liberalen Regierung nicht
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Paternafür änderungsbedürftig erklärt. Sie will uns außerdem weismachen, nach eben diesen Grundsätzen zu verfahren.Dieser erstaunliche Tenor bringt mich zu der Vermutung, daß in der CDU/CSU-Strategie zumindest auf Bundesebene nach über 30 Jahren nun endlich das Volksfront-Gespenst ausgedient hat und durch das rot-grüne Chaos-Gespenst ersetzt werden soll.Die SPD-Bundestagsfraktion bekennt sich uneingeschränkt zur Verfassungstreue im öffentlichen Dienst. Ich sage das ausdrücklich und zum wiederholten Mal.
Sie hält die vom Bundesverfassungsgericht dazu entwickelte Rechtsprechung angesichts der daraus entwickelten Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts aber für verfehlt —, um das hier auch ganz deutlich zu sagen.
Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hat, wie z. B. der Fall des Postbeamten Meister zeigt, unverständliche und nicht akzeptable Konsequenzen.
Die hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums haben ihre Wurzeln im beginnenden 19. Jahrhundert, sind also aus vordemokratischer Zeit hergeholt.
— Sehr weit hergeholt. Wenn gefordert wird, daß sich jeder Beamte jederzeit aktiv für die Erhaltung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung einzusetzen habe, dann darf dies gerade angesichts der historischen Erfahrungen, von denen auch der Kollege Olderog soeben — allerdings in einer sehr geschichtsklitternden Art — gesprochen hat,
nicht in eine praktisch bedingungslose Treuepflicht zur jeweiligen Staatspraxis, gegenüber einer bestimmten Regierung oder gegenüber einem bestimmten Dienstherrn umgemünzt werden.
Wenn das alles wirklich so ernst zu nehmen wäre — und ich wünschte, daß es so ernst genommen würde —, dann wäre aktives Handeln der Beamten überall da gefordert, wo staatliche Stellen aktiv oder passiv daran beteiligt sind, Grundrechte zu gefährden — —(Abs. Dr. Olderog [CDU/CSU] meldet sichzu einer Zwischenfrage)
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Herr Abgeordneter Olderog, Sie haben keine Fragen zugelassen; dann wollen wir hier fair play spielen. — Da gäbe es dann ein weitesBetätigungsfeld für diese aktiven Beamten im Widerstand gegen Gefährdungen der Menschenwürde, des Demonstrationsrechts, des Asylrechts, der Sozialpflichtigkeit des Eigentums, Widerstand gegen die ausufernde Ermittlungs-, Speicherungs- und Übermittlungspraxis der Dienste, aktive Hilfe zur Sicherung der Unabhängigkeit von Legislative und Exekutive, von Bestechungsversuchen — um nur mal ein paar aktuelle Beispiele zu nennen, an denen man sich als Wahrer unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung vieltausendfach bewähren könnte.Die Bundesregierung irrt auch, wenn sie in der Vorbemerkung ebenfalls lapidar feststellt, die zitierten Artikel und Paragraphen würden die Rechtsprechung in der Weise binden, daß nur eine Auslegung, nämlich die herrschende, zwingend sei. Ich verweise auch auf unterschiedliche Praxis in den Bundesländern, ohne darauf näher eingehen zu wollen.Meine Damen und Herren, gerade dann, wenn historische Vergleiche angezogen werden, meine ich, sollte hier Einigkeit bestehen.Erstens. Nicht mehrheitlich Extremisten haben Hitler legal an die Macht kommen lassen, nicht Extremisten haben Hitler im Reichstag das Ermächtigungsgesetz bewilligt; auch nicht die Mehrheit derjenigen, die Hitler als Beamte gedient haben, waren Extremisten.Zweitens. Nicht eine kleine Zahl tatsächlicher Extremisten innerhalb oder außerhalb des öffentlichen Dienstes gefährdet eine Demokratie. Die Demokratie wird gefährdet durch Anpassertum, Duckmäusertum, Opportunismus, blinden und vorauseilenden Gehorsam.
Drittens. Aufgabe der Politik sollte sein, sich auf die Beseitigung der Ursachen zu konzentrieren, die einer Demokratie gefährlich werden können. Zu solchen Ursachen gehören Wirtschaftskrise, Massenarbeitslosigkeit, zunehmende Spaltung einer Gesellschaft in Arme und Reiche, Spaltung einer Gesellschaft in Hoffnungslose und Privilegierte, Dämonisierung von vermeintlichen oder tatsächlichen inneren und äußeren Feinden.Meine Damen und Herren, worüber wir hier reden, ist nicht ein Problem der großen Zahl. Das verkennen Sie, Herr Kollege Olderog. Die sensiblen Demokraten verzweifeln nicht an den großen Zahlen der Betroffenen, sondern an den Methoden, mit denen die genannten Fälle verfolgt werden.Ich will Ihnen dazu einmal ein paar Beispiele aus Akten liefern, wo eigentlich auch die Selbstgerechten auf der rechten Seite dieses Hauses peinlich berührt sein müßten. Da wird vorgeworfen: „Teilnehmerin, zusammen mit anderen Linksextremisten — man beachte die Vorverurteilung durch den Verfassungsschutz —, an der Gegendemonstration anläßlich einer Reichsgründungsfeier der NPD". Ist
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14568 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 194. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Januar 1986
Paternadas eine vorwerfbare Tatsache in diesem unserem Lande? Ich muß mich doch sehr wundern.
„Aktive Teilnahme"! — Ich kann Ihnen die Akte zeigen: — „Aktive Teilnehmerin an einem DKP-Informationsstand. Es wurden Unterschriften für die Landtagswahl in Bayern gesammelt". „Pfui Teufel" sagen Sie da sicher. „Unterschriften unter dem Krefelder Appell", „Teilnehmer am Ostermarsch", alles das sind offenbar nach Ihrer Auffassung vorwerfbare Tatsachen, die sich in den Akten wiederfinden. Finden sie es denn nicht peinlich, wenn der Bundespostminister zur Begründung der vorläufigen Dienstenthebung eines Briefträgers, der der DKP angehört, schreibt: „Die Anordnung bezweckt, den geordneten Dienstbetrieb sicherzustellen und das Ansehen der Behörde zu wahren." Da kann man doch nur einen Lachanfall kriegen.
Wenn es dann im Schriftsatz begründend heißt: „Der Fall ist nicht anders zu beurteilen, wie wenn ein Beamter Beförderungsgut oder dienstliche Gelder unterschlägt", finde ich das skandalös.
Werden Sie nicht schamrot, wenn ein Mann, der seit 1950 bei der Deutschen Bundespost beschäftigt ist, der zuletzt 20 Jahre unbeanstandet bei der Postbeamtenkrankenkasse als Prüfer mit besten dienstlichen Zeugnissen tätig war, der nun seit Monaten pensioniert ist, trotz eines Freispruches des Bundesdisziplinargerichtes von Herrn Claussen bis zum Bundesverwaltungsgericht getrieben wird mit dem Risiko, wenigstens Teile seiner ohnehin zu kleinen Pension zu verlieren, ein Mann, der sechs Kinder hat, davon einen 28jährigen, geistig behinderten Sohn? Ich habe dem Postminister einen Brief geschrieben und ihn gebeten, er möge das intern regeln; das sei kein Fall, den man öffentlich austrägt — im Interesse des Betroffenen. Ich habe gestern den Betroffenen angerufen und festgestellt, daß auf diesem Mann immer noch bis zur physischen und psychischen Vernichtung herumgehackt wird. Ich halte das für einen Skandal. Das sage ich Ihnen in aller Deutlichkeit.
Mit solchen Fällen — auch wenn es Einzelfälle sind — werben Sie nicht für unsere freiheitliche demokratische Grundordnung, in deren Namen so etwas veranstaltet wird.
Im Gegenteil: Bei all den Fällen, die ich persönlich und von der Aktenlage her kenne, gibt es für mich nur eine überzeugende Lösung: Einstellung der Verfahren. Eine Demokratie stirbt nicht durch Mangel an Gesetzen, Erlassen und Durchführungsverordnungen, sie stirbt durch Mangel an Demokraten. Sie leisten mit Ihren Praktiken diesem Mangel Vorschub.Ich bitte um Zustimmung zu unserem Entschließungsantrag auf Drucksache 10/4758.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hirsch.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Fraktion der SPD hat zwar einen sehr achtenswerten Antrag eingereicht. Ich bin aber aus Ihrer Rede, Herr Kollege Paterna, nicht schlau geworden, ob Sie nun für oder gegen Ihren Antrag gesprochen haben.Die Anfrage, die wir behandeln, ist ja der späte Abklatsch einer Debatte, die wir in den 70er Jahren in diesem Hause und in den Landtagen geführt haben. Alles, was dazu zu sagen war, hat der von mir sehr verehrte Heinz Kühn in einer langen Debatte im Landtag von Nordrhein-Westfalen 1976 gesagt. Es war damals nicht unter allen seinen Zuhörern unstreitig, was er sagte. Ich habe, nachdem ich Ihre Rede gehört habe, den Eindruck: Es ist auch heute bei Ihnen nicht ganz unstreitig.Die Antwort der Bundesregierung mußte für die Fragesteller in der Tat ernüchternd sein, denn bei den Zahlen, die Herr Olderog dargestellt hat, ist vollkommen klar, daß nicht der geringste Anschein dafür spricht, daß etwa eine willkürliche Ausschaltung politisch unbequemer Kritiker eine Rolle gespielt hätte. Wir vertreten seit Jahren unverändert die Auffassung, daß diejenigen nicht in den Staatsdienst gehören, die den Kernbestand unserer Verfassung bekämpfen, nämlich das Recht auf freie Wahl, die Bindung von Verwaltung und Rechtsprechung an Gesetz und Recht, das Recht auf Opposition — also das Mehrparteiensystem —, die parlamentarische Verantwortung der Regierung und die Unabhängigkeit der Gerichte. Wer das verneint, hat als Beamter im Staatsdienst nichts zu suchen.
Wir haben leidvoll genug erduldet, welche Folgen sich ergeben, wenn man diese Grundsätze einer, wie man damals sagte, liberalistischen Demokratie aufgeben würde.Was uns immer gestört hat, ist der Übereifer, die gelegentliche Kleinlichkeit, die gelegentliche Intoleranz bei Einzelentscheidungen. Das war der Grund, warum wir nach dem Beschluß des Bundesverfassungsgerichtes vom Mai 1975 Regelungen formuliert und warum wir durchgesetzt haben, daß die Prüfung der Verfassungstreue in unserem Entscheidungsbereich mit vernünftiger Zurückhaltung und mit einem Höchstmaß an Rechtssicherheit und Rechtsstaatlichkeit erfolgen muß.In diesem Zusammenhang, Herr Kollege Ströbele, wird auch heute lustvoll eine Begriffsverwirrung betrieben. Der sogenannte Radikalenerlaß soll eine Vereinbarung zwischen dem damaligen Bundeskanzler Brandt und den Ministerpräsidenten der Länder von 1972 bezeichnen. Diese Vereinbarung ist durch den Beschluß des Bundesverfassungsgerichtes vom Mai 1975 gegenstandslos geworden. Bund und Länder haben jeweils für ihren Bereich
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 194. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Januar 1986 14569
Dr. Hirschnach den Grundsätzen der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes Richtlinien formuliert, nach denen die Verwaltungen bei der Einstellung von Beamten verfahren sollen. Ich meine damit die Richtlinie, die der Kollege Baum für die Bundesregierung zuletzt 1979 formuliert hat — ich habe dasselbe in Nordrhein-Westfalen getan — und die im Bereich der Bundesregierung unverändert angewendet wird, wie wir zu unserer Zufriedenheit feststellen.Diese Verfahrensgrundsätze enthalten wesentliche rechtsstaatliche Regeln, z. B. den Wegfall der sogenannten Regelanfrage, den Grundsatz der Einzelfallprüfung, das rechtliche Gehör, die Beschränkung auf gerichtsverwertbare Tatbestände, die grundsätzliche Nichtberücksichtigung von Tatbeständen, die vor Erreichung der Volljährigkeit liegen, und die Möglichkeit, sich eines Rechtsbeistandes zu bedienen.Es hat mich außerordentlich überrascht, daß der Ministerpräsident Lafontaine Beifall für seine Entscheidung erhielt, im Saarland die entsprechenden Richtlinien aufzuheben, und ich höre, daß einige Bundesländer mit dem Gedanken umgehen, ihm zu folgen. Sie lassen damit nämlich die gesetzliche Verpflichtung der Einstellungsbehörden bestehen, die Verfassungstreue der Beamten zu prüfen, schaffen aber die dafür vorgesehenen rechtsstaatlichen Verfahrensrichtlinien ab und schieben die Verantwortung ausschließlich den nachgeordneten Beamten zu, die ja verpflichtet bleiben, das geltende Recht auszuführen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja, ich will nur den Gedanken zu Ende führen.
Wer also etwas ändern will, der soll nicht mit den Richtlinien dahertapsen, sondern er soll den Mut haben, ein Gesetz vorzulegen, in dem die Verpflichtung der Beamten aufgehoben wird. Die Verfassung zu schützen, und in dem sie das Recht bekommen, den Kernbestand unserer Rechtsordnung zu bekämpfen, und das als Beamte. Wenn die Fraktion der GRÜNEN das will, dann soll sie das beantragen und nicht in unverbindlichem Gerede bleiben. Dann haben wir klare politische Verhältnisse.
Bitte schön, Herr Kollege.
Herr Kollege Hirsch, haben Sie eine Erklärung dafür, warum in der Antwort auf unsere sehr detaillierte Anfrage an die Bundesregierung von all dem, was Sie jetzt über die Richtlinien und die Praxis in den Ländern, die wir alle versucht haben zu erfragen, erklären, mit keinem Wort eingegangen wird?
Alles, was den Bereich der Bundesregierung angeht, steht in der Beantwortung derAnfrage. Ich habe nur den sicheren Eindruck, daß Sie sie nicht gelesen haben.
Was die Länder angeht, da müssen Sie nun der Bundesregierung allerdings das Recht geben, nicht über andere zu reden. Danach müssen Sie in den Landtagen fragen.
Da sind die Richtlinien alle veröffentlicht, in Nordrhein-Westfalen jedenfalls seit vielen Jahren.Wir haben es immer bedauert, daß eine Frage — nun komme ich auf das, was Herr Kollege Paterna gesagt hat — nicht ausdrücklich geregelt ist, nämlich der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Es ist zwar richtig, daß das Verfassungsgericht in der Frage der Verfassungstreue keinen Unterschied danach macht, welche Funktion ein Beamter tatsächlich ausübt. Die Verwaltungspraxis hat sich in dieser Frage vielfach beholfen. Es gibt Bundesländer, in denen jahrelang bei der Einstellung von Beamten des einfachen und des mittleren Dienstes die Frage der Verfassungstreue überhaupt nicht geprüft wurde. Auch im kommunalen Bereich ist überwiegend sehr unbefangen verfahren worden. Es gibt j a in der Lebenswirklichkeit tatsächlich einen Unterschied zwischen einem Postbeamten, der am Schalter Briefmarken verkauft, dem Lehrer, dem Richter oder dem Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Was man bei dem einen ruhen lassen kann und auch ruhen lassen sollte, ist bei dem anderen nicht hinnehmbar.Da wird immer von den berühmten Lokomotivführern gesprochen, die im Ernstfall die Handlungsfähigkeit des Staates beeinträchtigen können. Schon Bismarck hat in seinem Schreiben vom 15. August 1878 eine Ergänzung des Entwurfes des Sozalistengesetzes dahin gefordert, daß die Beteiligung von Beamten an sozialistischer Politik die Entlassung ohne Pension nach sich zieht. Er sagt:Die Mehrzahl der schlecht bezahlten Subalternbeamten in Berlin und dann der Bahnwärter, Weichensteller und ähnlichen Kategorien sind Sozialisten; eine Tatsache, deren Gefährlichkeit bei Aufständen und Truppentransporten einleuchtet.Die von Bismarck gewünschte Verschärfung des Sozialistengesetzes fand nicht statt. Und, wie jedermann weiß, sind die späteren Truppentransporte von den Subalternbeamten keineswegs behindert worden. Etwas Gelassenheit scheint also möglich zu sein.Wir wollen keine Beamten, die keine politische Meinung haben oder sich scheuen, sie zu äußern. Aber wir wollen Beamte, die sich in ihren Handlungen für unsere rechtsstaatliche Grundordnung einsetzen und die ihre staatlichen und hoheitlichen Aufgaben nicht nutzen wollen, um sie zu bekämpfen. Wir haben eine Beamtenschaft, die dieser Forderung entspricht. Anders könnten Recht und Ver-
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14570 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 194. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Januar 1986
Dr. Hirschfassung nicht gewahrt werden. Darum wollen wir uns dafür einsetzen, daß es auch so bleibt.
Ich erteile das Wort dem Parlamentarischen Staatssekretär beim Bundesminister des Innern, Dr. Waffenschmidt.Dr. Waffenschmidt, Parl. Staatssekretär: Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bundesregierung hat in ihrer Antwort auf die hier diskutierte Große Anfrage deutlich gemacht, daß es bei der Frage der Verfassungstreue im öffentlichen Dienst ausschließlich um die Anwendung geltenden Verfassungsrechts geht. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Grundsatzentscheidung aus dem Jahr 1975 — das will ich hier nochmals anführen — zwei Dinge unmißverständlich klargestellt:Erstens. Jeder künftige Beamte muß bei seinem Eintritt in den öffentlichen Dienst die Gewähr bieten, jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung einzutreten. Zweitens. Jeder Beamte verletzt seine Dienstverpflichtung und kann deswegen aus dem Dienst entfernt werden, wenn er gegen das Gebot der Verfassungstreue verstößt. Ich meine, dies sind eindeutige Grundlagen. Diese Rechtsprechung haben das Bundesverwaltungsgericht und auch das Bundesarbeitsgericht jeweils für ihren Bereich gefestigt und auch noch konkretisiert. Die Rechtslage ist also eindeutig. Sie bindet jede Bundesregierung und, wie ich ausdrücklich hinzufügen will, auch jede Landesregierung.Wer gleichwohl von sogenannten — sogenannten! — Berufsverboten spricht, versucht bewußt, den Irrtum zu erwecken, als würden in verfassungswidriger Weise Freiheitsrechte der Bürger eingeschränkt. Genau das Gegenteil ist der Fall. Die in unserem Land getroffenen Maßnahmen zur Erhaltung eines verfassungstreuen öffentlichen Dienstes sind vom Grundgesetz geboten und dienen allein dem Zweck, unsere freiheitliche und demokratische Grundordnung zu verteidigen. Sie sichern damit die Freiheit und die Grundrechte aller Bürger. Sie richten sich ausschließlich gegen jene, die einen anderen Staat wollen und auf ein totales Regime hinarbeiten.Meine Damen und Herren, das Grundgesetz ist vom Prinzip der wehrhaften Demokratie geprägt. Ich meine, dies ist gut so; denn das Problem der Verfassungstreue im öffentlichen Dienst ist im Grunde so alt wie der demokratische Staat selbst. Schon in der Weimarer Republik hat es entsprechende Diskussionen gegeben. Damals waren es, Kollege Paterna, insbesondere auch Sozialdemokraten, die den demokratischen Staat auf diese Weise verteidigen wollten. Ich erinnere daran, daß das preußische Staatsministerium unter Führung des Ministerpräsidenten Otto Braun am 25. Juni 1930 den Versuch unternahm, den öffentlichen Dienst von Anhängern der NSDAP und der KPD zu säubern. Leider kamen diese Maßnahmen zu spät und blieben ohne Erfolg. Ich meine, wir sollten aus der Geschichte lernen. Das Grundgesetz will die wehrhafte Demokratie, damit nicht noch einmal Mitarbeiter des Staates, des öffentlichen Dienstes von der sicheren Position im Staatsdienst aus die Beseitigung des demokratischen Rechtsstaats selbst fördern können. Der freiheitliche demokratische Rechtsstaat darf und soll nicht denen ausgeliefert werden, die ihn abschaffen wollen. Dies müßte eigentlich jeder Demokrat in unserem Bundestag und in unserer freiheitlichen Demokratie unterstützen und sollte nicht dagegen opponieren.Als die Regierungschefs des Bundes und der Länder am 28. Januar 1972 entsprechende Grundsätze beschlossen, war dies aus der aufgezeigten historischen Entwicklung heraus nicht eine Zäsur, noch wurde dadurch in irgend einer Weise neues Recht geschaffen. Es war — und dazu haben sich alle demokratischen Parteien bekannt — einfach eine Notwendigkeit.Lassen Sie mich hier zusammenfassend noch drei Punkte ansprechen:Erstens. In der Praxis wurde und wird in verantwortungsvoller Weise und unter Beachtung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in wenigen begründeten Einzelfällen — Kollege Olderog hat die Zahlen genannt — eine Einstellung verweigert oder eine Entlassung vorgenommen.Zweitens. In der Bundesrepublik Deutschland wird in beispielhafter Weise Rechtsschutz gewährt. Alle Maßnahmen zur Erhaltung eines verfassungstreuen öffentlichen Dienstes können von unabhängigen Gerichten auf ihre Rechtmäßigkeit überprüft, teilweise sogar nur von diesen getroffen werden.Drittens. Die Bundesregierung steht zu dem — und hat das auch in der Antwort auf die Große Anfrage deutlich gemacht —, was ursprünglich von allen demokratischen Parteien für richtig erkannt und überall in Bund, Ländern und Gemeinden in die Praxis umgesetzt worden war. Wer jetzt aus der Gemeinsamkeit der Demokraten, die in dieser Frage einmal so überzeugend bestanden hat, ausscheiden will, der wird mit sachlichen Erwägungen seine Abkehr vom Schutz unserer Verfassung nicht begründen können.Ich will hier zusammenfassend deutlich machen: Die Bundesregierung wird weiter dafür kämpfen, daß nur der im Staatsdienst Beschäftigung findet, der aus innerer Überzeugung zu den Grundwerten unserer freiheitlichen demokratischen Verfassung steht. Um die Freiheit und die Grundrechte aller Bürger zu erhalten, ist es unsere Pflicht, allen Angriffen auf unsere Demokratie mit Entschiedenheit zu begegnen und verfassungsfeindliche Bestrebungen im öffentlichen Dienst schon im Keim zu ersticken.Die Haltung der Bundesregierung läßt sich in den Sätzen zusammenfassen: Die Beschäftigung von links- und rechtsextremen Beamten im Staatsdienst schafft nicht mehr Demokratie, sondern ist im Grunde der erste Schritt zu deren Beseitigung. Die Erhaltung eines verfassungstreuen öffentlichen Dienstes schränkt die Freiheit in unserem Lande
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 194. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Januar 1986 14571
Parl. Staatssekretär Dr. Waffenschmidtnicht ein, sondern sichert sie im Interesse aller Bürger für die Zukunft.Herzlichen Dank.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Abgeordneten Ströbele, Mann, Frau Dann und der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/4753. Wer diesem Entschließungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Der Entschließungsantrag ist abgelehnt.Wir stimmen jetzt über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/4758 ab. Wer diesem Entschließungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Der Entschließungsantrag ist abgelehnt.Meine Damen und Herren, ich gebe Ihnen nun das Wahlergebnis zu Tagesordnungspunkt 3 b — Wahl der Mitglieder des Gremiums zur Genehmigung der Wirtschaftspläne der Nachrichtendienste — bekannt. Abgegebene Stimmen: 468, davon gültig: 468. Enthaltungen: keine.Von den gültigen Stimmen entfielen auf den Abgeordneten Carstens 383 Stimmen, auf den Abgeordneten Dr. Riedl 393 Stimmen, auf den Abgeordneten Hoppe 384 Stimmen, auf den Abgeordneten Walther 379 Stimmen, auf den Abgeordneten Kühbacher 368 Stimmen und auf den Abgeordneten Dr. Müller 70 Stimmen.
Die Abgeordneten Dr. Riedl , Hoppe, Carstens (Emstek), Walther und Kühbacher haben demnach die nach § 4 Abs. 9 des Haushaltsgesetzes 1986 in Verbindung mit § 4 Abs. 3 des Gesetzes über die parlamentarische Kontrolle nachrichtendienstlicher Tätigkeit des Bundes erforderliche Mehrheit von 261 Stimmen erreicht. Sie sind damit als Mitglieder des Gremiums zur Genehmigung der Wirtschaftspläne der Nachrichtendienste gewählt.Meine Damen und Herren, wir kommen nun zu Punkt 2 der Tagesordnung zurück — Ausbau der Bundesfernstraßen — und haben jetzt die schwierige Aufgabe, über die Änderungsanträge der Fraktion DIE GRÜNEN abzustimmen. Ich bitte Sie, Platz zu nehmen, und bitte um Aufmerksamkeit für das Verfahren.Es sind von der Fraktion DIE GRÜNEN insgesamt 209 Änderungsanträge gestellt worden.
Es war leider technisch nicht möglich — ich bitte dafür um Verständnis —, alle Anträge zu verteilen; das gilt vor allen Dingen für diejenigen, die — was nach der Geschäftsordnung ja möglich ist — in denletzten Stunden eingegangen sind. Das erklärt sich durch einen technischen Defekt; zwei unserer Maschinen sind ausgefallen. Ich bitte um Verständnis dafür.Meine Damen und Herren, bei dieser Gelegenheit folgendes: Die Drucker der Verwaltung des Deutschen Bundestages und unsere Amtsboten sind seit gestern nachmittag 26 Stunden ununterbrochen tätig.
Wir haben allen Grund — und das entnehme ich Ihrem Beifall —, unseren Druckern und unseren Saaldienern ein herzliches Dankeschön für diese Leistung zu sagen.
Meine Damen und Herren, die restlichen Anträge, die zwar in der Ihnen vorliegenden Liste vermerkt sind, die aber noch nicht verteilt sind — vielleicht können einige noch verteilt werden —, werde ich anschließend verlesen.Lassen Sie mich fortfahren. Zu diesen 209 Anträgen, die hier gestellt sind, hat die Fraktion DIE GRÜNEN beantragt, über 51 namentlich abzustimmen. Die Fraktion der CDU/CSU hat beantragt, für alle Anträge eine namentliche Abstimmung herbeizuführen.Meine Damen und Herren, der Ältestenrat schlägt Ihnen ein Verfahren vor, bei dem wir nicht einzeln namentliche Abstimmungen machen müssen, sondern in einem Paket abstimmen können. Es ist ein Abstimmungsverfahren entwickelt worden, das uns die Arbeit sehr erleichtert. Es stellt aber andererseits sicher, daß jeder Abgeordnete zu jedem Änderungsantrag sein Votum abgeben kann. Lassen Sie mich das im einzelnen erklären. Auf Ihren Pulten befindet sich ein mit Ihrem Namen gezeichneter Stimmzettel, mit dem die Änderungsanträge durchnumeriert werden. Jede Nummer auf Ihrem Stimmzettel entspricht einem Änderungsantrag, dessen genaue Kennzeichnung auf einer zweiten Liste vermerkt ist. Diese Liste liegt Ihnen ebenfalls vor *).Ich bitte auch hier um Verständnis, daß es einen kleinen Druckfehler gegeben hat. Auf Seite 3 dieser Erläuterung wird die zweite Nummer 78 durch die Nummer 80 ersetzt. Es handelt sich um einen drucktechnischen Fehler. Deshalb erscheinen auch die Nummern 81 bis 89 erst auf der Nachtragsliste**). In der Sache ist alles in Ordnung.Änderungsanträge, die erst während unserer Aussprache eingebracht und verteilt wurden, finden Sie auf einem Nachtrag, von dem ich gerade schon gesprochen habe, zu dieser Liste, der die Nummernfolge fortsetzt. Es sind also alle Anträge, die eingegangen sind, auf dieser Liste, aber noch nicht alle verteilt.*) Siehe Anlage 2 **) Siehe Anlage 3
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14572 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 194. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Januar 1986
Präsident Dr. JenningerMeine Damen und Herren, die Anträge bis zur Nr. 187 der Liste sind verteilt worden und liegen auf Ihren Plätzen. Bei dieser Gelegenheit weise ich darauf hin, daß die Mitarbeiter der Hausdruckerei im Augenblick noch dabei sind, die letzten für uns herzustellen. Die nichtverteilten Anträge werde ich jetzt nach § 82 unserer Geschäftsordnung verlesen und beginnend mit der Nr. 198 jeweils numerieren. Bis zur Nr. 188 sind die Anträge in der Ihrem Stimmzettel beigefügten Erläuterungsliste erfaßt.Es sind folgende zusätzliche Anträge eingegangen, den Bedarfsplan — das gilt für alle Anträge; ich glaube, ich brauche das nicht zu wiederholen — wie folgt zu ändern. Die B 3, Butzbach-A 661, wird im Bedarfsplan gestrichen. Das ist Antrag Nr. 82.Dann Nr. 84 auf der Liste: Der Abschnitt zwischen Guttingen und Allensbach West der B 33 neu wird gestrichen.Nr. 85 auf Liste: Der sechsspurige Ausbau der A 2 zwischen Wunstorf/Luthe und dem Kamener Kreuz wird im Bedarfsplan gestrichen.Nr. 86: Die A 542, Pulheim-Hitdorf, wird im Bedarfsplan gestrichen.Nr. 88: Die B 234, Verlegung in Wetter, wird im Bedarfsplan gestrichen.Nr. 89: Die B 65, Preuss, Oldendorf-Barkhausen, wird im Bedarfsplan gestrichen.Nr. 188: Die B 38, Rhein-Gönnheim -Rheinbrücke Altrip, wird aus dem Bedarfsplan gestrichen.Nr. 189: Die B 10 Ortsumgehung Hinterweidental wird aus dem Bedarfsplan gestrichen.Nr. 191: Die B 427 Ortsumgehung Dahn wird aus dem Bedarfsplan gestrichen.Nr. 193: Die B 16, Wenzenbach-Roding, wird im Bedarfsplan gestrichen.Nr. 195: Die B 11, OU Regen und B 11/B 85 westl. Regen werden im Bedarfsplan gestrichen.Nr. 199: Die B 33, Offenburg-östl. Hausach , wird im Bedarfsplan gestrichen.Nr. 201: Der Ausbau der A 8, Karlsbad-AD Stuttgart, auf sechs Spuren wird im Bedarfsplan gestrichen.Nr. 204: Die B 62, OU Biedenkopf, wird im Bedarfsplan gestrichen.Nr. 205: Die B 455, OU Friedberg-Dorheim-A 661, wird im Bedarfsplan gestrichen.Meine Damen und Herren, soweit die Verlesung der Anträge.Die Abstimmung geschieht folgendermaßen: Auf der durchnumerierten Liste können Sie für jeden Änderungsantrag bei der entsprechenden Nummer ein Kreuz für Ja, Nein oder Enthaltung anbringen.Wir haben aber auch die Möglichkeit eingeräumt, daß Sie die gesamten Anträge entweder global annehmen oder global ablehnen oder sich global der Stimme enthalten.
Dazu ist vorne auf dem Stimmzettel die Möglichkeit gegeben. Soweit Sie allen Änderungsanträgen zustimmen bzw. alle ablehnen oder sich insgesamt enthalten wollen, können Sie dies durch ein einziges Kreuz bei Ja, Nein oder Enthaltung in der besonders hervorgehobenen Spalte der Liste zum Ausdruck bringen.Meine Damen und Herren, falls Stimmzettel ohne jede Kennzeichnung abgegeben werden, gelten die Stimmen als ungültig. Entsprechend werden auch nicht gekennzeichnete einzelne Nummern der Liste als ungültige Stimmen gewertet, wenn nicht in der Kopfspalte angegeben ist, ob für diese freigelassenen Nummern insgesamt Ja, Nein oder Enthaltung gelten soll. Die gekennzeichneten Abstimmungslisten legen Sie dann bitte in eine der hier vorne aufgestellten Urnen.Ich mache noch besonders auf folgendes aufmerksam: Die vorher durchgeführte Abstimmung über den Antrag der Fraktion der SPD gilt nicht als Erledigung solcher Änderungsvorschläge der Fraktion DIE GRÜNEN, die ganz oder teilweise mit Einzelvorhaben im SPD-Antrag übereinstimmen. Das heißt: Sie haben die Möglichkeit, unabhängig von Ihrem Votum zum SPD-Antrag für oder gegen jeden Einzelantrag der Fraktion DIE GRÜNEN zu stimmen.Meine Damen und Herren, die Auszählung wird etwas Zeit in Anspruch nehmen. Das Ergebnis wird Ihnen erst in einigen Stunden vorliegen*).Ich werde deshalb nach Durchführung dieser Abstimmungen nur die Art. 3 und 4 nebst Einleitung und Überschrift zur Abstimmung aufrufen. Danach werden wir die Behandlung dieses Tagesordnungspunktes unterbrechen. Der Abschluß der zweiten und die dritte Beratung erfolgen dann nach Bekanntgabe des Ergebnisses der namentlichen Abstimmung*).Kann ich davon ausgehen, daß Sie wegen der besonderen Umstände dieses Falles mit dem im Ältestenrat vereinbarten Verfahren einverstanden sind? — Ich sehe keinen Widerspruch; dann ist so beschlossen.Ich eröffne die namentlichen Abstimmungen.Meine Damen und Herren, ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme noch nicht abgegeben hat?
— Ja, bitte sehr. Ich will Ihnen ausreichend Zeit einräumen, möchte aber den Kolleginnen und Kollegen, die ihre Stimme schon abgegeben haben, sagen, daß wir anschließend noch weitere Abstimmungen vorzunehmen haben, wenn auch keine namentlichen, sondern solche durch Handheben. Doch, wie gesagt, ich lasse ausreichend Zeit für diese schwierige Prozedur des Ausfüllens des Stimmzettels.*) Siehe Seite 14637
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 194. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Januar 1986 14573
Präsident Dr. JenningerIch darf noch einmal fragen, ob jetzt alle ihre Stimmkarte, ihren Stimmzettel ausgefüllt und abgegeben haben.
— Entschuldigung: den Stimmzettel. — Ja. Ich schließe die Abstimmungen zu den Art. 1 und 2. Ich bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.Ich rufe die Art. 3 und 4, Einleitung und Überschrift auf. Wer diesen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die aufgerufenen Vorschriften sind bei einigen Enthaltungen der Fraktion DIE GRÜNEN angenommen.Meine Damen und Herren, ich unterbreche jetzt die Beratung dieses Tagesordnungspunktes. Das Ergebnis der Abstimmung wird voraussichtlich erst in einigen Stunden vorliegen. Danach muß befunden werden, wann mit der zweiten Beratung und der dritten Beratung fortgefahren werden kann.Wir treten jetzt in die Mittagspause ein.Ich unterbreche die Sitzung bis zum Beginn der Fragestunde um 14.30 Uhr.
Ich eröffne die unterbrochene Sitzung.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt Fragestunde
— Drucksache 10/4732 —
auf. Wir setzen mit dem Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern fort, der schon gestern aufgerufen war. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Herr Spranger zur Verfügung.
Die Frage 49 des Abgeordneten Hedrich soll schriftlich beantwortet werden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 50 des Abgeordneten Würtz auf:
Welche Maßnahmen gedenkt die Bundesregierung zu ergreifen, um ähnliche Verbrechen wie das der Skinheads von Hamburg an dem Türken Ramazan Avci zu verhindern?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Die Bundesregierung verurteilt das Verbrechen der Skinheads von Hamburg an dem Türken Ramazan Avci. Sie stellt mit Genugtuung fest, daß die mutmaßlichen Täter durch ein rasches Eingreifen der Hamburger Polizei so schnell festgenommen wurden. Die Bundesregierung betrachtet Vorgänge dieser Art mit Sorge. Sie weist jedoch darauf hin, daß die Bekämpfung derartiger Verbrechen in die Zuständigkeit der Länder fällt.
Zusatzfrage, Herr Würtz.
Herr Staatssekretär, denken Sie daran, Maßnahmen zu ergreifen, um die Skinheads zu verbieten?
Spranger, Parl. Staatssekretär: In allen früheren Fällen hat sich der Bundesminister des Innern zu konkreten Verbotsüberlegungen bisher nie geäußert. Die Begründung hierfür liegt darin, daß einerseits der Hinweis darauf, Verbotsabsichten bestünden nicht, als Freibrief für weitere Aktivitäten verstanden werden könnte, andererseits der Hinweis auf ein beabsichtigtes Verbot eine unerwünschte Warnfunktion haben würde. An dieser Praxis möchte ich auch jetzt festhalten.
Weitere Zusatzfrage, Herr Würtz.
Herr Staatssekretär, wollen Sie diese Meinung weiter vertreten, wenn inzwischen Mitglieder dieser Gruppierung erstochen werden?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich bitte sehr um Verständnis, wenn ich bei der Meinung bleiben muß, mich zu Verbotsüberlegungen aus den genannten Gründen jetzt nicht äußern zu können.
Ich rufe die Frage 51 des Abgeordneten Ströbele auf. Der Abgeordnete ist nicht im Saal. Dann wird bezüglich der Fragen 51 und 52 des Abgeordneten Ströbele entsprechend der Geschäftsordnung verfahren.
Ich rufe die Frage 53 der Abgeordneten Frau Borgmann auf:
Wie sah die von Staatssekretär Kroppenstedt in der Fragestunde vom 22. Januar 1986 für das Jahr 1983 zugegebene Polizeizusammenarbeit mit der Republik Südafrika im einzelnen aus, und wann wurde die Zusammenarbeit in den einzelnen Teilbereichen abgebrochen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ausweislich des Stenographischen Berichts über die Fragestunde am 22. Januar 1986 hat Herr Staatssekretär Kroppenstedt die Frage 46 nach Dienstreisen von Beamten des Bundeskriminalamtes nach Südafrika in vollem Umfange beantwortet. Wie nachzulesen ist, hat Herr Staatssekretär Kroppenstedt ausdrücklich darauf hingewiesen, daß in den letzten drei Jahren lediglich zwei derartige Dienstreisen durchgeführt wurden, davon eine auf Grund eines staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens wegen Verdachts des organisierten Rauschgifthandels und eine zur Teilnahme an einer Konferenz der Universität Pretoria über Fragen der Terrorismusbekämpfung. Von einer Polizeizusammenarbeit in dem der Frage unterliegenden Sinne kann daher keine Rede sein. Eine solche Zusammenarbeit war weder in den letzten drei Jahren noch zu einem anderen Zeitpunkt gegeben.
Zusatzfrage, Frau Borgmann.
Herr Staatssekretär, können Sie uns bitte einmal näher erläutern, was die Bundesregierung in Südafrika unter Terrorismus versteht: Sind das die Überfälle auf die Nach-
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14574 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 194. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Januar 1986
Frau Borgmannbarstaaten seitens der südafrikanischen Armee oder die Schüsse auf Schulkinder durch Polizeibeamte, die jetzt Besuch aus Bonn und anderen bundesdeutschen Städten bekommen?Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich möchte den Terrorismusbegriff der Bundesregierung Ihren Erwägungen nicht gleichsetzen.
Weitere Zusatzfrage, Frau Borgmann.
Findet es die Bundesregierung eigentlich völlig normal, Polizeibeamte zu Vortragsveranstaltungen nach Südafrika zu entsenden, und bestehen auch Pläne, Polizeibeamte aus Südafrika nach hier zu holen?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Es bestehen keine Bedenken — es bestanden auch im Juni 1983 keine —, daß ein Beamter an einer internationalen Konferenz der Universität Pretoria über Fragen der Terrorismusbekämpfung teilgenommen hat. Ich sagte, es war eine internationale Konferenz.
Sie haben die Zusatzfrage nicht konkret beantwortet. Sie ging dahin, ob welche nach hier eingeladen worden sind. Wollen Sie das noch beantworten?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Es geht, Herr Präsident, auch nach der Fragestellung der Frau Abgeordneten um die Frage, ob wir es normal finden, daß Beamte in Südafrika an solchen Tagungen teilnehmen. Das habe ich beantwortet.
Die Regierung ist frei in der Art, wie sie antwortet. Aber das war keine Antwort auf die gestellte Frage.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Struck.
Herr Staatssekretär, können Sie Auskunft darüber geben, ob Polizeibeamte aus Südafrika in der Bundesrepublik Deutschland an derartigen oder ähnlichen Veranstaltungen teilnehmen?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Das kann ich nicht sagen. Ich habe darüber jetzt keine Kenntnis. Ich bin gern bereit, das abzuklären.
Weitere Zusatzfrage, Frau Schmidt .
Herr Staatssekretär, Sie haben in Ihrer ersten Antwort gegenüber Frau Borgmann gerade gesagt, die GRÜNEN hätten einen anderen Terrorismusbegriff als die Bundesregierung. Wie unterscheiden sich die beiden Terrorismusbegriffe?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin Schmidt, es wurde eine Reihe von Beispielen genannt, die nicht identisch mit dem sind, was die
Bundesregierung unter Bekämpfung des Terrorismus versteht.
Ich rufe die Frage 54 der Abgeordneten Frau Borgmann auf:
Hält es die Bundesregierung für vereinbar mit der Pflicht eines Beamten, aktiv für die „freiheitlich demokratische Grundordnung" im Sinne des Grundgesetzes einzutreten, wenn ein Beamter — wie im Fall eines BKA-Mitarbeiters — sich aktiv für das rassistische Apartheidregime Südafrikas einsetzt und dies durch Aufstellen einer südafrikanischen Flagge auf seinem Dienstschreibtisch demonstriert?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Spranger, Parl. Staatssekretär: Der mit der Frage unterstellte Sachverhalt ist offensichtlich mit einem Artikel aus der „tageszeitung" vom 24. Januar 1986 identisch, der in diesem Zusammenhang den Namen eines Beamten des Bundeskriminalamts nennt. Der betreffende Beamte wurde aufgefordert, eine dienstliche Erklärung hinsichtlich des unterstellten Sachverhalts abzugeben. Das Ergebnis der Überprüfung bleibt abzuwarten.
Zusatzfrage, Frau Borgmann.
Teilt die Bundesregierung die Auffassung des Vorsitzenden der Gewerkschaft der Polizei, Schröder, der angesichts der engen Verquickung von Angehörigen der IPA und den Berichten über die Südafrikareise erklärt hat:
Im Interesse des Ansehens der deutschen Polizei lassen wir es nicht zu, politisch oder moralisch mit der Polizei eines Regimes auf eine Stufe gestellt zu werden, das unseren Rechtsstaatsprinzipien hohnspricht.
und wie bewertet die Bundesregierung unter Berücksichtigung dieser Aussage das besondere Engagement von Herrn Landes für Südafrika?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich bitte noch mal um Verständnis, daß jetzt erst zu überprüfen ist, in welcher Form sich dieses Engagement abgespielt hat, um eine Beurteilung abgeben zu können.
Eine weitere Zusatzfrage, Frau Borgmann.
Hat die Bundesregierung die Aufforderung von Herrn Schröder zur Kenntnis genommen — ich zitiere aus einer Pressemitteilung der GdP vom 24. Januar 1986 —:... klarzustellen, daß deutsche Polizeidienststellen in keiner Weise mit der südafrikanischen Polizei Kontakte pflegen. Es wäre fatal, wenn der Eindruck entstünde, daß die deutsche Polizei mit den Exekutivvorgängen von Unrechtsregimen kooperieren würde.und teilt die Bundesregierung diese Auffassung des Vorsitzenden der Polizeigewerkschaft?Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich darf noch einmal darauf hinweisen, daß ich zu der Frage 53 bereits klargestellt habe, daß von einer Polizeizusammenarbeit in dem dieser Frage zu Grunde liegen-
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Deutscher Bundestag -- 10. Wahlperiode — 194. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Januar 1986 14575
Parl. Staatssekretär Sprangerden Sinn nicht gesprochen werden kann. Ich bitte um Verständnis, wenn ich deshalb auch eine Stellungnahme zu der Erklärung von Herrn Schröder heute nicht abgeben kann. Wir sind gern bereit — auch unter dem Gesichtspunkt, daß die Prüfung der Reise oder des Verhaltens von Herrn Landes noch nicht abgeschlossen ist —, diese Überlegungen von Herrn Schröder in die Prüfung einzubeziehen.
Zusatzfrage, Frau Däubler-Gmelin.
Wären Sie, nachdem Sie sich jetzt auf tatsächliche Feststellungen beschränkt haben, noch so freundlich, klarzustellen, daß Sie eine derartige wie auch immer geartete Zusammenarbeit auch nicht für wünschenswert halten, Herr Staatssekretär?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich möchte auf hypothetische Fragen keine hypothetischen Antworten geben.
— Ich habe auf eine konkrete Frage konkret geantwortet.
— Es ging um die konkrete Frage zu zwei Reisen von Polizeibeamten.
Nein. Augenblick! Ich kann das zwar verstehen. Aber das ist nicht in unseren Regeln, Frau Dr. Däubler-Gmelin.
Es gibt noch eine Zusatzfrage des Abgeordneten Vogel .
Herr Staatssekretär, können Sie mir bitte sagen, welche anderen Staaten oder Polizeibehörden Vertreter zu dieser von Herrn Staatssekretär Kroppenstedt in der vorigen Woche als „internationale Konferenz" bezeichnete Veranstaltung in der Universität Pretoria entsandt haben?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Das kann ich Ihnen nicht sagen. Aber ich bin gern bereit, Ihnen das zu übermitteln.
Ich rufe die Frage 55 des Abgeordneten Stahl auf:
Welche Unterschiede in bezug auf Schadstoffemissionen und Investitionen in der Wirtschaft hätte die vom Bundesrat am 18. Oktober 1985 beschlossene TA Luft verglichen mit der Vorlage der TA Luft, die Bundesminister Dr. Zimmermann am 24. Juli 1985 in einer Presseerklärung vorstellte, bewirkt?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Stahl, die Änderungsvorschläge des Bundesrates betreffen sowohl Anforderungen zum Vollzug der TA Luft als auch Verschärfungen von Emissionsanforderungen einzelner Anlagearten. Hinsichtlich Ihrer Fragestellung wirken sich nur die Verschärfungen aus. Sie sind nicht insgesamt, sondern nur anhand einiger Beispiele bezifferbar. Nach Aussagen der betroffenen Wirtschaft sollen die vom Bundesrat vorgeschlagenen Emissionsverminderungen bei Zinn bei einem Investitionsvolumen von 20 bis 30 Millionen DM etwa 3 500 kg, bei Blei aus Batteriefabriken bei 50 Millionen DM Investitionen etwa 1 000 kg, bei Ammoniak mit Investitionen von ca. 140 Millionen DM etwa 800 Tonnen — bei einer Gesamtemission von 370 000 Jahrestonnen — jährlich betragen.
Zusatzfrage, Herr Stahl.
Herr Staatssekretär, können Sie zu einzelnen Industriezweigen etwas Genaueres ausführen? Unbestritten ist ja, daß Ihr Chef, der Bundesinnenminister, am 24. Juli 1985 in der Presseveröffentlichung des Ministeriums zu einzelnen Schadstoffbereichen Zahlen genannt hat und daß Sie dann am 17. November, wenn ich das noch richtig im Gedächtnis habe, vor dem Deutschen Bundestag von einem Gesamtinvestitionsvolumen von 10 Milliarden gesprochen haben. Wie wirkt sich das denn hinsichtlich meiner ersten Frage, die ich gestellt habe, nach einzelnen Industriezweigen aus? Denn ich gehe doch davon aus, daß Sie, weil in dieser Erklärung auch die einzelnen Industriezweige aufgeführt wurden, eine genaue Erhebung — bezogen auf Schadstoffe und Investitionen — vorgenommen haben.
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Stahl, ich habe die Antworten so gut gegeben, wie es z. Zt. ermittelbar ist. Es ist bisher nicht möglich gewesen, es auf einzelne Industriesparten aufzuschlüsseln. Ich bin gerne bereit, den Versuch noch einmal zu unternehmen, um noch konkreter über die an sich recht konkreten Gesamtzahlen hinaus zu differenzieren.
Weitere Zusatzfrage, Herr Stahl.
Schönen Dank für die Zusage, daß Sie das tun wollen. Nun meine Zusatzfrage. Ich hätte von Ihnen gern die Zahlen, also Schadstoffe und Investitionshöhe bezogen auf all die Industriezweige, die der Innenminister am 25. Juli 1985 beziehungsweise Sie hier im Deutschen Bundestag am 17. November angesprochen haben. Ich bitte, daß Sie mir das zustellen. Ist das möglich?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich sagte damals, daß es hier branchenspezifische Schätzungen sind. Ich will versuchen herauszubekommen, was die Grundlage dieser Schätzungen und wer dafür verantwortlich ist.
Ich rufe nun die Frage 56 des Abgeordneten Stahl auf:
Wie würde sich die jüngst bekanntgewordene Version der TA Luft — siehe Punkte 1 bis 4 des Schreibens von Kabinettsmitgliedern an die Regierungschefs der unionsregierten Bundesländer, veröffentlicht in der Frankfurter Rundschau
Vizepräsident Westphal
vorn 20. Dezember 1985 — in bezug auf eine Veränderung von Schadstoffemissionen und Investitionen in der Wirtschaft auswirken?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Spranger, Parl. Staatssekretär: Zu dem von Ihnen zitierten Schreiben haben die drei Kabinettsmitglieder die von Ihnen genannten Regierungschefs unter Hinweis auf die fehlende Verwaltungs- und Finanzierungskompetenz des Bundes für Maßnahmen zum Umweltschutz um Prüfung gebeten, ob es bei den vom Bundesrat vorgeschlagenen Regelungen verbleiben soll. Aus Bundessicht schienen dabei vier Punkte besonders bedeutsam. Von diesen vier Punkten können sich hinsichtlich Ihrer Fragestellung nur die vom Bundesrat vorgeschlagene Einführung eines strengen Emissionswertes für Ammoniak und die Anwendung der Abgasreinigung bei der Intensivtierhaltung auswirken.
Die Übernahme des Ammoniakwertes würde, wie bereits ausgeführt, bei einer Gesamtemission von ca. 370 000 Tonnen jährlich lediglich eine Verminderung um 800 Tonnen jährlich bewirken, aber ein Investitionsvolumen von ca. 140 Millionen DM erfordern. Entsprechende Zahlen sind für die Intensivtierhaltung nicht bekannt.
Zusatzfrage, Herr Stahl.
Herr Staatssekretär, ich würde Sie gern fragen, wie sich z. B. der Wegfall der Bagatellklausel, die vom Bundesrat zusätzlich verschärft worden ist, speziell auf die Anzahl der Betriebe auswirkt. Ich glaube, Sie sprachen damals in Ihrer Rede von insgesamt 50 000 im Bundesgebiet. Sie müssen doch, wenn Sie für die Bundesregierung derartige Zahlen in die Welt setzen, der Erhebung gewisse ernsthafte Kriterien zugrunde legen. Oder ist das nicht geschehen?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Stahl, ich darf Ihnen vielleicht aus der Presseerklärung des Herrn Bundesinnenministers vorn 28. Januar mitteilen, daß die Veränderung der Bagatellgrenzen für Anlagen mit geringem Emissionsaufkommen, die insbesondere für viele mittelständische Anlagen Bedeutung haben, nicht übernommen werden konnte. Das heißt, das Problem ist durch die jetzt verabschiedete TA Luft — sie wird ja morgen im Bundesrat beraten — erledigt.
Weitere Zusatzfrage, Herr Stahl.
Herr Staatssekretär, Sie werden einem Abgeordneten des Deutschen Bundestages doch zugestehen, daß er, wenn die Bundesregierung derartige Änderungen im Verhältnis z. B. zum Bundesrat beschließt wie jetzt, doch darauf eine Antwort von Ihnen erwarten kann, wie speziell sich in diesem Bereich die einzelnen Emissionen und das Investitionsvolumen insgesamt darstellt. Würden Sie mir das dann vielleicht schriftlich geben?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich kann gerne den Versuch unternehmen, Ihnen noch nähere Informationen über ein an sich erledigtes Problem zu übermitteln.
Wir sind damit am Ende des Geschäftsbereichs des Bundesministers des Innern. Ich danke dem Staatssekretär für die Beantwortung der Fragen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes auf. Zur Beantwortung der Fragen steht Staatsminister Vogel zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 27 des Abgeordneten Dr. Diederich auf:
Ist es zutreffend, daß Bundeskanzler Kohl ein Schreiben des Regierenden Bürgermeisters von Berlin erhalten hat, in welchem Herr Diepgen die politisch Verantwortlichen in Bonn und Berlin darauf hinweist, daß bei der Einführung eines RIAS-Fernsehprogramms auf Grund der besonderen Rechtskonstruktion des RIAS in Zukunft mehr Möglichkeiten bestünden, steuernd auf die Sendeanstalt einzuwirken, und ist mit dieser Steuerung eine Beeinflussung des Programms im Sinne eines Regierungssenders gemeint gewesen?
Bitte schön, Herr Staatsminister.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Dr. Diederich, der Bundeskanzler steht mit zahlreichen Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens in Briefkontakt.
Ich bitte um Verständnis, daß ich über Einzelheiten solcher Briefwechsel hier keine Auskunft erteilen kann. Das gilt insbesondere dann, wenn solche Briefwechsel vertraulich sind.
Zusatzfrage, Herr Dr. Diederich.
Herr Staatsminister, dann möchte ich Sie fragen, was die Antwort wäre, wenn eine solche Bemerkung, wie sie in der Frage 27 formuliert ist, an ihn herangetragen würde.
Vogel, Staatsminister: Herr Kollege Diederich, dies ist nun eine hypothetische Frage.
— Sie ist aber trotzdem hypothetisch. Sie haben gesagt: Was wäre, wenn die Antwort so lauten würde. Dies unterstellt einen so von mir nicht dargestellten Sachverhalt. Ich bitte um Verständnis dafür, aber ich gebe grundsätzlich auf hypothetische Fragen keine hypothetischen Antworten.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Gut, dann darf ich noch einmal nachfragen: Wie will die Bundesregierung in der Öffentlichkeit aufgetretene Bedenken ausräumen, daß der RIAS Berlin möglicherweise zu einem unkontrollierten Sender wird, der von West-Berlin aus -- wie es so schön heißt — „Regierungsrundfunk durch die Hintertür in das Kabelnetz westdeutscher Länder einspeist"?Vogel, Staatsminister: Ich gehe davon aus, daß RIAS in keinem Fall ein unkontrollierter Sender wird, so daß sich schon von dieser von Ihnen unter-
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 194. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Januar 1986 14577
Staatsminister Vogelstellten Voraussetzung her weitere Ausführungen zu dieser Frage erübrigen.
Ich rufe die Frage 28 des Abgeordneten Dr. Diederich auf:
Welche Antwort hat der Bundekanzler Herrn Diepgen auf sein Schreiben gegeben, und in welcher Art und Weise beabsichtigt die Bundesregierung, auf die Programmgestaltung des RIAS Einfluß zu nehmen?
Bitte schön, Herr Staatsminister.
Vogel, Staatsminister: Herr Kollege Diederich, zu dem zweiten Teil der Frage — der erste Teil der Frage ist ja mit der vorherigen Antwort bereits beantwortet — ganz klar: Die Bundesregierung beabsichtigt nicht, auf die Programmgestaltung des RIAS Einfluß zu nehmen.
Zusatzfrage, Herr Diederich.
Meine Frage bezieht sich jetzt auf die Rechtsgrundlage. Ich darf vorausschicken, daß der RIAS überwiegend aus Mitteln des Haushalts des Bundes finanziert wird, d. h. es wird dort Steuerzahlergeld verwendet. Ist die Bundesregierung unter diesem Aspekt bereit, mit unseren amerikanischen Partnern entsprechende Abmachungen über eine satzungsähnliche Bestimmung zu treffen, oder hat die Bundesregierung vielleicht bereits solche Absprachen getroffen, die sicherstellen, daß eine demokratisch legitimierte Kontrolle des RIAS, insbesondere im Hinblick auf die Verwendung der Steuerzahlergelder, erfolgt?
Vogel, Staatsminister: Herr Kollege Diederich, ich beantworte die Frage, obwohl ein unmittelbarer Zusammenhang zu den von Ihnen eingebrachten Fragen nicht besteht. Ich möchte aber, damit das klar ist, sagen, daß zwischen der Bundesregierung und der Regierung der Vereinigten Staaten Kontakte hinsichtlich der Einführung eines Fernsehprogramms durch die der United States Information Agency in Berlin unterstehende amerikanische Einrichtung RIAS besteht. Die Gespräche haben zum Ziel, die technischen, medienpolitischen und finanziellen Voraussetzungen für die Einführung eines RIAS-Fernsehens zu prüfen. Über dieses Stadium ist das bisher nicht hinaus.
Sie haben noch eine Zusatzfrage. Bitte schön.
Herr Staatsminister, nachdem Sie, wie Sie wohl selber zugeben müssen, sehr generell und ausweichend geantwortet haben, darf ich noch einmal insistieren. Die „taz", Berlin, hat unter dem 11. November 1985 den von mir in der vorigen Frage zitierten Brief erwähnt und eben auch eine Inhaltsbehauptung ausgesprochen. Können Sie hier eindeutig und klar sagen, daß es einen Brief dieses Inhalts an den Bundeskanzler nicht gibt, bzw. können Sie Vermutungen anstellen, wie die „taz" zu einer solchen Behauptung kommt?
Vogel, Staatsminister: Herr Kollege Diederich, das müssen Sie die „taz" fragen. Die „taz" wird sich selbstverständlich auf ihr Redaktionsgeheimnis berufen, so daß es wahrscheinlich ziemlich aussichtslos ist, das dort nachzuprüfen. Das wissen wir auch.
Aber ich möchte noch einmal auf meine erste Antwort zurückkommen. Ich habe darauf hingewiesen, daß der Bundeskanzler mit vielen Persönlichkeiten, insbesondere des öffentlichen Lebens, in Briefkontakt ist. Es gibt weder die Übung, daß über die Tatsache solcher Briefkontakte etwas öffentlich gesagt wird, noch die, über den Inhalt zu sprechen. Deshalb kann ich also weder die Tatsache eines solchen Briefes hier bestätigen, noch bin ich in der Lage, Ihnen über einen etwaigen Inhalt eines Briefwechsels etwas zu sagen. Es steht im pflichtgemäßen Ermessen des Bundeskanzlers, wie weit er bestehende Briefwechsel öffentlich macht, wie weit er das nicht macht. Ich glaube, daß ich Ihnen trotz Ihres erkennbaren Interesses weitere Auskünfte jedenfalls nicht geben kann.
Ich rufe die Frage 29 des Abgeordneten Dr. Struck auf:
Treffen Berichte der Illustrierten Stern vom 23. Januar 1986 zu, wonach das Bundeskanzleramt den Herausgeber des Deutschen Monatsmagazins, Kurt Ziesel, gebeten hat, „die Angelegenheit Deutsches Monatsmagazin doch auf sich beruhen zu lassen", und wer hat diese Bitte ausgesprochen?
Bitte schön, Herr Staatsminister.
Vogel, Staatsminister: Herr Kollege Struck, ich wäre Ihnen dankbar, wenn ich Ihre beiden Fragen im Zusammenhang beantworten könnte.
Dann rufe ich auch die Frage 30 des Abgeordneten Dr. Struck auf:
Welchen Anlaß sah das Bundeskanzleramt, dafür Sorge zu tragen, daß dem „Deutschen Monatsmagazin" genügend Anzeigenaufträge erteilt werden, und trifft es zu, daß diese Zeitschrift jährlich 220 000 DM an die Union-Betriebs-GmbH als Lizenzgebühr abzuführen hat und deshalb das Kanzleramt ein Interesse an ausreichendem Anzeigenaufkommen für das „Deutsche Monatsmagazin" hatte?
Vogel, Staatsminister: Die von Ihnen genannten Berichte treffen nicht zu. Eine solche Bitte ist vom Bundeskanzleramt nicht ausgesprochen worden. Damit ist zugleich auch Ihre Frage nach einem entsprechenden Anlaß bzw. Interesse des Bundeskanzleramtes beantwortet.
Zusatzfrage eins, Herr Dr. Struck.
Herr Staatsminister, warum hat das Bundeskanzleramt, wenn, wie Sie ausführen, diese Berichte nicht zutreffen, die Berichte im „Stern" dann nicht dementiert?Vogel, Staatsminister: Also, lieber Herr Kollege Struck, wenn wir alles dementieren würden, was irgendwo behauptet wird, hätten wir wahrschein-
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14578 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 194. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Januar 1986
Staatsminister Vogellich von morgens bis abends kaum etwas anderes zu tun, als zu dementieren.
Weitere Zusatzfrage, Herr Struck.
Herr Staatsminister, empfinden Sie die Darstellung in der Illustrierten „Stern" über das Verhältnis zwischen CDU, der rechtslastigen Deutschlandstiftung und dem Mitarbeiter des Schatzmeisters der CDU, Uwe Lüthje, einerseits und dem dargestellten „Deutschen Monatsmagazin" andererseits nicht als so schwerwiegend, daß Sie ausnahmsweise von Ihrem Grundsatz, nicht zu dementieren, hätten abweichen und vielleicht doch dementieren müssen?
Vogel, Staatsminister: Herr Kollege Struck, Sie haben ja genannt, um welches Publikationsorgan es sich handelt. Da wir von diesem Publikationsorgan nach unserer Erfahrung eine ganze Menge gewöhnt sind, überlegen wir natürlich, in welchen Fällen wir es für notwendig halten und in welchen Fällen nicht, etwas zu dementieren. Wenn hier nicht dementiert worden ist, dann ist man wohl der Auffassung gewesen, daß es sich nicht lohnt. Wenn Sie es noch einmal genau durchlesen, werden Sie vielleicht unschwer auch von selbst darauf kommen, daß es sich nicht lohnt, das auch noch ausdrücklich zu dementieren.
Weitere Zusatzfrage, Herr Dr. Struck.
Darf ich aus Ihrer Antwort, Herr Staatsminister, die Sie soeben gegeben haben, schließen, daß Sie mit der Bewertung eines Magazins das „Deutsche Monatsmagazin" des Herrn Kurt Ziesel gemeint haben?
Vogel, Staatsminister: Nein. Sie haben wohl richtig bemerkt, was ich damit gemeint habe, Herr Kollege Struck.
Weitere Zusatzfrage, Herr Dr. Struck.
Würden Sie denn meiner Auffassung zustimmen, daß es sich bei dem „Deutschen Monatsmagazin", das von Herrn Kurt Ziesel herausgegeben wird, um ein Magazin handelt, das in der Tat für Anzeigenaufträge der CDU oder ihr nahestehender Unternehmen besonders geeignet ist?
Vogel, Staatsminister: Sie nehmen jetzt etwas für wahr, was im „Stern" gestanden hat.
Insofern übernehmen Sie die Unterstellung des „Stern".
Wir sind am Ende dieses Geschäftsbereichs. — Sie wollten noch einmal antworten?
Vogel, Staatsminister: Herr Kollege Struck, mir fällt zu vielen Publikationsorganen etwas ein; vielleicht fällt uns etwas Unterschiedliches zu den jeweiligen Publikationsorganen ein. Aber ich glaube nicht, daß wir das Plenum des Deutschen Bundestages heute mittag damit unterhalten sollten.
Das war das Ende des Geschäftsbereichs des Bundeskanzleramts. Ich danke dem Staatsminister für die Beantwortung der Fragen.
Ich rufe nun den Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen auf. Staatsminister Möllemann steht zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 31 des Abgeordneten Rusche auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß alle Botschaften und Konsulate der Bundesrepublik Deutschland den „Deutschland Union Dienst" erhalten, und besteht die Möglichkeit, für andere Fraktionen und Parteien ihre Publikationen unter denselben Bedingungen zu verschicken?
Bitte schön, Herr Staatsminister.
Herr Rusche, es trifft zu, daß etwa 20 Auslandsvertretungen den „Deutschland Union Dienst" erhalten. In etwa gleicher Stückzahl werden auch der „Bayernkurier" und der „Vorwärts" versandt, und zwar seit mindestens zehn bis 15 Jahren. Selbstverständlich werden alle im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien auch diesbezüglich gleichbehandelt. Einzelheiten könnten zwischen den Obleuten der Fraktionen im Auswärtigen Ausschuß diskutiert werden.
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Rusche.
Könnten Sie mir bitte sagen, in welcher Anzahl z. B. das Grüne Bulletin deutschen Vertretungen im Ausland geschickt wird?
Möllemann, Staatsminister: Nach meinen Recherchen, die mich auch auf den einen oder anderen interessanten Sachverhalt gebracht haben, fiel mir auf, daß dieses von Ihnen angesprochene Informationsblatt ebensowenig versandt wird wie z. B. die „Neue Bonner Depesche" der Freien Demokratischen Partei. Ich war für beides ganz aufgeschlossen interessiert. Ich möchte, da ich den Sachverhalt insgesamt für interessant halte, anregen, daß man darüber einmal unter den Obleuten der im Bundestag vertretenen Parteien im Auswärtigen Ausschuß redet, um eine vernünftige Regelung zu finden. Wir haben kein Interesse, bei diesem Thema irgend einen Konflikt mit irgend einer Fraktion zu haben.
Weitere Zusatzfragen? — Herr Dr. Rose.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 194. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Januar 1986 14579
Herr Staatsminister, habe ich Sie richtig verstanden, daß von den rund 200 Auslandsmissionen nur zwanzig diese Zusendung bekommen und damit rund 180 noch die blauen oder grünen Blätter zugeschickt bekommen könnten, falls es gewünscht wird?
Möllemann, Staatsminister: Von den insgesamt drei Publikationsorganen „Deutschland Union Dienst", „Bayernkurier" und „Vorwärts" werden je etwa 20 — mal 23 mal 18 — versandt, die werden natürlich nicht alle an dieselben verschickt. Mir scheint, darüber nach welchen Kriterien das gemacht wird — beispielsweise, ob das allein an dem Interesse des Botschafters oder des Presseattachés liegt — sollte noch einmal vernünftig geredet werden; denn ich kann mir denken, daß bei einer Regelung, die sich vor zehn oder 15 Jahren etabliert hat, unter heutigen Umständen möglicherweise auch andere Botschaften ein Interesse hätten, wenn man die Offerte machen würde. Ich schlage wirklich aus Kostengründen, aber auch aus politischen Gründen vor, darüber einen Konsens zunächst einmal unter den Obleuten zu finden.
Angesichts des hohen Papierverbrauchs, über den wir heute schon einmal zu sprechen hatten, schlage ich vor, dem Rat des Staatsministers zu folgen.
Herr Rusche, noch eine Zusatzfrage? — Nein. Dann rufe ich die Frage 32 des Abgeordneten Rusche auf.
Ist die Bundesregierung mit mir der Meinung, daß die ausschließliche Versendung des „Deutschland Union Dienst" zu einer einseitigen, unausgewogenen Information der deutschen Bürger im Ausland führt'?
Möllemann, Staatsminister: Herr Kollege Rusche, angesichts der Antwort zu Ihrer ersten Frage erübrigt sich, glaube ich, eine Antwort hier. Es gibt eben nicht die einseitige, unausgewogene Information dadurch, daß nur ein Blatt versandt würde. Bisher sind es mindestens drei. Und ich möchte auch darauf hinweisen, daß nicht eine Versendung an die deutschen Bürger im Ausland erfolgt, sondern an die Vertretungen zu ihrer dienstlichen Information. Wie gesagt, die Prämisse ist nicht gegeben. Über eine Veränderung der Prämisse im Sinne einer noch größeren Bandbreite hatte ich bereits angeboten zu sprechen.
Herr Rusche zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, halten Sie es für möglich, daß z. B. der „Deutschland Union Dienst" im Umlaufverfahren an alle Beschäftigten des Konsulats in San Franzisco kommt?
Möllemann, Staatsminister: Wenn ein Interesse daran besteht, fände ich es schlecht, wenn der Botschafter das allein für sich behält. Das gleiche, nehme ich an, wird mit dem „Vorwärts" und dem „Bayernkurier" auch gemacht. Insofern kann ich das nicht ausschließen.
Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Trifft das auch zu, wenn das Interesse, die entsprechende Publikation an alle Mitarbeiter schicken zu lassen, nur beim Konsul, Generalkonsul oder Botschafter vorhanden ist?
Möllemann, Staatsminister: Herr Kollege Rusche, es geht — um das hier klarzustellen — natürlich darum, daß das dienstliche Interesse gegeben sein sollte. Ich erwähnte vorhin in meiner Eingangsbemerkung, daß ich bei meinen Recherchen auch auf den einen oder anderen interessanten Sachzusammenhang gestoßen bin. Mir geht es darum, im Gespräch mit den Obleuten wirklich sicherzustellen, daß eine aus dem dienstlichen Interesse resultierende Information über politische Abläufe in der Bundesrepublik Deutschland möglich ist und gegeben wird, die es den Bediensteten unserer Auslandsvertretungen ermöglicht, ein wirklichkeitsgetreues Bild von der Bundesrepublik Deutschland zu gewinnen. Es ist nicht daran gedacht, daß sich etwa Mitarbeiter, die ehrenwerterweise der einen oder der anderen Partei angehören, auf diesem Wege sozusagen die Parteidienste zukommen lassen. Das ist auch nicht so gemeint; es geht um das dienstliche Interesse.
Frau Hürland, Sie wollen eine Zusatzfrage stellen? — Bitte schön.
Herr Staatsminister, können Sie mir sagen, ob es für die Mitarbeiter im Auswärtigen Dienst eine Lesepflicht gibt?
Möllemann, Staatsminister: In bezug auf Erlasse, Verfügungen und Anordnungen ja, aber nicht eine Lesepflicht dergestalt, daß man verpflichtet wäre, den „Vorwärts", den „Bayernkurier" oder den „Deutschland Union Dienst" zu lesen, auch nicht — wenn es denn künftig erweitert würde — die „Neue Bonner Depesche" der Freien Demokratischen Partei oder entsprechende Publikationsorgane der GRÜNEN.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Schierholz.
Herr Staatsminister, da Sie uns jetzt natürlich neugierig gemacht haben,
möchte ich Sie fragen, ob Sie uns nicht doch sagen können, auf welchen interessanten Sachverhalt der einen oder anderen Art Sie bei der Recherche in dieser Angelegenheit gestoßen sind.
Möllemann, Staatsminister: Ich bin gern bereit, die Obleute darüber zu informieren.
Ich rufe Frage 33 des Abgeordneten Schlaga auf:Ist es richtig, daß das Auswärtige Amt für die Fraktion der CDU/CSU den „Deutschland Union Dienst" an alle Auslandsvertretungen der Bundesrepublik Deutschland versendet, und gegebenenfalls seit wann?
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14580 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 194. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Januar 1986
Vizepräsident WestphalBitte schön, Herr Staatsminister.Möllemann, Staatsminister: Herr Kollege Schlaga, wenn Sie einverstanden sind, verweise ich auch in diesem Fall auf die beiden Antworten, die ich dem Kollegen Rusche gegeben habe; denn ich sagte bereits: Es ist nicht richtig, daß das Auswärtige Amt für die CDU-Fraktion den „Deutschland Union Dienst" an alle Auslandsvertretungen der Bundesrepublik Deutschland versendet. Vielmehr ist es so, daß der „Deutschland Union Dienst" an etwas mehr als 20 Vertretungen versandt wird, der „Vorwärts" ebenfalls an etwas mehr als 20 Vertretungen und der „Bayernkurier" an etwas weniger als 20 Vertretungen.
Eine Zusatzfrage, Herr Schlaga.
Herr Staatsminister, Ihre verdächtig langen Ausführungen legen es mir nahe,
doch noch einmal nachzufragen: Ist denn das Ganze unentgeltlich?
Möllemann, Staatsminister: Ja, für alle drei.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Schlaga.
Wären Sie für den Fall, daß alle Parteien davon in dem Maße Gebrauch machen, daß alle Vertretungen damit versorgt werden, bereit, das unentgeltlich weiterzuführen?
Möllemann, Staatsminister: Ich habe wirklich das Gefühl, daß mein Ratschlag vorhin, unter den Obleuten einmal darüber zu reden, nicht der schlechteste war. Aber auf Ihre Frage hin will ich doch sagen, daß ich bei meinen Recherchen darauf gestoßen bin, daß vor einigen Jahren etwa 100 deutsche Vertretungen mit dem „Vorwärts" bedacht wurden, daß ihn aber von Jahr zu Jahr mehr abbestellt und gesagt haben, sie wollten ihn nicht mehr bekommen. Dadurch ist es billiger geworden. Wenn also Vertretungen ausdrücklich sagen, sie wollten ihn nicht, bekommen sie ihn nicht aufgedrängt.
Mein Eindruck ist, daß wir wirklich, um sicherzustellen, daß es tatsächlich eine Ausgewogenheit der Informationen und keine Verärgerung sowohl bei den Haushaltskollegen als auch bei denen, die politisch das hinreichende Maß an Sensibilität haben, gibt, dies einmal in kleinerem Kreise erörtern sollten und daß wir die Regelung, die dann gefunden wird, hier vortragen können.
Eine Zusatzfrage, Herr Dr. Rose.
Herr Staatsminister, könnte aus der Tatsache, daß, wie Sie sagten, in den letzten Jahren der Bezug des „Vorwärts" zurückging, geschlossen werden, daß es sich tatsächlich mehr um eine sachliche Information der Missionen handelt, weil jetzt die SPD nicht mehr regiert und deshalb das andere einfach gefragter ist?
Ich sehe den Sachzusammenhang nicht ganz, aber der Herr Staatsminister darf antworten, wenn er will.
Möllemann, Staatsminister: Es gibt keine Analyse der Motive der Abbestellungen.
Herr Dr. Rose, Sie können gleich stehenbleiben, denn Ihre Frage ist die nächste.
— Haben Sie sich noch zu einer Zusatzfrage gemeldet? — Bitte schön, Frau Borgmann.
Im Zusammenhang mit diesem Thema wollte ich fragen, ob die Bundesregierung auch darauf Einfluß nimmt, welche Zeitschriften und Magazine an Goethe-Instituten im Ausland ausgelegt werden. Ich habe von Freunden gehört, daß am Goethe-Institut in Paris z. B. die „National-Zeitung" offen ausliegt, und war hierüber doch sehr befremdet.
Möllemann, Staatsminister: Wir als Bundesregierung nehmen darauf keinen Einfluß, weil das Goethe-Institut solche Angelegenheiten in eigener Zuständigkeit regelt. Wir wären damit auch überfordert.
Dennoch fände ich den Sachverhalt, wäre er so gegeben, befremdlich. Ich werde dem gern einmal nachgehen.
Wir kommen zur Frage 34 von Herrn Dr. Rose:
Beurteilt die Bundesregierung die Gorbatschow-Erklärung vom 15. Januar 1986 zu Abrüstungsfragen als seriös im Sinne gegenseitigen Vertrauens, oder handelt es sich nach Ansicht der Bundesregierung wegen der diplomatischen Aktivitäten im Vorfeld des anstehenden Parteitages der KPdSU um einen erneuten Propagandaversuch?
Bitte, Herr Staatsminister.
Möllemann, Staatsminister: Herr Dr. Rose, die Bundesregierung hat zu den am 15. Januar 1986 von Generalsekretär Gorbatschow bekanntgegebenen neuen sowjetischen Abrüstungsvorschlägen bereits Stellung genommen. Die Bundesregierung hat diese Vorschläge begrüßt und festgestellt, daß sie konstruktive Elemente, bekannte Positionen und noch zu klärende Punkte enthalten. Gegenwärtig ist die Bundesregierung dabei, mit ihren Partnern im westlichen Bündnis die sowjetischen Vorschläge eingehend zu analysieren. Die Bundesregierung hofft, daß sich die konstruktiven Elemente in den sowjetischen Vorschlägen auch bei näherer Prüfung für substantielle Fortschritte in allen Rüstungskontrollverhandlungen als tragfähig erweisen werden.
Eine Zusatzfrage, Herr Dr. Rose.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 194. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Januar 1986 14581
Ist der Bundesregierung bekannt, Herr Staatsminister, daß diese Aktivitäten von speziell Ostblockdiplomaten bei uns doch darauf hindeuten lassen, daß man ein besonderes Interesse hat, zu erfahren, wie man in der Bundesrepublik Deutschland reagiert, und daß vielleicht doch mehr ein Zusammenhang mit dem Vorfeld des Parteitages der KPdSU eine Rolle spielt?
Möllemann, Staatsminister: Ich kann nicht ausschließen, daß auch solche Überlegungen angestellt worden sind. Aber ich denke, daß die Art und Weise, wie wir die Vorschläge gewürdigt haben und vor allen Dingen, wie wir jetzt versuchen wollen, im Bündnis gemeinsam zu prüfen, ob es tatsächlich auch zur Umsetzung kommen kann, sachlich angemessen ist. Wir hoffen sehr, daß die Hauptzielrichtung dieser Vorschläge tatsächlich auf Fortschritte bei den Verhandlungen gerichtet ist und nicht etwa die Funktion hat, die ihnen gelegentlich auch beigemessen wird.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Dr. Rose?
— Dann eine Zusatzfrage des Abgeordneten Toetemeyer.
Herr Staatsminister Möllemann, würden Sie meine Auffassung teilen, daß der Vorschlag des Generalsekretärs Gorbatschow im Gegenteil, was die Frage der Einwirkung auf den Parteitag in der Sowjetunion angeht, im Innenverhältnis sogar gefährlich ist, weil er sicherlich nicht nur Freunde in der Sowjetunion haben wird, wenn ich etwa an die Generalität und die Armee insgesamt denke?
Möllemann, Staatsminister: Sie werden verstehen, Herr Kollege Toetemeyer, daß ich Ihre Feststellung, daß Generalsekretär Gorbatschow möglicherweise nicht nur Freunde in der Sowjetunion haben könnte, nicht bewerten will. Ich kann dem aber auch nicht widersprechen; das kann schon so sein. Was Ihre Bewertung bzw. die mögliche Bewertung dieses Vorschlags der Sowjetunion angeht, so will ich Ihnen ebenfalls nicht widersprechen. Man wird sicher mit Interesse sehen, welchen außenpolitischen und rüstungskontrollpolitischen Kurs der Parteitag formulieren wird. Wir hoffen, daß er einen Kurs formuliert, der es ermöglicht, bei den Abrüstungsverhandlungen voranzukommen.
Jetzt kommt die Frage 35 des Abgeordneten Dr. Rose:
Teilt die Bundesregierung die Ansicht führender US-Politiker, daß der Gorbatschow-Vorschlag gezielt in die Phase der derzeitigen US-Haushaltsprobleme gesetzt wurde, um auch von dieser Seite her SDI zu verhindern?
Bitte schön, Herr Staatsminister.
Möllemann, Staatsminister: Herr Kollege Dr. Rose, es erscheint wenig sinnvoll, über Zusammenhänge zwischen sowjetischen Rüstungskontrollvorschlägen und dem parlamentarischen Entscheidungsprozeß in den USA zu spekulieren. Für die Bundesregierung steht bei der Analyse der sowjetischen Vorschläge vom 15. Januar die Frage im Vordergrund, ob sie zu konkreten Verhandlungsfortschritten bei den verschiedenen Rüstungskontrollverhandlungen beitragen. Diese Möglichkeit wollen wir bei den verschiedenen Verhandlungsrunden in der nächsten Zeit schwerpunktmäßig ausloten.
Eine Zusatzfrage, Herr Dr. Rose.
Aber auch wenn Sie nicht spekulieren wollen, Herr Staatsminister, können Sie umgekehrt nicht ausschließen, daß man in Amerika zur Zeit wegen verschiedener Haushaltsschwierigkeiten und auch besonderer Vorschläge auf Budgetkürzungen, vielleicht auch in Zusammenhang mit den Vorschlägen, Rüstungskürzungen vorzunehmen, in einen gewissen Zugzwang kommt.
Möllemann, Staatsminister: Wir haben zur Kenntnis genommen, daß es bei den Haushaltsberatungen in den Vereinigten Staaten gegenüber den ursprünglich angesetzten Beträgen für das SDI-Forschungsprogramm erhebliche Veränderungswünsche aus den beiden Häusern gibt, auch Veränderungen, die schon beschlossen worden sind. Es zeichnet sich weiter ab, daß möglicherweise auch die Ansätze für die nächsten Jahre verändert werden. In der Tat wäre es überraschend, wenn die Sowjetunion zum erstenmal darauf verzichten wollte, auf die Verwirklichung des von ihr nicht geliebten Forschungskonzeptes für SDI einzuwirken. Aber ich denke, selbst wenn das ein Interesse ist, sollten wir ernsthaft prüfen, ob nicht tatsächlich die Chance besteht, die zum erstenmal gemachten veränderten Vorschläge bei den Verhandlungsrunden umzusetzen; denn das wäre ein Vorteil.
Zusatzfrage des Abgeordneten Toetemeyer.
Herr Staatsminister, sind Sie bereit, mir zuzustimmen, daß es in den Vereinigten Staaten Stimmen gibt, die nicht nur auf die erheblichen finanziellen Konsequenzen dieses Projekts verweisen, sondern auch sehr ernst zu nehmende sachliche Kritik an der Durchführbarkeit dieses Projekts äußern?
Möllemann, Staatsminister: Ja, es ist bekannt, daß das so ist.
Zusatzfrage, Frau Borgmann.
Ich würde gern wissen, ob sich die Bundesregierung inzwischen schon einmal ernsthaft mit den Vorschlägen Gorbatschows befaßt hat und wann wir mit einer konkreten Stellungnahme zu rechnen haben.Möllemann, Staatsminister: Frau Kollegin Borgmann, ich habe gerade eine konkrete Stellungnahme dahin gehend abgegeben, wie wir die Vor-
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14582 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 194. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Januar 1986
Staatsminister Möllemannschläge in der Tendenz bewerten. Wir bewerten sie hinsichtlich bestimmter Elemente, die wir für neu halten, positiv; wir haben aber auch wieder eine Reihe „alter Bekannter" getroffen. Hinsichtlich einiger Positionen müssen wir ausloten, ob sie wirklich ernst gemeint sind. Das kann man j a nicht an Hand eines Briefes feststellen; das muß vielmehr bei den Verhandlungen in Wien, Genf und Stockholm — um die drei Foren zu nennen — umgesetzt werden. Dort erwarten wir das am ehesten; vielleicht geschieht das auch bei den Verhandlungen über die Beseitigung chemischer Waffen.Wir haben darüber hinaus die Absicht — ich erwähnte es bereits —, auf diese Frage als Bündnis zu reagieren. Es ist ja ganz entscheidend wichtig, daß solche Vorschläge nicht nur national kommentiert werden, sondern daß das westliche Bündnis eine gemeinsame Verhandlungsstrategie entwickelt, die solchen Vorschlägen auch Rechnung trägt. Wir befinden uns gerade in dem Abstimmungsprozeß. Sie werden, wenn sich das Bündnis entschieden hat — etwa im Blick auf konkrete Reaktionen —, darüber sicherlich auch informiert werden. Eine Reihe von Informationen dieser Art wird man nur im Unterausschuß für Rüstungskontrolle und Abrüstung des Deutschen Bundestags geben können.
Ich rufe die Frage 36 des Abgeordneten Dr. Hupka auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung den Angriff von „Nowosti" in Moskau auf die Bemühungen der Bundesregierung, unter Berufung auf die KSZE-Schlußakte um die Familienzusammenführung der Rußlanddeutschen besorgt zu sein und dafür einzutreten?
Bitte schön, Herr Staatsminister.
Möllemann, Staatsminister: Herr Dr. Hupka, es ist nicht Praxis der Bundesregierung, Presseberichte zu kommentieren. Das war ja soeben Gegenstand der Ausführungen des Kollegen Vogel. Die Bundesregierung hat sich aber in der Vergangenheit stets für das Schicksal der Deutschen in der Sowjetunion eingesetzt; sie wird dies — unabhängig von irgendwelchen Presseberichten — auch weiterhin tun.
Zusatzfrage, Herr Dr. Hupka.
Widerspricht die Bundesregierung der Tendenz dieses Berichts, die Behandlung der Situation der Deutschen in der Sowjetunion stelle eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten der Sowjetunion dar?
Möllemann, Staatsminister: Daß wir uns um dieses Anliegen in der Vergangenheit gekümmert haben und es auch weiterhin tun wollen, ist die eindeutigste Antwort auf eine solche Auffassung, und zwar unabhängig davon, wer sie vertritt. Herr Dr. Hupka, wir stützen uns bei einem solchen Vorgehen ja auch auf handfeste Grundlagen, die uns dazu legitimieren. Nicht nur die KSZE-Schlußakte enthält Verpflichtungen dieser Art, sondern z. B. auch der ja auch von der Sowjetunion ratifizierte Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte, die sowjetische Wohlwollenserklärung von 1978 und die Repatriierungsvereinbarung von 1958. Es gibt also eine ganze Palette von Berufungsgrundlagen. Insofern werden wir uns auch weiterhin darauf beziehen.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Dr. Hupka.
Ich denke, wir stimmen darin überein, daß man die freie Presse hier nicht zensieren darf. Sind Sie mit mir der Auffassung, daß „Nowosti" in einem anderen Kontext zu sehen ist, nämlich in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der Politik der Sowjetunion, da es auf dem Boden der Sowjetunion ja keine freie Meinungsäußerung gibt?
Möllemann Staatsminister: Das ist richtig: Die Bundesregierung vertritt nicht die Auffassung, daß „Nowosti" ein Organ einer freien Presse ist.
Ich rufe die Frage 37 des Abgeordneten Dr. Hupka auf:
Ist die Bundesregierung über ihre Botschaften in Warschau und Prag wegen der Beschränkung der Fernseharbeit von ZDF und ARD in diesen beiden Hauptstädten durch offizielle Dienststellen tätig geworden und hat Einspruch erhoben?
Bitte schön, Herr Staatsminister.
Möllemann, Staatsminister: Ja, Herr Kollege Dr. Hupka, unsere Botschaften nehmen sich grundsätzlich jedes Falles von Beschränkungen der Arbeit deutscher Korrespondenten im Ausland an.
In Warschau hat unsere Botschaft im Außenministerium der Volksrepublik Polen Einspruch gegen die Behinderung der Arbeit des dortigen ZDF-Korrespondenten im Zusammenhang mit dem kürzlich in Warschau abgehaltenen „Weltkongreß der Intellektuellen für den Frieden" erhoben. Das von den dortigen Behörden aus diesem Anlaß ursprünglich suspendierte polnische Kamerateam, das dem ZDF seit neun Jahren zur Verfügung gestanden hatte, hat inzwischen seine Tätigkeit für den ZDF-Korrespondenten wieder aufgenommen.
In Prag ist unsere Botschaft in den letzten Monaten im Außenministerium der Tschechoslowakei mehrfach vorstellig geworden, weil sich Einschränkungen der Arbeit der deutschen Fernsehanstalten abzeichneten. Diese Fälle sind auch in Begegnungen der beiden Außenminister im vergangenen Jahr angesprochen worden.
Zusatzfrage, Herr Dr. Hupka.
Ist die Wiederzurverfügungstellung der technischen Möglichkeiten in Warschau auf den Einspruch zurückzuführen, den, wie ich gerade von Ihnen höre, unsere Botschaft dankenswerterweise erhoben hat?
Möllemann, Staatsminister: Das nehme ich an, ja.
Weitere Zusatzfrage? — Bitte schön.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 194. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Januar 1986 14583
Sie haben von mehreren Fällen der Beschränkung von Aufzeichnungen durch unsere Medien in der Tschechoslowakei gesprochen. Woher rührt diese Häufigkeit? Nimmt man an der Übermittlung der Meinungen aus der Tschechoslowakei in die Bundesrepublik Deutschland Anstoß?
Möllemann, Staatsminister: Ich kann nur vermuten, daß die Berichterstattung den jeweils Verantwortlichen bei den zuständigen staatlichen Stellen nicht zugesagt hat, und damit muß man ja leben. Wir sind es gewohnt, auch mit Berichten zu leben, die uns nicht zusagen. Daß das in Staaten mit anderer Ausprägung nicht genauso ist, wissen wir. Wir können nichts anderes tun, als zu versuchen, etwa unter Berufung auf die KSZE-Schlußakte, darauf hinzuwirken, daß die freie Berichterstattung so weit wie möglich durchgesetzt werden kann.
Jetzt rufe ich die Frage 38 des Abgeordneten Toetemeyer auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß am 3. und 4. Februar 1986 die Außenminister der Frontstaaten Afrikas sich mit den Außenministern der Niederlande, Luxemburgs und Großbritanniens in Lusaka treffen, um über die Realisierung der im September 1985 in Luxemburg von den Außenministern der EG beschlossenen Sanktionen gegen Südafrika zu beraten?
Bitte schön, Herr Staatsminister.
Möllemann, Staatsminister: Herr Kollege Toetemeyer, an dem Treffen mit den Außenministern der Frontstaaten am 3. und 4. Februar dieses Jahres in Lusaka werden alle Mitgliedstaaten der Gemeinschaft auf hoher politischer Ebene beteiligt sein. Seitens der Bundesregierung wird mein Kollege Staatsminister Dr. Stavenhagen an dem Treffen teilnehmen. Dieses Treffen geht bereits auf einen Vorschlag des früheren Präsidenten von Tansania, Nyerere, vom Mai 1985 zurück. Das Treffen ist Teil des politischen Dialogs zwischen den Staaten der Europäischen Gemeinschaft und den Frontstaaten.
Die Fragen des südlichen Afrika, insbesondere die Lage in Südafrika, werden dabei den Schwerpunkt der Erörterungen bilden. Die Europäer werden zusammen mit den Frontstaaten darüber beraten, wie sie durch ihre Politik zu einem Abbau der Apartheid mit friedlichen Mitteln beitragen können.
Zusatzfrage, Herr Toetemeyer.
Herr Staatsminister, habe ich Sie also richtig verstanden, daß es keinen sachlichen Zusammenhang zwischen den Beschlüssen von Luxemburg und dieser Konferenz gibt?
Möllemann, Staatsminister: Nein, das haben Sie falsch verstanden. Denn die Beschlüsse von Luxemburg haben ja mit der Frage, wie man mit friedlichen Mitteln zur Überwindung der Apartheid beitragen kann, sehr viel zu tun; sie sind ja darauf gemünzt. Ich bin sicher, daß die Vertreter der einzelnen Regierungen darstellen werden, in welcher Weise die Maßnahmen, die in Luxemburg beschlossen worden sind, nach ihrer jeweiligen Überzeugung dazu beitragen konnten oder zukünftig noch können, um dieses Ziel zu erreichen. Ich könnte mir auch vorstellen, daß man darüber spricht, inwieweit diese Beschlüsse in einer so kurzen Zeit schon haben umgesetzt werden können, oder darüber, wo das noch bevorsteht. Ich habe hier den Katalog der in Luxemburg beschlossenen restriktiven und der positiven Maßnahmen. Es wird der Bundesregierung nicht sehr schwerfallen, ihrerseits darzustellen, daß sie sich sehr bemüht hat, beide Maßnahmenbündel umzusetzen.
Weitere Zusatzfrage, Herr Toetemeyer.
Ich will noch einmal ganz sichergehen: Herr Staatsminister, es geht also auch um die Implementierung der Beschlüsse von Luxemburg?
Möllemann, Staatsminister: Wenn man, ohne daß wir etwa die Implementierung, die Durchsetzung, Umsetzung dieser Beschlüsse als solche auf die Tagesordnung setzen — denn es ist ja Aufgabe der EG, das zu machen; sie hat sich damit gebunden —, zusammen mit den Partnern aus den Frontstaaten über die Lage im südlichen Afrika sprechen will, wenn man über die Frage sprechen will, wie die Apartheid mit friedlichen Mitteln überwunden werden kann, wird man als EG-Staat logischerweise über das sprechen, was man selber tut, wozu man sich selber verpflichtet hat, was man selber als angemessen ansieht. Insofern wird das natürlich auch de facto erörtert werden.
Zusatzfrage, Frau Borgmann.
Herr Staatsminister, ist es wahr, daß es die EG-Außenminister abgelehnt haben, in Lusaka Vertreter der SWAPO, des ANC, der UDF und der Kirchen zu empfangen, und wie steht die Bundesregierung dazu, wenn das stimmt?
Möllemann, Staatsminister: Das ist nicht wahr.
Ich rufe die Frage 39 des Abgeordneten Toetemeyer auf:Hat die Bundesregierung dem Auftrag an die drei Außenminister zugestimmt, die Realisierung der Beschlüsse von Luxemburg auszusetzen und statt dessen zunächst in Gespräche mit Südafrika einzutreten?Bitte schön, Herr Staatsminister.Möllemann, Staatsminister: Herr Kollege Toetemeyer, aus dem, was ich vorhin gesagt habe, ergibt sich, daß es einen solchen Auftrag nicht gibt. Die Regierungen der Mitgliedstaaten der EG hatten die Außenminister der Niederlande, Luxemburgs und Großbritanniens, also der Troika, im Rahmen der Europäischen Politischen Zusammenarbeit lediglich gebeten, die Lusaka-Konferenz namens der
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14584 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 194. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Januar 1986
Staatsminister MöllemannGemeinschaft vorzubereiten, und zwar in dem Sinne, wie ich es beschrieben habe.
Zusatzfrage, Herr Toetemeyer.
Da Sie in der Antwort auf meine vorige Frage bestätigt haben, daß es u. a. auch um die Durchführung der restriktiven Beschlüsse von Luxemburg geht, jetzt meine konkrete Frage: Welchen konkreten Auftrag hat die Bundesregierung Ihrem Kollegen Stavenhagen in diesem Punkt für Lusaka gegeben?
Möllemann, Staatsminister: Kollege Stavenhagen wird die Haltung der Bundesregierung und unsere bisher praktizierte Politik seit den Luxemburger Beschlüssen erläutern. Er wird das in dem Sinne tun, wie ich dem Auswärtigen Ausschuß vor wenigen Tagen über die Umsetzung sowohl der restriktiven wie auch der positiven Maßnahmen Bericht erstattet habe.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Toetemeyer.
Ist es mir erlaubt, Herr Staatsminister, aus der Tatsache, daß nicht Sie als der zuständige Staatsminister, sondern Ihr Kollege Stavenhagen nach Lusaka fährt, entsprechende Schlüsse zu ziehen?
Möllemann, Staatsminister: Daraus können Sie nur den Schluß ziehen, daß der Kollege Stavenhagen und ich uns die Aufgaben der Vertretung des Bundesministers in dem uns zugeteilten Rahmen kollegial teilen. Einen anderen Schluß daraus zu ziehen wäre unzulässig.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Tatge.
Herr Staatsminister, welche von den EG-Außenministern beschlossenen Sanktionen gegen Südafrika kann die Bundesregierung nicht mittragen?
Ich glaube, daß das nicht ganz im Sinne der Fragestellung ist. — Wollen Sie trotzdem antworten?
Möllemann, Staatsminister: Ich kann nur sagen, daß wir sowohl die restriktiven wie die positiven Maßnahmen mittragen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Rusche.
Herr Staatsminister, ist es nicht verwunderlich, daß die Bundesregierung jetzt, wo sich andere EG-Staaten über Wirtschaftssanktionen Gedanken machen, nichts gegen die Lieferung von Polizeihubschraubern vom Typ MBB 105 einzuwenden hat — trotz eines UNO-Waffenembargos —, wie Sie uns neulich in einer Antwort auf eine Frage von Frau Eid wissen ließen?
Ich kann den Zusammenhang zur eingereichten Frage nicht erkennen. Ich kann den Staatsminister nicht verpflichten, dazu eine Antwort zu geben. — Er will nicht.
Ich rufe die Frage 40 des Abgeordneten Dr. Schierholz auf:
Welche neuen Ergebnisse haben die Konsultationen mit den Verbündeten zur Ratifizierung der Genfer Zusatzprotokolle von 1977 seit der letzten Bundestagsdebatte zu diesem Thema am 26. September 1985 gehabt, und gedenkt die Bundesregierung ihrerseits den Ratifizierungsprozeß bis zum Ende der 10. Legislaturperiode noch in irgendeiner Weise zu beschleunigen?
Bitte schön, Herr Staatsminister.
Möllemann, Staatsminister: Herr Dr. Schierholz, die Erörterung der im Zusammenhang mit den Zusatzprotokollen auftretenden Fragen ist auch seit der letzten Bundestagsdebatte, die wir zu diesem Thema hatten, fortgesetzt worden. Wie auch schon frühere Bundesregierungen festgestellt haben, erfordern Bedeutung und Komplexität der Materie einen umfassenden Meinungsbildungsprozeß. Das ist ja auch in dem Bericht des Auswärtigen Ausschusses vom 24. September 1985 zu Recht betont worden.
Ohne auf Einzelheiten der vertraulichen Bündniskonsultationen eingehen zu können, möchte ich noch einmal nachdrücklich versichern, daß die Bundesregierung unverändert an dem Ziel einer baldigen Ratifizierung der Zusatzprotokolle durch die Bundesrepublik Deutschland festhält. In der Aussprache über den Bericht des Auswärtigen Ausschusses habe ich hier im Namen der Bundesregierung am 26. September 1985 erklärt:
Die Bundesregierung hat nie einen Zweifel daran gelassen, daß sie die Ratifizierung der Zusatzprotokolle will, weil sie sie als bedeutenden Fortschritt im Bereich des humanitären Kriegsvölkerrechts begrüßt.
Dabei bleibt es ebenso, wie es bei der Überzeugung der Bundesregierung bleibt, daß in den in diesem Zusammenhang auftretenden sensiblen Nuklearfragen dem Verhalten der Nuklearmächte eine besondere Bedeutung zukommt. Daher möchte die Bundesregierung das Zustimmungsverfahren erst nach der Ratifizierung der Zusatzprotokolle durch eine Nuklearmacht des Bündnisses einleiten.
Diese eindeutige Position der Bundesregierung ist nicht nur mehrfach im Plenum des Hohen Hauses und in Ausschußberatungen dargelegt worden, sie ist auch dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz bekannt und seinem Präsidenten Alexandre Hay bei seinem Besuch in Bonn im Juni 1985 eingehend erläutert worden.
Eine Zusatzfrage, Herr Dr. Schierholz.
Vielen Dank für Ihre ausführliche Antwort, Herr Staatsminister. Da ich aber nach neuen Ergebnissen gefragt hatte und Sie sich hier hinter die Vertraulichkeit zurückgezogen haben, was mich natürlich ausgesprochen unzufrieden stimmt, möchte ich doch fragen, ob Sie dem in
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Dr. Schierholzder Öffentlichkeit entstehenden Eindruck wirksam entgegentreten können — und, wenn ja, wie —, daß die Bundesregierung versucht, dieses Problem, Ratifizierung der Genfer Zusatzprotokolle, mit einer der bewährten Methoden, nämlich der des Aussitzens, zu erledigen.Möllemann, Staatsminister: Herr Kollege, Sie haben meine Antwort offenkundig falsch interpretiert. Ich hatte darauf hingewiesen, daß wir es für richtig halten, das Zustimmungsverfahren erst nach Ratifizierung der Zusatzprotokolle durch eine Nuklearmacht des Bündnisses einzuleiten. Dabei bleibt es. Eine entsprechende Ratifizierung durch Frankreich, Großbritannien oder die USA ist bisher nicht erfolgt. Wir sind im Gespräch mit unseren Partnern darüber. Sie werden öffentlich zur Kenntnis nehmen können, wann diese erfolgt und werden dann ebenfalls feststellen, daß auch wir das Verfahren einleiten werden.
Weitere Zusatzfrage, Herr Dr. Schierholz.
Weil ich das wirklich nicht für etwas Neues halte, möchte ich versuchen, Ihnen die Gelegenheit zu einer konstruktiven Antwort zu geben, indem ich Sie frage, wie es die Bundesregierung bewertet, daß immerhin in den Ausbildungshilfen des Zentrums für Innere Führung, also eines nachgeordneten Bereichs der Bundesregierung, in einem der neu erschienenen Hefte, das ich hier in der Hand habe, davon ausgegangen wird, daß die Zusatzprotokolle von Genf von 1977 bereits ratifiziert sind, sie also in der Ausbildung der Bundeswehr bereits enthalten sind.
Möllemann, Staatsminister: Den Sachverhalt kann ich nicht beurteilen; davon höre ich zum erstenmal. Das müßte ich überprüfen. Das wäre eine unzutreffende Feststellung in den Papieren der Bundeswehr.
Ich rufe die Frage 41 des Abgeordneten Werner auf:
Aus welchem Grund und in welcher Größenordnung werden abgebrannte MOX-Brennelemente aus der Bundesrepublik Deutschland nach Schweden verbracht?
Bitte schön, Herr Staatsminister.
Möllemann, Staatsminister: Herr Kollege Werner, aus der Bundesrepublik Deutschland sind bisher keine abgebrannten Mischoxid-, also MOX-Brennelemente nach Schweden transportiert worden.
Zusatzfrage, Herr Werner.
Trifft es zu, daß Vereinbarungen getroffen wurden, das für die Zukunft zu tun, und zwar sowohl für die abgebrannten MOX-Elemente von Brokdorf als auch bezüglich solcher Brennelemente der Firma RBU in Hanau?
Möllemann, Staatsminister: Es gibt Verhandlungen zwischen schwedischen und deutschen Kraftwerksbetreibern mit dem Ziel, in der Bundesrepublik Deutschland wirtschaftlich nicht mehr verwertbare abgebrannte MOX-Brennelemente aus deutschen Kernreaktoren gegen abgebrannte Brennelemente aus schwedischen Leichtwasserreaktoren auszutauschen, deren Material nach Wiederaufarbeitung weitgehend erneut in Kernkraftwerken eingesetzt werden kann.
Jeder Transport derartigen radioaktiven Materials unterliegt einer Genehmigungspflicht. Eine Genehmigung wird nur erteilt, wenn sichergestellt ist, daß eine Gefährdung von Bevölkerung und Umwelt ausgeschlossen ist. Bislang ist die Voraussetzung für einen solchen Vorgang aber noch nicht gegeben; denn aus Verhandlungen kann man eben noch nicht schließen, daß es am Ende auch zu einem rechtswirksamen Vertrag kommt.
Zusatzfrage, Herr Werner.
Trifft es zu, daß Gegenstand der Verhandlungen eine Art Ringtauschgeschäft ist, wonach einerseits abgebrannte Brennelemente aus der Bundesrepublik nach Schweden kommen sollen, um dort endgelagert zu werden, was immer das in Schweden bedeuten mag, und andererseits die in La Hague nicht weiter aufzubereitenden Reste sowohl als neue Brennelemente wie auch als Atommüll von La Hague in die Bundesrepublik eingeführt werden sollen, um dann hier auf irgendeine Weise — ich weiß nicht, auf welche — zwischen- oder endgelagert zu werden?
Möllemann, Staatsminister: Herr Kollege, ich sagte Ihnen bereits, was Zweck der Verhandlungen ist, die zwischen den schwedischen und deutschen Kernkraftwerksbetreibern bisher geführt worden sind. Über das hinaus kann ich Ihnen nichts Weiteres mitteilen.
Ich rufe die Frage 42 des Abgeordneten Werner auf:
Trifft es zu, daß der Transport dieses hochgiftigen Atommülls über den meist frequentierten Passagierhafen nach Skandinavien, nämlich über Travemünde erfolgt, und seit wann gibt es solche Transporte?
Bitte schön, Herr Staatsminister.
Möllemann, Staatsminister: Herr Präsident! Herr Kollege Werner, die Antwort auf diese Frage ergibt sich aus der Antwort zu der ersten Frage. Da es derartige Transporte bisher nicht gegeben hat, kann es sie auch nicht über Travemünde gegeben haben.
Zusatzfrage, Herr Werner.
Es ist doch zu erwarten, daß der Abschluß eines solchen Vertrages demnächst zustande kommen wird: Würde in einem solchen Falle — Sie haben immerhin angedeutet, daß Verhandlungen im Gange seien — der Transportweg über diesen von mir vermuteten Hafen Travemünde gehen müsse?Möllemann, Staatsminister: Auf hypothetische Fragen, so hat Herr Kollege Vogel vorhin gesagt,
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Staatsminister Möllemannsollte man nicht hypothetisch antworten. Selbst wenn es so weit käme, würden wir über die Wege eines Transports schon allein aus Sicherheitsgründen nichts öffentlich erklären.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Werner.
Ist es nicht so, daß man von hypothetischen Fragen fast nicht mehr sprechen kann, weil diese Vertragsverhandlungen offenbar bereits ziemlich kurz vor dem Abschluß stehen?
Möllemann, Staatsminister: Ich sagte bereits: Selbst wenn diese Frage nicht hypothetisch wäre, würde ich keine Auskunft über den Transportweg bei solch sensitivem Material geben. Ich meine mit Sicherheitsgründen in der Tat ernst zu nehmende Sicherheitsgründe. Es ist nicht auszuschließen, daß Anschläge auf solche Transporte vorgenommen werden könnten.
Wir sollten dem nicht Vorschub leisten.
Wir sind damit am Ende des Geschäftsbereichs des Bundesministers des Auswärtigen. Ich danke dem Staatsminister für die Beantwortung der Fragen.
Die Fragen 57 und 58 des Abgeordneten Huonker sowie die Fragen 59 und 60 des Abgeordneten Dr. Spöri aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen werden auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. Ich brauche diesen Geschäftsbereich also nicht aufzurufen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft auf. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Sprung zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 61 des Abgeordneten Kalisch auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß wissenschaftlichen Erkenntnissen zufolge auch der Bereich Mitteleuropa als geologisch unstabil gilt, zumal hier in den vergangenen 600 Jahren etwa zwei Dutzend schwere Erdbeben registriert wurden?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Kalisch, Mitteleuropa kann in seiner Gesamtheit nicht als geologisch instabil eingestuft werden. Für verschiedene Regionen Mitteleuropas bestehen Unterschiede hinsichtlich der seismischen Aktivität, so daß eine Unterscheidung nach seismisch aktiven und nichtaktiven Zonen getroffen werden kann. Zu den seismisch aktiven Regionen Mitteleuropas gehören das Rheintalgebiet vom Bodensee bis zur Niederrheinischen Bucht und die Schwäbische Alb. Stärkere Beben fanden in den Jahren 1911, 1943 und 1978 im Bereich der Schwäbischen Alb statt, wobei jeweils Gebäudeschäden auftraten. Erdbeben mit katastrophalen Ausmaßen hat es bisher im Bereich der
Bundesrepublik Deutschland nicht gegeben. Nach Kenntnis der geologischen und tektonischen Verhältnisse sind derartige Beben in Zukunft sehr unwahrscheinlich. Gleichwohl sind zur Überwachung der Seismizität auf dem Gebiet der Bundesrepublik etwa 70 Erdbebenstationen dauernd in Betrieb.
Eine Zusatzfrage, Herr Kalisch.
Erst einmal schönen Dank für die ausführliche Beantwortung dieser Frage.
Teilen Sie mein Erstaunen, daß ich weder im Innenbereich noch im Bereich Forschung und Technologie meine Fragen wiedergefunden habe, sondern im Bereich der Wirtschaft? Das zeigt zwar die Vielseitigkeit der Bundesregierung. Aber ich bin neugierig und wollte danach fragen.
Dr. Sprung, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Kalisch, für geologische Erkenntnisse ist das Bundeswirtschaftsministerium zuständig. Uns untersteht auch die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe. Für Katastrophenschutzmaßnahmen bei Naturkatastrophen sind die Bundesländer zuständig. Ich komme darauf noch zurück, wenn ich auf Ihre zweite Frage antworte.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Kalisch.
Sind der Bundesregierung Prognosen des französischen Staatssekretärs Haroun Tazieff bekannt, wonach pro Jahrhundert mit zwei bis vier schweren Erdbeben in unseren Gebieten gerechnet werden muß, und wie beurteilt die Bundesregierung diese Voraussagen?
Dr. Sprung, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Kalisch, diese Prognosen sind uns über einen Zeitungsartikel seit kurzem bekannt. Soweit darin vom sicheren Eintreten eines größeren Erdbebens ausgegangen wird, halten wir eine solche Prognose nach wissenschaftlichen Erkenntnissen nicht für fundiert.
Jetzt rufe ich die Frage 62 des Abgeordneten Kalisch auf:Welche vorbereitenden Maßnahmen hat die Bundesregierung für den Fall des Eintritts derartiger Naturkatastrophen zur Linderung der Folgen für die Bevölkerung bereits getroffen, und welche Maßnahmen gedenkt sie ergänzend zu ergreifen?Bitte schön, Herr Staatssekretär.Dr. Sprung, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Kalisch, der Bund ist nach der Verfassung nur für den Bevölkerungsschutz im Verteidigungsfall zuständig. Der Bevölkerungsschutz im Fall von Naturkatastrophen obliegt den Bundesländern. Sie haben in diesem Bereich die alleinige Kompetenz für Gesetzgebung und Verwaltung.Die nach den Katastrophenschutzgesetzen der Länder vorgesehenen Maßnahmen umfassen auch den Erdbebenschutz. Durchgeführt werden die Maßmahmen von den Ämtern für Brand- und Katastrophenschutz, die in den Landkreisen und kreis-
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Parl. Staatssekretär Dr. Sprungfreien Städten eingerichtet sind. Die Ämter sind berechtigt, das dort für den Katatstrophenschutz des Bundes im Verteidigungsfall vorhandene Sachpotential auch im Fall von Naturkatastrophen mit zu benutzen.
Eine Zusatzfrage, Herr Kalisch.
Herr Staatssekretär, wenn Sie den Zeitungsartikel erwähnen, dann ist Ihnen sicher auch bekannt, welche Maßnahmen Tazieff vorgeschlagen hat. Wie steht die Bundesregierung dazu, daß Tazieff beispielsweise der Ansicht ist, daß es nicht ausreiche, nach den üblichen Katastrophenschutzmaßnahmen vorzugehen, sondern daß es wichtig und unbedingt notwendig sei, hier eine Institution zu schaffen, die sich allein mit solchen Naturkatastrophen befaßt?
Dr. Sprung, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Kalisch, ich habe hier den Zeitungsartikel, in dem diese vorgeschlagenen Maßnahmen genannt werden. Ich weiß nicht, ob es zweckmäßig ist, sie zu verlesen. Ich glaube, wenn ich sie verläse, sprächen diese Vorschläge für sich. Ich wollte es für den Augenblick unterlassen. Aber wenn Sie es wünschen, werde ich diese Sätze gern vortragen.
Sie haben noch eine Zusatzfrage, Herr Kalisch?
Ich rufe die Frage 63 des Abgeordneten Hansen auf:
Kann die Bundesregierung bestätigen, daß eine Angleichung der teilweise die Verbraucher benachteiligenden unterschiedlichen Regelungen zwischen der Fernwärmeverordnung und der Heizkostenverordnung beabsichtigt ist, und zu welchem Zeitpunkt ist mit einer solchen Angleichung zu rechnen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Dr. Sprung, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Hansen, der Bundesregierung ist bekannt, daß bei der Fernwärmeversorgung von Mehrfamilienhäusern die Verteilung der Heizkosten unterschiedlich sein kann, je nachdem, ob die Heizkostenverordnung oder die Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Versorgung mit Fernwärme anwendbar ist.
Nach der Fernwärmeverordnung können die Unternehmen die Kosten für die an der Übergabestation erfaßte Wärmemenge mit Hilfe von Heizkostenverteilern in vollem Umfang verbrauchsabhängig auf die Kunden verteilen. Daneben ist allerdings in aller Regel ein Fixum zu zahlen. Ein bestimmtes Verhältnis der Kostenverteilung nach verbrauchsabhängigen und verbrauchsunabhängigen Maßstäben ist nicht vorgesehen.
Die Heizkostenverordnung läßt demgegenüber im Regelfall nur eine Kostenverteilung von mindestens 50% und höchstens 70% in Abhängigkeit vom Verbrauch zu. Die Bundesregierung hat Verständnis für den Wunsch, die Kostenverteilungsmaßstäbe der Heizkostenverordnung grundsätzlich auch bei der Fernwärmeversorgung anzuwenden. Die Fernwärmeverordnung steht dem nicht entgegen.
Der Bundesregierung ist bekannt, daß der Hamburger Senat im Bundesrat eine Initiative vorbereitet, um hierfür eine klare Regelung zu schaffen. Die Bundesregierung wird das Thema bei dieser Gelegenheit mit den Ländern gründlich erörtern.
Eine Zusatzfrage, Herr Hansen.
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung auch bekannt, daß wegen dieser Frage schon mehrere Musterprozesse geführt werden und daß deren Erfolgsaussichten nicht ungünstig sind?
Dr. Sprung, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Hansen, ich glaube, wir sollten abwarten, wie das Ergebnis dieser Prozesse aussehen wird. Man kann heute darüber, glaube ich, noch nicht spekulieren.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 64 des Abgeordneten Hansen auf:
Welches Ergebnis hatten gegebenenfalls Gespräche und sonstige Kontakte der Bundesregierung mit den Vertretern der Energiewirtschaft zum Thema Angleichung der unterschiedlichen Regelungen zwischen Fernwärmeverordnung und Heizkostenverordnung?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Dr. Sprung, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Hansen, die Bundesregierung hat in Gesprächen mit der Energiewirtschaft deutlich gemacht, daß gleiche Regelungen bei der Verteilung der Heizkosten nach der Fernwärmeverordnung und der Heizkostenverordnung schon nach geltendem Recht möglich sind, weil die Fernwärmeverordnung dem nicht entgegensteht. Ich habe es eben schon erwähnt.
Die Vertreter der Energiewirtschaft haben aber auf Schwierigkeiten hingewiesen, die mit der notwendigen Umstellung laufender Verträge verbunden wären, weil alle Abnehmer einer solchen Änderung zustimmen müßten. Diese Frage wird bei der Erörterung der beabsichtigten Initiative des Hamburger Senats eine wesentliche Rolle spielen.
Eine Zusatzfrage, Herr Hansen.
Herr Staatssekretär, sind auch Ihnen vielleicht Mieterinitiativen bekannt, wo die Mieter sich zu fast 100 % an ihren Wärmelieferanten gewandt haben und einverstanden wären, die günstigere Berechnungsmethode anzuwenden, und ist Ihnen auch bekannt, daß sich die Wärmelieferanten beharrlich weigern, die günstigere Heizkostenverordnung anzuwenden?Dr. Sprung, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Hansen, die Bemühungen derjenigen, die von die-
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Parl. Staatssekretär Dr. Sprungser Regelung betroffen — aus ihrer Sicht: nachteilig betroffen — sind, sind uns bekannt. Aber ich habe auch darauf hingewiesen, daß es Möglichkeiten gibt, zu einer Anpassung zu kommen, und daß die Fernwärmeverordnung es erlauben würde, eine Regelung zu finden, die der Heizkostenverordnung entspricht. Wenn die Hamburger Initiative Erfolg hat und im Bundesrat Zustimmung findet, wird auf diesem Weg vielleicht eine solche Übereinstimmung herbeigeführt werden können.
Keine weitere Zusatzfrage. —
Meine Damen und Herren, die Fragen 65 bis 72 sind von den Fragestellern zurückgezogen worden. Die Fragen 73 und 74 will der Herr Abgeordnete Kirschner schriftlich beantwortet haben. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Damit sind wir am Ende des Geschäftsbereiches. Ich danke dem Herrn Staatssekretär für die Beantwortung der Fragen. Wir sind damit zugleich am Ende der Fragestunde.
Die Fraktionen waren rechtzeitig davon unterrichtet, daß wir mit der Fragestunde etwas früher fertig sind. Ich kann also jetzt den Tagesordnungspunkt 5 aufrufen:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Roth, Dr. Jens, Dr. von Bülow, Collet, Dr. Ehrenberg, Jung , Junghans, Meininghaus, Frau Dr. Martiny-Glotz. Dr. Mitzscherling, Müller (Schweinfurt), Oostergetelo, Rapp (Göppingen), Reuschenbach, Rohde (Hannover), Frau Dr. Skarpelis-Sperk, Stiegler, Urbaniak, Wolfram (Recklinghausen), Zeitler und der Fraktion der SPD
Verhinderung des Mißbrauchs wirtschaftlicher Macht
— Drucksache 10/2843 —
Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Aussprache 75 Minuten vorgesehen. — Ich höre dazu keinen Widerspruch; dann ist das so beschlossen.
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Dann eröffne ich die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Jens.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Während die Koalitionspolitiker mit kräftigen Worten in der Öffentlichkeit von Marktwirtschaft reden, bringen wir Sozialdemokraten heute im Bundestag unseren Antrag ein, um marktwirtschaftliche Prinzipien und liberale Grundsätze in unserer Wirtschaftsordnung auszubauen.
Der Antrag richtet sich gegen Verhaltenskontrollen und plädiert für Strukturverbesserungen. Wir liegen damit auf der Linie, die durch die Vorstellungen der Monopolkommission gekennzeichnet ist. Der beste Schutz gegen Mißbrauch wirtschaftlicher Macht ist eine funktionsfähige wettbewerbliche
Marktstruktur, heißt es in dem Antrag Drucksache 10/2843, den ich hier heute zu vertreten habe. Nur durch die Sicherung und Verlagerung wirtschaftlicher Entscheidungen auf viele Schultern kann letztlich vermieden werden, daß wirtschaftliche Macht nicht früher oder später am Wähler vorbei in politische Macht umgemünzt wird.
Herr Abgeordneter Wolfram möchte gern eine Zwischenfrage stellen. Möchte Sie sie ihm gewähren?
Verehrter Herr Kollege, wäre es nicht zweckmäßig, daß Sie Ihre Rede so lange unterbrechen, bis der Herr Wirtschaftsminister und die liberalen Wirtschaftspolitiker von der rechten Seite Ihnen zuhören?
Ich habe auch die Befürchtung, daß das nicht allzuviel einbringt, Herr Kollege Wolfram. Die liberalen Wirtschaftspolitiker reden über solche Sachen lieber in der Öffentlichkeit.
Unsere Demokratie lebt von der Meinungsvielfalt.
Deshalb muß nach unserer Meinung, Herr Kollege Seesing, zunächst mit allen Mitteln versucht werden, den Konzentrationsprozeß im Bereich der Massenmedien zu stoppen. Die geltende Fusionskontrolle für Presseunternehmen bedarf dringend einer Ergänzung.
Wenn marktstarke Presseunternehmen und Verlage neue Medien zusätzlich beherrschen wollen, muß dies der Fusionskontrolle unterworfen werden.
Wir greifen deshalb den Vorschlag der Monopolkommission auf, der eine Vergabe von Sendelizenzen wie einen Fusionsvorgang behandelt wissen will.Notwendig ist aber auch, daß es bei der Fusionskontrolle zur Verbesserung materieller Kontrollmöglichkeiten kommt. Fusionsfälle müssen unseres Erachtens nicht erst beim Erwerb einer Beteiligung von 25 % aufgegriffen werden, sondern bereits bei 10 %. Es ist nicht länger hinzunehmen, daß sich der Gesetzgeber von Firmen wie Metro oder Burda durch geschickte Umgehung unserer Intentionen an der Nase herumführen läßt.Die Fusionskontrolle bedarf im übrigen nicht nur der Ergänzung durch diese Bestimmung, sondern muß schon greifen, bevor eine marktbeherrschende Stellung entsteht oder verstärkt wird. Dann ist per definitionem die wettbewerbliche Struktur bereits zerstört. Wer also Wettbewerb sichern will, muß diese Kontrolle vom Kriterium der Marktbeherrschung abkoppeln. Die Untersagung einer Fusion muß erfolgen, wenn eine wesentliche Beeinträchtigung der Wettbewerbsbedingungen gegeben ist. Die
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Dr. JensHerabsetzung des Aufgreifkriteriums und die Abkoppelung von der Marktbeherrschung gehören zusammen, um auch dem Konzentrationsprozeß im Handel entgegenwirken zu können, den wir mit großer Sorge betrachten.Schließlich gibt es bereits Märkte, die von einigen Konzernen beherrscht werden. Wer auf diesen Märkten keine Verhaltenskontrolle will, muß Wettbewerbsstrukturen wiederherstellen. Dafür bedarf es der Einführung einer Entflechtungsregelung, wie wir und die Monopolkommission sie vorgeschlagen haben. Zu prüfen wäre außerdem angesichts der bevorstehenden Mammutfusion zwischen AEG und Mercedes, ob nicht derartige Größtfusionen generell zu untersagen sind.Unsere besondere Sorge gilt der Versicherungswirtschaft. Hier müßte das Kartellamt ohne Zustimmung des Aufsichtsamtes eine Aufgreifmöglichkeit erhalten, um vorhandenen Mißbrauch besser abstellen zu können.Die Banken — insbesondere die Großbanken — haben seit langem viel zuviel Macht usurpiert. Ihre Macht an und in der Industrie muß dringend begrenzt werden, insbesondere durch eine Novellierung des Kreditwesengesetzes.Während meine Fraktion somit eine dezentrale Ordnung sichern will, beteiligt sich die CDU in von ihr regierten Ländern wie Baden-Württemberg und Niedersachsen an der Wirtschaft und an Wirtschaftsfusionen. Die Herren Strauß und Späth sind in verschiedenen Fällen Geburtshelfer von Größtfusionen, gewissermaßen nach dem Motto: Was kümmert mich mein marktwirtschaftliches Geschwätz von gestern?Graf Lambsdorff hingegen entpuppt sich aus meiner Sicht als Marktwirtschaftsheuchler. Er zieht öffentlichkeitswirksam gegen Herrn Späth und Herrn Strauß zu Felde. Doch wenn es nicht nur um das Reden, sondern auch um das Handeln geht, ist er gegen das Verbot von Größtfusionen und gegen eine Entflechtungsregelung, wie wir sie in unserem Antrag vorgeschlagen haben.Besonders arg treibt es allerdings der Präsident des Bundeskartellamtes, Herr Kartte. Im November 1984 plädierte er für eine vorbeugende Fusionskontrolle, um dem Konzentrationsprozeß — insbesondere im Lebensmittelhandel — zu begegnen. Im Januar 1986 lehnt derselbe Präsident öffentlich eine Novelle zum Kartellgesetz mit dem Hinweis ab, daß ein Fummeln am Kartellgesetz nicht weiterhelfe. Der erste Mann des Kartellamtes setzt sich damit deutlich in Widerspruch zur Haltung von zwei Staatssekretären aus dem Bundesministerium für Wirtschaft.Während ich mich vor kurzem noch öffentlich über den Gesinnungswandel des Präsidenten des Kartellamtes beklagt habe, muß ich angesichts dieser Entwicklung heute feststellen: Diese Worte waren nicht korrekt. Richtig ist eher die Feststellung: Wenn einer keine Gesinnung hat, kann er sie auch nicht wandeln.Eigentlich wäre allerdings in dieser Frage Bundeswirtschaftsminister Bangemann gefordert. Es wäre gut, wenn er in der Öffentlichkeit zu diesem Thema einmal etwas sagen würde. Wir werden — er sitzt schon da — gespannt lauschen, Herr Bundeswirtschaftsminister. Aber ich befürchte, daß Sie auch in diesem Falle — wie leider in der letzten Zeit sehr häufig — nicht über allzuviel Sachverstand verfügen.
Die Sozialdemokraten haben kein undifferenziertes Vertrauen in die heilenden Kräfte des Marktes, wie mein Parteifreund von Oertzen vor kurzem meinte. Wir wissen jedoch, daß durch jeden Unternehmenszusammenschluß Märkte abgebaut und Hierarchien errichtet werden. Dabei gehen für die Gesellschaft insgesamt Freiheitsgrade verloren. Wir wissen aus langer Erfahrung, daß durch Märkte und dezentrale Entscheidungen in einzelnen Unternehmen nicht alle Probleme gelöst werden können. Aber viele Probleme werden auf diese Weise wesentlich besser gelöst als durch zentrale Instanzen.
Wir haben eben kein undifferenziertes Vertrauen in den Markt, aber wir haben auch kein undifferenziertes Vertrauen in den Staat, schon gar nicht in diesen.
Der Präsident des Kartellamtes liebäugelt offenbar mit neuen Ideen, die aus den Vereinigten Staaten, insbesondere durch die Chicagoer Schule, zu uns herüberkommen. Dazu sagen wir: Großunternehmen sind kein Garant für Innovationen und Erfolg auf dem Weltmarkt.
Wenn wir den Strukturwandel der Zukunft bewältigen wollen, dann brauchen wir dynamische Unternehmen, und das sind nicht die großen, sondern das sind eher die kleinen und mittleren.Wir Sozialdemokraten sind stets bereit, eingefahrene Denkstrukturen kritisch zu überprüfen. Wir sind aber nicht bereit, jede modische Erscheinung, insbesondere aus den Vereinigten Staaten, ungeprüft zu übernehemen.
Wie in den Vereinigten Staaten wird auch bei uns in letzter Zeit die Verbindung zwischen Staat und Großwirtschaft immer enger. Unsere Erfahrung lehrt uns jedoch: Je größer ein Unternehmen, desto mehr Einfluß hat es auf den Staat, gerade in einer Demokratie. Je stärker die Konzentration, desto größer ist die Abhängigkeit des Staates von der Wirtschaft.
Deshalb geht es in Zukunft in der Wirtschaftsordnungspolitik nicht um neue Theorien. Es geht unseres Erachtens vielmehr um eine Besinnung auf die Grundsätze, auch die Grundsätze eines Walter Eucken. Er wollte einen starken Staat, der den
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14590 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 194. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Januar 1986
Dr. JensOrdndungsrahmen setzt. Er verlangte die Auflösung wirtschaftlicher Machtgruppen und einen effektiven Wettbewerb.
Für mich steht außer Frage: Diese Regierung ist gegenüber der Wirtschaft leider viel zu schwach, um die Prinzipien eines Walter Eucken zu sichern. Sie ist im Grunde bereits der verlängerte Arm der Wirtschaft. Wir brauchen auch kein neues ordnungspolitisches Denken. Wir brauchen vielmehr endlich einen starken Staat und entschiedenen Mut zum Handeln.Ich fordere Sie auf: Akzeptieren Sie unseren Antrag, und zeigen Sie damit, daß Sie wirklich auf der Seite der Marktwirtschaft stehen.Vielen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wissmann.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir werden den Antrag, den der Kollege Jens eben begründet hat, nicht einfach mit leichter Hand abtun, sondern, wie sich das bei einem wichtigen Thema gehört, einer sorgfältigen Prüfung unterziehen. Denn wir sind der Meinung, daß der Grundgedanke, die Marktwirtschaft zu erhalten, indem Konzentrationsentwicklungen nach Möglichkeit vermieden werden, ein Gedanke ist, der über Parteigrenzen hinweg alle diejenigen, die an der Entwicklung der Sozialen Marktwirtschaft interessiert sind, einen muß. Wir sind weiter der Meinung, daß der Einsatz für die Soziale Marktwirtschaft eine zweifach klare Abgrenzung erfordert: zum einen ein deutliches Eintreten gegenüber jener Entwicklung zu immer mehr Staat, die wir fast 14 Jahre lang in Deutschland hatten.
Der Staatsanteil am Bruttosozialprodukt, Herr Kollege Duve, betrug 1969 38 %, im Oktober 1982 50 %.
Das heißt für den normalen Bürger: Jede zweite Mark, die durch seine Taschen fließt, landet dann irgendwo beim Staat. Das heißt am Ende auch mehr Steuer- und Abgabenbelastung.
Deswegen muß dieser Entwicklung gewehrt werden. Wir sind froh, daß der Staatsanteil inzwischen wieder rückläufig ist. Wir sind in diesen Tagen bei 47,7 %.
Aber das ist nur die eine Front. Die andere Front heißt: Sorgen über Konzentration auch in der privaten Wirtschaft dann ernst zu nehmen, wenn sie eine Entwicklung fördert, in der Marktbeherrschung
auftritt und die Existenz kleiner und mittlerer Betriebe gefährdet wird.
Herr Abgeordneter Wissmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Duve?
Gerne, ja.
Bitte schön, Herr Duve.
Herr Kollege, wenn ich Sie jetzt in der Darstellung dieses Zweifrontenkrieges unterbreche, bitte ich um Entschuldigung. Aber sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß bei dem, was Sie eben über den Anstieg der Staatsquote gesagt haben, auch die Länder und Gemeinden und die strukturelle Entwicklung der Bundesrepublik in den 70er Jahren insgesamt zu betrachten sind und daß die strukturelle Veränderung keineswegs nur einer Partei anzulasten ist, zumal die Wirtschaftspolitik zu dieser Zeit immer unter der Verantwortung der Freien Demokraten gestanden hat?
Herr Kollege Duve, ich finde, dieses Thema ist so wichtig und auch ernst, daß ich meine, einfache, parteipolitisch geprägte Antworten würden sich von vornherein verbieten. Natürlich gibt es mehrere Ursachen für die Entwicklung zu immer mehr Staat. Natürlich haben auch die Gebietskörperschaften außerhalb des Bundes dazu beigetragen. Aber daß der Bund die entscheidende Weichenstellung auf dem Weg zu mehr Schulden durchgesetzt hat, daran werden selbst nachdenkliche Sozialdemokraten kaum zweifeln. Deswegen sollten wir alle daraus die entsprechenden Konsequenzen ziehen.
Meine Damen und Herren, wenn man dieses Thema ernst nimmt, was wir tun, kommt man nicht daran vorbei, sich hinter der Oberfläche genau anzusehen, wie die Konzentrationsentwicklung in den letzten Jahren gewesen ist. Ich beziehe mich auf das letzte Hauptgutachten der Monopolkommission, das in seiner letzten Analyse festgestellt hat, daß die Konzentration in Teilbereichen der Wirtschaft zwar Anfang der 80er Jahre wieder leicht zugenommen habe — nachdem Ende der 70er Jahre ein spürbarer Rückgang eingetreten war —, daß diese Entwicklung aber keinen Rückschluß auf eine für unsere Wettbewerbsordnung insgesamt bedrohliche Trendwende zulasse, und dann, wie auch der Präsident des Bundeskartellamts, vor wettbewerbspolitischen Schnellschüssen warnt.Wenn wir über den Antrag der SPD diskutieren, sollten wir es in dem Bewußtsein tun, daß Konzentrationsentwicklungen bedenklich sein können, daß aber ein ständiges Herumflicken am Kartellrecht ohne sorgfältige Vorarbeit ebenso schädliche Wirkungen entfalten kann. Wir sollten deshalb hinsichtlich dessen, was wir im Bereich des GWB durchsetzen wollen, wirklich sorgfältiger arbeiten.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 194. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Januar 1986 14591
WissmannIch will Ihnen einmal einige Zahlen nennen. Das Bundeskartellamt — dessen Präsident Herr Jens hier so kritisiert hat — hat in den letzten Jahren weit über 60 Fusionen verhindert. Dabei sollten wir nicht nur die veröffentlichten Statistiken sehen, sondern auch berücksichtigen, daß ein erheblicher Teil potentieller Fusionen bereits im Vorfeld verhindert wurde; man spricht hier von über 130. Das heißt — und da teile ich die Meinung vieler Experten der Monopolkommission —, von einer Nichtwirksamkeit des Kartellrechts, vor allem der letzten Kartellnovelle, kann sachlich nicht gesprochen werden. Vielmehr sind die Wirkungen der letzten Kartellrechtsnovelle deutlich spürbar.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Jens?
Nein, ich habe schon eine Zwischenfrage zugelassen. Ich habe, wie alle, eine begrenzte Zeit und finde, ich sollte diese Zeit nutzen.
— Wenn alle Kollegen der sozialdemokratischen Seite ebenso Zwischenfragen zulassen, wie ich es getan habe, würde das Ganze etwas lebendiger. Aber wenn man nur zehn oder zwölf Minuten Redezeit hat, kann man nicht mehrere Zwischenfragen zulassen.
Wir haben in den letzten Jahren 709 vollzogene Zusammenschlüsse gehabt und hatten dabei mehr als 100 Fälle, bei denen das Zusammenschlußvorhaben zwar anzeigepflichtig, aber nicht kontrollpflichtig war. Dabei waren allein 10 % dieser Unternehmenszusammenschlüsse solche, in denen es sich um reine Finanzierungsfälle handelt und sich z. B. Kapitalbeteiligungsgesellschaften an mittelständischen Unternehmen beteiligt haben, um deren Eigenkapitalbasis zu stärken. Wenn man alles zusammenzieht, bleiben etwa 90 Fälle übrig, die man als wirklich wettbewerbspolitisch relevant bezeichnen darf und die in der Tat Anlaß sein müssen für das, was ich vorhin als die Notwendigkeit einer ernsthaften Überprüfung einer möglichen Veränderung des GWB bezeichnet habe.Meine Damen und Herren, ich sehe vor allem einen Bereich mit Sorge, der vorhin vom Kollegen Jens nur kurz angetippt worden ist und bei dem ich meine, daß in der Tat — anders als in der gesamten Wirtschaft — die Entwicklungen bedrohlich sind; es ist der Bereich des Lebensmitteleinzelhandels. Hier haben wir seit mehreren Jahren eine Entwicklung zu immer weniger Anbietern, zu einer immer größeren Verdrängung kleiner Händler, die, so glaube ich, niemanden ruhig bleiben lassen kann, dem es ernsthaft um die Erhaltung der Marktwirtschaft und eben auch einer mittelständisch geprägten Wettbewerbsordnung geht.
Weil wir dieses Thema nicht nur mit Lippenbekenntnissen vor uns hertragen, haben wir uns in den letzten Tagen in der Koalition nach monatelanger sorgfältiger Vorprüfung entschlossen, durch eine Novelle zum Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb wettbewerbsfeindliche Vernichtungspraktiken mit einer wirksameren Gesetzgebung besser als bisher unterbinden zu können; denn Wettbewerb, auch scharfer Wettbewerb, muß von jedem Marktwirtschaftler bejaht werden, Vernichtungswettbewerb aber eben nicht,
und deswegen diese UWG-Novelle, mit der wir einige entscheidende Verbesserungen bei Lockvogelangeboten, bei fragwürdigen Preisgegenüberstellungen und die Möglichkeit eines Untersagungsgebots für die Werbung bei Mengenbeschränkung durchsetzen, ebenso wie wir in Zukunft gegen irreführende Werbung entschiedener vorgehen werden.Meine Damen und Herren, ich will nicht den Eindruck erwecken, daß wir damit sozusagen mit einem Gesetz alle Probleme vom Tisch bekämen; ich will nur klarmachen, daß man mit den Mitteln der Marktwirtschaft sehr wohl auch durch gesetzliche Verbesserungen etwas bewirken kann und zum Schutz einer Wettbewerbsordnung, die gerade in diesem Bereich besonders gefährdet ist, etwas erreichen kann.Meine Damen und Herren von der SPD, lassen Sie mich jetzt das ansprechen, was in Ihrem Antrag im Mittelpunkt steht und was, so meine ich, nicht so ohne weiteres — je genauer man es prüft, desto weniger — akzeptiert werden kann. Sie haben in Ihrem Antrag u. a. vorgesehen, daß wir eine Veränderung auch der Begriffe im Kartellrecht vornehmen und ein neues Eingreifkriterium an die Stelle des Kriteriums der Marktbeherrschung treten lassen. Das in Ihrem Antrag genannte neue Kriterium der — wie Sie sich ausdrücken — wesentlichen Beeinträchtigung der Wettbewerbsbedingungen wird von der großen Mehrheit der Fachleute auf dem Gebiet des Kartellrechts deutlich abgelehnt. Statt dessen wird von maßgeblichen Wettbewerbstheoretikern das Kriterium der wesentlichen Wettbewerbsbeschränkung befürwortet, da es wesentlich eindeutiger ist, dem Schutzzweck des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen besser entspricht und, wie ich hinzufüge, auch wesentlich leichter justiziabel ist; denn wir haben ja bei Kartellrechtsänderungen immer wieder die Erfahrung gemacht, daß sich die Rechtsprechung erst im Laufe der Jahre sozusagen im Sinne des neuen Rechts entwickelt hat, und wenn wir fragwürdige oder unklare Rechtsbegriffe einsetzen, statt bei den inzwischen klar umschreibbaren und in ihrer Entwicklung voraussehbaren Begriffen des Kartellrechts zu bleiben, schaffen wir möglicherweise neue Probleme.Sie haben dann einen zweiten Vorschlag gemacht; Sie haben davon gesprochen, wir sollten die Anteilsgrenze für anmeldepflichtige Zusammenschlüsse von derzeit 25 % auf 10 % senken und auf diese Weise größere Wirkungen im Kartellrecht erzielen.
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14592 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 194. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Januar 1986
WissmannMeine Damen und Herren, ich bin sehr im Zweifel, ob es sinnvoll ist, die Herabsetzung der Anteils-grenze durchzusetzen, oder ob dies nicht im Grunde genommen genauso wie die gegenwärtige Anteils-grenze Umgehungsmöglichkeiten bietet, noch mehr Fälle vor das Kartellamt bringt, eher zusätzliche Bürokratie schafft
und das Ziel, von dem Sie mit Recht sprechen, eben doch nicht erreicht.
— Herr Kollege Roth, Sie sagen „Ausreden", aber ich finde, daß der Gegenstand es erfordert, seriös und ernsthaft zu diskutieren.
Was ich hier tue, ist nicht Polemik, sondern eine ernsthafte Auseinandersetzung mit Ihrem Entwurf.
Ich hatte eigentlich geglaubt, Sie wollen mit Ihrem Entwurf ernstgenommen werden — das setzt doch Pro und Contra voraus —, und Sie wollen hier, so dachte ich jedenfalls bis jetzt, nicht mit dem Säbel, sondern mit dem Florett, in Argumenten die Konflikte austragen. Aber offenbar habe ich mich da, wie ich Ihrer Reaktion entnehme, getäuscht.Meine Damen und Herren, daß wir darüber hinaus die Frage des Einflusses der Banken ernsthaft diskutieren müssen, füge ich hinzu. Aber gerade hier ist es nicht mit kurzen Schnellschüssen getan, sondern hier geht es auch — und da stimme ich Präsident Karte zu — neben der Überlegung von Maßnahmen um die Frage, ob es uns gelingt, ein neues ordnungspolitisches Denken bis weit in den Bereich unserer Aktionäre in der Bundesrepublik Deutschland durchzusetzen.Ich will ein Beispiel sagen. In Deutschland ist es bis heute gerade bei den Neuemissionen von Aktien nicht selten üblich, sozusagen Vorzugsaktien auszugeben und dem Aktionär zwar eine relativ ordentliche Dividende zu versprechen, aber ihm im Grunde genommen mit dem Mittel der Vorzugsaktie oder mit anderen Rechtskonstruktionen eine Möglichkeit zur direkten Einwirkung zu versagen. Mir sagte vor kurzem ein Fachmann aus der Londoner Wertpapierbörse, es sei völlig unmöglich, in London eine solche Zahl von Neuemissionen auf den Markt zu bringen, die von vornherein den Aktionär im Recht beschränken, indem sie ihm in Form von Vorzugsaktien oder durch andere Beschränkungen keine wirkliche Einflußmöglichkeit auf das Unternehmen geben.Mit anderen Worten: Ich glaube, daß wir daran arbeiten müssen, daß nicht nur der Aktienmarkt in Deutschland lebendiger wird, soweit wir das als Gesetzgeber beeinflussen können — Abschaffung der Börsenumsatzsteuer und der Gesellschaftsteuer —, sondern daß wir auch daran arbeiten müssen, daß ein Denken entsteht, bei dem sich der normale Aktionär in Deutschland nicht einfach entmündigen läßt, sondern stärker als bisher darauf achtet, welche Möglichkeiten ihm bei der Ausgabe von Aktien gegeben werden, mit anderen Worten, daß ein neues ordnungspolitisches Denken sozusagen im ganzen Land wirksam wird, das dann dazu führt, daß die Kontrolle Großer eher möglich ist, daß die Wettbewerbsordnung besser gesichert wird und daß Zukunftschancen für kleinere und mittlere Betriebe gegeben werden. Dieser Grundgedanke ist entscheidend. Aber ich glaube, Ihr Schnellschuß, den Sie gemacht haben, führt auf diesem Weg nicht zu dem erhofften Ziel.
Das Wort hat der Abgeordnete Tatge.
Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Wir debattieren heute über einen Problemkreis, der zentral die wirtschaftspolitischen Strukturen in der bundesdeutschen Wirtschaft in den nächsten Jahrzehnten bestimmen wird. Noch nie zuvor drehte sich das Fusionskarussell in der Bundesrepublik so schnell wie im vergangenen Jahr. 1985 registrierte das Bundeskartellamt 709 angezeigte und vollzogene Unternehmenszusammenschlüsse im Sinne des Kartellgesetzes. Damit hat sich der Trend der beiden Vorjahre noch verstärkt. 1984 wurden 575 Fusionen gemeldet. Der Höhepunkt von 1980 mit 635 Fusionen ist weit überschritten.Aber nicht nur die Zahl, sondern auch das Gewicht der Unternehmenszusammenschlüsse hat zugenommen. Die Zahl der Großfusionen ist gegenüber dem Vorjahr um 28 % auf 453 Fälle gestiegen. Besorgniserregende Tendenzen gibt es im Lebensmittelhandel, in der Ernährungsindustrie, durch die Pressefusion und im Bereich des Versicherungswesens.Es gab eine Zeit, wo den Politikern die Macht der Konzerne, die Macht multinationaler Unternehmen bewußt war und wo Politiker bereit waren zu handeln.Ziel aller Wirtschaft ist die Bedarfsdeckung des Volkes. Unternehmungen monopolartigen Charakters, Unternehmungen, die eine bestimmte Größe überschreiten müssen, verleihen eine wirtschaftliche und damit politische Macht, die die Freiheit im Staate gefährden kann. Dieser Gefahr muß dadurch vorgebeugt werden, daß entsprechende Kartellgesetze erlassen werden.So die Aussagen im Ahlener Programm der CDU.Aber seit Flick, Krupp, Thyssen & Co Parteispenden an CDU/CSU und FDP zahlen, will man von ursprünglichen Plänen nichts mehr wissen. Es gab eine Zeit, in der sich das Management von großen Unternehmen in der Öffentlichkeit in aller Deutlichkeit zu seiner wirtschaftlichen und damit politischen Macht bekannte und bereit war, politische Problemlösungen zu akzeptieren.Wir erklären uns daher bereit, unter Beachtungder Bestimmungen des in Kürze zu erwarten-
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 194. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Januar 1986 14593
Tatgeden De-Kartellisierungsgesetzes, Entflechtungsmaßnahmen durchzuführen, die sowohl auf organisch gebildete Zusammenhänge Rücksicht nehmen, als auch neue, selbständige, wohlübersehbare und wirtschaftlich optimal bemessene Betriebseinheiten schaffen. Wir schlagen ferner die Überführung dieser neuen Werke in gemischt-wirtschaftlichen Besitz, gegebenenfalls unter kapitalmäßiger Beteiligung auch der Gewerkschaften vor, um schon auf der Ebene des Betriebes die öffentlichen Interessen mit dem privatwirtschaftlichen Ertragsstreben in Übereinstimmung zu bringen und einen möglichst hohen Leistungsgrad zu erreichen. Schließlich erklären wir unsere aufrichtige Bereitwilligkeit, den Belegschaften und den Gewerkschaften volle Mitbestimmungsrechte einzuräumen.So Dr. Reusch von der Gutehoffnungshütte, Dr. Jarres für die Klöckner-Werke AG und Dr. Hehemann für den Otto-Wolff-Konzern am 21. Januar 1947 an den damaligen Leiter des Verwaltungsamtes für Wirtschaft.
— Ja, so ist es.Doch die Bundesregierung, Herr Kollege, und die sie tragenden Parteien sind weder bereit noch willens noch in der Lage, in den besorgniserregenden Konzentrationsprozeß einzugreifen oder gar notwendige Entflechtungen durchzuführen.Die Konzentration ist besorgniserregend. Stichwort Lebensmitteleinzelhandel: Bereits jetzt sind große Landstriche in der Bundesrepublik und viele Gemeinden ohne Geschäfte. Eine Untersuchung des BVD hat bereits vor zehn Jahren ergeben, daß in dem Bundesland Saar 7 % aller Gemeinden keine Geschäfte mehr hatten. Nach vorsichtiger Schätzung ist bereits 1984 ein Viertel der Gemeinden in der Bundesrepublik ohne Einkaufsmöglichkeiten; in vielen Klein- und Mittelstädten sind nur noch wenige Facheinzelhändler vorzufinden. 60% des Gesamtumsatzes im Einzelhandel der Bundesrepublik werden bereits heute von nur 1 % der Einzelhandelsgroßbetriebe, Einkaufszentren, Kaufhäuser, Verbrauchermärkte etc. getätigt. Diese Zahlen beweisen die enorme Konzentration.
Im Ernstfall dürften die Großbetriebe aus vielen Gründen für die Versorgung ausfallen. Die Bundesregierung aber wiegelt ab.
Stichwort Oligopole: 1984 betrugen die Steuereinnahmen des Bundes rund 197 Milliarden DM. Im gleichen Jahr hatten die Großkonzerne Bayer, BASF und Hoechst zusammen mit Daimler und VW einen Jahresumsatz von 210 Milliarden DM. Der Umsatz von fünf Großkonzernen in der BRD entspricht den gesamten Steuereinnahmen des Bundes. Das ist die Realität.Wer dies — wie wir — als schwieriges Problem erkannt hat, weiß, daß die Zeit gekommen ist, um zu handeln. Deshalb ist der Antrag der SPD generell zu befürworten. Im einzelnen jedoch drückt sich die Sozialdemokratie um Eingriffe und um wirkliche Entscheidungen herum. Die Herabsetzung der Anteilsgrenze des stimmberechtigten Kapitals von 25 % auf nunmehr 10 % wird die weitere Konzentration kaum verhindern können oder Kontrollmöglichkeiten verbessern. Die Ausführungen des Antrages der SPD zur Verschärfung der Entflechtung sind allgemein gehalten und arbeiten mit wachsweichen Formulierungen. Ich zitiere:Von einer Entflechtung ist abzusehen, wenn der Entflechtung ein überragendes Interesse der Allgemeinheit entgegensteht.
So, meine Damen und Herren von der SPD, wird Ihr Antrag zum Schauantrag, und er wird eben nicht — wie sein Titel sagt — dazu beitragen, den Mißbrauch wirtschaftlicher Macht zu verhindern.Die Fraktion der GRÜNEN im Bundestag wird noch in dieser Legislaturperiode Novellierungsvorschläge — u. a. im Rahmen des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen — einbringen, die es ermöglichen, wirklich in den Konzentrationsprozeß einzugreifen und damit eine kleine Chance zu bewahren, daß Wirtschaftspolitiker in dieser Republik eine Möglichkeit haben, politische Zielvorstellungen gegen wirtschaftliche Macht, gegen die Macht der Großkonzerne zu formulieren und durchzusetzen.Ich bedanke mich.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Haussmann.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir begrüßen jede Debatte hier im Deutschen Bundestag über Ordnungspolitik. Wir fordern die Sozialdemokraten geradezu auf, neue Anträge zu stellen. Aber wir würden noch einmal darum bitten, daß Herr Rau seine wirtschaftspolitische Visitenkarte hier im Deutschen Bundestag abgibt.
Das ist das Problem. Herr Jens, anstatt Martin Bangemann oder Herrn Kartte anzugehen, würde ich an Ihrer Stelle einmal dafür sorgen, daß Ihr Laden geordnet wird.
Es gibt j a bei Ihnen nach wie vor keine klare wirtschaftspolitische Linie.
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14594 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 194. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Januar 1986
Dr. HaussmannHerr von Oertzen stellt das Marktprinzip ja überhaupt in Frage.
Das müssen Sie zunächst einmal in Ihren eigenen Reihen austragen.
— Darauf komme ich noch. — Ich finde Ihren Antrag schwach. Denn es sind — Herr Wissmann hat darauf hingewiesen — wirkliche Hüftschüsse, die Sie da vornehmen. Ich meine, sich von Markbeherrschung abzukoppeln, Entflechtung zu fordern, ohne die amerikanische Erfahrung zu berücksichtigen, ist oberflächlich. Damit läßt sich im Deutschen Bundestag keine neue Diskussionsrunde über Kartellrecht entfachen. Die FDP schließt nicht aus, daß es in der nächsten Legislaturperiode durchaus Handlungsbedarf gibt, aber dazu braucht es gründlichere Anträge.Aus unserer Sicht — ich Will es kurz machen — sind für diese Debatte drei Dinge wichtig. Erstens. Es gilt, den Zielkonflikt zwischen technologischer Herausforderung großer Unternehmenseinheiten aus Japan und Amerika einerseits und nationaler Wettbewerbsgrößen andererseits zu lösen, meine Herren. Unternehmensgröße an sich ist nicht identisch mit Wettbewerbsfähigkeit. Auch kleine und mittlere Unternehmen können innovativ sein. Auch sie können dem Verbraucher helfen. Deshalb ist Ihr Antrag an der Stelle zwar richtig, aber da müßten Sie zunächst einmal Ihren Frieden mit der Mittelstandspolitik dieser Regierung machen.
Auch das ist j a ungeordnet.Zweitens, meine Damen und Herren: die „Kriegskassen" einiger großer deutscher Konzerne sind gefüllt. Diese „Kriegskassen" machen sinnlich. Das ist eine Gefahr für die Wettbewerbsfähigkeit. Wenn sie sich damit in Märkte einkaufen, kann es durchaus passieren, daß dort tätige mittlere Unternehmenseinheiten entmutigt werden. Das ist ein Problem, das sich nicht leugnen läßt, und deshalb brauchen wir diese Diskussion.
Herr Dr. Haussmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Roth?
Nein, ich habe nur sechs Minuten und muß mich sehr konzentrieren.
Ich würde Ihnen das nicht auf die Redezeit anrechnen, Herr Dr. Haussmann.
Drittens, meine Damen und Herren: Besondere wettbewerbspolitische Aufmerksamkeit verdienen die deutschen Großbanken.Ich begrüße, daß auch Herr Wissmann dies angesprochen hat. Hier geht es um drei Probleme: erstens um die Art und Weise, wie Beteiligungen vermittelt werden, zweitens um das Problem, inwieweit sich Großbanken am Unterlaufen von Zusammenschlußschwellen beteiligen. Drittens gibt es ein Problem bei der Verflechtung von Aufsichtsräten in deutschen Firmen, die keinesfalls wettbewerbsbelebend ist, sondern häufig zu gewissen Abstimmungen führt.
— Damit auch Herr Roth beruhigt wird, hat der frühere Wirtschaftsminister Graf Lambsdorff
schon in früheren FDP-Programmen angeregt, Beteiligungsgrenzen für Großbanken einzuführen. Das halte ich für eine wichtige Überlegung,
die seriös diskutiert werden muß.
— Hier sehe ich sogar den Beifall aller vier Fraktionen. —Aber, meine Damen und Herren, es gibt ein weiteres Problem für die Wettbewerbsfähigkeit, und dies läßt sich nicht durch Kartellrecht ändern. Es gibt da den fehlgeleiteten industriepolitischen Ehrgeiz einzelner Ministerpräsidenten, und zwar sowohl von Sozialdemokraten als auch von Christdemokraten.
Die FDP
hält es nicht für richtig, daß sich Ministerpräsidenten als Fusionshelfer betätigen, meine Damen und Herren. Das ist nicht Marktwirtschaft.
Die FDP hält es nicht für richtig, daß sich Ministerpräsidenten Großbanken zusammenschneidern — sie glauben, das tun zu müssen —, um bei Beteiligungen eingreifen zu können. Auch das ist mit Marktwirtschaft nicht vereinbar.
Schließlich führt die High-Tech-Seuche auch dazu, daß viele Ministerpräsidenten glauben, sie könnten tatsächlich Forschungsmärkte im vorhinein beurteilen. Das sollte man in einer Marktwirtschaft meines Erachtens den Unternehmern überlassen.Aber es gibt noch eine weitere Gefahr für den Wettbewerb. Die Gefahr liegt darin, daß Mißbrauch wirtschaftlicher Macht durch Machtverfilzung und mangelnde Qualifikation von Aufsichtsräten entsteht. Ich spreche von den schwerwiegenden Managementfehlern der Neuen — oder wie wir heute
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 194. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Januar 1986 14595
Dr. Haussmannsagen: der teuren — Heimat. Das läßt sich nicht durch Kartellrecht ändern. Wenn Machtverfilzung nicht unterbunden wird, entsteht eben wirtschaftliche Macht, gegen die auch kein Kartellgesetz hilft. Deshalb sollten wir dieses Thema heute nicht aussparen. Sie haben uns durch Ihren Antrag die Chance gegeben, darauf einzugehen.Ich möchte deshalb sagen: Dort, wo Aufsichtsräte, wo deutsche Gewerkschaften auf Grund der Machtverfilzung ihrer Kontrollfunktion nicht nachkommen, hilft das beste Kartellrecht nicht.
Ich komme zum Schluß. Auch die FDP-Fraktion schließt nicht aus, daß es in der nächsten Legislaturperiode wettbewerbspolitischen Handlungsbedarf gibt. Zum Glück stehen die Zeichen so, daß diese Gesetzesänderung, wenn überhaupt, unter der Federführung eines liberalen Wirtschaftsministers geschähe. Das zu wissen ist beruhigend.
Das Wort hat der Abgeordnete Roth.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im gestern veröffentlichten Jahreswirtschaftsbericht ist dreimal die Forderung nach einem dynamischen Wettbewerb enthalten. So oft ist diese Forderung noch nie formuliert worden. Abgeschlossen wird dieser Abschnitt zum dynamischen Wettbewerb mit der Feststellung, kartellgesetzliche Änderungen seien derzeit nicht angezeigt, und mit dem fabelhaften Satz: Der Bundeswirtschaftsminister wird die Konzentrationsbewegungen weiterhin sorgfältig beobachten.Das ist exakt eine selbstkritische Zusammenfassung Ihrer Position. Angesichts der Großfusionen der jüngsten Zeit, angesichts der unglaublichen Machtkonzentration im Bankenbereich, angesichts des rücksichtslosen Verdrängungswettbewerbs im Einzelhandel, angesichts des bedrohlichen Konzentrationsprozesses im Mediensektor wird das Bekenntnis zum Wettbewerb ohne jegliche Folgen für staatliches Handeln postuliert.
Bekenntnis statt Sicherung des Wettbewerbs!
Nun weiß jeder — das ist übrigens die ideologische Selbstlüge der Liberalen; im Gegensatz zu Eucken durchschauen Sie das nicht —, daß ein starker dynamischer Wettbewerb auch einen starken und handlungsfähigen Staat zur Sicherung des Wettbewerbs braucht. Das gehört zueinander.
Ein Nachtwächterstaat, wie Sie ihn postulieren, kann keinen funktionstüchtigen Wettbewerb garantieren.
Wettbewerbspolitische Zurückhaltung seitens der CDU/CSU einschließlich der FDP hat mittlerweile Tradition. Diese Tradition — daran darf ich heute einmal erinnern — ist so alt wie das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen. Ludwig Erhard — Ihr gepriesener Vordenker der Wirtschaftspolitik — konnte das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen nur durchsetzen, weil die Sozialdemokraten es geschlossen unterstützt haben.
Damals wäre es ohne unsere Unterstützung im Bundestag an den Interessenvertretern der Konservativen und einem Teil der Liberalen gescheitert.
Im übrigen: Bei jeder Wettbewerbsnovelle, auch bei der vierten Wettbewerbsnovelle, waren Sie es im Ausschuß für Wirtschaft, die versucht haben, das Gesetz Punkt für Punkt zu verwässern. Das ist die Wahrheit. Deshalb haben Sie, verehrter Herr Haussmann und andere Vorredner und Nachredner der Koalition, überhaupt keinen Grund, die Sozialdemokraten, was Wettbewerbspolitik anbetrifft, an Aufgabenstellungen zu erinnern.
Inzwischen sind viel zu viele Anhänger eines Industriefeudalismus und Bankenfeudalismus in Ihren Reihen, die klammheimlich die wettbewerbsfeindlichen Interessen vertreten. Das ist die Wahrheit.
— Wissen Sie — wenn ich diesen Zwischenruf aufnehmen darf —: Daß es Machtkonzentration, die kontrolliert werden muß, in allen Bereichen der Gesellschaft, im staatlichen Bereich, im gewerkschaftlichen Bereich, im Bereich der Kirchen und im Bereich der Wirtschaft, gibt, ist eine Banalität. Ich glaube in der Tat, daß jeder Grund hat, diese Machtkonzentration jeweils zu überprüfen.Im übrigen: Neuerdings gibt es eine neue Ausrede, weshalb man im Grunde für mehr Konzentration sein müsse. Herr Bangemann hat in einer der letzten Debatten hier verharmlosend ausgeführt, bei der Beurteilung von Macht und Größe dürfe man nicht mehr nur ins eigene Land schauen, sondern man müsse global denken, die großen Konzentrationen in anderen Ländern vor Augen haben. Dazu muß ich sagen:Erstens. Schon heute prüft das Bundeskartellamt bei der Frage der Marktbeherrschung die Position der ausländischen Konkurrenten — so weit, so gut.Zweitens. Es läßt sich doch überhaupt nicht beweisen, daß Giganten international am Markt erfolgreicher seien als kleine und mittlere Unternehmen. Dieses Vorurteil, das hier durchschwingt, ist schlicht nicht wahr.Dritter Punkt: Größe ist erst recht keine Garantie für innovative Fähigkeiten.
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14596 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 194. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Januar 1986
RothMeine Damen und Herren, wir in der Bundesrepublik Deutschland müssen doch einmal selbstkritisch fragen: Warum sind den Giganten der Elektrotechnik, insbesondere Siemens und AEG, an der Front der neuen Technik kaum Erfolge gelungen, während kleine und mittlere Unternehmen Elektronik schneller an den Markt gebracht haben? Das ist ein interessanter Fall. AEG ist sowieso ein interessanter Fall. Aber lassen Sie uns aufhören, AEG und Neue Heimat gegeneinander auszuspielen! Vielmehr sollten wir die Probleme von Fehlentwicklungen von Macht diskutieren.
Der letzte Punkt: Japan ist im Export erfolgreich, obwohl dort ohne Zweifel ein heftiger Wettbewerb herrscht.Meine Damen und Herren, wir haben deshalb keinerlei Grund, die Waffen des Kartellamtes stumpf werden zu lassen
und so Machtkonzentrationen Vorschub zu leisten. Wir müssen vielmehr neue Probleme aufnehmen.Ich weiß, daß der Präsident des Bundeskartellamtes, Dr. Kartte, gesagt hat: Wir brauchen ein neues ordnungspolitisches Denken, aber keine Novelle des Kartellgesetzes. — Mindestens den zweiten Teil der Aussage von Herrn Kartte teile ich überhaupt nicht.
In den letzten Jahren hat die Zahl der Unternehmenszusammenschlüsse zugenommen. 1983 waren es 506, 1984 575 und im letzten Jahr nun 707. Vor allem die Zunahme der Zahl der Großfusionen ist für uns ein Anlaß, im Gegensatz zu Dr. Kartte, die Waffen des Kartellamts zu schärfen. Aber ich vermag — kleiner Unterschied, Dr. Jens — der Aussage des zweiten Satzes von Kartte, nämlich daß gesellschaftsrechtliche, steuerrechtliche, bankrechtliche, industriepolitische Aspekte, also der gesamte Ordnungsrahmen, in die Debatte über die Vermachtung in der Wirtschaft einzubringen seien, wirklich etwas abzugewinnen.Beispiel 1: Wir haben eine Steuergesetzgebung, die es ganz offensichtlich großen Unternehmen ermöglicht — wie Kartte gesagt hat —, durch Bildung von steuerlichen Rückstellungen „Kriegskassen" von erheblichem Umfang anzulegen. Siemens hatte vor einiger Zeit 20 Milliarden DM liquider Mittel, Daimler-Benz 6,5 Milliarden DM. Und diese „Kriegskassen" werden nun nicht verwendet, um etwas Neues zu machen, sondern in der Regel benutzt, um etwas Neues zuzukaufen. Im Gegensatz zu manchem, der aus Süddeutschland kommt, bin ich nicht der Meinung, daß es eine besondere unternehmerische Leistung ist, zuzukaufen, sondern meine Vorstellung von unternehmerischer Leistung ist, daß etwas Neues aus dem eigenen Betrieb an den Markt gebracht wird.
Die Frage lautet also: Sollte steuergesetzlich nicht etwas gegen die Bildung dieser „Kriegskassen" gemacht werden? Da ist meine Frage an die FDP: Wo ist eigentlich die Logik, in dieser Situation den Spitzensatz auch für die Körperschaftsteuer zu senken? Das gibt mehr Spielraum zur Bildung von steuerlichen Rücklagen. Das ist meiner Überzeugung nach ein steuerpolitisch völlig absurder und machtbildender Vorschlag, was seine Wirkung für den Markt betrifft.
— Kann man in diesem Hause nicht mehr seriös über die Macht in der Wirtschaft, egal, wo sie ist, debattieren, ohne daß Sie Ihr stumpfsinniges Alleinthema der letzten Woche plazieren? Wir werden nächste Woche wieder drankommen.
— Die Dummheit hat wirklich kaum Grenzen bei gewissen Leuten.
Zweites Beispiel. Dr. Kartte selbst hat im „Spiegel" beklagt, daß Fusionskontrolle immer häufiger über Vermittlung von Banken zur Unterlaufung des Kartellgesetzes führt. Der Fall ist ganz einfach. Zwei Unternehmen wollen fusionieren. Sie kommen im Grunde genommen über die Eingreifgrenze des Kartellgesetzes. Was geschieht? Eine Bank nimmt ein paar Prozente in ihr Guthaben auf und unterläuft so diese Kontrollmöglichkeit. Auch hier, glaube ich, ist Handlungsbedarf. Wir schlagen durch Senkung der Eingreifgrenze etwas Konkretes vor.Drittes Beispiel. Wir haben schon erwähnt, daß die Banken auf Grund von Beteiligungen und Depotstimmrecht Aktienpakete verwalten und hin- und herschieben und dabei noch fusionsfördernd tätig sind. AEG/Daimler Benz wurde durch zwei Vertreter eines einzigen Bankaufsichtsrats ausverhandelt. Das heißt, die beiden, die das Ganze zusammengeschmiedet haben, saßen im selben Aufsichtsrat der Deutschen Bank. Derartige Vorgänge unter der These „zur Zeit kein Handlungsbedarf" tarnen zu wollen ist wirklich bedrohlich, wenn ich daran denke, welche Sprüche über Marktwirtschaft Sie ständig im Munde führen.
Letzter Punkt. Der bezieht sich auf die Diskussion zwischen einem Teil der FDP — Bangemann hat sich da herausgehalten — und den süddeutschen Ministerpräsidenten. Ich glaube, Industriepolitik ist notwendig. Regionalpolitik ist notwendig. Wir brauchen auch Strukturpolitik. Aber das Problem ist: Wenn die Bundesregierung in einer aktiven Industriepolitik abseits steht, entsteht ein Vakuum, in das die Länder eingreifen und in dem sie durch Einzelaktivitäten den Rahmen, der von oben nicht gefüllt wird, ausfüllen. Das heißt, wir haben
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 194. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Januar 1986 14597
Rotheine Dezentralisierung der Strukturpolitik und keinen Konsens auf der Bundesebene.
Das bedeutet, daß wir im ständigen Wettbewerb die Situation haben, daß die Länder, die von der Struktur her etwas mehr begünstigt sind, Geld drauflegen und praktisch aus sich heraus Fusionen unterstützen und mitfinanzieren. Ich halte deshalb das Beiseitestehen des Bundes in der Industriepolitik für einen Fehler, weil durch das Vakuum nicht keine Industriepolitik entsteht — die ist notwendig —, sondern die Länder in dieses Vakuum gehen und für ihre Interessen Konglomerate zusammenführen, die dem gesamtwirtschaftlichen Interesse entgegenstehen.Meine Damen und Herren, Industriepolitik und aktive Wettbewerbspolitik gehören zusammen. Erst aus gesamtstaatlicher Verantwortung kann man gegen unsinnige Konglomeratbildung aktiv eingreifen.
Wer dezentralisiert und sich aus der Verantwortung stiehlt, hilft nicht dem Wettbewerb, sondern fördert Konzentrationsprozesse. Da hilft zum Schluß nicht mehr, daß man ein Schaugefecht macht. Was anderes als ein Schaugefecht des Grafen Lambsdorff war es denn, der — wie gesagt, ich bedaure es — heute nicht anwesend sein kann und der in der Tat entschuldigt ist?Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluß noch ein Wort zu der Debatte über Wettbewerb und Marktwirtschaft in der Bundesrepublik Deutschland sagen. Ich würde sie ja untereinander so führen, daß ich sage: Es ist ja erfreulich — ich nehme jetzt die GRÜNEN aus, weil ich das nicht so genau weiß —,
daß alle parlamentarischen politischen Parteien von Gewicht in der Bundesrepublik Deutschland zum aktiven Wettbewerb j a sagen. Laßt uns doch diese Tatsache nutzen, um einen sinnvollen Streit über eine vernünftige Wettbewerbspolitik und eine vernünftige Industriepolitik im Sinn des Kampfes beispielsweise gegen die Massenarbeitslosigkeit zu führen. Das hilft den Leuten, und nicht, wenn ich Ihnen die AEG und die Deutsche Bank an den Kopf werfe und Sie umgekehrt andere Namen werfen.Vielen Dank fürs Zuhören.
Das Wort hat der Bundesminister für Wirtschaft, Dr. Bangemann.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Entschließungsantrag der SPD erweckt den falschen Eindruck, Mißbrauch wirtschaftlicher Macht sei in erster Linie ein Problem des Gesetzes, in diesem Fall des Kartellgesetzes.
Das Motto der SPD lautet: Je schärfer das Gesetz und je mehr Befugnisse für die Kartellbehörden, desto weniger Wirtschaftsmacht und desto weniger Mißbrauch. Dieses Motto ist einfach zu simpel.
Die Sicherung der Prinzipien der Marktwirtschaft erfordert nicht nur mehr Überlegungen, die weit über eine Novellierung des Kartellgesetzes hinausgehen. Sie erfordert ein Gesamtkonzept und eine klare, in sich zusammenhängende Konzeption. Deswegen ist das, was hier vorgelegt wird, nicht geeignet, eine solche Reform des GWB zu begründen.
— Es gibt zwar auch andere Aussagen der SPD. Aber Helmut Haussmann hat durchaus mit Recht darauf hingewiesen, daß zwischen diesen Aussagen fundamentale Widersprüche bestehen. Da ist es immer etwas seltsam, wenn man von der SPD aufgefordert wird, mit ihr zu diskutieren. Wir würden das ja gerne tun. Nur, die Frage lautet immer: Mit welcher SPD sollen wir denn diskutieren?
Was sich wie ein roter Faden im wahrsten Sinn des Wortes durch alle diese Vorschläge durchzieht, sind Konjunkturprogramme, vorausschauende industriepolitische Interventionen,
Investitionsmeldestellen — Herr Jens, daß Sie das aufregt, kann ich ja verstehen; aber das sind die Beschlüsse Ihrer Partei; die sollten Sie mal lesen —,
Branchenausschüsse. Erst heute wieder in der Debatte des Landtags Nordrhein-Westfalen ist von der SPD ein Stahlausschuß für Nordrhein-Westfalen vorgeschlagen worden. Hinzu kommt natürlich eine Befürwortung des starken Staates. Die Theorie, die Herr Roth hier gerade aufgestellt hat, zeigt geradezu exemplarisch, was das Problem der SPD ist. Erst beklagt er lauthals die industriepolitischen Aktivitäten, die — insofern hat er, übrigens auch nach meiner Meinung, recht — dazu führen, daß Wettbewerbsbeschränkungen entstehen. Dann sagt er: Weil der Bund sich von diesen Bereichen fernhält, machen die Länder diesen Unsinn. Da kann man doch wirklich nur fragen: Was ist denn die Konsequenz? Die Konsequenz ist, daß Sie verlangen, daß der Bund zentral all das tut, was Sie gerade kritisiert haben.Das ist, wie wir meinen, nichts, was uns bewegen könnte, eine solche Debatte lange zu führen. Aber wir müssen sie führen. Sie haben das vorgelegt. Deswegen will ich mich damit beschäftigen.Im übrigen ist klar, daß die Beispiele, die hier verwendet werden und immer wieder von den unterschiedlichen parteipolitischen Präferenzen geprägt sind, nur Beispiele sind. Aber da müssen Sie sich
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14598 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 194. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Januar 1986
Bundesminister Dr. Bangemannnatürlich schon gefallen lassen, daß in einer solchen Debatte auch die Frage gestellt wird — und Roth bejaht das ja sogar —, welche Zusammenballung aus wirtschaftlicher Macht entstehen kann, wenn Gewerkschaften sogenannte gemeinnützige Unternehmen betreiben.Übrigens, die Charakterisierung und den tiefen Zweifel gegenüber sogenannten gemeinnützigen Unternehmungen hat schon Adam Smith formuliert, der schon damals gesagt hat: Wer vorgeblich aus Gemeinnutz seine Geschäfte betreibt, wird niemandem nützen können.
— Das ist kein Zitat von Lambsdorff. Das war Adam Smith.
Nun ist es natürlich schön, daß die Sozialdemokraten den Wettbewerb so hochhalten, wie Sie es hier getan haben.
— Nein. Das stört mich nicht im geringsten. Nur, die Konsequenzen, die Sie daraus ziehen, sind falsch. Es geht ja gar nicht darum, einen starken Staat zu haben, sondern es geht darum, eine Wettbewerbsordnung zu haben, die Auswüchse und Mißbrauch von Wettbewerb und dadurch entstandene Marktmacht verhindert. Das ist der Kern der Diskussion, die wir hier führen. Deswegen sind Forderungen nach Verschärfungen des Kartellrechts sicherlich zu diskutieren, sie können aber nicht Widersprüche in der Konzeption verdecken. Sie müßten erst einmal diese Widersprüche ausräumen, wenn diese Debatte fruchtbar geführt werden soll.Ich will Ihnen nur ein paar solcher Widersprüche sagen. Die Regierung Rau z. B. hat im Landesparlament von Nordrhein-Westfalen — das ist Ihnen ja nicht so unbekannt — auf Anfrage der CDU am 2. Januar 1986 — das sind also durchaus aktuelle Erklärungen — in der Drucksache 10/557 verkündet, Novellierungsbedarf im Kartellgesetz mit Blick auf den Handel sehe sie derzeit nicht. Das ist jetzt nicht die CDU von Nordrhein-Westfalen, es ist nicht die FDP von Nordrhein-Westfalen, das ist die SPD.— Herr Jens, Sie schütteln den Kopf. Lesen Sie es nach. Es ist die Drucksache 10/557.
— Ja, daß Sie sich darüber aufregen, das ist ja alles richtig, das zeigt ja, Herr Roth, daß ich Sie erwischt habe.
Nun lesen Sie das mal nach, und dann erklären Sie uns hier, was Sie wollen: das, was Ihr Kanzlerkandidat vorträgt, oder das, was Herr Jens erzählt? Das möchte ich gerne wissen.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Reuschenbach?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ja, bitte sehr.
Werden wir das Vergnügen haben, daß Sie sich auch noch zu unserem Entschließungsantrag äußern werden?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich will das gerne tun, aber Sie werden mir, Herr Kollege, sicherlich die Frage gestatten, welche Position eigentlich nun die der SPD ist: die, die Sie hier vortragen, oder die, die Ihr Kanzlerkandidat vorträgt? Damit beschäftigen wir uns, wenn wir uns ernsthaft mit Ihren Vorstellungen befassen wollen.
Nun, das Novellierungskonzept Ihres Antrages, nämlich die Einbeziehung neuer Medien, Verschärfung der Fusionskontrolle und die Entflechtung, ist insgesamt nicht ausgereift. Insbesondere die Forderung nach Abkoppelung der Fusionskontrolle vom Kriterium der Marktbeherrschung — das ist ja der Kern Ihres Vorschlages — und nach Einführung einer Entflechtungsregelung schießt weit über das Ziel hinaus. Sie wissen auch, daß alle, die sich damit beschäftigen, das so sehen. Denn — lassen Sie mich noch den Satz zu Ende führen, Herr Jens, dann können Sie mich fragen — die Kumulierung solcher Eingriffsbefugnisse der Kartellbehörden ist äußerst bedenklich, weil Generalklauseln, jedenfalls so wie sie vorgeschlagen werden, sehr weite, kaum kontrollierbare Ermessensspielräume eröffnen. Damit liegt die Gefahr eines kartellbehördlichen Strukturdirigismus auf der Hand.
Nach der vorauseilenden Zustimmung des Ministers jetzt Ihre Frage, Herr Abgeordneter Jens.
Herr Minister, können Sie mir denn zustimmen, daß gerade dieses, war wir fordern, auch von der Monopolkommission gefordert ist, und sind Sie mit mir der Meinung, daß im Grunde wirklich, wenn man wettbewerbliche Strukturen erhalten will, der Eingriff eben passieren muß, bevor es zur Marktbeherrschung kommt? Wenn Sie wirklich wettbewerbliche Strukturen wollen — und da stimmen wir überein —, dann muß man das fordern.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich habe ja keinen Zweifel an dem Ziel, das auch die Monopolkommission richtig formuliert, sondern ich habe ja nur Ihr Instrumentarium nicht akzeptieren können. Lassen Sie mich das noch weiter an einigen Beispielen zeigen. Wir haben ja, was die Entflechtung angeht, auch Erfahrungen. Das ist ja nicht bloß eine theoretische Debatte. Wir haben beispielsweise in den USA eine ganze Reihe von solchen Verfahren erlebt, die über 10 Jahre und länger gedauert haben und überhaupt nichts bewirkt haben. Deswegen meinen wir — und da liegt der Un-
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Bundesminister Dr. Bangemannterschied im Ansatz —, daß solche Verzerrungen im Wettbewerb am besten dadurch vermieden werden können, und zwar von vornherein, daß man nicht ordnungspolitisch fragwürdige Interventionen einführt, sondern auf die Kräfte setzt, die sich am Markt durchsetzen.Dabei, meine Damen und Herren, sind industrie- und forschungspolitische Aktivitäten des Staates durchaus mit ein Grund, den man sehr genau überprüfen muß. Das tun Sie nicht. Das ist ja gerade der Kern dessen, was Herr Roth hier gesagt hat. Sie nennen das Industriepolitik. In Wahrheit sind das alles politische Maßnahmen, die in den meisten Fällen wettbewerbswidrige, dem Markt nicht entsprechende Strukturen gefördert haben und fördern werden. Eines geht j a nur: Entweder kritisieren Sie das, was die Ministerpräsidenten tun — dann können Sie es nicht auf den Bund übertragen —, oder Sie kritisieren das nicht, was die Ministerpräsidenten tun; dann ist es logisch, es auf den Bund zu übertragen. Das machen wir dann aber nicht mit.Auch die vorgeschlagene Erweiterung des Zusammenschlußbegriffs bei der Fusionskontrolle, also die Absenkung der 25-%-Schwelle auf 10 %, die vertraglich abgesicherten Einfluß erfaßt, zielt in der Tat auf einen Punkt, über den man diskutieren muß. Das habe ich übrigens, Herr Jens — das wissen Sie ganz genau; Sie haben vorhin genickt, als Herr Roth meine letzte Rede hierzu zitierte —, schon mehrfach öffentlich gesagt: Wir wollen in der Tat die Umgehung der Aufgreifschwelle verhindern. Darüber muß man diskutieren. Die bisherigen Fälle, die wir da gehabt haben, könnten Einzelfälle bleiben — das ist nicht auszuschließen —, aber es zeigt sich da ein Problem, das — und das ist der Punkt, über den wir politisch streiten — durch eine kurzfristige Novellierung nicht sachgemäß erfaßt werden kann. Da befinde ich mich — übrigens habe ich das schon seit Monaten in mehreren Reden gesagt — in Übereinstimmung mit dem, was der Präsident des Bundeskartellamtes gesagt hat: In dieser Legislaturperiode mit kurzem Atem so wichtige, für die Wettbewerbspolitik grundlegende Fragen entscheiden zu wollen würde dem Wettbewerb nicht nützen. Das ist genau der Punkt, warum wir die Vorschläge einiger Kollegen als „Schnellschuß" betrachten, wobei das vielleicht noch eine höfliche Umschreibung eines „Querschlägers" ist.Dasselbe gilt auch für das Problem der neuen Medien. Hier verfolgt die Bundesregierung das Ziel, Rahmenbedingungen zu schaffen, die wettbewerbsfreundlich sind, die einheitlich im ganzen Bundesgebiet gelten und uns aus dem europapolitischen Problem herausführen, in dem wir heute sind. zunächst einmal kommt es darauf an, wenn man in diesem Bereich Wettbewerb will, verehrter Herr Jens, daß man auch einmal den privaten Anbietern eine Möglichkeit gibt, im Medienbereich tatsächlich tätig zu werden. Wenn man nämlich Wettbewerb will, kann man das wohl nicht allein auf öffentlichrechtliche Anstalten beschränken, sondern dann muß man auch den Wettbewerb der Privaten praktisch fördern.
Wir schauen da fassungslos dem zu, was Ihre Ministerpräsidenten bisher bei den Konferenzen der Ministerpräsidenten der Länder gesagt und gemacht haben. Mit Ausnahme von Herrn von Dohnanyi, der dort vernünftigere Positionen vertritt, sind alle übrigen SPD-Ministerpräsidenten bisher die Verhinderer von Wettbewerb im Medienbereich gewesen, weil sie sich nicht für private Anbieter ausgesprochen haben.
Die Bundesregierung versucht jedenfalls, die Länder für eine bessere Abstimmung ihrer medien- und wettbewerbspolitischen Ziele zu gewinnen. Das ist nicht einfach. Wir versuchen es im Augenblick mit den Länderwirtschaftsministern, mit denen wir eine Arbeitsgruppe gebildet haben, um auch die mit dem Grünbuch der EG zum Rundfunkwesen aufgeworfenen Wettbewerbsprobleme in die Diskussion einzubeziehen.Natürlich ist das Grundgesetz in der Frage der Kompetenzzuteilung sehr klar: Diese Kompetenz liegt bei den Ländern. Aber das Grundgesetz geht auch davon aus, daß es einheitliche Lebensbedingungen in der Bundesrepublik gibt. Die Länder sind, wenn sie eine solche Kompetenz haben, verpflichtet, sich auch zu einigen. Eine ständige Uneinigkeit der Länder über eine neue Medienordnung in der Bundesrepublik führt nämlich dazu, daß die technologischen Möglichkeiten von anderen benutzt werden und daß wir uns noch im nächsten Jahrhundert über eine Medienordnung unterhalten, wenn wir längst von ganz anderen Möglichkeiten überschwemmt sind.
Wir verkennen übrigens nicht, daß eine ganze Reihe von Entwicklungen schwierig zu behandeln sind und daß wir die Konzentration im Lebensmitteleinzelhandel, die Bildung großer Konglomerate und Konzerne, die Rolle von Banken bei solchen Zusammenschlüssen durchaus berücksichtigen und auch darüber diskutieren müssen. Aber auch in der Frage der Konzentration im Lebensmitteleinzelhandel ist Hektik falsch am Platze und auch schädlich. Das hat übrigens die Anhörung im Bundeswirtschaftsministerium am 30. Oktober vergangenen Jahres ergeben. Fast alle Verbände haben sich damals gegen eine Kartellgesetznovelle ausgesprochen. Deswegen können wir dem Antrag der SPD nicht zustimmen, sondern wir werden die angesprochenen Probleme sehr sorgfältig weiter verfolgen und in der nächsten Legislaturperiode die dazu notwendigen gesetzgeberischen Schlußfolgerungen ziehen.
Das Wort hat der Abgeordnete Hinsken.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst möchte ich betonen, daß ich mit dem Antrag der SPD im Ausgangspunkt, daß nämlich eine Novellierung des Kartellgesetzes notwendig ist, einig gehe.
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HinskenIn der Zielsetzung und inhaltlich halte ich den Antrag allerdings für problematisch und weitgehend verfehlt.Der Punkt eins, Einbeziehung neuer Medien, greift dem Vorschlag der Monopolkommission im Fünften Hauptgutachten auf, die Vergabe von Rundfunklizenzen rechtlich wie Unternehmenszusammenschlüsse zu behandeln. Die Bundesregierung hat dazu bereits ausführlich Stellung genommen, so daß ich hier nur einige wesentliche Gesichtspunkte hervorzuheben brauche. Das Anliegen der Monopolkommission, das Entstehen von Meinungsmonopolen durch Eindringen marktbeherrschender Presseverlage in den Rundfunkmarkt zu verhindern, ist als solches durchaus anzuerkennen. Die Frage ist aber, ob es sich dabei wirklich um ein akutes Problem handelt, das bereits jetzt ein gesetzgeberisches Eingreifen notwendig macht.Die weitere Frage ist, ob eine solche Lösung verfassungsrechtlich überhaupt realisierbar ist. Die Entwicklung des privaten Rundfunks in der Bundesrepublik ist derzeit noch weitgehend offen. Es deutet gegenwärtig wenig darauf hin, daß die von der Monopolkommission befürchtete Konstellation in absehbarer Zeit, wenn überhaupt, eintreten wird. Viel wahrscheinlicher ist — das zeigen die bisherigen Erfahrungen —, daß das kostenintensive Medium Rundfunk nur von Gemeinschaftsprojekten bewältigt werden kann, die eine Monopolisierung entweder ausschließen oder aber bereits jetzt der Fusionskontrolle unterliegen.Anmerken darf ich zur Antragsbegründung übrigens, daß die formale Anzeigepflicht in jedem Fall auch die materielle Fusionskontrolle durch das Bundeskartellamt auslöst. Das ist der Sinn der Anzeigepflicht.Ist eine konkrete Gefährdung der Rundfunkoder Pressemärkte aber derzeit nicht in Sicht, so müßten die verfassungsrechtlichen Bedenken gegen den Vorschlag um so schwerer wiegen. Kaum lösbar ist nämlich der Kompetenzkonflikt mit dem Ländermedienrecht. Dies mögen Sie daran ersehen, daß die landesrechtlich geregelte Zulassung nach Bundesrecht untersagt werden könnte.Die Monopolkommission, die sich auf die Parallele zur Pressefusionskontrolle stützt, hat dabei meines Erachtens übersehen, daß Ansatzpunkt des vorgeschlagenen Kontrollverfahrens nicht mehr der medienrechtlich neutrale Unternehmenszusammenschluß, sondern die medienrechtliche Zulassung als solche wird.Meine Damen und Herren, ich meine, daß ein weiterer kritischer Einwand sich dagegen richten muß, daß Unternehmen schlicht der Zugang auf einen neuen Markt versperrt werden könnte. Diese Begrenzung auch des internen Wachstums wäre ein Novum, das nicht nur mit Art. 14 des Grundgesetzes schwer in Einklang zu bringen wäre, sondern zugleich einen Bruch mit dem bisherigen System des Kartellrechts bedeuten würde. Konsequent müßte dann z. B. auch der Zugang von Ölkonzernen auf den Erdgasmarkt kontrolliert werden. Weil die Verhinderung von Meinungsmonopolen eine Angelegenheit des Medienrechts und nicht eine des Kartellrechts ist, das sich allein mit Fragen wirtschaftlicher Macht beschäftigt, sollte der Antrag der SPD nicht weiter verfolgt werden.Als nicht weniger problematisch sehe ich den dritten Punkt des Antrages, die Entflechtungsregelung, an, die ebenfalls von der Monopolkommission vorgeschlagen worden ist. Meine Damen und Herren, schon die damalige sozialliberale Bundesregierung hat in ihrer Stellungnahme zum Dritten Hauptgutachten darauf hingewiesen, daß eine solche extreme Regelung lediglich „Ultima ratio" sein könne, wenn alle anderen kartellrechtlichen Eingriffsinstrumente, insbesondere die Fusionskontrolle und die Mißbrauchsaufsicht, nicht mehr greifen. Davon kann aber im gegenwärtigen Zeitpunkt keine Rede sein, so daß ich überhaupt keinen Bedarf für einen derart problematischen und tiefgreifenden Eingriff in die Dispositionsfreiheit der Wirtschaft und die Marktstrukturen zu sehen vermag. Abgesehen von den verfassungsrechtlichen Bedenken würden unübersehbare Komplikationen nicht nur für die betroffenen Unternehmen, sondern auch für die Rechts- und Verwaltungspraxis geschaffen werden. Im Bereich der Fusionskontrolle sehen auch wir aktuelle Probleme und die Notwendigkeit von Verbesserungen.Allerdings halte ich die im Antrag der SPD vorgeschlagenen Änderungen für wenig praktikabel. Nur eines aus meinem Mund dazu: Das eigentliche Problem ist weniger die Anteilsgrenze, sondern die bestimmende Einflußnahme über vertragliche Regelungen. An diesem Punkt der Einflußnahme muß meines Erachtens angesetzt werden. Die im Antrag vorgeschlagene Lösung halte ich aber für wenig praktikabel. Das Kartellamt hat heute mit der Marktabgrenzung und der Feststellung der Marktbeherrschung schon genug Probleme. Mit dem Kriterium der wesentlichen Beeinträchtigung der Wettbewerbsbedingungen kommen wir vollends ins Uferlose, und die Rechtsunsicherheit wäre dadurch immens.Im übrigen geht der Vorschlag an den eigentlichen neuralgischen und aktuellen Problemen, vor allem dem der Nachfragemacht des Handels, unbesehen vorbei. Vor allem diese Frage bereitet uns heute Kopfzerbrechen. Besonders insoweit besteht Anlaß, über eine Verschärfung der Fusionskontrolle nachzudenken.Die SPD klirrt mit falschen Waffen und packt die Probleme nicht an der Wurzel. Auf eine unrichtige Diagnose folgt natürlich eine falsche Prognose und damit ein falscher Gesetzentwurf. Ich muß überhaupt meiner Verwunderung darüber Ausdruck geben, daß die SPD keine anderen wettbewerbspolitischen Probleme sieht oder hat. So nebenbei haben Sie, Herr Kollege Jens und Herr Kollege Roth, dieses Thema heute mit angesprochen. Das gegenwärtig zentrale Problem ist nämlich der Konzentrationsprozeß und der leistungswidrige Verdrängungswettbewerb vor allem im Lebensmittelhandel. Der bleibt bei Ihnen völlig außer acht. Wenn ein akuter Bedarf für eine Novellierung des Kartellgesetzes besteht, dann doch in diesem Bereich. Dort liegen die Dinge im argen und dort muß im Inter-
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Hinskenesse des gesamten mittelständischen Handels dringend etwas geschehen.
Der Schwerpunkt liegt dabei im Gegensatz zum Antrag nicht in der Strukturkontrolle, sondern in der Verhaltenskontrolle.
Hauptübel im Handel sind derzeit die überzogene Rabatt- und Konditionenspreizung, ausgelöst durch Nachfragemacht, und die systematischen Verkäufe zum oder unter Einstandspreis. Die sozialliberale Bundesregierung hat dazu im Jahre 1980 Vorschriften eingeführt, die sich in der Praxis als absolut unzureichend erwiesen haben und den Verdacht nahelegen, daß sie gar nicht vollziehbar sein sollten.
— Sie waren doch auch an der Regierung! Stehlen Sie sich doch nicht aus der Verantwortung! Daß hier dringender Handlungsbedarf gegeben ist, ist eine Tatsache, die nicht erst seit gestern entdeckt ist, sondern die damals schon bestanden hat. Aber Sie haben dieses Problem in den Wind geschlagen.
Unsere vorrangige wettbewerbspolitische Aufgabe muß es daher heute sein, diese Fehlleistungen von damals zu korrigieren, um in der Praxis das zu erreichen, was die Gesetzesbegründung seinerzeit versprochen hatte, nämlich eine wirksame Sicherung des Leistungswettbewerbs.Dem Konzentrations- und Abschmelzungsprozeß muß wirkungsvoll begegnet werden können, um eine nicht mehr umkehrbare Negativsituation zu vermeiden. Der Ansatz der Fusionskontrolle allein reicht dazu bei weitem nicht aus und trifft nicht das zentrale Problem. Eine noch so wirksame Fusionskontrolle geht nämlich dort ins Leere — wie das etwa im Lebensmittelhandel der Fall ist —, wo die Märkte bereits weitgehend vermachtet sind oder wo Marktmacht durch internes Unternehmenswachstum entstanden ist. Hier kann die nur präventiv wirkende Fusionskontrolle nicht mehr helfen, sondern nur noch die Verhaltenskontrolle. Deshalb sehe ich dort in erster Linie den Schwerpunkt.
Dies ist deshalb notwendig, weil der Kampf David gegen Goliath in der Wirtschaft nicht den biblischen Ausgang nimmt. Wenige Goliaths verdrängen hier nämlich viele Davids.Meine Damen und Herren, Gegenstand einer Novellierung des GWB muß daher sein, gegen den Mißbrauch der Nachfragemacht, gegen die leistungswidrige Rabattspreizung und gegen das Übel der systematischen Verkäufe unter Einstandspreis vorzugehen. Diese leistungswidrigen Behinderungspraktiken fördern die weitere Konzentration noch weit mehr als Unternehmenszusammenschlüsse, da primär sie für das Ausscheiden vieler Kleinbetriebe und damit für die Ausdünnung undVerödung der Handelslandschaft verantwortlich sind. Betroffen ist hiervon leider Gottes in erster Linie der Mittelstand.Ich will an dieser Stelle nicht auf Einzelheiten eingehen, aber doch andeuten, daß ich eine Verbesserung des Diskriminierungsverbots und eine praxisgerechte Vereinfachung des Verbots der Behinderung mittelständischer Wettbewerber in § 37 a Abs. 3 des Kartellgesetzes als vordringliche Maßnahme ansehe. Angesichts der extremen Wettbewerbssituation im Einzelhandel und der nachgewiesenen Untauglichkeit der einschlägigen Gesetzesbestimmungen aus der letzten Kartellgesetznovelle halte ich hier ein weiteres Zuwarten für kaum vertretbar. Die weitere Schädigung der Handelsstruktur ist irreparabel. In der nächsten Legislaturperiode — ich glaube, da sind wir uns alle einig — muß unbedingt gehandelt werden.Über die Verschärfung der Fusionskontrolle muß mit Blick auf das Problem der Nachfragemacht nachgedacht werden, also nicht im Sinne des Antrages der SPD. Auch insoweit will ich andeuten, daß die richtige Lösung wohl weniger an den Kapitalanteilen als an den Marktanteilen ansetzen muß.Ich meine deshalb zum Schluß feststellen zu müssen, daß im Ergebnis der Antrag der SPD an den wirklichen, wesentlichen und drängenden Wettbewerbsproblemen vorbeigeht. Deshalb und weil die im Antrag vorgeschlagenen Regelungspunkte weder notwendig noch praktikabel sind, lehnen wir den Antrag uneingeschränkt ab. Zu begrüßen ist allein die Tatsache, daß auf Grund Ihres Antrags hier überhaupt über eine Novellierung des Kartellgesetzes geredet wird.Herzlichen Dank.
Da mir weitere Wortmeldungen nicht vorliegen, kann ich die Aussprache schließen.Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, den Antrag auf Drucksache 10/2843 zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Wirtschaft und zur Mitberatung an den Rechtsausschuß zu überweisen. — Weitere Vorschläge werden nicht gemacht. Damit ist die Überweisung so beschlossen.Meine Damen und Herren, ich rufe nunmehr den Tagesordnungspunkt 6 sowie den Zusatztagesordnungpunkt 3 auf.6. a) Beratung des Berichts der Ad-hoc-Kommission Parlamentsreform gemäß Beschluß des Deutschen Bundestages vom 20. September 1984 — Drucksache 10/1983 —— Drucksache 10/3600 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung
Rechtsausschußzusätzlich: Zuleitung an die Rechtsstellungskommissionb) Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Dr. Hamm-Brücher, Dr. Ahrens, Baum, Bernrath, Bindig, Frau Blunck, Frau Borg-
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14602 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 194. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Januar 1986
Vizepräsident Cronenbergmann, Catenhusen, Frau Dann, Frau Eid, Dr. Feldmann, Gansel, Handlos, Frau Dr. Hartenstein, Dr. Hauchler, Freiherr Heereman von Zuydtwyck, Heimann, Herkenrath, Heyenn, Dr. Hirsch, Dr. Hornhues, Ibrügger, Jäger , Jansen, Kastning, Kretkowski, Kühbacher, Lange, Löffler, Frau Dr. Martiny-Glotz, Frau Matthäus-Maier, Peter (Kassel), Pfuhl, Rapp (Göppingen), Reuter, Dr. Rumpf, Schäfer (Mainz), Frau Schmidt (Nürnberg), Dr. Schöfberger, Schreiner, Frau Seiler-Albring, Frau Simonis, Dr. Soell, Tischer, Toetemeyer, Waltemathe, Weirich, Werner (Ulm)Änderung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages— Drucksache 10/3725 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung
Rechtsausschußc) Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Dr. Hamm-Brücher, Dr. Ahrens, Bernrath, Bindig, Frau Blunck, Boroffka, Catenhusen, Frau Dann, Frau Eid, Dr. Feldmann, Gansel, Handlos, Frau Dr. Hartenstein, Dr. Hauchler, Freiherr Heereman von Zuydtwyck, Heimann, Herkenrath, Heyenn, Dr. Hirsch, Dr. Hornhues, Ibrügger, Jäger , Jansen, Kretkowski, Kühbacher, Lange, Löffler, Frau Dr. Martiny-Glotz, Frau Matthäus-Maier, Peter (Kassel), Pfuhl, Rapp (Göppingen), Reuter, Schäfer (Mainz), Dr. Schöfberger, Schreiner, Frau Seiler-Albring, Sielaff, Frau Simonis, Dr. Soell, Tischer, Toetemeyer, Waltemathe, Weirich, Werner (Ulm)Änderung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages— Drucksache 10/3726 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung
Rechtsausschußd) Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Dr. Hamm-Brücher, Dr. Ahrens, Bernrath, Bindig, Frau Blunck, Frau Borgmann, Boroffka, Catenhusen, Frau Eid, Dr. Feldmann, Gansel, Handlos, Frau Dr. Hartenstein, Dr. Hauchler, Freiherr Heereman von Zuydtwyck, Heimann, Herkenrath, Heyenn, Dr. Hirsch, Dr. Hornhues, Ibrügger, Jäger , Jansen, Kretkowski, Kühbacher, Lange, Löffler, Frau Dr. Martiny-Glotz, Frau Matthäus-Maier, Peter (Kassel), Pfuhl, Rapp (Göppingen), Reuter, Dr. Schöfberger, Schreiner, Frau Seiler-Albring, Sielaff, Frau Simonis, Dr. Soell, Tischer, Toetemeyer, Waltemathe, Weirich, Werner (Ulm)Änderung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages— Drucksache 10/3727 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung
Rechtsausschuß e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Dr. Hamm-Brücher, Dr. Ahrens, Baum, Bernrath, Bindig, Frau Blunck, Frau Dann, Dr. Feldmann, Gansel, Handlos, Frau Dr. Hartenstein, Dr. Hauchler, Freiherr Heereman von Zuydtwyck, Heimann, Herkenrath, Heyenn, Dr. Hirsch, Dr. Hornhues, Ibrügger, Jansen, Kretkowski, Kühbacher, Lange, Löffler, Frau Dr. Martiny-Glotz, Frau Matthäus-Maier, Peter , Pfuhl, Rapp (Göppingen), Reuter, Frau Schmidt (Nürnberg), Dr. Schöfberger, Schreiner, Frau Seiler-Albring, Sielaff, Dr. Soell, Tischer, Toetemeyer, WeirichÄnderung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages— Drucksache 10/3728 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung
Rechtsausschußf) Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Dr. Hamm-Brücher, Dr. Ahrens, Baum, Bernrath, Bindig, Frau Blunck, Frau Borgmann, Boroffka, Frau Dann, Frau Eid, Dr. Feldmann, Gansel, Handlos, Frau Dr. Hartenstein, Dr. Hauchler, Freiherr Heereman von Zuydtwyck, Heimann, Herkenrath, Heyenn, Dr. Hirsch, Dr. Hornhues, Ibrügger, Jäger , Jansen, Kastning, Kretkowski, Kühbacher, Lange, Löffler, Frau Dr. Martiny-Glotz, Frau Matthäus-Maier, Peter (Kassel), Pfuhl, Rapp (Göppingen), Reuter, Schäfer (Mainz), Frau Schmidt (Nürnberg), Dr. Schöfberger, Schreiner, Frau Seiler-Albring, Sielaff, Frau Simonis, Dr. Soell, Tischer, Toetemeyer, Waltemathe, WeirichÄnderung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages— Drucksache 10/3729 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung
Rechtsausschußg) Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Dr. Hamm-Brücher, Dr. Ahrens, Baum, Bernrath, Bindig, Frau Blunck, Frau Borgmann, Boroffka, Catenhusen, Frau Dann, Frau Eid, Dr. Feldmann, Gansel, Handlos, Frau Dr. Hartenstein, Dr. Hauchler, Heimann, Heyenn, Dr. Hirsch, Dr. Hornhues, Ibrügger, Jansen, Kastning, Kretkowski, Lange, Löffler, Frau Dr. Martiny-Glotz, Frau Matthäus-Maier, Peter , Pfuhl, Reuter, Schäfer (Mainz), Frau Schmidt (Nürnberg), Dr. Schöfberger, Schreiner, Frau Seiler-Albring, Frau Simonis, Dr. Soell, Tischer, Toetemeyer, Weirich, Werner (Ulm)Änderung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages— Drucksache 10/3730 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung
Rechtsausschuß
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 194. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Januar 1986 14603
Vizepräsident Cronenbergh) Beratung des Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung zur Auslegung der Geschäftsordnunghier: § 31 Abs. 1 GO-BT
— Drucksache 10/3861 — Berichterstatter:Abgeordneter Schulte
Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung
RechtsausschußZusatzpunkt 3Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und FDPÄnderung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages— Drucksache 10/4740 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung
RechtsausschußZum Tagesordnungspunkt 6 a liegt ein Entschließungsantrag der Abgeordneten Frau Dr. Hamm-Brücher und weiterer Abgeordneter auf Drucksache 10/4218 vor.Meine Damen und Herren, der Ältestenrat hat für den Tagesordnungspunkt 6 und den Zusatztagesordnungspunkt 3 eine Debattenzeit von drei Stunden vereinbart. — Widerspruch ergibt sich im Hause nicht. — Ich gehe auch davon aus, daß das Wort zur Berichterstattung nicht gewünscht wird.Wir beginnen mit der Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Jenninger.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Am 20. September vorigen Jahres hatten wir hier im Plenum eine Aussprache, die als sogenannte Selbstverständnisdebatte in die Annalen des Deutschen Bundestages eingegangen ist. Sie führte zur Einsetzung einer Ad-hoc-Kommission Parlamentsreform, über deren Bericht wir heute diskutieren.In der Kommission haben wir Wert darauf gelegt, uns nicht zu viel vorzunehmen, uns nicht zu übernehmen. Vielen, auch mir selbst, schien damals schon der Begriff „Parlamentsreform" etwas zu hoch gegriffen. Im Vorwort zum Kommissionsbericht habe ich skizziert, worum es kurzfristig ging — nicht um Änderungen des Grundgesetzes und anderer für unsere Arbeit einschlägiger Gesetze, sondern um die Erarbeitung pragmatischer Vorschläge, die der Deutsche Bundestag sozusagen imAlltag ohne komplizierte Verfahren umsetzen kann.Solche Vorschläge aber als oberflächlich oder weniger wichtig anzusehen wäre ganz falsch. Denn, meine Damen und Herren, Reformen im Parlament — Änderungen seines Verfahrens, Verhaltens und Verständnisses — lassen sich nicht durch Rechtsnormen verordnen. Die können allenfalls etwas nachvollziehen und festschreiben, was in der Substanz schon vorher entwickelt sein muß, und zwar auf Grund gemeinsamer Ausgangspunkte. Parlamentsreform, so möchte ich sagen, darf weder von der Mehrheit der Minderheit aufgezwungen, noch kann sie von der Minderheit gegen die Mehrheit durchgesetzt werden.
Zu solchen gemeinsamen Ausgangspunkten gehört zum Beispiel das Bestreben, die Arbeitsweise und die öffentliche Wirksamkeit zu verbessern. Dieses haben wir auch als Beschluß vom 20. September 1984 in diesem Haus festgehalten. Dazu gehört auch der Wille, dem Bundestag die Stellung und die Arbeitsmöglichkeiten zu verschaffen, die er für seine Aufgaben im Staat und für die Gesellschaft braucht.
Es gehört ferner das Bestreben dazu, neuen Anforderungen und kritischen Fragen gegenüber offen zu sein und die Parlamentsarbeit so zu leisten, daß Zustimmung und Vertrauen zur parlamentarischen Demokratie vertieft werden.Weiter gehört dazu das Bemühen, bei aller Last der täglichen Arbeit und bei aller notwendigen Auseinandersetzung auch zu bedenken, daß unsere Wähler nicht unbedingt wissen wollen, wie gut wir darin sind, uns verbal bis aufs Messer zu bekämpfen. Sie wollen vielmehr dargestellt bekommen, daß sachliche und vernünftige Lösungen gesucht werden.
Meine Damen und Herren, ich habe es neulich einmal so formuliert: Kein Abgeordneter ist von seinen Wählern beauftragt, den politischen Gegner zu diffamieren.
Ich möchte die Empfehlungen des Kommissionsberichtes auf Drucksache 10/3600 hier nicht im Detail wiedergeben, aber doch auf eines hinweisen. Die bisher im Mittelpunkt der öffentlichen Erörterung stehenden Punkte, etwa der zunächst nicht sehr ermutigende Versuch der Berichterstattung aus den Kabinettssitzungen, sind beileibe nicht die einzigen. Der Bericht enthält u. a. eine Reihe von Vorschlägen: einmal für die Verbesserung unserer Arbeit — einen Teil konnten wir schon umsetzen —, für mehr öffentliche Beratungen der Ausschüsse, für eine bessere Information des Deutschen Bundestages über fachliche Entscheidungsgrundlagen der Regierung, für eine stärkere Einbeziehung von sachkundigen Bürgern und beschwerten Petenten in unsere Arbeit, für eine selbständigere Stel-
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14604 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 194. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Januar 1986
Dr. Jenningerlung des Bundestages bei der Aufstellung seines eigenen Haushaltes, für die Betreuung unserer Besucher und die Information der Öffentlichkeit, für die Parlamentsberichterstattung in den Medien und auch für verbesserte Arbeitsbedingungen der Abgeordneten.Ich denke, daß der Bericht wegen der Vorschläge, die eine Änderung unserer Geschäftsordnung voraussetzen, dem 1. Ausschuß überwiesen werden sollte. Einige andere Empfehlungen können durch unsere Leitungsorgane mit Hilfe der Verwaltung weiter untersucht und entwickelt werden, wofür ich mich — entsprechend dem Verlauf der heutigen Aussprache — auch gerne einsetzen werde.Ich bedaure, daß wir etwas in Verzug geraten sind. Eigentlich hätte ich mir gewünscht, daß wir diesen Bericht schon im letzten Jahr hätten diskutieren können.
Für mich hat die Arbeit in der Kommission ein Grundproblem verdeutlicht. Ich meine die Überlastung durch fachliche Detailarbeit in der Gesetzgebung, die unsere Ausschüsse bis an den Rand ihrer Leistungsfähigkeit treibt und das Plenum mit letztlich doch eher flüchtigen Spezialdebatten überfüllt.Gleichzeitig wird von uns erwartet, daß wir auch aktuelle Debatten führen, daß wir das, was die Bevölkerung bewegt, aufnehmen und ins Parlament tragen — sozusagen am Puls der Tagesereignisse sind. Darüber hinaus wird von uns erwartet, daß wir große und richtungweisende Aussprachen zu den längerfristigen Problemen führen, die den Bürger — und damit unseren Wähler — bewegen.Wir versuchen bislang, meine Damen und Herren, beides gleichzeitig zu tun, nämlich Arbeitsparlament und Diskussionsparlament in einem zu sein, und zwar möglichst hundertprozentig. Und das schafft kein Parlament der Welt. Die beiden Grundmodelle gehören zu verschiedenen Regierungsformen. Zu unserer parlamentarischen Form gehört eigentlich meiner Meinung nach mehr das Diskussionsparlament.Meine persönliche Überzeugung geht dahin, daß die Erarbeitung von Rechtsnormen im Detail stärker der Exekutive aufgetragen werden muß, während das Parlament von den Ergebnissen her kontrolliert und die politischen Grundfragen debattiert. Ich glaube daher, daß wir uns auf die Dauer der Frage stellen müssen, wie die Aufgabe des Deutschen Bundestages grundsätzlich zu verstehen ist. Verfassungsrechtlicher Ansatzpunkt könnte Art. 80 des Grundgesetzes sein, der den Erlaß von Rechtsverordnungen regelt. Diese Frage läßt sich gewiß nicht kurzfristig und nicht mit einem Satz klären, aber es wäre falsch, sie nur akademisch zu betrachten.Meine Damen und Herren, die Überlastung des Deutschen Bundestages ist die zentrale Ursache für viele Detailprobleme und Beschwernisse, die wir ebenso spüren wie die Öffentlichkeit. Ob wir die enge Reglementierung unserer Redezeitverteilung betrachten oder die Zeitnot, in die wir regelmäßig durch Aktuelle Stunden geraten, ob als Stein des Anstoßes die überladene und unsystematische Tagesordnung unserer Donnerstage erscheint oder ob wir wegen des leeren Plenarsaals gerügt werden, ob wir das Gefühl haben, nicht ausreichend oder nicht objektiv informiert zu werden, oder ob man uns attestiert, am Gängelband der Bürokratie zu gehen, in allen Fällen — wenn Sie es genau beobachten — lassen sich die Beschwernisse ganz wesentlich darauf zurückführen, daß uns die Zeit fehlt, uns auf das jeweils Wichtigste zu konzentrieren.Lassen Sie mich ein paar Sätze — das ist jetzt weniger an das Plenum als vielmehr nach außen gerichtet — zum Dauerthema „Leeres Plenum" sagen. Meine Damen und Herren, es hilft uns nicht, wenn wir uns nur allgemein auf andere wichtige Aufgaben und Arbeiten berufen, die uns von der Teilnahme an der Plenarsitzung abhalten. Vordringlich erscheint mir, einmal deutlicher zu machen, daran mitzuwirken, die Erkenntnis zu verbreiten, daß die politischen Entscheidungen schon deshalb nicht allein im Plenum fallen können, weil sie zumeist das Ergebnis eines langwierigen, fachlich anspruchsvollen und mühsamen Vorbereitungsprozesses auf vielen Stufen sind.
Wir würden doch unser ganzes Ausschußverfahren für überflüssig erklären, wenn wir uns die Forderung zu eigen machen wollten, die jeweilige Frage müsse im Plenum noch offen sein, und die Entscheidung dort hänge davon ab, wer den anderen am eindrucksvollsten zu überzeugen vermag.
Es ist doch so, daß jeder Abgeordnete — natürlich in unterschiedlicher Weise — meistens mehrfach bereits an der Vorbereitung von Entscheidungen mitgewirkt hat und es eben deshalb nicht für erforderlich hält, an jeder Schlußabstimmung über alle diese Entscheidungen hier im Plenum teilzunehmen. Meine Damen und Herren, das hat nichts mit Desinteresse zu tun, schon gar nicht mit fehlender innerer Bereitschaft. Im Grunde wissen wir das auch; alle Kenner der Materie wissen dies, einschließlich der Journalisten, die deshalb ebenfalls nicht an allen Sitzungen teilnehmen.
Im übrigen wird in unserer Geschäftsordnung genau aus diesem Grunde die Beschlußfähigkeit als gegeben unterstellt, anders als etwa im Reichstag des Kaiserreiches. Die Reichsverfassung von 1871 schrieb die Anwesenheit der Mehrheit der Mitglieder für einen wirksamen Gesetzesbeschluß vor.Meine Damen und Herren, dennoch unterstreicht nach meiner Einschätzung all das, was zur Präsenz im Plenum ausgeführt werden kann, die Richtigkeit dessen, was ich zuvor gesagt habe. Wir müssen uns wirklich einmal mit der Frage befassen und letztlich darüber entscheiden, ob wir ein Arbeitsparlament oder ein Diskussionsparlament sein wollen.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 194. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Januar 1986 14605
Dr. JenningerWir müssen entscheiden zwischen der öffentlichen Wiederholung von Detaildebatten, die bereits in den Ausschüssen stattgefunden haben und einem Parlament, das sich vorwiegend als Forum der Kontrolle der Regierung und der Erörterung sowohl aktueller wie grundsätzlicher und langfristiger Probleme dieses Landes versteht. Ich bin mir gewiß, daß dann auch die leidige Frage des leeren Plenums wenn nicht ihre Erledigung finden würde, so doch einer eher verständnisvollen befriedigenden Lösung zugeführt werden könnte.Gestatten Sie mir noch eine Anmerkung zur Aktuellen Stunde. Meine Damen und Herren, ich bin der Meinung, daß sie im Prinzip eine gute Einrichtung ist. Die Schwierigkeiten in der Handhabung sind teils durch ihre Häufung, teils aber auch durch ihre zu enge Reglementierung bedingt. Im Kern geht es doch darum, daß die Fraktionen des Deutschen Bundestages die Möglichkeit haben, in einer ihnen wichtigen Angelegenheit eine kurze und möglichst auch lebhafte Debatte zu führen. Wir sollten dieses Instrument nach meiner Meinung deshalb so weiterentwickeln, daß wir jeder Fraktion — das wäre mein Vorschlag — einmal in der Sitzungswoche die Möglichkeit geben, das Thema einer aktuellen Kurzdebatte zu bestimmen. Wie diese Debatte dann durchgeführt wird, kann im Einzelfall im Ältestenrat besprochen werden. In manchen Fällen könnte es z. B. zweckmäßiger und für die Beteiligten sogar zufriedenstellender sein, wenn von jeder Fraktion nur zwei Beiträge geleistet werden. In Betracht kommen dann eben unsere normalen „Runden-Debatten", oder es wird eine Stunde nach dem Fraktionsstärke-Schlüssel verteilt. Auch die Frage, wann das verlangte Thema im Laufe eines Sitzungstages besprochen wird, könnte etwas flexibler gehandhabt werden.
Das gilt nicht für die Aktuelle Stunde, die wir jeweils auf Grund der Fragestunde durchführen können; die soll so bleiben.Bei alledem, verehrte Kolleginnen und Kollegen, müssen wir dafür Sorge tragen — und daran liegt mir sehr —, daß die Ausschüsse verläßlich disponieren können. Sie brauchen feste und ausreichende Beratungszeiten.
Die Erfahrungen der letzten Monate sind gerade auf diesem Feld ganz eindeutig. Wir sollten sie in unser aller Interesse beherzigen.Meine Damen und Herren, lassen Sie uns in unserem — zugegebenermaßen bescheidenen, aber beharrlichen — gemeinsamen Bemühen fortfahren, Arbeitsmöglichkeiten und Arbeitsweise des Deutschen Bundestages den heutigen Erfordernissen anzupassen. Das Verständnis dafür werden wir gewinnen, wenn wir uns nicht zu schnell entmutigen lassen. Kurzatmige Forderungen sind dabei ebensowenig hilfreich wie überdimensionierte Idealvorstellungen.
Unabhängig davon aber, in welchem Umfang es uns gelingen wird, unsere Reformvorhaben zu verwirklichen, sollte eines unser aller Ziel sein — ich knüpfe damit an etwas an, was ich vor dem Hintergrund zahlloser Telefonanrufe und Zuschriften, die mich an Sitzungstagen erreichten, kürzlich im Ältestenrat gesagt habe —: Wir müssen uns in der Diskussion gegenseitig respektieren, dem Redner in der Aussprache die Möglichkeit einräumen, seine Argumente ohne unnötige Störungen vorzutragen. Zwischenrufe sind gut — sie sollen sein, sie müssen sein; sie sind das Salz der Diskussion, wie man immer sagt —,
aber nicht dauerndes Dazwischenreden, das den Redner in seiner Argumentation stört. Wir sollten auch — lassen Sie mich das ebenfalls sagen — auf überflüssige Polemik verzichten.Ich will Ihnen hier zwar nicht aus dem Alltag eines Parlamentspräsidenten vortragen, aber wenn Sie einmal die Zahl der Zuschriften, die täglich ankommen, insbesondere an Parlamentstagen, und auch die Telefonanrufe zur Kenntnis nehmen würden, dann würde das Sie doch nachdenklich stimmen. Ich habe gerade dieser Tage den Brief eines Lehrers bekommen, der mit einer Schulklasse von 17jährigen hier war. Ich will daraus nur ein paar Sätze vortragen, die ich genauso vielen anderen Briefen entnehmen könnte. Er schrieb da — mit Unterstützung seiner Klasse —:Wir, die 17jährigen Jungen und Mädchen, fanden das ganze Schauspiel, das wir hier erlebt haben, sehr abstoßend. Ich möchte Ihnen und Ihren Kolleginnen und Kollegen nachdrücklich in Erinnerung rufen, welche verheerenden Auswirkungen solch ein schlechtes Vorbild nicht nur auf die pädagogischen Bemühungen all derer hat, die den jungen Menschen Werte wie Rücksichtnahme und Toleranz zu vermitteln versuchen, sondern auch auf das Bild, das sich diese jungen Menschen von unserem Staat machen.Meine Damen und Herren, das spricht für sich.Noch ein Wort: Wir sollten fairer miteinander umgehen. Harte Auseinandersetzungen in der Sache sind gut und erwünscht, mutwillige Verletzungen des politischen Gegners sind es nicht. Ich sage das nicht, um hier als Oberlehrer in Erscheinung zu treten.Meine Damen und Herren, Parlamentsreform, Verbesserung des Ansehens des Parlaments hängt von uns allen ab, und zwar von jedem einzelnen, davon, wie er sich hier im Plenum verhält. Wenn wir uns hierauf verständigen könnten, würden wir uns zum einen unsere ohnehin nicht einfache Arbeit erleichtern, zum anderen aber auch einen wichtigen Beitrag zum Vertrauen in unsere parlamentarische Demokratie wie auch zur politischen Kultur in unserem Lande leisten.Vielen Dank.
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14606 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 194. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Januar 1986
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Hamm-Brücher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn ich so sagen darf: Liebe Vertreter des ganzen Volkes! Zum zweitenmal in dieser Legislaturperiode debattieren wir heute über unser parlamentarisches Selbstverständnis und — wie nach dem ersten Beitrag des Präsidenten zu hoffen ist — nicht nur über technische und organisatorische Details unserer Arbeit. Das würde zu einem nur technokratischen Parlamentsverständnis führen und uns den Blick für die tiefer sitzenden Probleme verstellen.
Vergessen wir heute einmal, liebe Vertreter des ganzen Volkes, was uns trennt. Debattieren wir vielmehr darüber, was uns verbindet.
Uns verbindet als Vertreter des ganzen Volkes die Verpflichtung, über Fraktionsgrenzen hinweg über unseren Verfassungsauftrag und seine Erfüllung, also über den eigentlichen Sinn und Zweck unserer parlamentarischen Arbeit nachzudenken und daraus dann die Arbeitsformen und -regeln zu entwikkeln — wenn nötig, zu korrigieren — und nicht umgekehrt.Wir wollen mit unserer überfraktionellen Initiative Parlamentsreform, die mit rund 100 Abgeordneten nach wie vor steht, nicht mehr und nicht weniger als dazu beitragen, das Ansehen des Parlaments zu verbessern — wie eben der Herr Bundestagspräsident Jenninger das gesagt hat — und seine Funktionsfähigkeit zu stärken. Das tut nach unserer Überzeugung bitter not! Übrigens sehen das nicht nur die rund 100 Unterzeichner der Initiative so, sondern nach dem Ergebnis einer Umfrage, die wir vor einem Jahr durchgeführt haben, eine weit überwiegende Mehrheit der Kollegen, die darauf geantwortet haben. Das sind insgesamt über 40 %.90 % der Abgeordneten, die geantwortet haben, wünschen sich mehr Mitwirkungsmöglichkeiten; fast 80 % mehr Rederechte; 74 % verbesserte Kontrollmöglichkeiten; 75 % eine Aufwertung ihres Fragerechtes mit der Pflicht der Regierung, auch richtig zu antworten.
80 % fordern mehr Informationen über Kabinettsbeschlüsse. Über dieses Drama werde ich nachher auch noch etwas sagen.Weil wir uns mitverantwortlich fühlen und fühlen wollen, haben wir ja am 20. September 1984 einen einstimmigen Beschluß gefaßt und eine Ad-hocKommission Parlamentsreform mit einem klaren Auftrag eingesetzt. Dazu liegt nun ein Zwischenbericht dieser Kommission vor. Genau gesagt liegt dieser Bericht bereits seit Juli vorigen Jahres vor. Seither ist für die notwendige Weiterarbeit viel kostbare Zeit verstrichen. Das ist schade, weil es den Verdacht nähren muß, daß diese Verzögerung bewußt gewollt wurde, um damit eine anscheinend wenig erwünschte überfraktionelle Initiative klammheimlich bis zum Ende der Legislaturperiode zu verschleppen. Wir würden das bedauern.Wir fragen uns oft, weshalb es eigentlich so unerwünscht sein soll, über Fraktionsgrenzen hinweg nachzudenken, wie wir unserer Aufgabe besser gerecht werden können. Sicher werden wir, Herr Präsident, dafür mehr Zeit, mehr Geduld und mehr Offenheit brauchen. Da stimme ich Ihnen voll zu. Aber das kann uns heute nicht davon entbinden, den Zwischenbericht daraufhin abzuklopfen, ob er nun eigentlich dem Auftrag, der im Parlamentsbeschluß vom 20. September 1984 niedergelegt ist, ausreichend Rechnung trägt oder nicht. Das, Herr Präsident, habe ich bei Ihnen eigentlich vermißt.
— Bei dem Abgeordneten Jenninger. Er war ja wohl der Vorsitzende unserer Kommission.Neben Lob und Anerkennung für die geleistete Arbeit und Ihre Bemühungen, Herr Bundestagspräsident Jenninger — und die Herren der Bundestagsverwaltung möchte ich nicht vergessen; denn ohne sie gäbe es überhaupt keinen Bericht —, können wir uns diesen nüchternen Vergleich nicht ersparen und müssen feststellen, daß uns das nun vorliegende Ergebnis — liebe Kollegen, machen Sie sich einmal die Mühe und vergleichen Sie Auftrag und Ergebnis! — beim besten Willen noch nicht befriedigen kann.Im einzelnen: Es werden im Zwischenbericht der Kommission keine konkreten Vorschläge gemacht, weder wie nun eigentlich „eine lebendigere und offenere Gestaltung von Plenardebatten" erreicht werden soll noch wie — Auftrag! — „ein verstärktes und wirksameres Kontrollrecht des Parlaments realisiert" werden soll oder welche — Auftrag! — „weiteren Maßnahmen zur Verbesserung der Wirkungsmöglichkeiten und zur Verstärkung des Ansehens des Parlaments und seiner Abgeordneten ergriffen werden sollen". Das alles steht im Auftrag, aber nichts davon im Bericht.Vor allem aber ist kritisch anzumerken, daß der eigentlich entscheidende Auftrag, nämlich die Stellung des einzelnen Abgeordneten, wie sie sich aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes ergibt, zu stärken, bisher völlig unberücksichtigt blieb.Deshalb kommen wir zu dem Ergebnis, daß, wenn es uns ernst ist mit den eigenen Beschlüssen, Herr Kollege Jenninger, die Kommission heute beauftragt werden muß, ihre Arbeit fortzusetzen, um noch rechtzeitig vor Ende der Legislaturperiode einen abschließenden und hoffentlich auch vollständigen Bericht vorlegen zu können. Das ist ja das Ziel des Entschließungsantrags grüner Farbe, der Ihnen vorliegt.Es wäre unseres Erachtens sehr bedauerlich, wenn der gerade erst mühsam in Gang gekommene Prozeß des Nachdenkens mit dem Zwischenbericht wieder abgebrochen würde. Ein völlig neuer Anlauf in der nächsten Legislaturperiode wäre dann ungleich schwieriger.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 194. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Januar 1986 14607
Frau Dr. Hamm-BrücherDer Entschließungsantrag vom 20. September 1984 macht es erforderlich — und das ist mein weiterer Punkt, liebe Vertreter des ganzen Volkes —, darüber nachzudenken, was es für jeden von uns bedeutet, eben so ein Vertreter des ganzen Volkes zu sein, wenn dieser Begriff in dem dichten Geflecht unserer Fraktions- und Geschäftsordnungen überhaupt nicht vorkommt.
Ich möchte diese Kernproblematik unseres Parlamentsverständnisses offen ansprechen. Ich finde, Herr Präsident, daß Sie, wenn Sie hier als unser Oberhaupt sprechen, nicht aussparen können, daß es diesen Art. 38 Abs. 1 gibt und was es mit ihm eigentlich für eine Bewandtnis hat.
Erste Feststellung: Die das Parlament betreffenden Bestimmungen unserer Verfassung sind für den Grad ihrer Beachtung weder der Beliebigkeit noch der Opportunität eigenen Gutdünkens anheimgestellt. Wir, die Vertreter des ganzen Volkes, haben jede Bestimmung mit gleicher Gewissenhaftigkeit zu beachten und in parlamentarische Handlungsmöglichkeiten umzusetzen. Deshalb steht uns ein vertieftes, j a strengeres Verfassungsbewußtsein für Wortlaut und Sinngehalt aller uns betreffenden Bestimmungen nicht nur gut an, sondern wir sind dazu geradezu verpflichtet. Das gilt auch und insbesondere für den Art. 38 Abs. 1 des Grundgesetzes.Zweite Feststellung: Unsere Verfassung muß auch über unserer Geschäftsordnung stehen. Daran darf es doch eigentlich gar keinen Zweifel geben. Deshalb darf der Art. 38, der am Anfang des Abschnitts über den Deutschen Bundestag steht, in unserer Geschäftsordnung nicht einfach ignoriert werden — natürlich ebensowenig wie irgendeine andere Verfassungsbestimmung. Deshalb beantragen wir auf Drucksache 10/3725, daß die gültige Langfassung dieses Artikels in die Geschäftsordnung aufgenommen wird, und zwar am Anfang des Abschnittes über Pflichten und Rechte der Mitglieder des Bundestages.Dritte Feststellung: Die eigentliche Problematik ergibt sich aus der gängigen Meinung — und hier bitte ich wirklich mal mitzudenken, weil ich das hier neu entwickeln möchte —, daß der Anspruch der Fraktionen nach Art. 21 des Grundgesetzes, den meiner Ansicht nach die Parteien weit überinterpretieren,
unvereinbar sei mit dem Verfassungsgebot des Art. 38 Abs. 1 — das ist das eigentliche Dilemma —, das dem Abgeordneten ein gerüttelt Maß an Mit-und Selbstverantwortung, also an Eigenständigkeit bei der Ausübung seines Mandats ermöglicht.Das mag in unserem traditionellen Verständnis von Fraktionsräson so sein. Aber, liebe Kollegen, es müßte wirklich nicht so sein, und es darf auch nicht so sein. Deshalb wollen wir diesen Konflikt, wenn er denn einer ist, offenlegen und möglichst unbefangen herausfinden, wie wir beiden Verfassungsansprüchen in unserer täglichen Arbeit ausreichend gerecht werden können.Vor allem, meine ich, müssen wir die panische Angst abbauen, daß eine Stärkung der Abgeordnetenrechte und -pflichten nach Art. 38 Abs. 1 zwangsläufig ein parlamentarisches Chaos zur Folge hätte. Das schien in der Debatte der Kommission immer durch. Das sehen wir nicht so.Das haben auch prominente Abgeordnete hier im Bundestag ganz anders gesehen. Ich habe Ihnen deshalb den ausgezeichneten Aufsatz unseres früheren, hochgeschätzten CDU-Kollegen Hans Dichgans „Mehr Freiheitsraum für die Abgeordneten" zugesandt. Ich hoffe, Sie haben ihn erhalten. Er hat uns ins Stammbuch geschrieben, worum es geht, genau wie Dieter Lattmann von Ihrer Fraktion.Ich zitiere noch einen anderen Großen, der einmal in eitler Empörung gerufen hat:Was hat eigentlich der Abgeordnete in diesem Hause zu bestellen? Wie kann er überhaupt Einfluß nehmen, und was kann er tun?Das war Konrad Adenauer, meine Damen und Herren von der CDU/CSU. Sie sollten ihn zum Mentor Ihrer Anstrengungen in der Parlamentsreform machen.
Das war Ende der 50er Jahre.Ich möchte noch einen Kronzeugen nennen, der über allen Parteien steht und auf den wir uns alle einigen können. Ich meine Karl Carstens, der 1976 nach seiner Wahl zum Bundestagspräsidenten folgendes gesagt hat:Der Deutsche Bundestag ist der sichtbarste Ausdruck des Freiheitswillens des deutschen Volkes. Seine Mitglieder werden in freien Wahlen gewählt, die Debatten hier sind frei, die Abgeordneten sind — so heißt es in Art. 38 des Grundgesetzes — an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen. Ich meine, daß das die Magna Charta des deutschen Parlaments ist.Also: Art. 38 als unsere Magna Charta zu verstehen, davon sind wir allerdings, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, noch sehr weit entfernt.
Dabei geht es nicht nur um Abstimmungen. Ich komme gleich darauf zu sprechen. Was Karl Carstens damals sagte, sollte das eigentliche Ziel einer Parlamentsreform sein, die diesen Namen verdient. So haben wir es auch in jenem Entschließungsantrag, auf den wir uns stützen, aufgeschrieben.Drittens. Als Vertreter des ganzen Volkes verbindet uns eine gemeinsame Verantwortung für die Funktionstüchtigkeit und das Ansehen unserer repräsentativen Demokratie. Nur wenn wir uns zu diesem fundamentalen Einstieg entschließen, kön-
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14608 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 194. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Januar 1986
Frau Dr. Hamm-Brüchernen wir daran die einzelnen notwendigen Änderungen unserer Geschäftsordnung orientieren, nicht so scheibchenweise, wie es manchmal versucht wird. Unsere Generallinie muß lauten: Wie kann das Gewicht der Legislative gegenüber der Exekutive deutlich aufgewertet und gestärkt werden?
Erlauben Sie mir hierfür den Begriff — den wir in anderem Zusammenhang dauernd strapazieren — der „Waffengleichheit" zwischen beiden Verfassungsorganen aufzunehmen. Er ist durchaus zutreffend für unser Verständnis gegenüber der Exekutive, weil er anschaulich macht, worum es geht: die traditionell bedingte, oft auch selbstverschuldete Waffenungleichheit zwischen Legislative und Exekutive abzubauen. Erst kürzlich, anläßlich der Erprobung der Kabinettsberichterstattung, hat sich diese Waffenungleichheit besonders kraß offenbart. Viele von uns hat zu Recht empört, in welch ohnmächtige Statistenrolle wir uns alle haben abdrängen lassen.
Wenn wir es bei dieser Niederlage bewenden lassen, liebe Kollegen, dürfen wir uns nicht wundern, wenn unser Ansehen in der Öffentlichkeit nicht als besonders stark eingeschätzt wird. Allerdings ist die Waffenungleichheit nicht nur unserer Geschäftsordnung zuzuschreiben, sondern oft auch mangels parlamentarischer Zivilcourage vor Minister-, Präsidenten- und Geschäftsführerthronen selbstverschuldet. Ich gebe dem Kollegen Lammert aus der letzten Debatte ausdrücklich recht.Auch bedeutet es eine Schwächung unserer klassischen Kontrollfunktion, wenn wir Abgeordneten der Regierungsfraktion häufig meinen, Kontrolle sei allein die Aufgabe der Opposition. Das ist ein Grundfehler.
— Eben!Insgesamt halte ich es für einen Irrtum, liebe Kolleginnen und Kollegen, daß eine Stärkung der Kontrollfunktion des Parlaments eine Schwächung der Regierung oder der Exekutive bedeuten würde. Eher das Gegenteil ist der Fall. Das können Sie in funktionierenden Demokratien genau beobachten.
Durch eine wachsamere Beobachtung und Vermittlung des Parlaments können wir beide Verfassungsorgane dem Bürger näherbringen und das Prinzip der repräsentativen Demokratie — darum geht es ja — stärken — was so dringend erforderlich ist.Liebe Vertreter des ganzen Volkes, ganz besonders vordringlich ist die Reform unserer Redeordnung. Ich bin dem Präsidenten dankbar, daß er dazu etwas gesagt hat. Wir erfahren es ja von jeder Besuchergruppe, auf Kirchentagen und Informationsständen. Ich wiederhole: Das Ansehen des Parlaments wird nicht von den großen Macht- und Schaukämpfen bestimmt, sondern von unserer Selbstdarstellung hier im Plenum. Hier ist der Schauplatz, auf dem sich Wohl und Wehe unserer parlamentarischen und demokratischen Kultur entscheidet. Und die wird bestimmt von der Offenheit unserer Debatten, von der persönlichen Glaubwürdigkeit der Redner, vom Stil der Auseinandersetzung und auch von einer Mindestpräsenz hier im Plenum.
Deshalb sehe ich in der Reform der Redeordnung eine weitere Bewährungsprobe, die wir bisher weder im Zwischenbericht noch in der Praxis bestanden haben.Herr Präsident, Herr Kollege Jenninger, der leere Plenarsaal ist ja nicht nur die Folge anderer Verpflichtungen; er ist nach meiner Beobachtung und Einsicht vor allem das Symbol für die sinnentleerten Abläufe unserer Debatten.
Ich halte es für eines frei gewählten Parlaments einfach unwürdig, bei wichtigen Debatten von vornherein 95% der Abgeordneten und mehr ein für allemal zu Statisten zu degradieren, ohne jede Chance zu einer freien Wortmeldung.Es geht ja nicht so sehr um kürzere Redezeiten,
sondern vor allem um unverplante Redezeiten, und es geht um eine offene Handhabung und um die Einführung freier Wortmeldung durch den Präsidenten.
Damit hätten wir die Chance, unseren Debatten den ritualisierten Verkündigungscharakter zu nehmen. Erst dann und nur dann, wenn mehr Abgeordnete
die Chance zu spontanen kurzen Interventionen haben, werden sie ins Plenum zurückkehren, werden sie Interesse für eine Debatte zeigen und sich gar daran beteiligen.Außer den genannten Problembereichen sehe ich einen weiteren, dem unsere gemeinsame Sorge als Vertreter des ganzen Volkes gelten muß. Ich meine den Ansehensverlust, den wir ja zu spüren bekommen, mit der Folge eines Entfremdungsprozesses zwischen Parlament und Bürgern, zwischen Wählern und Gewählten. Hier gibt es Warnzeichen, die wir einfach nicht überhören und übersehen dürfen.Auch die Verbesserung des Petitionsrechts und eine offenere Gestaltung kleinerer Anhörungsverfahren von einzelnen Bürgern und Bürgergruppen sollten wir uns angelegen sein lassen.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 194. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Januar 1986 14609
Frau Dr. Hamm-BrücherGewiß, liebe Kollegen, wir sollten das Entfremdungssyndrom, die Schwächen und Defizite unserer Arbeit und den Ansehensverlust nicht dramatisieren. Auch ich glaube nicht, daß unser parlamentarisches System an sich in einer großen Krise steckt. Aber es kriselt doch an vielen Stellen. Es gibt Verkrustungen und Erstarrungssymptome, die eben nicht allein mit technischen und organisatorischen Verbesserungen behoben werden können.
Dazu gehört auch der sogenannte Selbstreinigungsprozeß,
den wir uns und der Öffentlichkeit vor einem Jahrhoch und heilig versprochen haben, liebe Kollegen,
und dessen Vollzug immer noch auf sich warten läßt.
Deshalb muß er heute angemahnt werden. — Ich hoffe, ich finde nicht nur da, sondern überall Beifall.All das ist es, was uns als Vertreter des ganzen Volkes verbindet und zu gemeinsamem Nachdenken und Handeln verpflichtet. Wir sollten das über Fraktionsgrenzen hinaus tun und nicht allein unseren Fraktionsgeschäftsführern überlassen.Ich komme zum Schluß, Herr Präsident. Ich weiß sehr wohl, daß viele Kollegen überwiegend skeptisch bis pessimistisch sind, ob sich hier überhaupt etwas spürbar verbessern läßt. Das bleibt abzuwarten. Es erweist sich, daß Reformen in eigener Sache voranzubringen halt sehr viel mühsamer ist, als sie anderen zu verordnen.Natürlich weiß ich auch, daß wir hier mit oder ohne Parlamentsreform auf neudeutsch einen knallharten Job haben. Im Parlament geht es um Macht und Mehrheiten, und dabei wird es nie zimperlich zugehen. Außerdem sind wir alle überlastet, besonders in Wahlkampfzeiten, wo es um den Erfolg der eigenen Partei, ja, auch um unsere eigene politische Existenz geht.Meine Damen und Herren, ich werde manchmal gefragt, weshalb wir so viel Zeit und Kraft auf eine Parlamentsreform verschwenden sollen, mit der im Kampf um die Wählergunst ohnehin keine parteipolitischen Blumentöpfe — sprich: Stimmen — zu gewinnen sind. Ich meine, wir sollten antworten: vielleicht ist es richtig, daß man damit keine parteipolitischen Blumentöpfe gewinnen kann, aber sicher doch Früchte anderer Art, z. B. Vertrauen. Vertrauen in unser aufrichtiges Bemühen, unseren Verfassungsauftrag so gewissenhaft wie irgend möglich zu erfüllen, Vertrauen in uns, die Repräsentanten des ganzen Volkes, in einer immer noch labilen, nicht gefestigten Demokratie. Das ist es, was wir vor allem brauchen. Und das ist es auch, Herr Kollege, was uns als Vertreter des ganzen Volkes gemeinsam aufgetragen ist.Vielen Dank.
— Da hatte ich keine Redezeit.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Conradi.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir haben hier im Herbst 1984 nach langer Stagnation mit der Debatte über unser Selbstverständnis und die möglichen Reformen einen guten Anfang gemacht. Jetzt liegen die Empfehlungen und Anträge vor, und jetzt müssen wir den Mut zeigen, in den verbleibenden Monaten dieser Legislaturperiode einige weitere Schritte zu gehen. Ich will dazu einige Punkte skizzieren.Die Aktuellen Stunden werden von vielen als lästig und zeitraubend beklagt. Gewiß ist es ärgerlich, daß der Begriff „aktuell" manchmal strapaziert wird. Aber — Herr Jenninger hat darauf hingewiesen — der Vorteil, daß das Parlament über aktuelle Fragen sofort redet, wiegt alle Nachteile auf. Deswegen sollten wir da keine Abstriche machen. Wir sollten den Vorschlag von Herrn Dr. Jenninger aufgreifen und prüfen, ob man die aktuellen Debatten in eine andere Form bringt; drei von 16 Stunden, die wir in der Woche im Plenum haben, sollten wir doch wohl für aktuelle Fragen frei haben.
Vielleicht können wir dann auch reparieren, was uns die Parlamentarischen Geschäftsführer einbrocken, die uns zur Strafe dafür, daß wir ihre sorgfältig ausgeheckten Plenarfahrpläne durcheinanderbringen, immer die Aktuellen Stunden auf morgens 8 Uhr legen, was ich für eine unchristliche und unsozialistische Zeit halte.
— Da gibt es manches andere, weniger aktuelle Thema, das morgens zwischen 8 und 9 beraten werden könnte. Aktuelle Themen gehören auf die Zeit zwischen 12 und 1.
Wir wollen auch die Anhörungen nicht einschränken. Ich war im amerikanischen Kongreß angenehm davon berührt, daß die Ausschüsse dort einen großen Teil ihrer Arbeit in öffentlichen Anhörungen leisten, in denen Volksvertretung und Volk miteinander reden. Bei uns kommen in Anhörungen viel zu viele Verbandsfunktionäre und Lobbyisten zu Wort.
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14610 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 194. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Januar 1986
ConradiWir sollten dafür sorgen, daß wir in den Anhörungen mehr unmittelbare Informationen über die soziale, über die rechtliche, die wirtschaftliche und kulturelle Wirklichkeit dieses Landes bekommen. Das würde dem Parlament und seiner Gesetzgebung gut tun.
Ich vermag nicht einzusehen, warum wir einmal im Jahr hier einen Tag „Jugend und Parlament" veranstalten, aber nicht die Möglichkeit schaffen, uns auch einmal direkte Informationen von alten Menschen, von Behinderten, von Asylbewerbern oder von Betriebsräten und Vertrauensleuten zu holen. Die Lobbyisten gehen hier in diesem Hause aus und ein; warum öffnen wir unsere Türen nicht auch den Menschen, die von unserer Gesetzgebung unmittelbar betroffen sind?
Nun hat Frau Kollegin Hamm-Brücher gefordert, wir sollten die Rechte und Pflichten des Abgeordneten nach dem Grundgesetz stärker in der Geschäftsordnung verankern. Ich stimme ihr zu. Zur Arbeitsfähigkeit des Parlaments gehören Fraktionen; das ist sicher. Aber eine Geschäftsordnung, die den einzelnen Abgeordneten nicht erwähnt, entspricht nicht dem Willen der Verfassung. Deswegen sollte der Geschäftsordnungsausschuß uns bis zur Sommerpause einen Vorschlag vorlegen, wie wir die Rechte des Abgeordneten nach dem Grundgesetz in die Geschäftsordnung einbauen können.Dazu gehört auch die Frage, ob Erklärungen zur Abstimmung nach § 31 vor oder nach der Abstimmung abgegeben werden. Ich staune: Im Kommentar zu unserer Geschäftsordnung steht:Erklärungen zur Abstimmung können — Nein! —können erst nach Abschluß der Aussprache und von der abschließenden Abstimmung abgegeben werden. Daraus ergibt sich, daß Erklärungen nach der Abstimmung unzulässig sind.Verfasser: Bundestagsdirektor Bäcker. Vorwort: Bundestagspräsident Jenninger.Natürlich ist es ärgerlich, daß die jüngste Fraktion des Hauses gelegentlich versucht, zu filibustern, indem sie § 31 — —
— Na sicher.
Sie strapaziert ihn.
— Herr Kollege, das ist in den letzten drei Jahren drei- oder viermal vorgekommen. Aber deswegen sollten wir doch nicht Rechte aller Abgeordneten abbauen. Wir sollten vielmehr den grünen Kolleginnen und Kollegen klarmachen, daß ein unveräußerliches Recht des einzelnen Abgeordneten zuschanden wird, wenn alle 520 es gleichzeitig in Anspruch nehmen
oder wenn eine Fraktion damit fahrlässig herumhantiert. Ich hoffe auf Ihren Lernprozeß. Wir können — selbst an diesem Tag — gemeinsam feststellen: Alle bisherigen Filibusterversuche haben die Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit des Deutschen Bundestages nicht beeinflußt.Ich möchte zu Ihnen, Frau Dr. Hamm-Brücher, eine Anmerkung machen: Ob ein Abgeordneter seine Rechte und Pflichten nach dem Grundgesetz wahrnimmt, ist nicht nur eine Frage des Status, sondern auch eine Frage der Statur.
Wer seine Rechte bisher wahrnehmen wollte, auch im Dissens mit der eigenen Fraktion — Frau Dr. Hamm-Brücher, wir wissen, wovon wir reden, nicht? —, hatte manchmal Schwierigkeiten und mußte manchmal mit Mißtrauen kämpfen. Aber jeder Abgeordnete konnte bisher seine Abgeordnetenrechte wahrnehmen.
Ich plädiere für mehr Mut zum Experiment. Warum können wir uns nicht darüber verständigen, daß wir einiges einige Wochen lang in Abweichung von der Geschäftsordnung nach § 126 anders anpacken. So kann der Präsident z. B. für Kurzbeiträge bis zu fünf Minuten vorrangig das Wort erteilen. Und: Der Präsident kann bei Debatten, die über zweieinhalb Stunden dauern, eine halbe Stunde mit Fünf-Minuten-Beiträgen im Verhältnis der Fraktionen anhängen. Wir müssen das nicht gleich in der Geschäftsordnung festklopfen, sondern wir probieren das ein paar Wochen, und dann sehen wir, ob es klappt. Wenn es klappt, bauen wir es in die Geschäftsordnung ein. Wenn es nicht klappt, dann lassen wir es.Das gilt auch für die Einteilung der Sitzungswochen.
Warum ist es eigentlich so wahnsinnig schwierig, das auszuprobieren, drei Wochen am Mittwoch-, Donnerstag- und Freitagvormittag und dann drei Wochen lang am Mittwoch- und Donnerstagnachmittag und -abend und Freitagvormittag zu tagen? Danach müssen wir uns darüber unterhalten, was vernünftiger ist. Warum sind wir so inflexibel, zuerst einmal neue Verfahren zu erproben
und danach zu entscheiden, was wir in die Geschäftsordnung hineinschreiben.Das gilt auch für die Kabinettberichterstattung. Das ist ein gescheiterter Versuch. Ist es so tragisch, daß uns etwas schiefgegangen ist? Jetzt probieren wir, ob es auf andere Weise geht: Ich fände es gut,
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 194. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Januar 1986 14611
Conradiwenn in jeder Sitzungswoche ein Minister eine Stunde lang für sein Ressort zur Verfügung stünde und jeder Abgeordnete ihn dazu fragen könnte. Das würde uns etwas näher an die muntere Fragestunde im englischen Unterhaus heranbringen, die der Regierungsmehrheit wie der Opposition gleichermaßen zur Profilierung dient.Lassen Sie uns doch solche Dinge probieren und nicht so ängstlich sein, z. B. auch bei den Plenartagesordnungen. Warum ist es nicht möglich, einen Teil der Themen in öffentlichen Ausschußsitzungen zu behandeln? Wir haben eine Traktandenliste von mehreren hundert Positionen. Wenn uns die Ausschüsse nicht durch öffentliche Sitzungen, die in der Regel besser besucht sind als das Plenum, in denen man mehr Zeit zur Verfügung hat und man qualifizierter als im Plenum reden kann, die Tagesordnung des Plenums entlasten, werden wir für die großen, wichtigen Debatten keine Zeit finden.Zum Schluß ein Wort zum Thema Rede-und Arbeitsparlament. Es wird immer behauptet, das sei ein unaufhebbarer Gegensatz: das englische Redeparlament und das deutsche Arbeitsparlament. Ich halte das — mit Verlaub — für eine scholastische Unterteilung. Wir sind natürlich beides. Wir haben Gesetze zu machen; das machen wir ganz gut. Einige behaupten, wir machen es viel zu gut. Und wir haben als Redeparlament die Meinungs- und Willensbildung unseres Volkes, die politische Kultur dieser Republik im Streit um die wichtigen politischen und gesellschaftlichen Fragen mitzugestalten. Diese zweite Aufgabe kommt oft zu kurz, die könnten wir besser erfüllen. Es gibt Kollegen, die sagen uns, in den 50er und 60er Jahren sei hier besser und lebhafter diskutiert worden. Deswegen sollten wir den Mut haben, die notwendigen Änderungen einzuführen, um auch unsere Aufgaben als Redeparlament zukünftig besser zu erfüllen als bisher.Schönen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Lammert.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Daß der Reformeifer dieses Parlaments sich durchaus in Grenzen hält, läßt sich in der Tat nicht bestreiten. Daß aber nicht jeder, der die Reformbedürftigkeit des Parlaments lautstark beschwört, konkret an der Verbesserung der Leistungsfähigkeit und des Ansehens des Bundestags interessiert ist, zeigt, wie ich finde, mit depremierender Deutlichkeit der Verlauf des heutigen Tages
und der höchst anschauliche Widerspruch zwischen der Reformrhetorik heute Nachmittag und der praktischen Geschäftsordnungshuberei selbsternannter Fundamentaldemokraten heute morgen.
Wenn man den Deutschen Bundestag nicht an idealisierten Leitbildern eines angeblich klassischen Parlamentarismus mißt, dessen historische Realität übrigens hinter den abstrakten Vorstellungen desillusionierend weit zurückgeblieben war —, dann kann sich seine Arbeit in den letzten Jahrzehnten durchaus sehen lassen. Er wird im Ausland übrigens gelegentlich sehr viel höher eingeschätzt als zu Hause. Selbst im weiß Gott klassischen englischen Unterhaus gilt der Deutsche Bundestag inzwischen eher als Reformmodell denn als abschrekkendes Beispiel. Insofern tun wir gut daran, die Proportionen nicht zu verrücken, wenngleich auch niemand von uns Anlaß oder Neigung zu schulterklopfender Selbstzufriedenheit verspürt.
Deswegen hatte und hat die Debatte des Bundestages über sich selbst und seine Arbeitsweise durchaus ihre innere Berechtigung und ihre innere Logik.Nicht zuletzt aus diesem Grund haben wir dann gemeinsam diese Kommission installiert, und wir haben uns gemeinsam Mühe gegeben, über das nachzudenken, was vielleicht an änderungsfähigen und änderungsbedürftigen Sachverhalten hier unsere Arbeit begleitet und gelegentlich auch belastet.
— Wir haben angefangen. — Wenn man allerdings, Frau Kollegin Hamm-Brücher, dieser Kommission, noch bevor sie ihren Bericht abgegeben hat, bescheinigt, außer einigen erfreulichen Lockerungsübungen seien substantielle Ergebnisse dabei nicht herausgekommen,
dann muß man selber solche substanziellen Vorschläge machen können;
— Ich komme darauf gleich zurück — dann darf man in diesem Zusammenhang auch nicht verkennen, daß in der berühmten ersten Debatte mehr als 40 Kollegen dieses Hauses zu gleichen Sachverhalten höchst unterschiedliche Auffassungen vertreten haben, so daß wir hier natürlich auch über die Frage der Maßstäbe reden, unter denen man bestimmte, von uns allen als diskussionsbedürftig empfundene Sachverhalte diskutiert und vielleicht dann auch verändern will.Für den Bericht jedenfalls, der heute vorliegt, können wir die interessante Beobachtung machen, daß diesem Bericht gleichzeitig der Vorwurf der Übertreibung und der Halbherzigkeit gemacht wird. Was den einen nicht weit genug geht, geht anderen schon entschieden zu weit.
Dies zeigt nicht zuletzt, wie ich finde, daß die gegenwärtige Praxis des Parlaments eben nicht willkür-
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14612 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 194. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Januar 1986
Dr. Lammertlich und auch nicht unaufgeklärt ist, sondern daß sie das vorläufige Ergebnis einer langjährigen, auch ständig veränderten Übung und dem ständigen Bemühen ist, die eigenen parlamentarischen Verfahrensregeln den für sinnvoll und zweckmäßig gehaltenen Erfordernissen angemessen anzupassen.Dem vielfach erhobenen Vorwurf, daß die weitgehend vorgeplanten Plenardebatten hier im Haus in der Regel allzu routiniert, steril und langweilig seien, hat nach meiner Meinung kein Mitglied des Hauses damals oder auch danach widersprochen. In dieser Einschätzung stimmen wir alle überein. Der Vorschlag, deshalb sollten vielleicht durch die Geschäftsordnung außerhalb der von den Fraktionen vorgeplanten Debattenzeiten so etwas wie spontane Redezeiten ermöglicht werden, findet sich ausdrücklich im Bericht der Ad-hoc-Kommission. Allerdings wird abzuwarten bleiben — ich persönlich bin da sehr skeptisch —, ob eine solche Übung wirklich später einmal in der Kategorie „substantielle Verbesserungen" oder vielleicht doch eher in der Kategorie „erfreuliche Lockerungsübungen" eingeordnet werden muß.Daß in der vorhin zitierten Umfrage unter den Kollegen des Hauses von allen für dringlich gehaltenen Verbesserungen die Ausweitung der individuellen Rederechte mit Abstand an erster Stelle rangiert, dokumentiert zunächst einmal nur das ungebrochene Selbstbewußtsein der Parlamentarier, beweist aber natürlich nichts über die Vorrangigkeit der Veränderung parlamentarischer Verfahrensregeln an genau dieser, statt an irgend einer anderen Stelle. Meine persönliche Hoffnung und Erwartung ist, daß der bevorstehende Umzug ins Wasserwerk sich nachträglich einmal als der bislang durchgreifendste Beitrag zur Parlamentsreform herausstellen könnte,
weil dort zum ersten Mal der Zwang zur Debatte vom Platz aus bestehen wird — statt dieser unsäglichen Vorlesungsübung, die dieser Saal anders ja auch gar nicht gestattet. Wir haben gegenteilige Versuche ohne überzeugendes Ergebnis hier praktiziert.Von meinen Vorrednern ist schon das Stichwort Kabinettberichterstattung eingeführt und über die zugegebenermaßen wenig überzeugenden Erfahrungen berichtet worden, die wir mit den drei oder vier Probeläufen dieses Reformvorschlages gemacht haben. Ich glaube persönlich, daß dennoch der Abbruch dieses Versuchs voreilig gewesen ist.
Ich bin deshalb dieser Meinung, weil doch bei selbstkritischer Bestandsaufnahme eingeräumt werden muß, daß bei diesen Probeläufen weder die Regierung, noch die Mitglieder des Hauses, noch das Präsidium, noch die Presse einen besonders souveränen Eindruck hinterlassen haben.
Wenn wir dies aber miteinander einräumen müssenund zu dem Ergebnis kämen, daß die Bundesregierung sich vielleicht um ein höheres Maß an Ernsthaftigkeit bei der Berichterstattung über von ihr gewählte Themen bemühen muß, wir selbst uns um mehr Disziplin bei den eigenen Fragen bemühen müssen, daß man das Präsidium vielleicht um etwas mehr Großzügigkeit in der Handhabung der vereinbarten Regeln bitten sollte
und die Presse sich vielleicht für eine gewisse Zeit die eigene Vermutung verkneifen sollte, außer Journalisten könnte eh kein Mensch gescheit fragen, sehe ich durchaus eine Chance, für dieses nach wie vor berechtigte Anliegen zu einem überzeugenden Ergebnis zu kommen.
Das sind alles vergleichsweise bescheidene Änderungsvorschläge. Eine Reform des Parlaments an Haupt und Gliedern ist damit weder möglich noch beabsichtigt. Für eine Verfehlung des Reformauftrages kann das nur jemand halten, der die Arbeitsweise des Parlaments im allgemeinen für nicht ausreichend und seinen Aufgaben nicht angemessen hält.In diesem Zusammenhang taucht dann immer die berühmte Frage nach der Unabhängigkeit der Abgeordneten, ihrem Status und ihrem Verfassungsrang auf. Ich persönlich empfinde den Vorschlag, man solle den Art. 38 unseres Grundgesetzes, der die Mitglieder des Bundestags als Volksvertreter ohne Bindung an Weisung und Aufträge definiert, in die Geschäftsordnung übernehmen, doch als einen eher symbolischen, um nicht zu sagen verzweifelten Notwehrakt. Mir ist bis heute nicht klar geworden, Frau Hamm-Brücher, warum sich die Erwartung an eine durchgreifende Verbesserung ausgerechnet an die Wiederholung einer ohnehin bestehenden Verfassungslage in den Verfahrensregelungen des Hauses knüpft. Mit anderen Worten: Wenn das, was die Verfassung postuliert, bisher trotz ausdrücklicher Verfassungslage nicht Realität geworden sein sollte, dann wird das Zitat dieser Verfassungsbestimmung in der Geschäftsordnung nach meiner festen Überzeugung auch nicht mehr helfen können.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Aber gerne!
Bitte sehr, Frau Dr. Hamm-Brücher.
Weil es wirklich wichtig ist: Ist Ihnen bei der Lektüre unserer Geschäftsordnung nicht aufgefallen, daß darin alle anderen Bestimmungen der Verfassung — zumindest als Fußnote — im Wortlaut stehen und daß, wenn wir das aufnähen und daran den Abschnitt „Pflichten und Rechte der Mitglieder des Bundestages" knüpften,
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Frau Dr. Hamm-Brüchereinmal im Zusammenhang sichtbar werden könnte, daß wir hier eben einen Auftrag haben, der sich — neben der Loyalität gegenüber der Fraktion — an uns selber richtet? Davon verspreche ich mir gerade für junge Kollegen einen großen Ermunterungseffekt. Sie nicht auch?
Natürlich ist mir das aufgefallen, Frau Kollegin Hamm-Brücher, und ich habe ja auch ausdrücklich nicht gesagt, ich sei dagegen, so zu verfahren. Ich habe nur gesagt: Ich habe bis heute nicht verstanden, warum sich die Erwartung an eine durchgreifende Veränderung des von Ihnen kritisierten Zustandes ausgerechnet an diesen, wie ich nach wie vor finde, eher symbolischen Akt knüpft.
Eines sollte uns dann übrigens auch auffallen, Frau Kollegin Hamm-Brücher: Bei der berühmten Diskussion über die Verhaltensregeln der Abgeordneten, die hier bislang noch nicht angesprochen worden sind, wird die genau umgekehrte Logik bemüht; da wird ständig gesagt, die Regelung der Verhaltensbestimmungen in der Geschäftsordnung sei völlig unwirksam, und da sei dringend eine gesetzliche Basis vonnöten. Insofern ist hier unsere Erwartung, an welcher Stelle was sinnvoll geregelt werden soll, auch in sich ganz offensichtlich nicht widerspruchsf rei.
Im übrigen sehe ich in der Frage der Verhaltensrichtlinien allerdings durchaus Handlungsbedarf und auch einen gewissen Reformbedarf. Dazu gibt es ja nach wie vor zwei konkurrierende Gesetzentwürfe, die noch nicht erledigt sind. Ich persönlich trete dafür ein, daß wir sie nicht in der Weise bewältigen, daß die Koalitionsmehrheit ihre Vorstellungen gegen die Vorstellungen der Minderheit durchsetzt.
Wenn das Ganze überhaupt Sinn machen soll, müssen wir diese Frage im Konsens regeln; sonst können wir es bleiben lassen.
Die Selbständigkeit und Unabhängigkeit der Abgeordneten, die wir alle wollen, mißt sich doch verläßlich ganz gewiß nicht an der Zahl der Plenarreden, und sie mißt sich ganz sicher auch nicht an der Anzahl der Fälle, bei denen das individuelle Abstimmungsverhalten von dem der eigenen Fraktion abweicht.
Mir ist jedenfalls aufgefallen, daß die Neigung zu individuellem Abstimmungsverhalten ausgerechnet bei der Fraktion am geringsten ausgeprägt ist, die ihren Einzug in das deutsche Parlament als einen fundamentalen Neuanfang und als eine
grundsätzliche Kritik an allen eingeführten „parlamentarischen Riten" verstanden wissen wollte.
— Ich würde diese weitere Zwischenfrage gern zulassen, wenn ich nicht — —
Bitte, Herr Dr. Schierholz.
Herr Lammert, da ich das zumindest für meine Person und auch für einige Kollegen mit Nachdruck zurückweisen muß, möchte ich Sie fragen, an Hand welcher Untersuchungen Sie diese doch sehr gewagte Behauptung aufstellen.
An Hand meiner eigenen Beobachtungen, die offensichtlich von einem großen Teil der Kollegen geteilt werden!
Im übrigen würde ich den Nachweis der Unabhängigkeit der Urteilsbildung auch nicht an der Anzahl von Änderungsvorschlägen zum Bundesverkehrswegeplan messen wollen; da ist das vergleichsweise kostenlos zu haben.
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, es kann nicht schaden, wenn der Bundestag seine eigene Arbeit gelegentlich kritischer einschätzt, als manche sachverständigen Beobachter im In- und Ausland es tun. Wenn ein Mann wie Alfred Grosser die Praxis unserer parlamentarischen Untersuchungsausschüsse, die mit großer Selbstverständlichkeit Regierungschefs, Parteivorsitzende, Minister und prominente Wirtschaftsführer — wenn nötig, auch mehrmals zu öffentlichen Beratungen über aufklärungsbedürftige Sachverhalte vorladen, seinen französischen Landsleuten als ein leuchtendes Beispiel vor Augen führt, weil das in der politischen Kultur Frankreichs völlig undenkbar sei, dann kann jedenfalls der hier oft behauptete Rückstand in der demokratischen Entwicklung dieses Landes und dieses Parlaments
und kann die vielfach behauptete Neigung zur Obrigkeitsgläubigkeit noch nicht so tiefe Wurzeln geschlagen haben, wie es an der einen oder anderen Stelle den Anschein hat.Wir sollten uns allerdings beim Stichwort Untersuchungsausschüsse anläßlich dieser Debatte vielleicht auch gegenseitig ermuntern, dieses nach wie vor höchst unbefriedigend geregelte Problem in dieser Legislaturperiode als ein konkretes Reformbeispiel endlich einmal über die Rampe zu bringen. Der Bundestag hat inzwischen, ich glaube, seinen 33.
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Dr. LammertUntersuchungsausschuß, aber noch immer keine angemessene gesetzliche Regelung über die Verfahrensbestimmungen, das in angemessener und fairer Weise zu tun.Inzwischen liegt allen Fraktionen des Hauses ein konkreter Gesetzentwurf vor, der vom Geschäftsordnungsausschuß und allen Fraktionen im Geschäftsordnungsausschuß gemeinsam erarbeitet worden ist und sich bemüht, aus den Erfahrungen dieses Hauses, aus den bereits vorhandenen gesetzlichen Regelungen von Bundesländern, aus den Vorschlägen der Enquetekommission Verfassungsreform und vielen anderen einschlägigen Dokumenten einen angemessenen, fairen und, wie wir glauben, funktionsfähigen Verfahrensvorschlag zu machen. Dieser ist, wie ich denke, durchaus minderheitenfreundlich ausgestaltet, weil dieses Instrument der Untersuchungsausschüsse auch von der Verfassungskonstruktion her ein Minderheitenrecht ist und bleiben muß. Ich trete dafür ein, daß wir alle gemeinsam die Kraft aufbringen, über taktische Überlegungen hinaus eine solche für alle verbindliche gesetzliche Grundlage zu schaffen. Ich werde auch dafür eintreten, daß meine Fraktion dabei nicht hinter die Standards zurückfällt, die sie, als sie selbst in der Opposition war, aus guten Gründen für Minderheiten in diesem Zusammenhang reklamiert hat.Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, die Arbeitsfähigkeit des Parlaments mag von den zahlreichen Reformvorschlägen, die wir in den vergangenen Monaten vorgelegt, geprüft und diskutiert haben, wesentlich abhängen. Die gelegentlich diagnostizierte Blutarmut des Parlaments hat gewiß andere Ursachen. Diese Ursachen, denke ich, haben wir nicht in den Bestimmungen der Geschäftsordnung zu suchen, sondern, wenn schon, dann bei uns selbst. Der Bundestag und sein Ansehen können nicht besser sein als das Format seiner Mitglieder.
Unser Engagement, unser Fleiß und, wenn es sein muß, unser Rückgrat und unsere Zivilcourage entscheiden darüber, ob dieses Parlament auch in der politischen Wirklichkeit den Rang hat, den ihm Verfassung und unsere eigenen Absichten ganz unzweideutig zumessen.
Das Wort hat der Abgeordnete Mann.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen als Vertreter des ganzen Volkes, wie die Kollegin Hamm-Brücher so treffend formuliert hat! Ich freue mich, daß ich als Vertreter der jüngsten Fraktion in diesem Parlament aus diesem Anlaß der zweiten Selbstverständnisdebatte, wenn ich sie einmal so nennen darf, zu Ihnen spreche. Sie werden verstehen, daß aus der Sicht unserer Fraktion einiges anders aussieht als aus der der Altparteien, der etablierten Parteien, wie wir oft formulieren.Ich möchte zunächst meinen Vorrednern und meiner Vorrednerin, Frau Dr. Hamm-Brücher in vielem zustimmen, Herr Dr. Jenninger, auf Sie bezogen ganz besonders auch in der Formulierung: Wir müssen uns gegenseitig respektieren, wir müssen mit guten Vorbild vorangehen. Aber, ich glaube, es ist nicht hilfreich, wenn ich als Vertreter der GRÜNEN — wenn ich auch zuvörderst als einzelner Abgeordneter hier zu Ihnen rede —, die Gegensätze, die uns trennen, zu verkleistern versuche. Wir GRÜNEN sind in dieses Parlament eingezogen mit ganz bestimmten Aussagen und, ich denke, vor allen Dingen als Vertreter einer anderen Generation als die meisten, die den anderen Parteien angehören. Das hat Herr Westphal neulich so treffend in der Debatte um Wiedergutmachung gesagt. Ich glaube, daher rühren hier viele Gegensätze und Unterschied zwischen Ihnen und uns. Ich habe manchmal das Gefühl, daß Sie eine junge, vielfach protestierende, ganz anders aussehende Generation einfach nicht akzeptieren wollen und daß von daher sehr vieles, was hier an Gegensätzen besteht, immer noch besteht, obwohl wir jetzt fast drei Jahre in diesem Parlament sind.Ich meine auch, der heutige Tag, Herr Lammert, hat nicht nur eine Debatte über den Bundesverkehrswegeplan gebracht. Ich finde, wir haben aus sehr, sehr guten Gründen, indem wir nämlich die Wünsche der Bürger sehr ernst nehmen, diese namentlichen Abstimmungen beantragt. Es sind ja nicht nur die heutigen namentlichen Abstimmungen, sondern es wurde auch im Ausschuß sehr intensiv versucht, auf die Wünsche der Bürger einzugehen. Trotz der 18-Stunden-Beratung ist sehr wenig auf diese Vorstellungen der Bürger, die sich, was den Straßenbau angeht, sehr, sehr geändert haben, eingegangen worden. Das können Sie nicht so verkürzen, und da gibt es überhaupt keinen Mut zum Experiment, Herr Conradi, wenn hier nicht einmal dieses neuartige Abstimmungsverfahren, mit dem wir alle zum erstenmal umgehen mußten, von Ihnen akzeptiert wird und gleich das Argument kommt: Da ist wieder wer weiß wieviel Papier bedruckt worden.Wir haben hier heute morgen versucht, bestimmte Ziele ernsthaft zu behandeln. Unserer Überzeugung nach — das ist eine wesentliche Kritik — werden viele Ängste, viele Wünsche der Bürger in diesem Parlament — ob Arbeits-, Diskussions- oder Redeparlament — oft wegen Formalismus oder anderen Dingen nicht ernsthaft behandelt. Das ist der eigentliche Grund des Unbehagens der Besuchergruppen, die hier täglich im Bundestag sind.
Das müßte sich ändern, und dafür treten wir GRÜNE mit großen Nachdruck ein.Ich will also — wie es der Zufall will — einen zweiten Punkt von heute ansprechen: die Nichtbeteiligung der GRÜNEN an der parlamentarischen Kontrolle der Nachrichtendienste. Das Karlsruher Urteil ist aus meiner Sicht als Jurist rechtlich ein sehr trauriges Urteil. Man liest zwischen den Zeilen
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Manneigentlich in einem fort nur das Mißtrauen der drei oder vier etablierten Parteien gegenüber dieser einen Partei, das sich leider die Bundesverfassungsrichter bis auf zwei Ausnahmen zu eigen gemacht haben. In der „Süddeutschen Zeitung" schrieb Herr Süskind unter der Überschrift „Ein Urteil im Sinne der Staatsräson" — ich darf zitieren —:Man wird nicht darum herumkommen, die rechtlichen Scheinargumente in dieser Debatte von den wahren politischen Gründen zu scheiden. Quer durch die Unionsparteien und die FDP bis hinein in einige Reihen der Sozialdemokraten hat der Klub der vormals etablierten Parlamentsfraktionen die Tatsache nicht verwunden, daß die GRÜNEN im Bundestag präsent und wirksam sind.
Nicht einmal die rein emotionalen Abwehrreaktionen gegen derlei Eindringlinge, die— da wird wohl ein Kollege zitiert —„eigentlich nicht hierher gehören", sind völlig abgebaut; um wieviel weniger das latente Mißtrauen gegen deren politische Absichten. Manche Äußerung aus dem Regierungslager zum Karlsruher Urteil liest sich wie ein Stoßseufzer der Erleichterung, daß die Verfassungshüter quasi einen grünen Anschlag auf den Rechtsstaat abgewehrt hätten.Soweit Herr Süskind in der „Süddeutschen Zeitung". Genauso ist es — leider, muß ich sagen. Wenn wir hier vom Aufeinanderzugehen, vom Miteinander-angemessen-Umgehen reden, dann müssen das beide Seiten tun.Ich will an dieser Stelle wiederholen: Auch ich kritisiere, daß unsere Fraktion — meine Kollegin Frau Beck-Oberdorf hat es einmal angesprochen, indem sie von der Sanftheit im Umgang miteinander sprach — es sehr oft daran hat fehlen lassen. Aber, ich glaube, auch Sie als Ältere, als Etablierte haben es sehr oft daran fehlen lassen, uns wirklich ernst zu nehmen, z. B. bei den Ängsten in der Nachrüstungsdebatte, die zu diesen persönlichen Erklärungen geführt haben, wo Sie dann hinterher von einem Mißbrauch sprachen. Ich glaube, wenn sich beide Seiten da ändern würden, wäre das ein Gewinn für die parlamentarische Demokratie in dieser Bundesrepublik.Ich möchte an dieser Stelle einen Wissenschaftler zitieren, der, Herr Kollege Lammert, unlängst sinngemäß plubliziert hat, nicht der Umzug ins Wasserwerk, der uns bevorsteht, sei sozusagen die große Änderung, sondern das größte Stück Parlamentsreform in der Geschichte der Bundesrepublik — vielleicht seit Anfang der 50er Jahre — sei der Einzug der GRÜNEN in den Deutschen Bundestag gewesen. Ich glaube, mit dieser These sollten Sie sich noch einmal auseinandersetzen.
— Das läßt sich sehr wohl begründen. — Ich glaube,umweltpolitisch und friedenspolitisch hat sichdurch das Vorhandensein der GRÜNEN in diesemParlament sehr viel geändert, auch in der Form des Umgangs miteinander. In der Kritik an Fraktions- und Parteiführungen haben Sie unseren basisdemokratischen Ansprüchen bereits einiges abgeschaut.Ich möchte — da ich meinem Kollegen Bueb einen großen Teil unserer gemeinsamen Redezeit überlassen werde — zum Schluß noch ganz kurz skizzieren, warum ich in sehr großer Sorge um unsere parlamentarische Demokratie bin — z. B. auf Grund des gestrigen Tages. Gestern wurde im Innenausschuß vom Morgen bis in den späten Abend das Personalausweisgesetz beraten.Von den Koalitionsfraktionen sind vor zwei Wochen Vorschläge zur Änderung der Strafprozeßordnung vorgelegt worden. Wir — beide Oppositionsfraktionen — haben versucht, eine sachgerechte Beratung sicherzustellen. Und wir haben eine Anhörung beantragt. Was hat die Mehrheit gemacht? Sie hat diese Minderheitenrechte als im Grunde genommen lästig behandelt. Aber sie hat sie akzeptieren müssen, weil das so vorgesehen ist. Als Termin wurde von ihr der Aschermittwoch vorgesehen. Eine sachgerechte Vorbereitung einer solchen Anhörung ist so überhaupt nicht möglich.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie — —?
Herr Kollege Dr. Hirsch, ich lasse Ihre Frage gleich zu — vorausgesetzt, die Zeit wird nicht angerechnet. — Ich bin in großer Sorge, wenn angesichts derartig einschneidender, geplanter Veränderungen unseres Staats- und Verfassungsgefüges, Herr Kollege Hirsch, mit diesen sogenannten Sicherheitsgesetzen in diesem Parlament die Ansprüche der Opposition auf eine wirklich intensive Beratung von Ihnen nicht ernstgenommen werden.
Ich nutze heute die Gelegenheit, Sie hier, an dieser Stelle, mit Nachdruck daran zu erinnern: Eine parlamentarische Demokratie ist nur so stark und so gut, wie die Mehrheit bereit ist, die Minderheit — und dazu zähle ich jetzt auch die SPD — wirklich ernst zu nehmen. — Bitte sehr!
Herr Kollege, wieviele von den 35 Sekunden, die Sie noch haben, wollen Sie Ihrem Kollegen denn hinterlassen?
Die letzten acht Minuten.
Ich meinte die Minuten, die Sie gebraucht haben. — Bitte, Herr Hirsch!
Herr Kollege, ich bin von Ihrem Bekenntnis zur parlamentarischen Demokratie beeindruckt. Aber wie kommt es dann eigentlich, daß bei der Sachdebatte im Innenausschuß — bei der wir, wie Sie meinen, einen Anschlag auf den Rechtsstaat vorbereiten — von den beiden ordentlichen Vertretern der GRÜNEN niemand vertreten war? Nur Sie als stellvertretendes Ausschußmit-
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Dr. Hirschglied waren zugegen. Von den Kollegen der SPDFraktion waren im wesentlichen nur zwei Ausschußmitglieder anwesend.
Können Sie mir bitte erläutern, wie das miteinander in Einklang zu bringen ist?
Wir haben diese Diskussion schon gestern im Innenausschuß miteinander ausgetragen. Unsere Fraktion hat den ganzen Tag an der Beratung teilgenommen. Ich bin der Meinung, daß ich sehr wohl die entsprechenden und auch notwendigen Sachbeiträge geleistet habe. Der Herr Kollege Ströbele als der für innere Sicherheit zuständige Abgeordnete hat sich im parallel tagenden 2. Untersuchungsausschuß befunden. — Genau diese Art von Zwischenfragen habe ich in den letzten Monaten sehr oft gehört. Sie sind kein guter Beitrag.
Vielleicht darf ich noch eine Minute der Redezeit meines Kollegen Bueb in Anspruch nehmen, damit ich kurz skizzieren kann, wohin unsere Vorstellungen gehen, meine Damen und Herren.
Ich stelle fest — das beweist die Zahl unserer Anträge, Gesetzesvorlagen usw. —: Die GRÜNEN nehmen diese parlamentarische Demokratie von allen Fraktionen eigentlich am ernstesten.
Wir sind der Meinung, daß es nicht ausreicht, die parlamentarische Demokratie ernst zu nehmen. Wir müssen die repräsentative Demokratie, die in vielem verkrustet ist, ausbauen. Und wir müssen es wagen, die Bürger in viel stärkerem Umfang direkt zu beteiligen.
— Frau Kollegin Berger, wir müssen das Petitionsrecht viel ernster nehmen. Wir müssen den Art. 20 ernster nehmen, wo davon die Rede ist, daß die Staatsgewalt vom Volk ausgeht und — um das am Schluß zu sagen — in Wahlen und Abstimmungen ausgeübt wird. Es geht einfach nicht an, die Rechte des Volkes darauf zu beschränken, alle vier Jahre ein Kreuzchen zu machen.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit und Geduld.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Geiger.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben über dieses Thema schon einmal — am 20. September 1984 — debattiert. Allerdings haben wir das mit Ihrer Vorgängerin getan, Herr Mann. Und ich muß sagen: Es hat sich schon ein bißchen gebessert. Was heute gesagt wurde, klang in unseren Ohren schon sehr viel demokratischer.Was ist eigentlich aus den zahlreichen Kritikpunkten geworden, die damals angesprochen wurden? Ist wenigstens etwas von den guten Vorschlägen in die Praxis umgesetzt worden?Sind wirklich echte Verbesserungen gekommen? Denn vielversprechende Vorschläge hat es damals gegeben. Ich habe mir das noch einmal durchgelesen. Es war sehr viel dabei, was man hätte erwägen können.Das hat gereicht von der Forderung nach besserer personeller und finanzieller Ausstattung über Verfahrensvorschläge zur Debattengestaltung bis hin zur Verbannung des Fernsehens aus dem Plenarsaal. Damals haben sich 45 Abgeordnete — auch der Präsident selbst, so wie ja auch heute wieder der Präsident dankenswerterweise gesprochen hat — zu Wort gemeldet. Ich glaube, es war damals eine sehr gute Debatte. Damals war das allerdings noch neu. Es waren auch noch sehr viel mehr Kollegen anwesend, die daran interessiert waren.Die Zeitungen haben dann allerdings geschrieben, es hätten sich vornehmlich Hinterbänkler zu Wort gemeldet und es sei ein Aufstand der Hinterbänkler gewesen. Das ist ja eigentlich auch ganz klar. Warum sollte sich jemand, der alle Privilegien in diesem Hause genießt, um eine Änderung der Geschäftsordnung oder solche Dinge bekümmern?
Genauso verständlich ist es natürlich, daß sich die Opposition — ich will einmal sagen — in und außerhalb der Regierungsfraktionen am lautesten meldet. Wir waren auch schon in der Opposition. Ich weiß, in der Opposition hat man natürlich einen etwas mühsameren Zugang zum sogenannten Herrschaftswissen.Die Debatte 1984 war notwendig. Das gilt auch für die heutige Fortsetzung. Es ist tatsächlich manches reformbedürftig; denn wenn laut Umfrageergebnissen nur 39 % der Bevölkerung einen günstigen Eindruck von der bisherigen Arbeit des Bonner Parlaments haben und wenn die meisten Abgeordneten auch noch daran zweifeln, daß dieser Eindruck gut ist, dann müssen wir etwas ändern. Dann ist das wirklich Anlaß, über Reformen nachzudenken.Jeder von uns leidet wahrscheinlich am meisten unter der Art, wie wir alle verbürokratisiert werden,
wie wir von einer Papierflut schier erdrückt werden. Mit den vorsintflutlichen Mitteln, die wir in unseren Büros haben, sind unsere Aufgaben leider nicht zu bewältigen. Ich hoffe sehr stark, daß uns Frau Dr. Skarpelis-Sperk heute ein bißchen Hoffnung machen kann. Ich nehme an, sie spricht noch und wird ausführen, was sich da tut, ob wir wenigstens langsam an den Standard von ganz kleinen Mittelstandsfirmen herankommen, was unsere Arbeitsweise angeht.
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Frau GeigerDas Wissen, daß wir uns oft ausschließlich als Schmiermittel in der Gesetzesmaschinerie betätigen müssen, statt als Kontrolleure der Bürokratie aufzutreten, macht uns im allgemeinen nicht fröhlicher. Als ich 1980 in den Deutschen Bundestag kam, war mein erster Eindruck von der Arbeit in diesem Parlament: Man rennt von Sitzung zu Sitzung, von Termin zu Termin, von Besprechung zu Besprechung. Man ist von der ersten bis zur letzten Minute des Tages verplant. Man hat Zeit für alle Probleme dieser Welt, nur für eines hat man keine Zeit:
für das Nachdenken.
Bis heute hat sich an diesem Eindruck im Grunde nicht viel geändert. Es ist höchstens die Erkenntnis dazugekommen, daß ein zuviel denkender Abgeordneter ein Schmiermittel minderer Güte für die Gesetzesmaschinerie sein könnte.Die Vorschläge, die von der Ad-hoc-Kommission Parlamentsreform gem acht wurden, sollten zweierlei bewirken: Stärkung der Stellung der Abgeordneten und Verbesserung des Ansehens der Abgeordneten. Ob das durch die Änderungen, die in Angriff genommen wurden, so restlos geglückt ist, bezweifle ich ein wenig. Nehmen wir z. B. die Kabinettsberichterstattung — das ist heute schon mehrmals gesagt worden —: Auch ich glaube, sie ist viel zu früh, nach wenigen Versuchen, aufgegeben worden. Wäre sie etwa so wie die Bundespressekonferenz durchgeführt worden, wäre das vielleicht eine Sache gewesen, von der alle hätten profitieren können: Die Regierung hätte sich gut darstellen, und die Opposition hätte kritisch nachfragen können.
Die streng reglementierten Redezeiten sind immer wieder Anlaß zu Verdruß. Die Verkürzung auf zehn Minuten macht die Sache sicher lebendiger. Sie ist zu begrüßen. Aber leider — jetzt möchte ich den anwesenden Minister ausdrücklich ausnehmen — halten sich Regierungsmitglieder oft genug nicht daran.
Der Spruch, den Wilhelm Busch den Maler Klecksel tun läßt, „Das Reden tut dem Menschen gut, wenn er es nämlich selber tut", paßt auf einige Minister ganz besonders gut.
Das hat dann zur Folge, daß mancher Kollege mit seinen ungehaltenen Reden ungehalten wieder abziehen muß, weil der Minister überzogen hat. Ein bißchen mehr Kollegialität und Rücksicht bei den Kabinettsmitgliedern würden das Betriebsklima in diesem Hohen Hause ganz bestimmt verbessern helfen.
Als große Errungenschaft wurde verkauft, daß Zwischenfragen außerhalb der Redezeit abgewikkelt werden sollten. Das ist in der Praxis leider eine reine Augenwischerei. Das werde ich Ihnen jetzt als Schriftführerin einmal ein bißchen vorrechnen; denn diese angeblich so großzügige Lösung geht einwandfrei auf Kosten derjenigen Kollegen, die später dran sind.Ein Beispiel: Wir haben eine Debatte von zwei Stunden Dauer. Da entfällt dann auf die Kollegen von der SPD eine Gesamtredezeit von 40 Minuten. Angenommen, diese Kollegen teilen das auf vier Reden á 10 Minuten auf. Jetzt sprechen die ersten drei SPD-Kollegen, lassen großzügig Zwischenfragen zu, und der Präsident stoppt auch immer großzügig die Uhr. Was macht der Schriftführer? Der schreibt jeweils Beginn und Ende der Redezeit auf und rechnet dann aus: Was hat die Fraktion insgesamt verbraucht? Für die letzten stellt sich dann — bitter, bitter — heraus: Ihm bleiben nur noch zwei oder drei Minuten, weil die Kollegen vor ihm recht großzügig auf seine Kosten Zwischenfragen zugelassen haben.Also, wenn man schon so etwas macht — und ich bin sehr dafür, daß man es macht, weil es die Debatte sehr lebendig macht —, muß man aber auch hinten flexibel sein und das Debattenende hinausschieben.
Aber den vierten SPD-Kollegen kann ich mit dem Schicksal des CDU-Kollegen trösten: Der ist inzwischen längst herausgefallen, weil der Minister seine Redezeit total verbraucht hat.
In der ersten Debatte, am 20. September, habe ich mich dafür ausgesprochen, das Fernsehen aus diesem Plenarsaal zu verbannen.
Dafür hat sich die Ad-hoc-Kommission leider nicht erwärmen können. Die Gründe haben sich aus meiner Sicht nicht geändert.
Warum verzichten z. B. die Engländer darauf? So wird beispielsweise durch die Fernsehkameras — Sie kennen alle die Schwenks über die leeren Bänke — auf die mangelnde Präsenz der Abgeordneten aufmerksam gemacht, ohne daß gleichzeitig das Verständnis für unsere Arbeit geweckt würde.
Das Argument, daß Regierungsmitglieder oder Mitglieder der Fraktionsspitze immer zu den besten Fernsehzeiten und die anderen dann sprechen dürfen, wenn abgeschaltet ist, würde durch einen neuen Vorschlag der Kommission, Sitzungen nur noch vormittags durchzuführen, natürlich entfallen, weil dann jeder seinen Beitrag noch vor dem Redaktionsschluß loswerden könnte.
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Frau GeigerAllerdings muß ich ehrlich sagen: Ich würde es sehr bedauern. Wir würden dann nämlich eines verlieren, was einerseits zwar sehr lästig ist: die langen Abend- und Nachtsitzungen. Aber — und ich habe schon viele Stunden dort oben gesessen — wir würden auch etwas verlieren; denn manchmal sind Nachtstunden auch Sternstunden des Parlaments,
wenn die Reden gelöster werden, wenn das ganze Klima hier freundschaftlicher ist, wenn man miteinander redet, wenn man aufeinander eingeht. Aber es sieht halt leider so aus, als wären solche Dinge nur unter Ausschluß der Öffentlichkeit möglich. Das alles würden wir verlieren, wenn wir nur noch vormittags tagten — ganz abgesehen davon, daß ich vormittags meistens grantig und eher ein Abendmensch bin.
Ich habe zwar noch mehr Anregungen, aber ich will sie nicht auf Kosten der Redezeit meiner Kollegen vortragen.
— Ja? Das glaube ich nicht. Es steht noch eine dritte Lesung bevor.Für viele Dinge — ich hätte, wie gesagt, gern noch mehr angesprochen — braucht es im Grunde keine großen Reformen. Oft würden es gewisse kleine Renovierungen tun.Man konnte im Verlauf der Debatte über die Parlamentsreform den Eindruck gewinnen, als wären alle 520 MdB's todunglücklich. Aber das ist ganz sicher nicht der Fall. Wenn Sie sich umsehen, was derzeit bei den innerparteilichen Nominierungsverfahren vor sich geht, wie jeder um seine Wiederaufstellung und seinen Wiedereinzug ins Parlament kämpft — ich schließe mich ausdrücklich nicht aus —, müssen Sie doch sagen, daß es recht schön sein muß, im Parlament zu sein.
George Bernard Shaw hat einen Satz über die Demokratie gesagt, der für uns Abgeordnete und für das Parlament ganz besonders gilt:Die Demokratie ist ein Verfahren, das garantiert, daß wir nicht besser regiert werden, als wir es verdienen.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Hartenstein.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Initiative zur Parlamentsreform hat sich hohe Ziele gesteckt. Weil das so ist, muß man auch über Tabus reden dürfen.Es gibt in diesem Haus zwei heilige Kühe: Erstens: die Regierung darf keine Abstimmung verlieren. Zweitens: die Fraktionen müssen möglichst geschlossen abstimmen.Nun hat die Verehrung dieser heiligen Kühe natürlich ihren guten Grund. Schließlich wird die Regierung, d. h. der Bundeskanzler, von der Mehrheit dieses Hauses gewählt und getragen, wie es so schön heißt. In einer Parteiendemokratie, wie wir sie haben, muß der Bürger auch erkennen können, welche Partei welche Haltung zu dieser oder jener Frage einnimmt. Es ist undenkbar — und wäre unserem System auch nicht dienlich —, wenn morgen plötzlich 520 Einzelkämpfer in diesem Parlament auftreten wollten. Bei der Vorstellung dieses Wirrwarrs, der da entstünde, kommen einem unheilvolle historische Parallelen in den Sinn.Es ist also unbestritten: Die repräsentative Demokratie braucht die Meinungsbildung in der Gruppe. Sie braucht auch die Darstellung des politischen Willens durch die Fraktionen. Die Frage ist doch nur, wie diese Prinzipien gehandhabt werden und ob die Art und Weise, wie dies heute im parlamentarischen Betrieb geschieht, nicht vielleicht doch einen Zustand herbeigeführt hat, der unübersehbare Schattenseiten zeigt.Bei der lupenreinen Durchführung dieses Prinzips zahlt meinem Eindruck nach das Parlament einen hohen Preis. Es ist beständig in der Gefahr, zwischen die Mahlsteine zu geraten. Da ist die Regierung, das Zentrum der Macht, die sagt, wo es langgeht. Auf der anderen Seite sind die Parteien. Das Zentrum der Entscheidung, das eigentlich das Parlament sein sollte, wird als solches nicht ausreichend sichtbar. Dagegen ist zu halten, daß nur und allein die Abgeordneten frei und direkt vom Volke gewählt sind. Sie sind nach Art. 38 des Grundgesetzes eigenverantwortlich und nur ihrem Gewissen verpflichtet. Ich meine, das sollte zur Folge haben, daß man ihnen etwas mehr zutraut, als dies im allgemeinen der Fall ist. Auf keinen Fall — das wäre schlimm — dürfen sie zu bloßen Vollzugsbeamten werden. Das würde bedeuten: Verlust an Selbständigkeit, Verlust an Selbstbewußtsein, Verlust an Ansehen für das ganze Parlament.Wenn das Parlament seinen ihm vom Grundgesetz zugewiesenen zentralen Platz nicht voll ausfüllt, nicht souverän behauptet, dann dringen andere in dieses Vakuum ein. Leider fehlt es an dieser Selbstbehauptung. Wenn sich z. B. die Mehrheit im Parlament nur als Hilfstruppe der Regierung fühlt oder gar — wie es der Kollege Schöfberger bei der ersten Selbstverständnisdebatte so treffend sagte — als „notarielle Bewilligungsstelle" für Regierungsvorhaben, dann verkümmert der eigentliche Auftrag des Parlaments, nämlich für das ganze Volk Forum zu sein, in dem lebenswichtige Fragen für alle diskutiert werden.Es ist leicht festzustellen, daß die Sprecher der Regierungsmehrheit häufig auf eigene pointierte Positionen verzichten — das war bei uns nicht anders —, um ja die Regierungslinie zu halten. Die jeweilige Opposition, mag sie nun gut oder schlecht sein, ist bei dieser Konstruktion von vornherein
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Frau Dr. Hartensteinzum bloßen Opponieren und zur totalen Chancenlosigkeit in der Sache verurteilt.Nirgends wurde übrigens deutlicher sichtbar, wie sich dieses Ritual abspielt, als bei den drei Probeaufführungen der Kabinettsberichterstattung, wo sich die Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP wie eine schützende Schildwacht um den Finanzminister oder den Verkehrsminister, der zur Berichterstattung kam, scharten, während die Oppositionsvertreter ihrerseits von vornherein darauf getrimmt waren, der Regierung um jeden Preis eins ans Bein zu geben, selbst dann, wenn der Inhalt der Kabinettsbeschlüsse bei Licht besehen gar nicht so viel Kontroverses hergegeben hat.
Wir sollten uns — das ist meine erste Bitte — als Parlamentarier gegenseitig zurufen: Wir brauchen mehr Selbstbewußtsein gegenüber der Regierung — alle! Wir brauchen mehr Solidarität untereinander. Wir brauchen mehr Mut zur Wahrnehmung unserer eigenen Rechte. Muß es denn übrigens — Sie werden gleich lächeln — wirklich Theorie bleiben, daß das Parlament auch einmal eine Vorlage der Regierung mit Mehrheit schlicht ablehnt, weil es keinen Handlungsbedarf sieht?
Aktuelles Beispiel wäre etwa die Änderung des § 116 AFG.
— Keine Sachdebatte! — Oder ich denke daran, daß das Parlament eine Vorlage gemeinschaftlich erheblich verändert, verbessert, z. B. im Umweltschutz. Das braucht doch keine Theorie zu bleiben. Weniger reagieren, mehr agieren — in der richtigen Weise! Ich glaube, das stünde uns gut zu Gesicht.Das Ansehen und die Bedeutung des Parlaments steht und fällt nach meiner festen Überzeugung mit dem Selbstverständnis der Parlamentarier selber.Zweiter Punkt. Nicht nur zwischen Parlament und Regierung besteht ein sozusagen konstruktionsbedingtes Spannungsverhältnis, sondern auch zwischen dem einzelnen Abgeordneten und seiner Fraktion, d. h. den selbstgeschaffenen Apparaten. Gewiß steht es dem Grundgesetz nicht entgegen, daß Abgeordnete derselben Partei sich in einer Fraktion zusammenschließen. Aber es kann doch nur so sein, daß Individuen sich in Fraktionen organisieren, und nicht umgekehrt. Die Fraktion hat einen eminent beherrschenden Platz in diesem Parlament gewonnen. Sie teilt ein, sie weist zu, sie löst ab. Viel, ich meine: allzuviel wird von vornherein geregelt und festgelegt, bis hin zu der Parlamentswoche, die in ein eisenhartes Korsett gezwängt wird.Wir sollten uns, liebe Kolleginnen und Kollegen, einmal gegen die Unmenschlichkeit dieser Parlamentswoche zur Wehr setzen und Gegenvorschläge ausarbeiten. 35 Tagesordnungspunkte in der Fraktionssitzung, 45 Tagesordnungspunkte im Plenum — ich frage mich eigentlich: Wie in aller Welt sollen wir da noch gewissenhaft Beschlüsse fassen? Wie in aller Welt sollen wir da überhaupt noch zum Nachdenken kommen? Gerade der, der die Argumente der anderen ernst nehmen möchte, der seine Meinung vielleicht sogar ändern will, braucht doch Zeit, muß mit sich zu Rate gehen, wenn er sich von etwas Besserem überzeugen lassen will. Es wäre schlimm, liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn das Parlament zu einer Versammlung der Schnellen und Wendigen würde, die nur noch in der Lage sind, alles oberflächlich zur Kenntnis zu nehmen. Das darf nicht passieren.An diesem Punkt muß man die Frage nach der Identität des Einzelnen stellen.
Frau Kollegin, würden Sie einen Moment Ihre Aufmerksamkeit auf mich richten. Sie haben dort keine Uhr. Ich habe eine.
Sie haben eine Uhr, Herr Präsident? Wieviel Zeit habe ich noch?
Gar keine.
Ist schon erledigt? Gut. Dann werde ich diese Ausführungen über die Frage der Identität, die mir sehr am Herzen liegen, völlig beiseite lassen. Das ist übrigens ein lebendiges Beispiel, wie so eine Plenardebatte abläuft. Ich möchte nur noch darum bitten — ich glaube, das gestattet mir der Herr Präsident —,
daß wir, auch wenn die Vorschläge der Ad-hocKommission uns jetzt nur einige wenige Instrumente in die Hand geben, doch nicht gleich die Flinte ins Korn werfen, sondern tapfer und zäh weiterarbeiten. Was im ersten Anlauf nicht gelungen ist und nicht erreicht werden konnte, gelingt hoffentlich im zweiten. Machen wir die Probe aufs Exempel!
Ich unterstütze den Entschließungsantrag, der darauf abzielt, daß die Ad-hoc-Kommission Parlamentsreform ihre Arbeit fortführen möge.
Danke schön.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Bohl.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte namens meiner Fraktion zunächst dem Herrn Bundestagspräsidenten und den Kommissionsmitgliedern recht herzlich für die geleistete Arbeit danken. Wir begrüßen die sich aus dem Bericht ergebende Absicht und den Willen, durch Anregungen und Vorschläge die parlamentarische Arbeit zu verbessern, die Stellung des einzelnen Abgeordneten zu stärken und damit die politische Akzeptanz des Deutschen Bundestages zu erhöhen.Das ist, glaube ich, ein Gesichtspunkt, der hier vielleicht noch nicht hinreichend deutlich gemacht
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Bohlwurde. Es ist so, daß gerade ein besonderes, vom Volk und den Bürgern akzeptiertes Verfassungsorgan, das der Mittelpunkt des geistigen und politischen Ringens in wichtigen nationalen Fragen ist, schon allein auf Grund der Stärkung seiner Bedeutung in weit höherem Maße seine Kontrollaufgaben gegenüber der Exekutive wahrnehmen kann.Meine Damen und Herren, ich möchte deshalb ganz konkret zu einigen Vorschlägen, die gemacht wurden, hier Stellung nehmen. Wir als Fraktion würden es durchaus für sinnvoll halten, probeweise ohne Änderung der Geschäftsordnung das sogenannte Vormittagsmodell zu erproben, wonach an drei Tagen — Mittwoch, Donnerstag und Freitag — jeweils vormittags Plenarsitzungen stattfinden und dann nachmittags die Ausschußsitzungen möglich sein werden. Wir glauben, daß man zunächst dieses erproben sollte. Die Nachteile des sogenannten Nachmittagsmodells sind doch sehr gravierend, wie wir meinen, so daß man diese Erprobung vielleicht gar nicht vornehmen sollte.
Die Vorteile des Vormittagsmodells sind aus unserer Sicht folgende. Es eröffnete sich die Chance, daß wir mit den unzähligen Gesetzentwürfen, Anfragen und Anträgen, die aus Zeitgründen immer wieder vertagt werden müssen, nun endlich doch zur Erledigung kommen. Wenn ich das, auf vier Stunden jeweils an drei Tagen komprimiert betrachte, mag Sie diese Hoffnung vielleicht überraschen. Dennoch bin ich der Auffassung, daß dieses Vormittagsmodell einen heilsamen Zwang ausüben könnte, so daß wir zur Bereinigung der umfangreichen Verhandlungsgegenstände und zur Selbstdisziplin einfach genötigt wären.Ich meine, so wie im Moment geht es wirklich nicht weiter. Wir haben derzeit — ich habe es mir aufschreiben lassen — 124 Vorlagen, die beim Deutschen Bundestag eingebracht sind und jederzeit beraten werden könnten, d. h. auf die Tagesordnung der Plenarsitzungen gesetzt werden könnten. Es gibt weitere 28 Vorlagen, die in naher Zukunft beraten werden müssen.Ich glaube, daß wir mit dem Vormittagsmodell — es muß erprobt werden, aber rein theoretisch wäre das möglich — auch die Ausschüsse in den Stand versetzen, ihre Arbeit zu tun. Wir würden die Ausschüsse stärken. Ich glaube, daß wir die Gesetzgebungsarbeit in den Ausschüssen nicht unterschätzen sollten. Es wird ja immer so getan, als müßten wir uns nur auf das Plenum konzentrieren.Ich meine, hier muß man die Gewichte gut austarieren; denn es ist natürlich auch klar, daß in den Ausschüssen mehr Einfluß und Kontrolle möglich ist als im Plenum selbst, denn die Detailarbeit findet in den Ausschüssen statt. In den Ausschüssen ist die Regierung oft stärker unter Begründungszwang, was ja letztlich der Kontrollfunktion des Parlaments entgegenkommt.Meine Damen und Herren, wir haben uns auch eingehend mit der Frage befaßt, wie wir eine stärkere Konzentration auf Themen von grundsätzlicher Bedeutung erreichen können. Ich glaube, daß hier — das ist schon angesprochen worden — eine große Chance des Parlaments liegt. Ich sage noch einmal: Es muß richtig austariert werden. Bei Grundsatzdebatten muß Selbstbeschränkung und Selbstdisziplin geübt werden. Auf der anderen Seite muß auch eine Stärkung der Ausschüsse erreicht werden. Hierzu gibt es gute und interessante Anregungen.Weiterhin möchte ich etwas zu dem Vorschlag sagen, bei Debatten von zwei Stunden und mehr 30 Minuten für sogenannte Spontanbeiträge vorzusehen, also für Beiträge aus dem Plenum für 5 Minuten. Ich glaube, daß dieser Vorschlag noch nicht ganz ausgereift ist. Wir sollten ihn noch einmal sehr sorgfältig überlegen, denn wenn ich das Verfahren richtig einschätze, würde es dazu führen, daß die zwei Stunden zunächst einmal verplant werden und daß dann die halbe Stunde mit den sogenannten Spontanbeiträgen ebenfalls vorher verplant wird.Dann ist es natürlich die Frage: Was macht es für einen Sinn? Hier sollte man zumindest noch einmal nachdenken. Das ist ja auch der Sinn der Verweisung an den Geschäftsordnungsausschuß, die wir vornehmen wollen.Ein Wort noch zu dem § 31 der Geschäftsordnung. Wir haben ja mit dem § 31 in letzter Zeit einige unschöne Erfahrungen gemacht und auch einiges an unnötigem parlamentarischen Hin und Her erlebt, was ich nicht immer verständnisvoll nachvollziehen konnte. Wir wollen deshalb die Geschäftsordnung insoweit gerne ändern, daß diese Erklärung grundsätzlich weiterhin vor der Abstimmung abgegeben werden kann. Mit der vorgeschlagenen Änderung wollen wir aber die Möglichkeit schaffen, einen Mißbrauch dieser Bestimmung zu verhindern, um die im Ältestenrat vereinbarte Redezeit nicht über Gebühr zu verlängern.Ich glaube schon, daß ein Mißbrauch — zumindest eine Überstrapazierung der Vorschrift vorliegt, wenn vor der Abstimmung zahlreiche, sogar alle Mitglieder einer Fraktion unter Berufung auf § 31 der Geschäftsordnung das Wort verlangen und dann die gleiche Begründung und die gleiche Argumentationskette noch einmal vortragen, die schon innerhalb der Aussprache mehrfach — auch aus der eigenen Fraktion — vorgetragen würde.
Damit wird im Grunde genommen ein Individualrecht — lassen Sie mich das so sagen — zu einem von einer Fraktion kollektiv wahrgenommenen Recht zur Ausweitung der Aussprache verfälscht.
Lassen Sie mich auch folgendes noch einmal sagen. Es dient nach meiner Überzeugung nicht dem Ansehen des Parlamentes, wenn die Geschäftsordnung über Gebühr strapaziert wird. Wir brauchen auch bei der Geschäftsordnung ein Mindestmaß an gemeinsamem Vorverständnis. Ich denke dabei an die Aktuellen Stunden. Ich habe mir das einmal aufschreiben lassen. Die Überstrapazierung der Ak-
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Bohltuellen Stunden kann man im Grunde genommen nicht für gut halten.Wir haben in der vierten Legislaturperiode zwei Aktuelle Stunden gehabt, in der fünften 17, in der sechsten und siebten waren es insgesamt 28, in der achten Wahlperiode neun und in der neunten Wahlperiode 12 Aktuelle Stunden. Allein im Jahre 1985 wurden aber insgesamt 36 Aktuelle Stunden beantragt. Ich meine, es widerspricht wirklich aller Lebenserfahrung anzunehmen, daß es vor der zehnten Legislaturperiode keinen Anlaß gegeben hat, Aktuelle Stunden zu beantragen, und daß das jetzt anders sein soll.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Schierholz?
Ja.
Darf ich noch einmal nachfragen, Herr Bohl, ob Sie bereit sind, zu der Argumentation von Herrn Conradi Stellung zu nehmen, der gesagt hat: 16 Stunden Beratungszeit müßten uns doch drei Aktuelle Stunden wert sein?
Ich meine, man muß sich über die übrige Tagesordnung ebenfalls verständigen. Ich will Ihnen einmal ganz offen sagen: Wenn Sie auf der anderen Seite z. B. für Petitionen in aller Regel die Debatte im Plenum herbeiführen — das kann im Einzelfall gerechtfertigt sein —, muß ich fragen: Was soll das? Sie nehmen über Gebühr Zeit in Anspruch; bei dem Petenten erzeugen Sie einen Schein, der ganz unwirklich ist. Es wird damit eine Detaildebatte geführt, die im Grunde genommen in die Ausschüsse gehört und nicht in das Parlament.Wenn Sie also solche aktuellen Debatten zu grundsätzlichen Themen haben wollen, lassen wir durchaus mit uns darüber reden. Aber damit muß eine Selbstbeschneidung und eine Selbstdisziplin in anderen Dingen einhergehen. Wenn wir so viele Vorlagen haben, die wir nicht behandeln können, sind auch Sie einmal aufgerufen, etwas zu tun, damit wir die Dinge endlich erledigen. Sie können nicht alles haben; Sie müssen dann schon sagen, was Sie wollen.In diesem Zusammenhang muß auch folgendes erwähnt werden, denn hier wird immer wieder das Fragerecht angesprochen. Herr Präsident Dr. Jenninger, es stand heute oder gestern in der Zeitung, daß nur 35 %, grob gesagt, ein Drittel der von Anfang September bis Mitte Dezember eingegangenen mündlichen Fragen auch mündlich im Plenum beantwortet worden sind.
Ich meine also, man darf nicht immer nur nachneuen Organisationsformen rufen, sondern man istnatürlich auch selbst gefordert, seine Rechte wahrzunehmen.
Ich möchte deshalb, meine Damen und Herren, mit allem Freimut sagen, daß der Deutsche Bundestag den hohen Ansprüchen, die die Verfassung uns aufgegeben hat und denen wir uns selbst unterwerfen wollen, in den vergangenen 36 Jahren durchaus gerecht geworden ist. Auch im Vergleich mit anderen parlamentarischen Demokratien haben wir stabile Mehrheiten hervorgebracht und haben auf der anderen Seite die Minderheiten nicht zur Ohnmacht verdammt. Ich sage einmal ganz freimütig — bei aller Selbstkritik, die auch berechtigt ist —, daß der parlamentarische Alltag hier im Deutschen Bundestag manchmal vielleicht besser ist als der Ruf.Der Blick auf die Pressetribüne zeigt natürlich, daß es nicht immer gerechtfertigt ist, was sehr pauschal und vereinfachend von uns in den Medien berichtet wird. Ich konnte es mir schlicht und einfach nicht verkneifen, das zu sagen.
Ich will hier deutlich sagen: Diese Debatte soll kein selbstzufriedenes Schulterklopfen sein. Wir wollen Verbesserungen erreichen. Deshalb wurde die Kommission eingesetzt, und deshalb haben wir auch den Wunsch, daß der Bericht an den Geschäftsordnungsausschuß überwiesen, dort weiter beraten und verhandelt wird.Parlamentsreform — lassen Sie mich auch das hier sagen — ist ein ständiger Prozeß. Wir leben in einer vorher nie gekannten schnellebigen Zeit. Parlamentsreform ist kein einmaliger Akt, mit dem man, wenn man ihn einmal gesetzt hat, dann für Jahrzehnte Ruhe hätte. Deshalb müssen wir uns immer neuen Herausforderungen anpassen. Das Stichwort „neue Kommunikationstechniken" vermag in diesem Zusammenhang deutlich zu machen, was ich meine.Lassen Sie mich abschließend folgende Gedanken vortragen. Jenseits der notwendigen technischen und organisatorischen Verbesserungen, zu denen wir bereit sind, entscheidet sich die Zukunft auch des Deutschen Bundestages mit dem Abgeordneten selbst. Das Vertrauen unserer Bürger in die Unabhängigkeit und Integrität des Bundestages hängt in einem hohen Maße auch von dem Vertrauen in jeden einzelnen Abgeordneten und seine Arbeit ab.
Deshalb hat es jeder von uns in der Hand, durch Engagement, Mitarbeit sowie Kraft seiner Persönlichkeit zur Lebendigkeit, zum Ansehen unseres Deutschen Bundestages beizutragen.Der Journalist Maximilian Harden hat in seinem Nachruf auf den freisinnigen Abgeordneten Eugen Richter im Jahre 1906 über den Reichstag geschrieben:
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BohlHeute fehlt hier, wie auf allen Gebieten, die Persönlichkeit.
Richter war der letzte bürgerliche Parlamentarier großen Formats.Auch hieran mag man erkennen, daß die heutigen Probleme nicht neu sind, daß sie trotz aller unserer Bemühungen zeitlos bleiben werden und wir alle dennoch eingeladen und verpflichtet sind, uns den Aufgaben und den Herausforderungen des Parlamentarismus ständig mit unserer ganzen Persönlichkeit neu zu stellen. Die Verantwortung für die Zukunft des Deutschen Bundestages liegt bei uns selbst, den freigewählten Abgeordneten.Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Abgeordnete Bueb.
Liebe Kollegen und Kolleginnen! Die heutige Debatte zur Parlamentsreform wird von den meisten Mitgliedern dieses Hauses als völlig überflüssig betrachtet; das sieht man ja an der Beteiligung.
Unser Grundproblem ist: Mit kosmetischen Änderungen im Ablauf des Parlamentsgeschehens ist keine lebendigere Parlamentsdemokratie zu erwarten, und es werden damit nicht die massiven Behinderungen von Minderheiten aus der Welt geschafft. Diese Debatte unterscheidet sich in nichts von anderen Debatten. Es sind Schaufensterdebatten, die hier veranstaltet werden,
um mit ein paar Zeilen in die Presse zu kommen, mit ein paar Sprüchen im Rundfunk zu erscheinen und im Fernsehen auf dem Bildschirm kurz darüberzuwandern.
Das ist es, was beim Bürger, gefiltert, je nach Interessenlage der Presse, ankommt: ein verzerrtes Bild, wie ich meine. Kein Bürger und keine Bürgerin könnte sich beispielsweise über einen Redebeitrag eines GRÜNEN oder einer GRÜNEN ein Bild machen, wenn davon nur ein Satz im Fernsehen oder Rundfunk gesendet wird. Es ist Ihr Interesse, daß es so bleibt. Deswegen sind wir nicht in den öffentlich-rechtlichen Anstalten vertreten. Das ist ein Punkt Ihres verkrüppelten Demokratieverständnisses.Alles, was hier sonst noch diskutiert wird, ist reine Selbstbefriedigung und spielt sich wie unter einer Käseglocke, quasi unter Ausschluß der Öffentlichkeit ab. Die Debatten hier verkommen zu reinen Pflichtübungen. Jeder und jede weiß: Das Abstimmungsverhalten des einzelnen wird auch nicht ein Jota durch unsere Beiträge verschoben.Alles ist schon unter Ausschluß der Öffentlichkeit im Ausschuß beraten und abgestimmt, wobei auch dort durch die Mehrheitsverhältisse alles schon klar ist. Was wir hier aufführen, ist schlichtweg ein Theater mit dem Zweck, den Bürgern eine lebendige Demokratie vorzuspiegeln, die aber eine Illusion ist.Die Wahrheit ist: Dieses Hohe Haus ist ein in Beton erstarrtes Gebilde mit zum Teil lächerlichen Ritualen. Die Abstimmung der Abgeordneten mit den Füßen zeigt deutlich, für wie nutzlos und sinnlos sie die endlosen und langweiligen Debatten halten. Nahezu immer werden hier Geisterdebatten abgehalten. Oft sind nur 20, 30 oder 40 Abgeordnete anwesend; gerade soviel wie in einem entsprechenden Ausschuß. In der Tat ist es aber auch völlig egal, ob hier 30 oder 300 Abgeordnete sitzen. Ich möchte deshalb einen konstruktiven Vorschlag zur Parlamentsreform machen: Wir können die Parlamentsdebatten auf sieben Abgeordnete reduzieren: zwei von der SPD, einen oder eine von den GRÜNEN, drei von der CDU/CSU und einen von der FDP. Damit wären die Mehrheitsverhältnisse klar. Der Umbau des Wasserwerks wäre nicht notwendig gewesen, der formalen Demokratie wäre Rechnung getragen. Wir könnten die Plenardebatten in ein Büro verlegen und den Bürgern das Gefühl vermitteln, daß das Plenum immer hundertprozentig anwesend ist.
Der jetzige langweilige Parlamentsablauf wird besonders Donnerstag abends mit viel Alkohol gefeiert. So kam es deshalb im Ältestenrat zu einem denkwürdigen Vorschlag aus den Reihen der CDU/ CSU. Der Alkoholgenuß im Bundestagsrestaurant sei einzustellen, wenn die Abgeordneten nüchtern die aufregenden Debatten im Plenum verfolgen sollten. Ich meine, das ist ein gemeiner Anschlag gegen das Fortbestehen des Restaurants, weil der Umsatz rapide fallen würde. Ich hätte auch hier einen konstruktiven Alternativvorschlag. Man möge überall an den Wänden und am Rednerpult Haltegriffe anbringen, aber bitte in unterschiedlicher Höhe, da Abgeordnete aus dem Norden sonst zu tief greifen müßten.
Langweilige Plenardebatten scheinen auf etablierte Abgeordnete eine schier unwiderstehliche Faszination auszuüben, so daß sie alles tun, damit sie auch langweilig bleiben.
Allein die genaue Auslegung der Geschäftsordnung durch Abgeordnete der GRÜNEN versetzt Sie, wie wir heute morgen erfahren haben, in helle Aufregung und wird als Anschlag auf die wohlverdiente Ruhe der Abgeordneten gewertet. Es ist auch sofort von Mißbrauch der Geschäftsordnung die Rede, wie es z. B. der Herr Kollege Seiters an den Herrn Präsidenten 1985 schrieb: Da hat doch so ein GRÜNER nach Schluß der Aussprache vor der Abstimmung das Wort ergriffen, um eine Erklärung zur Abstim-
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Buebmung abzugeben. Angeblich wäre er wiederholt vom Präsidenten ermahnt worden. War es auch Mißbrauch, Herr Seiters — leider ist er nicht da —, als Abgeordnete Ihrer Fraktion ermahnt worden sind und flugs das Präsidium, in dem natürlich wiederum keine GRÜNEN sitzen, entschieden hat, daß GRÜNE nur noch nach der Abstimmung das Wort ergreifen dürfen, so wie Sie es jetzt in Ihrem Antrag fordern. Abgeordnete zweiter Klasse, sage ich dazu. Wir weisen das mit unserem Antrag entschieden zurück.Im November 1985 haben Schwerbehinderte bei der Diskussion um das Bundespflegegesetz der GRÜNEN die Plenardebatte gestört, um auf ihre Probleme aufmerksam zu machen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Lammert?
Nein, ich bin gleich fertig. — Die einzige bisherige Reaktion von Ihnen, meine Damen und Herren, war die Behauptung, die Behinderten seien von den GRÜNEN mißbraucht worden. Daß hier ein elementares Bedürfnis einer gesellschaftlichen Randgruppe besteht, einmal ihre Lebenserfahrung mitzuteilen, wird überhaupt nicht in Erwägung gezogen. Im Ältestenrat wurde von seiten der CDU/CSU mit Vehemenz darauf hingewiesen, man habe für die Behinderten schon alles getan; als einziges Beispiel wurde genannt, daß zukünftig ein IC-Wagen der Bundesbahn behindertengerecht konstruiert wird.
Problem erledigt!
Ich schlage Ihnen jetzt vor: Laden wir doch einmal, statt eine Debatte mit 30 Abgeordneten zu führen, Minderheitengruppen in dieses Parlament ein, diskutieren wir mit ihnen die Sorgen, die sie in ihrem Leben haben,
und reden wir darüber, wie wir ihnen helfen können! Wäre das nicht einmal bedenkenswert?
Das Wort hat der Abgeordnete Kleinert.
Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Entschuldigen Sie bitte, Herr Präsident; Sie wollte ich ganz besonders erwähnen, weil vorhin die Kollegin Frau Hartenstein von der SPD gesagt hat, hier werde vom Präsidium aus mit Ausführungen hart umgegangen, und es werde das abgeschnitten, was noch zu sagen wichtig wäre. In diesem Zusammenhang sind Sie, Herr Präsident, mir ganz besonders dadurch aufgefallen, daß es Ihnen immer gelungen ist, unter Wahrung der Geschäftsordnung einerseits doch andererseits auch die nötige Elastizität bei der Handhabung derselben walten zu lassen,
wofür ich mich bei dieser Gelegenheit herzlich bedanken möchte.
Aber Sie wollten damit nichts Negatives über die Kollegen Präsidenten sagen?
Nein, ich meine nur, Frau Hartenstein hätte sich gerade im Hinblick auf den amtierenden Präsidenten ein etwas verrutschtes Ziel ausgesucht.
Im übrigen bin ich sehr dankbar dafür, daß Sie Frau Hartenstein, vom Saalmikrophon aus gesprochen haben. Auch das gehört j a neben anderen Dingen, die hier behandelt werden, zu der Frage, wie wir miteinander umgehen sollen. Es ist meiner Meinung nach sehr anschaulich, festzustellen, daß so, wie der Saal jetzt gebaut ist, die Bezugnahme auf die Saalmikrophone in unserer Geschäftsordnung nichts nützt. Sie kann nur eines bewirken: Sie kann verhindern, daß Leute, die hier ununterbrochen von Spontaneität reden, ihre Platitüden auch noch vom Blatt ablesen.
Das allerdings kann auf diese Weise bewirkt werden! Zu viel mehr ist es aber bei der jetzigen Sitzordnung nicht nutze; das könnte bei einer anderen Sitzordnung anders sein.
Wenn Herr Mann von den GRÜNEN hier gesagt hat, daß Sie Demokratie ernster nehmen wollen, dann ist ihm das sogar zu glauben; nur halte ich die Wege, die Sie dazu beschreiten, für skurril, denn 209 Änderungsanträge, möglichst mit vorher angedrohter namentlicher Abstimmung, in diesem Plenarsaal zu behandeln ist nicht die Art von Demokratie, die unsere Bevölkerung verdient hat.
Das ist auch nicht die Art von Demokratie, mit der man deutlich machen kann, wie das Parlament in Wirklichkeit arbeitet und im übrigen dennoch — wie sich bei der Behandlung dieses Monsterantrages sehr verdienstvollerweise gezeigt hat; da ist auch der Verwaltung des Bundestages herzlich zu danken — fertig werden kann. Das geht aber nicht so, wie Sie sich das vorstellen. Was Herr Bueb dazu eben noch nachgetragen hat, war ein deutliches Beispiel dafür, wie man es nicht machen soll.Es ist hier heute von der Waffengleichheit der Abgeordneten gegenüber der Verwaltung
die Rede gewesen. Ich meine, das ist ein ganz wesentlicher Punkt, obwohl es — und zwar interfrak-
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Kleinert
tionell — nicht in die Stimmung der Zeit paßt, von Waffen zu sprechen, während wir alle für Frieden sind.
Aber immerhin, die Bilder aus der Vergangenheit sind ja um so schöner, je länger diese Vergangenheit zurückliegt; das wird gerne zugegeben.Bloß kommt bei der Waffengleichheit die Frage der Rüstung auf; das ist klar. Waffengleichheit erfordert zusätzliche Rüstungsmaßnahmen, und das führt leicht zunächst zu dem, was als Überrüstung gilt, und dann zu dem, was — insbesondere im Sprachgebrauch der GRÜNEN — als „sich selbst totrüsten" bezeichnet wird.
Ich möchte bei dieser Gelegenheit wieder einmal auf den Gesichtspunkt hinweisen, daß sich die Abgeordneten, wenn sie nicht einsehen, daß in der Ungleichheit der Waffen ihre Stärke und somit die eigentliche Waffengleichheit liegt, auf einen ganz falschen Weg begeben.
Wir können es nicht so wie die Ministerialen. Wir können nicht hochspezialisiert bis in den letzten Punkt den Ministerialen Paroli bieten. Das sollten wir auch gar nicht. Aber das, was wir können, nämlich hier und hinter den Kulissen unmittelbar frank und frei miteinander zu sprechen, Nachrichten auszutauschen und in ernsten Fällen ja doch Gott sei Dank immer noch quer über diese Bänke hinweg, die gar nichts Trennendes aufweisen, sich zu informieren, ganz schnell zu entscheiden und dann schließlich leise, wie es sich gehört, aber doch mit Genuß sich zu sagen, daß man den einen oder anderen Ministerialen vom Ministerialdirektor abwärts ein Stück durch ein Gespräch unter Kollegen lahmgelegt hat. Das ist doch eine schöne Freude unter Abgeordneten.
Das ist doch von denjenigen, die wirklich hierhergehören und das hier mit Freude und Verstand betreiben, alles schon erfahren und genossen worden. So lassen Sie uns das doch weitermachen, statt daß wir uns beweinen! Wer sich beweint, klagt sich der Unfähigkeit an. Darin liegt eine große Gefahr, und das macht den Gegner übermütigt.
Das ist das Schlilmmste daran. Wenn man das normal, sachlich, locker, wie wir das immer getan haben, angeht, dann stellt sich zum Schluß eher die Frage, ob wir statt zusätzlicher Computer nicht unsere Parteibasis ermutigen sollten, den einen oder anderen hier wegzulassen und dafür einen anderen zu schicken.
Das wäre auch noch eine Möglichkeit zum Zwecke der Waffengleichheit.
Herr Kollege Kleinert, jetzt muß ich mit Ihnen eine Nachricht austauschen.
Die Nachsicht geht Ihnen langsam aus, Herr Präsident. Das bedauere ich zutiefst.
Ich möchte nur noch auf einen Punkt zu sprechen kommen: Nicht Formalismen, nicht Regeln, nicht Geschäftsordnungsbestimmungen, die noch einmal durchdekliniert werden, werden uns weiterhelfen, sondern die praktische Betrachtung der Dinge. Bei der praktischen Betrachtung der Dinge möchte ich allerdings darauf hinweisen, daß gestern abend der von mir vor etwa sechs Jahren mit zahlloser Beteiligung aus fast allen Fraktionen ins Leben gerufene „Zusammenschluß nachdenklicher und unabhängiger Abgeordneter zur Relativierung der Vervielfältigung von Bauten im Bundeshausbereich" beschlossen hat, dringend zu bitten, das Wasserwerk erst auszuprobieren in den zu vermutenden nützlichen Wirkungen — rein faktischen Wirkungen — auf die Debatten dieses Plenums, bevor wir entscheiden, wie es hier endlich weitergehen soll. Dazu bitte ich Sie alle allerdings abschließend um Ihre Unterstützung.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Collet.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst möchte ich mich gegen die beabsichtigten Änderungen des § 31 äußern. Ich kann den Mißbrauch nicht bestreiten. Daran sind Sie nicht ganz unschuldig, werte Kolleginnen und Kollegen von den GRÜNEN. Ich werde das auch gleich begründen. Wenn wir mit einer solchen Änderung oder Streichung Mißbrauch vermeiden wollen, werte Kolleginnen und Kollegen, übertragen Sie das mal auf alle Lebensbereiche! Das heißt, das Auto wäre längst abgeschafft. Es wird sicher mißbraucht. Ich gehe noch weiter: Wir müßten das Essen abschaffen, weil viele das mißbrauchen und zuviel essen. Den Alkohol müßten wir sowieso abschaffen. Denken Sie mal an unsere Weinbauern!Nun habe ich mir das vielleicht ein bißchen zu einfach gemacht, das gebe ich zu. Aber ich meine, wir könnten doch folgendes tun. Wir könnten diese Einzelerklärung vor der Abstimmung in der Geschäftsordnung lassen, und zwar dann, wenn der Redner eine von seiner Fraktion abweichende Meinung vortragen will. Vielleicht können wir das verankern. Dann reduzieren wir Wiederholungen. Wir hatten ja in der Vergangenheit Beispiele, wo die jeweilige Fraktion solche Beiträge in ihr Redekontingent mit hineingenommen hat, jedenfalls dann, wenn die Minderheit relativ groß war. Das war bei der Union bei den Ostverträgen, bei § 218, beim UNO-Beitritt oder bei der Änderung des Betriebsverfassungsgesetzes 1972 so. Das war bei der SPD bei der Notstandsgesetzgebung, beim NATO-Doppelbeschluß und auch bei § 218 so. Die jeweilige
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ColletFraktion hat die Redezeit desjenigen, der eine abweichende Meinung vortrug, in ihr Redekontingent, in ihren Zeitrahmen, aufgenommen. Aber gut, es mag ja Fälle geben, in denen eine Fraktion das nicht will oder in denen es nur einzelne Abgeordnete sind. Derjenige, der eine von der Meinung seiner Fraktion abweichende Auffassung begründen will, sollte die Möglichkeit haben, dies vor der Abstimmung zu tun.Wir sollten aber auch Abgeordneten, die draußen einen bestimmten Standpunkt vertreten haben, aber am Schluß der Diskussion zu einem anderen Ergebnis gekommen sind, die Gelegenheit geben, vor der Abstimmung eine entsprechende Erklärung abzugeben. Man sollte eine solche Möglichkeit nicht gleich verwerfen, weil sie eventuell mißbraucht werden könnte.Verehrte Kolleginnen und Kollegen, vielleicht noch ganz kurz etwas zur Erheiterung. Ich möchte etwas zum Thema Lärmschutz sagen. Erst heute morgen war die Rede davon; bei vielen Debatten ist die Rede davon. — Herr Präsident, jetzt spreche ich Sie an, denn Sie können helfen: Es wäre nicht nur eine Wohltat für die Abgeordneten und die Mitarbeiter des Hauses, sondern auch für die Gäste des Hauses, etwa Journalisten, wenn wir das Abstimmungsklingeln für die einfache Abstimmung abschaffen würden. Es hat keine Wirkung, Herr Präsident. Ich kann Ihnen Zeugen benennen. Ich habe das vor der ersten Debatte — da habe ich nicht das Wort bekommen — getestet. Als das Klingeln für irgendeine Abstimmung ertönte, bin ich in meinem Hochhausbüro sofort aufgestanden, habe meine Jacke angezogen und bin nach unten gefahren. Ich habe das dreimal probiert. Wissen Sie, wie weit ich im günstigsten Fall kam? Bis mitten auf die Straße zwischen dem Hochhaus und dem Bundeshaus. Der Pförtner hat das kontrolliert; er hat mitgehört, wann diese Abstimmung beendet war. Selbst derjenige, der den guten Willen hat, nach Ertönen des Klingelns zu kommen, kann es nicht schaffen. Ich empfinde das vor allen Dingen dann als Zumutung, wenn der Präsident donnerstags oder freitags am Ende der Debatte eine Latte von zehn, zwölf Gesetzen, die dann zur Abstimmung stehen, herunterliest. Es klingelt permanent, unter Umständen 40 Minuten lang. Die Abschaffung dieses Klingelns wäre Lärmschutz für diejenigen, die hier im Hause arbeiten müssen. Ich bitte darum, das abzuschaffen.Ich komme dann zu den Vorblättern und wende mich hier zum einen an Herrn Häfele — er ist das einzige Mitglied der Bundesregierung, das noch anwesend ist —, zum anderen an den Herrn Bundestagespräsidenten. Die Vorblätter hat Herr Präsident von Hassel auf meinen Antrag hin anläßlich einer Debatte hier in der 5. Wahlperiode eingeführt. Sie sollten einen kurzen Überblick geben, und zwar zum einen über das „Problem" und zum anderen über die „Lösung", weil man das Gesetzeschinesisch im Innern des Entwurfs nicht versteht, und sodann über „Kosten" und „Alternativen". Herr Präsident, ich bitte Sie, aber auch jeden anderen, einmal nachzuvollziehen, ob das aus dem Vorblatt — in derForm, die es heute hat — noch erkennbar wird. Das ist schrecklich.Herr Staatssekretär, wenn ich mich an Sie gewandt habe, dann deshalb, weil die Regierung — allerdings vor Ihrer Zeit; es ist also keine Kritik an der jetzigen Regierung — aus einem „Problem" plötzlich eine „Zielsetzung" gemacht hat. Ich kann mir nicht vorstellen, daß sich irgendeine Regierung— weder die Vorgängerregierung noch die jetzige— irgendein Ziel setzt, wenn es kein Problem zu lösen gibt. Ich kann mir auch nicht vorstellen, daß Sie ein Ziel lösen — Sie können nur einen Zielkonflikt lösen —, aber auf dem Vorblatt steht „Zielsetzung" und dann „Lösung". Bitte sagen Sie Ihrem Kollegen Schäuble, er möge doch bitte wieder das „Problem" darstellen, das mit Ihrem Entwurf gelöst werden soll. Das hätte zur Folge, daß wir mit einem Blick erkennen können, was geschieht.Verehrter Herr Präsident, es wäre vielleicht hilfreich, wenn Sie einen Beamten dazu einteilen würden, der das zu kontrollieren hat. Das wäre für uns alle eine Hilfe. Das müßte es Ihnen wert sein. Dieser Beamte müßte über einen „normalen" politischen Sachverstand, nicht über einen speziellen Sachverstand verfügen. Es ist doch so, daß die Ausschußsekretäre nach Abschluß der Beratungen schnell ein Vorblatt anfertigen. Ein Abgeordneter, der nicht Mitglied des Ausschusses ist, in dem der Gesetzentwurf beraten worden ist, weiß oft nicht, was es mit dem Entwurf auf sich hat. Das ist nur noch eine Pflichtaufgabe, aber keine Hilfe mehr für Abgeordnete.Gleichzeitig wäre dieses Vorblatt wiederum für diejenigen, die die Loseblattsammlung machen — auch sie war, nach einem Modell von mir gemacht, durch Präsidentin Annemarie Renger 1973 eingeführt worden, ich habe die ursprünglichen Modelle noch oben im Neuen Hochhaus —, eine Hilfe. Der Text des Vorblattes könnte dann in Kopie dort als Kurzinformation aufgenommen werden.Nun noch kurz etwas zu den Anhörungen, meine sehr verehrten Damen und Herren: Wir waren ganz stolz, als wir diese Form der Information in der 5. Legislaturperiode eingeführt haben. Aber so hilfreich sie für die eigene zusätzliche Information war, so hilfreich für die Meinungsbildung war die Anhörung nicht. Jede politische Gruppe, Richtung — wie auch immer — bestellt ihre Gutachter, und jeder hat seine Argumente. Wir wissen, wie das heute mit der Hilfe aus der Wissenschaft usw. ist. Vielleicht kann im Ältestenrat und im Präsidium darüber nachgedacht werden, wie wir für die Meinungsbildung — möglicherweise gemeinsame Meinungsbildung — aus solchen Hearings mehr gewinnen können. Im Augenblick ist da nicht viel Hilfe.Jetzt darf ich mich der Kollegin Geiger zuwenden. — Leider ist sie im Moment nicht da.
— Dann stelle ich das zurück und nehme zunächst einen anderen Punkt. — Was die Redezeit, die hier in den Papieren als freie Redezeit beantragt ist, angeht: Niemand möge sich der Illusion hingeben,
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Colletdaß die Präsenz damit um mehr als 5 %, 6 % verbessert wird — niemand! Denn wir sind nur deswegen nicht hier, weil wir alle unsere Arbeit nicht schaffen. Als Anfänger hatte ich mir vorgenommen, im Plenum ständig präsent zu sein. Ich kam hier mit der gleichen Kritik her, wie andere zu Hause sie anbringen. Nach einigen Wochen war dann in meinem Büro das Chaos ausgebrochen. Da ist überhaupt nichts zu machen, wenn man ständig hier sein will. Deswegen sollte hier auch niemand — Sie haben es wieder getan, Herr Kollege Bueb — sagen: Niemand hat Interesse. Das sagt jeder Sprecher, wenn gerade Themen, Probleme seines Ausschusses hier debattiert werden.Hier den ganzen Tag präsent zu sein ist einfach nicht möglich, und Sie wissen das auch. Denn sonst hat man für andere Arbeit keine Zeit mehr. Deswegen ärgere ich mich immer, wenn jemand die Frage der Präsenz anspricht, der sonst selber - ich habe das nicht auf Sie bezogen — nicht hier ist. Aber das kennen wir doch alles. Gerade dann, wenn Probleme aus der Arbeit des eigenen Ausschusses beraten werden, wird das angesprochen.Ich darf nun auf den Punkt zurückkommen, den die Kollegin Geiger angesprochen hat. Ich stimme ihr in dem, was sie zum Thema Fernsehen gesagt hat, zu und unterstütze sie dabei.Ich möchte weiter darum bitten, über folgendes nachzudenken: Wenn Sie in Zukunft im Ältestenrat die Zeit festlegen, dann planen Sie bitte 15 % von vornherein zusätzlich ein, so daß eben vermieden wird, wie vorhin vorgetragen, daß der vierte Redner der SPD oder der fünfte der CDU nicht mehr drankommt. Dann kann man Zwischenfragen auch frei zulassen. Dann wird sich dieses Problem in der Form nicht mehr stellen.Dann habe ich — vielleicht wäre es Ihnen möglich, darüber nachzudenken — noch folgendes ausgerechnet: Wenn wir im Laufe eines Jahres jedem — unabhängig von der Einteilung durch seine Fraktion — 20 Minuten für ein Thema einräumen wollen, für das er nicht als Mitglied in dem betreffenden Ausschuß ist, würde das 146 Stunden ausmachen. Vorher muß natürlich angemeldet werden, zu welchem Punkt er sprechen will. Er hätte dann mehr Gelegenheit, hier zu Wort zu kommen. Im übrigen: Ich komme auf 146 Stunden, weil ich allerdings 80 Abgeordnete abgezogen habe: Präsident, Vizepräsidenten, Minister, Staatssekretäre, Fraktionsvorsitzende usw. Ich habe also 440 Abgeordnete zugrunde gelegt und komme dann auf 146 Stunden, zu verteilen auf ein Jahr.Wir müssen dabei allerdings überlegen, ob wir den Wochenturnus ändern; davon war in der 5. Legislaturperiode die Rede. — Ich bin gleich fertig; es ist mein letzter Punkt, Herr Präsident. — In der 5. Legislaturperiode hatte man sich generell dafür ausgesprochen, einen Zwei-Wochen-Turnus zu haben. Wir bräuchten sogar eine Woche weniger als jetzt, um auszukommen. In der ersten dieser zwei Wochen liefe die Arbeit dann allerdings bis freitags abends einschließlich, Abreise samstags, und in der zweiten Woche wäre der Beginn schon montags nachmittags. Wir hätten dann elf Doppelwochen hier zu sein. Wenn wir das einigermaßen organisieren, dann hätten wir sogar diese 146 Stunden, von denen wir jedem 20 Minuten im Jahr zubilligen würden, zur Verfügung und damit das generelle Interesse geweckt. Aber bitte, ändert nicht in der vorgesehenen Form den § 31 der Geschäftsordnung!Danke.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Langner.
— Herr Dr. Langner hat das Wort.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Auch eine solche Demonstration gehört wohl heute zu der Debatte.Bei diesem Stand der Debatte muß es allerdings auch einmal erlaubt sein zu fragen: Was haben wir aus der heutigen Diskussion lernen können?Erstens glaube ich, daß auch heute hier im Parlament Politik gemacht wird. Wenn der Kollege Mann sich als Vertreter einer anderen Generation oder eines Teils einer Generation hier darstellt, steht das in offenkundigem Gegensatz zu der absichtsvollen Anrede von Frau Hamm-Brücher: „Liebe Vertreter des ganzen Volkes!" Wenn der Kollege Bueb hier so redet, daß die Sache lächerlich gemacht wird, so ist auch das Politik.Zweitens ist nicht alles, was heute hier vorgeschlagen wird, unter einen Hut zu bringen. Ich komme deshalb zu der Auffassung, daß das, was der Herr Präsident in der Ad-hoc-Kommission zusammengefaßt hat, wohl der gemeinsame Nenner ist.Drittens denken so offenbar die meisten unserer Kollegen und auch die Vertreter der Medien, denn das Interesse an der Debatte — und das hat nicht nur mit der Präsenz hier um diese Zeit zu tun, das weiß man aus den Gesprächen mit vielen — ist ja nicht so groß, selbst nicht bei den hundert Unterzeichnern von Anträgen, die auch nicht da sind.
Ich fand es sehr gut, Frau Hamm-Brücher, daß Sie uns eine Rede des Kollegen Dichgans zugeschickt haben. Daraus möchte ich gerne einen Satz zitieren. Er sagte 1975: „Es wäre nützlich und übrigens, glaube ich, politisch sehr wirksam, wenn sich Abgeordnete mehr als Anwälte des gesunden Menschenverstandes in den Plenardebatten betätigen würden." In der Tat, ich glaube, auch bei einer Diskussion wie der heutigen kommt es sehr auf praktischen Sinn, auf gesunden Menschenverstand und auf konstitutionell Wesentliches an. Für tiefsinnige
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 194. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Januar 1986 14627
Dr. LangnerGrundsatzdebatten besteht, glaube ich, kein Anlaß. Deshalb möchte ich auch nur ganz pragmatisch die Punkte, die mich interessieren, wiederum aufgreifen.Ich möchte zunächst gern sagen, daß ich glaube, daß wir im letzten Jahr Fortschritte bei der Qualität der Debatten gemacht haben. Manche unserer Debatten im Jahre 1985 waren doch aktueller, lebendiger und auch sachkundiger als in den Vorjahren. Ich darf einige Beispiele nennen, die mir aufgefallen sind. Ich habe die Bitburgdebatte, Teile der Haushaltsdebatte und die kürzliche Debatte zu § 116 des Arbeitsförderungsgesetzes — trotz aller Kontroverse — in Erinnerung. Ich meine, hier wird manches noch zu verbessern sein durch die kurzen Reden, die wir uns vorgenommen haben, durch Vormittagsdebatten, durch ein lebendigeres Zwischenfragenspiel, wie es die Kommission auch vorgeschlagen hat. Aber, wie gesagt: Debatten immer auch mit gesundem Menschenverstand führen! Da hat Herr Dichgans recht.Ich bedauere, daß wir die Kabinettsberichterstattung so frühzeitig abgebrochen haben.
Zwar ist bei unseren ersten Versuchen hier bestimmt nicht die Atmosphäre von „Prime Minister's Question Time" entstanden. Leider wahr, liebe Kolleginnen und Kollegen! Aber Erfahrung gewinnt man bekanntlich durch Versuch und Irrtum. Geschickteres Fragen und informativeres Antworten ist ja auch lernbar. Die gute Figur, die die Bundesminister hier — das muß man sagen — doch gemacht haben, hätte die Opposition nicht gleich entmutigen sollen, praktisch zuzustimmen, den Versuch abzubrechen.
Daß der Abbruch des Experiments in der Presse übrigens kaum bedauert wurde, hat mich allerdings in keiner Weise verwundert. Den Medien ist der direkte Weg der Nachricht — von der Regierung in die Pressekonferenz — sehr viel lieber. Das ist ihnen lieber, als wenn die Neuigkeiten hier im Forum des Bundestages, im Plenum, entstehen.Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte noch gerne einige Anmerkungen zu dem Bemühen des 1. Ausschusses, des Geschäftsordnungsauschusses, machen, ein neues Untersuchungsausschußgesetz zu schaffen. Nach meinen Erfahrungen in den letzten drei Jahren ist ein solches Gesetz notwendig. Es sollten dabei folgende Punkte klar geregelt werden.Ich meine, daß die Zahl der Untersuchungsausschußmitglieder begrenzt werden sollte — keineswegs in der Absicht einer Beschränkung von Minderheitsrechten. Aber in einem Untersuchungsausschuß gibt es auch die Notwendigkeit, im Kollegium zu beraten und Verfahrensfragen zu behandeln. Solche Beratungen sind nicht für VersammlungsGrößen geeignet. Das Kollegium muß recht klein sein.Ich meine zweitens, daß die Befugnisse des Ausschusses sowohl gegenüber der Exekutive als auch gegenüber der Judikative noch klarer zu machen sind.
Weiter meine ich, daß die Rechtsstellung von Zeugen, Betroffenen und dritten Personen verdeutlicht werden müßte. Hier hat es in der Praxis des von mir geleiteten Ausschusses in den letzten Jahren manche Schwierigkeit und auch Zweifelsfragen gegeben.Auch muß der Rechtsweg bei Streitigkeiten zwischen dem Untersuchungsausschuß und der Exekutive sowie den Gerichten klargestellt werden.Die Ausgestaltung der Minderheitsrechte in Verfahrensfragen ist noch — hier gibt es manche Zweifelsfragen — zu klären. Schließlich sind auch die Befugnisse der einzelnen Ausschußmitglieder — etwa in der Beweisaufnahme, in der sie nach dem Vorsitzenden und seinem Stellvertreter ihre Fragen stellen — abzuklären.Vor allen Dingen eines möchte ich den Damen und Herren — den Kollegen, die sich jetzt mit diesem Gesetzentwurf befassen — gern mit auf den Weg geben. Ich weiß, daß es ganz schwierig ist, dies im Gesetz zu verdeutlichen. Aber ein entscheidender Punkt ist, daß die Untersuchungsaufträge nicht zu umfassend bzw. global formuliert werden.
Denn ein Ausschuß, der immer wieder in Streit darüber gerät, wo die Grenzen seines Auftrages sind, braucht sehr viel Zeit für das Austragen von Kompetenzstreitigkeiten. Und kein Ausschuß darf über seinen vom Parlament gegebenen Auftrag hinausgehen. Ich meine, hier ist ein Weniger mehr.Die präzisere Beauftragung des Ausschusses wird auch dazu führen, daß er seine Aufträge besser erledigen kann. Dies wollte ich auf Grund meiner Erfahrung noch anmerken. Auch eine schnellere Erledigung wäre sicher wünschenswert. Im Hinblick auf die Umsetzung der Ergebnisse einer Untersuchung wäre das zwingend notwendig.Schönen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Schöfberger.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Der Herr Abgeordnete Jenninger hat uns aufgefordert, uns nicht so schnell entmutigen zu lassen, andererseits aber auch keine kurzatmigen Vorschläge zu machen. Ich bin jetzt fast 14 Jahre hier, aber noch nicht entmutigt. Viele hoffnungslose Anläufe zu einer Parlamentsreform habe ich bereits erlebt. Enttäuschend ist das schon.Ich denke an die Empfehlungen der Enquetekommission aus dem Jahre 1976. Sie feiern in diesem
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Dr. SchöfbergerJahr den zehnten Geburtstag, sind aber restlos im Saale — oder im Sande — versickert.
Ich denke daran, daß wir die erste Selbstverständnis-Debatte vor etwa eineinhalb Jahren gehabt haben. Der Berg kreißt und kreißt, und alle paar Jahre kommt ein Zwischenbericht oder ein winziges Reformmäuschen dabei heraus.Dabei muß ich sagen: Ob ich eine persönliche Erklärung vor oder nach der Abstimmung abgeben darf, ist mir ziemlich egal. Aber ob ich den Deutschen Bundestag für den Rest meiner Tage noch als selbstbewußtes Parlament erleben darf, das interessiert mich brennend.
Unsere gemeinsamen Reformvorschläge sind bescheiden genug, sehr, sehr bescheiden,
kratzen eigentlich nur an der Oberfläche herum. Aber als Mitautor solcher Anträge komme ich mir langsam wie ein untertäniger Bittsteller gegenüber einem gnädigen Monarchen, aber gleichzeitig auch gegenüber einer stets abwehrbereiten Hofkamarilla vor.
Wann endlich setzt sich in diesem Parlament die allgemeine Erkenntnis durch, die Geschäftsordnung ist kein sakrosanktes Gnadengeschenk des Altestenrates, sondern eine autonome Satzung, über die wir selbst und nur wir selbst mit Mehrheit beschließen? Wenn 500 Menschen, ausgestattet mit der notwendigen individuellen Freiheit des Art. 38 des Grundgesetzes, hier zusammenkommen, um zu arbeiten, dann bedarf es bestimmter Regeln, einer bestimmten Ordnung, um Arbeitsökonomie und Effektivität zu gewährleisten. Davon geht jeder von uns aus. Wer sollte das auch bezweifeln? Aber ich wage zu bezweifeln, ob dieses Parlament ein gesundes Mischverhältnis zwischen den notwendigen individuellen Freiheiten und der kollektiven Ordnung hat,
ob die Ordnung noch eine dienende Magd der Freiheiten ist oder sich längst zu einer Primärtugend entwickelt hat, die wir nicht ertragen können.In diesem Bundestag gibt es zuviel Ordnung, gibt es erstarrte Formen und Rituale, die uns täglich zur Mimikry, zur Konformität auf dem Jahrmarkt der Eitelkeiten zwingen, gibt es ausgeprägte Hierarchien, die uns täglich fremdbestimmen. Dieses Parlament — das ist nicht meine Meinung, weil ich mich sonst im Spiegel betrachten müßte; das ist die Meinung vieler draußen — produziert geradezu den angepaßten, stromlinienförmigen und pflegeleichten Volksvertreter.
Was diesem Parlament dagegen fehlt, sind Phantasie, Kreativität und Mut statt windschlüpfriger Anpassung.
Ich orientiere mich in solchen Fragen immer an Frau Hamm-Brücher. Ich möchte ihr an dieser Stelle, weil es noch keiner gemacht hat, für ihre seit eineinhalb Jahren mutig durchgedrückte Initiative herzlich danken.
Ich wünsche mir zusammen mit vielen Kolleginnen und Kollegen — meist aber nur im Dienstwagen oder im Zugabteil — ein selbstbewußtes Parlament, selbstbewußt gegenüber anderen Verfassungsorganen, besonders gegenüber der Bundesregierung. Aber solange sich die jeweilige Opposition immer und zwangsläufig als Monopolist in der Kritik versteht und die jeweilige Regierungsmehrheit außerhalb der eigenen Fraktionen fast immer als Verteidigungsschwadron der Bunderegierung durch dick und dünn, wird das nie ein selbstbewußtes Parlament. Von der klassischen Gewaltenteilung kann auch nicht die Rede sein.
Ich habe eine Frage, die sich an das anschließt, was Frau Kollegin Hartenstein gefragt hat: Warum darf eine deutsche Regierung in einem deutschen Parlament nicht einmal eine deutsche Abstimmungsniederlage erleiden? Ist das ein Weimarer Trauma, oder wirkt der Übervater Bismarck noch ein bißchen nach? Bricht da die Welt zusammen? Ist die jeweilige Bundesregierung denn der inkarnierte Heilige Geist und deshalb unfehlbar? Das gilt für alle Regierungen — nicht, daß sich hier jemand betroffen fühlt.
Ich kann es mir gut erklären, meine Damen und Herren, wenn in der Volkskammer oder im Obersten Sowjet keine Abstimmungsniederlage stattfinden darf. Aber in klassischen Demokratien ist mir das unverständlich.
Ein Besuch in der italienischen Camera oder im amerikanischen Kongreß würde uns doch belehren, daß dem Regierungschef — etwa dem amerikanischen Präsidenten — kein Zacken aus seiner Krone fällt, wenn er sich im Abstand von einem Vierteljahr nicht durchsetzen kann.
Meine Damen und Herren, wenn die ,,Bild"-Zeitung — und nicht nur sie — nach der Verabschiedung eines Regierungsentwurfes — das ist schon einige Jahre her, kommt aber immer wieder vor — und vor dem Einbringen eines solchen im Parla-
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Dr. Schöfbergerment in ihrer Schlagzeile wörtlich feststellt: „Jetzt ist es endgültig; das Kindergeld wird erhöht", dann wissen wir, was die veröffentlichte Meinung von uns Abgeordneten und unserer parlamentarischen Arbeit hält.
Es ist endgültig, es gilt als endgültig, wenn die Regierung übergekommen ist. Das andere wird als Nachklatsch gesehen, was dazu führt, daß ständig Diätendebatten stattfinden. Denn die Menschen wissen nicht, was wir da noch sollen.Wenn mir ein ehrenwerter Kollege aus der CDU/ CSU-Fraktion vorige Woche während der Fahrt im Auto mitteilt — wörtlich —: „Ich halte die Novelle zu § 116 AFG für einen ausgemachten Blödsinn; ich muß aber wieder zustimmen; tue es jedoch mit der Faust in der Hosentasche",
dann frage ich mich: Wenn diese Haltung verbreitet ist — und sie ist verbreitet; auch ich neige ihr gelegentlich zu —, wie soll denn dann ein selbstbewußtes Parlament entstehen?
Denn ein selbstbewußtes Parlament ist ohne eine Mehrheit selbstbewußter und unerschrockener Abgeordneter nicht zu haben.
Ein Wesensmerkmal der Demokratie ist die Transparenz der Entscheidungsprozesse. Der Deutsche Bundestag ist ein semitransparentes Parlament.
Die eigentlichen Entscheidungen fallen hinter den Ikonenwänden der Ausschüsse.
Den Medien und den Bürgern wird dann im Plenum nur der ritualisierte Schlußakt als parlamentarische Willensbildung vorgeführt.Im Bayerischen Landtag haben wir seit Jahrzehnten öffentlich tagende Ausschüsse. Da gibt's einige Ausnahmen — die müssen j a sein —. Alle Parlamentarier, alle Fraktionen, alle Parteien, alle Medien und viele Bürger in Bayern schätzen diese Praxis, weil sie Einblick in das parlamentarische Innenleben gibt.
Die Enquete-Kommission Verfassungsreform hat 1976 auch für den Bundestag öffentlich tagende Ausschüsse vorgeschlagen. Ich frage mich nach zehn Jahren, wie ernst wir denn eigentlich die Ergebnisse von Kommissionen und die Beschlüsse des eigenen Hauses nehmen, wenn hier überhaupt nichts passiert.
— Tun sie aber nicht.Frau Vizepräsidentin Renger hat sich vor Jahren wörtlich gegen eine allzu rigorose Festlegung des Debattenablaufs und gegen das starre Rundensystem der Fraktionen zur Wehr gesetzt.
Das halte ich für richtig. § 27 Abs. 1 der Geschäftsordnung liest sich wie ein Beitrag aus der Märchenstunde:Mitglieder des Bundestages, die zur Sache sprechen wollen, haben sich in der Regel bei dem Schriftführer, der die Rednerliste führt, zum Wort zu melden.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Jenninger?
Dr. Schöfberger , Ja, sehr gern.
Herr Kollege Schöfberger, es tut mit leid, daß ich auf Ihre Bemerkung von vorhin zurückkomme. Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß die Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages vorsieht, daß die Ausschüsse des Deutschen Bundestages öffentlich tagen können, wenn sie wollen?
Das ist der Schein. Das andere ist die Wirklichkeit, die wir alle kennen.
Es steht ja auch in der Geschäftsordnung, man melde sich bei einem der Schriftführer. Aber 495 Abgeordnete wissen gar nicht, bei welchem: beim linken oder beim rechten, weil das nicht die Praxis ist. Man wird in diesem Hause gemeldet oder abgemeldet. Das ist die Alternative.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Schierholz?
Ja, sehr gern.
Herr Kollege, ich wollte Sie und auch den vorherigen Fragesteller gerade fragen, ob es denn richtig ist, daß besonders eine große Fraktion dieses Hauses trotz der ausdrücklichen Aufforderung des Präsidenten an die Ausschußvorsitzenden, von dieser Regelung sehr großzügig Gebrauch zu machen, sich weigert, genau das zu tun, nämlich die Ausschüsse häufiger öffentlich tagen zu lassen.
Ich habe das selber erlebt.Und wie ist es eigentlich — ich komme zum Schluß — mit dem Initiativrecht in unseren Frak-
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Dr. Schöfbergertionen im Parlament? Warum sollte ich die gute Initiative von Kollegen aus anderen Fraktionen nicht unterstützen dürfen? Ist zwei mal zwei nicht mehr vier, wenn es andere beschließen wollen? Die Frage bewegt mich ständig.
Das ganze Lamento über den leeren Plenarsaal kann ich nicht mehr hören. Ich weiß da nur eine Antwort aus der Theaterwelt: Wenn das Theater leer ist liegt das meist nicht an den Leuten und an den Besuchern, sondern an der Aufführung. Das gilt auch für einen Plenarsaal. Wenn hier ständig Referentenaufgüsse vorgelesen werden, ist mancher von uns in der Versuchung, in den Vorlesungsstreik zu treten und die Diäten als Schadensersatz für erlittene Unbill zu verstehen.
Ich komme zur Schlußerkenntnis. Wir sollten nicht j ammern, sondern handeln. Aber kein Mächtiger dieser Welt, Herr Präsident, ist jemals eines Morgens aufgewacht und hat sich im Anflug von Güte entschlossen, die Macht auf ein paar Ohnmächtige zu verteilen. Wie sollte er auch? Up is a good position. Aus der Antike wissen wir, daß das Werk der Sklavenbefreiung nur das Werk der Sklaven selbst sein kann. Aus der Antike wissen wir aber auch, daß allzu viele von der Sklaverei gar nicht befreit werden wollen, sondern selbst danach trachten, Sklavenhalter zu sein.
Die längst überfällige Parlamentsreform kann nur das Werk selbstbewußter Parlamentarier sein. Ich bitte deshalb, meinen Beitrag als eine Anstiftung zum Selbstbewußtsein zu verstehen. Ich verstehe ihn selbst so. Laufen Sie wenigstens einmal, liebe Kolleginnen und Kollegen, im Jahr aus dem Ruder. Melden Sie sich wenigstens einmal im Jahr spontan beim rechten Schriftführer und reden Sie mit frecher Stimme. Stimmen Sie öfter mal nach Kant und nicht nach dem Geschäftsführer ab, der Ihnen das anempfiehlt. Dann wird das Parlament farbiger, der Plenarsaal voller, das Ansehen des Deutschen Bundestages größer und die Zahl der Diätendebatten draußen geringer. Ich wünschte es mir.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wolfgramm .
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Lieber Herr Kollege Schöfberger, ich glaube, der Vergleich mit dem Theater muß ein bißchen vollständiger gebracht werden; denn wir sind hier alle die Schauspieler. Das heißt, es liegt an uns, ob das Stück interessant ist oder nicht.
Und darüber reden wir gerade heute, ob wir esinteressanter machen können. Da möchte ich versuchen, vielleicht einen Gedanken beizusteuern, wennich mir betrachte, in welcher Weise das Haus hier Debatten führt, Berichte diskutiert, große Anfragen debattiert und immer und immer wieder fast dasselbe berät. Wir haben im letzten Jahr eine Fülle von Debatten über Haushaltsfragen, Finanzfragen, Umweltschutz, Außenpolitik gehabt und das immer wieder garniert mit Großen Anfragen in derselben Position, wir haben es garniert mit dauerhaften Berichten. Da frage ich mich natürlich, wer sich von den Schauspielern, die hier vielleicht noch mitgestalten wollen oder auch sollen, für dieses Stück eigentlich noch interessieren soll.Ich frage mich, ob wir uns nicht tatsächlich überlegen sollten, daß auch noch ein Teil unserer Zeit vielleicht zur Vorbereitung des Abgeordnetenberufs gehören kann. Wenn ich es recht sehe, leben wir ja hier ziemlich aus unserem Fundus, den wir mitbringen. Die Möglichkeit, diesen Fundus zu erweitern oder ihn gar zu erhalten, ist sehr gering.
Ich will das einmal an einem praktischen Beispiel deutlich machen. Wenn ich die Vorstellung hätte, ich würde mich gerne mal über einen ja nicht ganz unkompetenten Außenpolitiker, über seine Ansichten informieren, nämlich über Henry Kissinger, in seinen Memoiren, dann ist das eine Vorstellung, die ich sofort verwerfen werde; denn ich werde ja in den späten Abend- und Nachtstunden oder Morgenstunden bestenfalls nur Teile von diesem Werk lesen können. Ich werde wahrscheinlich ein Jahr oder länger brauchen, bis ich es durch habe. Ich werde also am Schluß nicht mehr wissen, was er am Anfang oder in der Mitte gesagt hat.Ich glaube, wir sollten für uns wirklich den Anspruch erheben, daß wir uns mit Anregungen, mit Darstellungen von Menschen, die nicht unbedingt der Politik unmittelbar zuzurechnen sind, oder die aber aus ihr etwas Bedeutendes oder für uns — für jeden individuell — etwas Wichtiges zu sagen haben, im Quellenbereich beschäftigen dürfen, nicht nur im Bereich derjenigen, die das vielleicht für uns gelesen oder im Zeitungswesen verbreitet haben.Die Schweizer — Frau Präsidentin, ich komme gleich zum Ende, ich habe ja nur eine sehr kurze Redezeit; deswegen will ich auch nur diesen Gedanken entwickeln —, obwohl sie ein Vollparlament haben, obwohl sie in der Lage sind und sein müssen, alle Gesetze und Verordnungen für ihr Land zu beschließen, das bekanntermaßen ja auch sehr viel weniger Bindungen enthält als andere Länder, kommen mit zehn bis zwölf Plenarwochen im Jahr aus, und noch niemand hat ihnen nachgesagt, daß sie ihre Arbeit schlecht machen. Vielleicht sollten wir uns wirklich überlegen, daß wir uns hier im Kreis drehen und uns hintereinander herjagen mit immer mehr Anfragen, mit immer mehr Berichten, mit immer mehr Debatten.
Aber die Zeit ist um, und ich tröste mich ein wenig mit dem Spruch von Jean Paul: Sprachkürze gibt Denkweite.
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Wolfgramm Vielen Dank.
Das Wort hat Frau Dr. Skarpelis-Sperk.
Herr Abgeordneter! Vielleicht liegt es im Falle der Schweiz auch daran, daß dort die Bürger unmittelbar mehr zu sagen haben und das Parlament sich deswegen auch etwas leichter tut.
Aber nun von der Bühne und vom Plebiszit zu den knochentrockenen Dingen, die im Parlament auch eine Rolle spielen, nämlich zur Frage: Wer zieht im Schnürboden die Fäden? und zu dem, was Michaela Geiger vorher angesprochen hat: zu unseren Arbeitsbedingungen und zum Einsatz neuer Informations- und Kommunikationstechniken. Hier hat uns die Kommission zu Recht empfohlen, bei dem verstärkten Einsatz darauf zu achten, daß Arbeits- und Entwicklungsmöglichkeiten des Abgeordneten verbessert werden sollten.
Ich selbst habe diesen Satz so verstanden, daß der Einsatz neuer Techniken die Möglichkeiten jedes einzelnen Abgeordneten stärken sollte und ihn nicht schon über die Informationstechnik zum politischen Wurmfortsatz von Partei und Fraktion degradiert, denn beide Möglichkeiten sind im Rahmen dieser Techniken gegeben.
Von uns selbst, d. h. von der demnächst erfolgenden Grundsatzentscheidung dieses Hauses, wird es abhängen, ob jeder Abgeordnete freien und unkontrollierten Zugang von seinem Bonner und Wahlkreisbüro direkt zu Informationen hat, ob jedes einzelne Mitglied dieses Hauses gleichberechtigt mit jedem anderen auf der technischen Ebene Informationen und Meinungen austauschen kann oder ob das nur mehr — wie geplant — über die technischen Systeme seiner Fraktion erfolgt. Ich bin der Meinung, daß nur ein gemeinsames Informations-und Kommunikationssystem des Bundestages, zu dem jeder Abgeordnete unmittelbar Zugang hat, die individuellen Rechte des Abgeordneten nach Art. 38 GG wahren kann.
Ich muß sagen, daß ich daher mit großen Bedenken Versuche sehe, die in den letzten Wochen unternommen worden sind, durch die geplante Erweiterung der Computersysteme einer großen Fraktion auf ihre jeweiligen Abgeordneten die Gemeinsamkeit aufzugeben und ihre Abgeordneten an die informationelle Kette zu legen. Dies alles erfolgt unter Berufung auf den berechtigten Ärger der Abgeordneten über ihre schwer erträglichen Arbeitsmöglichkeiten, ohne daß den Mitgliedern dieses Hauses auch nur annähernd die Folgen dieser Weichenstellung dargelegt worden wäre.
Stellen wir uns einmal vor, man müßte über ein neues Eisenbahnsystem in diesem Land entscheiden: Niemand würde es für richtig halten, wenn Nordrhein-Westfalen Normalspur, Bayern und Baden-Württemberg Breitspur und die Stadtstaaten
Schmalspurschienen wählen würden. Aber in einen ähnlichen Schildbürgerstreich, der auch den Steuerzahler ein hübsches Sümmchen mehr kosten würde als notwendig, scheint man hineinzuschlittern, von den Problemen, die für die Abgeordneten in der Zusammenarbeit in gemeinsamen Gremien und Ausschüssen auftreten könnten, einmal ganz abgesehen. Ich meine: Den Turmbau zu Babel als Vorbild für unser Kommunikationssystem sollten wir vermeiden, nicht nur weil es uns Spott und Hohn der Fachwelt einbrächte, sondern weil unser aller Wunsch nach einer schnellen und grundlegenden Verbesserung unserer Arbeitsmöglichkeiten, um besser und flotter unsere Aufgaben erfüllen zu können, in einem babylonischen Elektronikgewirr unterginge.
— Nach dem Absatz sind Sie gleich dran.
Im übrigen kann ich uns alle nur davor warnen, die Vorschriften der Transparenz und des Wettbewerbs, die wir als Parlament den öffentlichen Auftraggebern gesetzt haben, selbst bewußt und für uns alle sichtbar zu verletzen. Der Deutsche Bundestag sollte bei einem so bedeutsamen Projekt, wie es die Einführung neuer Kommunikations- und Informationssysteme im Parlament ist, in einem fairen und offenen Wettbewerb auch deutschen und europäischen Herstellern die Chance geben, Vorschläge zu machen und ihre Leistungsfähigkeit unter Beweis zu stellen. Das sind wir zumindest auch den Menschen, die dort arbeiten, schuldig.
Ist der Absatz zu Ende? — Herr Bohl, Sie haben das Wort zur Zwischenfrage.
Frau Kollegin, könnten Sie mir die Frage beantworten, warum wir denjenigen Kollegen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, die gerne möchten, den Service, den unsere Fraktion ihnen bieten kann, noch länger vorenthalten sollen?
Herr Kollege, ich habe Ihnen bereits gesagt, daß es hier um eine grundsätzliche Entscheidung — und zwar nicht nur in diesem Parlament, sondern für die ganze öffentliche Verwaltung — mit einer Signalwirkung weit ins Land geht. Ihre eigenen Minister für Post und Forschung schlagen ein anderes Verfahren vor, als Sie hier über die Fraktion etablieren wollen.
— Doch. — Die Frage war, ob wir ein einheitliches Kommunikationssystem bekommen oder ob jede Fraktion hier vorsichhinarbeitet. Stellen Sie sich vor, in einem Haus würde man anfangen und sagen: Wir etablieren ein rotes, ein gelbes, ein grünes und ein blaues Telefonsystem. — Die Bundesrepublik würde sich darüber amüsieren und uns alle auslachen. Aber etwas Ähnliches wird derzeit versucht im Parlament zu machen.
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14632 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 194. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Januar 1986
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schwenk.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Diese Debatte hat mit der Zeit etwas Gespenstisches angenommen. Als sie begann, waren wir mehr hier, und dann sind noch etwa die Hälfte derer, die anwesend waren, weggegangen.
— Sie hätten sich einmal umsehen sollen. — Es ist bedauerlich. Ich habe den Eindruck, daß hier an manchen Problemen vorbeigesprochen worden ist. Durch den Beitrag der Frau Kollegin Skarpelis-Sperk ist es jetzt wieder konkreter geworden. Deshalb wollen wir noch einmal einige wesentliche Sachpunkte ansprechen.Ich möchte zunächst aber auf das Thema Fernsehen zurückkommen. Es hat ja einige gegeben, die haben gesagt, wir brauchten nur das Fernsehen auszuschalten, dann würde das Plenum wieder voll. Es ist ausgeschaltet, das Plenum ist nicht voll.Den GRÜNEN darf ich sagen: Als Sie — oder die Generation vor Ihnen — angetreten sind, da haben Sie gesagt, Sie wollten bei allen Debatten vollzählig dabei sein.
Auch Sie hat die Wirklichkeit eingeholt. Sie sind einmal mit einem grünen Fahrrad angetreten, und Sie wollten mit dem Fahrrad kommen und die Dienstwagen nicht benutzen.
Das Fahrrad ist nachher zum Getränkeholen benutzt worden,
und dann ist es beiseite gestellt worden. Auch dort hat Sie die Wirklichkeit eingeholt. Sie haben behauptet und für sich in Anspruch genommen, Ihr Einzug in das Parlament sei die eigentliche Revolution.
Soviel habe ich davon nicht feststellen können. Aber wenn das, was Sie heute morgen gemacht haben und was eine Zumutung für die Mitglieder dieses Hauses war, eine Revolution sein sollte, dann kann ich sagen: Dafür danke ich.
Das Grundgesetz und auch die Geschäftsordnung sind eine Magna Charta und bedeuten für das Haus den Schutz von Minderheitenrechten. Diese Minderheitenrechte werden wir verteidigen und müssen wir weiter verteidigen. Aber die Geschäftsordnung selbst kann nicht Stimulanz für lebendigere Debattenbeiträge sein. Das muß das Parlament selbst leisten.Seit ich hier im Parlament bin, habe ich zunehmend Hochachtung vor dem Grundgesetz und seinen Vätern bekommen. Sie haben wirklich davon gewußt, was Parlamentarismus bedeutet, was es bedeutet, hier Rederecht zu bekommen. Ich appelliere an alle, das parlamentarische Rederecht nicht zu mißbrauchen, denn wir haben in einigen Anträgen zur Geschäftsordnung — auch im Geschäftsordnungsausschuß — bereits erlebt, wie jeder Mißbrauch oder Versuch eines überstrapazierten Gebrauchs der Rederechte sofort dazu führt, daß diese Rechte eingeschränkt werden. Ich möchte deshalb an alle appellieren: Versuchen Sie nicht, bis an die Grenze zu gehen! Die Kräfte, dann einzuschränken und gerade diejenigen, die bis an die Grenze gehen, an die Kandare zu nehmen, sind sofort auf dem Plan und machen dann von ihrer Mehrheit Gebrauch.Deshalb sage ich der Mehrheit: Parlamentarismus ist auch Stilfrage. Ich halte es aber für stillos, wenn wir von außerhalb des Parlaments bereits gesagt bekommen, wann wir zu Sondersitzungen anzutreten haben.
Wenn wir schon draußen in den Medien hören, nicht nur wie hier abgestimmt werden wird, sondern auch wie die Ausschüsse zu beraten haben, wie zu verfahren ist und wann die Berichte vorzulegen sind, ist es der eigentliche Tod des Parlamentarismus.Es ist hier manches über die Macht der Regierung gesagt worden. Aber haben wir etwas über die Macht der Parteien gehört, die sie über das Parlament zu gewinnen suchen? Warum sind die Berichterstattungen über das Parlament weniger geworden? Weil die Elefantenrunden so wichtig geworden sind,
weil einige bestimmte Parteivorsitzende und Ministerpräsidenten sich treffen und etwas ins Fernsehen sagen und wir als Minderheit uns heute schon ausrechnen können, daß das vollzogen wird. Das ist der Tod des Parlamentarismus.
Deshalb dürfen wir selber uns nicht nur als Kontrolleure der Regierung verstehen, sondern haben uns gegen die Macht der Parteien und der Parteivorsitzenden zu wehren. Wenn das nicht der Fall ist, dann allerdings haben wir uns hier zu bejammern und zu beklagen. Wer sich hier bejammert und beklagt, muß sich immer fragen, ob er nicht selbst, bis in die eigene Fraktionssitzung hinein, schuld ist, daß all das, was er beklagt, hier stattfinden kann. Da müssen wir uns nur selbst fragen und selbst mit uns ins Gericht gehen.Das Parlament muß sich gegen diese Kräfte behaupten, es muß sich behaupten gegen die Macht der Verbände. Dazu sind wir gewählt worden, und wir sind nicht gewählt worden, den Willen von Parteien zu vollziehen, den Willen von Verbänden zu vollziehen. Ich habe es in meiner elfjährigen Tätigkeit als Abgeordneter leider allzuoft erlebt, daß Abgeordnete in den Ausschüssen Verbandsschreiben aus der Tasche ziehen, sie vorlesen und das als ihre eigene Meinung kund tun. Wenn das Stil ist, dann
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Dr. Schwenk
allerdings müssen wir uns fragen: Machen wir von der Freiheit, die jeder Abgeordnete hat, Gebrauch?Noch einmal: Die Geschäftsordnung selber kann nicht Stimulanz für lebendige Debatten sein. Das müssen wir selbst sein. Es wird auch nicht dadurch besser, daß wir viele Kurzbeiträge und ähnliches haben. Auch die große Rede gehört zum Parlamentarismus; denn hier muß nicht nur Meinung für den Tag gebildet werden, sondern gesellschaftspolitische Meinung über den Tag hinaus. Da vermisse ich einiges. Da hatten wir schon größere Redner.Wenn dies außerhalb des Parlaments geschieht — und das zugelassen wird — und die Bänke von Regierung und Bundesrat in einer solchen Debatte leer sind, dann allerdings wissen wir, wo wir stehen. Dagegen müssen wir uns wehren. Ich rufe dazu auf, ernst zu machen mit dem Willen, uns nicht von außen die Meinungen aufdrücken zu lassen.Es ist hier gesagt worden, wenn wir als Parlamentarier uns im Tagesgezänk verlieren und nicht den großen parlamentarischen Stil pflegen, dann werden die Leute uns nicht mehr zuhören. Das Volk hat nicht nur ein Harmoniebedürfnis, sondern will Sachkompetenz und ehrliche Auseinandersetzung. Wenn wir die pflegen, werden uns die Leute zuhören.Ich bedanke mich im übrigen — und muß schließen, weil die Redezeit zu Ende geht — bei denen, die sich darum bemühen, daß die Abgeordneten Sachkompetenz erarbeiten können, weil sie über sächliche Mittel verfügen und noch mehr verfügen sollen. Nur der sachkompetente Abgeordnete kann seine Kontrollfunktion ausüben. Deshalb müssen wir uns sachkundig machen und zusammenarbeiten. Wir müssen von dem Instrument des Hearings, der Enquetekommissionen, von den Sachverständigen und Wissenschaftlern Gebrauch machen. Das bedeutet, daß wir arbeiten müssen. Nicht Schau, sondern Arbeit bringt uns weiter. Nur das bringt die Leute auch zum Zuhören.Schönen Dank, daß Sie mir zugehört haben.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Berger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hörte vorhin, man wird gemeldet oder man wird abgemeldet. Das hat mich dazu gebracht, mich zu melden, obwohl ich es überhaupt nicht vorhatte.
Ich bin etwas darüber bedrückt — das klang eben auch in den Worten des Kollegen Schwenk an —, daß er, wie andere Kollegen, sich in mancherlei Hinsicht untergebuttert fühlt. Wenn ich da höre — Herr Schöfberger hat mich angeregt —, wir hätten zuviel Ordnung, muß ich sagen: Wir haben die Ordnung, die wir brauchen, und mit dem, was wir in der Geschäftsordnung haben, steht uns auch das Minimum dessen zur Verfügung, was wir für einen geordneten Ablauf unserer weiß Gott nicht leichten Arbeit benötigen.Auch höre ich — das klang soeben in einigen Beiträgen an —, dem Parlament fehlten Mut und Kreativität, und das selbstbewußte Parlament sei nicht ohne eine Mehrheit selbstbewußter Parlamentarier denkbar. Da frage ich mich: Ja, wo bin ich denn? Ich gehöre zu der Gruppe der Parlamentarier, der Mitglieder des Deutschen Bundestages, die über Selbstbewußtsein verfügen, und ich lasse mich keineswegs unterbuttern, weder von meiner Partei noch von meiner Fraktion, und weder meine Partei noch meine Fraktion machen auch nur den geringsten Versuch, mich unterzubuttern.
Ich gehöre zwei ressortübergreifenden Ausschüssen an, und ich muß Ihnen sagen: auf Grund der Arbeit in diesen beiden ressortübergreifenden Ausschüssen, dem Petitionsausschuß und dem Rechnungsprüfungsausschuß, habe ich überhaupt keinen Anlaß, zu sagen, ich hätte keine Möglichkeit der Kontrolle oder keine Möglichkeit, Regierung und Bundesverwaltung, wenn es sein muß, kräftig an den Haaren zu ziehen. Wir alle wissen — auch aus anderen Ausschüssen —, daß die Regierung so gut kontrolliert wird, wie wir selbst die Kontrolle wahrnehmen. Da brauchen wir uns doch nicht hier hinzustellen und uns selbst kleiner zu machen, als wir sind.Ich möchte auch sagen, daß ich mit Ihnen, Frau Kollegin Hartenstein, überaupt nicht darin übereinstimme, daß wir keine Zeit zum Nachdenken hätten. Ich erinnere mich daran, daß wir in der Senatskanzlei in Berlin einmal eine Überprüfung durch den Landesrechnungshof hatten, und da mußte angegeben werden, welche Aufgaben man nach dem Geschäftsverteilungsplan wahrzunehmen hatte. Daneben war zu schreiben, wie hoch der Prozentsatz der Tätigkeiten war, die man zur Erfüllung dieser Aufgaben zu leisten hatte. Damals habe ich hingeschrieben: „Nachdenken: 10 %", und trotz einer gegenteiligen Aufforderung des damaligen Chefs der Senatskanzlei, Dietrich Spangenberg, bin ich bei diesen 10% für das Nachdenken geblieben. Ich komme auch heute noch zum Nachdenken. Auch heute bin ich dazu gekommen, eine Seite Fontane zu lesen — man stelle sich dies vor! —, und dennoch, trotz der Teilnahme an dieser Parlamentsdebatte, wird auch heute bei mir das, war im Eingang lag, noch heute im Ausgangskorb sein.
Bei einem weiteren Thema — Petitionsrecht — bin ich direkt betroffen, und weil dies die geeignete Plattform ist, muß ich natürlich den Kollegen und Kolleginnen im Deutschen Bundestag verkünden, daß sich morgen, am 31. Januar, zum dreizehntenmal der Tag jährt, an dem ich zur Vorsitzenden des Petitionsausschusses gewählt worden bin.
— Ich danke für den Beifall aus allen Fraktionen.
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14634 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 194. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Januar 1986
Frau Berger
Es ist hier zweimal von der Fortentwicklung des Petitionsrechts die Rede gewesen. Wir haben seit Mitte 1975 große Schritte voran getan. Es gibt kein Jahr, in dem wir nicht fortfahren, über die Fortentwicklung des Petitionsrechts zu reden. Da bin ich bei meinem Punkt. Ich weiß, es ist hier eine Entscheidung hinsichtlich der Anwendung des § 112 der Geschäftsordnung getroffen worden, die es erlaubt, zu jeder Petition, die auf einer Sammelübersicht steht, im Plenum das Wort zu ergreifen. Heute soll das bei drei Petitionen der Fall sein; dreimal eine Runde á fünf Minuten, das macht nach Adam Riese eine Stunde. Dagegen würde ich nichts sagen, wenn es um Probleme ginge, die im Plenum erörtert werden müssen, weil man sie dem Deutschen Bundestag oder der Bevölkerung bekanntgeben will. Wenn da aber zu lesen steht, daß z. B. das Problem der Anerkennung von Zeiten der Kindererziehung in der gesetzlichen Rentenversicherung auch für die Personen, die vor dem 1. Januar 1921 geboren sind, heute noch einmal in 20 Minuten debattiert werden soll, so ist festzuhalten: Dies ist über lange Zeit in den Ausschüssen und hier im Deutschen Bundestag mehrfach diskutiert worden,
und da bin ich allerdings der Ansicht, daß für die Bevölkerung wie für die Mitglieder der Ausschüsse gleichermaßen geltendes Recht gilt. Dieses Verfahren ist also nicht etwas, was mein Herz in besonderer Weise erfreut. Würden wir hier über diese drei Petitionen mit einer Stunde beraten, würden wir die Mitarbeiter des Parlamentsdienstes — Boten und Stenographen — eine Stunde länger auf den Beinen halten und nach Sitzungsschluß müßten sie noch zwei bis drei Stunden Dienst tun, ehe es endlich heimwärts geht. Also will ich hier zum Schluß doch noch einmal bekanntgeben: Mitarbeiter des Parlamentsdienstes sind seit heute früh um 5 Uhr an der Arbeit. Da sie zum Teil im Vorgebirge leben, sind sie seit 4 Uhr unterwegs. Ich glaube, jetzt darf ich auch wieder im Namen aller Fraktionen sagen: Wir möchten allen Mitarbeitern des Parlamentsdienstes sehr herzlich danken.
Das Wort hat der Abgeordnete Maaß.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich in Anbetracht der knappen Zeit einige Bemerkungen zu den Äußerungen machen, die Frau Dr. Skarpelis-Sperk von der SPD gemacht hat. Der Präsident und der Ältestenrat haben vor anderthalb Jahren eine Kommission installiert, die sich damit beschäftigen soll, wie die Arbeit der Abgeordneten durch Einsatz neuester Informations- und Kommunikationstechniken erleichtert werden kann. Es war immer schwer, in dieser Kommission zu arbeiten, und es war immer das Bemühen da, Konsens zu finden. Aber so wie es eben hier dargestellt worden ist, geht uns doch sehr viel Konsens wiederum verloren. Ziel der CDU/CSU-Fraktion und der FDP-Fraktion ist es, dem Wunsche des Ältestenrates und des Präsidiums zu entsprechen, eine einheitliche Lösung zu schaffen, ohne dabei die unterschiedlichen Voraussetzungen der einzelnen Fraktionen zu verändern. Das geht nur über einen Weg, den die Frau Kollegin Skarpelis abgestritten hat, daß wir nämlich erstens den zur Zeit anstehenden Modellversuch so schnell wie möglich in Gang setzen und zum zweiten eine ISDN-Nebenstellenanlage ausschreiben. Dann erreichen wir genau die Zielvorstellung des Präsidiums.
Ich halte es für notwendig, hier noch einmal darauf hinzuweisen, Frau Kollegin Skarpelis: Wenn wir hier ein Junktim schaffen und sagen, wir wollen den Modellversuch erst nach erfolgter Ausschreibung einer ISDN-Nebenstellenanlage in Gang setzen, so würde das bedeuten, daß wir all die Arbeit, die wir anderthalb Jahre in dieser Kommission investiert haben, um fast ein Jahr verzögern. Das würde außerdem bedeuten, daß wir einem großen Teil vieler Kollegen aus diesem Hause durch alle Fraktionen entgegenarbeiten würden, die den dringenden Bedarf geäußert haben, durch Einsatz neuester I- und K-Instrumentarien ihre Arbeit zu erleichtern.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Frau Skarpelis?
Ja, in Ordnung. Vizepräsident Westphal: Bitte schön.
Herr Kollege Maaß, der Sie j a auch mein Stellvertreter in dieser Funktion sind, Sie wissen doch auch und können das sicher bestätigen, daß wir in der Frage der gemeinsamen Informations- und Kommunikationsgrundlage und im Modellversuch einig sind, daß der Streit und die Auseinandersetzung in der letzten Sitzung sich allein darüber entsponnen hat, daß Sie vorab die Mittel für die Fraktionen zu dem Zweck entsperrt haben wollten, Ihr Fraktionssystem auf Ihre Abgeordneten ausdehnen zu können und damit ohne jede Ausschreibung — —
Frau Kollegin, ich muß Sie unterbrechen. Sie müssen hier Fragen stellen. Das geht nicht, Sie können nicht einen Diskussionsbeitrag bringen.
Ich frage, ob Sie das nicht zu dem einzigen Zweck getan haben, Ihr Fraktionssystem auszudehnen und das ohne j egli-che Ausschreibung.
Frau Kollegin, das stimmt leider nicht. Gegen die Vorschläge der uns beratenden Unternehmen, gegen ADV-ORGA, gegen die Vorschläge der Verwaltung, gegen die Vorschläge eines Teils der Sachverständigen und gegen die Vorschläge der Deutschen Bundespost wird hier argumentiert. Wir richten uns an diesen Vorschlägen aus und haben gesagt: Modellversuch sofort in Gang setzen — damit helfen wir etlichen Kollegen in diesem Hause — und gleichzeitig Ausschreiben einer ISDN-Nebenstellenanlage, um die einheitliche Lösung des Bundestages zu erreichen. Das ist die
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MaaßZielvorstellung, und an dieser Zielvorstellung wollen wir weiterarbeiten. Die müssen wir mit den Mehrheiten durchsetzen, so wie es gekommen ist. Frau Kollegin, ich möchte Sie von dieser Stelle aus noch einmal eindringlich bitten: Sie setzen sich dem Vorwurf aus, jetzt bewußt zu verzögern und eine einheitliche Linie kaputtzumachen.Herzlichen Dank.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Renger.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich kann mir vorstellen, wie ungeduldig Sie das Ende meiner Rede abwarten. Aber wie das nun einmal so ist: Man hat sich vorgenommen, etwas dazu zu sagen. Ich würde gern zu der Einlassung des Kollegen Maaß etwas sagen, aber dies müssen wir an anderer Stelle diskutieren. Dazu wäre wirklich einiges zu sagen.Lilo Berger. Es ist eine komische Vorstellung, du, Lilo, könntest untergebuttert werden. Das halte ich für vollkommen unmöglich.
Herzlichen Glückwunsch von dieser Stelle dafür, daß du das schwere, aber auch dankbare Amt der Vorsitzenden des Petitionsausschusses so viele Jahre ausgeübt hast.Meine Damen und Herren, wir haben in dieser Debatte über den Bericht der Ad-hoc-Kommission Parlamentsreform viel Kritisches, viel Selbstkritisches, aber auch sehr viele gute Anregungen vernommen. Ich möchte hinzufügen, daß alle Präsidenten dieses Hauses dieses Thema immer sehr ernst genommen haben. Wir haben immer vieles ausprobiert. Aber was herausgekommen ist, war tatsächlich meistens nur ein kleines Mäuschen. Aber vielleicht wird es diesmal besser.Es ist gut, darüber zu reden und Konsequenzen zu ziehen, auf welche Weise man das Parlament, vor allem das Plenum aktueller, interessanter, brisanter und hilfreicher für den Bürger machen kann, wie man Redezeiten verkürzt, ob man kurze Interventionen zuläßt, wie man Aktuelle Stunden wirklich aktuell macht — der Präsident hat Vorschläge gemacht —, endlich wie man einen Untersuchungsausschuß vernünftig organisiert. Dabei sollte man sich daran erinnern, daß er hauptsächlich wieder ein Ausschuß zur Kontrolle der Regierung werden sollte. Wir haben die Kabinettberichterstattung noch einmal neu aufzuarbeiten, und wir brauchen endlich ein Befugnisgesetz für die Enquete-Kommission, damit das, was dort erforscht wird, auch wirklich umgesetzt werden kann.Meine Damen und Herren, wir wünschen uns viele neue Talente und nicht nur die Elefantenrunden. Wir wünschen uns weniger Verbalinjurien und persönliche Beleidigungen, und wir wünschen uns auch Scherz, Satire und Humor.Ich wünsche mir auch, meine Damen und Herren, daß die amtierenden Präsidenten nicht nur das Wort erteilen, sondern ab und zu auch einmal denjenigen reden lassen dürften, von dem man allgemein annimmt, daß er just in diesem Moment etwas Interessantes zu sagen hat.
Aber davor steht die Gewalt der Parlamentarischen Geschäftsführer.
Wir können konstatieren: Wir wollen vieles besser machen. Wir dürfen aber auch eines sagen: Es gibt — bis auf einige Einlassungen der GRÜNEN — keine Systemkritik an der repräsentativen parlamentarischen Demokratie. Es gibt Kritik am parlamentarischen Ablauf und am parlamentarischen Stil. Mir scheint auch die Bemerkung, die ein bißchen gegen die Parteien gerichtet war, als ob sie hier eine omnipotente Position hätten, ein bißchen weit gegriffen. Ich denke an die vielen Menschen, die jeden Tag ihre Freizeit opfern, um organisiert in Parteien zu wirken, auf deren Arbeit wir angewiesen sind.
Sie sind nämlich keine Berufspolitiker, wie wir es sind, und sie dienen ebenfalls dem Gemeinwohl.Das leere Plenum ist hundertmal erwähnt worden. Es ist zu einem Politikum geworden, an dem wir Abgeordneten viel mehr gemessen werden als an den Leistungen, die jeder einzelne erbringt. Dennoch sage ich: Wir halten hier keine Fensterreden; wir unternehmen vielmehr den Versuch, dem Bürger zu vermitteln, was das Ergebnis langer Beratungen ist. Das ist auch ein Sinn unserer Debatten.Häufig kann man außerhalb des Hauses hören, die GRÜNEN seien deshalb im Parlament, weil sie ein Ausdruck von Enttäuschung über vermeintliche Ineffektivität, über Stil und Gepflogenheiten der alltäglichen parlamentarischen Arbeit seien. Ist das aber nicht doch ein Mißverständnis über Wesen und Möglichkeiten des Parlaments und der Institutionen unseres Staates überhaupt? Das Parlament bedeutet ebenso Integration wie Konfrontation. Vor allem aber muß das, was die Bürger beschäftigt, aus aktuellem Anlaß diskutiert werden.Obwohl in diesem Hause natürlich immer auch das politisch Aktuelle behandelt worden ist, machen wir im Plenum zuviel Ausschußarbeit, meine sehr verehrten Damen und Herren. Das hat gerade die heutige Debatte über den Ausbau der Bundesfernstraßen gezeigt. Gerade auch der Ablauf dieser Debatte sollte uns wieder an eine Grundvoraussetzung unseres parlamentarischen Systems erinnern. Es funktioniert in diesem Hohen Hause nur, wenn wir uns der gemeinsam gegebenen Regelungen, die auf Konsens und den Rechten, aber auch den Pflichten der Minderheiten beruhen, bewußt sind. Ich sage mit Blick auf die Verhandlungen dieses Jahres zur Mehrheit des Hauses ganz bewußt einen
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Frau RengerAusspruch, den Kurt Schuhmacher seinerzeit getan hat: Regierungsparteien und Opposition machen den Staat aus. Das muß man auch bei der Abhandlung der Geschäftsordnung und in den Ausschüssen beachten.
Meine Damen und Herren, es kommt darauf an, daß das Plenum eben für jedermann erkennbar und anerkannt das Forum der Nation ist, auf dem um die einschneidenden Entscheidungen gerungen wird und wo sich auch die unterschiedlichen Meinungen in der Bevölkerung niederschlagen. Das bedeutet auch Pluralismus innerhalb der Fraktionen
und zwischen den Fraktionen, sofern nicht reiner Aktionismus und taktische Winkelzüge das unmöglich machen. Im übrigen haben wir uns alle der Geschäftsordnung unserer eigenen Fraktion selbst unterstellt. Das sollten wir wissen, wenn wir beklagen, daß hier gewisse Riten eingehalten werden. Und der Kollege Schöfberger hat noch immer das Wort genommen, wenn er es begehrt hat.
— Na, dann sollten Sie sie bald einführen, dann klappt es bei Ihnen auch besser. — Nur dann wird es eine lebendige Debatte geben, die den ermüdenden Rhythmus — ich darf das wiederholen — des sogenannten Rundenablaufs, so kurz die Runden auch sein mögen, ablöst. Dann wird auch derjenige im Gedächtnis bleiben, der etwas zu sagen hat. Auch wie er es sagt, wird haften bleiben.Ich habe oft das Gefühl, daß sich einige Abgeordnete wie auf dem Rugby-Platz bewegen. Angefeuert von den eigenen Mitspielern müssen sie den politischen Gegner erst einmal auszählen. Eine andere beliebte Form ist der ständige Zwischenruf, der den Redner offensichtlich verwirren oder aus dem Konzept bringen soll. So wurden, meine Damen und Herren, bei einer einstündigen Rede von Willy Brandt einmal über 100 Zwischenrufe gezählt.
Dazu gibt es eine beachtliche Fülle von Provokationen — —
— Sie sollten manchmal wirklich zuhören können. Was Willy Brandt sagt, ist, auch wenn Sie das nicht billigen, immer interessant.
Ich wiederhole: Dazu gibt es eine beachtliche Fülle von Provokationen, die zweifellos auch den sanftesten Redner in Rage bringen können. Das Publikum im Fernsehen hört nur den Redner und wundert sich, weshalb dieser seinerseits so hart reagiert, und beschwert sich dann über den Stil. Dabei möchte ich nicht versäumen, zu sagen, daß intelligente, witzige und treffende Zwischenrufe einen Sachverhalt oftmals sehr viel präziser charakterisieren als eine höchst komplizierte Rede. Sie können wirklich die Würze sein und manchmal in einem befreienden Lachen enden.
— Ja, das ist wohl wahr.
Wenn man dem Parlament mehr als drei Jahrzehnte angehört, dann darf man auch Vergleiche ziehen. Jeder Bundestag hat seinen eigenen Stil, seine Persönlichkeiten, er hat seine zeitgemäßen politischen Entscheidungen zu fällen. Es gab früher, wie man sagt, skurrilere und urige Abgeordnete, die dem Parlament Farbe gaben. Im ersten Deutschen Bundestag hatten wir, glaube ich, ungefähr zwölf fraktionelle Gruppierungen.Heute müssen wir aufpassen, daß das Bild nicht immer stärker durch die Verwalter der öffentlichen und privaten Angelegenheiten bestimmt wird. Lassen Sie mich Ihnen das einmal ganz kurz sagen: Wir haben 203 Abgeordnete, die aus dem öffentlichen Dienst kommen, 54 Lehrer und Hochschullehrer, 139 Juristen
und 61 Volkswirte. Sie stellen die größte Berufsgruppe. Und, meine Damen und Herren: Knapp 70 % der Abgeordneten — welches veränderte Parlament! — haben eine abgeschlossene Hochschulbildung. Dies müßte sich ja auch in der Qualität ungeheuer niederschlagen, meine Damen und Herren.
— Es ist dauernd meine Gläubigkeit, daß man auf der Universität wirklich klüger wird. — Aber demgegenüber haben wir kaum Facharbeiter in diesem Parlament, und die weiblichen Abgeordneten vertreten mit etwas mehr als 10 % die 54 % weiblichen Wähler in der Bundesrepublik. Es sieht nicht so aus, als ob das im nächsten Bundestag sehr viel besser werden würde.
— Nein, nein nicht rotieren.Die Atmosphäre ist kühler, die Polemik vielleicht hitziger geworden. Ich wünschte mir allerdings — um Max Weber zu bemühen —, daß die Leidenschaft für die Sache neben Verantwortungsgefühl und Augenmaß noch stärker und für die Bürger spürbarer zum Ausdruck käme.Ich gehe wohl kaum fehl in der Annahme, daß der Wahlkampf für den 11. Deutschen Bundestag schon seine Einleitung erfahren hat. Ich denke, wir dürfen den Grundkonsens der demokratischen Parteien nicht verlieren. Neben dem kontroversen Sektor der Politik muß es auch einen nicht kontroversen, einen unumstrittenen Sektor geben. Das ist die gemeinsame Basis des Verfassungsinhalts. Ohne Konsens in diesem Sinne würde kein demokratisches System auf Dauer die Emotionen, die Konfrontationen und Belastungen von Wahlen überstehen.
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Frau RengerAlle Überlegungen, die heute vorgetragen worden sind, um die parlamentarische Arbeit zu verbessern, sollte man, soweit sie brauchbar sind, für die bessere Effektivität und Transparenz durchaus nutzen.Es ist den Medien durchaus zu danken, daß sie — wie ich mir habe sagen lassen — 2 670 Minuten oder 44 Stunden und 30 Minuten gesendet haben. Wir bitten sie aber gleichzeitig, nicht nur die, ich sage einmal: sehr emotionalen Momente hier deutlich zu machen, sondern die Leistungen dieses Hauses noch stärker als bisher den Menschen zu vermitteln.Mein Kollege Lammert hat schon von der Neuregelung, der Erweiterung der Verhaltensregeln gesprochen. Ich bitte dringend, diese so schnell wie möglich zu verabschieden:
denn die letzten Ereignisse vor dieser Bearbeitung der Verhaltensregeln sind der Bevölkerung noch in Erinnerung. Sie sollten in Zukunft nicht mehr möglich sein.Lassen Sie mich schließen: Begreift man Demokratie als positiven gesellschaftlichen Entwicklungsprozeß, sollte niemand die Institutionen, die den demokratischen Prozeß ermöglichen und den freien Abgeordneten garantieren, gefährden. Ich denke, dafür steht das ganze Haus ein.Danke schön.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über Tagesordnungspunkt 6 a, den Bericht der Ad-hoc-Kommission Parlamentsreform auf Drucksache 10/3600 und den dazu vorliegenden Entschließungsantrag der Abgeordneten Frau Hamm-Brücher und weiterer Abgeordneter auf Drucksache 10/4218. Es wird vorgeschlagen, den Bericht mit dem Entschließungsantrag zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung und zur Mitberatung an den Rechtsausschuß zu überweisen. Zusätzlich soll der Bericht dem Ältestenrat zugeleitet werden. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? — Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Wir kommen nunmehr zu den Tagesordnungspunkten 6 b bis 6 h und zu dem Zusatztagesordnungspunkt 3. Es wird vorgeschlagen, die Vorlagen auf den Drucksachen 10/3725 bis 10/3730 (neu), 10/3861 und 10/4740 zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung und zur Mitberatung an den Rechtsausschuß zu überweisen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? — Bitte schön, Sie wollen einen anderen Vorschlag machen, Herr Vogel?
Ich bitte, daß über den Antrag auf Drucksache 10/3861 gleich hier abgestimmt wird; denn es ist ja unsinnig, einen Bericht des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung zur Auslegung der Geschäftsordnung wieder an den GO-Ausschuß zurückzuverweisen. Das halte ich nun wirklich für Quatsch.
Dazu hat das Wort Herr Lammert.
Der Vorschlag des Geschäftsordnungsausschusses war doch der Versuch, ohne eine förmliche Änderung der Geschäftsordnung eine Lösung dieses fraglos das Haus betreffenden Problems herbeizuführen.
Das hat sich offensichtlich als schwierig erwiesen. Wir haben jetzt einen neuen Vorschlag, das durch förmliche Änderung der Geschäftsordnung zu erledigen. Insofern ist es durchaus folgerichtig, dies gemeinsam zurückzuverweisen, damit daraus ein beschlußreifer Vorschlag erarbeitet werden kann.
Wird dazu gesonderte Abstimmung gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Dann machen wir das gemeinsam, wie es hier vorgeschlagen worden ist.Es ist empfohlen worden, die Vorlagen auf den Drucksachen 10/3725 bis 10/3729 (neu), 10/3861 und 19/4740 zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung und zur Mitberatung an den Rechtsausschuß zu überweisen. Wir haben festgestellt, daß jetzt keine anderen Vorschläge mehr vorhanden sind. — Kein Widerspruch. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.Meine Damen und Herren, wir kehren nun zu Tagesordnungspunkt 2 zurück. Zwischenzeitlich ist mir das nunmehr ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmungen über die Änderungsanträge der Fraktion DIE GRÜNEN zu Tagesordnungspunkt 2 vorgelegt worden.Alle Änderungsanträge haben nicht die erforderliche Mehrheit der abgegebenen Stimmen erreicht. Sie sind damit abgelehnt.
Die genauen, sehr umfangreichen Abstimmungsergebnisse zu allen Änderungsanträgen mit den Namenslisten werden in einem Nachtrag zum Plenarprotokoll der heutigen Sitzung veröffentlicht. — Ich möchte Ihnen nicht die Menge des Geldes, die wir dafür aufwenden müssen, hier vortragen. —
Dieser Nachtrag zum Plenarprotokoll wird Anfang nächster Woche vorliegen.Die Abstimmungsergebnisse in Form der Computerausdrucke werden im Saal verteilt.*) Ich weiß nicht, ob sie schon auf Ihren Tischen sind. Mir liegt*) Anlage 4
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14638 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 194. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Januar 1986
Vizepräsident Westphaldas vor. So haben Sie die Möglichkeit, sich über die Einzelergebnisse der Abstimmung zu informieren.Wir setzen nun die Beratungen in der zweiten Lesung fort.Ich rufe die Art. 1 und 2 in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Damit sind die aufgerufenen Vorschriften angenommen.Wir treten nun in diedritte Beratungein.Im Ältestenrat ist für die Aussprache ein Beitrag von bis zu zehn Minuten Dauer für jede Fraktion vereinbart worden. — Kein Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Haungs.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der neue Bedarfsplan für die Bundesfernstraßen, den wir jetzt in dritter Lesung behandeln, wurde im Ausschuß ausführlich diskutiert. Koalition und SPD haben den Projekten zugestimmt, die GRÜNEN haben die Beratungen verzögert und gestört.
Sie haben sich der Beratung verweigert
und durch nur endloses Vorlesen von Papieren keinen positiven Beitrag geleistet.
Anstatt die Abwägung verkehrlicher und umweltpolitischer Gründe vorzunehmen, haben sie nicht einen originellen Beitrag gebracht, der kompromißoder konsensfähig gewesen wäre.Es ist absurd, heute im Plenum zu behaupten, es wäre irgend etwas durchgepeitscht worden.
Das Problem der GRÜNEN-Kollegen war: Sie konnten sich auf die einzelnen Bauvorhaben nicht konzentrieren. Sie konnten auch nicht individuell argumentieren. Sie konnten noch nicht einmal gut vorlesen, was andere ihnen aufgeschrieben hatten.
Sie sollten sich für die zukünftigen Beratungen merken: Stören, Langweilen, Verzögern, Schikanieren, dies ist kein guter parlamentarischer Stil.
Wenn Sie den Wählerauftrag, den auch Sie zweifellos bekommen haben, hier erfüllen wollen, sollten Sie davon Abstand nehmen, eine demokratische Beratung lächerlich zu machen. Dies haben Sie im Ausschuß wie im Plenum versucht. Es ist Ihnen nicht gelungen.Es ist erfreulich, daß sich die SPD davon distanziert hat, daß sie gemeinsam mit der Koalition alle ernsthaften Straßenbauprojekte beraten
und im Ausschuß auch allen Vorhaben zugestimmt hat.
Deshalb wundert es uns heute etwas, wenn sie im Plenum zwar grundsätzlich zustimmt, aber den weiteren Ausbau des Autobahnnetzes ablehnt.
Dies ist gefährlich, meine Damen und Herren. Sie wissen so gut wie wir, daß Autobahnen die leistungsfähigsten und die sichersten Straßen sind. Es sind eben nicht oder nur in den allergeringsten Fällen Prestigeobjekte, wie Sie sie nannten; vielmehr sind Autobahnen die Voraussetzung dafür, daß durch die Bündelung auf dem sichersten Straßentyp der Verkehr der Zukunft bewältigt werden kann.
Leider haben sich bei diesen Beratungen bei den Kollegen der SPD nicht die Verkehrs- und Wirtschaftspolitiker durchgesetzt. Ich hoffe nicht, daß die heutige Stellungnahme die Strafe der linken Dogmatiker dafür war, daß sie auf der Autobahn nicht das erwünschte Tempolimit durchgesetzt haben.
Ihnen ist sicher wie uns bekannt, daß die europäische Integration, die weitere Arbeitsteilung, das Wirtschaftswachstum und die größere Freizeit ein erhöhtes Verkehrsaufkommen bringen und einer besseren Verkehrsinfrastruktur bedürfen. Dabei dürfen die Straßen bei uns kein Engpaß sein.Zu Recht wurde in der Diskussion bemängelt, daß Verkehrslärm und Abgase unsere Mitbürger in hohem Maße beeinträchtigen. Deshalb sind wir genauso wie Sie für den Bau von Ortsumgehungen. Aber wir beraten heute den Bedarfsplan für Bundesfernstraßen, und der Bau von Bundesfernstraßen darf nicht nur die Verknüpfung von Ortsumgehungen sein.
In der Diskussion wurde vom Kollegen Antretter gesagt, daß die Koalition im Zweifelsfall für größere, für breitere Straßen gewesen sei, während die SPD sich aus ökologischen Gründen für kleinere Straßen ausgesprochen habe. Die Beispiele der Beratung zeigen, daß dies so nicht gesagt werden kann.Ich möchte hier einige Straßen nennen, wo wir von der Koalition dafür gestimmt haben, daß Straßenbauvorhaben nicht in der früher gewünschten Form durchgeführt wurden. Es wird — wenn ich Beispiele aus Baden-Württemberg nehme —, keine Schwarzwaldautobahn gebaut, sondern es wird die
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HaungsB 31 so ausgebaut, wie es vom verkehrlichen Bedarf her notwendig ist. Es wird bei der Hochrheinautobahn mit zwei Streifen begonnen, die vor allem als Ortsumgehungen dienen. Sie haben das leider abgelehnt. Es wird am Bodensee keine Autobahn weitergebaut und auch kein autobahnähnlicher Ausbau vorgenommen, sondern die Bundesstraße wurde dort so, wie wir es beschlossen haben, mit maximal 20 Metern gebaut.Der große Unterschied ist nur: Diese Straßen werden jetzt in der Form, wie wir es finanziell und ökologisch für richtig halten, deshalb so gebaut, weil die Koalition aus CDU und FDP es so will. Sie haben früher, als Sie regiert haben, ähnliche Wünsche geäußert, nur haben Sie sie niemals durchgesetzt. Ich bestehe darauf festzustellen, daß wir von der Koalition Straßen nicht in einem überdimensionierten Ausbau fordern, sondern daß wir beim Straßenbau sehr sorgfältig verkehrspolitische, ökologische, finanzielle Argumente abgewogen haben.
— Darüber haben wir 18 Stunden im Verkehrsausschuß sehr anregend diskutiert. Sie müssen sich hier schon einmal prüfen. Dabei werden Sie feststellen, daß Sie keinem der Vorschläge von CDU, FDP und SPD zugestimmt haben und daß andererseits nicht einer Ihrer Vorschläge die Zustimmung gefunden hat, weil Sie letztendlich überhaupt nie den Kompromiß und die Übereinstimmung gesucht haben. Sie haben die wenigsten Straßen selbst gekannt. Sie werfen uns etwas vor, was Sie selbst nicht getan haben. Sie haben nämlich keine Abstimmung durchgeführt mit den Gremien vor Ort, mit den Kreisräten, mit den Gemeinderäten, mit den Planern, mit den Bürgerinitiativen. Vielmehr haben Sie hektographiertes Papier gesammelt, dies in langweiligem Ton vorgelesen und dadurch die Ausschußberatungen auf ein Niveau gedrückt, wie es in früheren Jahren noch nie der Fall war.
Ich stelle fest, daß wir im Grundsatz eine Übereinstimmung beim Straßenbau haben. Von Fall zu Fall gibt es zwar zwischen der CDU, der FDP und der SPD unterschiedliche Auffassungen. Die SPD liegt mit ihrer Ablehnung des Ausbaus weiterer Autobahnen falsch. Wir begrüßen es aber, daß der Bundesstraßenbedarfsplan — dessen bin ich sicher — mehrheitlich angenommen wird.Vielen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Daubertshäuser.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit der heutigen Beratung des Fernstraßenausbaugesetzes wird der Schlußpunkt unter eine über ein Jahr andauernde Beratungsphase gesetzt. Diese umfassenden Beratungen haben hier im Deutschen Bundestag manche Belastungen gebracht. Deshalb möchte ich namens meiner Fraktion den Damen und Herren in der Bundestagsverwaltung, der Druckerei, den Boten und allen Helfern danken,
die mit ihrem weit über das übliche Maß hinausgehenden Arbeitseinsatz dafür sorgten, daß die technischen Voraussetzungen für unsere parlamentarische Arbeit geschaffen wurden. Dafür herzlichen Dank!In die politischen Beratungsphasen waren nicht nur alle politischen Ebenen, sondern auch eine Vielzahl von Verbänden, Organisationen und Bürgerinitiativen eingebunden. Ihnen allen danke ich für das Engagement, für die wertvolle Zuarbeit und die Informationen, die sie an uns herangetragen haben.
Wir haben die Anregungen, Wünsche und Hinweise einer sachgerechten Prüfung unterzogen. Unsere abschließende Entscheidung haben wir an den fünf Hauptkriterien einer sozialdemokratischen Straßenbaupolitik ausgerichtet, wie wir sie in unserem Entschließungsantrag postuliert haben. Diese fünf Hauptkriterien waren auch der Maßstab für unsere Bewertung der Regierungsvorlage und der Änderungsanträge der anderen Fraktionen.Wir sind zu dem Ergebnis gekommen, daß der Bundesstraßen-Teil sich im großen und ganzen mit unseren Zielen verträgt. Insbesondere Ortsumgehungen nutzen den Bürgern. Sie bringen eine wirksame Entlastung von Lärm und Abgasen. Aber der zweite Teil des Gesetzentwurfs, der Autobahn-Teil, ist für uns so nicht akzeptabel.Weil dies so ist, haben wir heute morgen eine Trennung dieser Teile beantragt, damit der erste Teil angenommen und der zweite — also der Autobahn-Teil — abgelehnt werden kann. Die Mehrheit des Hauses hat dieses Verfahren nicht akzeptiert. Wir haben deshalb unsere Haltung auch in dieser Debatte durch unsere Änderungsanträge und durch unseren Entschließungsantrag verdeutlicht, den wir Ihnen jetzt in der dritten Lesung zur Beschlußfassung vorlegen.Da unserem Antrag auf Teilung des Bundesfernstraßengesetzes nicht entsprochen wurde, zwingen Sie uns, unmittelbar nach Inkrafttreten des heute zur Beratung anstehenden Gesetzes eine neue Gesetzesinitiative zu starten, welche zum Ziel hat, die umstrittenen Autobahn-Großprojekte nachträglich doch noch aus dem Bedarfsplan zu streichen.
Meine Damen und Herren, wir haben in der zwei ten Lesung verdeutlicht, daß sich unsere Kritik besonders auf die Autobahnen A 94, A 95, A 98, A 26 und A 33 bezieht. Somit lehnen wir von den 800 Kilometern Autobahn, bei denen noch nicht mit dem Bau begonnen wurde, ca. 250 km ab.
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14640 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 194. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Januar 1986
DaubertshäuserBei den übrigen Bedarfsplanstufen des Autobahnbaues schlagen wir weitere Streichungen bzw. Rückstufungen von 150 km vor. Dazu gehört auch der umstrittene Alleentunnel in Frankfurt, den offensichtlich auch die GRÜNEN wollen.
Wir sagen selbstkritisch: Dies ist eine Ablehnung von Projekten, für die auch wir im Jahre 1980 noch einen Bedarf gesehen haben. Herr Kollege Haungs, Sie haben nicht recht. Denn dies, was wir hier beantragen, ist auch eine Fortsetzung der Politik, die 1981 von uns gewollt war, als wir mit einem radikalen Einschnitt in die damalige Straßenbaupolitik des Bundes begonnen und eine ganze Reihe von Projekten für nicht mehr realisierbar erklärten. Ich nenne hier nur: die A 4 von Köln durch das Rothaargebirge, die sogenannte Küsten-Autobahn A 22 die A 8 Pirmasens, die A 86, die A 81 und Teilbereiche der A 98.Meine Damen und Herren, Verkehrspolitik ist beispielhaft für Konflikte. Ich glaube, es ist nicht vernünftig, vor Konflikten die Augen zu verschließen oder Konflikte nur von einer Seite her lösen zu wollen. Man muß vernünftig mit Konflikten umgehen. Vernünftig heißt, darüber zu reden. Da wird man allerdings nicht den Weg des geringsten Widerstandes gehen können. Dieser Weg führt ins Leere, er führt zu Fehlentwicklungen. Die Konsequenz ist, daß man sich der Diskussion um Konflikte offen stellen muß. Man muß die Konflikte formulieren. Man muß allen betroffenen Seiten zuhören. Man muß versuchen, sich ein Urteil über die Sache zu bilden, und man muß klar und deutlich sagen, was man als Entscheidung formulieren will. Nur in einem derartigen Prozeß, wird Vertrauen geschaffen. Im Umgang mit diesen Konflikten, die viele Menschen tief umtreiben, weil sie sich existentiell bedroht fühlen
— zu Recht —, da wird Vertrauen überhaupt nur zu erreichen sein, wenn man in dieser Diskussion nicht nur sagt, was man für notwendig hält, sondern wenn man am Einzelprojekt auch die Bereitschaft und die Fähigkeit zeigt, sich von Argumenten beeindrucken zu lassen, und wenn man bereit ist, früher getroffene Entscheidungen zu korrigieren.
Wir haben uns als SPD-Bundestagsfraktion, wie unsere Gesetzesinitiativen und Änderungsanträge zeigen, diesem Prozeß der Selbstkorrektur gestellt. Wir haben in einem ganz beträchtlichen Maße früher getroffene Entscheidungen revidiert.Der vielgepriesene Dialog kann ja doch nicht nur im Reden bestehen, sondern muß seine Entsprechung auch in politischen Entscheidungen finden. Hier sehen wir beim Bundesverkehrsminister allerdings einen eklatanten Widerspruch, wenn er zwar verbal den Bau von Ortsumgehungen immer wieder in den Vordergrund stellt, im konkreten Handeln dann aber die Großprojekte zu Maßnahmenschwerpunkten macht.
Unsere Formel „Qualität vor Quantität" und „Ausbau statt Neubau" ist auch von den Bürgern in einem breiten Maße akzeptiert worden. Deshalb ist es folgerichtig, Straßenbau noch behutsamer zu betreiben als bisher. Eine derartige Straßenbaupolitik steht auch im Einklang mit unserer Politik der ökologischen Erneuerung. Nicht die Extrempositionen sind gefragt. Die Verkehrspolitik in der zweiten Hälfte der 80er Jahre kann einerseits nicht darin bestehen, wichtige Mobilitätsbedürfnisse zu erdrosseln, sie darf allerdings andererseits auch nicht ihr Bewenden in einem ungehemmten Wachstum des Individualverkehrs haben. Straßenbau — ja oder nein, das ist keine Glaubensfrage, es ist keine Frage der Qualität. Die gesamte Diskussion um die Straßenbauprojekte ist eine Frage der Quantität. Das hat auch der heutige Tag gezeigt, übrigens für alle Fraktionen. Die einen wollen mehr Straßenbau, die anderen wollen weniger, und auch die GRÜNEN sind nicht absolut gegen den Straßenbau; denn von den 8 000 Kilometern Bundesstraßen und Autobahnen in der Bedarfsplanüberprüfung finden über 5 000 Kilometer j a auch ihre Zustimmung.
Der Bundesverkehrswegeplan wird eine breite Zustimmung im Deutschen Bundestag finden; aber es darf nicht übersehen werden: der Plan liefert keine Rechtfertigung für bausüchtige Verwaltungen. Wir entscheiden über den Bedarf. In der Umsetzung vor Ort müssen unter Beteiligung aller Betroffenen umweltschonende Baukriterien zur Anwendung gebracht werden, und es müssen sinnvolle Planungen erarbeitet werden.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Schulte?
Entschuldigung, Herr Schulte, aber ich bin sowieso gleich am Ende, weil mir j a die Zeit weggelaufen ist.
Unsere Beschlüsse, meine Damen und Herren, dürfen und können kein Alibi sein für Straßenbauer, sie können auch kein Unbedenklichkeitsstempel für Straßenbauausweitungen sein. Der Bundespräsident hat gestern zutreffend formuliert, als er sagte, wir fahren in die Landschaft, um uns in ihr zu erholen; also gelte es, sie nicht zu zerstückeln. Nur wenn alle, so sagte er, die Autofahrer, die Industrie und der Staat, ihrer Verantwortung gerecht werden, können wir unbeschwert dem zweiten Autojahrhundert entgegensehen. Diese Aussage des Bundespräsidenten ist, richtig verstanden, eine Werbung für eine Linie der Vernunft. Weder eine Verteufelung des Verkehrssystems Straße noch seine Dominanz nützt unserer Gesellschaft. Die vernünftige Lösung liegt in einer ausgewogenen Balance, und dies ist unser sozialdemokratischer Weg. —
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 194. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Januar 1986 14641
Daubertshäuser Vielen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Hoffie.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte mich an dieser Stelle ausdrücklich bei der sozialdemokratischen Fraktion bedanken.
Ich bedanke mich dafür, daß dieser Bundesverkehrswegeplan, mit dem wir die Straßenbaumaßnahmen für die nächsten 15 Jahre, bis ans Ende dieses Jahrhunderts, in unserem Land fortschreiben, von ihr im ganzen mitgetragen wird. Das konditionierte, das eingeschränkte Ja, das lediglich aussagt, daß bei den großen Autobahnprojekten Bedenken erhoben werden — Sie, Herr Daubertshäuser, haben neue Gesetzesinitiativen angekündigt und gesagt, daß man vielleicht doch zu einer anderen Sicht kommt; dies werden wir in aller Ruhe und mit Ihnen ausdiskutieren —, kann j a nicht verdecken, daß wir hier eine breite parlamentarische Mehrheit für die Verkehrsinfrastruktur der Zukunft haben werden. Das ist auch gut so, denn die Sozialdemokraten wissen wie die Koalitionsfraktionen, daß es ja nicht nur überall dort, wo Straßen ausgebaut und neugebaut werden müssen, Bürgerinitiativen und Interessengemeinschaften gegen den Straßenbau gibt, sondern daß es mindestens genauso viele Initiativen für den weiteren Ausbau unseres Straßensystems gibt, insbesondere dort, wo Hunderttausende von Menschen in engen Ortsdurchfahrten nach wie vor von Abgas, Lärm und Verkehrsunsicherheit belästigt werden. Auch das darf nicht untergehen.Wenn dann zu einer einzigen Großbaumaßnahme wie der A 94 über 50 000 Unterschriften vorliegen, die sich für den Bau eines so wichtigen Verkehrsweges von München nach Simmbach aussprechen — wie auch immer der gestaltet wäre —, glaube ich, muß dies auch von den GRÜNEN und den Gegnern des Individualverkehrs und des Automobils ernstgenommen werden.Die SPD schränkt ein, indem sie sagt: 250 Kilometer Autobahn sind ein zu starker Eingriff in Landschaft und Natur. Bei vielen der Projekte, um die es da geht, haben wir lange gestritten, ob man das nicht umweltverträglicher, umweltschonender unternehmen kann, indem man die vorhandenen Bundesstraßen ausbaut.74 der Anträge, die die FDP dazu gestellt hat, haben eine Mehrheit gefunden. Sie richten sich im wesentlichen auf solche Veränderungen: auf eine bessere Einpassung in die Landschaft, auf die Reduzierung der Ausbaubreite, zum Teil auf den völli- gen Verzicht in bestimmten Abschnitten auf Veränderung der Dimension, auf eine umweltverträglichere Lösung.Das ist mein Appell, den ich am Ende dieser Debatte an die Auftragsverwaltungen des Bundes, an die Straßenbaubehörden der Länder richten möchte: Wir haben die Prioritäten festgestellt, wir haben geprüft, ob ein dringlicher Verkehrsbedarf besteht, und wir haben gesagt, in welchen Zeiten, mit welchem Aufwand diese neuen Maßnahmen realisiert werden sollen. Aber wie sich eine Linie in die Landschaft einpaßt, wie sie in ihren einzelnen Bauwerken von den Brücken, von den Dimensionen her, von den Regelquerschnitten her am Ende aussehen wird,
fällt nicht in die Verantwortung des Bundesgesetzgebers, sondern ist Sache der Auftragsverwaltung der Länder.Hier sind die Länder mit ihren Ingenieuren, mit ihren Planern gefordert, die ganze Phantasie und alle Fähigkeiten einzusetzen. Es soll nicht immer die ingenieurmäßig beste, die vorbildlichste technische Ausführung gemacht werden, sondern Straßenbau nach Maß, also das, was für die Lösung der Verkehrsprobleme und der Mobilitätsbedürfnisse der Bürger wie auch der Transportprobleme der Wirtschaft gerade noch ausreicht und gleichzeitig Natur und Landschaft im größtmöglichen Maße schont.
In dieser Richtung müssen die Auftragsverwaltungen des Bundes, also die Straßenbauverwaltungen, tätig werden.Was mich, meine Damen und Herren, in der Debatte heute gestört hat, war, daß sich der Kollege Antretter genötigt sah, der FDP zu sagen: Ihr habt zwar 75 Maßnahmen geändert, die SPD hat 11 Maßnahmen beeinflussen können, die Kollegen von der CDU haben in 8 Fällen Änderungsvorschläge gemacht. Aber das, was ihr dann über diese 74 Änderungen hinaus nicht habt ändern können, stellt einen glatten Umfall dar. — Es gibt kein einziges Beispiel, Herr Kollege Antretter, meine Damen und Herren von der SPD, daß die Verkehrspolitiker, die Bundestagsabgeordneten der FDP in den Ländern draußen vor Ort erklärt hätten: Bei dieser oder jener Maßnahme versprechen wir euch, das nur so und nicht anders zu machen, und das werden wir im Deutschen Bundestag durchsetzen.Ich nenne Ihnen die wenigen Maßnahmen, bei denen wir dies erklärt haben. Ich sage Ihnen auch gleich dazu, daß wir in diesen Fällen jeweils unsere Position in den Verhandlungen mit dem Koalitionspartner durchgesetzt haben. Versprochen habe ich für die FDP bei meinen Reisen draußen mit Unterstützung meiner Parteifreunde und der -gliederungen, daß die B 54 n zwischen Steinfurt und der B 70 nicht durch eine wertvolle Bachlandschaft gebaut werden wird. Das wird geschehen, das ist so beschlossen. Versprochen haben wir, daß es im Loisachtal keine A 95 geben wird, daß keinesfalls eine A 94 das Isental zerstören darf, daß parallel zur S-Bahn keine B 2 a von Nürnberg nach Schwabach führt, daß die B 31 direkt an die Umgehungsstraße Überlingen angebunden wird. Versprochen habe ich
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Hoffieauch, daß die Elbquerung bei Stade in die Planung aufgenommen wird, die Ortsumgehung in Darmstadt in den vordringlichen Bedarf gebracht werden soll und daß die Maßnahmen für das Saarland so, wie sie vorgelegt worden sind, mit wenigen Änderungen verabschiedet werden. Das alles ist versprochen, und es ist auch Punkt für Punkt eingehalten worden. Da sollte sich dann nicht ausgerechnet der Kollege von der SPD, der sich im wesentlichen um ein Projekt in Bayern gekümmert hat, hier hinstellen und sagen: Die wenigen Maßnahmen, die ihr darüber hinaus noch gern noch geändert hättet, die ihr aber nicht durchgesetzt habt, sind ein glatter Umf all.Da erinnere ich einmal, an das was wir 1980 zum Verkehrswegeplan mit der SPD verabschiedet haben. Damals haben wir gemeinsam 7 000 Kilometer aus der Vorlage des damaligen Verkehrsministers gestrichen. Ich weiß noch, wie schwer es bei der SPD war. Der Kollege Merker ist dafür geprügelt worden, als derjenige, der die grüne Vision hätte, Straßenbaumaßnahmen zu verhindern. Ich weiß noch, wie schwer es war, Herr Kollege Daubertshäuser, gerade bei den großen Projekten, die der Herr Merker sich vorgenommen hatte, in den meisten Fällen auch nur zu einer Reduzierung von vier auf zwei Spuren zu kommen oder eine Autobahn durch eine Bundesstraßenmaßnahme zu ersetzen. Das ist genau das, was Sie heute hier fordern und was wir mit unseren 74 Änderungsanträgen, so weit es irgend ging, verwirklicht haben.Meine Damen und Herren, alles in allem gesehen, sehe ich ein, daß die Kollegen von den GRÜNEN hier nicht zufrieden sein können, daß Sie heute morgen noch einmal Ihren Zirkus aufführen mußten. Auch mit Ihrer Verzögerungstaktik können Sie nicht zufrieden sein. Drei Jahre haben Sie den Wählern versprochen: Wir werden diese Asphalt- und Betonkoalition sprengen; wir werden verhindern, daß kein Kilometer Straße mehr gebaut wird. Nun müssen Sie mit leeren Händen Ihren Wählern erklären, warum Sie in Sachen Umweltschutz überhaupt nichts erreicht
und nicht mit einer einzigen Maßnahme auf den Bundesverkehrswegeplan Einfluß genommen haben. Daß Sie das grämen muß, ist mir klar. Aber Sie müssen den Bürgern hinzusagen, daß Sie daran selbst schuld sind;
Sie waren nämlich nicht bereit, so wie alle anderen Fraktionen des Hauses, die in der Endabstimmung jetzt zustimmen werden, Kompromisse zu schließen, die jeweils bessere Lösung zu diskutieren und die Kraft der besseren Argumente wirksam werden zu lassen. In Ihrer Total-Opposition, in Ihrer fundamentalen Ablehnung des Straßenbaus haben Sie sich gegen alles gesperrt, waren Sie überhaupt nicht fähig zu Verhandlungen mit den Kräften des Hauses, die jetzt die Verantwortung für das übernehmen werden, was in den nächsten 15 Jahren für die Bürger in diesem Lande und für die Funktionsfähigkeit der Wirtschaft in der Bundesrepublik getan werden muß.Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schulte .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben heute nachmittag über die Parlamentsreformen diskutiert. Ich denke, das, was die GRÜNEN hier praktiziert haben, war ein Stück Parlamentsreform.
Die GRÜNEN haben es hier zum ersten Mal geschafft, daß die Abstimmung über einen Bedarfsplan wesentlich transparenter gemacht wurde als bisher;
denn auf Grund der Ergebnisse der namentlichen Abstimmung sind die betroffenen Bürger im Lande in der Lage, nachzuvollziehen, wie ihre Abgeordneten zum Straßenbauprojekt vor Ort abgestimmt haben. Genau das will der Bürger wissen.Wenn Sie mokieren, daß dieses Abstimmungsverfahren die Verwaltung sehr stark belastet habe, so ist das in der Tat richtig. Allerdings hat die Fraktion der GRÜNEN lediglich 51 namentliche Abstimmungen beantragt — Sie dagegen die restlichen 158.Wir haben immer gesagt, wir seien bereit, ein Verfahren zu finden, das das Personal so wenig wie möglich belastet. Die Tatsache, daß so viel gearbeitet werden mußte,
liegt einzig und allein darin begründet, daß Sie nicht bereit waren, die Entscheidung über den Bedarfsplan so, wie wir es vorgeschlagen haben, zu verschieben.
Ich möchte mich im Namen der Fraktion der GRÜNEN bei allen für diese Arbeit bedanken,
und ich möchte mich vor allem bei den Hunderten von Bürgerinitiativen bedanken, die uns geholfen haben, diese Anträge zu stellen, und die teilweise die Begründung mit formuliert haben.
Ich wünsche diesen Bürgerinitiativen, daß diese Arbeit trotz des bevorstehenden Abstimmungsergebnisses nicht umsonst war, sondern hilft, den Widerstand vor Ort voranzutreiben, so daß viele Projekte, die sich im jetzigen Bedarfsplan befinden, niemals realisiert werden.
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Schulte
Ich möchte die Gelegenheit nutzen, mich ganz besonders bei unseren wenigen Mitarbeitern zu bedanken, bei Rita, Gisela, Iko, Dieter und den anderen, die es uns ermöglicht haben, so viele Anträge einzubringen.
Ich habe es, Herr Daubertshäuser, heute morgen schon einmal gesagt: Wir hoffen, daß wir nächstes Mal so zahlreich vertreten sind, daß wir zu allen Projekten Änderungsanträge stellen können.Ihr Schluß, daß wir lediglich 3 000 Kilometer weniger an Bundesfernstraßen haben wollen, weil wir nur zu diesen 3 000 Kilometern Anträge stellen, ist völlig falsch. Erstens — das wird gleich die Endabstimmung zeigen — lehnen wir den Bedarfsplan insgesamt entschieden ab. Und zweitens habe ich bereits heute morgen gesagt: Wir können auf Grund unserer Grundsätze zum Fernstraßenbau maximal 5 % der Fernstraßen, die noch geplant sind, zustimmen. Alle anderen Projekte können aus ökologischen Gründen nicht akzeptiert bzw. mit verkehrspolitischen Notwendigkeiten nicht begründet werden.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Herr Kollege, können Sie uns sagen, welches die 5 % der Straßen sind, die Sie noch wollen?
Herr Kretkowski, ich habe noch genau fünf Minuten Redezeit.
Aber Sie wissen z. B., daß wir bei der B 469 Obernburg/Trennfurt versucht haben, eine Kompromißlösung zu finden, bei der zusätzlich noch genau so viel Straße gebaut wird, wie aus Sicherheitsgründen notwendig ist.
Da wir jetzt bei Einzelprojekten sind und da heute zum erstenmal ein ganz neues Abstimmungsverfahren praktiziert worden ist, möchte ich Sie doch darauf hinweisen, daß der Computer auch nicht so perfekt ist, wie man es immer so gerne haben möchte. Auf Ihrem Abstimmungsbogen fehlt nämlich die Ortsumgehung Preetz. Vielleicht kann uns der Herr Bundesverkehrsminister, der wohl gleich noch das Wort ergreifen wird, mitteilen, wie die Abstimmung zu Punkt 3 auf der Liste ausgegangen ist. Vielleicht ist das das einzige Projekt, bei dem man uns zugestimmt hat.
Herr Abgeordneter, ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, daß wir das gemerkt haben. Die Abstimmung ist genauso ausgefallen wie die anderen. Die Liste wird natürlich korrigiert.
Gut.
Gestatten Sie jetzt eine Zwischenfrage des Abgeordneten Senfft?
Ja.
Kannst du bestätigen, daß die Aufnahme der A 66 — Alleen-Tunnel in Frankfurt — gegen die Stimmen der GRÜNEN erfolgte?
Natürlich!
Kannst du zudem bestätigen, daß es in der Einzelabstimmung keinen Änderungsantrag der Sozialdemokraten, nach dem dieses Projekt zu streichen ist, gegeben hat?
Beides kann ich bestätigen.
Die Ablehnung dieses Projektes werden wir durch unsere entschiedene Ablehnung des Bedarfsplans noch einmal eindeutig unterstreichen.Auf das, was die SPD hier in bezug auf die Zustimmung bei Ortsumgehungen gesagt hat, möchte ich noch kurz eingehen. Sie behaupten, 80 bis 90 % der Bundesstraßenprojekte seien Ortsumgehungsmaßnahmen. Wenn man sich dann dieses Ortsumgehungsprogramm einmal im einzelnen anschaut, wird man feststellen, daß dazu Hunderte von Kilometern Autobahn gehören. In der Eifel gibt es ein „Ortsumgehungsprojekt", das insgesamt 28,3 km lang ist. Das ist Ihre Definition von Ortsumgehung! Sie wissen ganz genau, daß dies ein Kaschieren ist, Sie wissen ganz genau, daß dies ein Etikettenschwindel ist, den wir so nicht mitmachen.
Wenn Sie sagen, wir möchten Ausbau statt Neubau, so ist das eine sehr lobenswerte Forderung. Nur, überprüfen Sie doch einmal den vorliegenden Bedarfsplan auf diese Forderung hin! Dann werden Sie feststellen, daß der weitaus größte Teil der Maßnahmen Neubaumaßnahmen sind, nicht Ausbaumaßnahmen. Genau das Gegenteil von dem, was Sie sagen, trifft zu.Ich will hier mit aller Klarheit feststellen: Auch wenn die GRÜNEN hier und da aus zwingenden Gründen — aus Gründen einer falschen Verkehrspolitik, die einseitig das Auto gefördert hat — unter den gegebenen Umständen eine Straßenbaumaßnahme noch für gerechtfertigt halten, so kann man doch allgemein sagen, daß jede Straßenbaumaßnahme, daß jeder zusätzliche Kilometer Straße nichts anderes ist als eine Maßnahme zur Förderung des Individualverkehrs,
und zwar des umweltschädlichen Autoverkehrs.
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Schulte
Wir haben mit unserer Großen Anfrage zu den gesellschaftlichen Kosten des Autoverkehrs ganz deutlich machen können, daß eben durch das Auto, dessen hundertjähriges Bestehen wir in diesem Jahr nicht feiern, sondern zur Kenntnis nehmen, horrende gesellschaftliche Schäden und Kosten entstehen. Man braucht sich nicht nur unsere Wälder zu betrachten, man braucht sich nicht nur die Zahl der Verkehrstoten und die hohen Unfallzahlen zu betrachten;
dieses anachronistische Verkehrsmittel ist nach unserer Meinung zu reduzieren, wo immer es geht. Statt dessen müssen die öffentlichen Verkehrsmittel, vor allen Dingen die Bundesbahn, und — da haben Sie recht — in ländlichen Regionen auch die Busverbindungen ausgebaut werden, damit den Bürgern endlich ermöglicht wird, auf umweltfreundliche Verkehrsmittel umzusteigen.
Wenn wir von diesen 80, 100 oder wieviel Milliarden DM, die dieses Straßenbauprogramm letztlich teuer sein soll, nur einen Bruchteil in die Attraktivitätssteigerung des öffentlichen Verkehrssystems investieren würden, dann wäre nicht nur dem Staatssäckel gedient, sondern vor allem der Umwelt und den Menschen.
Meine Damen und Herren, die GRÜNEN im Bundestag haben heute — das haben sicherlich viele von Ihnen gar nicht gemerkt — auch einen Antrag zum Straßenbaustopp in modifizierter Form wieder neu in den Bundestag eingebracht. Dieser soll im Verkehrsausschuß beraten werden. Dies macht deutlich, daß für uns dieses Kapitel Fernstraßenbau noch lange nicht abgeschlossen ist. Wir werden im Zusammenhang mit den Bürgerinitiativen alles tun, damit das Ergebnis der heutigen Beratung, dieses für unsere Umwelt schreckliche Ergebnis korrigiert wird.Danke schön.
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Verkehr.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Verkehrspolitik ist schwer; das zeigt dieser Tag.
— Das haben Sie doch selbst gemerkt. Ich beschränke mich auf wenige Bemerkungen.Erstens. Der Gesetzentwurf über den neuen Bedarfsplan für die Bundesfernstraßen ist in der Kontinuität des Bedarfsplans von 1980. Der Bedarfsplan von 1980 konnte nur zu 80 % erfüllt werden. Das ist bei dem jetzt vorliegenden Entwurf berücksichtigt worden. Das Netz der Bundesfernstraßen ist gegenüber dem alten Plan von 1980 nicht erweitert, sondern in zahlreichen Fällen reduziert worden. 380 km Vorbehaltsstrecken bei den Autobahnen wurden gestrichen. In Übereinstimmung mit den Beschlüssen des Deutschen Bundestages von 1980 haben wir nach meiner Meinung einen Abschluß der Planung des Fernstraßennetzes erzielt.Der neue Bedarfsplan wurde solide auf Grund des vorhandenen finanziellen Rahmens konzipiert. Ich stelle fest, Herr Kollege Daubertshäuser: 80 % der Gelder für die Bundesstraßen gehen in Ortsumgehungen. Ich glaube, da haben wir keine Konflikte. Und wenn ich an die Autobahnen denke, dann haben wir das bestätigt, was mit Ihrer Mehrheit im Jahre 1980 beschlossen worden ist. Sind wir nachgefolgt, haben Sie damals falsch geurteilt oder wir heute — die Frage überlasse ich jedem einzelnen.Zweitens. Der Bedarfsplan 1986 wurde in jahrelanger Arbeit sorgfältig erarbeitet. Erstmals erfolgte eine umfangreiche ökologische Risikoanalyse. Der Entwurf wurde in eineinhalb Jahren intensiv mit den Ländern, den Bundesressorts, im Bundesrat, im Bundestag und in den Ausschüssen beraten. Diese sorgfältige Arbeit wurde durch den Verkehrsausschuß bestätigt, da nach der parlamentarischen Beratung bei 95 % der bewerteten Maßnahmen die von der Bundesregierung vorgeschlagene Einstufung bestätigt worden ist.Es gibt keine isolierte Straßenplanung. Ziel der Bundesverkehrsplanung ist die Schaffung eines leistungsfähigen, sicheren und alle Regionen erschließenden Verkehrssystems, auch über die Grenzen der Bundesländer hinweg, auf dem der Verkehr in der ganzen Bundesrepublik Deutschland optimal abläuft. Projekte sind im Gesamtzusammenhang zu sehen, nicht als einzelne Groß- oder Prestigeprojekte, sondern als notwendige Lückenschlüsse und Ergänzungen des Gesamtnetzes. Wenn ich eine Straße zusammenschließen will und eine große Lücke da ist, dann muß ich selbstverständlich von einem Großprojekt sprechen. Aber ich glaube, daß auch solche Dinge erledigt werden müssen.Es ist nicht unser Ziel, Verkehrsspitzen durch überzogenen Straßenbau abzudecken. Wir haben deshalb begonnen, neue Techniken für die individuelle Verkehrsbeeinflussung zu entwickeln, um durch Information und Verkehrslenkung den vorhandenen Straßenraum intelligenter zu nutzen.Drittens. Der Bürger und die Wirtschaft brauchen ein funktionierendes und sicheres Straßennetz; denn Transportkosten sind immer zu Buche schlagende Kostenfaktoren.Viertens. Im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft hat die Bundesrepublik Deutschland nicht nur wirtschaftlich, sondern auch geographisch eine besondere Bedeutung. Dementsprechend müssen auch die Verkehrswege so konzipiert sein, daß sie eine gute Verbindung zu allen Nachbarstaaten sicherstellen.Fünftens. Verkehrspolitik kann sich nicht nur am Heute orientieren, nicht modisch sein, sondern muß langfristig und zukunftsträchtig konzipiert sein. Der vorliegende Entwurf trägt dem Rechnung. Der neue Bedarfsplan sieht einen flächensparsamen
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Bundesminister Dr. DollingerBundesfernstraßenbau vor und steht in Übereinstimmung mit der Bodenschutzkonzeption der Bundesregierung.
Auch der Lärmschutz wird dementsprechend berücksichtigt. So wurden allein von 1982 bis 1985 700 Millionen DM dafür ausgegeben. Ab 1986 sind jährliche Aufwendungen in Höhe von 250 Millionen DM eingeplant.Sechstens. Abschließend danke ich allen, die diesen Gesetzentwurf ermöglichst haben: den Mitarbeitern in den Verwaltungen, den Wissenschaftlern, den politisch Verantwortlichen in Bund und Ländern. Mein besonderer Dank gilt den Mitgliedern des Verkehrsausschusses und des mitberatenden Ausschusses.Ich bin überzeugt: Dies war eine schwere Arbeit. Das Ganze war — von manchen Zwischenspielen abgesehen — im Ergebnis auch eine sinnvolle Arbeit. Ich bin sicher, daß die Beschlüsse des Hohen Hauses auch verwirklicht werden.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Schlußabstimmung. Die Fraktion DIE GRÜNEN verlangt gemäß § 52 der Geschäftsordnung namentliche Abstimmung. Ihnen allen ist das Verfahren bekannt. Ich eröffne die namentliche Abstimmung. — Meine Damen und Herren, es folgen noch weitere Abstimmungen.
Können wir die Abstimmung schließen? Letzter Aufruf. — Ich schließe die Abstimmung. Ich bitte auszuzählen.")
Meine Damen und Herren, ich darf Sie bitten, wieder Platz zu nehmen, damit wir in den Beratungen fortfahren können.
Das Wort zur Geschäftsordnung hat Herr Abgeordneter Bohl.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben interfraktionell Einvernehmen darüber erzielt, die weiteren Punkte der Tagesordnung in der Weise zu behandeln, daß wir alle Anträge ohne Aussprache an die jeweiligen Ausschüsse überweisen und allen Mitgliedern des Hauses, die zu diesen Tagesordnungspunkten eine Rede vorbereitet haben, die Möglichkeit einräumen, diese schriftlich zu Protokoll zu geben.
Dazu beantrage ich, daß wir gemäß § 126 der Geschäftsordnung mit Zweidrittelmehrheit eine solche Möglichkeit abweichend von der üblichen Praxis einräumen.
Darüber hinaus sollte die Behandlung der Tagesordnung, Frau Präsidentin, fortgesetzt werden, indem die Punkte aufgerufen und jeweils ohne Aus-
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sprache entsprechende Verweisungen an die Ausschüsse vorgenommen werden.
Vielen Dank.
Meine Damen und Herren, erhebt sich gegen diese Lösung Widerspruch? — Kein Widerspruch. Dann ist das offensichtlich mit Zweidrittelmehrheit der Anwesenden so beschlossen.Da wir die Beratungen zu Punkt 2 der Tagesordnung erst nach Feststellung des Abstimmungsergebnisses weiterführen können, rufe ich jetzt die Punkte 7 a bis 7 e der Tagesordnung auf:a) Beratung der Sammelübersicht 129 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen— Drucksache 10/4667 —b) Beratung der Sammelübersicht 130 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen— Drucksache 10/4668 —c) Beratung der Sammelübersicht 131 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen— Drucksache 10/4669 —d) Beratung der Sammelübersicht 132 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen— Drucksache 10/4711 —e) Beratung der Sammelübersicht 133 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen— Drucksache 10/4712 —Zu den Tagesordnungspunkten 7 a bis 7 c liegen Änderungsanträge der Fraktion der SPD auf den Drucksachen 10/4744, 10/4746 sowie Anträge der Abgeordneten Mann, Dr. Schierholz und der Fraktion DIE GRÜNEN auf den Drucksachen 10/4751 und 10/4752 vor.Meine Damen und Herren, da wir eben interfraktionell vereinbart haben, keine Aussprache durchzuführen, bitte ich diejenigen, die ihre Beiträge zu Protokoll geben wollen, mir diese jetzt zu übergeben. —Meine Damen und Herren, wir kommen jetzt zu den Abstimmungen zu Tagesordnungspunkt 7 a, und zwar zuerst über die hierzu vorliegenden Änderungsanträge.Wer dem Änderungsantrag der Abgeordneten Mann, Dr. Schierholz und der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/4751 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das war nicht sehr übersichtlich: Bei Gegenstimmen und einigen Enthaltungen mit Mehrheit abgelehnt.
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14646 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 194. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Januar 1986
Vizepräsident Frau RengerWer dem Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/4744 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Mit großer Mehrheit abgelehnt.Wer der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses auf Drucksache 10/4667 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ist mit großer Mehrheit angenommen.Wir kommen jetzt zur Abstimmung zu Tagesordnungspunkt 7 b, und zwar zuerst über die Änderungsanträge.Wer dem Änderungsantrag der Abgeordneten Dr. Schierholz, Mann und der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/4752 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Mit großer Mehrheit abgelehnt.Wer dem Änderungsantrag der SPD auf Drucksache 10/4745 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.Wer der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses auf Drucksache 10/4668 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ist angenommen.Wir kommen zu den Abstimmungen zu Tagesordnungspunkt 7 c und stimmen zunächst über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/4746 ab. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.Wer der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses auf Drucksache 10/4669 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Die Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ist angenommen.Es bleibt noch über die Punkte 7 d und 7 e der Tagesordnung abzustimmen. Wer den Beschlußempfehlungen des Petitionsausschusses auf den Drucksachen 10/4711 und 10/4712 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlungen des Ausschusses sind einstimmig angenommen.Ich rufe die Punkte 8 a bis 8 c der Tagesordnung sowie den Zusatzpunkt 4 zur Tagesordnung auf:8. a) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für institutionelle Anleger— Drucksache 10/4671 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Finanzausschuß
Ausschuß für Wirtschaftb) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Unternehmensbeteiligungsgesellschaften
— Drucksache 10/4551 — Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Finanzausschuß
Ausschuß für WirtschaftAusschuß für Arbeit und Sozialordnung Haushaltsausschuß gemäß § 96 GOc) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung von Arbeitnehmerbeteiligungen am Produktivvermögen— Drucksache 10/3955 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung FinanzausschußAusschuß für WirtschaftAusschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau HaushaltsausschußZusatzpunkt 4:Beratung des Antrags der Abgeordneten Huonker, Jung , Kirschner, Rapp (Göppingen), Rappe (Hildesheim), Urbaniak, Weinhofer, Dr. Wieczorek, Dr. Apel, Duve, Frau Fuchs (Köln), Roth, Dr. Spöri, Meininghaus, Reimann, Sieler, Stahl (Kempen), Frau Traupe, Westphal, Wolfram (Recklinghausen), Würtz, Reuschenbach, Dr. Vogel und der Fraktion der SPDBeteiligung der Arbeitnehmer am Produktivvermögen— Drucksache 10/4747 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Finanzausschuß
Ausschuß für WirtschaftAusschuß für Arbeit und SozialordnungWir haben interfraktionell vereinbart, daß keine Aussprache stattfinden soll. Nach einem Beschluß gemäß § 126 unserer Geschäftsordnung können Sie Ihre Reden zu Protokoll geben. Sie wollen sie bitte den Schriftführern übergeben.Der Ältestenrat schlägt Überweisungen der Vorlagen auf den Drucksachen 10/4671, 10/4551, 10/3955 und 10/4747 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Zusätzlich ist interfraktionell vereinbart worden, den Gesetzentwurf der Bundesregierung unter Punkt 8 b der Tagesordnung zur Mitberatung an den Rechtsausschuß und die Vorlage unter Zusatzpunkt 4 zur Tagesordnung zur Beratung gemäß § 96 unserer Geschäftsordnung an den Haushaltsausschuß zu überweisen. — Andere Vorschläge liegen nicht vor. Ist das Haus damit einverstanden? — Dann ist das so beschlossen.Ich rufe Punkt 9 der Tagesordnung auf:Beratung des Antrags der Abgeordneten Neumann , Bernrath, Dr. Diederich (Berlin), Duve, Jahn (Marburg), Klose, Kuhlwein, Lambinus, Purps, Frau Renger, Schanz, Schmidt (München), Dr. Soell, Stiegler, Frau Dr. Timm, Wartenberg (Berlin), Westphal, Frau Zutt, Dr. Vogel und der Fraktion der SPDDie Lage der Juden in der Sowjetunion — Drucksache 10/4233 —Auch hier haben wir vereinbart, den Antrag ohne Debatte zu behandeln. Ich bitte wieder, die Reden zu Protokoll zu geben. Interfraktionell wird vorge-
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 194. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Januar 1986 14647
Vizepräsident Frau Rengerschlagen, den Antrag auf Drucksache 10/4233 an den Auswärtigen Ausschuß zu überweisen. Gibt es anderweitige Vorschläge? — Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen.Ich rufe Punkt 10 der Tagesordnung auf:Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Europäischen Übereinkommen vom 16. Mai 1972 über Staatenimmunität— Drucksache 10/4631 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß
Auswärtiger AusschußEine Aussprache ist nicht vorgesehen.Der Ältestenrat schlägt Überweisung der Vorlage auf Drucksache 10/4631 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. — Andere Vorschläge habe ich nicht vorliegen. Dann ist die Überweisung so beschlossen.Ich rufe die Punkte 11 und 12 der Tagesordnung auf:11. Beratung des Antrags des Bundesministers der FinanzenEntlastung der Bundesregierung für das Haushaltsjahr 1984 — Vorlage der Haushaltsrechnung und Vermögensrechnung des Bundes
— Drucksache 10/4596 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Haushaltsausschuß12. Beratung des Antrags des Bundesministers für WirtschaftRechnungslegung über das Sondervermögen des Bundes „Ausgleichsfonds zur Sicherung des Steinkohleneinsatzes" — Wirtschaftsjahr 1984— Drucksache 10/4619 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Haushaltsausschuß
Ausschuß für WirtschaftEine Aussprache ist nicht vorgesehen.Der Ältestenrat schlägt Überweisung der Anträge an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Gibt es weitere Vorschläge? — Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.Ich rufe Punkt 13 der Tagesordnung auf:Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu dem Antrag des Bundesministers der FinanzenVeräußerung des bundeseigenen Flurstücks Nr. 1199/9 in München an die Firma BMW AG— Drucksachen 10/4134, 10/4672 —Berichterstatter:Abgeordnete Frau Simonis Dr. PfennigKleinert Auch hier ist keine Aussprache vorgesehen.Der Ausschuß empfiehlt, der Veräußerung zuzustimmen. Wer der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses auf Drucksache 10/4672 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einigen Enthaltungen ist die Beschlußempfehlung angenommen.Ich rufe die Punkte 14 bis 19 der Tagesordnung auf:14. Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die BundesregierungÜberplanmäßige Ausgabe bei Kap. 12 02 Tit. 682 09 — Ausgleich gemeinwirtschaftlicher Leistungen im Straßenverkehr bei der Beförderung von Auszubildenden— Drucksachen 10/4421, 10/4673 —Berichterstatter:Abgeordnete Purps MetzDr. Weng Suhr15. Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die BundesregierungÜberplanmäßige Ausgaben im Haushaltsjahr 1985 beia) Kap. 10 02 Tit. 656 51 — Altershilfe für Landwirte —b) Kap. 10 02 Tit. 656 55 — Krankenversicherung der Landwirte —— Drucksachen 10/4501, 10/4674 —Berichterstatter:Abgeordnete Schmitz Sieler (Amberg)Suhr16. Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die BundesregierungÜberplanmäßige Ausgaben bei Kap. 1111 Tit. 682 01 — Erstattung von Fahrgeldausfällen— Drucksachen 10/4486, 10/4675 —Berichterstatter:Abgeordnete Sieler StrubeFrau Seiler-AlbringKleinert
17. Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die BundesregierungÜberplanmäßige Ausgaben bei Kap. 1111 Tit. 642 01 —Kosten der Kriegsopferfürsorge auf Grund des Bundesversorgungsgesetzes sowie entsprechender Lei-
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14648 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 194. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Januar 1986
Vizepräsident Frau Rengerstungen auf Grund des Häftlingshilfegesetzes, des Gesetzes über die Unterhaltsbeihilfe für Angehörige von Kriegsgefangenen und des Gesetzes über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten— Drucksachen 10/4487, 10/4676 —Berichterstatter:Abgeordnete Sieler StrubeFrau Seiler-AlbringKleinert
18. Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die BundesregierungAußerplanmäßige Ausgaben bei Kap. 1113 Tit. apl. 65610— Zusätzlicher Zuschuß des Bundes gemäß Artikel 8 des Gesetzes zur Stärkung der Finanzgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung
— Drucksachen 10/4465, 10/4677 —Berichterstatter:Abgeordnete Sieler StrubeFrau Seiler-AlbringKleinert
19. Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die BundesregierungÜberplanmäßige Ausgaben bei Kap. 1112 Tit. 68101— Arbeitslosenhilfe— Drucksachen 10/4401, 10/4678 —Berichterstatter:Abgeordnete Sieler Roth (Gießen)Frau Seiler-AlbringKleinert
Eine Aussprache ist nicht vorgesehen.Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuß empfiehlt auf den Drucksachen 10/4673 bis 10/4678, von den Unterrichtungen Kenntnis zu nehmen. — Das ist offensichtlich der Fall. Dann hat sich das damit erledigt.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 20a und 20 b auf:a) Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung
Aufhebung der Immunität von Mitgliedern des Deutschen Bundestages— Drucksache 10/4730 —Berichterstatter:Abgeordneter Wolfgramm
b) Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung
Aufhebung der Immunität von Mitgliedern des Deutschen Bundestages— Drucksache 10/4731 —Berichterstatter:Abgeordneter Dr. Schwenk
Eine Aussprache ist nicht vorgesehen.Wer den Beschlußempfehlungen des Ausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einigen Enthaltungen angenommen.Wir kehren zu Punkt 2 der Tagesordnung zurück. Ich gebe das von den Schriftführern ermittelte Ergebnis der Schlußabstimmung über den Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den Ausbau der Bundesfernstraßen auf Drucksache 10/4389 bekannt. Von den voll stimmberechtigten Mitgliedern des Hauses haben 390 ihre Stimme abgegeben. Es gab keine ungültige Stimme. Mit Ja haben 348 Mitglieder des Hauses gestimmt. Mit Nein haben 34 Mitglieder des Hauses gestimmt. Enthalten haben sich 8 Mitglieder des Hauses. 18 Berliner Abgeordnete haben ihre Stimme abgegeben. Es gab keine ungültige Stimme. Mit Ja haben 17 Abgeordnete des Hauses gestimmt. Mit Nein hat 1 Abgeordneter des Hauses gestimmt.Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen 390 und 18 Berliner Abgeordnete; davonja: 348 und 17 Berliner Abgeordnetenein: 34 und 1 Berliner Abgeordneterenthalten: 8JaCDU/CSUDr. AbeleinFrau Augustin AustermannBayhaDr. Becker BergerDr. BernersBiehleDr. Blank Dr. Blüm Böhm
Dr. BötschBohlBohlsen Borchert BraunBreuerBrollBrunnerBühler
Dr. BuglCarstens Carstensen (Nordstrand) ClemensDr. DanielsDawekeFrau DempwolfDeresDörflingerDr. DollingerDossDr. DreggerEchternachEhrbarEigenEngelsbergerErhard
Eylmann
Dr. FaltlhauserFellnerFischer
Dr. FriedmannGanz
Frau GeigerDr. von GeldernGerlach
Gerstein Gerster
Dr. GöhnerDr. Götz GötzerGünther Dr. Häfelevon HammersteinHanz
HaungsHauser
HedrichFrau Dr. HellwigHelmrich Dr. HennigHerkenrathHinrichs Hinsken Höffkes
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 194. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Januar 1986 14649
Vizepräsident Frau RengerHöpfingerDr. HoffackerFrau Hoffmann Dr. HornhuesFrau Hürland Dr. HüschDr. HupkaGraf HuynJagodaDr. Jahn
Dr. Jenninger Dr. JobstJung Dr.-Ing. Kansy Frau Karwatzki KellerKlein KolbKrausKreyKroll-SchlüterFrau Krone-AppuhnDr. Kronenberg Dr. Kunz
Dr. Lammert LandréDr. Langner LattmannDr. LaufsLemmrichLenzerLink Link (Frankfurt) LinsmeierDr. LippoldLöherLohmann LouvenMaaßFrau Männle MaginMarschewski MetzDr. Meyer zu Bentrup MichelsDr. MiltnerMilzDr. MöllerMüller
Müller Müller (Wesseling)NelleFrau Dr. Neumeister NiegelDr.-Ing. OldenstädtDr. Olderog PeschPfeffermann PfeiferDr. PingerPöpplPohlmannDr. Pohlmeier Dr. ProbstRaweRegenspurger RepnikDr. Riedl
Dr. Riesenhuber Frau Rönsch Frau Roitzsch
Dr. Rose
Rossmanith Roth RüheRufSauer
Sauer SaurinSauter
Sauter
ScharrenbroichSchartz SchemkenScheuSchlottmann SchmidbauerSchmitz von SchmudeSchneider
Freiherr von Schorlemer Schreiber
Dr. Schroeder SchulhoffDr. Schulte
Schultz (Wörrstadt) Schwarz
Dr. Schwarz-Schilling Dr. SchwörerSeehofer Seesing Seiters Spilker Dr. SprungDr. Stark Dr. StavenhagenDr. SterckenStockhausenStrube Stücklen Stutzer Susset Tillmann UldallDr. UnlandFrau VerhülsdonkVogel
Vogt
Dr. Voigt
Dr. VossDr. WaffenschmidtDr. WaigelGraf von Waldburg-Zeil Dr. WarnkeDr. von Wartenberg WeirichWeißWerner
Frau Will-FeldFrau Dr. WilmsWimmer Windelen WissmannDr. WittmannWittmann Dr. WörnerWürzbachDr. Wulff ZiererZinkBerliner AbgeordneteFrau Berger BoroffkaDolataFeilckeKalischKittelmannDr. h. c. LorenzDr. Pfennig Schulze StraßmeirSPDAmlingDr. ApelBecker BrückBuckpeschBüchler Dr. von Bülow BuschfortColletDr. Corterier CurdtFrau Dr. Däubler-Gmelin DaubertshäuserDelormeDreßlerDr. Ehmke EickmeyerDr. Emmerlich EstersEwenFischer Fischer (Osthofen) Franke (Hannover)Frau Fuchs GanselGilgesGrunenberg Dr. HaackHaarHaase Hansen (Hamburg) HauckHeistermann HerterichHettlingHiller Dr. HoltzHornJahn Dr. JensJungmann KastningKiehmKisslingerKlein
Dr. Klejdzinski KretkowskiDr. Kübler LambinusLeonhartFrau Dr. LepsiusLiedtkeLohmann MeininghausMüller
Dr. Müller-Emmert MünteferingNagelNehmNeumann Dr. NöbelOostergetelo PaternaPauliDr. Penner PfuhlPorznerPurpsRankerRapp
Rappe ReimannFrau Renger ReschkeReuterRohde
RothSanderSchanzSchlagaSchluckebier Frau Schmedt
Dr. Schmidt Schmidt (Wattenscheid) Schmitt (Wiesbaden)Dr. SchmudeSchreiner Schulte
Dr. Schwenk
SielaffSieler
Frau Dr. Skarpelis-SperkDr. Sperling Stahl
Frau SteinhauerStieglerDr. Struck TietjenFrau Dr. TimmToetemeyer Frau Traupe UrbaniakVogelsang WaltherWeinhofer Dr. Wernitz WestphalFrau Weyelvon der WiescheWimmer
WitekDr. de With Wolfram
WürtzZanderZeitlerBerliner AbgeordneteEgertHeimann LöfflerFrau Luuk StobbeDr. VogelFDPFrau Dr. AdamSchwaetzerBaumBeckmann Bredehorn Cronenberg
Eimer
EngelhardDr. FeldmannGattermann GrünbeckFrau Dr. Hamm-BrücherDr. HaussmannDr. Hirsch Hoff ieKleinert
Dr.-Ing. LaermannMischnick Möllemann Neuhausen PaintnerRonneburgerDr. Rumpf Schäfer
Frau Dr. SegallFrau Seiler-AlbringDr. SolmsWolfgramm
Berliner Abgeordneter HoppeNeinSPDBamberg Conradi
Metadaten/Kopzeile:
14650 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 194. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Januar 1986
Vizepräsident Frau RengerFrau Fuchs
Frau Dr. HartensteinDr. HauchlerHuonker JansenFrau Matthäus-MaierDr. SchöfbergerVahlberg Frau ZuttDIE GRÜNENAuhagenFrau BorgmannBuebFrau Dann Frau EidFischer Frau KellyMannDr. Müller RuscheDr. SchierholzSchilySchmidt
Schulte
SenfftSuhrTatgeTischerVogel
Frau WagnerWerner Werner (Westerland)Berliner Abgeordneter StröbelefraktionslosBastianEnthaltenSPDBahr Duve KirschnerKuhlweinFrau Dr. Martiny-Glotz Schröder Weisskirchen (Wiesloch) Dr. WieczorekDas Gesetz ist in der dritten Lesung angenommen.
Wir kommen jetzt zu den vorliegenden Entschließungsanträgen. Es ist beantragt, den Entschließungsantrag des Abgeordneten Schulte und der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/4940 zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Verkehr und zur Mitberatung an den Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau, den Innenausschuß und den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu überweisen. Erhebt sich dagegen Widerspruch? — Das ist nicht der Fall. Es ist so beschlossen.Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/4982. Wer diesem Entschließungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Dieser Entschließungsantrag ist abgelehnt.Wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung.Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 31. Januar 1986, 9 Uhr ein.Die Sitzung ist geschlossen.